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Rußland

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Geleakte Mails - Russischer Agent rechnet mit „Chaos, Bürgerkrieg, Kollaps“

Der russische Geheimdienstagent „Wind of Change“ schreibt Mails an den im Exil lebenden Menschenrechtsaktivisten Wladimir Osechknin. In den geleakten Mails beschreibt er, dass die Kreml-internen Konflikte um Putin sich weiterzuspitzen. Eine besondere Rolle spielen dabei Putins Koch Prigoschin und der Tschetschenen-Anführer Kadyrow.

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Russischer Whistleblower enthüllt Kreml-interne Konflikte - und rechnet mit Bürgerkriegen

Die Prognosen des Whistleblowers:

  • Bürgerkrieg: In der letzten Mail des russischen Whistleblowers im November heißt es, dass es innere Unruhen und Konflikte im Kreml gibt. Der russische Geheimdienstagent prognostiziert einen „unvermeidlichen Bürgerkrieg“ und dass Russland bald „in den Abgrund des Terrors hinabsteigen wird“, da die russischen Bürger des Krieges langsam überdrüssig würden. „Chaos, Bürgerkrieg, Kollaps - ja, das liegt alles noch vor uns. Es ist unvermeidlich“, schreibt der FSB-Agent. In Russland gebe es jedoch kein Modell für einen „einfachen Machtwechsel“ attestiert der russische Geheimdienstagent.
  • Aufruhr: „Am Anfang können wir einen willkürlichen Aufruhr bekommen, nur mit Plünderungen und chaotischen Zuständen und Auseinandersetzungen zwischen allen“, so die erste Prognose des Whistleblowers.
  • Kämpfe der Regionen: „Oder es wird Kämpfe der Regionen um die Aufteilung der Ressourcen geben. Ein Gerangel verschiedener Kräfte um die Kontrolle über Teile des Landes“, lautet die zweite Prognose des russischen Geheimdienstagenten. „Sie planen in den Gebieten, die sie einnehmen, kleine Zaren zu sein. Zumindest denken sie so“, schreibt er.

Putins Verbündete - Putins Feinde?

Im Fokus der Unruhen im Kreml: Putins Verbünde, Jewgeni Prigoschin, Putins Koch und Gründer der russischen Söldnergruppe „Wagner“ und der Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow. Diese würden laut dem Whistleblower immer mehr nach Macht greifen.

Auch das „Institute for the Study of War“ analysierte bereits, dass beide - vor allem aber Prigoschin - versuchten, ihre Macht weiter auszubauen. Den Mails des Whistleblowers zufolge würde es besonders schwer für den Kreml, Prigoschin klein zu halten, wenn er eine Bedrohung für Putins Herrschaft darstellen sollte.

Warum stellen sie Risiken für Putin dar?

  • Kritik an der Kriegsführung: Sowohl Kadyrow als auch Prigoschin kritisierten gemeinsam im Verlauf des Krieges immer wieder Putins Kriegsführung. Das deute daraufhin, dass Risse im Kreml entstehen könnten, so „Wind of Change“. Außerdem erklärt der Informant, dass der russische Geheimdienst sich sicher sei, dass Kadyrow und Prigoschin eine Reihe von Provokationen starten werden, die den Geheimdienst diskreditieren und deren „Unfähigkeit, die Situation im Land zu kontrollieren“ attestieren soll.
  • Profilierung von Kadyrow und Prigoschin: Der Whistleblower erklärt, dass Putins Koch und der Tschetschenen-Anführer wüssten, dass nun ihre Zeit gekommen sei, um sich zu profilieren. „Beide sind sich darüber im Klaren, dass sie für Putin nicht mehr notwendig sind, wenn sie aufhören zu kämpfen und einen Dialog beginnen“, schreibt der FSB-Agent. Keiner der Beiden würde es akzeptieren, wenn sie wieder in ihre alten Rollen schlüpfen müssten.
  • Prigoschins Strukturen: Vor allem der Kampf der Sicherheitsbehörden gegen Prigoschins Strukturen sei schlimm und unvermeidlich, prognostiziert der Whistleblower, wenn es zu einem internen Aufstand kommen sollte. Laut dem Whistleblower bereite Prigoschin seine Leute bereits auf den „Terror im eigenen Land“ vor - und das inmitten einer großen Unmutswelle in Russland. „Wenn alles nach Prigoschins Szenario abläuft, werden wir sowohl die Kontrolle als auch das Land verlieren“, schlussfolgert der FSB-Agent in seinen Mails.

„Institute for the Study of War“: Militärblogger gewinnen zunehmend an Einfluss auf Russland-Propaganda

Kadyrow hat als Militärblogger bereits bei der russischen Bevölkerung an Einfluss gewonnen hat: Mehr als drei Millionen Follower hat der Tschetschenen-Anführer auf seinem Telegram-Channel. Dort verbreitet er seine Kommentare zur Kriegsführung, Szenen von der Front und Aufnahmen seiner Truppen. Sein Einfluss als Militärblogger ist immens - und steigt genau wie der Einfluss der anderen Militärblogger.

In ihrer jüngsten Analyse beschäftigte sich das „Institute for the Study of War“ näher mit russischen Militärbloggern und ihrem Einfluss auf die russischen Informationen über den Krieg in der Ukraine. Demnach wachse der Einfluss der Militärblogger, obgleich diese auch zunehmend Kritik über die Kriegsführung äußerten. Die Community der Militärblogger bestehe aus mehr als 500 unabhängigen Autoren.

Angesichts der Zensur von staatsfernen Medien ist es äußerst erstaunlich, dass der Kreml die Militärblogger als unabhängiges aber dennoch offizielles Sprachrohr und Informationsquelle über den Krieg in der Ukraine toleriert. Dass die Gemeinschaft der Militärblogger immer mehr an Einfluss gewinnt, liegt daran, dass sie grundsätzlich kriegsfreundlich ist und russisch-nationalistische Einstellungen pflegt. Doch ob die Militärblogger gegenüber Putin loyal bleiben, sei fraglich laut des ISW. Wie Putin reagieren wird, wenn sich die Militärblogger von ihm abwenden, ist ebenfalls ungewiss.

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«Bis die Produktion endlich herauskommt, sind die Leute schon tot»

Der Krieg in der Ukraine wird voraussichtlich auch im Winter toben.

Der Krieg in der Ukraine wird voraussichtlich auch im Winter toben.© Shutterstock

Militärökonom Marcus Keupp zeigt auf, wo sich der Zerfall der russischen Wirtschaft am deutlichsten zeigt. Zudem sagt er, wo die Ukrainer als Nächstes angreifen könnten und was er von Leuten wie Gianni Infantino hält.

Herr Keupp, schaden die Sanktionen dem Westen mehr als Russland?

Marcus Keupp: Das ist vollkommener Unsinn.

Auf Social Media kursieren aber immer wieder Videos, wonach Europa extrem unter den Sanktionen leidet.

Solche Nachrichten werden vor allem von der extremen Linken und Rechten verbreitet. Sie behaupten, dass wir uns mit den Sanktionen in den eigenen Fuss schiessen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wenn man diese Argumentation nach den Daten abklopft, fällt sie schnell in sich zusammen. Russlands Wirtschaft befindet sich in einem technologischen Zerfall.

Wie macht sich das bemerkbar?

Am deutlichsten sieht man das an der russischen Automobilindustrie. Der Chef der Firma AvtoVAZ, die Lada-Autos herstellt, hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass er nicht mehr weiterbauen könne, weil die Komponenten fehlen. Nun überlegt er sich, die Komponenten aus dem Iran zu beziehen, weil die Russen sie selbst nicht mehr herstellen können. Das ist eine Bankrotterklärung. Den Zerfall der Wirtschaft sieht man auch sehr deutlich bei der Flugzeugindustrie.

Erläutern Sie!

Aeroflot hat momentan die Hälfte der Flotte gegroundet. Die stillgelegten Flugzeuge werden nun auseinandergenommen, um daraus Komponenten zu gewinnen, die man als Ersatzteile braucht. Man kann die Tage zählen, bis der innerrussische Flugverkehr eingestellt werden muss. Da stellt sich für mich die Frage: Wie hält man ohne Flugverkehr ein Land mit 17 Millionen Quadratkilometern zusammen?

Gibt es in Russland auch Industrien, die momentan wachsen?

Das Einzige, was momentan wächst, ist die Metallindustrie. Das liegt daran, dass die Russen jetzt Panzer und Waffen bauen. Aber die ganze Exportindustrie geht momentan komplett den Bach runter. Technologisch sind die Russen nicht mehr wettbewerbsfähig. Und das, was sie noch herstellen können, fliesst jetzt in Rüstungsgüter. Wenn man dazurechnet, dass sich der Westen von den fossilen Energien distanzieren wird, ist das kein Wachstumsmodell für Russland – diplomatisch gesagt.

Und undiplomatisch?

Ich habe im April und Mai gesagt, das ist ökonomischer Selbstmord. Dazu stehe ich immer noch. Das ist ein Zerfall in Slow-Motion.

Der Preis für Öl und Gas ist im Vergleich zum Sommer wieder gesunken. Was bedeutet das für Russland?

Das bedeutet in erster Linie weniger Einnahmen. Langfristig müssen sich die Russen aber sowieso auf einen Verlust von Absatzpotenzial einstellen. Von der russischen Gasproduktion gehen 60 Prozent in Richtung Westen – und zwar via Pipelines. Bis Ende dieses Jahrzehnts wird dieser Markt komplett wegbrechen. Und den können sie nicht ersetzen.

Können sie nicht einfach in den Osten exportieren? Etwa nach China?

Nein. Im Osten haben die Russen zwar eine Pipeline. Die «Power of Siberia». Aber dazwischen fehlt die Infrastruktur. Russland müsste riesige Pipelines durch die eurasische Landmasse bauen. Und das unter einem Sanktionsregime. Da können wir im Jahr 2100 nochmals vorbeischauen.

Russland hat ungefähr 300'000 zusätzliche Soldaten mobilisiert. Weitere Mobilisierungswellen sind nicht ausgeschlossen. Was bedeutet das für die Wirtschaft?

Sie müssen nicht nur die Mobilisierten zählen, sondern auch diejenigen, die vom Krieg davongelaufen sind. Dann sind wir etwa bei einer Million Russen, die der heimischen Wirtschaft momentan fehlen.

«Ein Grossteil der Mobilisierten wird nie wieder zurückkommen. Sie werden in der Ukraine als Kanonenfutter sterben.»

Mit welchen Folgen?

Dieses Produktionspotenzial wird der Wirtschaft entzogen. Das Hauptproblem jeder Kriegswirtschaft ist, dass die zivile Produktion nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Die Ressourcen werden stattdessen in die Kriegsproduktion gesteckt. Das ist nicht alles: Es gibt zahlreiche Berichte von russischen Lehrern und Professoren, die sich über die Lage beschweren.

Was berichten sie?

Sie klagen, dass sie nicht mehr unterrichten können, da zahlreiche Lehrkräfte mobilisiert wurden. Auch die Assistenten sind weg. Nicht nur die Produktion, sondern die ganze Volkswirtschaft kommt so langsam zum Erliegen. Ein Grossteil dieser Mobilisierten wird nie wieder zurückkommen. Die werden in der Ukraine als Kanonenfutter sterben. Dafür werden sie ja mobilisiert: um kurzfristig die Front zu stopfen, während die regulären russischen Truppen sich eingraben.

Es gibt viele Berichte über schlecht ausgerüstete Soldaten. Was ist da schiefgelaufen?

Da spielt die Korruption in Russland eine entscheidende Rolle. Es ist ja nicht so, dass Russland keine Uniformen produzieren könnte …

…, sondern?

Sagen wir mal, das russische Verteidigungsministerium schickt im Jahr 2021 zwei Millionen US-Dollar an einen korrupten Provinzfunktionär. Dieser soll nun in seiner eigenen Fabrik Uniformen herstellen. Was glauben Sie, was der mit den zwei Millionen macht?

Sagen Sie es mir.

Entweder werden die Uniformen niemals produziert. Oder wenn doch: Dann hat der korrupte Provinzfunktionär ein Lagerhaus voll mit Uniformen. Jetzt gibt es auf der ganzen Welt Bürgerkriege – in Afrika und Syrien etwa. Da kommt dieser bestimmt auf die Idee, die Uniformen zu verkaufen. Es ist weniger eine Produktionsproblematik, es sind viel mehr die alten Probleme von Korruption und Ineffizienz, die im System Putin auf die Spitze getrieben wurden.

Sie bezweifeln also, dass Russland jetzt den Schalter umlegen und das nötige Kriegsmaterial produzieren kann?

Mit einem solch korrupten System können sie keine verlässliche Produktion organisieren. Schon gar nicht für so einen riesigen Bedarf. Jetzt auf die Schnelle 300'000 Winteruniformen herzustellen, ist völlig illusorisch. Bis die Produktion endlich herauskommt, sind die Leute schon tot. Das klingt zynisch, aber das ist momentan die Realität. Deswegen wird sich der Winter auch eher für die Ukraine auswirken, trotz der russischen Angriffe auf das Stromsystem.

Ein ukrainischer Soldat posiert vor einem erbeuteten russischen Panzer.

Ein ukrainischer Soldat posiert vor einem erbeuteten russischen Panzer.© keystone

Sie sprechen es an. Der Winter ist auch in der Ukraine angekommen. Nachts steigen die Temperaturen vielerorts nicht mehr über den Gefrierpunkt. Keine guten Aussichten für die schlecht ausgerüsteten Russen …

Ja, die Mobilisierten werden zu einem grossen Teil sterben. Das muss man leider so offen sagen.

Ist da mit einem grösseren Aufstand der Zivilbevölkerung zu rechnen?

Nein, das glaube ich nicht. Es hat noch nie in der russischen Geschichte einen zivilgesellschaftlichen Umbruch gegeben. Umbrüche in Russland kamen immer von Gegeneliten.

Sprechen wir kurz über die russische Elite. Wie hart treffen die Sanktionen die Oligarchen?

Sofern sie nur im Rohstoffgeschäft tätig sind, treffen sie die Sanktionen noch nicht so hart. Wenn der Westen jetzt auch noch den Export von Rohstoffen sanktioniert, werden es aber auch sie deutlich zu spüren bekommen. Und da könnte bald Bewegung ins Spiel kommen. Nehmen wir das Beispiel Gazprom-Bank.

Erklären Sie!

Die Gazprom-Bank ist bis heute nicht sanktioniert, weil der Westen eine Zahlstelle braucht, über die das Gas-Geschäft mit Russland abgewickelt wird. Jetzt hat sich die Lage in den vergangenen Monaten aber deutlich geändert. Es gibt nämlich kaum mehr Gas-Geschäfte mit Russland. Es kommt fast nichts mehr in Europa an. Nord Stream 1 und 2 sind zu, die Jamal-Pipeline ist zu; es bleibt nur noch der Transit durch die Ukraine. Geht auch dieser zu, fällt das Gas-Geschäft mit Russland ganz weg und Europa kann die Gazprom-Bank sanktionieren. Dies würde auch die Rohstoff-Oligarchen empfindlich treffen.

«Die Oligarchen lebten bisher immer nach dem Motto: Ich verdiene zwar mein Geld in Russland, aber in dem Loch will ich nicht leben.»

Finden die Oligarchen nicht ohnehin einen Weg, die Sanktionen zu umgehen?

Nein, die bekommen das deutlich zu spüren. Sie können zum Beispiel nicht mehr reisen oder auf ihr Auslandsvermögen zugreifen. Die Oligarchen lebten bisher immer nach dem Motto: Ich verdiene zwar mein Geld in Russland, aber in dem Loch will ich nicht leben. Ich lebe lieber auf meiner Jacht an der Côte d'Azur, in London oder in Paris. Aber dieses Modell funktioniert nicht mehr. Jetzt sitzen sie im traurigen und isolierten Russland herum und ärgern sich, dass sie nicht mehr in New York Party machen können.

Wie lange machen die das noch mit?

Das weiss ich nicht. Im Gegensatz zum System Jelzin haben die Oligarchen unter Putin keine politische Macht mehr. Wenn sie frech werden, kann es durchaus vorkommen, dass Menschen aus dem Fenster fallen. Das wissen die Oligarchen natürlich auch. Sie werden sich deshalb zurückhalten mit Kritik. Aber angenommen, es bildet sich wirklich eine Gegenelite, die einen Umsturz plant, könnten sie diesen allenfalls finanzieren.

Welche Person könnte denn eine Gegenelite anführen?

Das könnte Jewgeni Prigoschin sein. Das ist der Mann, der die Wagner-Söldner kontrolliert.

Und Ramsan Kadyrow?

Das glaube ich eher nicht.

Weshalb?

Die Russen verstehen sich als weisses, orthodoxes Volk. Die werden nie akzeptieren, dass ein Tschetschene eine Rolle spielt in der russischen Politik. Der innerrussische Rassismus gegenüber den ethnischen Minderheiten ist sehr stark.

Wie realistisch ist eine Machtübernahme durch Jewgeni Prigoschin?

Prigoschin hat mit seinen Wagner-Söldnern das grösste Gewaltpotenzial. Das Problem ist aber: Seine Männer stehen am falschen Ort. Nämlich in der Ukraine, wo sie derzeit ziemlich dezimiert werden. Zudem sind die Wagner-Söldner stark abhängig vom russischen Militärgeheimdienst GRU. Sie bekommen von ihm Waffen und können auf dessen Basen trainieren. Angenommen, Prigoschin würde jetzt gegen Putin vorgehen, würde er diese Infrastruktur sofort verlieren. Und so viel Geld hat Prigoschin selber nicht. Daher glaube ich, dass Putin politisch noch ziemlich fest im Sattel sitzt.

Wagen Sie eine Prognose, wann es zu einem Umsturz kommen könnte?

Nein, das wäre unseriös. Was man aber prognostizieren kann, ist der Kriegsverlauf.

Na dann: Wir hören zu.

Die Ukrainer werden sicher eine Winteroffensive durchführen. Der Winter begünstigt Offensiven. Denn die Böden sind gefroren und die Bäume entlaubt.

Werden sie auf die Krim vorrücken?

Nein, das werden sie im Winter nicht tun. Viele spekulieren auch darauf, wann die Ukrainer bei Cherson auf das andere Ufer des Dnjepr übersetzen. Aber das müssen sie im Moment gar nicht. Ich vermute, sie werden ihre Winteroffensive in zwei anderen Bereichen durchführen.

Wo?

Der eine Raum ist bei Swatowe. Das ist momentan der Brennpunkt der Donbass-Front. Denn da führt die Autobahn P66 durch. Das ist eine entscheidende Versorgungslinie für die Russen. Wenn die Ukrainer diese Strasse kontrollieren, müssen sich die Russen an den Fluss Ajdar zurückziehen.

Und der andere Vorstoss?

Den werden die Ukrainer voraussichtlich im Raum Saporischschja in Richtung Melitopol vornehmen. Denn da ist die russische Front im Moment am dünnsten. Hier könnten die Ukrainer versuchen, bis zum Asowschen Meer vorzudringen. Dann hätten sie die russische Front gespalten. Das wäre ein grosser Erfolg.

Abschliessend noch eine Frage zu Gianni Infantino. Der FIFA-Präsident hat einen Waffenstillstand und Verhandlungen während der Weltmeisterschaft gefordert. Was halten Sie davon?Das ist eine Verhöhnung der Kriegsopfer. Ganz nach dem Motto: Macht mal kurz Pause, damit wir in Ruhe Fussball spielen können.

Was entgegnen Sie jenen, die jetzt Verhandlungen fordern?

Das ist das Falscheste, was man jetzt tun kann. Die ganzen Leute, die jetzt nach Waffenstillstand und Verhandlungen rufen, sind Putins nützliche Idioten. Damit gibt man Russland genau das, was es will. Nämlich eine Feuerpause. Diese würde es nutzen, um aufzurüsten und seine Stellungen zu konsolidieren. Nur, um nächstes Jahr wieder anzugreifen. Wir müssen uns eins klarmachen: Wir haben es hier mit einem aggressiven Imperium zu tun. Mit einem revisionistischen Staat, der glaubt, man könne wieder Grenzen mit Gewalt verschieben.

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Putins Ziele reichen weit über die Ukraine hinaus

 

 

Wladimir Putin: Russlands Machthaber will das Imperium in alter Größe sehen.
Wladimir Putin: Russlands Machthaber will das Imperium in alter Größe sehen. (Quelle: Mikhail Metzel/POOL/TASS)

Rückzug heißt es für die russische Armee in der Ukraine, Wladimir Putin wäre aber lieber weiter nach Westen gestürmt. Wie weit? Das verrät der Blick in ein neues Buch.

Wladimir Putin gilt als ausgeprägter Macho. Nun muss Russlands Machthaber damit leben, dass einer Frau das gelungen ist, wobei er versagt hat: Kaiserin Katharina die Große machte sich im 18. Jahrhundert die Südukraine untertan, fügte sie als Teil "Neurusslands" dem Russischen Imperium hinzu.

Der heutige starke Mann im Kreml musste hingegen am vergangenen 9. November eine Blamage hinnehmen: Seine Truppen räumten die besetzte ukrainische Stadt Cherson, nicht weit vom Schwarzen Meer entfernt. Doch die russischen Soldaten gingen nicht mit leeren Händen. Aus der St.-Katharinen-Kathedrale stahlen sie die Gebeine eines Toten, eines überaus berühmten: Fürst Grigori Potjomkin hatte einst in Diensten Katharinas die südliche Ukraine erobert; und nicht nur sie. 1783 gelang ihm die Annexion der Krim, die eigentlich als Vasallenstaat dem Osmanischen Reich untertan gewesen war.

Großer Landhunger

"Glaub mir, durch diese Tat wirst Du größeren Ruhm erringen als jeder andere russische Monarch zu irgendeiner Zeit", hatte Potjomkin der Kaiserin in Sachen Krim versprochen. "Ruhm" ist es nun auch, der Wladimir Putin bei seiner Aggression gegen die Ukraine antreibt, sein Machismo geht nicht so weit, als dass er Katharina die Große nicht als historisches Vorbild anerkennen würde.

Christian Grataloup: "Die Geschichte der Welt. Ein Atlas", München 2022
Christian Grataloup: "Die Geschichte der Welt. Ein Atlas", München 2022 (Quelle: Christian Grataloup: "Die Geschichte der Welt. Ein Atlas", München 2022)

Als nun am 24. Februar 2022 die russischen Truppen das Nachbarland Ukraine überfielen, stellte sich die westliche Politik eine grundsätzliche Frage: Was will Putin? Eine Antwort darauf liefern historische Karten, wie sie der französische Historiker Christian Grataloup kürzlich in seinem Buch "Die Geschichte der Welt. Ein Atlas" veröffentlicht hat. Aufschlussreich und schnell erschließbar schildert Grataloup darin die Entwicklung der Staaten und Gesellschaften in 515 Karten von den Vorfahren des Homo sapiens bis in die Gegenwart. Der Blick auf die Geschichte Russlands offenbart auch Putins Absichten.

Die Karten zeigen, wie ungeheuer das Territorium der Zaren im Laufe der Jahrhunderte gewachsen ist. Bereits im 16. Jahrhundert beherrschten sie von Moskau aus ein Reich, das im Norden den Arktischen Ozean erreichte und im Süden fast den Strom Dnepr (ukrainisch: Dnipro). Ein Jahrhundert später hatte Russland bereits den Ural überwunden und verleibte sich im endlos scheinenden Sibirien Landstrich für Landstrich ein, während die südöstliche Grenze bereits das Kaspische Meer erreichte.

Peter der Große und Katharina, der ebenfalls dieser Beinamen verliehen wurde, trieben Russlands Ausdehnung vehement voran. 1709 schlug Zar Peter die damals mächtigen Schweden beim heutigen ukrainischen Poltawa – und machte Russland spätestens damit in den Augen des Westens zu einer Macht, mit der zu rechnen war. 1772, 1793 und 1795 verleibte sich Katharina während der Polnischen Teilungen dann riesige Gebiete der geschwächten polnischen Adelsrepublik ein, die Russland zum Nachbarn Preußens machte.

"Natürliche Ordnung der Dinge"

"Ich sehe keine andere Möglichkeit, meine Grenzen zu verteidigen, als sie auszuweiten", rechtfertigte Katharina ihre aggressive Expansionspolitik, die auch in der Inbesitznahme der Südukraine samt Krim mündete. Ein Satz, der auch einem Wladimir Putin gefallen könnte. Denn der Machthaber im Kreml begründete seinen Krieg gegen die Ukraine, die in Russland zunächst nur als "militärische Spezialoperation" bezeichnet werden dufte, mit einer angeblich notwendigen "Entnazifizierung" der ukrainischen Regierung in Kiew – absurd, aber propagandaträchtig in den Staatsmedien Russlands.

Wie weit Putins Pläne wahrscheinlich reichen, offenbart eine andere Karte aus Christian Grataloups Atlas. 1945 siegte die Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland. Diktator Josef Stalin führte das Land zum Höhepunkt seiner Macht, indem er einen Eisernen Vorhang in Europa niedergehen ließ. Die Sowjetunion selbst reichte damals von Wladiwostok am Japanischen Meer bis hin zum Fluss Bug. Ihr Einflussbereich war noch größer – bis hin zum DDR-Todesstreifen an der deutsch-deutschen Grenze in Form der Satellitenstaaten des Warschauer Pakts.

Christian Grataloup: "Die Geschichte der Welt. Ein Atlas", München 2022
Christian Grataloup: "Die Geschichte der Welt. Ein Atlas", München 2022 (Quelle: Christian Grataloup: "Die Geschichte der Welt. Ein Atlas", München 2022)

"Das hält Putin für die natürliche Ordnung der Dinge", sagte der Historiker Jan C. Behrends t-online. "Alles, was davon abweicht, sieht er als historische Ungerechtigkeit, die es zu revidieren gilt." Putin selbst hatte die Auflösung der Sowjetunion einmal als die "größte geopolitische Katastrophe" des vergangenen Jahrhunderts beklagt. Aus der Supermacht, die schon lange nicht mehr super war, enstand eine Vielzahl von Nachfolgestaaten. Darunter die Russische Föderation.

Der Ukraine kam beim Ende der Sowjetunion Ende 1991 eine besondere Rolle zu: Am 24. August hatte die Ukraine ihre Unabhängigkeit erklärt, bei einem Referendum später im Jahr hießen mehr als 90 Prozent der Bevölkerung dies für richtig. Die Sowjetunion ohne die Ukraine? Das erschien damals als nicht möglich. Ihren Drang nach Unabhängigkeit wird Putin der Ukraine nie vergeben haben.

Aktualisierung notwendig?

Zumal sich das Nachbarland dem Westen und der Demokratie zuwandte, beides nach Putin nicht zu akzeptierende Vorgänge. 2014 schritt Moskau ein und annektierte die Krim. Jahrhunderte hatte die Halbinsel zu Russland gehört, 1954 "schenkte" sie Nikita Chruschtschow als ein Vorgänger Putins im Kreml dann der Ukraine. Das Warum weiß niemand so genau zu beantworten. Wahrscheinlich war es Chruschtschow einerlei. Denn die Ukraine gehörte damals zur Sowjetunion, deren Ende er sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vorstellen konnte.

Die Krim war Putin allerdings nicht genug – weswegen er 2022 zur Gewalt griff und die europäische Friedensordnung demolierte. Nun verläuft der Krieg aber alles andere als gut für Russland, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat gar die Rückeroberung der Halbinsel als Parole ausgegeben. "Von nun an und für alle Zeiten" sei die Krim russisch, hatte Katharina die Große einst verkündet. Dass dies allzu optimistisch war, bewies 1954 schon Chruschtschow. Möglicherweise wird auch Christian Grataloup seinen Atlas aktualisieren müssen, wenn das Kriegsglück den Ukrainern hold bleibt.

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Putin vor dem Sturz? „Im Umfeld gibt es Intrigen“

Putin vor dem Sturz? „Im Umfeld gibt es Intrigen“

Der Ukraine-Krieg setzt Putin massiv unter Druck. Offenbar denken Russlands Eliten darüber nach, den russischen Präsidenten abzulösen.

Moskau – Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs beeinflussen das Leben von kremlnahen Oligarchen in Russland dramatisch. Sie stehen auf den Sanktionslisten, dürfen teils nicht mehr in westliche Staaten einreisen, nicht wenige haben zudem viel Geld verloren. Wollen die Eliten dem Machtstreben von Kreml-Chef Wladimir Putin ein Ende setzen?

So zumindest sieht es der ukrainische Diplomat Wolodymyr Ohrysko, von 2007 bis 2009 Außenminister des Landes, das sich aktuell gegen die russische Aggression verteidigt. In einem am Dienstag (22. November) vom ukrainischen Nachrichtenportal The New Voice of Ukraine veröffentlichten Meinungsartikel schreibt Ohrysko, dass es in Russland geheime Gespräche gebe, die darauf abzielten, Putin als russischen Staatspräsidenten abzusetzen.

Russland: Ukraine-Krieg könnte das Ende von Putin sein

„Wenn die Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die ukrainischen Siege an der Front zusammenkommen, werden wir sehr ernste Nachrichten aus Moskau erhalten“, schreibt Ohrysko. Der frühere Außenminister erwarte dramatische Auswirkungen der Sanktionen bis zum Frühjahr 2023, die man in allen Lebensbereich in Russland zu spüren bekomme. „Und das werden die entscheidenden Monate sein, in denen sich alles an der Front entscheiden wird.“

Putin vor dem Sturz? „Im Umfeld gibt es Intrigen“

Putin vor dem Sturz? „Im Umfeld gibt es Intrigen“© Bereitgestellt von Merkur

Foto © Grigory Sysoyev / dpa

Für Putin könnten dann dramatische Zeiten einbrechen, prognostiziert Ohrysko. Zwar geht er nicht davon aus, dass es wegen des Ukraine-Kriegs großflächige Proteste von der Mehrheitsgesellschaft geben wird – vielmehr könnte der innerste Zirkel von Putin zu einem Problem für den Machthaber werden, so der Diplomat. „Innerhalb der russischen Eliten ist die Situation anders. In Putins Umfeld gibt es Intrigen“, urteilt der 66-Jährige.

Ohryskos Vorhersage stützt sich auf eine Beobachtung: Den schwerreichen Menschen in Russland sei Putin letztlich egal, Loyalität gegenüber dem Präsidenten nur Mittel zum Zweck. Wichtig sei ihnen lediglich, dass sie ihr Leben in Saus und Braus weiterführen könnten. „Denn dieser Entourage ist schon lange klar, dass die Lebensformel – in Russland rauben, im Westen Geld verprassen – schön ist.“ Zu schön also, um sich es von den „historischen Fantasien des Bunkergroßvaters“ kaputtmachen zu lassen.

Kommt Putin nach dem Ukraine-Krieg nach Den Haag?

Nach Ansicht des ukrainischen Politikers werde Putin das gleiche Schicksal wie Slobodan Milosevic ereilen. Der frühere Präsident Serbiens wurde im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg wegen Völkermordes angeklagt und nach Den Haag ausgeliefert. „Man wird ihn einfach zum Sündenbock machen, man wird ihm alle Sünden anhängen und sagen, dass er persönlich die Entscheidung über diesen Krieg getroffen hat“, so Ohrysko.

Erst kürzlich hatte der 66-Jährige dem Kreml-Chef eine düstere Zukunft vorausgesagt. „Die Trends für Putin sind sehr negativ. Wir können jetzt nicht vorhersagen, wann das Regime zusammenbrechen wird, aber es wird geschehen. Und es wird aufgrund vieler Umstände zusammenbrechen“, sagte Ohrysko vor zwei Wochen in einem Interview mit dem ukrainischen Radiosender NV. „Putin wird beseitigt werden.“

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Während Putin Milliarden für den Ukraine-Krieg ausgibt, berichten Russen von Frostopfern im eigenen Land

Der russische Präsident Wladimir Putin

Der russische Präsident Wladimir Putin© GAVRIIL GRIGOROV / Kontributor, Getty Images
Der russische Präsident Wladimir Putin

Die Russen sind verärgert, dass Präsident Wladimir Putin Milliarden für einen zunehmend unpopulären Krieg in der Ukraine ausgibt, während sie zu Hause frieren, berichtete das Nachrichtenportal "The Daily Beast" aus den USA am Donnerstag.

Besonders hart trifft es Menschen in vielen abgelegenen Regionen des Landes wie Tjumen in Westsibirien, Jakutien im Nordosten von Sibirien und Chakassien im südlichen Teil Sibiriens. Gerade dort gäbe es zahlreiche Frostopfer. Der Grund: Oft müssen sie mit fehlenden Heizungen und geplatzte Wasserleitungen in ihren Häusern leben, berichtete "The Daily Beast" und beruft sich dabei auf Beiträge in sozialen Medien. Zudem soll das Militär ausgerechnet in diesen Regionen viele gesunde, junge Männer an die Front schicken.

"Sie nehmen junge Männer - die einzigen Ernährer - weg und schicken sie in Särgen zurück. Die Jungs erfrieren an der Front, werden krank, sterben, während ihre Familien in Armut leben", erzählt etwa Valentina Melnikova, eine Aktivistin des Komitees der Soldatenmütter, dem Nachrichtenportal. Und fügt hinzu: "Es scheint, dass die Behörden an diesem Punkt kein Interesse mehr an Menschenleben haben".

Und Aktivistin Melnikova ist nicht die einzige, die sich über die Zustände in Russland beklagt.

Laut Forbes-Schätzung soll Russland der Ukraine-Krieg bisher 82 Milliarden US-Dollar gekostet haben

Es seien dunkle Zeiten, erzählt auch Nikolay Zolotov, ein russischer Blogger, der in einer Republik in Sibirien, lebt: "Hier in Chakasien ist unser Leben furchtbar hart." Geplatzte Rohre seien nicht das schlimmste Problem: Die Menschen lebten mit winzigen Gehältern in einer schlecht gewarteten Stadt, ohne Geld, um Lebensmittel zu kaufen – während unsere Regierung Milliarden für den Sondereinsatz in der Ukraine ausgibt", sagte er "The Daily Beast".

Tatsächlich soll der russische Präsident Wladimir Putin nach Schätzungen der ukrainischen Ausgabe des "Forbes"-Magazins bislang rund 82 Milliarden US-Dollar für den Krieg in der Ukraine ausgegeben haben. Das entspricht einem Viertel des russischen Jahreshaushalts.

Diese Schätzung umfasst unter anderem fast 29 Milliarden US-Dollar, die Moskau für die Unterstützung seiner Armee mit Waffen und Ausrüstung bereitgestellt hatte, 16 Milliarden US-Dollar für die Gehälter der Soldaten und mehr als neun Milliarden US-Dollar für die Entschädigung der Familien von im Kampf gefallenen Militärangehörigen. Und der Krieg dürfte für Putin nicht billiger werden, so "Forbes Ukraine". Das Magazin schätzt, dass er in Zukunft mindestens 10 Milliarden Dollar pro Monat kosten könnte.

Putin zählt Armut zu der größten Herausforderung im eigenen Land

Dabei kommen die Berichte in einer Zeit, in der Russland zahlreiche Rückschläge auf dem Schlachtfeld einstecken musste. Putin hatte deshalb schon begonnen, Länder wie Iran, Nordkorea und Syrien um Unterstützung zu bitten.

Zudem wuchs die öffentliche Kritik innerhalb der eigenen Bevölkerung, nachdem bekannt wurde, dass nun auch russische Soldaten mit geringer Ausbildung und schlechter Ausrüstung eingesetzt werden.

Hinzukommt: Schon bevor Russland am 24. Februar in die Ukraine einfiel, gab Putin zu, dass die Armut Russlands größte Herausforderung sei. Er bezeichnete sie 2019 als den "Hauptfeind" des Landes, wie "The Daily Beast" berichtete. "Unser Hauptziel ist es, die Lebensqualität unserer Bürger zu verbessern", sagte er damals.

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Putin bricht mit Tradition – Geheimdienst sieht „Besorgnis“ über Stimmung in Russland

Putin bricht mit Tradition – Geheimdienst sieht „Besorgnis“ über Stimmung in Russland

Putins jährliche Pressekonferenz hat Tradition. Doch inmitten des Ukraine-Kriegs verzichtet Russlands Präsident darauf. Geheimdienstler vermuten, dass er gewisse Befürchtungen hegt.

Moskau - Erstmals seit zehn Jahren lädt Russlands Präsident Wladimir Putin die internationalen Medien nicht zur traditionellen Jahrespressekonferenz. „Was die große Pressekonferenz angeht, nein, die wird es bis Neujahr nicht geben“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Einen Grund nannte er nicht. Peskow wies lediglich darauf hin, dass Putin auch bei anderen Gelegenheiten mit der Presse spreche, insbesondere bei seinen Auslandsreisen.

Beobachter sind überzeugt, dass Putin Fragen von internationalen Journalisten vermeiden will - angesichts des seit mehr als neun Monaten andauernden Ukraine-Kriegs, in dem die russische Armee viele Niederlagen einstecken muss.

Putin bricht mit Tradition – Geheimdienst sieht „Besorgnis“ über Stimmung in Russland

Putin bricht mit Tradition – Geheimdienst sieht „Besorgnis“ über Stimmung in Russland© Aleksey Nikolskyi/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

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Kreml prüft Journalisten-Fragen im Vorfeld - Dennoch steigt wohl die Angst

Der britische Geheimdienst schreibt außerdem in seinem jüngsten Lagebericht, dass Putin wohl auch Sorge vor Kritik aus Russland selbst hat: „Die Absage hat seinen Grund wahrscheinlich in der steigenden Besorgnis vor einem Überhandnehmen der Anti-Kriegs-Stimmung in Russland“, vermutet der britische Geheimdienst.

Zwar würden die Fragen der Journalisten höchstwahrscheinlich im Vorfeld vom Kreml geprüft und abgesegnet, so die britischen Geheimdienstler. Dennoch seien die Mitarbeiter des Kreml „extrem sensibilisiert“ für die Gefahr, dass Putin bei irgendeiner Veranstaltung anhand einer spontanen Diskussion zur „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine in die Mangel genommen werde.

Putins Pressekonferenz: Stundenlange Fragerunde mit Hunderten Journalisten fällt aus

Putin hatte sein großes Treffen mit der Presse seit 2001 Jahr für Jahr abgehalten - insgesamt 17 Mal. Einzige Unterbrechung war die Zeit zwischen 2008 und 2012, als Putin Ministerpräsident war und nicht Staatsoberhaupt. An der Pressekonferenz nehmen normalerweise Hunderte von russischen und ausländischen Journalisten teil. Putin beantwortet dort live Fragen zu unterschiedlichsten Themen - von der Außenpolitik bis zu Alltagsproblemen der Russen. 2021 dauerte sie über vier Stunden.

Dass Putin nun auf diese ausführliche Fragerunde verzichtet, könnte auch an der seit September in Russland geltenden Teilmobilmachung liegen, die im Land offenbar für massiven Unmut sorgt. Auch die scharfen westlichen Sanktionen gegen Russland, zu denen zuletzt ein Erdöl-Embargo seitens der EU kam, könnten eine Rolle spielen.

Putin sagt weitere Termine ab

Ausfallen soll in Russland heuer auch der traditionelle Neujahrsempfang im Kreml. Auch für Putins jährliche Rede vor den beiden Parlamentskammern gibt es weiter keinen Termin. Fraglich ist, ob es die nationale Fernsehsprechstunde „Direkter Draht“ geben wird, bei der Bürger normalerweise alljährlich persönlich Beschwerden bei Putin vorbringen können.

„Je mehr Kraft und Energie Putin für ,globale‘ Themen aufwendet, desto weniger will er für ,Kleinigkeiten‘ wie den Direkten Draht oder Pressekonferenzen verschwenden“, schreibt die Politologin Tatjana Stanowaja dazu auf Telegram. „Für das externe Publikum kann er auch so alles sagen, was er für nötig hält, da findet sich schon ein Anlass. Doch in der Kommunikation mit dem Publikum im Land sieht er keinen Sinn. Sollen das doch die Untergebenen tun...“.

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„Zwölfmal stärker als Hiroshima“: Russland bereitet Super-Atombombe vor

„Zwölfmal stärker als Hiroshima“: Russland bereitet Super-Atombombe vor

Moskau lässt die nuklearen Muskeln spielen und bestückt eine Interkontinentalrakete mit einem außergewöhnlich großen Atomsprengkopf.

Moskau - Den Streitkräften Russlands steht offenbar eine neue Atomwaffe zur Verfügung. Diese Nachricht verbreiteten russische Staatsmedien am Mittwoch (14. Dezember) und bezogen sich dabei auf Angaben des russischen Verteidigungsministeriums. Der neue Sprengkopf soll laut der russischen Boulevardzeitung Komsomolskaya Pravda auf einer Interkontinentalrakete des Typs RS-24 „Yars“ montierbar sein. Eine solche Rakete soll in einem Silo der Region Kaluga bereits vorbereitet worden sein.

Laut der genannten Zeitung besitzt die neue Atomwaffe Russlands eine Sprengkraft mit „zwölfmal größerer Kapazitat als die amerikanische Bombe, die Hiroshima zerstörte“. Die USA hatten die japanische Stadt im Zweiten Weltkrieg am 6. August 1945 mit einer Atomwaffe bombardiert.

Russland präsentiert „weitere Art von Atomraketen“

Die besagte Interkontinentalrakete Russlands mit dem neuen Atomsprengkopf besitzt laut Angaben des US-Portals Newsweek ein Startgewicht von 46.000 Kilogramm. Ihre Reichweite wird mit bis zu 12.000 Kilometern angegeben. Damit könne die Rakete Ziele in ganz Europa und den USA erreichen. Wie Recherchen der US-Nachrichtenseite Military Today ergeben haben, benötigen die russischen Streitkräfte nur sieben Minuten, um die Rakete für den Start vorzubereiten.

„Zwölfmal stärker als Hiroshima“: Russland bereitet Super-Atombombe vor

„Zwölfmal stärker als Hiroshima“: Russland bereitet Super-Atombombe vor© Bereitgestellt von FR

Foto © ALEXANDER NEMENOV/AFP

Die Meldung über eine neue Atomwaffe kommt kurz vor dem Jahrestag der strategischen Raketentruppen, der in Russland am 17. Dezember stattfinden wird. „Das Mutterland“ werde durch die neue Rakete „eine weitere Art der Atomraketen“ zur Verfügung haben, „die es uns ermöglichen wird, alle Herausforderungen auf strategischer Ebene zu lösen“, sagte Alexei Sokolov, Kommandant der Raketentruppen in der Region Kozelsky.

Atomwaffen im Ukraine-Krieg? Immer mehr Stimmen aus Russland sind dafür

Die Interkontinentalraketen des Typs „Yars“ wurden bereits im Oktober unter Beaufsichtigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin getestet. Die nun veröffentlichten Bilder aus einem Silo in Russland dürften als klare Warnung an den Westen verstanden werden. Zwar hatte Putin im Ukraine-Krieg einen Atomschlag als „politisch und militärisch nicht sinnvoll“ abgelehnt. Der Machthaber im Kreml warnte den Westen im Allgemeinen und die Nato im Speziellen aber auch davor, ihn zu provozieren.

Gleichzeitig gibt es immer mehr Stimmen, die aufgrund der hohen Verluste Russlands im Ukraine-Konflikt auch den Einsatz von unkonventionellen Atomwaffen als Möglichkeit einstufen. Alexander Chodakowski, von Russland eingesetzter Kommandeur der abtrünnigen Republik Donezk, sagte diese Woche gegenüber dem Staatsfernsehen, Atomwaffen seien die einzige Möglichkeit, wie Russland den Ukraine-Krieg noch gewinnen könne. Laut dem Kreml-nahen Militärexperten Yakov Kedmi erwäge mittlerweile auch Wladimir Putin selbst die Möglichkeit eines präventiven Atomschlags, sollten die Nato-Staaten ihre militärische Unterstützung der Ukraine ausweiten.

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Putins blutigste Niederlage

Krieg in der Ukraine

Putins blutigste Niederlage

Putins blutigste Niederlage

Putins blutigste Niederlage© T - Online

Im Kampf um die ukrainische Stadt Bachmut gibt es katastrophale Rückschläge für Russland. Wladimir Putin muss reagieren. Aber wie?

Es ist mal wieder Feiertag in Russland – in einer Zeit, in der es angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine eigentlich kaum etwas zu feiern gibt. Am "Tag der Sicherheitskräfte" huldigen die Russen der Arbeit der Spione und Geheimdienstmitarbeiter.

Dieses Jahr jedoch rückte Kremlchef Wladimir Putin in den Fokus der Aufmerksamkeit. Mit überraschend ehrlichen Worten wandte er sich in einer Videoansprache ans Volk. Putin sprach von einer "schwierigen Situation" für Sicherheitsdienste in den annektierten Gebieten in der Ukraine. Er rief seine Geheimdienste dazu auf, gegen Sabotageakte und feindliche Geheimdienste vorzugehen.

Das zeigt: Putin hat noch immer keine Strategie, wie Russland die annektierten Gebiete kontrollieren sollte, selbst wenn seine Soldaten diese militärisch halten könnten. Zum anderen wird klar: Der Druck aus dem Ausland auf ihn wächst, sein Rückhalt bei einstigen Verbündeten wie Belarus und China bröckelt. Beides dürfte absehbar Konsequenzen für den weiteren Verlauf des Krieges haben – und könnte für Putin eine blutige Niederlage bedeuten.

Der Kampf um die annektierten Gebiete im Osten der Ukraine hat sich zuletzt stark zugespitzt. Und obwohl die ukrainische Bevölkerung die russische Herrschaft dort ablehnt, hält der Kreml am ursprünglichen Kriegsziel fest: Die Regionen sollen komplett erobert werden, aus Sicht von Putin gehören sie zu Russland.

Putins blutigste Niederlage

Putins blutigste Niederlage© T - Online

Erfolge auf dieser Mission sind für Russland aber weiterhin nicht in Sicht, im Gegenteil. Der Kampf um die strategisch wichtige Stadt Bachmut im Osten der Ukraine steht exemplarisch für die russische Misere.

Monatelang ließ Putin immer mehr Soldaten in diesen Fleischwolf schicken – trotzdem gewannen zuletzt die ukrainischen Truppen dort die Oberhand. Putins Truppen geraten, so jedenfalls sieht es aus, in die Defensive.

Russische Misere im Kampf um Bachmut

Dafür spricht auch der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der unangekündigt am Dienstag bei den Truppen in Bachmut auftauchte. Beobachtern zufolge hätte er die Visite niemals gewagt, wenn die Ukraine den zeitnahen Verlust des wichtigen Verkehrsknotenpunkts befürchten würde.

Für die ukrainischen Verteidiger wird Bachmut zu einem wichtigen, symbolischen Erfolg. Die Stadt stand monatelang im Bombenhagel, die russische Armee schickte zahlreiche Angriffswellen, versuchte die Stadt einzukesseln, und selbst die berüchtigte russische Söldnertruppe "Wagner" soll in die Kämpfe involviert gewesen sein. Ohne Erfolg, wie es nun scheint.

Für beide Seiten war der Blutzoll bislang hoch. Moskau sandte seine Soldaten zum Sturmangriff, aber auch die Ukraine musste ständig Nachschub und Verstärkung nach Bachmut schicken. Zwar konnte die russische Armee im November einige Ortschaften in der Region erobern, aber sobald es tatsächlich in den Häuserkampf ging, übernahm die Ukraine offenbar wieder die Initiative. Unklar ist, wie viele Soldaten tatsächlich in Bachmut starben, aber es dürften Tausende sein.

Putins blutigste Niederlage

Putins blutigste Niederlage© T - Online

Aufgrund der hohen Verluste war es für beide Seiten schwer, sich zurückzuziehen. Auch die ukrainische Militärführung erwog, Bachmut aufzugeben. Aber es kam anders. Die Ukraine setzte ihre Gegenoffensive fort und rückt nun nördlich von Bachmut auf Kreminna vor. Wenn die ukrainische Armee diese Stadt zurückerobern kann, wird Bachmut strategisch als Verkehrsknotenpunkt aus militärischer Sicht wertlos.

Die Folge: Die russischen Truppen scheinen sich zurzeit östlich von Bachmut einzugraben, berichten unabhängige Kriegsbeobachter. Das heißt jedoch nicht, dass der Kreml den Kampf um Bachmut schon aufgegeben hat. Immerhin liegt die Stadt im Verwaltungsbezirk Donezk, jenem Gebiet, das Russland völkerrechtswidrig annektiert hat. Bislang kontrolliert es aber nur knapp 50 Prozent der Region. Weitere Offensiven sind demnach denkbar.

Fällt China Putin in den Rücken?

Dabei ist momentan völlig unklar, ob Russland in dem Abnutzungskrieg mit den aktuell verfügbaren Kräften und dem Material die Gebiete erobern kann, die Moskau für sich durch die Annexionen beansprucht. Die Liste der Niederlagen wird länger: Cherson musste bereits aufgegeben werden, die Ukraine greift die russische Infrastruktur in der Ukraine und in Russland an, und nun droht auch noch eine Misere in Bachmut.

Der russische Präsident braucht dringend symbolische Erfolge und muss aus militärischer Sicht dringend für Nachschub an Material und Soldaten sorgen. Laut Selenskyj seien bereits 100.000 russische Soldaten in dem Krieg gestorben. Selbst wenn die Zahl übertrieben ist, scheint eines klar zu sein: Der Einzug der 300.000 russischen Reservisten in diesem Jahr wird perspektivisch nicht ausreichen. Putin muss eigentlich handeln, wenn er seine Invasion weiterführen möchte.

Putins blutigste Niederlage

Putins blutigste Niederlage© T - Online

Die russische Kriegswirtschaft müsste dafür dringend schneller Waffen, Ausrüstung und Munition nachproduzieren. Besonders große Probleme hat Russland gerade dabei, Halbleiter und Mikrochips zu beschaffen. 40 Prozent der gelieferten Chips aus China sollen defekt sein, und Peking soll zuletzt den Export chinesischer Prozessoren ins Ausland blockiert haben. Russische Medien erwarten bereits, dass Xi Jinping Putin das Messer in den Rücken rammen wird.

Unklar ist, wie Moskau diese Probleme lösen will, zumal der Westen weiterhin die Ukraine mit Material versorgt. Russische Medien berichteten, dass Putin noch in dieser Woche eine große Ankündigung plane. In Moskau wird vermutet, dass der Kremlchef seine Wirtschaft mehr auf Kriegsproduktion umstellen könnte. Das ist aber bisher nur ein Gerücht.

USA drohen mit modernem Flugabwehrsystem

Im Notfall könnte Putin sogar versuchen, das Vasallenregime in Belarus mit in den Krieg zu ziehen. Der russische Staatschef besuchte am Montag seinen belarussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko in Minsk. Aber aus militärischer Perspektive scheint die Drohung eines Angriffs aus dem Norden eher ein Ablenkungsmanöver zu sein.

Putins blutigste Niederlage

Putins blutigste Niederlage© T - Online

Lukaschenko hat eine zu schwache Armee, um in der Ukraine etwas ausrichten zu können. Außerdem ist auch in Belarus der russische Ukraine-Krieg äußerst unbeliebt; Lukaschenko müsste im eigenen Land einen Bürgerkrieg oder einen Putsch fürchten, wenn er Putin in diese Invasion folgte. Deshalb hat Russland Belarus bisher nur als Aufmarschgebiet für die eigenen Truppen und als Basis für Raketenangriffe auf die Ukraine genutzt.

Demnach sind russische Angriffe aus Belarus und auch auf Moldau derzeit eher unwahrscheinlich. Die russische Armee verfügt gegenwärtig über zu wenig Kräfte für weitere Fronten und ist schon mit den Kämpfen im Osten der Ukraine stellenweise überfordert. Zumal Moskau zuletzt immer wieder klarmachte: Der Fokus der russischen Operationen liegt momentan auf dem Donbass.

Zuletzt verfolgte Putin den Plan, die ukrainische Bevölkerung mit Raketenterror gegen die zivile Infrastruktur zu zermürben. Auch dabei hat Russland die Widerstandsfähigkeit der Verteidiger unterschätzt, der Plan scheint nicht aufzugehen.

Im Angesicht der Raketenangriffe haben die USA außerdem eine rote Linie gezogen: Sollten diese Kriegsverbrechen weitergehen, erwägen sie die Lieferung des US-Flugwehrsystems Patriot. Die modernste westliche Flug- und Raketenabwehr würde das Ringen um die Lufthoheit in der Ukraine maßgeblich zugunsten der Ukrainer verschieben.

Es ist eine klare Drohung an Putin, dem mit den aktuellen russischen Kräften im Einsatz nun immer mehr die militärischen Optionen ausgehen.

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Analyse von Ulrich Reitz - Warum wir den Putin-Alarm von Moldau ernst nehmen müssen

Im Frühjahr schon werde Russland Moldau angreifen, warnt der dortige Geheimdienst. Und tatsächlich: Für einen unter Druck geratenen Wladimir Putin wäre das bitterarme Land ein fast perfektes Opfer. Eröffnet hier Russland seine zweite Front?

Plant Putin nach der Ukraine auch eine Invasion Moldaus? IMAGO/ITAR-TASS

Plant Putin nach der Ukraine auch eine Invasion Moldaus? IMAGO/ITAR-TASS© IMAGO/ITAR-TASS

Moldau ist: Nicht Mitglied in der Nato. Nicht Mitglied in der Europäischen Union. Ein gespaltenes Land, in dem russische Truppen und Paramilitärs stehen. Klein, arm, korrupt. Ein Auswanderungsland. Ein Staat ohne richtige Armee. Kurz: Moldau ist das nahezu perfekte Opfer.

Wenn der moldawische Geheimdienstchef Alexandru Musteata nun öffentlich warnt, eine russische Invasion sei nicht mehr eine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann, dann sagt der Mann, was die gesamte Regierung befürchtet: Wenn Wladimir Putin wegen der Erfolglosigkeit seiner Soldateska in der Ukraine einen Erfolg braucht, könnte er ihn sich in Moldau holen.

Moldau ist mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 4500 Euro eines der ärmsten Länder Europas, und die Entwicklung der letzten 20 Jahre hat es auch nicht reicher gemacht. Das Land, so groß wie Nordrhein-Westfalen ist bäuerlich geprägt, wer jung ist und etwas werden will, zieht weg. So haben es rund eine Million Moldauer schon gemacht.

Moldau hat so viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen wie kein Land sonst

Doch während in Nordrhein-Westfalen mehr als 17 Millionen Menschen leben, sind es in Moldau gerade einmal zweieinhalb Millionen. Und wer im wohlhabenden Deutschland über eine Inflation von zehn Prozent klagt, kennt die Verhältnisse im bitterarmen Moldau nicht – dort galoppiert die Geldentwertung mit mehr als 30 Prozent.

Ein Drittel der Erwerbsbevölkerung arbeitet im Ausland und die Familien in Moldau sind abhängig von dem Geld, was diese Menschen in ihre Heimat zurück überweisen. Kein Land in Europa, weder Deutschland noch Polen, hat so viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, wie dieses kleines Land, das an Rumänien grenzt und eine Grenze mit der Ukraine teilt. Knapp 400000 Flüchtlinge waren es insgesamt, im Land leben derzeit rund 90000 Ukrainer. Es wäre so, als ob Deutschland nicht eine Million Ukrainer aufgenommen hätte, sondern: 13 Millionen.

Moldau könnte sich kaum selbst verteidigen

Moldau könnte sich im Fall einer Invasion kaum selbst verteidigen – anders als die Ukraine es konnte. Die Ukraine kann weit mehr als 300000 Soldaten mobilisieren, das Land verfügt über die zweitstärkste Armee in Europa. Moldau hat: Ganze 5150 Soldaten.

Die Lage Moldaus ist unter dem Strich weitaus prekärer als die der Ukraine vor dem 24, Februar, dem Tag des russischen Angriffs auf sein angebliches „Brudervolk“. Deshalb sind die Aussagen der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock schon mutig:

„Die Zukunft der Republik Moldau liegt in Europa. Wir teilen die gleichen Werte und Hoffnungen. Und wir teilen das gleiche Schicksal.“ Angesichts der nunmehr jeden Tag hereinbrechenden Katastrophenmeldungen über den Zustand der Bundeswehr könnten Zyniker sogar sagen: Das könnte passieren. Aber im Ernst:

Weil Moldau nicht militärisch zu verteidigen ist, redet auch niemand von militärischer Hilfe für dieses Land. Deutschland hilft, Frankreich hilft, ebenso die EU-Kommission. Aber diese Hilfe ist zivil – bisher sind rund 1,5 Milliarden Euro nach Moldau geflossen. Was im deutschen Interesse liegt:

Im Interesse Berlins ist es, dass die ukrainischen Flüchtlinge, die in Moldau versorgt werden, dort auch bleiben. Im Interesse Berlins ist es, dass die moldauische Regierung die verbreitete Korruption bekämpft, was in jedem Papier der Bundesregierung steht, ob in der Lage-Einschätzung des Auswärtigen Amtes oder der ans Entwicklungshilfeministerium angebundenen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Im Interesse Berlins ist es, Moldau über die Europäische Union an den Westen zu binden – was angesichts der Zustände dort Jahrzehnte dauern könnte.

Putin führt längst einen Gaskrieg gegen Moldau

Im Krieg mit Russland befindet sich Moldau genau genommen schon seit einiger Zeit, es hängt von der Definition ab. Längst und auch schon vor dem Ukraine-Feldzug hat Putin einen Feldzug gegen die proeuropäische Regierung mit der Präsidentin Maia Sandu an der Spitze begonnen.

Moldau ist zu 80 Prozent auf das russische Gas angewiesen, und die Kraftwerke, die das Land versorgen, gehören Gazprom. Die Preise, die Moldau zahlen muss, sind in den letzten beiden Jahren um mindestens 30 Prozent gestiegen. Längst führt Putin, ein Experte in hybrider, also nicht-militärischer Kriegsführung, einen Gaskrieg gegen Moldau. Und der wirkt: Die Moldauer sind inzwischen gezwungen, 70 Prozent ihrer Einkünfte für die Russenenergie auszugeben. Und der Winter hat gerade erst begonnen.

Aber auch militärisch haben die Russen in Moldau einen Stiefel in der Tür. In Transnistrien, das im Norden Moldaus liegt und eine 220 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine teilt, stehen mehr als 1500 russische Soldaten, die meisten aus dessen 14. Garde-Regiment, aber damit nicht genug: Russland kann in Moldau zusätzlich zwischen zehn- und fünfzehntausend paramilitärische Truppen mobilisieren. Was bedeutet:

Das Militär im abtrünnigen Transnistrien ist stärker als die Armee im Mutterland Moldau selbst – eine prekäre Situation. Seit beinahe zehn Jahren schon wollen transnistrische Politiker „Heim ins Reich“ – und zwar ins Russische. Nach Erhebungen, die allerdings mit Vorsicht zu genießen sind, gibt es nicht einmal im moldauischen Teil der transnistrischen Bevölkerung eine Mehrheit für die „Wiedervereinigung“ mit Moldau. Das hat Gründe.

Man spricht russisch - in Transnistrien

Westliche Medien schreiben und senden, niemand auf der Welt habe Transnistrien völkerrechtlich als eigenen Staat anerkannt. Das stimmt – und ist doch nur die halbe Wahrheit über diesen Flecken Land, der anderthalbmal so große ist wie Luxemburg. Denn so, wie Moldau, angefangen bei der Landessprache, rumänisch beeinflusst ist, ist Transnistrien russisch geprägt. Was – ausnahmsweise – einmal nicht an Wladimir Putin liegt. Wenn es heißt, kein einziges Land habe Transnistriens Staatlichkeit anerkannt, dann zählt eben auch Russland dazu.

1792 kam die Region Transnistrien – hinter dem Fluss Dnistr gelegen – zum zaristischen Russland. Noch vor Bessarabien, dem heutigen Moldau. 150 Jahre später, im Sowjetimperium wurde unter Stalins Industrialisierungspolitik, in Transnistrien eine Schwerindustrie aufgebaut – die sich bis heute dort gehalten hat. Selbst das größte Kraftwerk, das Moldau mit Gas versorgt, steht in Transnistrien. Ein Drittel russisch, ein Drittel ukrainisch, ein Drittel moldauisch – so ist die Zusammensetzung der Bevölkerung dort. Man zahlt mit Rubel – und spricht russisch.

Zur Wahrheit, die in Deutschland, im Westen generell, niemand offen ausspricht: Nach Lage der Dinge wird Transnistrien kaum wieder moldauisch werden – in der von den Menschen gelebten Praxis war es das auch nie. Nicht einmal eine der Oppositionsparteien, die es in Transnistrien gibt, verlangt die Rückeingliederung des Landesteils zu Moldau.

Moldau wäre gar nicht in der Lage, einen militärischen Konflikt zu riskieren. Und der Westen hat ebenfalls kein Interesse daran. Es ist ein „eingefrorener Konflikt“ der besonderen Art, der nur aus der Geschichte und den Folgen erklärbar ist, die der Zusammenbruch des Sowjetreiches Anfang der neunziger Jahre hatte. In Moldau erblühte ein rumänischer, in Transnistrien ein russischer Nationalismus.

Manchmal wird man die Geister, die man einmal rief, eben nicht mehr los.

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Verbündete zunehmend von Moskau entsetzt - Kurz vor dem 100. Jahrestag entgleiten Putin die Sowjetstaaten

Für den Kremlchef hätte der 100. Jahrestag der Gründung der Sowjetunion pünktlich zum Jahreswechsel eine Art Wiedergeburt des Imperiums werden sollen. Doch mit dem Krieg gegen die Ukraine erreichte Putin das Gegenteil: Moskau verliert einst treue Vasallen.

Gruppenfoto vomVerteidigungsgipfel früherer Sowjetrepubliken in Armenien. Foto: IMAGO/Sipa USA

Gruppenfoto vomVerteidigungsgipfel früherer Sowjetrepubliken in Armenien. Foto: IMAGO/Sipa USA© Foto: IMAGO/Sipa USA

Kremlchef Wladimir Putin kämpft nach zahlreichen Niederlagen in seinem Krieg in der Ukraine auch um seinen Ruf als starker Anführer weit über Russland hinaus. Gern hätte der russische Präsident den Ultranationalisten, die von einer neuen Großmacht träumen, einen Sieg beschert - pünktlich zum Jahrestag des 30. Dezember 1922, als vor 100 Jahren die Sowjetunion als erstes kommunistisches Imperium gegründet wurde. Aber eine Rückkehr Kiews unter die Vorherrschaft Moskau ist nicht in Sicht. Stattdessen muss Putin zusehen, wie sich auch die letzten der einst insgesamt 15 Staaten der Sowjetunion von Russland abwenden – oder zumindest seine Rolle infrage stellen.

Zum 100. Jahrestag der Sowjetunion, sagt der Kreml: Es gibt nichts zu feiern

Der 70 Jahre alte Kriegsherr, der den Zerfall der Supermacht UdSSR vor gut 30 Jahren einmal als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnete, sieht sich im Kampf gegen den liberalen Westen – und beschuldigt diesen, auch durch die Unterstützung der Ukraine das heutige Russland zerschlagen zu wollen. „Im Verlauf von Jahrzehnten wurde in den westlichen Ländern stets die Idee von einem Zerfall der Sowjetunion, des historischen Russlands und Russlands als solches kultiviert„, sagte Putin im September vor Journalisten.

Zum 100. Jahrestag der Sowjetunion-Gründung, den die Kommunisten in Moskau groß begehen wollen, meinte Kremlsprecher Dmitri Peskow, dass es nichts zu feiern gebe - und Russland auch keine neue UdSSR anstrebe. „Das ist ein wichtiger Teil unserer Geschichte„, sagte er.

Kremlchef Putin indes sieht, dass sein Krieg nicht nur die Ukraine zerstört, sondern auch der russischen Wirtschaft zusetzt und den sozialen Frieden gefährdet. Zunehmend schaden die Niederlagen auch Moskaus Ruf als Ordnungsmacht und Stabilitätsgarant auf dem Gebiet der früheren Sowjetrepubliken in Zentralasien und im Südkaukasus.

Das Entsetzen über Putins Krieg ist bei vielen der Partner groß

Die Gefahr eines Zerfalls des Vielvölkerstaates Russland selbst gilt derzeit zwar als gering. Auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker pocht der Kreml stets anderswo, nicht aber im eigenen Land. Experten sehen in dem zutiefst autoritären System eines Überwachungsstaates kaum Chancen, dass sich Proteste ethnischer Minderheiten gegen den Krieg oder etwa antirussische Stimmungen in Teilrepubliken wie Tatarstan oder Dagestan zu Separatistenbewegungen ausweiten.

Doch in den Ex-Sowjetrepubliken, wo der russische Präsident lange als starker Anführer gefürchtet wurde, weht zunehmend ein kühlerer Wind. Der tadschikische Präsident Emomali Rachmon ging Putin im Oktober auf offener Bühne an, dass Moskau kleinere Länder wie schon zu sowjetischen Zeiten übergehe. Bei einem anderen Gipfel in Usbekistan ließen Staatenlenker Putin bei bilateralen Treffen warten - dabei kommt der Kremlchef als Machtdemonstration sonst selbst oft zu spät.

Das Entsetzen über Putins Krieg ist bei vielen der Partner groß – wo es doch insgesamt auf dem Gebiet der früheren Sowjetrepublik gleich mehrere ungelöste Konflikte gibt, die sich jederzeit zu Waffengängen auswachsen können. Lösungen bietet Moskau keine.

Auch im Streit zwischen Armenien und Aserbaidschan ist Putin nicht mehr der führende Ansprechpartner

Zwar sieht sich Putin etwa weiter als Vermittler zwischen den verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien. Doch auch nach der Entsendung von 2000 russischen “Friedenssoldaten“ kommt das zwischen beiden Ländern umkämpfte Gebiet Berg-Karabach nicht zur Ruhe. Armenien kritisierte fehlendes Engagement Russlands, das beide Kriegsparteien mit Waffen ausrüstet. Demonstrativ empfing Regierungschef Nikol Paschinjan in Eriwan sogar eine US-Delegation, die Armenien Hilfe anbot. Ein Affront für Russland, das stets Militärbasen der USA oder anderer Nato-Mitglieder in seinem Interessenbereich verhindern wollte.

Paschinjan fordert schon lange, dass die von Russland dominierte Organisation des Vertrags über die kollektive Sicherheit (OVKS) als postsowjetisches Militärbündnis auch Armenien mit Soldaten hilft. OVKS-Soldaten halfen in Kasachstan nach blutigen Unruhen Präsident Kassym-Schomart Tokajew zum Verbleib an der Macht. Aber das war im Januar - vor dem Beginn des Krieges, der Russlands Kräfte nun bindet.

Russischer Analyst: Der politische Einfluss Russlands wird überbewertet"

Kasachstans gerade im Amt bestätigter Staatschef Tokajew erweist sich heute zwar dankbar gegenüber Moskau. Aber zum Krieg in der Ukraine findet er distanzierende Worte. Der Einmarsch dort löste auch in Kasachstan Ängste aus, Russland könnte sich die Ex-Sowjetrepublik ganz oder in Teilen ebenfalls mit Gewalt zurückholen wollen. So gesehen dürften die militärischen Niederlagen Russlands in der Ukraine die Nachbarn eher beruhigen - schaden dem Image Moskaus aber zusätzlich.

Der Krieg in der Ukraine sei nur ein Beispiel dafür, wie Russland versuche, sein „Quasi-Imperium„ zu erhalten, sagt der russische Analyst Igor Grezki. “Der politische Einfluss Russlands wird aber überbewertet.“

Experten sehen keine Verbündete mehr für Russland - außer Belaris

Russland hat zwar neben der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), der OVKS auch noch die Eurasische Wirtschaftsunion als Einflussinstrument, die sich am Freitag zu einem Gipfel in Kirgistan traf. Putin will da immer wieder Akzente setzen. Bewegung gibt es aber kaum bei diesen Integrationsprojekten, die Teile der Sowjetunion auffangen sollten.

Experten sehen keine Verbündete mehr für Russland – mit Ausnahme von Belarus' Machthaber Alexander Lukaschenko, der Putin wirtschaftlich, finanziell und politisch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist.

Lukaschenko stellt russischen Truppen Militärstützpunkte für Angriffe auf die Ukraine zur Verfügung, wehrt sich aber gegen den Vorwurf, Kriegspartei zu sein. Er will vor allem verhindern, dass Russland Belarus einfach schluckt. Die Annexion ukrainischer Gebiete durch Russland habe bei vielen postsowjetischen Anführern Unbehagen ausgelöst und dem Zusammenhalt in der Region einen schweren Schlag versetzt, sagt der belarussische Politologe Waleri Karbalewitsch.

Putins alte Getreue orientieren sich nun in Richtung China

Zwar habe Russland auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Republiken weiter wirtschaftlich etwa mit günstigen Energiepreisen unterstützt, um die Beziehungen zu erhalten, meint Karbalewitsch. Allerdings seien viele nach Putins Äußerungen über einen “ungerechten“ Zerfall der Sowjetunion alarmiert. Er erwartet deshalb, dass Russlands Einfluss im postsowjetischen Raum weiter sinkt.

Der Gewinner könnte ausgerechnet der große Nachbar sein. Wie andere Experten sieht Karbalewitsch bereits deutliche Signale der zentralasiatischen Republiken, sich stärker nach China zu orientieren. Die Großmacht könnte die Rolle des Garanten für Sicherheit und territoriale Unversehrtheit in der Region übernehmen.