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News zur Bundesregierung

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Klima-Maut und CO2-Abgabe: Widerstand gegen die LKW-Mautpläne: „Die Bundesregierung zockt den Straßengüterverkehr ordentlich ab“

Künftig finanziert der Lkw „etwa 80 Prozent aller Verkehrsinvestitionen des Bundes“, heißt es in einer Studie. Foto: imago images/Thomas Eisenhuthdata-portal-copyright=

Künftig finanziert der Lkw „etwa 80 Prozent aller Verkehrsinvestitionen des Bundes“, heißt es in einer Studie. Foto: imago images/Thomas Eisenhuthdata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt

Transporteure sollen künftig eine Klima-Maut und eine CO2-Abgabe bezahlen. Damit wird der LKW bald 80 Prozent der Verkehrsinvestitionen finanzieren.

Die Transportbranche mobilisiert gegen die Pläne der Bundesregierung, den Güterverkehr auf der Straße deutlich zu verteuern. „Wir erwarten, dass sich die Regierung an den Koalitionsvertrag hält und die Transportbranche vor finanziellen Doppelbelastungen schützt“, forderte Frank Huster, Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) .

Dirk Engelhardt, Vorstandsprecher des Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, erklärte: „Hier geht es nicht nur um die Glaubwürdigkeit der Politik, sondern zugleich um die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen.“

SPD, FDP und Grüne wollen ab Dezember einen neuen CO2-Aufschlag auf die Lkw-Maut erheben, mit dem sich die Mautkosten je gefahrenen Kilometer mit mehr als 30 Cent nahezu verdoppeln.

Ab Januar soll zudem die CO2-Abgabe auf fossile Energien weiter steigen, womit sie bei Diesel dann bei rund elf Cent je Liter liegen wird. Im Koalitionsvertrag hatten die Parteien zugesagt, den CO2-Zuschlag auf die Lkw-Maut einzuführen, „unter der Bedingung, eine Doppelbelastung durch den CO2-Preis auszuschließen“.

Der Entwurf des neuen Lkw-Maut-Gesetzes sieht aber keinen Ausgleich vor. Vielmehr sollen ab Dezember Lastwagen und ab Juli 2024 auch Kleinlaster ab 3,5 Tonnen voll mautpflichtig sein. Der Staat will so rund 15 Milliarden Euro im Jahr einnehmen, doppelt so viel wie bisher. Das Transportgewerbe rechnet mit einem Inflationseffekt von 0,4 Prozentpunkten.

Ministerium will „unverhältnismäßige“ Anlastung vermeiden

Das Bundesverkehrsministerium wollte sich zu der Doppelbelastung nicht äußern. Eine Sprecherin erklärte, es komme darauf an, „eine insgesamt unverhältnismäßige Anlastung von CO2-Kosten zu vermeiden“.

Die Branche hält es für unverhältnismäßig, doppelt zur Kasse gebeten zu werden – zumal der CO2-Preis an der Zapfsäule weiter steigen soll: auf mehr als 14 Cent je Liter Diesel 2025 und auf mehr als 17 Cent 2026. Ab 2027 soll ein Zertifikatehandel das starre System ablösen und Benzin und Diesel weiter verteuern.

Hauptgeschäftsführer Huster forderte, der CO2-Preis auf Kraftstoffe müsse „auf dem Niveau von 2022 eingefroren werden“. Vorstand Engelhardt sagte: „Den CO2-Preis zahlen ausschließlich diejenigen, die in Deutschland tanken, also hauptsächlich deutsche Unternehmen.“ Sein Verband schlägt vor, den Aufschlag von circa elf Cent je Liter Diesel ab Januar den Transportunternehmen zu erstatten.

In einer Verbände-Allianz fordern sie zudem mit fünf weiteren Verbänden, mit Biokraftstoffen betriebene Lastwagen steuerlich zu entlasten. Dies sei für die Transporteure die einzige Möglichkeit, die drohenden Mehrkosten mit klimafreundlichen Lkw zu vermeiden. Die Gesetzespläne sehen vor, dass einzig batterie- oder wasserstoffbetriebene Schwerlaster bis Ende 2025 von der Lkw-Maut befreit sind – allerdings gibt es so gut wie keine Fahrzeuge auf dem Markt.

Angesichts dessen hatte die Branche bereits angeregt, die Maut erst ab 2025 und dann stufenweise einzuführen. Bis dahin wollen die Truckbauer vermehrt klimaneutrale Lastwagen auf den Markt bringen.

Mit den Gesetzesplänen wird laut Mautbetreiber Toll Collect hingegen für 90 Prozent aller Lastwagen die doppelt so hohe Maut fällig. Nur zehn Prozent könnten einen Abschlag beantragen, für den sie aber Emissionsdaten nachweisen müssen, die oftmals nicht einmal beim Hersteller vorliegen. Dies berichten Brancheninsider.

„Es ist offensichtlich, dass es zu diesem frühen Zeitpunkt bei der CO2-basierten Lkw-Maut allein um staatliche Einnahmen geht und nicht um Klimaschutz“, kritisierte DSLV-Hauptgeschäftsführer Huster. „Die Bundesregierung zockt den Straßengüterverkehr ordentlich ab.“

IW-Studie spricht von „Kostenschock“ für das Transportgewerbe

Eine Kurzstudie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) spricht von einem „Kostenschock“ für die Spediteure. Durch den „Mangel an Alternativen“ gebe es einen „sehr geringen“ Effekt fürs Klima. Den Spediteuren bleibe nur, „die Kosten an die Kunden weiterzugeben“, was gerade kleinen Unternehmen schwerfallen werde. Die Studie mit dem Titel: „Der Lkw bezahlt bald für alle“ liegt dem Handelsblatt vor.

Die IW-Studie bestärkt auch die Kritik der Branche. So sollen in Zukunft der Großteil der zusätzlichen Einnahmen aus der Klima-Maut ins Schienennetz fließen. Bislang galt die Regel: Straße finanziert Straße.

Künftig finanziert der Lkw „etwa 80 Prozent aller Verkehrsinvestitionen des Bundes“, heißt es in der Studie. Mit dem geplanten Mautgesetz entstehe „der Eindruck, dass der Bund nur dringend einen Co-Finanzier für die Bahn gesucht und gefunden hat“, resümiert IW-Forscher Thomas Puls.

Puls sieht dies angesichts des Zustands der Fernstraßen und Brücken kritisch. Laut IW deckten bis 2016 die Mauteinnahmen die Ausgaben in die Fernstraßen nur zu 80 Prozent. Daher sei zu wenig investiert, „um den Substanzerhalt zu sichern. Viele der heutigen Probleme mit der Verkehrsinfrastruktur haben in dieser Zeit ihren Ursprung.“

2019 entschloss sich der Bund, die Maut auch auf Bundesstraßen zu erheben und für Lastwagen ab 7,5 Tonnen Gewicht. So entsprachen die Einnahmen wieder 96 Prozent der Ausgaben.

Ab 2024 darf sich nun die Eisenbahn über Extra-Milliarden freuen. Die Spediteure würden „die mit Abstand größten Finanziers der Fernverkehrswege, heißt es in der IW-Studie. „Die CO2-Maut ist für die Bahn, was einst die Einführung der Sektsteuer zur Finanzierung der Kriegsflotte unter Kaiser Wilhelm war“, kritisierte Markus Olligschläger, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik.

Zunächst aber wird sich im Dezember Minister Volker Wissing (FDP) über die ersten Einnahmen freuen sein: Da das Gesetz erst noch beschlossen werden muss, das Geld somit im Etat für das laufende Jahr nicht eingeplant ist, kann er es anderweitig nutzen: um die Rechnung aus der verpatzten Einführung der Pkw-Maut zu begleichen. Ein Schiedsgericht hatte den Betreiberfirmen kürzlich Schadensersatz in Höhe von fast einer viertel Milliarde Euro zugesprochen.

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Neue Pfandregeln bald verpflichtend: Auch hier müssen Kunden künftig draufzahlen

Neue Pfandregeln bald verpflichtend: Auch hier müssen Kunden künftig draufzahlen

Neue Pfandregeln bald verpflichtend: Auch hier müssen Kunden künftig draufzahlen© Getty Images

Beim Pfand gelten in Deutschland künftig neue Regeln. Wo Kunden bald mehr zahlen, lesen Sie hier.

Wer im Supermarkt Getränke kauft, zahlt seit Anfang 2022 bei allen Einweg-Getränkeflaschen aus Kunststoff verpflichtend das Pfand mit. Das selbe gilt seit 2022 auch ausnahmslos für alle Getränkedosen. Dies betrifft bisher unter anderem Mineralwasser, Erfrischungsgetränke, Bier und alkoholhaltige Mischgetränke.

Nach einer Übergangsfrist kommen bis 2024 nun auch alle Plastikflaschen mit Milchgetränken dazu, wie die Bundesregierung informiert. Das betrifft unter anderem beliebte Produkte von Herstellern wie Müllermilch, aber wohl auch Kaffee-Mischgetränke wie etwa von Nescafé.

Wein, Schnaps, Saft: Hier gilt die Pfandpflicht bisher noch nicht

Auf Wein und Spirituosen gilt bislang keine Pfandpflicht.

Auf Wein und Spirituosen gilt bislang keine Pfandpflicht.© Getty Images

Kein Pfand zahlen Kunden weiterhin für Einweg-Pfandflaschen für beispielsweise Wein, Milch, Spirituosen oder Frucht- und Gemüsesäfte. Bei Nischenprodukten wie Apfelwein, Cider oder Energy-Drinks gilt die Einweg-Pfandpflicht ebenfalls nicht.

Für Hersteller außerdem wichtig: PET-Einweg-Getränkeflaschen müssen ab 2025 mindestens 25 Prozent Recycling-Plastik enthalten. Ab 2030 wird dieser Wert sogar auf mindestens 30 Prozent erhöht. Der Durchschnittswert der PET-Mehrweg-Flaschen beläuft sich bereits seit 2015 auf circa 26 Prozent.

So ein Irrsinn!

Da wird für Müll nutzlos Pfand bezahlt. So entzieht man dem Wirtschaftskreislauf nur unnötig Kaufkraft. Typische Grünen Ideologie, nur dass dabei die SPD und noch schlimmer die FDP mitmachen, verwundert sehr!

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Analyse von Ulrich Reitz - Deutschland schmiert ab – und wir führen linksgrüne Luxusdebatten

Das Kabinett von Kanzler Scholz im Bundestag. IMAGO/Achille Abboud

Das Kabinett von Kanzler Scholz im Bundestag. IMAGO/Achille Abboud© IMAGO/Achille Abboud

Deutschland schmiert ab. Und die Ampel führt Orchideendebatten. Haben wir noch einen Wirtschaftsminister, fragt Markus Söder. Allerdings – und der traktiert die Unternehmen mit noch mehr Klimaschutz. Es sieht nicht gut aus.

Deutschland, eine Momentaufnahme, leider eine des Niedergangs: Der Internationale Währungsfonds setzt das Land beim Wirtschaftswachstum auf den letzten Platz. Global. Eine Zahl ist besonders irritierend: Die russische Wirtschaft wächst, aller Sanktionen zum Trotz – um 1,5 Prozent. Sechs mal so stark wie derzeit die deutsche, die in der Rezession steckt. Der viel beachtete, weil seriöse Ifo-Geschäftsklima-Indes steht, wo er zuletzt 2009 stand, bei 87,3 Punkten; das war mitten in der Bankenkrise.

In den Großstädten steigen die Mieten immer weiter an – derzeit um rund sieben Prozent. Die Zahl der Asylbewerber stieg im Juni von 84.583 auf 162.271 Menschen – ein Plus von 77 Prozent. Und dann noch eine Zahl, die einen ratlos hinterlässt.

Das Europäische Statistikamt hat ermittelt, dass mehr als eine halbe Million junger Menschen (zwischen 15 und 24 Jahren) sogenannte Neets sind: not in education, employment or training. Sie tun nichts. Sie hängen rum. Sie chillen.

Eltern kennen das Phänomen der Orientierungslosigkeit ihrer Kinder nach dem Abitur – der Post-Abi-Blues. Was fange ich nur mit meinem Leben an? 567.777 – das ist die exakte Zahl. Wie passt der Fachkräftemangel dazu?

Luxusdebatten - weit weg von der Lebenswirklichkeit der Menschen

Und die Bundesregierung, was tut sie? Ein Bürgerrat wurde eingesetzt, der Staatsbürger soll die richtige Ernährung herausfinden. Als ob es dafür ein neues Gremium, eine Art Ersatzparlament sogar, benötigen würde. Was können die Bürger, was die Parlamentarier nicht fertigbringen? Oder die Regierung, das Ernährungsministerium des Grünen Cem Özdemir?

Die Antidiskriminierungsbeauftragte wirft ins politische Spiel, die Diskriminierung zum Alltagsphänomen zu machen, künftig soll die Behauptung reichen, man werde benachteiligt, um benachteiligt zu sein. Diesen gedanklichen Ansatz gibt es auch beim viel diskutierten Selbstbestimmungsgesetz. Wer behauptet, eine Frau zu sein, soll tatsächlich eine sein, einem Penis zum Trotz.

Und die Union trägt das ihrige dazu bei – mit einer weltfremden Diskussion darüber, wie man auf lokaler Ebene mit den Leuten von der AfD umgehen sollte.

Es gibt ein verbindendes Element der gesellschaftspolitischen Berliner Diskussionen: Es handelt sich um Luxusdebatten. Weit weg von der Lebenswirklichkeit der Menschen. Was wirklich relevant wäre, kommt nicht mehr vor. Den interessanten Vorschlag des CDU-Spitzenpolitikers Thorsten Frei etwa, das individuelle Grundrecht auf Asyl der Realität anzupassen, hat die Ampel als irrelevant abgetan.

Das Migrationsthema belegt auf der Sorgenskala das Bürger stets einen der drei vorderen Plätze

Dazu machte eine Forsa-Umfrage die Runde, die der „Stern“ in Auftrag geben hatte. Ergebnis: keine Mehrheit in Sicht dafür, nicht einmal in der Union. Sehr viele Medien berichteten darüber, nur wenige allerdings über die dem Ergebnis zugrundeliegende Fragestellung. Sie lautet: „Fänden Sie es richtig, wenn in Zukunft nicht mehr jeder einzelne politisch Verfolgte Asyl in der Europäischen Union beantragen darf, oder sollte dieses Recht beibehalten werden?"

Zum Thema gibt es allerdings eine andere Umfrage, gemacht vom Forsa-Konkurrenten Civey – mit 5000 Befragten. Ergebnis: große Mehrheit dafür. Auftraggeber hier: die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Fragestellung der Erhebung, die FOCUS online vorliegt, lautet: „Wie bewerten Sie den Vorschlag von Thorsten Frei (CDU), das individuelle Grundrecht auf Asyl durch eine jährliche Obergrenze von Schutzbedürftigen zu ersetzen, die auf EU-Mitgliedstaaten verteilt werden?“

Die Forsa-Umfrage fragt nur nach dem Asylgrundrecht, das Frei aber gar nicht ersatzlos streichen will, wie die Fragestellung nahelegt. Die von Civey lässt die Befragten über die Alternative zum bestehenden Asylrecht befinden, und bildet in der Fragestellung den Vorschlag des CDU-Manns exakt ab. Danach finden 59,1 Prozent der Bürger Freis Idee gut oder sehr gut, 33,4 Prozent beurteilen ihn als „eher negativ“ oder negativ.

Das Migrationsthema belegt auf der Sorgenskala das Bürger stets einen der drei vorderen Plätze – was gemessen an den explodierenden Asyl-Zahlen, den heillos überlasteten Städten und den permanenten Meldungen über Messeranschläge nur folgerichtig ist. Nach durchschlagenden Konzepten der Bundesregierung gegen die Misere muss man lange suchen. An grundlegenden Asylrechts-Änderungen sind SPD und Grüne nicht interessiert. Die Forsa-Umfrage bestätigt ihr Desinteresse.

„Hat Deutschland eigentlich noch einen Wirtschaftsminister?“

Am Mittwoch meldete sich in Sorge um Deutschlands ökonomischen Abstieg der Investor und Unternehmer Carsten Maschmeyer zu Wort: „Die Politik muss endlich anfangen, sich auf die Kernprobleme unseres Landes zu fokussieren, statt sich mit Orchideenthemen aufzuhalten.“ Die Empfehlung Maschmeyers, der einem breiteren Publikum durch etliche TV-Auftritte bekannt ist: Innovationskraft fördern, Energiepreise runter, Bürokratie abbauen.

Dazu „passt“ die Nachricht, dass Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck deutsche Exporte nur noch staatlich absichern will, wenn sie klimatauglich sind. Für das Klimaziel erlaubt Habeck sogar, dass 70 Prozent der Wertschöpfung im Ausland stattfinden darf. Das Vorhaben wird sicher nicht zu weniger Bürokratie führen. Ohnehin hat man schon beim Heiz-Gesetz erlebt, dass Habeck sich eher als Klima- denn als Wirtschaftsminister versteht.

„Hat Deutschland eigentlich noch einen Wirtschaftsminister?“ Fragt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder – und fordert ein Konjunktur-Sofortprogramm: niedrige Energiesteuern, Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel runter auf Null und die Abschaffung der Erbschaftsteuer auf das Elternhaus.

Wohnungen sind nun mal keine Phrasen

Dazu ein Aperçu: Als dieses Thema im Deutschen Bundestag aufkam, vor etwas mehr als einem Jahr, machte die Linkspartei den Vorschlag, die Steuern auf Lebensmittel auf Null zu senken. Und ein paar Wochen davor war die AfD mit der Idee auf dem Markt. In der Debatte lehnte die CSU das ab.

Wie eine Antwort auf die steigenden Mieten in den Großstädten wirken Fotos, die Söder von sich und seinem Bauminister Christian Bernreiter postete: Spatentisch für 550 bezahlbare Wohnungen mit drei Kindertagesstätten für 260 Millionen in München. Ein eigenes bayerische Wohnungsbau-Konjunkturprogramm.

Plumper Populismus, den man dem CSU-Chef aus Berlin quasi automatisch unterstellt? Sicher, in Bayern wird gewählt, schon bald, am 8. Oktober. Aber Wohnungen sind nun mal keine Phrasen.

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Kolumne von Susanne Nickel - Habeck hat's vermasselt - wie man Bürger wirklich von der grünen Wende überzeugt

Beim Gebäudeenergiegesetz ist es Robert Habeck gelungen, wesentliche Erfolgsfaktoren zu missachten und dabei in fünf große Change-Fallen zu tappen, schreibt Susanne Nickel. imago/Susanne Nickel

Beim Gebäudeenergiegesetz ist es Robert Habeck gelungen, wesentliche Erfolgsfaktoren zu missachten und dabei in fünf große Change-Fallen zu tappen, schreibt Susanne Nickel. imago/Susanne Nickel© imago/Susanne Nickel

Robert Habeck hat mit seinem vermasselten Gebäudeenergiegesetzt bei der Bevölkerung einen Change-Overkill ausgelöst. Seine strategischen Fehler werden für immer ein Beispiel dafür bleiben, wie man Menschen bei der grünen Transformation nicht mitnimmt. Lernen wir daraus!

Wochenlang hat die Ampel über die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes gestritten. Bis zum Nothalt durch das Bundesverfassungsgericht. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck scheiterte in mehreren Akten, weil er offenbar nicht verstanden hat, wie man Menschen für Neues gewinnt.

Habecks strategische Fehler als Chef werden für immer ein Beispiel dafür bleiben, wie man Menschen bei der grünen Transformation nicht mitnimmt.

Lassen Sie uns einmal Habecks Vorgehen mit der Brille eines Change-Profis analysieren. Bei der Digitalisierung gibt es z.B. genauso viel Widerstand im Unternehmen wie gegen Habecks Schnüffeln in unserem Heizungskeller. Mir scheint, dass der grüne Minister die Kopfstandmethode missverstanden hat. (Für alle nicht so Change-Versierten: Dabei handelt es sich um eine Umkehr-Technik, mit der man gedanklich - also nur gedanklich - etwas Neues gegen die Wand fährt, indem man genau das Falsche tut, um herauszufinden, was unbedingt zu vermeiden ist).

Es ist es Robert Habeck nämlich gelungen, wesentliche Erfolgsfaktoren zu missachten und dabei in fünf große Change-Fallen zu tappen.

Change-Falle 1: Keine überzeugende Dringlichkeit

Habecks Heizungspläne wurden bekannt, als die Gaskrise in den Augen der Bevölkerung abgewendet schien und diverse Preisbremsen griffen. Das Horrorszenario „kalte Heizung im Winter“ konnte Habeck im Frühjahr nicht mehr für sich nutzen. Warum sollte man sich gerade jetzt für die Pläne des Bundeswirtschaftsministers öffnen?

Zu diesem Zeitpunkt lag schlichtweg keine Dringlichkeit mehr vor. Menschen bewegen sich aus ihrer Komfortzone heraus, wenn sie diesen sog. „Sense of Urgency“ spüren. Ein Dringlichkeitsbewusstsein kann beispielsweise durch ein positives, emotionalisierendes Zukunftsbild entstehen. Es kann für die erlebte Dringlichkeit aber auch notwendig sein, den Status Quo als kritisch darzustellen, wie bei einem von mir beratenen Unternehmen. Die bedrohlich schrumpfende Wirtschaftsleistung einer ganzen Produktlinie inklusive der negativen Konsequenzen wurden klar für die Belegschaft offengelegt. Hier bedarf es einiges an Fingerspitzengefühl, denn auch zu viel Druck führt schnell in die Change-Sackgasse.

Habeck wollte das Gesetz noch vor der Sommerpause durchpeitschen und scherte sich nicht um die berechtigte Forderung nach inhaltlicher Substanz, sondern drückte ungeduldig aufs Gas, bzw. auf die Pumpe. Doch er bremste damit die Veränderungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger aus, die immerhin Investitionskosten für eine Wärmepumpe in der zwei bis dreifachen Höhe im Vergleich zu der eines Gaskessels ausgeben sollten. Das Stoppschild für das Heizungsgesetz wurde dann vom Bundesverfassungsgericht aufgestellt.

Change-Falle 2: Der Versuch rein rational zu überzeugen

Um einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten, drohten Umrüstungskosten der Heizung von bis zu 35.000 Euro für ein Einfamilienhaus. Das ist selbst für hartgesottene Klimaschützer viel Geld in einer Zeit, in der die Inflation drückt und die Welt aus den Fugen geraten ist.

Emotional konnte Habeck nicht mehr überzeugen, sondern nur noch rational. Eine Transformation ist nur mit dem Engagement der Betroffenen umsetzbar und dafür brauchen wir neben gefühlter Dringlichkeit und rationalem Verständnis einen emotionalen Schub.

In Unternehmen denken Führungskräfte oft, dass die rein rationale Argumentation bei einem Change ausreicht. Weit gefehlt. Immer wieder höre ich: Wir sind doch logisch denkende Menschen, das müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter doch begreifen! Nein, tun sie eben nicht. Ein CEO hat dies erkannt und sagte mir kürzlich: Frau Nickel, wir brauchen Emotional Leadership, Führungskräfte die rational und emotional überzeugen und die es schaffen, gelingende Beziehungen aufzubauen.

Change-Falle 3: Keine starke Führungskoalition

Veränderungen gelingen, wenn Führungskräfte kooperieren und glaubwürdig das tun, was sie von anderen fordern. Solchen Identifikationspersonen sind Menschen bereit zu folgen und anstrengende Zeiten zu ertragen.

Ein von mir beratenes Führungsteam hat es wie folgt benannt: „Wir Führungskräfte ziehen alle an einem Strang und handeln als Vorbilder.“ Persönlich fokussierter Lobbyismus – für die Kernklientel der Grünen – wirkt unlauter und eher wie eine abschreckende Allianz auf die Betroffenen.

Zwar enthielt Habecks Gesetz bereits im ersten bekannt gewordenen Entwurf Übergangsfristen und Ausnahmen, doch die erklärte der grüne Minister nicht ausreichend. Was kommunikativ hängen blieb, waren teure Umrüstungen der Heizung, gerne als „Habecks Heizhammer“ betitelt. Womit wir zur vierten Change-Falle kommen.

Change-Falle 4: Unklare Vision und Kommunikation

Es fehlte die transparente, klare und einfache Kommunikation von Anfang an. Das hat schon manchem Unternehmen ein Bein bei Veränderungen gestellt. Hier gilt es eine verständliche Sprache für die Empfänger der Botschaft zu benutzen. Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Unternehmen und Chefs, die Change-Management verstehen, entwickeln zuerst eine Vision, ein emotionales Zielbild, welches sie dann mit der begleitenden Strategie klar und einfach erläutern.

Habeck hatte bereits bei der Gasumlage im vergangenen Jahr handwerkliche Fehler einräumen müssen und war in Folge dessen vom Liebling der Regierung zum stürzenden Star geworden, was den Change gelinde gesagt, eher behindert hat. Wir kommen damit zum nächsten, leider sehr mächtigen Change Killer.

Change-Falle 5: Widerstand auf- statt abzubauen

Offensichtlich ist es dem Minister gelungen, dass die Bevölkerung stetig einen größeren Widerstand gegen ihn entwickelt hat. Wir unterscheiden bei Change-Prozessen vereinfacht gesagt drei Formen des Widerstands, die sich in simplen Aussagen von Betroffenen zeigen.

In der ersten Form lautet der Satz „Ich kann nicht“. Diese hat Habeck erfolgreich aufgebaut, indem er etwas vorgeschlagen hat, was finanziell viele Menschen bedroht und für sie nicht machbar ist - sie sich also schlichtweg die Kosten nicht leisten können.

Bei der nächsten Form des Widerstands, geht es um „Ich will nicht“. Das „Nicht-Wollen“ zeigt sich bei Widerständigen, wenn ihnen etwas zu aufwendig ist und viel Mühe kostet oder zu unsicher ist und somit Ängste aufwirft. Es ist dem Minister nicht gelungen, Menschen aus ihrer Gewohnheitszone zu bewegen. Durch sein Hin und Her sowie seine unklaren und inkonsistenten Botschaften hat er dann auch noch seine Glaubwürdigkeit verloren und schließlich sein Vertrauensguthaben aufgebraucht. Somit hat der Minister auch die dritte und stärkste Form des Widerstands provoziert: „Ich will dich nicht“.

 

Habeck hat bei der Bevölkerung einen Change-Overkill ausgelöst

Gratulation, Herr Habeck, Sie haben wirklich nichts ausgelassen und gleich alle drei Formen des Widerstands erfolgreich aufgebaut. Absolut verständlich, dass hier ein Change-Overkill bei der Bevölkerung entstanden ist. Wir müssen uns immer wieder klar machen, dass Menschen sich ungern verändern. Ein starkes Managementteam ist in der Lage, Widerstände zu antizipieren, um ihnen im Ernstfall gut zu begegnen. Und stets gilt: Kommunikation, Kommunikation. Kommunikation. Leider gelingt genau das mangels Führungsqualitäten häufig nicht.

Habecks Leistungsbilanz: Bürgerinnen und Bürger verprellt. Wirtschaft verprellt. Stammwählerinnen und -wähler verprellt.

Mein Rat an den Minister für eine gelungene Transformation und gegen Change-Fatigue: Nehmen Sie sich ein Beispiel an Unternehmensprozessen. Weniger Ideologie, mehr Pragmatismus und Überzeugungskraft sind gefragt: Change Business ist nun mal People Business. Die hohe Kunst besteht darin, Menschen mitzunehmen und für das Ziel zu gewinnen. Sonst entsteht wenig Umsetzungsbereitschaft und dafür umso mehr Widerstand.

Ich möchte mit einem kleinen Trost-Pflaster für unseren grünen Minister enden: Viele Studien belegen, dass nahezu 70 Prozent aller Change-Projekte scheitern, also willkommen im Club, Herr Habeck. Nur Mut. Organisationen, Führungskräfte und auch Politiker dürfen lebenslang lernen. Denn: Nach dem Change ist vor dem Change und der nächste Wandel kommt bestimmt!

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„Ein Teil der Bundesregierung hat auf Autopilot geschaltet“

Er traue der Ampel-Koalition einiges zu, sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger – trotzdem fordert er ein „Update“ für den Koalitionsvertrag. Deutschland müsse wettbewerbsfähiger, schneller und digitaler werden.

Vergleicht die deutsche Wirtschaft mit einer Szene aus „Gullivers Reisen“ dpa/Sven Hoppe

Vergleicht die deutsche Wirtschaft mit einer Szene aus „Gullivers Reisen“ dpa/Sven Hoppe© Bereitgestellt von WELT

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat den Kurs der Ampel-Koalition kritisiert und ein Umsteuern gefordert. Dulger sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Ein Teil der Bundesregierung hat auf Autopilot geschaltet und arbeitet stur den Koalitionsvertrag ab – als hätten sich die Zeiten nicht geändert. Der Koalitionsvertrag braucht dringend ein Update. Wir müssen Deutschland neu aufstellen, wir müssen wettbewerbsfähiger, einfacher, schneller, digitaler und auch wieder hungriger werden.“

Konjunkturaussichten für die deutsche Wirtschaft haben sich eingetrübt. Das Bruttoinlandsprodukt stagnierte im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt mitgeteilt hatte.

Dulger als Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sagte weiter: „Ich sage aber auch: Ich traue der Ampel noch einiges zu. Warten wir ab, was nach der Sommerpause noch auf den Tisch gelegt wird. Es gibt in einigen Teilen der Koalition die Erkenntnis, dass der Standort gelitten hat, dass wir in den Standort investieren müssen. Es geht jetzt darum, die strategische Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland wieder in den Mittelpunkt des politischen Denkens und Handelns zu stellen.“ Einzelne Maßnahmen würden nicht reichen.

„Ich hatte als Kind ein schönes Märchen-Buch, in dem Gulliver mit vielen dünnen Fäden am Boden festgebunden ist“, so Dulger. „So können Sie sich die Wirtschaft dieses Landes vorstellen: ein starker, aber mit vielen bürokratischen Hemmnissen gefesselter Riese. Für sich genommen hat jeder Faden keine große Auswirkung – insgesamt sind sie lähmend. Erst wenn wir von diesen Fäden 40, 50 und mehr gelöst haben, kann Gulliver wieder aufstehen und seine volle Kraft entfalten.“

Dulger sagte, bei der Gasknappheit 2022 habe die Ampel vergleichsweise schnell reagiert. „Die Konzertierte Aktion, der enge Dialog mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften, der Bau der Flüssiggasterminals – das war lösungsorientiert. Diesen Spirit wünsche ich mir zurück.“ Von dem neuen „Deutschlandtempo“, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) es genannt habe, sei 2023 nicht mehr viel zu sehen. „Jetzt geht es oft nur um Partikularinteressen. Oder einfacher: Es wird zu viel gestritten.“

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Merz sieht «schleichenden Prozess der Deindustrialisierung»

«Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit»: Friedrich Merz. Foto: Michael Kappeler/dpa

«Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit»: Friedrich Merz. Foto: Michael Kappeler/dpa© Bereitgestellt von News in Five

Berlin (dpa) – Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat vor der Gefahr eines wirtschaftlichen Abstiegs gewarnt und von der Bundesregierung ein Gegensteuern der verlangt.

Mitten im Sommer stiegen die Arbeitslosenzahlen, und trotz des Fachkräftemangels habe die Zahl der Insolvenzen im ersten Halbjahr 2023 um 16 Prozent über dem Vorjahr gelegen, sagte Merz der Deutschen Presse-Agentur. Zudem sei die Industrieproduktion rückläufig. «Das muss uns als ein Land mit hohem Industrieanteil zutiefst besorgen.»

«Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit», warnte der Oppositionsführer im Bundestag. «Das ist kein abrupter Prozess, der eine Wirtschaftskrise über Nacht auslöst. Wir erleben stattdessen einen schleichenden Prozess der Deindustrialisierung unseres Landes.»

Man müsse sich fragen, ob der Arbeitsmarkt bei 769.000 offenen Stellen und 2,55 Millionen Arbeitslosen eigentlich noch richtig funktioniere, sagte Merz. «Oder richten wir uns darauf ein, dass wir den Arbeitskräftebedarf nur noch mit immer höherer Einwanderung decken?» Wenn dem so sei, müsse sich die Bundesregierung fragen lassen, warum sie es nicht schaffe, dass wenigstens diejenigen aus dem Ausland kommen könnten, die schon vor Wochen oder Monaten entsprechende Anträge gestellt haben. An den Vertretungen Deutschlands im Ausland blieben Anträge in fünfstelliger Zahl unbearbeitet liegen.»

Kritik an Fokussierung auf Zuwanderung von Fachkräften

Der designierte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bemängelte, die Bundesregierung setze bei ihrer Antwort auf den Fachkräftemangel zu sehr auf Zuwanderung aus dem Ausland. «Die Bundesregierung macht den Fehler, sich vor allem auf die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften zu fokussieren», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. «Das Potenzial ist aber gering: Pro Jahr wandern ungefähr 40.000 bis 60.000 Menschen aus Drittstaaten in den Arbeitsmarkt ein, das löst unsere Probleme nicht. Die Regierung ignoriert sträflich das Potenzial im Inland.»

Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger reagierte mit Unverständnis auf die Kritik. «Dass eine CDU-geführte Bundesregierung jahrelang mehr Fachkräftezuwanderung verhindert und damit den heutigen Fachkräftemangel mitverursacht hat, ist die eine Sache», sagte die FDP-Politikerin der dpa in Berlin. «Dass sie daraus aber nichts gelernt hat, ist haarsträubend und wohlstandsgefährdend.» Selbstverständlich müsse das inländische Potenzial ausgeschöpft werden, was die Bundesregierung etwa mit der Exzellenzinitiative Berufliche Bildung angehe. «Aber natürlich wird es angesichts einer alternden Gesellschaft nicht ohne mehr Fachkräftezuwanderung gehen. Wer das infrage stellt, denkt nicht zuerst an Wachstum und Wohlstand.»

Diskussion um haushaltspolitische Antwort

Unterdessen ging auch die Diskussion um die richtige haushaltspolitische Antwort auf die wirtschaftliche Flaute weiter. DGB-Chefin-Chefin Yasmin Fahimi kritisierte den Sparkurs der Bundesregierung. «Jetzt entscheidet sich, ob Deutschland auch in Zukunft noch eine starke Industrie mit guten Jobs haben wird und ob Transformation auch sozialen Fortschritt bringt», sagte sie der «Bild am Sonntag». «Jedes globale Unternehmen würde in so einer Situation so viel wie möglich in kluge Zukunftsinvestitionen stecken. Die Bundesregierung hingegen verschleppt Investitionen und schaut auf den Staatshaushalt wie auf Omas Keksdose: Ich nehme nur das raus, was ich vorher reingetan habe.» Das sei Gift für die Konjunktur.

Fahimi ist Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Früher war sie SPD-Generalsekretärin und dann auch Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium.

Die FDP erteilte Forderungen aus den Reihen der Grünen nach einer «Investitionsoffensive» zur Ankurbelung der Wirtschaft eine Absage. «Statt am laufenden Band Milliarden für Subventionsprogramme zu fordern, die am Kern des Problems völlig vorbeizielen, sollte der Wirtschaftsminister endlich konstruktiv tätig werden und einen Offensivplan für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit vorlegen», sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der dpa.

Das Bruttoinlandsprodukt stagnierte im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitgeteilt hatte. Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch hatte Investitionen in «Zukunftstechnologien» gefordert. Die geplante Klimaschutz-Investitionsprämie von Finanzminister Christian Lindner (FDP) gehe in die richtige Richtung, sei aber leider zum «Miniatur-Modell» geraten. Er plädierte auch für den von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagenen vergünstigten Industriestrompreis.

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Scholz‘ Mindeststeuer-Irrtum

Als Jahrhundertreform wurde sie gelobt, nun ist von der geplanten globalen Mindeststeuer, die Bundeskanzler Scholz mit vorangetrieben hat, nicht mehr viel übrig. Experten erwarten ohnehin kaum Einnahmen für Deutschland.

Das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) maßgeblich vorangetriebene Prestige-Projekt globale Mindeststeuer steht vor dem Aus pa/Flashpic/Jens Krick

Das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) maßgeblich vorangetriebene Prestige-Projekt globale Mindeststeuer steht vor dem Aus pa/Flashpic/Jens Krick© Bereitgestellt von WELT

Als Olaf Scholz (SPD) noch Bundesfinanzminister war, gehörte er auf internationalen Gipfeltreffen zu den wichtigsten Treibern einer globalen Mindeststeuer. Im Sommer 2021 sprach er von einem „kolossalen Fortschritt im Bereich der internationalen Besteuerung von Unternehmen“, nachdem sich 130 Länder auf einen Steuersatz von „mindestens 15 Prozent“ geeinigt hatten.

Auch Deutschland werde die Vereinbarung mehr Steuereinnahmen bringen, kündigte der heutige Bundeskanzler damals an. Das Bundesfinanzministerium (BMF) verwies damals auf Schätzungen der EU-Steuerbeobachtungsstelle, die das Plus für Deutschland auf 5,7 Milliarden Euro schätzte.

Seit der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) heißt, ist die deutsche Euphorie bezüglich der Mindeststeuer nicht mehr ganz so groß. Zumal die Zahlen zu den erwarteten Steuereinnahmen deutlich geschrumpft sind. Nach aktuellen Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts im Auftrag des Ministeriums wird die globale Mindeststeuer Deutschland lediglich noch zwischen 1,5 und 1,7 Milliarden Euro bringen.

Denn die möglichen Steuereinnahmen sind in den weiteren Verhandlungen der vergangenen zwei Jahre durch einige Zugeständnisse gesunken. „Durch die neuesten Einigungen um die Details zur globalen Mindeststeuer gehen wir davon aus, dass die zusätzlichen Steuereinnahmen sich am unteren Rand unserer ursprünglichen Schätzungen bewegen“, sagte Florian Neumeier, der Leiter der Ifo-Forschungsgruppe für Steuer- und Finanzpolitik. Im Frühjahr 2022 ging man in München noch von einem Rahmen zwischen 1,6 und 6,2 Milliarden Euro aus.

Neben der globalen Mindeststeuer, die gemeinhin als „Säule 2“ der globalen Unternehmensteuerreform bezeichnet wird, untersuchten die Forscher in ihrer neuen Studie auch finanziellen Auswirkungen der geplanten Neuverteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Ländern, was wiederum als „Säule 1“ bezeichnet wird. Diese seien mit weiteren Steuermehreinnahmen für Deutschland in Höhe von 850 Millionen bis 1,7 Milliarden Euro pro Jahr verbunden, so das Ifo-Institut. Ausschlaggebend hierfür sei, ob die neu verteilten Gewinne nur der Körperschaftsteuer oder zusätzlich auch der Gewerbesteuer unterliegen.

Wobei noch offen ist, ob die zweite Säule überhaupt kommt. Jener Reformteil, der als weltweite Digitalsteuer begann, steht mittlerweile gänzlich vor dem Aus. Die Amerikaner taten sich von Anfang an schwer damit, sahen sie darin doch vor allem einen Angriff auf ihre IT-Schwergewichte AppleAmazonFacebook und Co. Erst als die Kriterien so geändert wurden, dass beispielsweise auch die großen französischen Luxusmarken mehr Steuern in jenen Ländern zahlen müssen, in denen viele ihrer Kunden sitzen, etwa in Asien, signalisierte die US-Regierung Zustimmung.

Voraussetzungen der Amerikaner wohl nicht erfüllt

Als eine der Voraussetzungen erklärten die Amerikaner derweil, dass es keine neuen nationalen Digitalsteuern geben darf. Doch genau eine solche Steuer plant nun Kanadas Regierung. Dem G-7-Land geht die angeblich größte Unternehmensteuerreform seit 100 Jahren zu langsam. Kanada will daher eine nationale Digitalsteuer einführen, wenn die gemeinsame Lösung der weit mehr als 100 Staaten nicht im Jahr 2024 in Kraft tritt – was absehbar schon nicht mehr möglich ist.

Im Finanzministerium will man trotzdem noch nicht von einem Scheitern sprechen. Die internationale Staatengemeinschaft arbeite „an den letzten Detailfragen zur teilweisen Umverteilung der Besteuerungsrechte unter Säule 1“, teilte das Ministerium mit. Hervorzuheben sei aber, dass das Abkommen erst in Kraft trete, wenn eine „große Anzahl von Staaten“ die Ratifizierung des völkerrechtlichen Vertrags abgeschlossen haben. Da der Vertrag überhaupt erst Ende 2023 stehen soll, ist eine Neuverteilung der Besteuerungsrechte schon ab 2024 aber ausgeschlossen.

Gibt es den kanadischen Alleingang und fällt damit die Säule 1, wird sich Deutschland mit insgesamt noch niedrigeren Einnahmen zufriedengeben müssen. Schon jetzt sind die Erwartungen, wie die aktuellen Ifo-Analysen zeigen, eher gering. „Unseren Schätzungen zufolge wäre Deutschland zwar Reformgewinner“, sagt Ifo-Forscher Neumeier. Der Zuwachs an Steuereinnahmen falle jedoch eher mäßig aus.

Wobei das Ifo-Institut mit seinen bis zu 1,7 Milliarden Euro für die Mindeststeuer immer noch über dem liegt, was die Beamten des Finanzministeriums in den Entwurf zur Mindestbesteuerungsrichtlinie geschrieben haben. Sie gehen im Jahr 2026 lediglich von zusätzlichen Steuereinnahmen in Höhe von einer Milliarde Euro aus – mit sinkender Tendenz in den Folgejahren. Dauerhaft gehen Lindners Fachleute sogar nur von Mindeststeuereinnahmen in Höhe von 200 Millionen Euro pro Jahr aus.

Dies lässt sich damit begründen, dass sich Unternehmen und Niedrigsteuerländer an die neue Situation anpassen werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnt daher in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf aus dem Finanzministerium: „Da die Richtlinie und das daraus abgeleitete Mindeststeuergesetz auch eine Reihe von Ausnahmen und Einschränkungen vorsehen, bleibt abzuwarten, ob nunmehr eine Steuerumgehung durch legale, aber unerwünschte Verschiebung von Besteuerungssubstrat in Niedrigsteuerjurisdiktionen vollständig verhindert werden kann.“

Wirtschaftsverbände verweisen in ihrer Stellungnahme dagegen auf die „enormen Herausforderungen für Unternehmen und Finanzverwaltung“ bei der Umsetzung der Mindeststeuer. „Insofern ist es erforderlich, bestehende Regelungen des nationalen Steuerrechts im Zuge der Einführung der Mindeststeuer zu evaluieren und abzubauen“, heißt es in dem Schreiben der Spitzenverbände. Einige Erleichterungen sieht der Entwurf bereits vor.

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Habecks umkämpftes 30-Milliarden-Euro-Versprechen

Vizekanzler

Habecks umkämpftes 30-Milliarden-Euro-Versprechen

Robert Habeck: Der Wirtschaftsminister will einen Industriestrompreis. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen)

Robert Habeck: Der Wirtschaftsminister will einen Industriestrompreis. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen)© T - Online

Die Ampelkoalition streitet über billigen Strom für die Industrie. Doch eigentlich steckt mehr dahinter. Es geht um die Frage, wie sehr sich der Staat künftig in die Wirtschaft einmischen sollte.

Man kann es sich leicht machen und diese Geschichte über Robert Habeck und sein 30-Milliarden-Euro-Versprechen ungefähr so erzählen.

Es war einmal ein Wirtschaftsminister, der wollte der Industrie in den nächsten Jahren helfen, ihre Stromrechnung zu zahlen, damit unser Stahl künftig nicht nur in China produziert wird. Bis zu 30 Milliarden Euro würde es bis 2030 kosten. Die FDP hielt das für eine teure Schnapsidee. Also passierte erst mal: nichts. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann streiten sie noch heute.

Diese Geschichte über den sogenannten Industriestrompreis ist nicht falsch. Sie wird dieser Tage in den Medien wieder oft erzählt, weil der eine die Idee gut und die andere sie ganz furchtbar findet. Aber die Geschichte ist unvollständig und erfasst nicht, worum es eigentlich geht und was auf dem Spiel steht.

Denn beim Industriestrompreis wird im Kleinen eine sehr große Frage verhandelt: Wie soll, wie muss Deutschland künftig Wirtschaftspolitik machen, um nicht alt auszusehen?

Um all das besser zu verstehen, braucht es mindestens eine gedankliche Weltreise im Schnelldurchlauf. Wie so oft dieser Tage müssen wir Wladimir Putin in Moskau besuchen und Xi Jinping in Peking sowieso. Beginnen aber wollen wir in Washington bei einem Mann, der sich mit 80 Jahren dazu entschieden hat, mit einer der wichtigsten amerikanischen Gewissheiten zu brechen: bei Joe Biden.

Eine Zeitenwende namens Bidenomics

Joe Biden ist erst zweieinhalb Jahre US-Präsident, seine Wirtschaftspolitik aber ist schon zu einem Kofferwort geworden: Bidenomics, zusammengesetzt aus Biden und economics. Der Begriff soll an die Reaganomics seines berühmten Vor-vor-vor-vor-vor-Vorgängers Ronald Reagan erinnern. Und beschreibt so ziemlich genau das Gegenteil.

Reagan trieb die amerikanische Tradition der freien Marktwirtschaft und des schlanken Staates in den 80er-Jahren auf die Spitze und versuchte mit heftigen Steuersenkungen, Wirtschaft und Haushalt zugleich zu sanieren.

Biden pfeift auf die amerikanische Tradition und gibt Billionen aus, um die Wirtschaft der Zukunft zu bauen.

US-Präsident Joe Biden: Mister Bidenomics. (Quelle: IMAGO/Chris Kleponis - Pool via CNP)

US-Präsident Joe Biden: Mister Bidenomics. (Quelle: IMAGO/Chris Kleponis - Pool via CNP)© T - Online

Der deutsche Ökonom Max Krahé nennt das, was in den USA gerade passiert, "eine wirtschaftspolitische Zäsur, eine ökonomische Zeitenwende". Die Bidenomics seien eine "schonungslose Abrechnung" mit dem Neoliberalismus, sagt er n-tv. Das Paradigma, der Staat solle sich heraushalten aus der Wirtschaft, gelte für Biden nicht mehr. Stattdessen kann und soll die Politik wirtschaftliche Ziele vorgeben – und dann auch (mit)finanzieren.

"Heute gilt: Alles ist politisch", so sagt es der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze in der "Zeit". "Für Bidens Leute stehen strategische Ziele wie Autonomie und Souveränität zunehmend im Zentrum der Wirtschaftspolitik. Diesen Zielen wird alles untergeordnet, notfalls auch das Prinzip der ökonomischen Effizienz oder der Freihandel."

Sprich: Es gibt einen Haufen Geld für die heimischen Unternehmen, damit die USA nicht auf den Rest der Welt angewiesen sind.

Deutschland und Europa als Kollateralschäden

Die Bidenomics sind eine Wirtschaftsstrategie, mit der die USA eigentlich nicht Europa und Deutschland treffen wollen, sondern China. Im Reich des Staatskapitalismus von Präsident Xi Jinping hat es Tradition, Wirtschafts- und Machtpolitik zu verschmelzen, meist skrupellos, oft erfolgreich.

Deutschland und Europa aber drohen im Konflikt der beiden größten Volkswirtschaften der Welt zu Kollateralschäden zu werden. Wenn sie nichts tun. "Strategische Souveränität" lautet deshalb in Berlin und Brüssel seit einiger Zeit das Schlagwort. Was nicht viel mehr heißt als: Um nicht komplett abhängig zu sein, könnte es eine gute Idee sein, selbst so etwas wie eine Chipindustrie aufzubauen und die Stahlindustrie hier zu halten.

Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin: Die Wirtschaft, das bin ich. (Quelle: Kremlin Pool/imago images)

Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin: Die Wirtschaft, das bin ich. (Quelle: Kremlin Pool/imago images)© T - Online

Das ist auch eine der Lehren, die Politiker wie Robert Habeck aus Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ziehen, der die Lage noch komplizierter gemacht hat. Die große Abhängigkeit von Putins Gas, das mit dem Krieg plötzlich weggefallen ist, hat die deutsche Energiepolitik durcheinandergewirbelt. Billiges russisches Gas, solange, bis es genug billigen Ökostrom gibt – das war einmal.

Also: Möglichst nie wieder so abhängig werden.

Habecks Zweifel, Habecks Pragmatismus

Robert Habeck lässt immer wieder erkennen, dass er Teile der Bidenomics schwierig findet. Er fürchtet einen weltweiten Subventionswettlauf, in dem derjenige gewinnt, der Unternehmen mit dem meisten Geld locken kann. Also Uncle Joe oder Uncle Jinping. Und eher nicht Uncle Robert.

Habeck aber scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, dass es egal ist, welche Note ein deutscher Wirtschaftsminister den Bidenomics auf einer imaginären Adam-Smith-Gedenkskala des Freihandels geben würde. Sie sind schlicht Realität, genau wie der chinesische Staatskapitalismus und der Krieg gegen die Ukraine. Also muss man damit leben und arbeiten.

Grünen-Chef Omid Nouripour:

Grünen-Chef Omid Nouripour:© T - Online

Für Habeck heißt das neben vielen Gesprächen in Brüssel und Washington eben auch, dass er Unternehmen, die viel Energie brauchen und im internationalen Wettbewerb stehen, mit Staatsgeld entlasten will. Der Industriestrompreis soll ihnen 80 Prozent ihres Verbrauchs für 6 Cent garantieren.

Ursprünglich sah sein Konzept vor, die Stromrechnung der Unternehmen bis ins Jahr 2030 mitzubezahlen – spätestens dann sollen sie von billiger erneuerbarer Energie profitieren. 25 bis 30 Milliarden Euro sollte das den Staat kosten. Zuletzt aber sprach Habeck selbst nur noch von den "nächsten drei bis fünf Jahren", was ungefähr 8 bis 16 Milliarden Euro weniger bedeuten würde. Ein Kompromissangebot an die skeptische FDP.

Nouripour gegen Djir-Sarai

Im Grundsatz aber bleiben Habeck und seine Grünen dabei – und haben es eilig. "Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs sind für die deutschen Unternehmen weiterhin spürbar", sagt Grünen-Chef Omid Nouripour t-online. "Wir brauchen deshalb in einem begrenzten Zeitraum für energieintensive Industrien einen Industriestrompreis."

Mit ihm könne man sicherstellen, sagt Nouripour, "dass wichtige deutsche Industriezweige im internationalen Wettbewerb mithalten können und der Wirtschaftsstandort Deutschland für hiesige Unternehmen attraktiv bleibt".

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai:

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai:© T - Online

Die FDP überzeugt das weiterhin nicht. Die Debatte um den Industriestrompreis sei "mittlerweile nicht nur ermüdend, sondern sie lenkt vor allem vom eigentlichen Problem ab: der offenkundigen Standortschwäche Deutschlands", sagt Generalsekretär Bijan Djir-Sarai t-online.

Der Wirtschaftsminister solle sich "nicht im Dickicht immer neuer Subventionsforderungen verirren". Was es brauche, sei ein "strategisches Konzept zur Energieversorgung und -sicherheit, steuerliche Entlastungen, weniger Bürokratie und eine bessere Infrastruktur", sagt Djir-Sarai. "Das muss auch der Wirtschaftsminister endlich begreifen."

Gleiches Ziel, ganz anderer Weg

Wie so oft in der Ampelregierung streiten sich Grüne und FDP also nicht darüber, wo sie hinwollen. Eine erfolgreiche deutsche Wirtschaft wollen beide. Es geht um den Weg dorthin. Und dabei um die Frage, wie Deutschland am besten reagiert auf das, was Biden, Xi und Putin anstellen.

Robert Habeck, so könnte man es grob zusammenfassen, hat kein Problem damit, auf die Bidenomics selbst mit ein wenig Bidenomics zu reagieren. Geld auszugeben, um den durch Biden und Xi verzerrten Wettbewerb selbst ein bisschen zurückzuverzerren. Die FDP hingegen will den großen Paradigmenwechsel nicht mitgehen und sich ein gutes Stück Reaganomics bewahren. Mehr Erfolg durch weniger Staat.

Wie die Geschichte über Robert Habeck und sein 30-Milliarden-Euro-Versprechen ausgeht, ist wie bei vielen guten Geschichten: offen.

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Filz-Verdacht in deutschem Ministerium: Skiurlaub-Kumpel bekam angeblich 100-Millionen-Deal

Nächster Vetternwirtschaftsskandal?

Filz-Verdacht in deutschem Ministerium: Skiurlaub-Kumpel bekam angeblich 100-Millionen-Deal

Das von der FDP geleitete Bundesverkehrsministerium Volker Wissings gerät unter den Verdacht der Vetternwirtschaft. Es geht um Wasserstoffmobilität. Und um viel Geld.

München/Berlin – Ist mitten in der Sommerpause des politischen Berlins der nächste Zoff in der Ampel-Koalition vorprogrammiert? Weil es den nächsten Vetternwirtschafts-Verdacht gibt, diesmal in einem FDP-Ministerium?

Filz im FDP-Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing? Verdacht gegen Abteilungsleiter

Es soll um zwei Deals in Höhe von insgesamt 98,5 Millionen Euro gehen, die laut Handelsblatt ein Abteilungsleiter aus dem Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) für einen befreundeten Unternehmer aus der Wasserstoffwirtschaft eingefädelt haben soll.

Mit 72,5 Millionen Euro soll der Unternehmer laut dem Bericht ein Wasserstoffzentrum in Niederbayern aufbauen. An der Entscheidung darüber sei der hochrangige, aber namentlich nicht genannte Beamte maßgeblich beteiligt gewesen, schreibt das Handelsblatt. Ferner habe der beschriebene Unternehmer Zusagen für Fördergelder der Europäischen Union (EU) in Höhe von rund 26 Millionen Euro aus einem Wasserstoffprogramm des Ministeriums erhalten, heißt es weiter.

Vetternwirtschaft im Bundesverkehrsministerium: FDP-Minister Volker Wissing.

Vetternwirtschaft im Bundesverkehrsministerium: FDP-Minister Volker Wissing.© IMAGO / Mike Schmidt

Beide sollen sich unter anderem aus gemeinsamen Skiurlauben kennen. Brisant: Ausgerechnet mehrere Quellen innerhalb der Ampel-Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP sollen die Informationen aus dem Bundeskabinett von Kanzler Olaf Scholz (SPD) weitergeleitet haben, dem damit der nächste hausgemachte Ärger innerhalb der ohnehin zerstrittenen Regierungskoalition droht.

Transparenz und Compliance hätten „gerade bei Fördervergaben in diesen Größenordnungen oberste Priorität“, erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Parlament, Detlef Müller, dem Handelsblatt. Wenn sich der Verdacht bestätige, müssten „die gleichen Maßstäbe wie bei den Vorgängen um den Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium“ gelten, sagte er demnach. Es ist ein koalitionsinterner Verweis auf den polarisierenden Fall Graichen im Hause von Vize-Kanzler Robert Habeck (Die Grünen).

Ampel-Koalition: FDP hatte die Grünen wegen angeblicher Vetternwirtschaft kritisiert

Habecks Staatssekretär Patrick Graichen war daran beteiligt, dass sein Trauzeuge Michael Schäfer neuer Chef der deutschen Energieagentur wurde, was wiederum im Mai publik wurde. Erst nach langem Hin und Her ließ Habeck seinen Vertrauten schließlich fallen und entband Graichen von seiner Funktion im Wirtschaftsministerium. Just die FDP hatte wegen der angeblichen Vetternwirtschaft im Fall Graichen scharfe Kritik an Scholz‘ Stellvertreter und dem grünen Koalitionspartner geübt. Was nun zum Bumerang wird?

Der bekannte FDP-Politiker Thomas Sattelberger kritisierte zumindest bei Twitter: „Graichen auf gelb? Auch wenn es wehtut, das geht gar nicht, wenn es sich bestätigt.“ Nach der Sommerpause könnte der heikle Filz-Verdacht aus dem Bundesverkehrsministerium nun auf die Tagesordnung des Haushalts- und Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag kommen.

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Bund will fast 58 Milliarden Euro in grüne Transformation stecken

Auf dem Weg zur Klimaneutralität plant die Bundesregierung im kommenden Jahr hohe Investitionen. Vor allem in energieeffiziente Gebäude soll Geld fließen. Auch für das marode Schienennetz könnte ein Milliardenbetrag bereitgestellt werden.

Die Deutsche Bahn soll bis 2027 mehr als 12 Milliarden Euro aus dem Klimafonds bekommen dpa/Soeren Stache

Die Deutsche Bahn soll bis 2027 mehr als 12 Milliarden Euro aus dem Klimafonds bekommen dpa/Soeren Stache© Bereitgestellt von WELT

Der lang erwartete Wirtschaftsplan der Bundesregierung für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) sieht im kommenden Jahr Ausgaben von rund 57,6 Milliarden Euro vor. Das berichten die Deutsche Presse-Agentur und die Nachrichtenagentur Reuters. Der Plan regelt im Detail die Ausgaben und Einnahmen des Fonds, der laut dem Finanzplan bis 2027 keine Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt mehr erhalten soll. Förderschwerpunkt sei der Gebäudebereich mit allein 18,8 Milliarden Euro für energieeffiziente Gebäude, heißt es in dem Reuters vorliegenden Entwurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Für die Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), die seit dem 1. Juli 2022 vollständig aus Bundesmitteln finanziert wird, sind demnach im kommenden Jahr 12,6 Milliarden Euro eingeplant. Die Weiterentwicklung der Elektromobilität inklusive des Ausbaus der Ladeinfrastruktur soll mit rund 4,7 Milliarden Euro gefördert werden.

Darüber hinaus sind erstmals auch Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur im KTF vorgesehen, und zwar in Höhe von vier Milliarden Euro für 2024. Der dpa zufolge soll die Deutsche Bahn bis 2027 sogar insgesamt 12,5 Milliarden Euro bekommen. Demnach werde die Bahn einen Eigenbeitrag von drei Milliarden Euro erbringen. Das Schienennetz ist zum Teil marode und soll in den kommenden Jahren grundlegend saniert werden.

Zur Förderung der Halbleiterproduktion stehen im Jahr 2024 rund vier Milliarden Euro und für den Aufbau der Wasserstoffindustrie insgesamt rund 3,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Insgesamt will die Bundesregierung Halbleiterprojekte mit 20 Milliarden Euro subventionieren. Ab 2024 kommt das Geld aus dem KTF, darunter auch bis zu fünf Milliarden Euro für eine Halbleiterfabrik der taiwanischen TSMC in Dresden.

Aus dem Entwurf geht zudem hervor, dass die Bundesregierung für 2024 mit deutlichen Mehreinnahmen beim Kohlendioxid-Preis rechnet, den Verbraucher beim Heizen mit Gas und Öl sowie beim Tanken entrichten müssen. Der Preis soll von derzeit 30 Euro auf 40 Euro pro Tonne CO₂ steigen, wie Reuters aus der Regierungskoalition erfuhr. In dem Entwurf sind für 2024 Erlöse aus der nationalen CO₂-Bepreisung von gut 10,9 Milliarden Euro veranschlagt. Das wären rund 2,3 Milliarden Euro mehr als in diesem Jahr.

Der Entwurf wurde nach Angaben aus Regierungskreisen in die Ressortabstimmung gegeben. Er gelte als vom Kabinett beschlossen, wenn bis Mittwochmittag keines der Ministerien Widerspruch einlege. Der Wirtschaftsplan wird Anfang September gemeinsam mit dem Entwurf für den Bundesetat 2024 und den Finanzplan bis 2027 im Bundestag beraten.