Forum

Forum-Breadcrumbs - Du bist hier:ForumPolitik: EU - newsNews aus Deutschland

News aus Deutschland

Zitat

Debatte um Meinungsfreiheit bei "Markus Lanz"  

"So kann man nicht mit erwachsenen Menschen umgehen"

Warum können wir öffentlich nicht mehr richtig streiten und diskutieren? Dieser Frage widmete sich Markus Lanz mit seinen Talk-Gästen. Und dabei wurde es im Studio teilweise ganz schön hitzig.

Die Gäste:

  • Giovanni di Lorenzo, "Zeit"-Herausgeber
  • Emilia Roig, Politikwissenschaftlerin
  • Thea Dorn, Autorin
  • Sascha Lobo, Blogger

 

Ausgangspunkt der Sendung war eine aktuelle Allensbach-Umfrage, die ergeben hatte, dass 44 Prozent aller Deutschen der Ansicht sind, es sei besser, bei der Äußerung einer politischen Meinung vorsichtig zu sein. Das sind so viele wie noch nie seit Beginn der Umfrage im Jahr 1953.

Lanz selbst bestätigte das Bild vom debattenscheuen Deutschen: Gehe es um Themen wie Integration oder Migration, erlebe er regelmäßig, dass seine Gäste anfingen rumzudrucksen, und dass sich bei Diskussionsversuchen die Fronten verhärteten. "Ich spüre wie die Leute, die ich versuche, darauf anzusprechen, Angst davor haben, was am nächsten Tag passiert", so der Moderator.

Über ähnliche Erfahrungen berichtete auch "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. So habe vor Kurzem eine nicht näher benannte Ikone der linken Szene ein gesamtes Interview zurückgezogen, weil sie sich in diesem "leicht kritisch" über die sogenannte Cancel Culture geäußert habe. "Das überlebe nicht mal ich", sei die Begründung des Interviewten gewesen, so di Lorenzo.

Blogger Sascha Lobo verstand diese Sorge nicht wirklich. Wäre das kritische Interview veröffentlicht worden, hätte es wohl "nur Widerworte" gegeben, mutmaßte er. "Das ist verharmlosend, Sascha", widersprach di Lorenzo. Viel eher sei in solchen Fällen mit der Zerstörung der Reputation zu rechnen, so der Journalist.

Lehmann-SMS dient als Beispiel 

Im Allgemeinen sehe er es als "Verarmung" an, dass sich ein Trend entwickelt habe, Menschen wegen kontroverser Äußerungen "in eine Schublade zu packen, ohne genau hinzuschauen".

Eine schwere Delle in seinem Ruf hatte sich jüngst beispielsweise Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann zugezogen: In einer SMS hatte der sich rassistisch über Fußballer Dennis Aogo geäußert, in der Folge trennten sich zahlreiche Geschäftspartner von Lehmann.

"Das ist zu hart", so di Lorenzos Meinung angesichts der drastischen Konsequenzen. Lehmanns Äußerung sei ein Fehler gewesen, "aber man muss auch zugestehen, dass man sich rehabilitiert", sagte der Journalist. "Mir sind auch schon Dinge rausgerutscht, dafür schäme ich mich", gab di Lorenzo offen zu.

Autorin Thea Dorn war ebenfalls der Meinung, im Fall Lehmann habe es eine "Überreaktion" gegeben. "So kann man nicht mit erwachsenen Menschen umgehen", sagte die Autorin. Eine andere Auffassung vertrat Lobo. Er sehe Lehmann nicht als Opfer in der ganzen Diskussion, stellte er klar. Tatsächlich brauche es manchmal Widerspruch, damit sich ein Lerneffekt einstelle, begründete Lobo.

"Wie entwickeln wir eine andere Art zu diskutieren?"

Dass Lehmann aus seinem Fehler gelernt habe, sei nach dem Vorfall in seinem Interview mit der "Zeit" erkennbar gewesen, so Lobo. Wenn man zu dem Sportler jedoch nur gesagt hätte "nicht nochmal", hätte sich ein Lerneffekt vielleicht nicht derart eingestellt, führte er aus.

Zustimmung erhielt Lobo von Politikwissenschaftlerin Emilia Roig. Die Gesellschaft lerne durch den Fall Lehmann, befand sie außerdem.

Aus der Sendung etwas lernen, das wollte Lanz: Zum Ende startete er deswegen den Versuch, herauszufinden, wie sich die Debattenkultur in Deutschland verbessern lässt. "Wie entwickeln wir eine andere Art zu diskutieren?", so seine Frage.

Man dürfe sich "nicht entmutigen lassen" und müsse einfach weiter machen, so Thea Dorns Antwort. Und das, ohne ein "Polarisierungsspiel" mitzuspielen. Auch wenn das manchmal ganz schön weh tun könne

 

Zitat

Nach der Wahl in Sachsen-Anhalt  

Haseloff will nicht mit den Grünen weiterregieren

Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt kann sich die CDU von Ministerpräsident Haseloff aussuchen, mit wem sie regieren will. Mit den Grünen soll es nicht weitergehen. Haseloff äußert sich, warum das so ist.

Gut einen Monat nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt will der Wahlsieger CDU mit SPD und FDP über die Bildung einer Koalition verhandeln. Das gaben die Landesvorsitzenden der drei Parteien nach mehreren vertraulichen Sondierungsrunden in Magdeburg bekannt. Es gebe eine gute Basis für ein derartiges Bündnis, sagte der CDU-Landesvorsitzende Sven Schulze.

Die gemeinsame Empfehlung der Sondierungskommissionen der drei Parteien muss allerdings noch in den Spitzengremien sowie im Fall der SPD auch von einem Parteitag gebilligt werden. Bislang regierte die CDU unter ihrem Ministerpräsident Reiner Haseloff in einer Dreierkoalition gemeinsam mit SPD und Grünen.

CDU kann sich Koalitionspartner aussuchen

Bei der Landtagswahl am 6. Juni wurden die Christdemokraten mit erheblichem Abstand vor der AfD stärkste Kraft. Im Landtag sind außerdem Linke, SPD, Grüne und nach zehn Jahren Unterbrechung auch wieder die FDP vertreten. Möglich wären neben einer Fortsetzung der bisherigen Kenia-Koalition im neuen Landtag Bündnisse der CDU mit FDP und SPD oder mit FDP und Grünen. Auch eine schwarz-rote Koalition hätte eine Mehrheit von einer Stimme.

Lediglich eine Zusammenarbeit mit AfD oder Linken hatte die CDU von vornherein ausgeschlossen. Dementsprechend führte die Partei in den vergangenen Wochen Sondierungsgespräche mit Grünen, SPD und FDP. Sämtliche Treffen hätten dabei in einem "sehr angenehmen Gesprächsklima" stattgefunden, sagte Schulze. Ausdrücklich gelte das auch für die Gespräche mit dem bisherigen Koalitionspartner Grüne. Bei einer abschließenden Bewertung habe die CDU allerdings festgestellt, dass die Möglichkeiten mit SPD und FDP besser seien.

 

Zitat

Deutsch-russische Pipeline  

Nord Stream 2: USA stehen kurz vor Einigung mit Deutschland

Die fast fertige Gaspipeline Nord Stream 2 löst international Unmut aus. US-Präsident Biden hat sich gegen das Projekt positioniert. Offenbar gibt es nun aber eine Einigung. Es wird über einen Vier-Punkte-Plan berichtet.

Im Streit um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 stehen die USA nach eigenen Angaben kurz vor einer Einigung mit Deutschland. "Wir haben noch keine endgültigen Details zu verkünden, aber ich denke, ich kann bald mehr sagen", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums Ned Price am Dienstag. "Die Deutschen haben nützliche Vorschläge gemacht", sagte er mit Blick auf den Besuch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei US-Präsident Joe Biden in der vergangene Woche im Weißen Haus.

Man sei dem gemeinsamen Ziel näher gekommen, "Russland daran zu hindern, Energieströme als Waffe einzusetzen", sagte Price. Merkel hatte bei ihrem Besuch in Washington Differenzen mit Präsident Biden eingeräumt. Beide waren sich aber einig, dass die Ukraine ein Transitland für russisches Erdgas bleiben müsse – auch nach der Inbetriebnahme von Nord Stream 2. Das "Wall Street Journal" berichtete, eine Einigung solle bis Mittwoch verkündet werden. Es handele sich dabei um einen Vier-Punkte-Plan.

Nord Stream 2 soll russisches Erdgas nach Deutschland transportieren. Die inzwischen fast fertiggestellte Pipeline sorgt bereits seit Jahren für Spannungen sowohl innerhalb Europas als auch zwischen Berlin und Washington. Biden steht dem Projekt äußerst kritisch gegenüber.

US-Zeitung berichtet über konkrete Details

Laut des Berichts des "Wall Street Journal" sieht die Einigung, bei der die USA ihre Opposition zu dem Projekt aufgäben, unter anderem eine Investition von 50 Millionen Dollar aus den USA und Deutschland in grüne Technologien wie erneuerbare Energien der Ukraine vor. Deutschland solle sich zudem für weitere Gespräche der "Drei-Meere-Initiative" einsetzen, ein Bündnis zwischen zwölf mittel- und osteuropäischen Staaten.

Da Russland die Ukraine mit der neuen Pipeline beim Gastransport umgehen kann, setze die Einigung zudem voraus, dass das Land dennoch weiterhin jährliche Gebühren in Höhe von etwa drei Millionen Dollar aus Moskau bekommt. Die Gebühren für den Gastransport sind bislang nur bis 2024 garantiert. Auch behalte sich Washington vor, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen, sollte es die Pipeline als Druckmittel nutzen.

Der Grund für den Plan ist, dass die USA eine stärkere Abhängigkeit Europas von russischem Gas befürchten – und wirtschaftlichen Schaden für die traditionellen Transitländer für russisches Gas, allen voran für die Ukraine. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte der Ukraine bereits Mitte Juli Unterstützung zugesagt, damit das Land Transitland für russisches Gas nach Westen bleibt.

 

Zitat

Zuerst die Pandemie, jetzt das Hochwasser. Innerhalb kürzester Zeit ist den Bundesbürgern bitter bewusst geworden, wie unzureichend die deutschen Institutionen auf Krisen vorbereitet sind. Auf ökonomischem Gebiet hatten sich bereits in den Jahren zuvor die Warnzeichen gehäuft. So war die deutsche Industrie schon 2019 in die Rezession gerutscht, noch vor dem Ausbruch von Covid.

Der Lockdown hat Deutschland viel Zukunftsfähigkeit gekostet Quelle: Infografik WELT© Infografik WELT Der Lockdown hat Deutschland viel Zukunftsfähigkeit gekostet Quelle: Infografik WELTDie Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ist jetzt mit einem Gutachten an die Öffentlichkeit gegangen, das zahlreiche strukturelle Defizite in der Krisenreaktion aufdeckt und auflistet und Verbesserungsvorschläge macht. „Ökonomische Konsequenzen der Coronavirus-Pandemie. Diagnosen und Handlungsoptionen“ heißt die Stellungnahme der Institution, zu der zehn namhafte Wissenschaftler mitgearbeitet haben.

Tenor: Der Lockdown hat Deutschland zwar einerseits einen Modernisierungsschub beschert, gewissermaßen eine Digitalisierung aus der Not heraus. Zugleich drohen ökonomisch langfristige Folgeschäden, die unadressiert zu einem Wohlstands-Knick führen könnten.

Ähnlich wie eine Infektion mit dem Coronavirus gesundheitliche Beeinträchtigungen von unbekannter Dauer nach sich ziehen kann, könnte die Wirtschaft künftig an einem Long-Covid-Syndrom leiden. Die Themengebiete, zu denen sich die Experten in der Stellungnahme äußern, sind vielfältig: Sie reichen von der Fiskal-, über die Wettbewerbspolitik bis hin zur Bildungspolitik.

Gerade der monatelange Ausfall von regulärem Schulunterricht könnte sich als schwere Hypothek erweisen. In der Wissensökonomie des 21. Jahrhunderts übersetzt sich mangelndes Wissen schnell in weniger Produktivität und Innovation und damit in weniger Wohlstand.

Quelle: Infografik WELT© Infografik WELT Quelle: Infografik WELTDie Millionen ausgefallener Schulstunde der Lockdown-Ära können schwer wieder aufgeholt werden. Darunter leiden vor allem Kinder aus bildungsfernen Haushalten, deren Einkommenschancen sich dadurch für den Rest ihres Lebens verschlechtern. „Eine Erhebung unter mehr als 1000 Eltern von Schulkindern (...) ergab, dass 57 Prozent der Schülerinnen und Schüler im ersten Lockdown seltener als einmal pro Woche gemeinsamen Online-Unterricht hatte, nur bei sechs Prozent war dies täglich der Fall“, heißt es in der Leopoldina-Stellungnahme.

Selbst während der zweiten Schulschließungen Anfang 2021 habe nur ein Viertel der Schülerinnen und Schüler täglich gemeinsamen Online-Unterricht gehabt, 39 Prozent maximal einmal pro Woche. Als eine Maßnahme fordern die Experten, zu denen der Bildungsforscher Ludger Wößmann von der Universität München gehört, bei künftigen Schulschließungen „täglich verpflichtenden Online-Unterricht per Videokonferenz für alle Schülerinnen und Schüler“.

Für die Motivation der Kinder und Jugendlichen sei es zudem wichtig, die üblichen Test- und Prüfungsverfahren auch im Distanzunterricht weiterzuführen. Gerade letzteres war während der Quarantäne häufig unter den Tisch gefallen.

Die Chancengerechtigkeit habe sich als Folge von Corona verschlechtert, diagnostizieren die Wissenschaftler und reden von langfristig hohen wirtschaftlichen Kosten: Wenn nicht gegengesteuert wird, muss bei Lernverlusten, die einem Drittel eines Schuljahres entsprechen, im Berufsleben im Durchschnitt mit rund drei Prozent geringeren Erwerbseinkommen gerechnet werden“, heißt es in der Stellungnahme. Zudem sei zu befürchten, dass sich fehlende Chancengleichheit negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirkt.

Eine zweite Sorge, die die Experten umtreibt, dreht sich darum, dass Deutschland bei Zukunftsinvestitionen noch weiter zurückfällt. „Die deutsche Volkswirtschaft weist seit mehreren Jahrzehnten im Trend sinkende Produktivitätszuwächse auf“, heißt es in dem Papier der Leopoldina. Die Notwendigkeiten der Klimapolitik und die Alterung der Gesellschaft könnten das Problem verschärfen. Die Aussichten, die Herausforderungen der Zukunft ohne Einbußen beim Prosperitätswachstum zu bewältigen, seien schon vor der momentanen Krise gedämpft gewesen.

Liquiditätsreserven aufgebraucht

Die Pandemie könnte die Bundesrepublik noch einmal zurückwerfen. „Während hierzulande Fähigkeiten und Sozialkapital brachlagen und zum Teil entwertet wurden, sodass bei Bildung und beruflichen Netzwerken erst einmal Wiederaufbau und Aufholprozesse in Gang gesetzt werden müssen, konnten Anbieter aus anderen Wirtschaftsregionen, insbesondere Asien aber auch weiteren europäischen Ländern, ihre Wettbewerbsposition vermutlich weiter verbessern“, bringen es die Forscher auf den Punkt. Als Folge von Corona und Lockdown fehlt es vielen Unternehmen an ausreichenden Ressourcen für Investitionen. Liquiditätsreserven seien aufgebraucht und die Verschuldung gestiegen.

Damit Deutschland nicht weiter zurückfällt, legen die Forscher der Politik nahe, steuerliche Anreize für Investitionen und Innovationen zu schaffen. Eine Verbesserung der Verlustverrechnung und eine vorübergehende Aussetzung der Mindestbesteuerung könnten dazu beitragen, Liquidität zu erzeugen und Unternehmen nach der Krise schnell zu entschulden.

„Ein weiterer Weg, um zielgenau Strukturinvestitionen zu stimulieren, liegt in der Festlegung erweiterter steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten für Güter des Anlagevermögens. Evidenz zeigt, dass Firmen hierüber ihre Kapitalinvestitionen und Beschäftigung signifikant ausweiten“, ist in der Stellungnahmen zu lesen. Da mittlere und kleinere Firmen hier besonders stark reagieren, könnte so sogar Tendenzen zur Marktkonzentration entgegengewirkt werden.

„Das Instrument begünstigt zudem nur solche Firmen, die tatsächlich investieren. Es hilft vor allem Unternehmen, die von der Corona-Krise negativ getroffen wurden, kaum über Liquidität verfügen und wegen gestiegener Verschuldungsquoten neue Investitionsprojekte nur schwer oder teuer extern finanzieren können.“ Für den Staat sei diese Maßnahme im aktuellen Niedrigzinsumfeld darüber hinaus kostengünstig. Es würden lediglich Steuerzahlungen in die Zukunft verschoben.

Die Experten lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass auch strukturelle Reformen notwendig sind. Teilweise hätten die verschiedenen Institutionen schlecht miteinander interagiert. Das gelte sowohl für die verschiedenen Stellen und Behörden innerhalb Deutschlands als auch auf europäischer Ebene. „Mit Blick auf staatliche Institutionen und Maßnahmen zu klären, ob und wie national die Befähigung zum strategischen Agieren gestärkt werden und wie sie zugleich in eine europäische Strategie eingebunden werden kann“, formulieren die Forscher.

Damit es nicht an Geld für diese Modernisierung mangelt, raten die Experten von einer allzu rigiden Finanzpolitik ab. Für Deutschland bringen sie eine Ergänzung der Schuldenbremse durch eine neue Version der „Goldenen Regel“ ins Spiel, die es dem Staat erlauben würde, Investitionen zu tätigen, ohne dass die Ausgaben dafür auf das verfassungsrechtlich begrenzte Defizit angerechnet werden.

Allerdings betont der Finanzwissenschaftler Eckhard Janeba von der Universität Mannheim, der an der Stellungnahme mitgewirkt hat, dass es sehr genau zu überlegen sei, was als Investition in die Zukunft zu verstehen ist. Auch dürfte die Definition solcher Investitionen aus Glaubwürdigkeitsgründen nicht ständig modifiziert werden. Eine gut ausgestaltete europäische Arbeitslosenversicherung könne helfen, ökonomische Schocks innerhalb der Europäischen Union abzufedern.

Auch verstärkte Ungleichheit als Folge der Pandemie wird als Problem identifiziert. Pauschal höhere Steuern seien aber nicht die Lösung: „Steueranpassungen, die am Einkommen oder Vermögen anknüpfen, schaffen keinen zielgenauen Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern der Krise.“

Selbst die Wahl einer Steuerbasis, die Einkommensänderungen zwischen 2019 und den Krisenjahren berücksichtigt, löse dieses Problem allenfalls unvollkommen, da die Einkommen im Zeitablauf nicht nur krisenbedingt schwanken und viele nicht-pekuniäre Zusatzbelastungen nicht mit Einkommensänderungen korrelieren.

Die Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip führe generell dazu, dass Haushalte mit höheren Einkommen stärker zur Finanzierung der coronabedingten Lasten beitragen als Haushalte mit niedrigeren Einkommen. Einen Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern der Krise schaffe das aber nicht.

Zitat

Kein Argument war geeignet, die Anwürfe der AfD zu parieren

 

Als Kanzleramtsminister Helge Braun die ersten Sätze zur Verteidigung seiner Chefin, also von Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU), vorgetragen hatte, war auf den Gesichtern der Kläger ein triumphierendes Lächeln zu sehen. Die AfD-Chefs Tino Chrupalla und Jörg Meuthen verfolgten die Ausführungen Brauns vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe offensichtlich mit großer Genugtuung.

Konnte es wirklich sein, dass sich Braun da gerade um Kopf und Kragen redete? Ja, dass er Kopf und Kragen Merkels riskierte? Selbst die anwesenden Richter wirkten überrascht darüber, wie Braun versuchte, die Argumente der Gegenseite zu entkräften – indem er sie sogar verstärkte.

Am Mittwoch ging es in Karlsruhe um etwas sehr Grundsätzliches. Um die Demokratie, wie die AfD argumentiert. Darum, wie politisch eine Kanzlerin oder ein Kanzler künftig noch reden kann, wie die Vertreter der Bundesregierung argumentieren. Merkel wird von der AfD vorgeworfen, dass sie mit dem, was sie am 6. Februar 2020 bei einem Staatsbesuch in Südafrika über die am Tag zuvor erfolgte Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen sagte, ihre Neutralitätspflicht als Amtsträgerin, also als Kanzlerin aller Bürger, verletzt hatte.

Die Wahl Kemmerichs war mutmaßlich mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD erfolgt. Merkel sprach von einem „unverzeihlichen Vorgang“, von einer „Entscheidung, die rückgängig gemacht“ werden müsse. Und davon, dass mithilfe der AfD keine Mehrheiten für die CDU gewonnen werden sollten.

„Nach Auffassung der Antragstellerin haben die Antragsgegner die ihnen obliegende Pflicht zur Neutralität im politischen Meinungskampf und damit das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit der politischen Parteien verletzt, weil sie durch die Äußerung und deren Veröffentlichungen in unzulässiger Weise Amtsautorität beziehungsweise staatliche Ressourcen für eine negative Qualifizierung der Antragstellerin in Anspruch genommen hätten“, trug die Vizepräsidentin des Gerichts, Doris König, vor.

AfD hält die Richter für befangen

Bevor das Gericht aber überhaupt in die mündliche Verhandlung einsteigen konnte, musste es erst noch eine Entscheidung fällen. Die AfD wollte die Richter für befangen erklären lassen, weil diese Ende Juni zu einem Abendessen im Kanzleramt waren. Die Richter verwarfen dies und begründeten es damit, dass bei der Gelegenheit über das anstehende Verfahren kein Wort gefallen sei und die Verfassung ja auch eine Pflicht der Staatsorgane vorsehe, sich auszutauschen.

Wenn ein solches Essen schon zur Befangenheit führen würde, so die Richter, dann wäre jeder Austausch unmöglich, schließlich verhandele das Gericht ständig über Gesetze, die die Bundesregierung und mithin die Kanzlerin angingen.

Was das eigentliche Anliegen der AfD betrifft, waren die Richter allerdings weit weniger deutlich in ihrer Ablehnung. Vielmehr verstärkte sich im Laufe der dreieinhalb Stunden der Eindruck, dass die Partei mit einem Sieg, zumindest mit einem Teilsieg gegen Merkel und die Regierung rechnen darf.

Die Kanzlerin könne „selbstverständlich am Meinungskampf teilnehmen, man muss nur die Rollen sauber voneinander trennen“, sagte Richter Peter Müller. Das Urteil fällt erst in einigen Wochen. Dabei schien es anfänglich, als würden Braun und der Bevollmächtigte der Regierung, Klaus Gärditz, fast naiv im Sinne der Partei argumentieren; erst nach und nach wurde ihr prinzipielles Anliegen klar.

Braun bemühte sich gar nicht, zu erklären, Merkel habe in Südafrika nur als Parteipolitikerin gesprochen. Im Gegenteil macht er deutlich, dass sie als Kanzlerin die sich ihr bietende Gelegenheit nutzen musste. Der Kanzleramtschef führte dazu die internationale Medienberichterstattung ins Feld. Die Presse hatte nervös und heftig auf die Wahl Kemmerichs reagiert.

Während der Bevollmächtigte der AfD, Christian Conrad, die Wahl als schlichten demokratischen Akt darstellte, bei der nicht mal ein AfD-Mann, sondern ein FDP-Politiker gewählt wurde, luden die Regierungsvertreter das Ereignis mit enormer Bedeutung auf. Drei Argumente fielen dabei immer wieder.

Erstens: Merkel habe in Südafrika damit rechnen müssen, dass Journalisten sie nach der Wahl und der CDU-Beteiligung fragen würden. Tatsächlich war das abzusehen. Schon auf dem Hinflug mühten sich die Journalisten vergeblich um ein Statement der Kanzlerin.

Zweitens habe die internationale Verlässlichkeit Deutschlands nach der Entscheidung gelitten. Die außenpolitische Räson des Landes habe ein Statement nötig gemacht.

Und drittens habe die große Koalition mit der SPD infrage gestanden. „Nicht nur Journalisten wollten eine Positionierung, auch der Koalitionspartner“, so Braun. Der internationale Ruf der Regierungspartei CDU und ihre Werte-Basis sowie die Stabilität der Koalition hätten infrage gestanden. „Das machte eine Stellungnahme erforderlich.“

Klaus Gärditz fügte hinzu: „Die Kanzlerin war in einer Doppelrolle adressiert. Kanzlerin wird man aufgrund parteipolitischer Gemengelage. Wenn es darum geht, eine ins Wanken geratene Koalition zu stabilisieren, ist das Aufgabe der Bundeskanzlerin.“ Insgesamt verstehe man das Gesagte als eine parteipolitische Äußerung. Aber: „Es wäre auch als amtliches Handeln gerechtfertigt.“

Richter überzeugt: Merkel trat als Parteipolitikerin auf

Alle drei Argumente waren im Grunde nicht geeignet, die Anwürfe der AfD zu parieren. Im Gegenteil, sie untermauerten diese sogar, eben weil nur halbherzig der Versuch unternommen wurde, die Parteipolitikerin Merkel – die im Prinzip alles sagen darf – von der Amtsträgerin – die das eben nicht darf – zu trennen.

Folglich wurde auch von den Richtern im Laufe der Verhandlung gar nicht mehr bezweifelt, dass Merkel in Südafrika als Kanzlerin auftrat und – trotz der Erwähnung der CDU in ihren Worten – die Parteipolitikerin dahinter zurücktrat. „Wir gehen davon aus, dass sie (die Stellungnahme, d. Red.) in amtlicher Funktion erfolgt ist. Das unterstellen wir jetzt einfach mal“, sagte Richter Peter M. Huber.

Der Anwalt der AfD erklärte, man hätte nicht die viel beachtete Pressekonferenz in Pretoria nutzen müssen, um das Statement abzugeben. Auch die Verfassungsrichter Peter Müller und Sybille Kessal-Wulf deuteten an, dass es Alternativen gegeben habe: schriftliche Erklärungen, ein Pressestatement im Nachgang oder gar der Verzicht auf einen Kommentar; schließlich habe ja auch die damalige Parteichefin der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, den Vorgang schon kritisiert. „Warum eine Betätigung der Parteipolitikerin, zu einer Frage, zu der die Parteivorsitzende schon etwas gesagt hat“, fragte Peter Müller.

Die Aussagen der Kanzlerin hätten dazu gedient, dem mehr Gewicht zu verleihen, erklärten die Vertreter der Bundesregierung. „Die Vorstellung, die Bundeskanzlerin nimmt überhaupt nicht Stellung, das hätte in dieser Situation großen Aufruhr verursacht. Es wäre nicht als feine Trennung von Amt und Mandat wahrgenommen worden“, hielt Braun entgegen.

Auch das Argument, Merkel habe die Koalition stabilisieren müssen, überzeugte die Richter nicht unbedingt. Müller kam dabei auf „sein früheres Leben“ als Ministerpräsident des Saarlands und CDU-Parteipolitiker zu sprechen. So etwas kläre man doch besser intern als über die Öffentlichkeit. Öffentliche Äußerungen führten doch gerade nicht zu einer Stabilisierung einer Koalition. Die Antwort von Gärditz war lapidar: „Es konnte nicht nur intern gemacht werden.“

„Eine Sondersituation, die sehr atypisch ist“

Offensichtlich standen sich bei der Verhandlung am Mittwoch die scheinbaren politischen Notwendigkeiten und die rechtlichen Begrenzungen von Politik unversöhnlich gegenüber. In früheren ähnlichen Prozessen wurde über das Verhalten und die Neutralität von Ministern, zuletzt von Horst Seehofer (CSU), entschieden. Nun wurde in Karlsruhe doch deutlich, dass sich mit Blick auf die Kanzlerin wohl grundsätzlichere Fragen stellen.

Richter Ulrich Maidowski brachte es auf den Punkt und formulierte eine provokative Frage an die Beklagten: „Der Maßstab, den das Verfassungsgericht aufgestellt hat, ist irreal. Warum sagen Sie das nicht? Müsste das nicht dazu führen, dass wir sagen, das funktioniert in der Politik nicht?“

So klar wollten es Braun und Gärditz nicht formulieren, doch in ihrer Argumentation kam genau das zum Ausdruck. In seinen Schlussworten resümierte Gärditz: „Ich möchte die grundsätzliche Einordnung dieses Falles herausstellen. Es war eine Sondersituation, die sehr atypisch ist. Anhand dieses Falles ist vielleicht auch mal zu klären, welche Spielräume eigentlich für die Bundesregierung und stärker präzisiert für die Kanzlerin bestehen. Ich appelliere an das Gericht, … dass es am Ende nicht dazu führt, dass nicht mehr politisch kommuniziert werden kann, und der Realität des politischen Alltags gerecht zu werden.“

Es hatte den Anschein, als habe dies bei den Richtern durchaus verfangen und sie zu grundsätzlicheren Erwägungen angeregt. Richter Peter Huber hatte zuvor das Problem angesprochen, mehrere Verfassungsgüter in einen Ausgleich bringen zu müssen. In dem Fall also die Möglichkeit der Kanzlerin, ihre Regierung zu führen und zu stabilisieren, das Land im Ausland zu repräsentieren; das sind alles Pflichten der Regierungschefin, die das Grundgesetz erwartet. Es erwartet aber auch Neutralität der Amtsträgerin.

Darüber werden die Richter wohl noch einmal intensiv nachdenken müssen. Würden sie bloß auf der Linie bisheriger Rechtsprechung bleiben, müsste Merkel wohl in allen Anklagepunkten verlieren.

Zitat

Merkels Holzhammer

die Diskussion um eine Erhöhung des Impfdrucks schreitet schneller voran, als man einen Impftermin vereinbaren kann. Doch was Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) losgetreten hat, kommt zu schnell, zu früh, zu rabiat. Es ist ein Kommunikationsdesaster in mehreren Akten. Ein kurzer Überblick:

Akt 1: Braun, qua Amt oberster Vertrauter der Kanzlerin, öffnet die Schleusen am Sonntag. Da stellt er in Aussicht, dass in naher Zukunft Gastronomie, Kultur und Großveranstaltungen nur noch Geimpften und Genesenen offenstehen könnten. Ungeimpfte könnten also aus so gut wie allen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen werden, auch wenn sie negativ getestet sind, so Brauns radikaler Vorschlag. Eine Drohung aus dem Nichts, geäußert in einem "Bild"-Interview, die die schlimmsten Befürchtungen von Impfskeptikern wahr werden lässt.

Akt 2: Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) rudert rasch zurück und betont, dass Negativ-Tests für Ungeimpfte weiterhin als Türöffner dienen sollen. Die Kosten sollen sie aber voraussichtlich selbst tragen. Mehrfach erinnert Lambrecht außerdem daran: Veranstaltern und Gastronomen stehe es offen, das Hausrecht anzuwenden. "Wer seinen Gästen einen besonderen Schutz anbieten will, kann deshalb auch Angebote machen, die sich nur an Geimpfte richten."

Akt 3: Die Veranstaltungsbranche greift Lambrechts Vorschlag am Dienstag als erster Wirtschaftszweig dankbar auf. "Spätestens ab Ende September", gebe es im Konzert- und Veranstaltungsbereich "nur diesen Weg", sagte Jens Michow, geschäftsführender Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft der "Welt". Bis dahin habe jeder ein Impfangebot erhalten. Wer sich dann noch weigere, könne nicht darauf setzen, dass der Rest der Bevölkerung auf ihn warte.

Der Vorhang ist noch lange nicht gefallen, weitere Akte werden folgen. Schon jetzt zeichnet sich aber ab: Was der Bundesgesetzgeber nicht darf oder will, das soll nun die Privatwirtschaft regeln. Ausgerechnet jene, die von den Lockdowns am härtesten getroffen und bei den Corona-Hilfen am häufigsten im Regen stehen gelassen wurden, dürfen nun für das Kanzleramt die Buhmänner spielen.

Dass sich als Erstes die Veranstaltungsbranche positiv äußert, ist kein Zufall. Clubs, Konzerte und Großveranstaltungen leiden besonders unter den Corona-Regeln. Wer Abstand halten muss, der kann Hallen maximal zu einem Drittel füllen – und schreibt in der auf Vollauslastung ausgelegten Branche zwangsläufig rote Zahlen. Sind aber nur Geimpfte und Genesene in der Halle, so Michows noch nicht bestätigte Hoffnung, dürfen auch die Corona-Regeln dauerhaft fallen.

Dass die seit mehr als einem Jahr leidende Branche so schnell wie möglich zurück will zur Normalität, ist mehr als verständlich. Unverantwortlich aber ist die Kommunikation der Bundesregierung und nur schwer ertragbar das Verantwortungs-Pingpong, das sich bereits jetzt abzeichnet. Zutrittsverbote für Ungeimpfte? Ja, bitte, bald – nur, wir wollen damit nichts zu tun haben. Wie bequem, dass dann auch die Klagen an den Privaten hängen bleiben.

Präsident Emmanuel Macron in Frankreich ist anders vorgegangen. Er hat den Holzhammer gleich selbst ausgepackt. Seine Regierung verordnete eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe. Hunderttausende meldeten sich nach Macrons Ankündigung zum Impfen an, Zehntausende protestierten landesweit wütend dagegen. Der Holzhammer light, so vermutlich die Hoffnung der Bundesregierung, könne für weniger Aufstand, aber ebenso viele Impfzusagen sorgen, auch wenn es nur bei der Ankündigung bleiben sollte.

Dabei – das ist wichtig – können sich in Frankreich bereits seit Mitte Juni alle Bürger, unabhängig von Alter und Beruf, zur Impfung anmelden. In Deutschland ist das noch immer nicht der Fall. "Wir werden bis Ende Juli, Anfang August nicht für jeden ein Impfangebot haben", räumte Kanzlerin Angela Merkel erst vorige Woche in ihrer Sommerpressekonferenz ein. Die Diskussion über Impfzwang wird also über Bande lanciert, bevor überhaupt jeder Bürger die Chance auf eine Spritze hatte.

Diese Kommunikation ist überstürzt, unehrlich, feige, faul – und dürfte deswegen auch wenig taugen, um Zögernde und Skeptiker in großer Zahl zu überzeugen. Selten wurde in der Impfkampagne an das Gute im Bürger appelliert, stattdessen geht man jetzt gleich vom Schlechtesten aus. Wer will da schon spuren?

Und warum überhaupt der Hang zur Strafe, warum diese Alternativ- und Ideenlosigkeit? Rund 40 Prozent sind in Deutschland noch nicht geimpft. Bei Weitem nicht jeder dürfte ein Coronaleugner oder harter Impfverweigerer sein. Auch Experten raten im Umgang mit Impfzögerern deutlich von Druck ab, sie empfehlen stattdessen Aufklärungskampagnen und niedrigschwellige Impfangebote in schlecht mit Ärzten versorgten Gebieten.

Anfrage im Gesundheitsministerium von Jens Spahn, der für Juli vollmundig eine "neue Phase" der Impfkampagne ankündigte, die besonders Gruppen mit niedriger Impfbereitschaft adressieren sollte: Wie steht es mit der neuen PR-Kampagne? Und wer sind überhaupt diese Gruppen, die sich nicht impfen lassen wollen?

Das Ministerium schickt einen Link zu einem Video zurück, auf Youtube wurde es 150.000 Mal geklickt. "Hello again" lautet der Titel, geredet wird darin gar nicht, stattdessen sieht man eine junge Frau, die sich impfen lässt, einen Geschäftsinhaber, der das Schild an der Tür von "Geschlossen" auf "Geöffnet" dreht, Kinder die zurück in die Schule stürmen und mittelalte Menschen, die gemeinsam Geburtstag feiern.

Hochglanz-Bilder ohne jede Information. Viel Emotion statt Aufklärung und Ratio. Wer den Piks zu Anfang verpasst, könnte meinen, er sehe eine Edeka-Werbung zu Weihnachten. Die Frage nach den Gruppen, in denen die Impfbereitschaft besonders schwach ist, lässt das Ministerium ganz unbeantwortet.

Gute Informationskampagnen fordern Bürgernähe, Kreativität, Arbeit und Inhalte. Alles vier ist die Bundesregierung offensichtlich nicht gewillt zu liefern. Wer aber lieber rasch zum Holzhammer greift, braucht sich nicht zu wundern, wenn er Porzellan zerschlägt, das sich nicht wieder kleben lässt.

 

Zitat

Der Beststellerautor Thilo Sarrazin hat zwar noch viel zu sagen: etwa zur Berliner Wohnungspolitik oder zum Verhältnis von Politik und Medien. Sein neues Buch habe jedoch „keine zentrale Botschaft“ und das sei auch so beabsichtigt, sagte er bei der Präsentation von „Wir schaffen das. Erläuterungen zum politischen Wunschdenken“ am Mittwoch in Berlin.

Darin erzählt der ehemalige Berliner Finanzsenator Anekdoten aus seinem Berufsleben. Er nimmt den Leser mit auf einen etwas atemlosen Zick-Zack-Lauf durch die Geschichte der Politischen Philosophie und arbeitet sich wieder einmal an seinem Lieblingsthema ab, der Zuwanderung und dem Islam.

Sarrazin zerpflückt Merkel

Wenn Sarrazin über „Politik und Religion“ schreibt, geht es keineswegs um christliche Einflüsse, sondern ausschließlich um den Islam und islamistischen Terror. Ähnlich wie die AfD vertritt er die These, wenn sich Union, SPD und Grüne zusammenschließen würden, dann würde es „auch nicht weiter auffallen“.

Das erste Kapitel hat Sarrazin einer einzelnen Person gewidmet, deren Leistungsbilanz er mit Inbrunst zerpflückt: Angela Merkel. In den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft habe die CDU-Politikerin eine in Bezug auf Wirtschaft, Finanzen und Soziales „eher sozialdemokratisch“ geprägte Politik verfolgt, stellt der Autor fest. Er selbst war 2020 aus der SPD ausgeschlossen worden.

Merkels Agieren in der Migrationspolitik hat aus Sarrazins Sicht „wesentlich zu den Erfolgen populistischer Parteien in den EU-Ländern beigetragen“. In der Verteidigungspolitik habe sie - auch durch zahlreiche Fehlbesetzungen an der Spitze des Ministeriums - „eine Trümmerlandschaft“ hinterlassen.

Nur eine Eigenschaft der Kanzlerin nötigt Sarrazin Respekt ab: die Coolness, mit der Merkel ihre innerparteilichen männlichen Rivalen kaltgestellt hat. Dazu schreibt er: „Ihr Vorteil war, dass sie keine Eitelkeit hatte, die ihr im Wege stand, oder dass sie diese eisern zähmte, indem sie einfach schwieg, wenn sie nichts sagen konnte, was wirklich nützlich für sie war.“ So sei es bis heute.

Union sei nach links gerückt

Dem widerspricht auch der sächsische Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz (CDU) nicht, der Sarrazin bei der Vorstellung seines Buches als begeisterter Leser begleitete. Er sagte, die Union sei unter Merkel nach links gerückt. Auf dem frei gewordenen Platz habe sich mit der AfD eine „pro-russische Partei“ etabliert. Die AfD vertrete zwar in einigen Punkten - etwa in der Energiepolitik - Positionen, die er teile. Die „völkischen Anwandlungen“ der Partei seien aber abstoßend.

Zitat

CSU-Chef in der Mangel  

Lanz zu Söder: "Selten so viele kleinere Schummeleien gehört"

Die Zukunft der Corona-Maßnahmen und der Klimaschutz: Bei Lanz standen gleich zwei schwerwiegende Themen auf der Agenda. Dabei wurde hitzig diskutiert. Ganz nebenbei entlockte der Moderator VW-Chef Herbert Diess indirekt ein Geheimnis.

Wie geht es in der Corona-Pandemie weiter? Das wollte Lanz am Mittwochabend einmal mehr von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wissen. Für den Herbst müsse noch eine klare Linie gefunden werden, stellte der klar. Einige wichtige Maßnahmen waren aus Söders Sicht jedoch bereits deutlich.

 

Gästeliste

  • Markus Söder, CSU-Chef
  • Herbert Diess, VW-Chef
  • Lamia Messari-Becker, Bauingenieurin
  • Frank Schätzing, Autor

"Das Impftempo massiv erhöhen", lautete einer der Schritte, den Söder, der aus München zugeschaltet war, immer wieder betonte. Schließlich verfüge Bayern bereits über genügend Impfdosen, um in 80 bis 90 Tagen alle ab 12 Jahren zu impfen. So könnte man im Herbst damit durch sein – stattdessen gebe es jedoch einen "Strömungsabriss".

Einen weiteren Schritt, den Söder für nötig hält, ist die Rückgabe von maximalen Freiheiten an vollständig Geimpfte. Einerseits sei das im Sinne der Verfassung, andererseits schaffe es für diejenigen, die sich bisher noch nicht impfen lassen wollten, Anreize. Darüber hinaus sollten Corona-Tests auf Dauer kostenpflichtig werden.

"Wer partout nicht will, und das respektiere ich, aber der muss dann auch die Konsequenz und die Verantwortung dafür übernehmen", so der CSU-Chef bei Lanz über Gegner der Covid-Impfung. Eine "Impfpflicht durch die Hintertür" wollte er in seinem Ansatz nicht erkennen. Stattdessen setze er auf Eigenverantwortung und Einsicht. "Jeder, der mehr Öffnungen fordert, der muss doch erkennen, dass der einzige Weg das Impfen ist", so der Ministerpräsident.

Schnelleres Vorankommen forderte Söder nicht nur in Sachen Impfung, sondern auch mit Blick auf eine Einführung der Testpflicht für Urlaubs-Rückkehrer. Die solle so bald wie möglich umgesetzt werden, damit sie mit Blick auf die endenden Sommerferien auch noch Sinn ergibt. Die Bundesregierung hatte am Mittwoch einen Starttermin noch offengelassen.

Einigkeit zwischen Laschet und Söder?

Lanz ließ es sich nicht nehmen aufzuzeigen, dass CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet seiner Meinung nach angesichts der nächsten Schritte in der Pandemie manche Dinge "diametral anders" sehe als Söder. So sei bei Laschet beispielsweise nicht die Rede davon, dass die Deutschen auf Dauer ihre Tests selbst bezahlen müssten.

"Sie haben recht, dass der Akzent etwas anders ist", wiegelte Söder ab. "Beim Thema kostenlose Tests hat Armin Laschet schon gesagt, stimmt er mir zu", so der CSU-Chef jedoch weiter.

Doch mit so viel vermeintlicher Einigkeit, wollte Lanz Söder nicht davonkommen lassen. "Wie finden Sie eigentlich den Wahlkampf von Armin Laschet bisher?", wollte der Moderator deswegen von ihm wissen.

Der CSU-Chef lieferte jedoch eine vorsichtig breit aufgestellte Antwort: Insgesamt leide der Wahlkampf derzeit darunter, dass zu viel über "Nebensächlichkeiten" geredet werde. Stattdessen müsse die verbleibende Zeit dazu genutzt werden, um Unterschiede darzulegen und aufzuzeigen, was es bedeute, wenn man diese oder jene Partei wähle.

In dieser Hinsicht müsse an der ein oder anderen Stelle "ein Zahn zugelegt" werden, so Söder. Mit Blick auf die Grünen stellte er klar: Es reiche nicht, darauf zu vertrauen, dass der Gegner ständig Fehler macht.

Söder äußert vorsichtige Kritik am Wahlprogramm der Union

Ein bisschen mehr Kritik entlockte Lanz dem CSU-Chef dann schließlich aber doch noch – und zwar beim Thema CDU/CSU-Parteiprogramm. "Ich bin ein braver, ganz treuer, gemeinsamer Unionswahlkämpfer – unterstütze dieses Wahlprogramm", hatte Söder in der Sendung getönt und von Lanz den Kommentar geerntet, er habe "selten so viele kleinere Schummeleien in einem Satz gehört."

Als der Moderator schließlich wissen wollte, ob ihn das Wahlprogramm der Union denn "elektrisiert" habe, räumte Söder ein: "Ich hätte mir an einigen Stellen noch mehr und Pointierteres vorstellen können." Wie sehr er "enttäuscht" sei, von dem Programm, wollte Lanz wissen.

"Nö! Warum?", so Söder. "Ich bin sicher, dass auch einiges, was nicht im gemeinsamen Wahlprogramm steht, aber Wunsch der CSU ist, am Ende in einem Koalitionsvertrag steht." So spreche ein "aufrechter CDU-Wahlkämpfer" stichelte Lanz.

Wollte VW-Chef Diess den Tesla-Gründer am Vorstandstisch haben?

Gänzlich un-stichelig fiel hingegen die Diskussion zwischen Lanz und VW-Chef Herbert Diess aus. Der war geladen, um über die Zukunft der Elektromobilität zu sprechen. Dabei kam die Sprache auch auf die Pionier-Firma in diesem Bereich: Tesla.

Gründer Elon Musk und Diess kennen sich. Jüngst war durchgesickert, dass der VW-Manager vor einigen Jahren die Chance gehabt haben soll, Tesla-CEO zu werden. Diess hatte sich dazu öffentlich bisher nicht geäußert. Lanz nutzte die Chance, um am Mittwochabend vor laufenden Kameras nachzuhaken.

"Stimmt es, dass er sie mal als Vorstandsvorsitzenden haben wollte?", fragte er Diess über Musk. "Dazu kann ich nichts sagen", entgegnete der mit einem Lachen. "Sie dementieren das aber nicht!", bemerkte Lanz. Diess habe den Posten also abgelehnt, folgerte der Moderator und fügte mit Blick auf die Zukunft hinzu: "Irgendwann sprechen wir mal darüber, warum!"

Zitat

Peinlich

mal so richtig abschalten: Ja, dazu ist die Urlaubszeit da. Die sommerliche Trägheit muss wohl auch der Grund gewesen sein, dass die Bundesregierung erst jetzt entdeckt hat: Urlauber, die ins Ausland in den Urlaub fahren, kommen am Ende des Urlaubs aus dem Urlaub zurück. Es ist bestimmt sehr heiß gewesen in den Ministerien, die Luft schwer, die Lider auch, da kann man schon mal was übersehen. Zum Beispiel den Urlaub in der Urlaubszeit. Ach ja, huch, und natürlich dieses Corona!

Kommen Ihnen diese Zeilen bekannt vor? Zumindest, wenn Sie schon länger zu den treuen Leserinnen und Lesern des Tagesanbruchs gehören?

Falls nicht, können Sie hier Abonnent werden. Falls doch, liegt das daran, dass diese Zeilen nicht von mir stammen, sondern von t-online-Chefredakteur Florian Harms. Der hat sie verfasst – und zwar exakt vor einem Jahr und einem Tag – im Tagesanbruch. Und treffend formuliert: "Der Trick bei der Planung ist eigentlich, dass man sie vorher macht." Die Worte beziehen sich auf den Umgang mit Reiserückkehrern in Zeiten der Pandemie. Und sie sind heute genauso aktuell wie damals. Das sagt wiederum viel aus über die Bundesregierung und das Corona-Krisenmanagement.

Im vergangenen Jahr diskutierte die Politik zu diesem Zeitpunkt über verpflichtende Covid-19-Tests für alle, die aus einem Risikogebiet nach Deutschland einreisen. Blöd nur, dass viele schon eingereist waren, weil die Ferien bereits vorbei waren oder sich zumindest dem Ende zuneigten.

In diesem Jahr geht es um verpflichtende Tests für alle ungeimpften Reiserückkehrer – ob sie mit dem Flieger, mit der Bahn, dem Schiff, im Auto, zu Pferde oder mit dem Rad einreisen. Doof nur, dass viele Urlauber längst wieder da sind. In Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein enden die Sommerferien mit diesem Wochenende. In Hamburg dann Mitte der Woche. Am Wochenende darauf in Brandenburg und Berlin.

Gesundheitsminister Jens Spahn sagte diese Woche: "Das Bundesgesundheitsministerium ist für eine schnellstmögliche Ausweitung der Testpflichten bei Einreise." Eine neue Einreiseverordnung war dann zunächst für den 11. September angedacht. Da wären dann tatsächlich alle Sommerferien vorbei und die Reiserückkehrer von ihrer Reise zurückgekehrt.

Mmmhh.

In einem neuen Entwurf für eine Einreiseverordnung steht nun der 1. August als Startdatum. Das ist der kommende Sonntag. Übermorgen also. Gestern Nachmittag haben sich offenbar in einer Runde die Staatssekretäre der beteiligten Ministerien darauf geeinigt und Bedenken aus dem Weg geräumt. Die Verordnung soll am heutigen Freitag vom Bundeskabinett beschlossen werden.

Zahlreiche Urlauber erreicht diese Nachricht nun also entweder nach ihrer Reise oder während des Urlaubs. Dann müssen sie sich jetzt kurzfristig um ihre Tests kümmern – oder Mut zur Lücke beweisen, weil das Gesundheitsministerium das genauso wenig flächendeckend nachvollziehen und überprüfen kann wie sonst irgendwer.

Oder wie es Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei für die Bundespolizei, ausdrückt: "Wenn das so beschlossen wird, wäre das für uns als Bundespolizei eine prekäre Situation, die allein personell nicht leistbar ist." Die Bundespolizei sei "für diese Art des Grenzschutzes nicht mal ansatzweise ausgelegt."

Auslöser der Bemühungen um diese neue Einreiseverordnung sind ganz offensichtlich Erkenntnisse des Robert Koch-Instituts (RKI). Corona-Ansteckungen, die wahrscheinlich auf Reisen passiert sind, spielen demnach "eine zunehmende Rolle beim Infektionsgeschehen in Deutschland", wie im gestern Abend veröffentlichten wöchentlichen Lagebericht steht. In der Zeit vom 28. Juni bis 25. Juli sind demnach 3.662 Fälle gemeldet worden, in denen die Betroffenen dem Virus offensichtlich im Ausland ausgesetzt waren. Als wahrscheinlichste Infektionsländer in den vier betrachteten Wochen sind dort Spanien, die Türkei und die Niederlande angegeben.

Aktionismus rechtfertigen die Angaben allerdings noch nicht wirklich. Der überwiegende Anteil der Infektionen findet laut RKI weiterhin innerhalb Deutschlands statt. Mindestens 81 Prozent.

Für Urlauber gilt: Die neuen Regeln hätte man gern früher gekannt, um sich darauf einzustellen. Eine vernünftige Planung ist grundsätzlich nur schwer möglich, wenn man davon ausgehen muss, dass es immer wieder kurzfristig neue Reisebestimmungen gibt. Verlässlichkeit der Bundesregierung? Fehlanzeige.

Zumal es nicht das erste Mal ist – und auch im vergangenen Sommer nicht das erste Mal war, dass man sich von planbaren Ereignissen hat überrumpeln lassen.

Nur ein paar Beispiele:

Im März dieses Jahres stellte CSU-Generalsekretär Markus Blume in Bezug auf die Corona-Schnelltests fest, die fortan einmal wöchentlich kostenlos angeboten werden sollten: "Es wurde zu spät, zu langsam, zu wenig bestellt." Für FDP-Vize Wolfgang Kubicki war es ein "Treppenwitz der Geschichte", dass Aldi, Lidl, dm und Rossmann bereits Schnelltests anbieten konnten, "der Bund aber nicht".

Unvergessen ist die angedachte Osterruhe. Kurz vor Ostern beschlossen die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin hektisch zusätzliche Ruhetage, um das Infektionsgeschehen zu drosseln. Aufgrund der Kurzfristigkeit entpuppte sich die Osterruhe als nicht umsetzbar. Der Bund-Länder-Gipfel war zu spät dran und Merkel zog das Vorhaben zurück und entschuldigte sich vor der gesamten Bundesbevölkerung.

Der harte Lockdown Ende des vergangenen Jahres brauchte einen langen Vorlauf in Form von milderen Maßnahmen, die Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, kurz darauf bewertete: "Der Lockdown light im November war falsch, die Einschränkungen gingen nicht weit genug." Auch Kanzlerin Angela Merkel gab später zu: "Ich habe damals kein gutes Gefühl gehabt, aber ich habe die Entscheidung mitgetragen."

Oder die Empfehlung für das Tragen von Alltagsmasken, die Mitte April 2020 erfolgte, nachdem das Robert Koch-Institut zunächst davon abgeraten hatte ("Keine hinreichende Evidenz dafür, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Risiko einer Ansteckung für eine gesunde Person signifikant verringert"). Später sagte Merkel: "Die Alltagsmasken haben uns über die Zeit, als wir noch nicht genug medizinische hatten, hinweg geholfen. Und da war ich am Anfang zögerlich."

Das Impfen mit dem – wohlgemerkt – deutschen Impfstoff? War in Deutschland erst viel später möglich als beispielsweise in Großbritannien oder den USA.

Die Corona-Warn-App? Ließ ewig auf sich warten und floppte dann.

Auch bei der Entwicklung wirksamer Medikamente gegen das Virus pennte der Bund ganz offensichtlich, wie meine Kollegin Lisa Becke herausgefunden hat.

In dieser Liste fehlen sogar noch diverse Bereiche, in denen es zum Teil bis heute keinen echten Plan gibt. Zum Beispiel die Schulen, wo die Schüler noch ungeimpft sind und ein Coronafall weiterhin eine ganze Klasse in die Quarantäne bringen kann. Auch wenn die ersten Bundesländer nun in Präsenz starten wollen, wird es in Kürze wieder zu Wechsel- und Distanzunterricht kommen, wie es so schön heißt. Der einzige nennenswerte Unterschied zum Sommer 2020 ist laut Heinz-Peter Meidinger, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands, dass es nun "mehr Instrumente wie Schnelltests" gibt, um die Sicherheit zumindest etwas zu verbessern.

Auch ein Erlahmen der Impfkampagne, wie es nun gerade der Fall ist, war seit Monaten absehbar, weil es anderen Ländern genau so erging. Die Impfquote hat nur mit Ach und Krach gerade die 50 Prozent übersprungen.

Wie es mit den Impfungen weitergeht? Darauf gibt es bislang keine Antwort. Zumindest keine, die sofort helfen würde. CDU-Chef Armin Laschet will sogar erst im Herbst darüber nachdenken, wie er kürzlich sagte. Das ist leider mal wieder zu spät.

Zu zögerlich, abwartend, pomadig. Warum bloß ist Deutschland immer wieder so spät dran?

In den einzelnen Fällen gibt es sicherlich Erklärungsansätze. Einen harten Lockdown? Will man natürlich so lange wie möglich vermeiden, weil jeder Tag der Wirtschaft schadet und Milliarden kostet. Bundesweit einheitliche Reisebeschränkungen? Darf die Regierung zurecht nicht einfach auf Verdacht und ohne dringende Notwendigkeit aufgrund des Infektionsgeschehens verhängen? Eine Alltagsmaske? Will man natürlich erst empfehlen, wenn man überzeugt davon ist, dass sie mehr hilft als schadet.

Eine Impfpflicht? Ist womöglich gar nicht rechtlich darstellbar und ein so schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, dass sie nur die letzte Ausfahrt sein kann. Ein Impfstoff? Muss natürlich auch durch die europäischen Zulassungsverfahren, um die Qualität sicherzustellen. Und sicherlich ist alles auch eine Frage der Priorisierung. Sind Impfungen erstmal wichtiger als Medikamente? Vielleicht. Ist manche Diskussion um Maßnahmen in erster Linie als psychologischer Kniff gedacht, um die Bevölkerung zu sensibilisieren? Wahrscheinlich.

Die pandemische Lage? Entwickelt sich natürlich stets dynamisch und verlangt allen unglaublich viel ab – insbesondere der Kanzlerin, den Ministerpräsidenten, den Bundesministern, den Staatssekretären. Jede Entscheidung kostet Leben.

Und doch bleibt am Ende ein Gesamteindruck – und der ist vielmehr planlos als weitsichtig. Und in diesem Fall, wenn man sich bereits zum zweiten Mal von planbaren Sommerferien überrumpeln lässt, nur noch peinlich.

Zitat

Recht und Steuern: Steuerbilanz der großen Koalition: Viele Reformen, viel Stückwerk

 

Die große Koalition hat etliche Unternehmensteuer-Reformen beschlossen. Doch nicht alle taugen etwas. Und fast alle bringen eines: mehr Bürokratie.

Die vergangenen vier Jahre haben für Unternehmen in der Steuerpolitik einige Veränderungen gebracht. Der Einstieg in die steuerliche Forschungsförderung gelang, Unternehmen können frei ihre Rechtsform wählen, und am Ende der Legislaturperiode setzte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) noch eine globale Mindeststeuer durch.

Doch trotz dieses Arbeitsnachweises fällt die Bilanz der Großen Koalition in der Steuerpolitik aus Sicht der Wirtschaft bestenfalls gemischt aus. Die großen Schwachpunkte im Unternehmensteuerrecht ist die Politik nicht angegangen. Und die Reformen, die auf den Weg gebracht wurden, sind in Teilen wenig hilfreich oder bringen vor allem eines: mehr Bürokratie.

Ein Beispiel ist die neue Wahlmöglichkeit bei der Rechtsform. Personengesellschaften können künftig wählen, ob sie wie eine Kapitalgesellschaft besteuert werden wollen. Dies soll verhindern, dass Personengesellschaften, die 85 Prozent aller Betriebe ausmachen, gegenüber Kapitalgesellschaften steuerlich benachteiligt werden.

Doch Steuerexperten wie Friedrich Heinemann vom Wirtschaftsinstitut ZEW zweifeln, dass die Reform viel bringen wird. „Die erleichterte Wahlmöglichkeit ist zu begrüßen, sie dürfte letztlich aber von wenigen Unternehmen genutzt werden.“ Denn während eine Personengesellschaft Verluste mit anderen Einkünften verrechnen kann, kann eine Kapitalgesellschaft dies nicht.

Auch bleibt die Wahlmöglichkeit Einzelunternehmen und Gesellschaften bürgerlichen Rechts verwehrt. Wichtiger wäre aus Sicht von Wirtschaftsverbänden ohnehin gewesen, die Regeln für die Einbehaltung von Gewinnen für Personengesellschaften zu vereinfachen.

Weil diese Praxis hochkomplex ist, machen viele Unternehmen davon nicht Gebrauch – was erst zu der steuerlichen Benachteiligung führt. „Eine praxistaugliche Ausgestaltung ist weiterhin dringend notwendig“, sagt Monika Wünnemann, Steuerexpertin vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Ebenfalls unzufrieden ist die Wirtschaft mit der Reform des Außensteuergesetzes. Deutsche Firmen müssen im Ausland erzielte Gewinne in Deutschland nachversteuern, wenn sie dort mit weniger als 25 Prozent belastet wurden.

Blockade beim Verlustrücktrag

Das Finanzministerium hatte in Aussicht gestellt, die Schwelle auf 15 Prozent abzusenken, rückte dann aber wieder davon ab. Gleichzeitig verschärfte die Bundesregierung das Steuerrecht im Falle des Wegzugs eines Gesellschafters. Steuerpolitische Blockaden gab es aus Sicht der Wirtschaft auch bei der Bewältigung von Corona. Hier war ein höherer Verlustrücktrag – also die steuerliche Verrechnung von aktuellen Verlusten mit Gewinnen aus der Vergangenheit – für alle Ökonomen das Mittel der Wahl.

Die Bundesregierung weitete die Grenzen aber nur etwas aus. Begründung: Ein noch großzügigerer Verlustrücktrag sei zu aufwendig und lade zur Steuergestaltung ein. Kritik muss sich die Bundesregierung auch für ihren Kampf gegen Steuerdumping anhören. „Im globalen Steuerwettbewerb hat die Regierung stark auf die Strategie gesetzt, diesen Wettbewerb zu begrenzen, anstatt sich ihm zu stellen“, sagt Heinemann.

Das neue Außensteuerrecht und die Veröffentlichung von Unternehmensteuerdaten erhöhten die Bürokratie deutlich. Und bevor Maßnahmen überhaupt eingeführt und evaluiert seien, würden bereits neue eingeleitet. „Das grenzt an einen kostspieligen Aktionismus“, sagt Heinemann.

Unternehmen berichten jedenfalls davon, dass Komplexität, Rechtsunsicherheit und die Gefahr von Doppelbesteuerung zunehmen. Dies schließt auch die jüngste globale Steuerreform, die eine Mindestbesteuerung und eine neue Digitalbesteuerung vorsieht, ein. Dass sich die Bundesregierung für ein international koordiniertes Vorgehen eingesetzt habe, wird von BDI-Expertin Wünnemann ausdrücklich gelobt. „Allerdings entstehen für die Unternehmen hierdurch hohe bürokratische Zusatzbelastungen, die zu den erwarteten Mehreinnahmen in keinem Verhältnis stehen.“

Lob bekommt die Bundesregierung dagegen für ihren Einstieg in die steuerliche Forschungsförderung, über den seit Jahrzehnten diskutiert wurde. Die Förderung sei allerdings noch ausbaufähig, finden Wirtschaftsverbände. Und laut BDI müssen in der neuen Wahlperiode weitere Maßnahmen auf die Agenda: eine bessere Verlustverrechnung, bessere Abschreibungsregeln und eine Senkung der Steuerbelastung für Firmen auf 25 Prozent.