Forum

Forum-Breadcrumbs - Du bist hier:ForumPolitik: EU - newsNews aus Deutschland

News aus Deutschland

Zitat

Pandemie-Bekämpfung: Opposition hegt Zweifel an guter Vorbereitung für den Corona-Herbst – SPD kritisiert Spahns Pläne für Ungeimpfte

 

Die von Jens Spahn vorgelegten Pläne sorgen für Unruhe. Besonders brisant scheint die Idee, aus „3G“-Regeln – für Geimpfte, Genesene und Getestete – „2G“-Regeln zu machen.

Als Anfang dieser Woche die Gesundheitsministerkonferenz tagte, zeigte sich deren Vorsitzender danach zuversichtlich: „Wir gehen vorbereitet in den Herbst“, sagte Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek (CSU).

Doch dieser Optimismus wird nicht überall geteilt: „Ich erlebe in diesem Sommer ein Déjà-vu. Sei es die hektische Einführung der Testpflicht für Reiserückkehrer oder der Streit auf kommunaler Ebene über die Wirksamkeit von Luftreinigern“, kritisiert der Obmann der FDP-Fraktion im Gesundheitsausschuss, Andrew Ullmann.

Erneut habe es die Bundesregierung nicht geschafft, das Land auf den Herbst vorzubereiten. So sei die Impfkampagne immer noch zu klassisch gestrickt und erreiche nicht die richtigen Zielgruppen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) musste sich am Mittwoch in einer digitalen Sondersitzung des Gesundheitsausschusses den Fragen der Abgeordneten stellen. Sein Ministerium hatte zuvor ein Papier mit dem Titel „Sicher durch den Herbst und Winter – jetzt die Vorbereitungen treffen“ verschickt. Darin wird betont, dass noch etwa 32 Millionen Bürger nicht geimpft seien, darunter mehr als neun Millionen Kinder, für die es noch keinen zugelassenen Impfstoff gebe.

Auch wenn die Impfrate weiter gesteigert werde, seien im Herbst und Winter die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten, heißt es darin. Die Maske werde wohl bis ins Frühjahr 2022 hinein beim Einkaufen oder im Nahverkehr zum Alltag gehören. Spahns Ministerium fordert zudem regelmäßige Tests und Schutzkonzepte für Kitas, Schulen und Seniorenheime.

Der von Spahn vorgelegte Vorbereitungsstand für den Herbst zeige, dass die Regierung erneut spät dran sei und darauf vertraue, dass die Impfungen es schon richten, kritisiert Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink. „Doch schon im Frühjahr war klar, dass die Impfung von Kindern und Jugendlichen nicht rechtzeitig vor dem Ende der Sommerferien kommen wird.“ Die Regierung habe versäumt, frühzeitig mit Schutzkonzepten oder Luftfiltern zu reagieren.

Besondere Brisanz hat aber eine Passage auf der vierten Seite des sechsseitigen Spahn-Papiers unter der Überschrift „Schutzmaßnahmen“: Bei wieder anziehendem Infektionsgeschehen und einer höheren Zahl von Krankenhauseinweisungen könnten insbesondere für Nicht-Geimpfte erneut weiter gehende Einschränkungen notwendig werden.

Dazu könne neben Kontaktbeschränkungen auch gehören, dass Nicht-Geimpfte keinen Zugang mehr zur Gastronomie oder zu Veranstaltungen erhalten. Aus „3G“ – Einlass für Geimpfte, Genesene und Getestete – würde „2G“. Der Test als Einlasskarte entfällt. Außerdem schlägt das Gesundheitsministerium vor, das Angebot der kostenlosen Bürgertests ab Mitte Oktober zu beenden.

Papier sorgt für Unruhe

Auch wenn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erst am 10. August mit den Ministerpräsidenten über konkrete Maßnahmen beraten will, sorgt das Papier schon jetzt für Unruhe. So betonte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) im Gespräch mit der Zeitung „Augsburger Allgemeinen“, dass Spahns Konzept nicht die Position der Bundesregierung sei. „Die Impfung bleibt eine freiwillige Entscheidung. Eine Impfpflicht wird es nicht geben.“

Geimpfte, Getestete und Genesene sollen in der Öffentlichkeit weiterhin die gleichen Rechte genießen. Allerdings können Unternehmer selbst über den Zugang für Ungeimpfte zu entscheiden. Es gelte die Vertragsfreiheit. Wer seine Mitarbeiter, Gäste oder Kunden besonders schützen möchte, könne Angebote nur für Geimpfte machen. „Grundsätzlich gilt: Es macht einen großen Unterschied, ob der Staat Grundrechte einschränken muss oder ob Private Angebote für bestimmte Personengruppen machen möchten.“

Auch mehrere SPD-Ministerpräsidenten lehnen die Verschärfung der Regeln für Ungeimpfte ab. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte sagte der „Bild“, er halte es für falsch und rechtlich unzulässig, Ungeimpfte aus dem öffentlichen Leben auszuschließen. Ähnlich äußerte sich Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sagte, es sei wichtig, dass sich mehr Menschen in Deutschland impfen ließen. „Drohungen bringen uns da nicht weiter. Wir müssen überzeugen.“

Auch der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga distanziert sich von Spahns Plänen: „Zwei G – also der Zugang nur für Geimpfte und Genesene – darf nur das allerletzte Mittel sein und setzt voraus, dass alle auch ein Impfangebot erhalten haben“, sagt Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges. Derzeit sei eine Impfung für Kinder ja noch gar nicht möglich. „Als Gastgewerbe wollen wir keine Polarisierung in der Gesellschaft.“

Auch müsse die Regierung darauf achten, dass eventuelle neue Restriktionen verhältnismäßig seien. So hat das niedersächsische Oberverwaltungsgericht gerade die Schließung von Diskotheken, Klubs und Shisha-Bars ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als zehn außer Vollzug gesetzt.

Sich bei den Regeln für das Gastgewerbe allein an Inzidenzzahlen wie 35 oder 50 zu orientieren reiche nicht mehr aus, betont Hartges. Es müssten schnell neue Parameter entwickelt werden, die auch die Impfquote oder die Belegung der Krankenhäuser berücksichtigten.

Beim Deutschen Städte- und Gemeindebund hat man aber durchaus Sympathie für ein Ende der kostenlosen Bürgertests – solange alle, die noch nicht geimpft werden können, sie weiter erhalten: „Das ist keine Zweiklassengesellschaft, sondern die Umsetzung eines nachvollziehbaren Ansatzes“, sagt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Wer die Impfung verweigere, treffe damit eine persönliche Entscheidung, deren Folge der Staat nicht automatisch ausfinanzieren müsse. „Die flächendeckenden kostenlosen Bürgertests für alle verschlingen große Summen an Steuergeldern, die besser in weitere Impfkampagnen investiert werden sollten“, sagt Landsberg.

Grünen-Expertin Klein-Schmeink sieht Spahns Vorschlag, die Kostenfreiheit der Tests ab Oktober aufzuheben, sehr kritisch. „Es fehlt auch jede Aussage, wie das Fortbestehen der Testinfrastruktur gewährleistet werden soll“, betont sie. Sollte das Infektionsgeschehen im Herbst wieder zunehmen, wäre es nicht verantwortbar, Bürgertests künftig nur noch gut betuchten Menschen zur Verfügung zu stellen.

FDP-Gesundheitsexperte Ullmann lehnt die vorgeschlagene Abschaffung der 3G-Regel, falls die Fallzahlen im Herbst ansteigen, vehement ab. Nur Geimpften und Genesenen die Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen sei „ein Wortbruch der Bundesregierung, da sie so die Impfpflicht durch die Hintertür verlangt“.

Eine Sprecherin der Bundesregierung betonte am Mittwoch, man wolle keine Impfpflicht, auch nicht durch die Hintertür. Aber jeder habe die Möglichkeit, den Pandemieverlauf zu beeinflussen.

 

Zitat

Staatsanwaltschaft Koblenz-Hochwasser: Ermittlungsverfahren eingeleitet

 

Wurde zu spät gewarnt? Im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe im Ahrtal hat die Staatsanwaltschaft Koblenz ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Das Ahrtal wurde schwer von der Hochwasserkatastrophe getroffen. Archivbild
Quelle: Thomas Frey/dpa

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat Ermittlungen gegen den Landrat des Landkreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), wegen der Flutkatastrophe vor rund drei Wochen aufgenommen. Gegen ihn bestehe unter anderem der Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen, teilten die Behörde und das rheinland-pfälzische Landeskriminalamt am Freitag mit. Zudem werde gegen ein weiteres Mitglied des Krisenstabs ermittelt.

Pföhler hatte den Angaben zufolge nach den Regeln des Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetzes Rheinland-Pfalz möglicherweise die Einsatzleitung inne und daher die alleinige Entscheidungsgewalt. Das Mitglied des Krisenstabs hatte die Einsatzleitung den Erkenntnissen zufolge zumindest zeitweise übernommen.

Hinweise auf verspätete Warnung

Es hätten sich Hinweise darauf ergeben, nach denen die noch nicht von der Flutwelle betroffenen Bewohner des Ahrtals am 14. Juli spätestens um 20.30 Uhr hätten gewarnt und in Sicherheit gebracht werden müssen. Dies soll laut Anfangsverdacht nicht in der gebotenen Deutlichkeit oder erst verspätet geschehen sein.

Ein Unterlassen soll für einen Teil der Todesfälle und Verletzten mitursächlich gewesen sein. Eine Auswertung habe ergeben, dass die getöteten Menschen überwiegend ahrabwärts schwerpunktmäßig in Bad Neuenahr-Ahrweiler gestorben seien. Am Montag hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz mitgeteilt, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu prüfen.

Weitere Details zur Verfahrenseinleitung und den beabsichtigten Ermittlungen will die Staatsanwaltschaft Koblenz bei einer Pressekonferenz am Freitag um 16 Uhr bekanntgeben.

141 Menschen bei Flutkatastrophe gestorben

Extremer Starkregen hatte am 14. und 15. Juli an der Ahr im Norden von Rheinland-Pfalz eine Flutwelle ausgelöst und weite Teile des Tals unter Wasser gesetzt. Rund 42.000 Menschen sind von den Folgen des Hochwassers betroffen.

Drei Wochen nach der verheerenden Flutkatastrophe werden immer noch 16 Menschen in Rheinland-Pfalz vermisst. Von 141 Fluttoten seien bisher 121 identifiziert worden, sagte ein Sprecher der Polizei Koblenz am Donnerstag in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die Einsatzleitung zählte insgesamt 766 Verletzte.

Zitat

Coronavirus: Ministerpräsidenten drängen auf Ende der kostenlosen Tests

 

Sollen Schnelltests künftig etwas kosten? Vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzlerin Merkel fordern immer mehr Politiker ein Ende des Gratisangebots.

Angesichts wieder steigender Infektionszahlen wollen die Landesregierungschefs und Merkel am Dienstag beraten, wie sich die anrollende vierte Welle flach halten lässt (lesen Sie hier mehr). Dazu dürfte auch das Ende der kostenlosen Schnelltests gehören.

Auch die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Baden-Württemberg, Stephan Weil (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne), sprachen sich dafür aus. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz plädierte in der »Süddeutschen Zeitung« erneut dafür.

»Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass Ungeimpfte ab dem Herbst ihre Tests selbst bezahlen müssen. Bis dahin hatte jeder die Möglichkeit, sich kostenfrei impfen zu lassen«, sagte Weil dem »Tagesspiegel«. Ähnlich äußerte sich Kretschmann: »Auf Dauer wird die öffentliche Hand die Tests nicht finanzieren können«, sagte er der »Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten«. »Das ist auch eine Frage von fairer Lastenverteilung, denn es gibt ja ein kostenfreies Impfangebot für alle.«

Ein Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums sieht Mitte Oktober als Termin für ein Ende der Gratistests vor. Dabei geht es nur um jene Menschen, für die es eine Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission gibt – also nach derzeitigem Stand keine Kinder – und bei denen keine medizinischen Gründe dagegen sprechen.

Scholz wies aber Überlegungen des Ressorts von Minister Jens Spahn (CDU) zurück, im Notfall Ungeimpfte generell nicht mehr zu Veranstaltungen zuzulassen – auch nicht mit negativem Schnelltest. »Wichtig ist mir, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, auch weiterhin über Tests die Möglichkeit haben, am öffentlichen Leben teilzunehmen«, sagte er.

Grünen-Chef Robert Habeck sprach sich gegen ein Ende der Gratistests aus. »Das ist die falsche Maßnahme, die Leute zum Impfen zu motivieren«, sagte Habeck im ZDF-Sommerinterview. »Die bessere Maßnahme ist diese: den inneren Schweinehund mal einen kräftigen Tritt in den Hintern zu geben, also diese Trägheit, die wahrscheinlich einen Gutteil der Menschen noch in sich hat, zu überwinden, indem man einfach sagt: Komm, hier ist das. Du kannst einfach da hingehen, Du kriegst den Impfausweis und eine Spritze im Arm und fertig.«

Auch FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae lehnte kostenpflichtige Tests ab: »Die Kostenlosigkeit der Tests möglichst lange, auch bis in das Jahr 2022 hinein aufrechtzuerhalten, ist gut angelegtes Geld.« Das gelte auch für Genesene und Geimpfte, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Denn sie seien zwar weitgehend vor Erkrankung geschützt, könnten aber das Virus weitertragen.

Zitat

Permanent überfordert

 

Deutschland erfreute sich jahrzehntelang eines hervorragenden Rufs in der Welt. Die Bundesrepublik galt als zuverlässig, solide, effizient. Darauf konnte man als Bürger dieses Landes durchaus stolz sein. In jüngster Zeit aber bekommt das Bild immer mehr Kratzer, wird das Vertrauen in die Kompetenzen des politischen Führungspersonals immer häufiger erschüttert. In einer Welt der permanenten Krisen drängt sich der Eindruck auf: Deutschland kann kein Krisenmanagement mehr. Stattdessen schlittern wir allzu oft sehenden Auges in Katastrophen hinein – und wenn wir einmal drin sind, finden wir nur schwer den Ausgang.

Die Corona-Krise hat noch dem Letzten gezeigt, dass zentrale Prozesse im Land nicht funktionieren: Das auf Profit getrimmte Gesundheitssystem war zeitweise überfordert, die Gesundheitsämter mit ihren Faxgeräten waren es erst recht. Den Schulen und Behörden mangelte es an digitaler Ausstattung, das Wirtschaftsministerium tat sich schwer, "schnell und unbürokratisch" Hilfsgeld auszuzahlen, ganz zu schweigen vom verstolperten Start der Impfkampagne. Pandemiepläne lagen seit Jahren in den Schubladen, doch beachtet hatte sie niemand.

Die Hochwasserkatastrophe in Westdeutschland wiederum hat das mangelhafte deutsche Frühwarnsystem offengelegt. Hinweise der Wetterdienste versickerten zwischen den Behörden und Kommunalpolitikern, zeitgemäße Benachrichtigungen per SMS gab es nicht, viele Sirenen blieben stumm. Auch langfristige Alarmrufe waren verhallt: Schon seit Jahren warnen Klimaforscher sehr deutlich und sehr konkret vor plötzlichen Extremwetterlagen, doch auch diese Hinweise wurden von den meisten Politikern in den Wind geschlagen.

Und nun das Desaster in Afghanistan. Im Auswärtigen Amt von Heiko Maas, im Verteidigungsministerium von Annegret Kramp-Karrenbauer, im außenpolitischen Beraterstab von Kanzlerin Angela Merkel und womöglich sogar beim Bundesnachrichtendienst hatte man offenkundig Tomaten auf den Augen und Petersilie in den Ohren. Dabei hatte die deutsche Botschaft in Kabul einem Bericht der ARD zufolge schon seit Wochen vor einer möglichen Gefährdung ihres Personals gewarnt – vergeblich. Und nun zeigen sich die Kanzlerin, ihre Minister und ihre Referatsleiter, die Generäle in den Kasernen, die hochdekorierten Offiziere im Bendlerblock und all die anderen Experten und Oberexperten allesamt betroffen von den brutalen Szenen aus Kabul: Botschaftsmitarbeiter werden unter Todesgefahr zum Flughafen gekarrt. Dort belagern Tausende angsterfüllte Menschen die Flugzeuge, einige klammerten sich in ihrer Not an eine startende Maschine und stürzten aus der Höhe in den Tod. Mehrere Verstecke einheimischer Bundeswehr-Helfer sind bereits von den Taliban entdeckt worden, die Menschen irren durch die Straßen und flehen die Bundesregierung in verwackelten Videos um Hilfe an. Ihnen droht womöglich schon in wenigen Stunden der Tod.

Viele drastische Substantive werden von den Kommentatoren in diesen Stunden bemüht – Desaster, Katastrophe, Versagen –, aber keines klingt zu hart. Es ist ein Desaster, es ist eine Katastrophe für Zigtausende Menschen, es ist ein bodenloses Versagen der westlichen Politiker, Geheimdienste und Militärs. Und alles, was nun hektisch in die Wege geleitet wird – die Luftbrücke, die zusätzlich entsandten US-Elitesoldaten, die Versuche, mit den Taliban-Kommandeuren zu verhandeln –, kommt viel, viel zu spät. Das ist kein Krisenmanagement, das ist die Karikatur eines Krisenmanagements. Wieder einmal.

Man kann das alles so meinen, sagen und schreiben, und man kann lange nach den Gründen forschen. Auf der Suche nach Antworten auf die Frage, warum Deutschland so oft das Krisenmanagement misslingt, wird man vielerlei finden. Da ist die strukturelle Überforderung des politischen Systems und seines Personals: Seit Jahren sind die Spitzenpolitiker einer Krise nach der anderen ausgesetzt – Finanzen, Schulden, Euro, Atom, Flüchtlinge, Terror, Corona, und, und, und. Kaum ist eine heikle Lage halbwegs ausgestanden, droht schon die nächste am Horizont, und nicht selten überlagern sich gleich zwei oder mehrere Krisen.

Gleichzeitig erscheinen auch die einzelnen Krisen komplexer als früher. In der globalisierten Welt kommen Terroristen nicht mehr aus Berlin und Karlsruhe, sondern aus Bagdad und Kandahar. Die Geldkreisläufe drehen sich nicht mehr nur zwischen Flensburg und Füssen, sondern von Frankfurt über New York bis Hongkong rund um den Erdball. Die Entscheidung eines Topmanagers in Detroit oder Tokio kann eine deutsche Firma in den Bankrott reißen. Stürme, Dürren und Überschwemmungen sind nicht mehr nur lokale Wetterkapriolen, sondern Folgen globaler Klimaveränderungen. Eine Seuche aus Zentralchina kann die ganze Welt in eine Jahrhundertkrise stürzen. Kriege und Konflikte in fernen Ländern beeinträchtigen die Sicherheit von Millionen Bundesbürgern. Alles geschieht gleichzeitig, Akteure und Motive sind oft undurchsichtig, und immer gibt es mehr Probleme als Lösungen.

Führt man sich die Brandherde, Risiken und Krisensymptome rund um den Globus vor Augen, kann man zu der Einschätzung gelangen, dass diese Herausforderungen einfach zu groß sind für die geordneten, jedoch oftmals behäbigen Prozesse in einem demokratischen, gemütlichen Land wie Deutschland. Man kann das kritisieren, man kann Abhilfe fordern und vielleicht kann man auch Verbesserungsvorschläge machen. Man kann die Fehler einzelner Politiker anprangern, und wenn man sieht, wie unbeholfen die Vertreter der Bundesregierung in den Afghanistan-Abzug hineingetappt sind, kann man auch persönliche Konsequenzen fordern.

Während man aber seinen Ärger in die Welt hinausruft, vor dem Fernseher den Kopf schüttelt oder am Küchentisch über die Unfähigen da oben schimpft, mag man vielleicht für einen Moment innehalten und sich an die eigene Nase fassen: Könnte man es selbst besser? Wäre man ein geschickterer Krisenmanager, würde man weniger Fehler machen? Oder könnte es sein, dass die Mächtigen ganz einfach ein Abbild unserer Gesellschaft sind, nicht besser, aber auch nicht schlechter als wir Durchschnittsleute, die wir vor dem Fernseher den Kopf schütteln und am Küchentisch zetern? Regierende haben andere Mittel und Möglichkeiten als Otto und Anna Normalbürger, keine Frage. Aber auch sie sind nur Menschen – mit Stärken und leider eben auch mit vielen Schwächen. Wenn permanente Überforderung durch ein Krisen-Dauerbombardement in einer immer komplexeren Welt dazu führt, dass Schwächen sehr viel deutlicher zutage treten, dann ist das womöglich einfach nur: menschlich.

Zitat

Im Wahlkampf der vielen Krisen

 

Zunächst waren da Annalena Baerbocks Buch und Armin Laschets Lachen – dann kam die Flutkatstrophe, schließlich Afghanistan. Erst schienen Kleinigkeiten wichtig, jetzt rücken historische Krisen in den Fokus.

Was für ein Wahlkampf! Da geriet die Republik zunächst in Aufruhr, weil eine der Öffentlichkeit bis dahin wenig bekannte Annalena Baerbock die erste Kanzlerkandidatin der Grünen wurde und dann herauskam, dass sie ihren Lebenslauf etwas aufpoliert hatte und ihr Buch abgeschriebene Passagen enthielt. Wohlgemerkt: ein Buch, das sie veröffentlicht hatte, um ihr im Wahlkampf zu helfen, sie bekannter zu machen, ihr ein Profil zu geben. Das ging mächtig nach hinten los.

Doch dann kam die Flut und mit ihr eine nie dagewesene Krise als direkte Folge des Klimawandels. Unvorstellbares menschliches Leid, das Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet nicht mit einem Lächeln im Bildhintergrund kommentierte. Und doch entstand durch diesen schweren Fehler der öffentliche Eindruck eines feixenden Ministerpräsidenten – und nicht der eines hemds­ärmeligen Machers in der Not.

Und jetzt? Jetzt lösen die Bilder aus Afghanistan mindestens in allen westlichen Staaten Entsetzen aus. Die Bundesregierung kommt in Erklärungsnöte, warum sie das nicht hat kommen sehen. Warum sie nicht früher handelte, zu lange so eiskalt gegenüber den früheren Verbündeten und Helfern war. Auch die Grünen suchen noch nach einer Antwort, bilden jetzt die Spitze einer Gruppe, die möglichst viele bedrohte Menschen aus dem Land holen will.

Wahlkampfstrategen, deren Aufgabe ein Erfolg ihrer Auftraggeber am 26. September ist, haben auf einmal mit einem Wahlkampf der vielen Krisen zu tun. Klima, Flut, Afghanistan – dabei gerät die historische Corona-Krise schon beinahe in den Hintergrund der Wahlkämpfer. Nur selten sagen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz, wie sie eigentlich den Wohlstand des Landes auf mittlere und lange Sicht sichern wollen angesichts eines Wettkampfs der zwei Weltmächte USA und China und einer Verschuldung von rund 400 Milliarden (!) Euro im kommenden Jahr. Eins bringt dieser verrückte Wahlkampf aber mit sich: Er ist ein Härtetest für alle drei.

Zitat

„So schwere Niederlage der Bundesregierung, dass sie eigentlich zurücktreten müsste“

 

Die dramatischen Szenen aus Kabul gehen seit Tagen um die Welt. Nach dem Rückzug der NATO aus Afghanistan haben die radikal-islamistischen Taliban das Land innerhalb kürzester Zeit unter ihre Kontrolle gebracht. Wie konnte es so weit kommen? Und wer trägt die Verantwortung für das Scheitern des Westens am Hindukusch?

Darüber diskutierte Sandra Maischberger in ihrer ARD-Talkshow am Mittwochabend mit den Außenpolitikern Norbert Röttgen (CDU) und Gregor Gysi (Linke). Außerdem berichteten die in Afghanistan geborene Ethnologin Shikiba Babori und der Bundeswehr-Hauptmann Marcus Grotian über die aktuelle Situation vor Ort. ZDF-Moderator Theo Koll, „Spiegel“-Journalist Markus Feldenkirchen und die WELT-Chefreporterin Anna Schneider, kommentierten die Diskussion.

In einem einzigen Punkt waren sich Norbert Röttgen und Gregor Gysi an diesem Abend einig: Die Bundesregierung habe in ihrem strategischen Handeln in Afghanistan versagt, gaben beide deutlich zu verstehen. Gysi stellte gar den gesamten Nato-Einsatz am Hindukusch infrage: „Es hat keinen Sinn, mit militärischen Mitteln Afghanistan umstülpen zu wollen“, so der außenpolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Bundestag.

Mit dieser Argumentation konnte CDU-Politiker Röttgen nur wenig anfangen. Der Einsatz habe Jahrzehnte der Taliban-Herrschaft verhindert, argumentierte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, doch die Truppen hätten das Land viel zu früh verlassen: „Afghanistan war noch nicht so weit.“ Es sei eine „fatale Fehlentscheidung“ von US-Präsident Joe Biden gewesen, den von seinem Vorgänger Donald Trump verhandelten Rückzug der amerikanischen Soldaten nicht zu stoppen, so Röttgen.

„Wir haben das Land im Stich gelassen“

„In 20 Jahren wäre die gleiche Situation eingetreten“, entgegnete Gysi und schlug stattdessen eine Alternative vor, die angesichts der aktuellen Bilder fast bizarr anmutete: Nach dem Vorbild des Prinzips „Wandel durch Annäherung“, das Willy Brandts Außenpolitik gegenüber der DDR geprägt hatte, könne der Westen Hilfsleistungen anbieten, die an humanistische Bedingungen geknüpft sind – etwa für den Bau einer Schule, in der auch Mädchen unterrichtet werden dürfen.

„Das kann ich nicht als Argument akzeptieren“, setzte Röttgen den Schlagabtausch fort. Eine Lösung könne er zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht anbieten: „Wir haben das Land im Stich gelassen“, sagte er, „wie wir da jetzt wieder reinkommen ist irre schwer.“ Durch den Rückzug entstehe ein Vakuum, das Länder wie China oder Russland einnehmen könnten.

Was die Ratlosigkeit der Nato-Länder für die Menschen vor Ort bedeuten könnte, erläuterte Shikiba Babori, die in Afghanistan geboren wurde und dort als freie Journalistin gearbeitet hat. „Die Angst ist sehr, sehr groß“, sagte die Ethnologin, die Menschen fühlten sich „von allen Seiten verraten.“ Vor allem Frauen und Journalisten in Afghanistan hätten in den letzten Jahren viele Unsicherheiten auf sich genommen, um für ihre Freiheiten einzustehen. Diese Gruppen nun besonders gefährdet, so Babori. Die Taliban gäben sich in aktuellen Statements zwar moderater als zuvor, „aber das sind nur Lippenbekenntnisse.“

Welche Lehren aus den Erfahrungen am Hindukusch gezogen werden können, hatte zuvor die Journalistenrunde diskutiert. Der Westen hätte an eine Illusion geglaubt, „dass wir dort ein System aufbauen können, das unserem ähnelt. Das ist in Afghanistan brachial gescheitert“, machte ZDF-Journalist Theo Koll deutlich. „Andere Staaten zu Werten umerziehen zu wollen, die uns wichtig sind, hat eigentlich noch nie geklappt“, pflichtete Markus Feldenkirchen, Autor im „Spiegel“-Hauptstadtstudio, bei.

Die Ereignisse der vergangenen Tage haben Feldenkirchen geradezu fassungslos gemacht: „Warum erzählen uns Politiker in Deutschland, in Amerika, bis Ende letzter Woche, dass zumindest rund um Kabul die Situation noch im Griff sei, dass man sich keine Sorgen machen müsse – ohne jede Ahnung zu haben, dass die Taliban größtenteils schon längst in die Stadt geschlichen waren?“ Das kann er sich offenbar nur mit Inkompetenz erklären: „Ich frage mich: Was machen Sicherheitsdienste im Westen eigentlich beruflich?“

WELT-Chefreporterin Anna Schneider betonte, dass das Scheitern in Afghanistan nicht bedeuten könne, demokratische Werte grundsätzlich nicht mehr verteidigen zu wollen. „Es mangelte an der Strategie, am Vorgehen – nicht an den Werten an sich.“

Das strittigste Thema an diesem Abend war jedoch ein anderes: Die Evakuierung von Ortskräften, die in Afghanistan für deutsche Institutionen gearbeitet haben. Bundeswehr-Hauptmann Marcus Grotian, der als Gründer des „Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte“ direkt an der Evakuierung aus Kabul beteiligt ist, übte scharfe Kritik an der Bundesregierung: Weil viele der Helfer über lokale Subunternehmen statt direkt beim deutschen Staat beschäftigt sind, hätten sie kaum eine Chance auf ein Visum gehabt.

Nun sei es für viele bereits zu spät, berichtete Grotian: „Montag war einer der schwärzesten Tage. Wir hatten keine Möglichkeit mehr, wie wir den Ortskräften irgendwie noch helfen konnten.“ Weil die Taliban Berichten zufolge gezielt auf der Suche nach „Verrätern“ seien, die mit westlichen Ländern zusammengearbeitet haben, mussten laut Grotian einige Safe Houses für deutsche Ortskräfte aufgelöst werden.

„Die Bundesregierung müsste eigentlich zurücktreten“

Man hätte die Menschen viel früher und unbürokratischer aus dem Land herausholen müssen, betonte der Soldat, der selbst einmal in Afghanistan stationiert war. Nun, nach der Machtübernahme der Taliban, seien sie „in einer Position, in der man nur noch hoffen kann.“ Linken-Politiker Gysi schlug ähnliche Töne an: Dass die Regierung durch solche Regelungen bewusst die Verantwortung für Ortskräfte meide, sei „menschlich unfassbar.“ Schließlich wurde er noch deutlicher: „Das ist eine so schwere Niederlage der Bundesregierung, dass sie eigentlich zurücktreten müsste.“

Bereits im Mai habe es einen Antrag der Opposition im Bundestag gegeben, die Mehrheit der Ortskräfte aus Afghanistan zurückzuholen, erinnerte Gysi, der allerdings mehrheitlich abgelehnt wurde. Auch Röttgen räumte ein, dass sich die Große Koalition nicht ausreichend auf das nun eingetretene Szenario vorbereitet habe. „Die Lage ist so ernst und dramatisch, dass ich für keinerlei Parteipolitisierung irgendein Verständnis habe. Darum habe ich auch die Verantwortung der Regierung öffentlich benannt.“ Diese Erkenntnis kommt möglicherweise zu spät: Noch im Mai hatte die Unionsfraktion gegen den Antrag der Opposition gestimmt – aus parteipolitischen Gründen, wie er andeutete.

Zitat

Demografischer Wandel: Welche Herausforderungen erwarten uns in den nächsten Jahren?

 

Der demografische Wandel bezeichnet nach Definition der Bundeszentrale für politische Bildung „die  die Bevölkerungsentwicklung und ihre Veränderungen insbesondere im Hinblick auf die Altersstruktur, die Entwicklung der Geburtenzahl und der Sterbefälle, die Anteile von Inländern, Ausländern und Eingebürgerten sowie die Zuzüge und Fortzüge.“ Der demografische Wandel in Deutschland lässt bereits jetzt darauf schließen, dass die Gesellschaft dieses Landes in den kommenden Jahren eine immer vielfältigere wird. Doch sie wird auch immer älter, da die gesundheitliche Versorgung weitere Fortschritte macht und die Geburtenzahl niedrig ist. Ein grundsätzlicher Bevölkerungsrückgang ist bereits abzusehen. All diese Entwicklungen stellen Chancen dar, vor allem aber schaffen sie aber auch diverse Herausforderungen, denen Deutschland sich in den kommenden Jahren stellen muss.

Ursachen für den demografischen Wandel

Die Geburtenrate

Die Geburtenrate ist eine der drei Komponenten, die den demografischen Wandel beeinflusst. Sie hängt nicht nur vom Geburtenverhalten der Frauen einer Gesellschaft ab, sondern natürlich auch von der Anzahl potenzieller Mütter, die sich überhaupt in einem Land befinden.

Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Frauen heute weniger Kinder bekommen als früher. „Früher“, das heißt in diesem Fall vor etwas weniger als hundert Jahren. Frauen, die in den 1930er Jahren zur Welt kamen, hatten im Durchschnitt mehr als zwei Kinder. Doch schon zwischen 1937 und 1966 kam es zu einem extremen Anstieg des Anteils der Kinderlosen an allen Frauen eines Jahrgangs. Diese sogenannte endgültige Kinderlosenquote verdoppelte sich von 11 auf 21 Prozent.

Die Gründe für solch niedrige Geburtenzahlen können wirtschaftlich, politisch oder durch Kriege bedingt sein. Zum aktuellen Zeitpunkt dürfte vor allem der gesellschaftliche Wandel für weniger „Lust auf Kinder“ verantwortlich sein. So haben Kinder heute nicht mehr den gleichen „ökonomischen Stellenwert“ wie früher. Da Frauen heute (fast) die gleichen Chancen in der Arbeitswelt haben, wie Männer, lassen sich Kind und Job oftmals nicht mehr so gut vereinen. Die Entscheidung für eine Karriere bedeutet somit nicht selten auch die Entscheidung gegen mehrere oder gar gegen Kinder überhaupt.Im Jahr 1968 erreichte die endgültige Kinderzahl je Frau mit 1,49 Kindern in Deutschland ihren historischen Tiefstand. Erst nach 2010 stieg diese Zahl wieder ganz leicht an. Im Osten kamen einige Jahre mehr Kinder zur Welt als im Westen, seit 2020 hat sich aber auch das wieder geändert. Man geht stark davon aus, dass sich die durchschnittliche Kinderzahl in ganz Deutschland in naher Zukunft weiter erhöhen wird. Das ist allerdings nur eine mäßig gute Nachricht innerhalb einer besorgniserregenderen. Denn trotz dieser Geburtenzunahme wird die Zahl der in kommenden Generationen geborenen potenziellen Mütter und Väter niedriger bleiben als in jeweils vorhergehenden.

Die Sterberate

Nicht nur die niedrige Geburtenzahl, auch die steigende Lebenserwartung ist für eine demografische Alterung der Menschen in Deutschland verantwortlich. Kommen in einer Gesellschaft weniger Menschen auf die Welt und werden die Alten immer älter, wächst nun einmal der Anteil der Älteren gegenüber dem der Jüngeren.

Der zentrale Indikator, um ein immer länger werdendes Leben auszudrücken ist hierbei die sogenannte „Lebenserwartung bei Geburt“. Diese hat sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verdoppelt. Der Hauptgrund dafür ist sicherlich eine bessere gesundheitliche Versorgung als früher sowie kontinuierlicher medizinischer Fortschritt. Gerade auch bestimmte Krankheiten, die früher meist tödlich endeten und deren Ursachen heute deutlich besser erforscht sind, lassen sich inzwischen viel besser behandeln.

Hinzu kommen Fortschritte in den Bereichen:

  • Hygiene
  • Ernährung
  • Wohnsituation

Deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt damit einhergehend auch ein gestiegener Wohlstand wirken sich ebenfalls in nicht zu unterschätzender Weise auf die Sterblichkeit einer Gesellschaft aus.

Diverse Sterbetafeln zeigen, dass die Lebenserwartung Neugeborener heute (2021) durchschnittlich rund 81 Jahre beträgt – wobei jene der Mädchen wenige Jahre über der von Jungs liegt. Seit 1970 allein ist dies eine Zunahme von rund zehn Jahren. Außerdem lässt sich jetzt schon absehen, dass die Bevölkerung in Zukunft rapide immer älter wird. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Anteil aller über 60-Jährigen an der gesamten Bevölkerung noch etwa nur acht Prozent betrug, geht man davon aus, dass es 2050 schon mehr als dreißig Prozent sein werden.

Die Migration

Auch räumliche Bevölkerungsveränderungen durch Migration, also durch Zu- und Abwanderungen, beeinflussen das Wachstum einer Gesellschaft oder eines Landes. Die Migration hat, im Gegensatz etwa zur demografischen Alterung, eine lange Geschichte und beeinflusst auch Deutschland selbstverständlich schon immer.

Grundsätzlich ist zu beobachten, dass sowohl der Anteil der Deutschen mit Migrationshintergrund als auch der der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung eher zunimmt. Während die Anzahl der Deutschen mit Migrationshintergrund 2005 etwa noch knapp 8 Millionen betrug, lag sie 2019 schon bei etwa 11 Millionen.

Die Integration der neu Zugewanderten und noch Zuwandernden ist eine große Herausforderung des demografischen Wandels für Deutschland. Mit Bildungsförderung, der doppelten Staatsbürgerschaft und Maßnahmen für einen Zugang zum Arbeitsmarkt versucht man ihr seit Jahren gerecht zu werden. Um die Unterbringung, Versorgung und Integration von Neuankömmlingen zu unterstützen sind zudem in etlichen Städten und Gemeinden ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aktiv.Menschen mit Migrationshintergrund sind in Deutschland durchschnittlich jünger als die Gesamtbevölkerung. Das hängt auch damit zusammen, dass mehr junge Menschen die Flucht aus Krisen- und Kriegsregionen wagen und es als Schutzsuchende in Länder wie Deutschland schaffen. Doch auch aus diversen EU-Staaten, die unter der Wirtschafts- und Währungskrise seit 2010 stärker zu leiden haben als etwa Deutschland, wandern zunehmend mehr Menschen ein. Europa ist somit auch die wichtigste Herkunftsregion der Menschen mit Migrationshintergrund. Die Zahl derjenigen mit Wurzeln im Nahen und Mittleren Osten nimmt allerdings rasch zu.

Die Integration ist schon seit Langem eine Herausforderung, die zumindest in Teilen gut angegangen wird. Der demografische Wandel bringt allerdings noch eine Reihe weiterer Herausforderungen für Deutschland mit sich, die in naher Zukunft noch viel stärker spürbar werden.

Die größten Herausforderungen

Armutsgefährdung der Älteren

In Deutschland gilt als armutsgefährdet, wer inklusive staatlicher Transferleistungen über weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Betrachtet man sich Statistiken, fällt eindeutig auf, dass die Armutsgefährdungsquote von Senioren in Deutschland von 2005 bis 2019 drastischer gestiegen ist als die der gesamten Bevölkerung. Während insgesamt im Jahr 2005 noch „nur“ 14,7 Prozent der Menschen armutsgefährdet und es 2019 „nur“ 1,2 Prozent mehr waren, sieht die Zahl bei den Senioren mit einem Anstieg von 11 Prozent auf 15,7 Prozent schon erschreckender aus.

Das große Problem ist, dass das Rentenniveau durch die demografische Entwicklung und rentenrechtliche Veränderungen kontinuierlich sinkt. Zugleich aber wirkt die zum Ausgleich geschaffene private Altersvorsorge nicht flächendeckend. Kommt es auf Seiten der Politik nicht zu mehr Einsatz und zahlen Arbeitgeber nicht höhere Löhne, muss der durchschnittliche Arbeitnehmer so früh wie möglich selbst aktiv werden.

Neben derlei privat getroffenen Maßnahmen muss die Politik vor allem einem Problem ins Auge schauen: Das Durchschnittseinkommen der Personen ab 65 Jahren muss stärker steigen, um nicht hinter jenem Gesamtbevölkerung zurückzubleiben. Andernfalls ist bei derlei unterdurchschnittlichen Einkommenspositionen bei Renteneintritt zukünftig verstärkt und dauerhaft mit zunehmender Altersarmut zu rechnen.Es geht dann darum, nicht nur privat Geld fürs Alter neben der Rente zurückzulegen, sondern etwa auch an die Familie zu denken. Damit Hinterbliebene – gerade auch Partner oder Partnerin – beispielsweise nach dem eigenen Ableben keine hohen Kosten für die Bestattung zu tragen haben, kann sich etwa der Abschluss einer Sterbegeldversicherung lohnen. Dabei handelt es sich um eine lebenslang laufende Versicherung auf den Todesfall mit einer Versicherungssumme meist zwischen 1.500 Euro und 15.000 Euro. Wer eine solche Versicherung abschließen möchte, sollte sich im Vorfeld gut informieren, um individuell passende Leistungen zu sichern.

Mehr Pflegebedürftige

Die Alterung der Gesellschaft führt auch dazu, dass immer mehr Deutsche von Pflegebedürftigkeit betroffen sind. Innerhalb von zwanzig Jahren hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland verdoppelt. Waren es 1999 noch 2,02 Millionen so zählte man im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes 2019 schon 4,13 Millionen Menschen zu den Pflegebedürftigen.

Da zunächst kein Ende Alterung der Gesellschaft abzusehen ist, erwarten Prognosen auch für die kommenden Jahre weiterhin eine Zunahme der Pflegebedürftigen. Rund 80 Prozent aller Pflegebedürftigen werden im eigenen häuslichen Umfeld betreut. Der Anteil all jener, die in Heimen betreut werden, geht kontinuierlich zurück. Was zunächst positiv klingen mag – mehr junge Menschen oder Partner/innen scheinen in der Lage und bereit zu sein, sich um ihre Verwandten zu kümmern, ist nicht unproblematisch. Denn Heime werden immer mehr zum Wohnort von hochgradig Pflegebedürftigen – also solchen, die auf professionelle Hilfe angewiesen sind. Die Attraktivität der Heime für eher „leichte“ Pflegefälle wird damit sinken. Das belastet mitunter Familien, die sich gezwungen fühlen, die Pflege selbst in die Hand zu nehmen, eigentlich aber nicht über die notwendigen Mittel, die Erfahrung und die Zeit verfügen.

Bei der derzeitigen bereits erläuterten demografischen Entwicklung werden in naher Zukunft auch vermehrt Migrantinnen und Migranten von Pflegebedürftigkeit im Alter betroffen sein. Mit einer Abnahme der Zahl an Erwerbspersonen stellt sich die Frage nach adäquater Versorgung auch dieser Pflegebedürftigen. Hinzu kommt hier die Herausforderung, die Menschen mit Migrationshintergrund entsprechend ihrer Herkunft anders oder besser gesagt, auf kulturelle Besonderheiten hin sensibilisiert zu behandeln. Menschen mit Migrationshintergrund in der Pflege könnten Personalengpässe schließen und diese interkulturelle Sensibilität im Gesundheits- und Pflegewesen ankurbeln.

Höhere Gefahr der Einsamkeit im Alter für Frauen

Dass der demografische Wandel auch mit einem Problem einhergeht, dass die psychische Gesundheit vieler Deutscher betrifft, wird oft unter den Tisch gekehrt oder schlichtweg vergessen. Ein Problem jedoch ist eng verzahnt mit dem Problem der älter werdenden Gesellschaft und bildet einen gesonderten Teil davon. So ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur die Zahl der 65-Jährigen und Älteren stark angestiegen. Auch bei der Geschlechterverteilung lässt sich nach wie vor ein Missverhältnis feststellen.

Denn der Anteil der Frauen unter den Ältesten liegt über dem der Männer. Bei den Menschen ab 65 Jahren hat sich dieses Problem leicht gebessert. Waren es 1991 noch 7,9 Millionen Frauen gegenüber 4,1 Millionen Männer waren es 2019 „nur noch“ 10,2 Millionen Frauen gegenüber 7,9 Millionen Männern.

Mehr alleinstehende ältere Frauen haben potenziell mehr Bedarf an professioneller und dabei mitunter eben auch psychologischer Hilfe. Denn wie auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hervorhebt, ist Einsamkeit im Alter ein ernstzunehmendes Problem. Angesprochene Hilfe aber muss erst einmal gegeben sein – sind doch viele psychologische Praxen sowieso schon ausgelastet.Problematisch wird es aber bei den 85-jährigen und älteren Frauen. Sie machten 2019 noch 68 Prozent der Hochbetagten aus. Das liegt ganz einfach daran, dass die Lebenserwartung von Frauen einige wenige Jahre über derer der Männer liegt. Viele dieser Frauen über 85 sind vielleicht grundsätzlich noch körperlich und geistig fit und mitunter Jahre davon entfernt pflegebedürftig zu werden. Dennoch kann es sein, dass das Alleinsein ihnen psychisch stark zusetzt.

Hinzu kommt, dass gesellschaftlich isolierte Menschen oft auch gar nicht so leicht zu erreichen sind, wenn sie sich selbst mit ihren Sorgen nicht zu Wort melden. Hier bedarf es diverser kreativer Zugänge, um Netzwerke zu stärken und die Sensibilisierung für schwer zu erreichende Gruppen zu fördern. Es wird zukünftig auch mehr Modellprojekte für die gesellschaftliche Teilhabe Älterer geben und einen stärkeren Einsatz für Mehrgenerationenhäuser seitens der Politik geben müssen.

Wachsende Großstädte, schrumpfende Landbevölkerung

Im Jahr 2015 gab es das höchste Bevölkerungswachstum seit 1992. Allerdings lag das nicht an der Geburtenrate – diese nämlich ist, wie bereits erwähnt, historisch niedrig. Grund für das starke Wachstum war einzig und allein die Zuwanderung aus dem Ausland. Ein Problem, das hiermit einhergeht: In der Regel zieht es Zuwandernde in Großstädte. Das führt zu einer ungleichen Verteilung stark wachsender Metropolen und schrumpfender Klein- und Mittelstädte.

Daneben wird es genauso wichtig sein, schrumpfende Städte wieder attraktiver zu machen. Das bedeutet: Die Wirtschaft zu fördern, um den Zuzug von Bewohnern zu erhöhen. Dabei spielen vor allem auch eine Verbesserung der digitalen und sozialen Infrastruktur, aber auch kulturelle Angebote, bessere Verkehrsanbindungen und integrative Maßnahmen eine entscheidende Rolle.Das Problem urbaner Schrumpfung ist kein Neues. Dennoch stehen Städte, die mit diesem Problem vorher nie zu kämpfen hatten, vermehrt vor der Aufgabe, sich auf strategisch ausgerichtete Planungsprozesse einzulassen. Bund und Staat unterstützen sie nur dann, wenn „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte“ vorliegen. Solche Konzepte entstehen nicht über Nacht und müssen immer wieder verbessert und an sich verändernde Umstände angepasst werden.

Besonders drastisch ist der Rückgang der Bevölkerung auf dem Land. Der Anteil der Bevölkerung, der auf dem Land lebt, hatte 2020 den niedrigsten Stand seit 1871 erreicht. Vor allem junge Menschen meiden das Land heute und ziehen eher in Mittel- und Großstädte. Auch hier besteht also Stärkungsbedarf des ländlichen Raums. Gerade an Hochschulen auf dem Land mangelt es bislang stark. Entsprechende Konzepte und Baumaßnahmen kosten aber nicht wenig Geld und bedürfen oftmals ebenfalls jahrelanger Planung.

Mehr Bedarf an Umweltschutz

Der Wandel der Bevölkerungsstruktur in Deutschland wird sich auch auf die Umwelt und auf den Bedarf an Naturschutz auswirken – und das nicht nur auf dem Land, sondern genauso auch in Städten. Allerdings lässt sich der Einfluss des demografischen Wandels auf die Natur nur selten auf einzelne Veränderungen zurückführen.

Auf dem Land wiederum bieten sich vor allem dort Möglichkeiten, den Umweltschutz voranzutreiben, wo etwa alte Industrie- und Wohnanlagen nicht mehr gebraucht werden. Hier können neue Flächen geschaffen werden, auf denen sich die Natur erholen und neu entwickeln kann.Fest steht aber, dass mit einer Zunahme von Einwohnerzahlen in Städten auch ein erhöhter Bedarf an integrierter Naturfläche besteht. Der Erhalt und die Schaffung von Grünflächen wie Parks, Spielplätzen oder botanischen Gärten steigert dabei nicht nur die Lebensqualität der Stadtbevölkerung. Vielmehr kann durch mehr Grünfläche auch eine Reduktion von Lärm und Schadstoffen erfolgen. Nicht zuletzt lernen in Städten aufwachsende Kinder in der Natur am besten auch Dinge über die Natur, die sie später wieder etwa zum Schutz der Umwelt anwenden können. Projekte, wie die „Gartenarbeitsschule“ in Berlin, bei welcher die Teilnehmer aus verschiedenen sozialen Schichten und Generationen Gartenarbeit nähergebracht bekommen, sind Beispiele für kreative Maßnahmen.

Neue und kostspielige bildungspolitische Aufgaben

Auch das deutsche Bildungssystem wird in den kommenden Jahren stärker vom demografischen Wandel beeinflusst werden. Das liegt vor allem an der sinkenden Bevölkerungszahl, die in direkter Weise den Bedarf an Bildungseinrichtungen und das Personal vor neue Herausforderungen stellt. Wie bereits erläutert, ist vor allem in ländlichen Regionen mit einer starken Abwanderungsrate zu rechnen. Anpassungen der regionalen Angebote an Bildungseinrichtungen werden kaum aufzuhalten sein. Gleichzeitig muss man sich aber mit dem ebenfalls bereits genannten Problem auseinandersetzen, wie bei einer Verkleinerung der Bildungsangebote aufgrund weniger Bedarf dennoch die Attraktivität des ländlichen Raums auch im Sektor Bildung erhalten bleibt.

Denn, obwohl viele Kinder von Zugewanderten zwar sogar in Deutschland geboren sind und die deutsche Staatsangehörigkeit haben, wird in der Familie nicht selten noch rein in der Herkunftssprache der Eltern kommuniziert. Wenn mit dem Beginn der Schulzeit keine grundlegenden Deutschkenntnisse vorhanden sind, können diese Kinder den Anforderungen bereits des schulischen Lernens in der Vor- und Grundschule nicht gerecht werden. Die frühkindliche und schulische Bildung wird sich zukünftig dieser Herausforderung in deutlich stärkerem Maße stellen müssen.In größeren Städten wiederum ist damit zu rechnen, dass die Zahlen an Kita-Kindern, Schülern, Auszubildenden und Studierenden weiter rapide ansteigen wird. Vor allem hier muss man sich nicht nur mit ebenfalls einer Anpassung der Bildungsangebote hinsichtlich der Quantität, sondern auch deren Qualität beschäftigen. Die Zuwanderung der Menschen aus dem Ausland etwa stellt das Bildungssystem vor neue Herausforderungen.

Zitat

81 Millionen fehlen im Staatshaushalt, aber die Kaufkraft wächst

 

Berlin. Im zweiten Quartal steigt das Bruttoinlandsprodukt um 1,6 Prozent. Gleichzeitig hinterlassen die Corona-Maßnahmen eine große Lücke im Haushalt von Bund, Länder und Kommunen. Altmaier zeigt sich aber optimistisch.

Die Kauffreude der Verbraucher nach dem Corona-Lockdown hat der deutschen Wirtschaft im Frühjahr zu Wachstum verholfen. Das Bruttoinlandsprodukt stieg zwischen April und Juni um 1,6 Prozent zum Vorquartal und damit einen Tick mehr als bisher gedacht, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Ende Juli hatten die Statistiker noch ein Plus von 1,5 Prozent gemeldet. Für Schwung sorgten vor allem die privaten Haushalte, die 3,2 Prozent mehr ausgaben als zuletzt. Der Staatskonsum kletterte um 1,8 Prozent. Der Außenhandel allerdings bremste die Wirtschaft, weil die Exporte mit 0,5 Prozent schwächer zulegten als die Importe mit 2,1 Prozent. "Der Aufschwung hat Tritt gefasst", twitterte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. "In 2021 & 2022 wächst unsere Wirtschaft kräftig."

Damit konnte sich die Konjunktur aus dem Corona-Tief befreien, denn Anfang 2021 war die Wirtschaft noch um 2,0 Prozent geschrumpft. Während vor allem die Dienstleister nach den monatelangen Einschränkungen wegen der Pandemie Morgenluft schnuppern, könnte es bei den Industriebetrieben trotz guter Aufträge oft noch besser laufen. Denn vielen Firmen machen die Lieferengpässe und steigenden Kosten bei wichtigen Vormaterialien zu schaffen.

Die Wirtschaftsleistung lag trotz Aufholjagd noch unter dem Vorkrisenniveau - also um 3,3 unter dem Wert von Ende 2019. Die Bundesbank geht davon aus, dass die Wirtschaft im laufenden Sommerquartal nochmals stärker wachsen dürfte als im Frühjahr. Es bleibe abzuwarten, ob die Wirtschaft ihr Vorkrisenniveau bereits im Sommer wieder erreicht oder erst im Herbst. Als Risiken für die Konjunktur sehen die Bundesbank-Experten die Delta-Variante und eine nachlassende Dynamik beim Impfen, die wieder zu schärferen Eindämmungsschritten führen könnten. "Wir gehen nach wie vor davon aus, dass die deutsche Wirtschaft noch vor Jahresende das Vorkrisenniveau erreichen wird", betonte ING-Ökonom Carsten Brzeski. "Um dies wirklich zu erreichen, dürfen die derzeitigen Verwerfungen in der Lieferkette jedoch nicht zu lange andauern.

Derweil haben die Maßnahmen gegen die Corona-Krise im ersten Halbjahr ein riesiges Loch im deutschen Staatshaushalt hinterlassen. Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherung gaben bis Ende Juni zusammen 80,9 Milliarden Euro mehr aus als sie einnahmen, wie das Statistikamt zudem mitteilte. Das Defizit entspreche 4,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und sei das zweithöchste in einer ersten Jahreshälfte seit der deutschen Vereinigung.

 

Zitat

Eine Elterngeldreform, die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und neue Corona-Maßnahmen - diese Neuerungen kommen im September auf die deutsche Bevölkerung zu.

Elterngeldreform

Ab dem 1. September 2021 gelten in Deutschland dank der Elterngeldreform neue Regelungen. Besonders für Eltern, die neben dem Elterngeld in Teilzeit arbeiten, enthält das Gesetz zahlreiche Verbesserungen. Die zulässige Arbeitszeit während des Elterngeldbezugs und der Elternzeit wird von 30 auf 32 Wochenstunden angehoben. Auch der Partnerschaftsbonus, der die parallele Teilzeit beider Eltern unterstützt, kann künftig mit 24 bis 32 Wochenstunden, statt mit bisher 25 bis 30 Wochenstunden, bezogen werden. Der Partnerschaftsbonus wird zusätzlich künftig flexibler gestaltet. Während Eltern diesen bisher vier Monate am Stück beziehen mussten, kann er demnächst zwischen zwei und vier Monaten genommen werden, mit flexiblem Ausstieg und kurzfristiger Verlängerung. Zudem können auch Alleinerziehende den Partnerschaftsbonus beziehen.

Kurzarbeitergeld

Das Bundeskabinett beschloss in der Kabinettssitzung am 9. Juni 2021 die Verlängerung der Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld. Die "Dritte Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldverordnung" enthält gleich mehrere Regelungen. Demnach gilt der erleichterte Zugang zum KuG weiterhin bis zum 30. September 2021. Die Sonderregelungen betreffen demnach auch Betriebe, die bis zu diesem Tag Kurzarbeit neu oder nach einer Unterbrechung von mindestens drei Monaten wieder einführen. Außerdem wird die volle Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls bis zum 30. September 2021 verlängert. "Zudem wurde eine Regelung zur Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen im Insolvenzfall ergänzt, wonach grundsätzlich ab Antragstellung auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kein Anspruch mehr auf Erstattung solcher Sozialversicherungsbeiträge besteht, die später in einem Insolvenzverfahren angefochten werden können," heißt es in der Verordnung.

Neue Corona-Maßnahmen

In den letzten knapp eineinhalb Jahren war, während der Pandemie, die Inzidenz die Hauptgrundlage für die verschiedenen Corona-Maßnahmen. Doch dies soll sich nun ändern und andere Faktoren eine stärkere Rolle bei den Entscheidungen und Beschlüssen spielen. Laut einem internen Dokument des Gesundheitsministeriums mit dem Namen "Sicher durch Herbst und Winter - jetzt Vorbereitungen treffen" empfiehlt das Gesundheitsministerium für Anfang oder Mitte September 2021 eine Verschärfung der Corona-Regeln für alle Bürger. Demnach sollen künftig Restaurant- oder Friseurbesuche, sowie Hotelübernachtungen und Veranstaltungen drinnen nur mit Impf-, Genesenen-, oder Testnachweis möglich sein. Zusätzlich soll ein weiterer Lockdown verhindert werden, indem Regelungen ab noch nicht definierten Inzidenz-Höhe und Krankenhausauslastung verschärft werden. Das Ministerium rechnet auch damit, dass das Tragen einer FFP2-Maske noch bis Anfang 2022 nötig sein wird.

Gesundheitsministerkonferenz

In der kürzlich abgehaltenen Gesundheitsministerkonferenz wurde beschlossen, dass das Impfangebot nun auch für Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren erweitert werden soll. Eine Auffrischungsimpfung ab September soll zudem besonders gefährdete Gruppen schützen. Zusätzlich gibt es einen Beschluss der besagt, dass ab September 2021 in Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen der Eingliederungshilfe und weiteren Einrichtungen mit entsprechenden Gruppen eine Auffrischungsimpfung in der Regel mindestens sechs Monate nach Abschluss der ersten Impfserie angeboten wird. Patientinnen und Patienten mit Immunschwäche oder Immunsuppression sowie Pflegebedürftige und Höchstbetagte in ihrer eigenen Häuslichkeit sollen durch ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte eine Auffrischungsimpfung angeboten bekommen.

Zitat

Ihre gefährlichen Sätze

ich weiß nicht, wie es Ihnen ging – aber als gestern mein Handy mit den Eilmeldungen zu den Anschlägen in Kabul vibrierte, musste ich nach dem ersten Schrecken sofort an Angela Merkel denken. Was hat die Kanzlerin wohl gedacht, als sie von der ersten Explosion am Flughafen hörte, dann von der zweiten, von den vielen Verletzten und den vielen Toten? Von den Menschen, die sich in ein neues Leben retten wollten und die jetzt tot sind?

Was die Kanzlerin denkt, ist für Journalisten natürlich in vielen Situationen interessant, besonders in den kritischen. Aber gestern hat es mich besonders interessiert, nicht nur als Journalist. Und zwar auch aus einer seltsamen Mischung aus Wut und Mitleid heraus. Denn mir kamen sofort zwei Sätze Merkels in den Kopf, die ich schon am Mittwoch kaum vergessen konnte.

Angela Merkel hatte diese Sätze im Bundestag gesprochen, bei ihrer Regierungserklärung zu Afghanistan. Da stand sie in ihrem dunkelroten Blazer und bat die Zuhörerinnen und Zuhörer darum, ihr "eine etwas zugespitzte persönliche Bemerkung" zu gestatten. Und dann sagte Merkel sie, diese zwei fatalen Sätze: "Hinterher, im Nachhinein präzise Analysen und Bewertungen zu machen, das ist nicht wirklich kompliziert. Hinterher, im Nachhinein alles genau zu wissen und exakt vorherzusehen, das ist relativ mühelos."

Uff, dachte ich. Und das denke ich inzwischen mehr denn je.

Jetzt mögen Sie mir entgegnen: Wieso fatale Sätze? Die stimmen doch! Und ja, selbstverständlich stimmen sie. Wie könnten diese Sätze nicht stimmen? Es sind Banalitäten, die Merkel da formuliert, Sätze die immer richtig sind und nie falsch. Hinterher ist man immer schlauer! Doch die Kanzlerin versucht mit diesen Banalitäten ihre gescheiterte Politik zu rechtfertigen. Und da wird es abenteuerlich und, ja, sogar gefährlich.

Denn Merkel macht sich mit diesen Sätzen immun gegen jegliche Kritik. "Hinterher ist man immer schlauer", das gilt natürlich in seiner Banalität für jede einzelne Entscheidung, die Politikerinnen und Politiker treffen (und nicht nur die). Würde man diesen lächerlichen Maßstab an politische Entscheidungen anlegen, ließe sich jeglicher Unfug rechtfertigen, und niemand müsste jemals Verantwortung für irgendwas übernehmen.

Mehr noch, im Grunde würde es das Prinzip demokratischer Politik zunichte machen, wenn man die "Hinterher ist man immer schlauer"-Merkel wirklich zu Ende dächte. Denn wo sich Politik nicht mehr für schlechte Entscheidungen rechtfertigen muss und verantwortlich gemacht werden kann, da funktioniert unsere Demokratie nicht mehr. Denn sie basiert ja genau auf dem Prinzip, Menschen Macht auf Zeit zu gewähren, um dann kritisch zu schauen, was sie damit anstellen. Und sie, wenn sie Fehler machen, abwählen zu können.

Angela Merkels Sätze waren deshalb schon am Mittwoch unerhört. Am Donnerstag, nach den Anschlägen in Kabul, hoffe ich, dass sie Merkel selbst unangenehm sind. Und habe deshalb sogar ein wenig Mitleid. Denn wie grausam das jetzt klingt, angesichts der Toten und Verletzten: Hinterher ist man immer schlauer.

Die restlichen Sätze in Angela Merkels Regierungserklärung machten es übrigens nicht besser. Die Verantwortung für die Katastrophe teilte sie großzügig auf, nicht nur unter ihren Ministerinnen und Ministern, sondern gleich unter allen internationalen Partnern, die in Afghanistan aktiv waren. "Deutschland ist ja keinen Sonderweg gegangen", sagte sie. Stimmt, aber ist das diesmal eine gute Nachricht?

Es verdichten sich die Hinweise, dass der Bundesnachrichtendienst offenbar durchaus energischer vor der Lage in Afghanistan gewarnt hat, als die Politik das jetzt zugeben möchte. Erweist sich das als wahr, hätte die Bundesregierung in einer fraglos schwierigen Situation eben schlicht die falsche Entscheidung getroffen. Und müsste dafür die Verantwortung tragen. Angela Merkel als Kanzlerin vorneweg.

Umso bitterer ist, dass auch die Anschläge in Kabul nun eine Katastrophe mit Ansage sind. Und zwar im wahrsten Wortsinn. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte noch am Donnerstagmittag gewarnt: "Wir wissen, dass die Terrordrohungen sich massiv verschärft haben, dass sie deutlich konkreter geworden sind." Westliche Geheimdienste hatten Erkenntnisse, dass der afghanische Ableger der Terrormiliz "Islamischer Staat" Anschläge am Flughafen plane. Verhindern konnte die Attacken trotzdem niemand.

Wir wissen nicht, was Angela Merkel dachte, als sie von den Anschlägen in Kabul hörte. Aber schon bevor die Nachricht über die Ticker lief, sagte die Kanzlerin eine für das Wochenende geplante Reise nach Israel ab. Sie weiß, wie ernst es ist. In einer ersten Reaktion sprach Frau Merkel von einer "bedrückenden Nachricht" und einem "absolut niederträchtigen Anschlag". Die Bundesregierung werde "diejenigen, die nicht in Sicherheit gebracht werden konnten", nicht vergessen. Daran wird sie sich nun messen lassen müssen. Jeden Tag. Ohne gefährliche Ausflüchte.