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Deutschlands teurer Umbau einer Schlüsselindustrie

Seit mehr als 200 Jahren wird in Deutschland mit Koks und Kohle Rohstahl produziert. Doch die Herstellung ist extrem CO₂-intensiv, der klimaneutrale Umbau im vollen Gange. Der „grüne Stahl“ der Zukunft ist bereits gefragt – kostet das Land aber Milliarden.

Zwei Arbeiter in einem Stahlwerk Getty Images/Monty Rakusen

Zwei Arbeiter in einem Stahlwerk Getty Images/Monty Rakusen© Bereitgestellt von WELT

Jahrelang waren die Pläne zum klimaneutralen Umbau der Stahlindustrie nur Theorie, nun wird die grüne Transformation greifbar. Zum Beispiel beim Salzgitter-Konzern. „Wir haben die Phase von Power-Point-Präsentationen weit hinter uns gelassen“, sagt Gunnar Groebler, der Vorstandschef des nach Thyssenkrupp und ArcelorMittal drittgrößten Stahlherstellers in Deutschland.

„Die Bagger rollen bereits, und bald werden erste Fundamentpfähle gesetzt“, kündigt der Manager an. „Zum Start ersetzen wir den ersten unserer drei Hochöfen durch eine neue Anlage mit neuer Technologie.“ Ende 2025 soll die Produktion beginnen.

„Salcos“ heißt das Projekt der Niedersachsen, das steht für „Salzgitter Low CO₂ Steelmaking“. Gemeint ist die Abkehr von der klassischen und CO₂-intensiven Hochofenroute mit Koks und Kohle, über die hierzulande seit mehr als 200 Jahren Rohstahl produziert wird.

Ersetzt wird sie durch im Idealfall mit grünem Wasserstoff betriebene Direktreduktionsanlagen, in denen sogenannter Eisenschwamm entsteht, der im zweiten Schritt in einem Einschmelzer unter Beigabe von Stahlschrott weiterverarbeitet werden muss. „Das ermöglicht eine CO₂-Minderung von 95 bis 97 Prozent“, schätzt die Lobby-Organisation Agora Energiewende.

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Der Druck zur Dekarbonisierung ist hoch. Deutschlands Stahlindustrie, mit zuletzt 37 Millionen Tonnen Jahresproduktion die größte in Europa, gehört auch zu den größten Kohlendioxid-Emittenten. Fast 60 Millionen Tonnen CO₂ werden pro Jahr ausgestoßen, das entspricht einem Drittel aller Industrieemissionen. Aber der Umbau in Richtung Klimaneutralität ist teuer.

„Die Unternehmen stehen vor einem gewaltigen Kraftakt“, sagt Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. „Es geht um Milliardeninvestitionen, wie sie die Stahlindustrie in den letzten 50 Jahren nicht gesehen hat.“ Der Verband spricht von allein 30 Milliarden Euro für den Umbau des Anlagenparks.

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Rippel fordert Unterstützung von der Politik. „Konkret brauchen die Unternehmen Anschubförderung, damit die Transformation Fahrt aufnehmen kann.“ Die Branche sei ein Rückgrat der Volkswirtschaft und wichtiger Lieferant für zum Beispiel den Bau, die Automobilindustrie und den Maschinenbau.

Auch die Energiewende hänge am Stahl: „Ohne Stahl gibt es keinen Strommast, keine Wasserstoffpipeline und kein Windrad“, sagt Rippel. „Die Stahlindustrie gibt Takt und Tempo vor, mit dem sich die deutsche Industrie in Richtung Klimaneutralität bewegt.“

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Grüner Stahl ist gefragt. Salzgitter berichtet, dass die ersten Chargen für 2025 und 2026 längst verkauft seien, unter anderem an Autokonzerne und Hersteller von Hausgeräten. „Perspektivisch wird sich grüner Stahl am Markt durchsetzen, sodass die öffentliche Förderung dadurch abgelöst werden kann“, sagt Lobbyistin Rippel.

Den entsprechenden Anschub gibt es wirklich: Salzgitter hat kürzlich einen Förderbescheid über 999.782.173,87 Euro von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bekommen. Auch Thyssenkrupp soll Steuergeld erhalten – die Rede ist von zwei Milliarden Euro für den ersten Schritt zum Umbau von Deutschlands größtem Stahlwerk in Duisburg.