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Pharmastandort Deutschland

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Deutschland kurbelt Produktion von Corona-Medikamenten an

Mit der Zulassung von immer mehr Medikamenten für Covid-Patienten gibt es zusätzliche Mittel gegen die Pandemie. Davon profitiert auch der Pharmastandort Deutschland.

Bei Corona-Impfstoffen hat die deutsche Pharmaindustrie einen Coup gelandet. Der Erfolg des Mainzer Herstellers Biontech brachte der Branche internationales Renommee und milliardenschwere Geschäfte – mit der Aussicht auf erneut kräftig steigende Umsätze 2022.

Nun werden Corona-Medikamente für infizierte Patienten zur nächsten Chance. Zwar liegen im Fall der Therapeutika Konzerne aus der Schweiz, Großbritannien und den USA vorn. Doch bei Produktion und Verteilung spielen auch deutsche Standorte eine Rolle.

 

Paxlovid von Biontech und Pfizer

Der US-Konzern und Biontech-Partner Pfizer stellt sein Medikament Paxlovid gegen schwere Covid-Verläufe hauptsächlich in Freiburg her. Nach Erhalt und Genehmigung des Wirkstoffs startet der Prozess zum Mischen, Granulieren, Pressen und Beschichten der Tabletten, sagt eine Sprecherin. "Ein Team von Qualitätsexperten stellt sicher, dass die höchsten Standards eingehalten werden." Zudem werde in Freiburg, wo 1.700 Menschen für Pfizer arbeiten, mit der Verpackung begonnen.

Der Pharmariese geht davon aus, in diesem Jahr weltweit mindestens 120 Millionen Einheiten fertigzustellen – davon rund 30 Millionen in der ersten Jahreshälfte. "Wir sind dabei, zusätzliche Kapazitäten zu schaffen und die Produktion weiter hochzufahren", kündigte Pfizer an.

Die Bundesregierung hat bereits eine Million Packungen von Paxlovid bestellt. Mit ersten Lieferungen rechnet Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch im Januar. Das Mittel eigne sich insbesondere für die Behandlung ungeimpfter Risikopatienten, heißt es. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat schon eine Notfallzulassung für das Medikament ausgesprochen, in der EU läuft die Prüfung noch.

Roactemra von Roche

Eine weitere Arznei ist Roactemra vom Schweizer Konzern Roche. Sie wird gegen eine überschießende körpereigene Immunabwehr bei stark fortgeschrittenen Corona-Erkrankungen verabreicht. Das in der EU zugelassene Mittel wird unter anderem in Mannheim verpackt und abgefüllt. Dort und am bayerischen Standort Penzberg arbeiten mehr als 1.000 Beschäftigte in der Sterilabfüllung für den globalen Markt.

Gegen Corona-Erkrankungen im frühen Stadium lassen sich außerdem Antikörper einsetzen – dazu forschen auch Universitäten, zum Beispiel die Medizinische Hochschule Hannover. Roche bietet etwa das Präparat Ronapreve mit den Antikörpern Casirvimab und Imedvimab an. Diese werden in den USA produziert, im südbadischen Grenzach ist die Qualitätssicherung und Freigabe der Chargen für Europa angesiedelt.

Medikamente gegen Corona sind teurer als Impfungen

Medikamente gelten als Säule der Corona-Bekämpfung. Sie sind aber im Vergleich zu Impfungen teurer und in der Anwendung oft komplizierter. "Der große Gamechanger sind sicherlich die Impfstoffe, nicht die Therapeutika", sagt der Münchner Infektiologe Christoph Spinner.

Therapeutika seien jedoch eine wichtige Ergänzung für "Menschen, die beispielsweise wegen einer chronischen Erkrankung nicht geimpft werden und damit keinen vergleichbaren Immunschutz aufbauen können".

Fortecortin von Merck

Bei der Behandlung von Covid-Patienten kommt auch das Medikament Dexamethason zum Einsatz, das der Pharmakonzern Merck unter dem Namen Fortecortin vermarktet. Das patentfreie Mittel – schon seit langem in mehreren Anwendungsgebieten zugelassen – hilft bei der Sauerstoffgabe oder künstlichen Beatmung Corona-Kranker.

In Darmstadt stellt Merck aus dem aktiven Wirkstoff alle flüssigen, injizierbaren Formen her. Das Dax-Unternehmen habe Zulassungen bei Covid-19-Indikation unter anderem für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Tschechien, sagt ein Sprecher. "Weitere Aktivitäten für Nicht-EU-Länder laufen."

Auch deutsche Firmen forschen an Corona-Arzneien. Laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sind 37 Präparate in der Entwicklung. Zugelassen ist aber noch keines. "Die Produktion von Corona-Impfstoffen ist in Deutschland in kurzer Zeit gewachsen und hat die Bedeutung des Pharmastandorts gesteigert", so Rolf Hömke vom vfa.

Getrieben von der Impfstoffnachfrage soll der Umsatz der Branche Schätzungen zufolge dieses Jahr um 8 Prozent zulegen. Deutschland sei stark in komplexen Produktionsprozessen. "Bei Corona-Therapeutika ist die Chance ebenfalls da, dass die Produktion ausgeweitet wird."

In den USA gibt es für den Wirkstoff Molnupiravir des Unternehmens Merck & Co., das hierzulande als MSD auftritt und in Burgwedel bei Hannover auch einen Ebola-Impfstoff herstellt, eine Notfallzulassung. Bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA liegt ein Antrag vor.

Die Produktion ist in Amerika, in den Niederlanden wird die Substanz dann für den deutschen Markt konfektioniert. "Ende November hat die EMA eine wissenschaftlich begründete Empfehlung zur Nutzung von Molnupiravir in der Behandlung von Covid-19-Patienten ausgesprochen", sagt Klaus Schlüter, medizinischer Direktor bei MSD. "Auch wenn der offizielle Zulassungsprozess noch läuft, darf das Mittel nach Prüfung durch die jeweiligen Behörden in den EU-Staaten angewendet werden."

Mit dem Bundesgesundheitsministerium habe man für Dezember und Januar ein erstes Kontingent von 80.000 Einheiten vereinbart. "Die Ware wird über elf Anlaufstellen im Pharmagroßhandel vertrieben und kann von Apotheken für Patienten bestellt werden, wenn eine Indikation durch ärztliche Verschreibung vorliegt", so Schlüter. Es liefen Gespräche, um weitere Mengen auch für Deutschland zur Verfügung zu stellen.

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Pharma-Industrie: Trotz zweistelliger Milliardenumsätze: Unsicherheit bei Corona-Impfstoffherstellern wächst

Skeptische Äußerungen über den Nutzen weiterer Booster dämpfen die Stimmung bei den Corona-Impfstoffherstellern. Dennoch bieten sie für Investoren ein solides Langfrist-Geschäft.

Die drei führenden Hersteller von Covid-Impfstoffen steuern auch im laufenden Jahr auf Umsätze in zweistelliger Milliardenhöhe zu. Schon heute haben Pfizer/Biontech und Moderna Lieferaufträge im Volumen von zusammen rund 50 Milliarden Dollar für 2022 in den Büchern.

Dessen ungeachtet wächst die Unsicherheit, wie viel Potenzial das Covid-Impfstoffgeschäft längerfristig bieten wird. Die rapide Ausbreitung der Omikron-Variante und eher enttäuschende Analysen zur Wirkung von zusätzlichen Impfungen sorgen zusehends für Skepsis.

Die aktuell laufenden Booster-Impfungen und die mit eher milden Verläufen verbundene Omikron-Welle, so die Erwartungen, könnten für eine ausreichende Immunisierung der Bevölkerung sorgen und damit die Impfstoff-Nachfrage in den Folgejahren drastisch reduzieren.

Solche Einschätzungen lasteten zuletzt bereits spürbar auf den Börsenbewertungen der führenden Impfstoff-Firmen. Biontech und Moderna haben gegenüber ihren Höchstständen inzwischen rund zwei Drittel an Börsenwert verloren, Novavax sogar fast drei Viertel.

Mehrere Experten, darunter etwa auch der Leiter der EMA-Abteilung für biologische Gesundheitsbedrohungen und Impfstrategien, Marco Cavaleri, zeigten sich in jüngerer Zeit eher kritisch gegenüber der Idee, zügig weitere Booster-Impfungen zu verabreichen.

Die Virologie-Professorin Ulrike Protzer von der TU München und der Berliner Immunologe und Impfstoff-Forscher Erik Sander warnten zwar vor der Idee, eine Omikron-Infektion als Ersatz für eine dritte Impfung zu verstehen. Sie zeigten sich indessen auch zurückhaltend gegenüber einer zusätzlichen vierten Impfung. „Das ist jetzt nichts, was man der allgemeinen Bevölkerung empfehlen sollte. Ich glaube, mit drei Impfungen ist man super geschützt“, sagte Sanders.

Vierte Impfung?

Erste Analysen aus Israel kamen vor wenigen Tagen zum Ergebnis, dass eine vierte Impfung den Antikörperspiegel nochmals etwas erhöht. Aber letztlich reicht sie wohl nicht aus, um Omikron-Infektionen komplett abzuwehren.

Auch die Prognosen von Marktbeobachtern sind inzwischen vorsichtiger als noch vor einigen Monaten. Die britische Analyse-Firma Airfinity etwa hat am Wochenende ihre Umsatzprognose für die fünf westlichen Hersteller mit zugelassenen Covid-Vakzinen gegenüber den bisherigen sehr hohen Schätzungen um rund ein Viertel auf zusammen gut 80 Milliarden Dollar reduziert.

Das wäre immer noch ein enormes Umsatzvolumen im Vergleich zur Größe des Impfstoff-Marktes in der Zeit vor Corona und würde gegenüber 2021 noch einem Wachstum von mehr als 30 Prozent entsprechen. Zuvor hatte Airfinity den Impfstoff-Firmen, allen voran Biontech/Pfizer und Moderna, für 2022 allerdings noch Umsatzsteigerungen von mehr als 70 Prozent zugetraut.

Das britische Unternehmen begründet die Korrektur unter anderem damit, dass der milde Verlauf von Erkrankungen bei der Omikron-Variante letztlich zu einem geringeren Ordervolumen in den Industrieländern führen werde als bisher erwartet. Zudem seien die Preise in den Kontrakten mit einkommensschwachen Ländern reduziert.

Die bisherigen Prognosen der Unternehmen selbst und auch die Schätzungen der Bankanalysten sind noch deutlich vorsichtiger. Pfizer hat jüngst für den mit Biontech entwickelten Covid-Impfstoff Comirnaty eine Guidance von 31 Milliarden Dollar Umsatz für 2022 publiziert, gegenüber 36 Milliarden Euro im abgelaufenen Jahr. Biontech nannte eine Spanne von 13 bis 17 Milliarden Euro. Das könnte ebenfalls auf einen Rückgang von mehr als zehn Prozent gegenüber dem für 2021 angekündigten Umsatz von 16 bis 17 Milliarden Euro hinauslaufen.

Der Biontech-Umsatz ergibt sich dabei überwiegend aus Lieferungen an Pfizer und aus Gewinnanteilen aus der Partnerschaft. Moderna stellt für 2022 bisher 18,5 Milliarden Dollar Umsatz in Aussicht, ein Plus von fünf Prozent gegenüber dem vergangenen Jahr.

Weitere Gespräche mit Regierungen

Allerdings basieren die Aussagen der Firmen und die Analystenschätzungen im Wesentlichen nur auf den bereits fest vereinbarten Lieferverträgen. Potenzielle weitere Vertragsabschlüsse sind dabei nicht oder nur in geringem Umfange einkalkuliert.

Sowohl Pfizer-Chef Albert Bourla als auch Moderna-Chef Stephane Bancel verwiesen zuletzt auf zahlreiche weitere Gespräche mit Regierungen. Sollte eine spezielle, an Omikron angepasste Impfstoff-Variante nötig werden, rechne man zudem mit zusätzlicher Nachfrage, erklärte Bourla jüngst auf der Gesundheitskonferenz von JP Morgan.

Diese Entwicklung treiben Pfizer und Biontech jetzt voran. Am Dienstag kündigten sie den Start einer ersten klinischen Studie mit einem an Omikron angepassten Impfstoff an. An 1400 Erwachsenen werden verschiedene Dosen getestet: als Dreifachimpfung bei Ungeimpften, als Auffrischung bei doppelt geimpften Personen und als vierte Dosis für Menschen, deren Booster länger als drei Monate zurückliegt.

Kreis der Hersteller wird größer

Aber auch ohne neue Impfstoff-Varianten und zusätzliche Booster-Impfungen ist der globale Vakzin-Bedarf vorerst noch riesig. Weltweit wurden bislang etwa elf Milliarden Dosen produziert und 9,8 Milliarden Dosen ausgeliefert, davon gut sechs Milliarden Dosen von den westlichen Herstellern. Um die gesamte Weltbevölkerung mit drei Impfungen zu immunisieren, wären im Prinzip damit weitere elf bis zwölf Milliarden Dosen erforderlich.

Der Kreis der Impfstoff-Anbieter wird sich im laufenden Jahr erweitern, nachdem die US-Firma Novavax inzwischen Zulassungen von der EU-Kommission und der WHO erhalten hat. Darüber hinaus könnten – bei positivem Verlauf ihrer Studien und Zulassungsverfahren – unter Umständen auch der Pharmakonzern Sanofi und die ebenfalls in Frankreich beheimatete Biotechfirma Valneva in den Markt eintreten.

Andererseits dürften die chinesischen Anbieter Sinovac und Sinopharma angesichts der schwachen Wirksamkeit ihrer Impfstoffe international kaum noch eine Rolle spielen. Anders als die westlichen Hersteller konnten sie seit September außerhalb Chinas praktisch keine neuen Kontrakte mehr abschließen. Davon wiederum dürften am ehesten Pfizer/Biontech und Moderna profitieren.

Die beiden mRNA-Impfstoff-Anbieter verfügen nach Einschätzung von Experten bislang auch über den größten Spielraum in der Produktion, während der Newcomer Novavax vorerst eher Mühe haben dürfte, seine Lieferverpflichtungen von zwei Milliarden Dosen zu erfüllen.

Vier Milliarden Impfdosen

Pfizer und Biontech haben für 2022 eine Kapazität von rund vier Milliarden Dosen angekündigt. Sie könnten damit ihre Auslieferungen gegenüber den bisher fest kontrahierten Mengen theoretisch noch in etwa verdoppeln. Das wiederum würde auf Umsätze von mehr als 60 Milliarden Dollar im laufenden Jahr hinauslaufen. Moderna stellt eine Produktion von zwei bis drei Milliarden Dosen in Aussicht, was bei vollem Absatz einem Umsatz von deutlich mehr als 40 Milliarden Dollar entsprechen würde. Bei beiden Anbietern tendierten die durchschnittlichen Abgabepreise zuletzt nach oben.

Noch unsicherer als die Schätzungen für 2022 sind unterdessen die Prognosen zum Impfstoff-Bedarf über 2022 hinaus. So bewegt sich die Bandbreite der Analysten-Schätzungen für den Umsatz von Moderna im Jahr 2023 laut Bloomberg zuletzt zwischen 5,4 und 20 Milliarden Dollar.

Das Volumen des künftigen Covid-Impfstoff-Marktes wird im Wesentlichen davon abhängen, in welcher Frequenz und für welchen Personenkreis zusätzliche Impfungen empfohlen werden. Sollte es zum Beispiel auf jährliche Booster-Impfungen hinauslaufen, errechnet sich nach Schätzung von Bloomberg-Analyst Sam Fazeli für die wohlhabenden Industriestaaten ein Impfstoff-Bedarf von 300 Millionen bis eine Milliarde Dosen jährlich, je nachdem, ob Booster nur für ältere Personen ab 60 Jahren oder für alle Erwachsenen empfohlen werden. Bei einem unterstellten Preis von 30 Dollar je Dosis errechnet sich daraus ein Marktvolumen von immer noch ansehnlichen neun bis 30 Milliarden Dollar.

Auch die Unternehmen demonstrieren Zuversicht, dass es sich um ein langfristiges Geschäft handelt. Pfizer etwa verwies jüngst darauf, dass man für 2023 bereits Aufträge im Volumen von mehr als 500 Millionen Dosen vereinbart hat. Alleine das dürfte dem US-Konzern und seinem deutschen Partner Biontech Umsätze von mehr als acht Milliarden Dollar garantieren.

Und auch mit Blick darüber hinaus zeigt sich Pfizer-Chef Albert Bourla extrem zuversichtlich. Die wahrscheinlichste Erwartung sei es letztlich, dass Regierungen jährliche Impfungen für relativ breite Bevölkerungskreise empfehlen würden. „Comirnaty bietet daher für Pfizer das Potenzial, ein langfristig nachhaltiges Geschäft zu werden, ob in einem pandemischen oder in einem endemischen Umfeld.“

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Bosch will in Russland aktiv bleiben – und warnt vor deutschem Gasembargo

in Russlandgeschäft hat Bosch stark zurückgefahren. Ganz von dem Markt zurückziehen will sich der Technologiekonzern aber nicht. Der neue Chef sieht sich auch für die Mitarbeiter in Russland verantwortlich.

Der deutsche Technologiekonzern Bosch fertigt von der Waschmaschine über Gasbrennkessel bis zu Zündkerzen für Lkw alles Mögliche. Vielleicht fällt es dem Mischkonzern deshalb anders als anderen Unternehmen so schwer, komplett auf sein Russland-Geschäft zu verzichten.

»Es gibt noch für die Versorgung der normalen Bevölkerung relevante Aktivitäten, die nicht von den Sanktionen betroffen sind. Diese wollen wir nicht ohne Rechtsgrundlage einstellen«, sagte der neue Bosch-Chef Stefan Hartung in einem Interview mit dem »Handelsblatt«, das gelte etwa für Heizkessel.

Zugleich seien infolge der Sanktionen die Lieferungen nach Russland aber »in wesentlichen Teilen« zum Erliegen gekommen. »Ein Großteil unseres Geschäfts mit russischen Kunden und in Russland ist unterbrochen – das gilt auch für die lokale Produktion, weitere deutliche Einschränkungen sind zu erwarten.«

Die ukrainische Führung hatte zuletzt unter anderem Bosch beschuldigt, indirekt das russische Militär zu unterstützen – wichtige Komponenten in Fahrzeugen stamme von dem deutschen Konzern. Das Wirtschaftsministerium hatte angekündigt, mögliche Verstöße gegen Exportauflagen zu prüfen. Das Unternehmen wiederum wies die Vorwürfe zurück: Die genannte Komponente sei nicht von Bosch an den Hersteller geliefert worden, auch wenn es sich dabei um ein Teil aus der eigenen Produktion handle.

Lieferkette bei Stopp der Gaslieferungen bedroht

Hartung, zuvor lange Jahre Chef der wichtigen Autosparte in dem Stiftungskonzern, sagte in dem Interview nun zur Haltung seines Unternehmens gegenüber Russland: »Wir unterstützen die Sanktionen maximal, aber wir gehen keine Sonderwege.« Der Konzern habe auch eine fürsorgliche Pflicht für all seine Mitarbeiter – für rund 360 in der Ukraine, aber auch für die 3500 in Russland. »Wir kümmern uns so gut es geht um ihre Sicherheit und zahlen auch dort Gehälter, wo nicht mehr gearbeitet werden kann.«

Der Idee eines Gasembargos gegenüber Russland steht das mehr als 135 Jahre alte Unternehmen mit weltweit fast 400.000 Beschäftigten wie die Bundesregierung ebenfalls kritisch gegenüber. Hartung warnte: »Wenn Deutschland einseitig auf russische Gaslieferungen verzichtet, brechen nicht nur bei Bosch hochrelevante Elemente der Lieferkette weg.«

Hartung sagte dem »Handelsblatt«: »Ich bin daher entschieden dafür, vorerst nicht auf Gaslieferungen zu verzichten.« Bei einem Gaslieferstopp rechne das Unternehmen mit einem zügigen Stillstand der gesamten industriellen Produktion. Die Wirkung würde weit über die Unterbrechung durch Corona hinausgehen.

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Dermapharm füllt die Biontech-Lücke

Steril im Stahlkessel: Dermapharm-Produktion in Brehna, Sachsen-Anhalt

Steril im Stahlkessel: Dermapharm-Produktion in Brehna, Sachsen-Anhalt© Christian Günther

Patentfreie Markenarzneien, Nahrungsergänzungsmittel, Allergie- und Cannabispräparate, der Mückenstift Bite Away – all diese Produkte kommen aus dem Haus des Pharmaherstellers Dermapharm in Grünwald nahe München. Seit Anfang des Jahres gehört nun auch das französische Pharmaunternehmen Arkopharma zum Portfolio, ist die rund 450 Millionen teure Übernahme nunmehr abgeschlossen. Mit den Franzosen will Dermapharm vor allem im Ausland zusätzliches Wachstum erzielen, um die wegbrechenden Umsätze aus der Produktionspartnerschaft mit Biontech für das Corona-Vakzin zu kompensieren. Das zeigte sich auch am Dienstag mit Vorlage der vorläufigen Jahreszahlen.

„Wir haben diese Zeit aus wirtschaftlicher Sicht genutzt und wollten verhindern, dass wir in eine Wachstumsdelle laufen, wenn die Impfstoffproduktion für Biontech ausläuft. Mit der Akquisition von Arkopharma können wir sehr kurzfristig einen positiven Effekt erzielen“, sagte Hans-Georg Feldmeier im Gespräch mit der F.A.Z. mit Blick auf die Corona-Pandemie. Mit der Vertriebsmannschaft von Arkopharma im Rücken will Dermapharm nunmehr die Expansion vorantreiben. „Wir erschließen damit Märkte, in denen wir bislang nicht präsent sind. Dazu zählen Frankreich, Spanien, Italien und die Beneluxstaaten. Außerdem ist Arkopharma auch international stark, in Nord- und Südamerika, in der arabischen Welt sowie auch in südostasiatischen Ländern wie Indonesien und Vietnam. Wir sehen also keine Kannibalisierungseffekte“, sagte er. Dermapharm kommt nunmehr auf knapp 3500 Mitarbeiter und 15 Produktionsstandorte auf der Welt.

Starker Markteintritt in Südeuropa

Der Start hätte für Dermapharm in Frankreich und Spanien nach Aussage von Feldmeier nicht besser laufen können. „Wir sind beim Bite Away nach Markteinführung schon über dem Budget. Wir erreichen mit unserem Außendienst fast jede Apotheke in Frankreich“, schwärmte der Manager. Frankreich sei dabei ähnlich aufgestellt wie Deutschland, habe rund 22.000 Apotheken beziehungsweise apothekenähnliche Häuser, über die der eigene Vertrieb läuft. Diese Schlagkraft wolle man nun nutzen und weitere Produkte aus dem Dermapharm-Sortiment andocken. „Wir haben aktuell nahezu 20 Produkte in der detaillierten Marktpotential-Analyse. Das sind entweder Nahrungsergänzungsmittel oder kurzfristig frei verkäufliche Arzneimittel bis hin zu kosmetischen Produkten – alles aus dem vorhandenen Sortiment der Dermapharm“, sagte Feldmeier. Umgekehrt werde auch das Produktportfolio von Arkopharma, darunter viele Nahrungsergänzungsmittel, für die bisherigen Dermapharm-Märkte überprüft. In Europa fühle man sich nun sehr gut aufgestellt, in Amerika wolle man mit dem Mückenstift in den Markt eintreten.

Feldmeier hat sich für den Hunderte Millionen schweren Zukauf dabei klare Zielvorgaben gesteckt: Der Umsatz der Franzosen von zuletzt mehr als 200 Millionen Euro soll nachhaltig wachsen, die operative Marge (Ebitda) soll von rund 20 Prozent auf 30 Prozent gesteigert werden – innerhalb von drei Jahren. In diesem Jahr soll die Rendite von Arkopharma 23 Prozent erreichen, kündigte er an.

Erfahrung mit Übernahmen hat Dermapharm in den vergangenen Jahren viel gesammelt. Vom Darmstädter Dax-Konzern Merck übernahm Dermapharm 2020 das Allergiegeschäft Allergopharma und sanierte es innerhalb von wenigen Monaten, was auch mit einem Personalabbau einherging. Anfang 2022 schloss man den Zukauf der C⊃3;-Gruppe ab, einem Hersteller für Cannabinoide. Anfang dieses Jahres folgte schließlich die Arkopharma-Akquisition, die für Wachstum sorgen soll.

Dass die Einnahmen aus der Kooperation mit Biontech zunehmend wegbrechen, zeigt sich in den vorläufigen Zahlen für das vergangene Geschäftsjahr. Der Umsatz stieg um rund 9 Prozent auf gut eine Milliarde Euro. Unter anderem profitierte Dermapharm von einer hohen Nachfrage nach Produkten zur Immunstärkung. Dennoch fielen das Wachstum und das bereinigte Betriebsergebnis etwas schlechter aus als zuletzt vom Vorstand prognostiziert.

„Die Impfstoffproduktion war so verrückt wie nichts anderes“

Schon Anfang Januar hatte das Management die Erwartungen etwas gedämpft und das mit einer zuletzt schwächeren Entwicklung der Erlöse aus der Impfstoffproduktion begründet. Der operative Gewinn (Ebitda) stieg im vergangenen Jahr um 2,5 Prozent auf 360 Millionen Euro. In diesem Jahr soll der Umsatz zwar auf eine Spanne von 1,080 bis 1,110 Milliarden Euro zulegen. Der operative Gewinn wird hingegen spürbar auf 300 bis 310 Millionen Euro zurückgehen. An der Börse kamen die Zahlen zunächst nicht gut an. Später erholte sich das im S-Dax notierte Papier aber, wobei die Aktie in einem Jahr ohnehin rund 35 Prozent an Wert eingebüßt hat.

Im vergangenen Jahr entfielen nach Analystenschätzungen zwischen 180 und 200 Millionen Euro an Umsatz auf die Biontech-Kooperation. Dermapharm hat für die Mainzer das Abfüllen und Verpacken übernommen und damals innerhalb kurzer Zeit Maschinen umgestellt und nachgerüstet. „Die Impfstoffproduktion war so verrückt wie nichts anderes“, resümiert Feldmeier die vergangenen Jahre. Derzeit sei man mit Biontech im Gespräch, um einen Teil der Kapazitäten für die sogenannte Pandemiereserve bereitzustellen.

Dass Dermapharm damals so schnell für Biontech produzieren konnte, liegt nach Ansicht Feldmeiers auch in der eigenen hohen Wertschöpfungstiefe begründet. Die sieht er grundsätzlich als Vorteil. „Die Positionierung unseres Unternehmens ist einmalig und zukunftsweisend, weil zunehmend verstanden wird, dass die pharmazeutische Industrie signifikanter Bestandteil der kritischen Infrastruktur ist. Die Versorgung aus Europa heraus stellt deshalb einen besonderen Wert dar“, ist er überzeugt. „Damit haben wir bessere Voraussetzungen als unsere Wettbewerber“, sagte Feldmeier.