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News aus Deutschland
Zitat von Gast am 26. April 2023, 10:33 UhrArbeitskosten in Deutschland liegen 30 Prozent über dem EU-Schnitt
Die Arbeitskosten in Deutschland sind im vergangenen Jahr schneller gestiegen als in der Europäischen Union insgesamt. Arbeitgeber des Produzierenden Gewerbes und des Dienstleistungsbereichs zahlten 2022 durchschnittlich 39,50 Euro für eine geleistete Arbeitsstunde, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte.
Das sind 2,10 Euro oder 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr, während der EU-weite Anstieg 5,2 Prozent betrug. Bei den Arbeitskosten verharrt Deutschland seit dem Jahr 2019 auf Platz sieben innerhalb der 27 Mitgliedsstaaten zählenden EU. Sie liegen um rund 30 Prozent über dem EU-Schnitt von 30,50 Euro.
Am teuersten ist demnach Arbeit in Luxemburg mit 50,70 Euro je Stunde. Auch Dänemark (46,80 Euro), Belgien (43,50), Frankreich (40,80), die Niederlande (40,50) und Schweden (40,10) liegen noch vor der Bundesrepublik. Am Ende der Tabellen findet Bulgarien mit 8,20 Euro wieder.
Im Verarbeitenden Gewerbe kostete eine Arbeitsstunde in Deutschland im vergangenen Jahr durchschnittlich 44,00 Euro. „In diesem Wirtschaftsabschnitt waren die Arbeitskosten in Deutschland im EU-Vergleich die vierthöchsten“, betonten die Statistiker. Sie lagen damit um 44 Prozent über dem EU-Durchschnitt von 30,50 Euro. Bei den marktbestimmten Dienstleistungen findet sich Deutschland mit 38,00 Euro pro Arbeitsstunde EU-weit auf dem sechsten Rang. Die Arbeitskosten liegen hier um 26 Prozent über dem EU-Schnitt.
„Die Arbeitskosten je geleisteter Stunde haben sich in den vergangenen zehn Jahren in der Europäischen Union sehr unterschiedlich entwickelt“, so die Statistiker. Bulgarien (+141,2 Prozent), Rumänien (+131,7), Litauen (+122,0) und Lettland (+103,3) verzeichneten von 2012 bis 2022 die höchsten prozentualen Anstiege - ausgehend allerdings von niedrigem Niveau. Die absoluten Arbeitskosten je Stunde erhöhten sich mit 15,40 Euro in Luxemburg am stärksten.
Die geringsten Anstiege waren in Schweden mit 2,80 Euro beziehungsweise 7,5 Prozent und in Italien mit 1,70 Euro beziehungsweise 6,1 Prozent zu beobachten. Griechenland weist im Zehnjahresvergleich als einziges Land geringere durchschnittliche Arbeitskosten aus als zehn Jahre zuvor (-7,6 Prozent bzw. -1,20 Euro). Deutschland lag in diesem Vergleich mit einem Anstieg von 29,5 Prozent oder 9,00 Euro über dem EU-Schnitt von plus 25,0 Prozent beziehungsweise 6,10 Euro.
Arbeitskosten in Deutschland liegen 30 Prozent über dem EU-Schnitt
Die Arbeitskosten in Deutschland sind im vergangenen Jahr schneller gestiegen als in der Europäischen Union insgesamt. Arbeitgeber des Produzierenden Gewerbes und des Dienstleistungsbereichs zahlten 2022 durchschnittlich 39,50 Euro für eine geleistete Arbeitsstunde, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte.
Das sind 2,10 Euro oder 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr, während der EU-weite Anstieg 5,2 Prozent betrug. Bei den Arbeitskosten verharrt Deutschland seit dem Jahr 2019 auf Platz sieben innerhalb der 27 Mitgliedsstaaten zählenden EU. Sie liegen um rund 30 Prozent über dem EU-Schnitt von 30,50 Euro.
Am teuersten ist demnach Arbeit in Luxemburg mit 50,70 Euro je Stunde. Auch Dänemark (46,80 Euro), Belgien (43,50), Frankreich (40,80), die Niederlande (40,50) und Schweden (40,10) liegen noch vor der Bundesrepublik. Am Ende der Tabellen findet Bulgarien mit 8,20 Euro wieder.
Im Verarbeitenden Gewerbe kostete eine Arbeitsstunde in Deutschland im vergangenen Jahr durchschnittlich 44,00 Euro. „In diesem Wirtschaftsabschnitt waren die Arbeitskosten in Deutschland im EU-Vergleich die vierthöchsten“, betonten die Statistiker. Sie lagen damit um 44 Prozent über dem EU-Durchschnitt von 30,50 Euro. Bei den marktbestimmten Dienstleistungen findet sich Deutschland mit 38,00 Euro pro Arbeitsstunde EU-weit auf dem sechsten Rang. Die Arbeitskosten liegen hier um 26 Prozent über dem EU-Schnitt.
„Die Arbeitskosten je geleisteter Stunde haben sich in den vergangenen zehn Jahren in der Europäischen Union sehr unterschiedlich entwickelt“, so die Statistiker. Bulgarien (+141,2 Prozent), Rumänien (+131,7), Litauen (+122,0) und Lettland (+103,3) verzeichneten von 2012 bis 2022 die höchsten prozentualen Anstiege - ausgehend allerdings von niedrigem Niveau. Die absoluten Arbeitskosten je Stunde erhöhten sich mit 15,40 Euro in Luxemburg am stärksten.
Die geringsten Anstiege waren in Schweden mit 2,80 Euro beziehungsweise 7,5 Prozent und in Italien mit 1,70 Euro beziehungsweise 6,1 Prozent zu beobachten. Griechenland weist im Zehnjahresvergleich als einziges Land geringere durchschnittliche Arbeitskosten aus als zehn Jahre zuvor (-7,6 Prozent bzw. -1,20 Euro). Deutschland lag in diesem Vergleich mit einem Anstieg von 29,5 Prozent oder 9,00 Euro über dem EU-Schnitt von plus 25,0 Prozent beziehungsweise 6,10 Euro.
Zitat von Gast am 30. Mai 2023, 08:25 UhrNach Erdogan-Sieg: Empörung über Autokorsos türkischer Nationalisten in europäischen Städten
Türkei-Wahl 2023
Die Autokorsos in europäischen Städten nach dem Sieg von Erdogan bei der Türkei-Wahl sorgen für Empörung. Die Teilnehmer zeigten den Wolfsgruß, das Symbol der türkischen Nationalisten.
Frankfurt - Der Wahlsieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan war in vielen deutschen und anderen europäischen Städten deutlich zu spüren. Es bildeten sich Autokorsos mit türkischen Flaggen. Viele Anhänger des Präsidenten zeigten den sogenannten Wolfsgruß, das Symbol der türkischen Nationalisten, die auch als Graue Wölfe bekannt sind. Mehrere Videos von solchen Autokorsos in europäischen Städten stellte der AKP-Abgeordnete Muhammed Fatih Toprak auf seine Twitterseite. Toprak hatte den Wahlkampf der Erdogan-Partei im Ausland organisiert. „Mit einem großen türkischen Sieg soll das türkische Jahrhundert beginnen“, schreibt Toprak in den sozialen Medien.
Absage an pluralistische Demokratie
Doch diese Aktionen türkischer Nationalisten und Anhängern von Erdogan nach der Türkei-Wahl sorgten auch für Empörung. „Die Autokorsos sind keine Feiern harmloser Anhänger eines etwas autoritären Politikers. Sie sind eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie und Zeugnis unseres Scheiterns unter ihnen“, schreibt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf Twitter.
Ähnlich äußerte sich die Wiener Landtagsabgeordnete Berîvan Aslan (Die Grünen) zu den Autokorsos türkischer Nationalisten nach dem Sieg von Erdogan. „Von Demokratie, Grundrechten & Rechtsstaatlichkeit profitieren - aber gleichzeitig für die Verfolgung von Andersdenkenden, Rechtsextremismus und Ausgrenzung in der Türkei stimmen, zeugt von einem kruden Verständnis von Demokratie“, lässt Aslan auf Twitter mitteilen.
Freie Hand für türkischen Faschismus und Islamismus
Auch die Abgeordnete Cansu Özdemir (Linke) in der Hamburgischen Bürgerschaft hat kein Verständnis für die Feierlichkeiten der Erdogan-Anhänger. „Auf europäischen Straßen sieht man wieder, wie munter der faschistische Wolfsgruß gezeigt wurde. „Hatte die Bundesregierung nicht vor, die Grauen Wölfe zu verbieten“, schreibt Özdemir auf Twitter und ergänzt: „Der türkische Faschismus und Islamismus hat in Deutschland weiterhin freie Hand.“
Prof. Burak Copur, Türkei-Forscher aus Essen, zeigt im Gespräch mit unserer Redaktion ebenfalls keinerlei Verständnis für solche Aktionen. „Die Autokorsos in Deutschland sind auch ein Ausdruck der Ablehnung und Verachtung demokratischer Werte und Normen. Wer als Politiker mit der Ditib und der AKP-Lobbyorganisation UİD kuschelt und diese damit hoffähig macht oder als Stadt Köln die Aufstellung des Völkermords an den Armeniern verhindert und damit vor den türkischen Nationalisten und Islamisten einknickt, muss sich über diese einem Diktator huldigenden Erdogan-Anhänger auf deutschem Boden nicht wundern. Das sind keine feiernden Folklore-Tänzer, sondern besorgniserregende türkische Reichsbürger.“
In Deutschland gibt es rund 1,5 Millionen Menschen, die in der Türkei wahlberechtigt sind. Nach vorläufigen Endergebnissen haben etwa 700.000 Wahlberechtigte ihre Stimmen abgegeben. Davon entfielen bislang 67 Prozent an Amtsinhaber Erdogan und knapp 33 Prozent an Herausforderer Kemal Kilicdaroglu (CHP).
Nach Erdogan-Sieg: Empörung über Autokorsos türkischer Nationalisten in europäischen Städten
Türkei-Wahl 2023
Die Autokorsos in europäischen Städten nach dem Sieg von Erdogan bei der Türkei-Wahl sorgen für Empörung. Die Teilnehmer zeigten den Wolfsgruß, das Symbol der türkischen Nationalisten.
Frankfurt - Der Wahlsieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan war in vielen deutschen und anderen europäischen Städten deutlich zu spüren. Es bildeten sich Autokorsos mit türkischen Flaggen. Viele Anhänger des Präsidenten zeigten den sogenannten Wolfsgruß, das Symbol der türkischen Nationalisten, die auch als Graue Wölfe bekannt sind. Mehrere Videos von solchen Autokorsos in europäischen Städten stellte der AKP-Abgeordnete Muhammed Fatih Toprak auf seine Twitterseite. Toprak hatte den Wahlkampf der Erdogan-Partei im Ausland organisiert. „Mit einem großen türkischen Sieg soll das türkische Jahrhundert beginnen“, schreibt Toprak in den sozialen Medien.
Absage an pluralistische Demokratie
Doch diese Aktionen türkischer Nationalisten und Anhängern von Erdogan nach der Türkei-Wahl sorgten auch für Empörung. „Die Autokorsos sind keine Feiern harmloser Anhänger eines etwas autoritären Politikers. Sie sind eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie und Zeugnis unseres Scheiterns unter ihnen“, schreibt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf Twitter.
Ähnlich äußerte sich die Wiener Landtagsabgeordnete Berîvan Aslan (Die Grünen) zu den Autokorsos türkischer Nationalisten nach dem Sieg von Erdogan. „Von Demokratie, Grundrechten & Rechtsstaatlichkeit profitieren - aber gleichzeitig für die Verfolgung von Andersdenkenden, Rechtsextremismus und Ausgrenzung in der Türkei stimmen, zeugt von einem kruden Verständnis von Demokratie“, lässt Aslan auf Twitter mitteilen.
Freie Hand für türkischen Faschismus und Islamismus
Auch die Abgeordnete Cansu Özdemir (Linke) in der Hamburgischen Bürgerschaft hat kein Verständnis für die Feierlichkeiten der Erdogan-Anhänger. „Auf europäischen Straßen sieht man wieder, wie munter der faschistische Wolfsgruß gezeigt wurde. „Hatte die Bundesregierung nicht vor, die Grauen Wölfe zu verbieten“, schreibt Özdemir auf Twitter und ergänzt: „Der türkische Faschismus und Islamismus hat in Deutschland weiterhin freie Hand.“
Prof. Burak Copur, Türkei-Forscher aus Essen, zeigt im Gespräch mit unserer Redaktion ebenfalls keinerlei Verständnis für solche Aktionen. „Die Autokorsos in Deutschland sind auch ein Ausdruck der Ablehnung und Verachtung demokratischer Werte und Normen. Wer als Politiker mit der Ditib und der AKP-Lobbyorganisation UİD kuschelt und diese damit hoffähig macht oder als Stadt Köln die Aufstellung des Völkermords an den Armeniern verhindert und damit vor den türkischen Nationalisten und Islamisten einknickt, muss sich über diese einem Diktator huldigenden Erdogan-Anhänger auf deutschem Boden nicht wundern. Das sind keine feiernden Folklore-Tänzer, sondern besorgniserregende türkische Reichsbürger.“
In Deutschland gibt es rund 1,5 Millionen Menschen, die in der Türkei wahlberechtigt sind. Nach vorläufigen Endergebnissen haben etwa 700.000 Wahlberechtigte ihre Stimmen abgegeben. Davon entfielen bislang 67 Prozent an Amtsinhaber Erdogan und knapp 33 Prozent an Herausforderer Kemal Kilicdaroglu (CHP).
Zitat von Gast am 31. Mai 2023, 06:12 UhrArbeitgeber-Boss über Viertagewoche - „Nichts wird besser, wenn wir alle weniger arbeiten“
Rainer Dulger hat sich gegen eine Viertagewoche ausgesprochen und vor deren Folgen gewarnt. Gleichzeitig forderte der Arbeitgeberpräsident die Abschaffung der Rente mit 63. Andernfalls drohe das Rentensystem vollends zu kollabieren.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat vor den negativen wirtschaftlichen Folgen einer Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich gewarnt. „Wir befinden uns wirtschaftlich in einer wirklich angespannten Lage“, sagte Dulger t-online. „Nichts wird besser, wenn wir alle weniger arbeiten.“ Eine Viertagewoche bei gleichem Gehalt „gefährdet unseren Wohlstand“.
Grund dafür sei unter anderem der demografische Wandel: „Wenn in den nächsten zehn Jahren die Babyboomer-Generation in Rente geht, verlieren wir pro Jahr rund 400.000 qualifizierte Berufstätige“, so Dulger. Das allein sei bereits eine „schwierige Situation“. „Wenn wir dann aber noch weniger arbeiten, wird das Rentensystem in seiner aktuellen Form unfinanzierbar.“
Dulger: „Wir müssen alle länger arbeiten. Sonst bricht das Rentensystem zusammen“
Zugleich sprach sich Dulger wie CDU-Politiker Jens Spahn für ein Aus für die die „Rente mit 63“ aus. „Ich begrüße den Vorschlag aus der CDU, in Zeiten von Fach- und Arbeitskräftemangel die abschlagsfreie 'Rente mit 63' sofort abzuschaffen“, sagte er. Angesichts der alternden Gesellschaft führe kein Weg daran vorbei: „Wir müssen alle länger arbeiten. Sonst bricht das Rentensystem zusammen.“
Die Bundesregierung forderte Dulger derweil auf, einen jährlichen Bericht „über die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung“ vorzulegen, der dann im Bundestag diskutiert werden solle. „Uns fehlt eine ehrliche Debatte über die Sozialkassen“, sagte Dulger. „Zu viele Politiker haben Angst vor einer Rentenreform, weil sie das Wählerstimmen kosten könnte. Bei einer verpflichtenden Aussprache im Plenum könnte es also hoch hergehen, wenn die Opposition den Finger in die Wunde legt.“
Arbeitgeber-Boss über Viertagewoche - „Nichts wird besser, wenn wir alle weniger arbeiten“
Rainer Dulger hat sich gegen eine Viertagewoche ausgesprochen und vor deren Folgen gewarnt. Gleichzeitig forderte der Arbeitgeberpräsident die Abschaffung der Rente mit 63. Andernfalls drohe das Rentensystem vollends zu kollabieren.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat vor den negativen wirtschaftlichen Folgen einer Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich gewarnt. „Wir befinden uns wirtschaftlich in einer wirklich angespannten Lage“, sagte Dulger t-online. „Nichts wird besser, wenn wir alle weniger arbeiten.“ Eine Viertagewoche bei gleichem Gehalt „gefährdet unseren Wohlstand“.
Grund dafür sei unter anderem der demografische Wandel: „Wenn in den nächsten zehn Jahren die Babyboomer-Generation in Rente geht, verlieren wir pro Jahr rund 400.000 qualifizierte Berufstätige“, so Dulger. Das allein sei bereits eine „schwierige Situation“. „Wenn wir dann aber noch weniger arbeiten, wird das Rentensystem in seiner aktuellen Form unfinanzierbar.“
Dulger: „Wir müssen alle länger arbeiten. Sonst bricht das Rentensystem zusammen“
Zugleich sprach sich Dulger wie CDU-Politiker Jens Spahn für ein Aus für die die „Rente mit 63“ aus. „Ich begrüße den Vorschlag aus der CDU, in Zeiten von Fach- und Arbeitskräftemangel die abschlagsfreie 'Rente mit 63' sofort abzuschaffen“, sagte er. Angesichts der alternden Gesellschaft führe kein Weg daran vorbei: „Wir müssen alle länger arbeiten. Sonst bricht das Rentensystem zusammen.“
Die Bundesregierung forderte Dulger derweil auf, einen jährlichen Bericht „über die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung“ vorzulegen, der dann im Bundestag diskutiert werden solle. „Uns fehlt eine ehrliche Debatte über die Sozialkassen“, sagte Dulger. „Zu viele Politiker haben Angst vor einer Rentenreform, weil sie das Wählerstimmen kosten könnte. Bei einer verpflichtenden Aussprache im Plenum könnte es also hoch hergehen, wenn die Opposition den Finger in die Wunde legt.“
Zitat von Gast am 6. Juni 2023, 06:07 UhrDeutsche Umwelthilfe will kostenloses Parken abschaffen – auch auf dem Land
Parken ist vielerorts zu »Billigpreisen« oder gratis zu haben, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Sie fordert, die Gebühren für das Abstellen von Autos an ÖPNV-Fahrtkosten auszurichten.
Wenn Autos zu »Billigpreisen« oder umsonst geparkt werden können, dann bremse das die Mobilitätswende aus, findet die Deutsche Umwelthilfe – und fordert höhere Parkgebühren.
»Wer durchschnittlich zwölf Quadratmeter öffentlichen Raum in Anspruch nimmt, sollte dafür auch eine angemessene Gebühr entrichten – und das nicht nur in der Innenstadt«, sagte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Daher will die Umwelthilfe auch eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung in allen Städten und Gemeinden, was das kostenlose Parken im öffentlichen Raum insgesamt beenden würde.
Die Umwelthilfe verwies auf eine bundesweite Abfrage unter 104 Städten, darunter alle Großstädte sowie die jeweils fünf größten Städte jedes Bundeslandes. Demnach ist der Parkschein, selbst in kostenpflichtigen Parkzonen, in 73 der abgefragten Städte für einen Euro oder weniger zu haben. Nur die Städte Heidelberg und Osnabrück verlangen in ihren Parkzonen konsequent Gebühren von mindestens drei Euro pro Stunde. In 27 Städten ist kostenloses Parken selbst in bewirtschafteten Zonen für kurze Zeit möglich.
Brötchentaste einführen oder abschaffen?
Stattdessen solle die Gebühr pro Stunde mindestens so hoch sein, wie die Kosten für einen Einzelfahrschein in Bus und Bahn, forderte die Umwelthilfe. Sie verwies auf andere europäische Städte, wie London, wo eine Stunde Parken am Straßenrand bis zu zehn Euro koste. Die Einnahmen könnten in den Ausbau des ÖPNV oder in Rad- und Gehwege fließen.
Immer wieder wird über den Wert des Parkens diskutiert, wenn es um die Platzverteilung in den Städten geht. Denn die wird immer umkämpfter, während einerseits weiter mehr Autos zugelassen werden und andererseits etwa Radwege ausgebaut werden sollen. Die Umwelthilfe forderte daher zuvor, auch das Bewohnerparken teurer zu machen: Während die Ausweise in vielen Städten noch etwa 30 Euro im Jahr kosten, fordert die Umwelthilfe einen Preis von mindestens 360 Euro pro Jahr – einige Städte heben die Gebühren bereits auf ähnliche Preise an.
Die FDP will dagegen eher mehr kostenloses Kurzparken ermöglichen – und laut einer Beschlussvorlage eine »Brötchentaste« an mehr Parkautomaten einführen. Laut Umwelthilfe sei dies ein Anreiz für unnötige Autofahrten und solle abgeschafft werden.
Deutsche Umwelthilfe will kostenloses Parken abschaffen – auch auf dem Land
Parken ist vielerorts zu »Billigpreisen« oder gratis zu haben, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Sie fordert, die Gebühren für das Abstellen von Autos an ÖPNV-Fahrtkosten auszurichten.
Wenn Autos zu »Billigpreisen« oder umsonst geparkt werden können, dann bremse das die Mobilitätswende aus, findet die Deutsche Umwelthilfe – und fordert höhere Parkgebühren.
»Wer durchschnittlich zwölf Quadratmeter öffentlichen Raum in Anspruch nimmt, sollte dafür auch eine angemessene Gebühr entrichten – und das nicht nur in der Innenstadt«, sagte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Daher will die Umwelthilfe auch eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung in allen Städten und Gemeinden, was das kostenlose Parken im öffentlichen Raum insgesamt beenden würde.
Die Umwelthilfe verwies auf eine bundesweite Abfrage unter 104 Städten, darunter alle Großstädte sowie die jeweils fünf größten Städte jedes Bundeslandes. Demnach ist der Parkschein, selbst in kostenpflichtigen Parkzonen, in 73 der abgefragten Städte für einen Euro oder weniger zu haben. Nur die Städte Heidelberg und Osnabrück verlangen in ihren Parkzonen konsequent Gebühren von mindestens drei Euro pro Stunde. In 27 Städten ist kostenloses Parken selbst in bewirtschafteten Zonen für kurze Zeit möglich.
Brötchentaste einführen oder abschaffen?
Stattdessen solle die Gebühr pro Stunde mindestens so hoch sein, wie die Kosten für einen Einzelfahrschein in Bus und Bahn, forderte die Umwelthilfe. Sie verwies auf andere europäische Städte, wie London, wo eine Stunde Parken am Straßenrand bis zu zehn Euro koste. Die Einnahmen könnten in den Ausbau des ÖPNV oder in Rad- und Gehwege fließen.
Immer wieder wird über den Wert des Parkens diskutiert, wenn es um die Platzverteilung in den Städten geht. Denn die wird immer umkämpfter, während einerseits weiter mehr Autos zugelassen werden und andererseits etwa Radwege ausgebaut werden sollen. Die Umwelthilfe forderte daher zuvor, auch das Bewohnerparken teurer zu machen: Während die Ausweise in vielen Städten noch etwa 30 Euro im Jahr kosten, fordert die Umwelthilfe einen Preis von mindestens 360 Euro pro Jahr – einige Städte heben die Gebühren bereits auf ähnliche Preise an.
Die FDP will dagegen eher mehr kostenloses Kurzparken ermöglichen – und laut einer Beschlussvorlage eine »Brötchentaste« an mehr Parkautomaten einführen. Laut Umwelthilfe sei dies ein Anreiz für unnötige Autofahrten und solle abgeschafft werden.
Zitat von Gast am 6. Juni 2023, 11:06 UhrFreizügig im Freibad: Deutschland auf Berliner Kurs?
In Berlin dürfen Frauen nach einem langen Hin und Her die Hüllen fallen lassen und auch ohne Bikinioberteil baden. Laut einer repräsentativen Umfrage, die das Playboy Magazin in Auftrag gegeben hat, ist das Berliner Konzept deutschlandweit gefragt. Besonders ein Geschlecht ist dabei von der Idee angetan.
80 Prozent der befragten Männer und 57 Prozent der befragten Frauen sprachen sich für das Oben-ohne-Baden im Freibad aus, heißt es in den Ergebnissen des Meinungsforschungsinstituts Norstat. Dabei behaupten die Befragten zudem, nicht prüde zu sein. Bis auf zehn Prozent der Befragten gaben alle an, einigermaßen bis sehr offen in Bezug auf den Anblick freizügiger Kleidung und nackter Haut, zu sein. Etwa ein Drittel der Männer und zehn Prozent der Frauen würden sich nach eigenen Angaben als „sehr tolerant“ bezeichnen.
Regeln vorschreiben lassen, will sich offenbar kein Geschlecht. Kleiderordnungen werden eher abgelehnt. 61 Prozent der Männer und 52 Prozent der Frauen empfinden feste Regeln als störend. In weiteren Medienberichten heißt es, dass damit auch Kleiderordnungen an Schulen wie etwa Jogginghosen-Verbote gemeint sind.
Allerdings gibt es auch Unterschiede bei den Angaben der Geschlechter. Demnach fühlen sich Frauen bei der Freizügigkeit in der Öffentlichkeit vermehrt gestört als Männer. Wieder scheiden sich die Geister beim Thema Zensur. 59 Prozent der Frauen finden es gut, wenn die weiblichen Brustwarzen in den sozialen Netzwerken wie Instagram zensiert werden. Der Großteil der Männer, 59 Prozent, lehnt dies ab.
Freizügig im Freibad: Deutschland auf Berliner Kurs?
In Berlin dürfen Frauen nach einem langen Hin und Her die Hüllen fallen lassen und auch ohne Bikinioberteil baden. Laut einer repräsentativen Umfrage, die das Playboy Magazin in Auftrag gegeben hat, ist das Berliner Konzept deutschlandweit gefragt. Besonders ein Geschlecht ist dabei von der Idee angetan.
80 Prozent der befragten Männer und 57 Prozent der befragten Frauen sprachen sich für das Oben-ohne-Baden im Freibad aus, heißt es in den Ergebnissen des Meinungsforschungsinstituts Norstat. Dabei behaupten die Befragten zudem, nicht prüde zu sein. Bis auf zehn Prozent der Befragten gaben alle an, einigermaßen bis sehr offen in Bezug auf den Anblick freizügiger Kleidung und nackter Haut, zu sein. Etwa ein Drittel der Männer und zehn Prozent der Frauen würden sich nach eigenen Angaben als „sehr tolerant“ bezeichnen.
Regeln vorschreiben lassen, will sich offenbar kein Geschlecht. Kleiderordnungen werden eher abgelehnt. 61 Prozent der Männer und 52 Prozent der Frauen empfinden feste Regeln als störend. In weiteren Medienberichten heißt es, dass damit auch Kleiderordnungen an Schulen wie etwa Jogginghosen-Verbote gemeint sind.
Allerdings gibt es auch Unterschiede bei den Angaben der Geschlechter. Demnach fühlen sich Frauen bei der Freizügigkeit in der Öffentlichkeit vermehrt gestört als Männer. Wieder scheiden sich die Geister beim Thema Zensur. 59 Prozent der Frauen finden es gut, wenn die weiblichen Brustwarzen in den sozialen Netzwerken wie Instagram zensiert werden. Der Großteil der Männer, 59 Prozent, lehnt dies ab.
Zitat von Gast am 6. Juli 2023, 05:32 Uhr"Früher habe ich die Grünen gewählt. Jetzt bin ich schon fast bei der AfD"
Artikel von Florian Harms • Vor 4 Std.Tagesanbruch
"Früher habe ich die Grünen gewählt. Jetzt bin ich schon fast bei der AfD"
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
wohl noch nie in der deutschen Geschichte haben die Bürger so viel kommuniziert wie heute – trotzdem haben viele den Eindruck, dass sie einander immer weniger verstehen. Wir stieren alle paar Minuten aufs Smartphone, jagen Kurznachrichten durchs Netz, klicken hierhin und dorthin, saugen Fernsehen und Videos auf, kommentieren und chatten – und reden dabei anscheinend immer öfter aneinander vorbei. Die permanente Kakophonie überdröhnt Einzelstimmen. Umso größer ist das Erstaunen, wenn sich eine unterschwellige gesellschaftliche Entwicklung plötzlich zum Trend aufschwingt.
Das Erstarken der AfD hat in Politik und Medien einen Aufschrei ausgelöst, der zwischen Empörung und Verwunderung schwankt. Der erste AfD-Landrat in Thüringen, der erste AfD-Bürgermeister in Sachsen-Anhalt, die steigenden Umfragewerte für die Partei und das selbstbewusste Auftreten der blauen Frontleute verschieben die politischen Gewichte. Die Strategen in den anderen Parteizentralen sehen sich gezwungen, ihren bisherigen Kurs infrage zu stellen: War es womöglich falsch, die AfD so lange auszugrenzen und zu ignorieren? Hauptstadtjournalisten, sonst um keine schnelle Antwort verlegen, ringen in ihren Twitter-Blasen um Fassung. Und nun auch das noch: Gestern Abend hat das Bundesverfassungsgericht den Hauruckbeschluss des Heizungsgesetzes im Bundestag gestoppt.
Auch in der Redaktion von t-online diskutieren wir über die jüngsten AfD-Erfolge. Für uns ist die Entwicklung besonders relevant, da wir im Unterschied zu fast allen anderen Medien Leserinnen und Leser in ganz Deutschland haben: in Städten und auf dem Land, im Norden, Osten, Westen und Süden, unter Jungen und Alten, in praktisch allen Milieus und politischen Lagern. Unsere Reporter berichten aus Landkreisen, in denen die AfD besonders stark ist. Unsere Kolumnisten analysieren die politische Verschiebung. Unsere Redakteure befragen Demoskopen, Soziologen und Politologen. Unsere Rechercheure decken die rechtsextremistischen Verstrickungen von AfD-Kadern auf. Alles aufschlussreich.
Dennoch habe ich den Eindruck, dass in vielen Erklärungen eine Leerstelle bleibt. Und ich frage mich: Warum reden wir so viel über die AfD, aber so wenig mit den Leuten, die mit der AfD sympathisieren? Wäre es nicht angebracht, zunächst einmal zuzuhören, was diese Menschen zu sagen haben, bevor wir unsere Urteile fällen? Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich die Zuschrift eines Tagesanbruch-Lesers las, der unsere Berichterstattung kritisierte. Also griff ich zum Telefonhörer und rief ihn an. Und das hat mir Dietmar Bonkowski, 67-jähriger Rentner aus Zwickau, erzählt:
"Ich mache mir große Sorgen um unser Land. Früher habe ich mich selbst politisch engagiert. In der DDR war ich in den Jahren 1977 bis 1980 in der SED, weil ich etwas verändern wollte. Ich habe aber bald gemerkt, dass das in dem System nicht ging, daher bin ich wieder ausgetreten. In der Wendezeit war ich einer der Sprecher im Neuen Forum in Zwickau.
Jahrelang habe ich dann die SPD oder die Grünen gewählt, aber jetzt kann ich das einfach nicht mehr. Die grüne Politik ist so grottig geworden. Die machen einfach zu viele Fehler! Mit dem Heizungsgesetz und dem außenpolitischen Kurs führen sie unser Land in die Unsicherheit. Ich dachte immer: AfD kannste doch nicht wählen! Aber jetzt bin ich fast so weit. Es muss sich doch endlich mal was ändern in unserem Land! Natürlich sind bei der AfD auch stramme Rechte dabei, mein Eindruck ist aber: Die sind da längst nicht alle rechts. Die AfD ist die einzige Partei, die die offensichtlichen Probleme klar anspricht. Das heißt noch gar nicht, dass sie die Probleme auch lösen könnte, wenn sie selbst an der Regierung wäre. Aber wenigstens sagt sie, was falsch läuft, statt alles schönzureden.
Ich sage immer überspitzt: Hier im Osten sind wir aus der sozialistischen Einheitsfront in die kapitalistische Einheitsfront gewechselt. Es geht überall nur noch ums Geld – aber viele wollen gar nicht mehr wirklich dafür arbeiten. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe 47 Jahre lang hart gearbeitet. Ich war Zerspanungsmechaniker, auch viel auf Montage im Ausland: in Europa, Asien, Australien und Lateinamerika. Arbeit tut weh! Nur, wenn man das mal selbst erlebt hat, kann man die Probleme wirklich verstehen. Bei den heutigen Grünen sehe ich da niemanden. Da sind doch kaum noch Leute dabei, die mal richtig hart gearbeitet haben – also nicht mit dem Kugelschreiber am Schreibtisch, sondern mit Werkzeug in der Produktion.
Auch der Journalismus in Deutschland ist mir oft zu systemnah. Die politischen Entscheidungen werden zu oft verteidigt, statt sie wirklich kritisch zu hinterfragen. Ein Beispiel ist der deutsche Kurs im Russland-Ukraine-Krieg: Dass sich die Ukrainer selbständig machen wollen, ist natürlich verständlich. Dass der russische Angriff schrecklich ist, ist auch klar. Aber dieses tägliche Blutvergießen und die vom Westen unterstützte Eskalationsspirale sind doch Wahnsinn! Sie führen nur dazu, dass Ukrainer und Russen nie wieder miteinander werden reden können – und wir nicht mehr mit den Russen.
Da schlagen sich zwei Völker für zwei Politiker, die nur Macht und Geld treibt. Und wir in Europa lassen uns vor den Karren spannen und werden in den Schlamassel hineingezogen. Die Russen von der Krim vertreiben zu wollen, ist unrealistisch und gefährlich. Warum kann man nicht jetzt eine Verhandlungslösung anbahnen, bei der man den Russen eben zugesteht, dass sie einen Teil der Ukraine vorübergehend besetzen dürfen, so bitter das auch ist? Wir haben doch viel drängendere Probleme zu lösen! Wie wollen wir denn das Klima retten, wenn wir in Europa aufeinander schießen? Das ist meine Meinung."
Ich ahne: Nun wird es viele Leser geben, die Herrn Bonkowskis Ansichten verurteilen. Und andere, die Verständnis dafür aufbringen oder ihm sogar zustimmen. Ob Sie sich zum einen Lager zählen oder zum anderen, ist womöglich gar nicht entscheidend. Wichtiger ist doch, dass wir hierzulande wieder mehr miteinander als nur übereinander reden. Frei nach dem alten Sprichwort: Reden ist Silber, Zuhören ist Gold.
"Früher habe ich die Grünen gewählt. Jetzt bin ich schon fast bei der AfD"
Tagesanbruch
"Früher habe ich die Grünen gewählt. Jetzt bin ich schon fast bei der AfD"
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
wohl noch nie in der deutschen Geschichte haben die Bürger so viel kommuniziert wie heute – trotzdem haben viele den Eindruck, dass sie einander immer weniger verstehen. Wir stieren alle paar Minuten aufs Smartphone, jagen Kurznachrichten durchs Netz, klicken hierhin und dorthin, saugen Fernsehen und Videos auf, kommentieren und chatten – und reden dabei anscheinend immer öfter aneinander vorbei. Die permanente Kakophonie überdröhnt Einzelstimmen. Umso größer ist das Erstaunen, wenn sich eine unterschwellige gesellschaftliche Entwicklung plötzlich zum Trend aufschwingt.
Das Erstarken der AfD hat in Politik und Medien einen Aufschrei ausgelöst, der zwischen Empörung und Verwunderung schwankt. Der erste AfD-Landrat in Thüringen, der erste AfD-Bürgermeister in Sachsen-Anhalt, die steigenden Umfragewerte für die Partei und das selbstbewusste Auftreten der blauen Frontleute verschieben die politischen Gewichte. Die Strategen in den anderen Parteizentralen sehen sich gezwungen, ihren bisherigen Kurs infrage zu stellen: War es womöglich falsch, die AfD so lange auszugrenzen und zu ignorieren? Hauptstadtjournalisten, sonst um keine schnelle Antwort verlegen, ringen in ihren Twitter-Blasen um Fassung. Und nun auch das noch: Gestern Abend hat das Bundesverfassungsgericht den Hauruckbeschluss des Heizungsgesetzes im Bundestag gestoppt.
Auch in der Redaktion von t-online diskutieren wir über die jüngsten AfD-Erfolge. Für uns ist die Entwicklung besonders relevant, da wir im Unterschied zu fast allen anderen Medien Leserinnen und Leser in ganz Deutschland haben: in Städten und auf dem Land, im Norden, Osten, Westen und Süden, unter Jungen und Alten, in praktisch allen Milieus und politischen Lagern. Unsere Reporter berichten aus Landkreisen, in denen die AfD besonders stark ist. Unsere Kolumnisten analysieren die politische Verschiebung. Unsere Redakteure befragen Demoskopen, Soziologen und Politologen. Unsere Rechercheure decken die rechtsextremistischen Verstrickungen von AfD-Kadern auf. Alles aufschlussreich.
Dennoch habe ich den Eindruck, dass in vielen Erklärungen eine Leerstelle bleibt. Und ich frage mich: Warum reden wir so viel über die AfD, aber so wenig mit den Leuten, die mit der AfD sympathisieren? Wäre es nicht angebracht, zunächst einmal zuzuhören, was diese Menschen zu sagen haben, bevor wir unsere Urteile fällen? Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich die Zuschrift eines Tagesanbruch-Lesers las, der unsere Berichterstattung kritisierte. Also griff ich zum Telefonhörer und rief ihn an. Und das hat mir Dietmar Bonkowski, 67-jähriger Rentner aus Zwickau, erzählt:
"Ich mache mir große Sorgen um unser Land. Früher habe ich mich selbst politisch engagiert. In der DDR war ich in den Jahren 1977 bis 1980 in der SED, weil ich etwas verändern wollte. Ich habe aber bald gemerkt, dass das in dem System nicht ging, daher bin ich wieder ausgetreten. In der Wendezeit war ich einer der Sprecher im Neuen Forum in Zwickau.
Jahrelang habe ich dann die SPD oder die Grünen gewählt, aber jetzt kann ich das einfach nicht mehr. Die grüne Politik ist so grottig geworden. Die machen einfach zu viele Fehler! Mit dem Heizungsgesetz und dem außenpolitischen Kurs führen sie unser Land in die Unsicherheit. Ich dachte immer: AfD kannste doch nicht wählen! Aber jetzt bin ich fast so weit. Es muss sich doch endlich mal was ändern in unserem Land! Natürlich sind bei der AfD auch stramme Rechte dabei, mein Eindruck ist aber: Die sind da längst nicht alle rechts. Die AfD ist die einzige Partei, die die offensichtlichen Probleme klar anspricht. Das heißt noch gar nicht, dass sie die Probleme auch lösen könnte, wenn sie selbst an der Regierung wäre. Aber wenigstens sagt sie, was falsch läuft, statt alles schönzureden.
Ich sage immer überspitzt: Hier im Osten sind wir aus der sozialistischen Einheitsfront in die kapitalistische Einheitsfront gewechselt. Es geht überall nur noch ums Geld – aber viele wollen gar nicht mehr wirklich dafür arbeiten. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe 47 Jahre lang hart gearbeitet. Ich war Zerspanungsmechaniker, auch viel auf Montage im Ausland: in Europa, Asien, Australien und Lateinamerika. Arbeit tut weh! Nur, wenn man das mal selbst erlebt hat, kann man die Probleme wirklich verstehen. Bei den heutigen Grünen sehe ich da niemanden. Da sind doch kaum noch Leute dabei, die mal richtig hart gearbeitet haben – also nicht mit dem Kugelschreiber am Schreibtisch, sondern mit Werkzeug in der Produktion.
Auch der Journalismus in Deutschland ist mir oft zu systemnah. Die politischen Entscheidungen werden zu oft verteidigt, statt sie wirklich kritisch zu hinterfragen. Ein Beispiel ist der deutsche Kurs im Russland-Ukraine-Krieg: Dass sich die Ukrainer selbständig machen wollen, ist natürlich verständlich. Dass der russische Angriff schrecklich ist, ist auch klar. Aber dieses tägliche Blutvergießen und die vom Westen unterstützte Eskalationsspirale sind doch Wahnsinn! Sie führen nur dazu, dass Ukrainer und Russen nie wieder miteinander werden reden können – und wir nicht mehr mit den Russen.
Da schlagen sich zwei Völker für zwei Politiker, die nur Macht und Geld treibt. Und wir in Europa lassen uns vor den Karren spannen und werden in den Schlamassel hineingezogen. Die Russen von der Krim vertreiben zu wollen, ist unrealistisch und gefährlich. Warum kann man nicht jetzt eine Verhandlungslösung anbahnen, bei der man den Russen eben zugesteht, dass sie einen Teil der Ukraine vorübergehend besetzen dürfen, so bitter das auch ist? Wir haben doch viel drängendere Probleme zu lösen! Wie wollen wir denn das Klima retten, wenn wir in Europa aufeinander schießen? Das ist meine Meinung."
Ich ahne: Nun wird es viele Leser geben, die Herrn Bonkowskis Ansichten verurteilen. Und andere, die Verständnis dafür aufbringen oder ihm sogar zustimmen. Ob Sie sich zum einen Lager zählen oder zum anderen, ist womöglich gar nicht entscheidend. Wichtiger ist doch, dass wir hierzulande wieder mehr miteinander als nur übereinander reden. Frei nach dem alten Sprichwort: Reden ist Silber, Zuhören ist Gold.
Zitat von Gast am 13. Juli 2023, 07:47 UhrAbwanderung der deutschen Industrie: „Das ist ein neuer Schlag in die Magengrube“
Die fetten Jahre der blühenden deutschen Wirtschaft sind vorbei. Den Erfolg verdankte sie zum Großteil der leistungsstarken Industrie und nicht zuletzt den günstigen Gaspreisen. Mit dem Ukraine-Krieg erlebt die deutsche Wirtschaft jetzt eine eigene Zeitenwende. Aber liegen die Gründe nicht tiefer?
Ein gutes Beispiel liefert dafür die Chemieindustrie. Deutsche Chemiekonzerne schauen jetzt verstärkt ins Nicht-EU-Ausland, wenn es um Investitionen geht. „Investitionen in neue Anlagen und neue Technologien … strömen aus Deutschland“, bedauerte Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und Aufsichtsrat bei der BASF, neulich in der Financial Times. Dieser Trend habe sich „seit dem Energieproblem“ nur beschleunigt.
Die Hauptnutznießer sind laut Vassiliadis China und die USA, die deutschen Unternehmen Komplettpakete aus Steueranreizen, einem Zugang zu grüner Energie und einer beschleunigten Regulierung anbieten. Vor allem die USA werben die Unternehmen ab: Im vergangenen Jahr stellte Washington im Rahmen seines Inflation Reduction Act – eines Gesetzes zur Inflationsreduzierung – umfangreiche Subventionen bei Investitionen in verschiedene grüne Technologien vor, um ausländische Direktinvestitionen in Schlüsselsektoren anzuziehen.
China habe ebenfalls in der Staatskasse gestöbert, um bestimmte Branchen zu stärken, darunter die Chemiebranche, so Vassiliadis. Die BASF hat bereits im September 2022 eine Produktionsanlage im chinesischen Zhanjiang für rund zehn Milliarden Euro eröffnet. Auch Covestro aus Leverkusen will das größte Werk des Unternehmens für thermoplastische Polyurethane (TPU) in China bauen.
Es drängt sich allerdings eine berechtigte Frage auf: Wie unterscheidet man noch zwischen der logischen Erschließung der ausländischen Märkte und der eigentlichen Abwanderung der Industrie, vor der in Deutschland seit Monaten gewarnt wird? Wo enden die berechtigten Warnungen und wo beginnt die Panikmache? Selbst die BASF hatte zuletzt den Eindruck widerlegt, der Konzern würde vor hohen Energiepreisen ins Ausland fliehen. Man sei schon länger in China aktiv und habe das neue Werk bereits 2018 geplant, bevor die Energiepreise in Deutschland explodiert seien, hieß es im letzten Jahr auf Anfrage der Berliner Zeitung.
„Selbstverständlich gehen die Unternehmen dahin, wo ihre Kundinnen und Kunden sind“, gibt die IGBCE auf Nachfrage zu. „Das war aber schon immer so und kann nicht erklären, weshalb aktuell in Deutschland so wenig investiert wird.“ In der Tat macht den Verbänden nicht die Tatsache Sorgen, dass deutsche Unternehmen zunehmend ins Ausland investieren. Es wird im Vergleich dazu immer weniger in Deutschland investiert, das ist das Problem. Zu strukturellen Problemen zählen laut der IGBCE die hohen Energiekosten, die langen Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Regulierung.
So seien im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr die Investitionen in der Chemieindustrie in Deutschland um 24 Prozent zurückgegangen, bemängelt die Gewerkschaft. Dies sei eine dramatische Entwicklung für die Chemieindustrie, weil sie am Beginn eines neuen Investitionszyklus stehe. Dieser sei für die deutsche Wirtschaft notwendig, um die Transformation zu bewältigen.
„Im vergangenen Jahr investierte unsere Branche 11,2 Milliarden Euro im Ausland“, teilt auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) auf Anfrage mit. Die Investitionen im Inland seien dagegen mit 9,4 Milliarden Euro deutlich niedriger ausgefallen. Das sei keine Ausnahmeentwicklung für ein Jahr, sondern ein langfristiger Trend. Er zeige, dass die Auslandsinvestitionen schneller wachsen würden als die Investitionen im Inland, kommentiert der VCI-Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup.
Die wichtigsten Zielregionen für Auslandsinvestitionen der deutschen Chemiebranche sind mit 40 Prozent zuerst Nordamerika, mit 27 Prozent die gesamte EU und mit 20 Prozent allein China. „Die USA locken ausländische Investoren mit guten Standortbedingungen an, vor allem mit niedrigen Energie- und Rohstoffkosten“, erzählt Große Entrup. Und China sei mit einem Weltmarktanteil von mehr als 43 Prozent einfach der größte und schnellste Chemiemarkt der Welt. „Mittlerweile tritt das Motiv der Erschließung von lokalen Märkten bei den Auslandsinvestitionen also mehr und mehr in den Hintergrund“, heißt es vom VCI. Das Ausland, vor allem die USA, hätten jetzt einfach bessere Standortbedingungen, die im Zuge der jüngsten Krisen in Deutschland und Europa nicht mehr stimmen würden.
Laut dem Deutschen Institut der Deutschen Wirtschaft (DIW) hängen an den fünf energieintensiven Branchen direkt und indirekt bis zu 2,4 Millionen Arbeitsplätze und gut 240 Milliarden Euro Wertschöpfung in Deutschland. Theoretisch gilt: Das starke Auslandsengagement sichert eine bessere Statistik für Nettoexporte und auch Arbeitsplätze in Deutschland. Trotzdem baut die BASF trotz ihrer Auslandsinvestitionen aktuell weltweit 2600 Stellen ab, zwei Drittel davon in Deutschland – um zu sparen. Ist der deutsche Produktionsstandort bald keine Priorität für den weltgrößten Chemiekonzern?
„Durch die Produktionsverlagerung ins Ausland würde Deutschland zuallererst gute, mitbestimmte und anständig entlohnte Arbeitsplätze, aber auch massiv Steuereinnahmen verlieren“, warnt die IGBCE. „Deutschland hat sehr viel zu verlieren, wenn sich die Industrie verabschiedet“, warnt auch der VCI-Präsident Große Entrup. „Wir sind zutiefst besorgt, denn die schleichende Deindustrialisierung findet bereits statt.“ Davon würden eben die zurückgehenden Investitionen zeugen. „Und das Schlimme ist: Bei unseren Unternehmerinnen und Unternehmern schwindet die Zuversicht und der Glaube an den Standort Deutschland.“
Dass die Bundesregierung jetzt auch noch plane, den Spitzenausgleich bei der Stromsteuer für die energieintensiven Unternehmen zu streichen, ist laut dem VCI-Geschäftsführer „ein weiterer Schlag in die Magengrube“. Den politisch Verantwortlichen müsse bewusst sein, dass viele Chemieunternehmen ihre Investitionsentscheidungen jetzt treffen würden und einige bereits angekündigt hätten, ihre Investitionen ins Ausland verlagern zu wollen, mahnt Große Entrup. Die große Gefahr sei dabei, dass die Auswirkungen einer schleichenden Deindustrialisierung erst zeitverzögert sichtbar werden, wenn die Wertschöpfung schon zurückgegangen sei. „Mit allen negativen Konsequenzen: Wir steigern dadurch unsere Abhängigkeit vom Ausland, erhöhen unsere Anfälligkeit für Krisen und gefährden den Wohlstand. Wir stehen jetzt an einem Wendepunkt. Wenn die Abwanderung der Industrie in größerem Stil begonnen hat, ist es zu spät.“
Damit das nicht passiere, müsse die Politik das regelrechte Klumpenrisiko aus hohen Energiepreisen, schlechter Infrastruktur, Fachkräftemangel und einem „Regulierungswahnsinn“, auch durch Initiativen aus Brüssel, minimieren. Ein erster wichtiger Schritt wäre die befristete Einführung eines Industriestrompreises, schlägt Große Entrup vor. Doch dieser habe es bisher nicht in den Haushaltsentwurf geschafft.
Abwanderung der deutschen Industrie: „Das ist ein neuer Schlag in die Magengrube“
Die fetten Jahre der blühenden deutschen Wirtschaft sind vorbei. Den Erfolg verdankte sie zum Großteil der leistungsstarken Industrie und nicht zuletzt den günstigen Gaspreisen. Mit dem Ukraine-Krieg erlebt die deutsche Wirtschaft jetzt eine eigene Zeitenwende. Aber liegen die Gründe nicht tiefer?
Ein gutes Beispiel liefert dafür die Chemieindustrie. Deutsche Chemiekonzerne schauen jetzt verstärkt ins Nicht-EU-Ausland, wenn es um Investitionen geht. „Investitionen in neue Anlagen und neue Technologien … strömen aus Deutschland“, bedauerte Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und Aufsichtsrat bei der BASF, neulich in der Financial Times. Dieser Trend habe sich „seit dem Energieproblem“ nur beschleunigt.
Die Hauptnutznießer sind laut Vassiliadis China und die USA, die deutschen Unternehmen Komplettpakete aus Steueranreizen, einem Zugang zu grüner Energie und einer beschleunigten Regulierung anbieten. Vor allem die USA werben die Unternehmen ab: Im vergangenen Jahr stellte Washington im Rahmen seines Inflation Reduction Act – eines Gesetzes zur Inflationsreduzierung – umfangreiche Subventionen bei Investitionen in verschiedene grüne Technologien vor, um ausländische Direktinvestitionen in Schlüsselsektoren anzuziehen.
China habe ebenfalls in der Staatskasse gestöbert, um bestimmte Branchen zu stärken, darunter die Chemiebranche, so Vassiliadis. Die BASF hat bereits im September 2022 eine Produktionsanlage im chinesischen Zhanjiang für rund zehn Milliarden Euro eröffnet. Auch Covestro aus Leverkusen will das größte Werk des Unternehmens für thermoplastische Polyurethane (TPU) in China bauen.
Es drängt sich allerdings eine berechtigte Frage auf: Wie unterscheidet man noch zwischen der logischen Erschließung der ausländischen Märkte und der eigentlichen Abwanderung der Industrie, vor der in Deutschland seit Monaten gewarnt wird? Wo enden die berechtigten Warnungen und wo beginnt die Panikmache? Selbst die BASF hatte zuletzt den Eindruck widerlegt, der Konzern würde vor hohen Energiepreisen ins Ausland fliehen. Man sei schon länger in China aktiv und habe das neue Werk bereits 2018 geplant, bevor die Energiepreise in Deutschland explodiert seien, hieß es im letzten Jahr auf Anfrage der Berliner Zeitung.
„Selbstverständlich gehen die Unternehmen dahin, wo ihre Kundinnen und Kunden sind“, gibt die IGBCE auf Nachfrage zu. „Das war aber schon immer so und kann nicht erklären, weshalb aktuell in Deutschland so wenig investiert wird.“ In der Tat macht den Verbänden nicht die Tatsache Sorgen, dass deutsche Unternehmen zunehmend ins Ausland investieren. Es wird im Vergleich dazu immer weniger in Deutschland investiert, das ist das Problem. Zu strukturellen Problemen zählen laut der IGBCE die hohen Energiekosten, die langen Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Regulierung.
So seien im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr die Investitionen in der Chemieindustrie in Deutschland um 24 Prozent zurückgegangen, bemängelt die Gewerkschaft. Dies sei eine dramatische Entwicklung für die Chemieindustrie, weil sie am Beginn eines neuen Investitionszyklus stehe. Dieser sei für die deutsche Wirtschaft notwendig, um die Transformation zu bewältigen.
„Im vergangenen Jahr investierte unsere Branche 11,2 Milliarden Euro im Ausland“, teilt auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) auf Anfrage mit. Die Investitionen im Inland seien dagegen mit 9,4 Milliarden Euro deutlich niedriger ausgefallen. Das sei keine Ausnahmeentwicklung für ein Jahr, sondern ein langfristiger Trend. Er zeige, dass die Auslandsinvestitionen schneller wachsen würden als die Investitionen im Inland, kommentiert der VCI-Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup.
Die wichtigsten Zielregionen für Auslandsinvestitionen der deutschen Chemiebranche sind mit 40 Prozent zuerst Nordamerika, mit 27 Prozent die gesamte EU und mit 20 Prozent allein China. „Die USA locken ausländische Investoren mit guten Standortbedingungen an, vor allem mit niedrigen Energie- und Rohstoffkosten“, erzählt Große Entrup. Und China sei mit einem Weltmarktanteil von mehr als 43 Prozent einfach der größte und schnellste Chemiemarkt der Welt. „Mittlerweile tritt das Motiv der Erschließung von lokalen Märkten bei den Auslandsinvestitionen also mehr und mehr in den Hintergrund“, heißt es vom VCI. Das Ausland, vor allem die USA, hätten jetzt einfach bessere Standortbedingungen, die im Zuge der jüngsten Krisen in Deutschland und Europa nicht mehr stimmen würden.
Laut dem Deutschen Institut der Deutschen Wirtschaft (DIW) hängen an den fünf energieintensiven Branchen direkt und indirekt bis zu 2,4 Millionen Arbeitsplätze und gut 240 Milliarden Euro Wertschöpfung in Deutschland. Theoretisch gilt: Das starke Auslandsengagement sichert eine bessere Statistik für Nettoexporte und auch Arbeitsplätze in Deutschland. Trotzdem baut die BASF trotz ihrer Auslandsinvestitionen aktuell weltweit 2600 Stellen ab, zwei Drittel davon in Deutschland – um zu sparen. Ist der deutsche Produktionsstandort bald keine Priorität für den weltgrößten Chemiekonzern?
„Durch die Produktionsverlagerung ins Ausland würde Deutschland zuallererst gute, mitbestimmte und anständig entlohnte Arbeitsplätze, aber auch massiv Steuereinnahmen verlieren“, warnt die IGBCE. „Deutschland hat sehr viel zu verlieren, wenn sich die Industrie verabschiedet“, warnt auch der VCI-Präsident Große Entrup. „Wir sind zutiefst besorgt, denn die schleichende Deindustrialisierung findet bereits statt.“ Davon würden eben die zurückgehenden Investitionen zeugen. „Und das Schlimme ist: Bei unseren Unternehmerinnen und Unternehmern schwindet die Zuversicht und der Glaube an den Standort Deutschland.“
Dass die Bundesregierung jetzt auch noch plane, den Spitzenausgleich bei der Stromsteuer für die energieintensiven Unternehmen zu streichen, ist laut dem VCI-Geschäftsführer „ein weiterer Schlag in die Magengrube“. Den politisch Verantwortlichen müsse bewusst sein, dass viele Chemieunternehmen ihre Investitionsentscheidungen jetzt treffen würden und einige bereits angekündigt hätten, ihre Investitionen ins Ausland verlagern zu wollen, mahnt Große Entrup. Die große Gefahr sei dabei, dass die Auswirkungen einer schleichenden Deindustrialisierung erst zeitverzögert sichtbar werden, wenn die Wertschöpfung schon zurückgegangen sei. „Mit allen negativen Konsequenzen: Wir steigern dadurch unsere Abhängigkeit vom Ausland, erhöhen unsere Anfälligkeit für Krisen und gefährden den Wohlstand. Wir stehen jetzt an einem Wendepunkt. Wenn die Abwanderung der Industrie in größerem Stil begonnen hat, ist es zu spät.“
Damit das nicht passiere, müsse die Politik das regelrechte Klumpenrisiko aus hohen Energiepreisen, schlechter Infrastruktur, Fachkräftemangel und einem „Regulierungswahnsinn“, auch durch Initiativen aus Brüssel, minimieren. Ein erster wichtiger Schritt wäre die befristete Einführung eines Industriestrompreises, schlägt Große Entrup vor. Doch dieser habe es bisher nicht in den Haushaltsentwurf geschafft.
Zitat von Gast am 19. Juli 2023, 12:17 Uhr Dieser Mann wird noch länger regieren, als Ihnen lieb istDas Bild, das die Ampel abgibt, ist mit katastrophal nur unzureichend beschrieben. Und dennoch: Olaf Scholz hat beste Chancen, auch die nächste Bundestagswahl zu gewinnen.
Als der Kanzler sich in der vergangenen Woche vor der Hauptstadtpresse in die Ferien verabschiedete, ergriff ihn eine auf den ersten – und ja: selbst auf den zweiten Blick – seltsame Fröhlichkeit. "Jingle Bells" weihnachtete das Smartphone eines Fotografen in die versammelte Andacht hinein, bis der es aus der Tasche genestelt und ruhig gestellt hatte.
Da war es um Olaf Scholz aber längst geschehen. Er bekam sich kaum mehr ein vor Lachen, machte diese Äuglein fast ohne Sehschlitz, die der frühere Journalist Markus Söder einmal "schlumpfig" genannt hatte. Eine Szene, die an die legendäre Liveaufnahme von "Are You Lonesome Tonight" erinnerte, bei der Elvis Presley vor Lachen nicht mehr singen konnte.
Aber was hat der Kanzler zu kichern? Seine Ampelkoalition ist so zerstritten wie seit Korrespondenten-Gedenken keine in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Land steht vor leeren Kassen und riesigen Verteilungskämpfen. Die AfD klettert von Allzeithoch zu Allzeithoch. Und der als spröde geltende Kanzler bekommt einen Lachanfall, so ansteckend, dass der Saal mitlachen muss?
Der Kanzler tut so, als habe er mit all dem nichts zu tun
Der Heiterkeitsausbruch von Scholz spielt nicht in der Dimension des Lachers von Armin Laschet nach der verheerenden Flut in Nordrhein-Westfalen, der den CDU-Mann die Kanzlerschaft kostete. Politisch-perspektivisch bedeutet er vielleicht sogar das genaue Gegenteil: Dass Olaf Scholz guter Dinge ist, aus der Bundestagswahl im Herbst 2025 abermals als Regierungschef hervorzugehen.
Die Halbjahresbilanzen, die die Kolleginnen und Kollegen in den Hauptstadtredaktionen mit letzter Kraft vor der Sommerpause geschrieben haben, lesen sich nicht so. Bestenfalls als durchwachsen, oft auch als katastrophal wird die bisherige Leistung und der öffentliche Auftritt der von Scholz geleiteten Regierung eingestuft.
Bemerkenswert, wie sich da Scholz immer wieder geriert, als habe er mit den Vorgängen zwischen den Koalitionspartnern nichts zu tun. Und wie er die Wogen so lange kleinredet, bis man sich schon fast schämt, sie überhaupt gesehen zu haben. Gegen Scholz war selbst die stoische Angela Merkel eine Alarmistin. Ein möglicher Grund für die gute Laune des Olaf Scholz mag das Paradox sein, dass er nicht trotz, sondern gerade wegen der aktuell herrschenden politischen Verhältnisse zur Halbzeit seiner ersten Amtszeit gute Aussichten auf eine zweite hat.
Bemerkenswerterweise hat diese gute Aussicht ihren Ursprung in einer kühnen Behauptung des Kanzlers, die er mehr als Wogenglätter denn als politischer Augur bei der Sommerpressekonferenz hat fallen lassen: Dass sich die extrem guten Werte der AfD in den Umfragen bis zur Bundestagswahl wieder halbieren würden und die AfD damit ungefähr das Ergebnis erzielen werde, das sie auch bei der vergangenen Bundestagswahl erreicht hatte: knapp über zehn Prozent.
Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler: Da dürften sie irren! So wie derzeit die Mähdrescher die goldgelben Felder überall im Land abernten, wird auch die AfD in den kommenden Monaten ihr politisches Silo weiter füllen. Die Zeit neuer und drastischer Verteilungskämpfe nach den Sonderausgaben in dreistelliger Milliardenhöhe für die Corona-Krise und den Krieg in der Ukraine steht bevor.
Der Streit um das Ehegattensplitting und das Elterngeld sind erst das Wetterleuchten eines großen Gewitters. Solche Zeiten bescheren einer skrupellosen Oppositionspartei wie der AfD traumhafte Wachstumsmöglichkeiten, selbst von diesem hohen Niveau aus gesehen. Es ist wie bei der Aktie des Experten für Künstliche Intelligenz, Nvidia: Man denkt, das kann doch nicht mehr so weitergehen. Und schon legt sie weiter zu.
Dazu kommt, dass der "gärige Haufen", als den Parteiveteran Alexander Gauland die Partei einmal bezeichnete, gar nicht mehr solche Sumpfblasen der inneren Fäulnis wirft. Sollte der Prozess im Innern anhalten, hat es die Führung jedenfalls vermocht, davon nichts mehr nach außen dringen zu lassen. Im Unterschied zur Ampel, die in der Hinsicht wegen des Ausstoßes solcher Faulgase schon fast als Klimaproblem eingestuft werden muss.
Friedrich Merz hat so viel Kreide gefressen, dass es staubt
Damit zur Lage der Partei, die bislang in der Geschichte dieses Landes als einzige mit der SPD um den Kanzlerposten politisch gerungen hat, mit einer insgesamt positiven Bilanz zu ihren Gunsten. Die derzeit wahrhaft "gärige" Partei ist die Union. Wobei der Prozess der Gärung und damit Klärung nach der langen Merkel-Zeit noch nicht einmal richtig begonnen hat. "Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?", fragt sich die Kanzlerpartei CDU, und auch ihr nach einigen Irrungen schließlich gefundener Parteivorsitzender hat die Frage bis heute nicht beantwortet. Lieber wieder richtig konservativ, oder doch grün durchtränkt, wie es sich die Anhänger einer Merkel-CDU, nennen wir sie die Ruprecht-Polenz-Fraktion, wünschen?
Bei Friedrich Merz ist im Prinzip klar, wofür er steht. Aber bis auf kleine Duftmarken in die konservative Richtung hat er sich ziemlich verstellt und so viel Kreide gefressen, dass es beinahe weiß staubt, wenn er spricht. Dahinter steht einerseits die Sorge, von einem linksliberalen Kommentariat (das bis in bürgerliche Zeitungen hineinragt) dafür in die Mangel genommen zu werden. Aber auch die innerparteilichen Fliehkräfte wollte Merz bisher so unter Kontrolle halten und nicht entfesseln.
Mit dem Austausch seines Generalsekretärs hat sich Merz von diesem Sowohl-als-auch-Ansatz personell ein Stück weit verabschiedet – und emanzipiert von den guten Ratschlägen jener Beobachter, die seiner Partei ohnehin nicht gewogen sind. Carsten Linnemann war einer der ganz wenigen, die sich in der Merkel-Ära Widerspruch erlaubt hatten, der im strengen Kontrollregime innerparteilich todbringend oder jedenfalls lebensgefährlich war. Jedem wurde binnen Minuten hinterhertelefoniert, der oder die sich – und sei es nur minimal abweichend – öffentlich geäußert hatte. So hat sich das vermutlich irrige Bild etabliert, dass die Polenz-Fraktion die Mehrheit hätte in der Union.
Allein die schlussendliche Wahl von Merz zum Parteichef ist der Beleg des Gegenteils. Aber es ist wie beim Ramsch im Skat: Den Durchmarsch kann er sich trotzdem erst trauen, wenn nicht mehr die Gefahr besteht, dass jemand rechtzeitig die Absicht erkennt und mit einem überlassenen Stich alles kaputt macht. Dann wäre für Merz persönlich alles vorbei. Daher seine extreme Vorsicht.
Die AfD stellt mit gewissem Recht eine Kanzlerkandidatin
Also sucht sich die Union weiter. Und geht suchend in die Landtagswahlen im Westen der Republik in diesem Herbst: Bayern und Hessen. Und geht dann in die Landtagswahlen im Osten (Sachsen, Thüringen und Brandenburg) im September kommenden Jahres, bei denen es die Partei regelrecht zerreißen kann. Große Flughöhe wird sie jedenfalls so nicht erreichen. Auf etwa dieser zeitlichen Höhe hat der neue CDU-Generalsekretär in seinem ersten großen Interview die Ausrufung des Kanzlerkandidaten angekündigt. Bis dahin hat die sortierte AfD bereits Alice Weidel als ihre Kanzlerkandidatin etabliert.
Mit gewissem Recht: Eine Partei, die um die 20 Prozent liegt, stellt einen Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin auf. Die Grünen haben das bei der Wahl 2021 bei ihrem Höhenflug auch folgerichtig getan.
Und das ist dann die Lage zur Bundestagswahl 2025: Eine AfD-Kandidatin, die Stimmen zieht, eine CDU, die sich immer noch nicht gefunden hat: eine gute Ausgangslage für einen Kanzler, mit dem Bonus des Amtsinhabers in die Wahl zu gehen. Und weil keine etablierte Partei mit der AfD koalieren wird, reicht der SPD hinterher schon ein hauchzarter Vorsprung vor der Union. Olaf Scholz bleibt Bundeskanzler und regiert mit der Union in einer Großen Koalition.
Das Bild, das die Ampel abgibt, ist mit katastrophal nur unzureichend beschrieben. Und dennoch: Olaf Scholz hat beste Chancen, auch die nächste Bundestagswahl zu gewinnen.
Als der Kanzler sich in der vergangenen Woche vor der Hauptstadtpresse in die Ferien verabschiedete, ergriff ihn eine auf den ersten – und ja: selbst auf den zweiten Blick – seltsame Fröhlichkeit. "Jingle Bells" weihnachtete das Smartphone eines Fotografen in die versammelte Andacht hinein, bis der es aus der Tasche genestelt und ruhig gestellt hatte.
Da war es um Olaf Scholz aber längst geschehen. Er bekam sich kaum mehr ein vor Lachen, machte diese Äuglein fast ohne Sehschlitz, die der frühere Journalist Markus Söder einmal "schlumpfig" genannt hatte. Eine Szene, die an die legendäre Liveaufnahme von "Are You Lonesome Tonight" erinnerte, bei der Elvis Presley vor Lachen nicht mehr singen konnte.
Aber was hat der Kanzler zu kichern? Seine Ampelkoalition ist so zerstritten wie seit Korrespondenten-Gedenken keine in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Land steht vor leeren Kassen und riesigen Verteilungskämpfen. Die AfD klettert von Allzeithoch zu Allzeithoch. Und der als spröde geltende Kanzler bekommt einen Lachanfall, so ansteckend, dass der Saal mitlachen muss?
Der Kanzler tut so, als habe er mit all dem nichts zu tun
Der Heiterkeitsausbruch von Scholz spielt nicht in der Dimension des Lachers von Armin Laschet nach der verheerenden Flut in Nordrhein-Westfalen, der den CDU-Mann die Kanzlerschaft kostete. Politisch-perspektivisch bedeutet er vielleicht sogar das genaue Gegenteil: Dass Olaf Scholz guter Dinge ist, aus der Bundestagswahl im Herbst 2025 abermals als Regierungschef hervorzugehen.
Die Halbjahresbilanzen, die die Kolleginnen und Kollegen in den Hauptstadtredaktionen mit letzter Kraft vor der Sommerpause geschrieben haben, lesen sich nicht so. Bestenfalls als durchwachsen, oft auch als katastrophal wird die bisherige Leistung und der öffentliche Auftritt der von Scholz geleiteten Regierung eingestuft.
Bemerkenswert, wie sich da Scholz immer wieder geriert, als habe er mit den Vorgängen zwischen den Koalitionspartnern nichts zu tun. Und wie er die Wogen so lange kleinredet, bis man sich schon fast schämt, sie überhaupt gesehen zu haben. Gegen Scholz war selbst die stoische Angela Merkel eine Alarmistin. Ein möglicher Grund für die gute Laune des Olaf Scholz mag das Paradox sein, dass er nicht trotz, sondern gerade wegen der aktuell herrschenden politischen Verhältnisse zur Halbzeit seiner ersten Amtszeit gute Aussichten auf eine zweite hat.
Bemerkenswerterweise hat diese gute Aussicht ihren Ursprung in einer kühnen Behauptung des Kanzlers, die er mehr als Wogenglätter denn als politischer Augur bei der Sommerpressekonferenz hat fallen lassen: Dass sich die extrem guten Werte der AfD in den Umfragen bis zur Bundestagswahl wieder halbieren würden und die AfD damit ungefähr das Ergebnis erzielen werde, das sie auch bei der vergangenen Bundestagswahl erreicht hatte: knapp über zehn Prozent.
Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler: Da dürften sie irren! So wie derzeit die Mähdrescher die goldgelben Felder überall im Land abernten, wird auch die AfD in den kommenden Monaten ihr politisches Silo weiter füllen. Die Zeit neuer und drastischer Verteilungskämpfe nach den Sonderausgaben in dreistelliger Milliardenhöhe für die Corona-Krise und den Krieg in der Ukraine steht bevor.
Der Streit um das Ehegattensplitting und das Elterngeld sind erst das Wetterleuchten eines großen Gewitters. Solche Zeiten bescheren einer skrupellosen Oppositionspartei wie der AfD traumhafte Wachstumsmöglichkeiten, selbst von diesem hohen Niveau aus gesehen. Es ist wie bei der Aktie des Experten für Künstliche Intelligenz, Nvidia: Man denkt, das kann doch nicht mehr so weitergehen. Und schon legt sie weiter zu.
Dazu kommt, dass der "gärige Haufen", als den Parteiveteran Alexander Gauland die Partei einmal bezeichnete, gar nicht mehr solche Sumpfblasen der inneren Fäulnis wirft. Sollte der Prozess im Innern anhalten, hat es die Führung jedenfalls vermocht, davon nichts mehr nach außen dringen zu lassen. Im Unterschied zur Ampel, die in der Hinsicht wegen des Ausstoßes solcher Faulgase schon fast als Klimaproblem eingestuft werden muss.
Friedrich Merz hat so viel Kreide gefressen, dass es staubt
Damit zur Lage der Partei, die bislang in der Geschichte dieses Landes als einzige mit der SPD um den Kanzlerposten politisch gerungen hat, mit einer insgesamt positiven Bilanz zu ihren Gunsten. Die derzeit wahrhaft "gärige" Partei ist die Union. Wobei der Prozess der Gärung und damit Klärung nach der langen Merkel-Zeit noch nicht einmal richtig begonnen hat. "Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?", fragt sich die Kanzlerpartei CDU, und auch ihr nach einigen Irrungen schließlich gefundener Parteivorsitzender hat die Frage bis heute nicht beantwortet. Lieber wieder richtig konservativ, oder doch grün durchtränkt, wie es sich die Anhänger einer Merkel-CDU, nennen wir sie die Ruprecht-Polenz-Fraktion, wünschen?
Bei Friedrich Merz ist im Prinzip klar, wofür er steht. Aber bis auf kleine Duftmarken in die konservative Richtung hat er sich ziemlich verstellt und so viel Kreide gefressen, dass es beinahe weiß staubt, wenn er spricht. Dahinter steht einerseits die Sorge, von einem linksliberalen Kommentariat (das bis in bürgerliche Zeitungen hineinragt) dafür in die Mangel genommen zu werden. Aber auch die innerparteilichen Fliehkräfte wollte Merz bisher so unter Kontrolle halten und nicht entfesseln.
Mit dem Austausch seines Generalsekretärs hat sich Merz von diesem Sowohl-als-auch-Ansatz personell ein Stück weit verabschiedet – und emanzipiert von den guten Ratschlägen jener Beobachter, die seiner Partei ohnehin nicht gewogen sind. Carsten Linnemann war einer der ganz wenigen, die sich in der Merkel-Ära Widerspruch erlaubt hatten, der im strengen Kontrollregime innerparteilich todbringend oder jedenfalls lebensgefährlich war. Jedem wurde binnen Minuten hinterhertelefoniert, der oder die sich – und sei es nur minimal abweichend – öffentlich geäußert hatte. So hat sich das vermutlich irrige Bild etabliert, dass die Polenz-Fraktion die Mehrheit hätte in der Union.
Allein die schlussendliche Wahl von Merz zum Parteichef ist der Beleg des Gegenteils. Aber es ist wie beim Ramsch im Skat: Den Durchmarsch kann er sich trotzdem erst trauen, wenn nicht mehr die Gefahr besteht, dass jemand rechtzeitig die Absicht erkennt und mit einem überlassenen Stich alles kaputt macht. Dann wäre für Merz persönlich alles vorbei. Daher seine extreme Vorsicht.
Die AfD stellt mit gewissem Recht eine Kanzlerkandidatin
Also sucht sich die Union weiter. Und geht suchend in die Landtagswahlen im Westen der Republik in diesem Herbst: Bayern und Hessen. Und geht dann in die Landtagswahlen im Osten (Sachsen, Thüringen und Brandenburg) im September kommenden Jahres, bei denen es die Partei regelrecht zerreißen kann. Große Flughöhe wird sie jedenfalls so nicht erreichen. Auf etwa dieser zeitlichen Höhe hat der neue CDU-Generalsekretär in seinem ersten großen Interview die Ausrufung des Kanzlerkandidaten angekündigt. Bis dahin hat die sortierte AfD bereits Alice Weidel als ihre Kanzlerkandidatin etabliert.
Mit gewissem Recht: Eine Partei, die um die 20 Prozent liegt, stellt einen Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin auf. Die Grünen haben das bei der Wahl 2021 bei ihrem Höhenflug auch folgerichtig getan.
Und das ist dann die Lage zur Bundestagswahl 2025: Eine AfD-Kandidatin, die Stimmen zieht, eine CDU, die sich immer noch nicht gefunden hat: eine gute Ausgangslage für einen Kanzler, mit dem Bonus des Amtsinhabers in die Wahl zu gehen. Und weil keine etablierte Partei mit der AfD koalieren wird, reicht der SPD hinterher schon ein hauchzarter Vorsprung vor der Union. Olaf Scholz bleibt Bundeskanzler und regiert mit der Union in einer Großen Koalition.
Zitat von Gast am 8. August 2023, 07:33 UhrMehrarbeit und Leistung lohnt sich kaum: Ifo: Mittelschicht ist „am Rande ihrer Belastungsfähigkeit“
Das Ifo-Institut sieht Menschen mit mittleren Einkommen in Deutschland „am Rande ihrer Belastungsfähigkeit“. Im europäischen Vergleich trage die Mittelschicht in Deutschland mit die höchste Steuer- und Abgabenlast.
„Mit einer Grenzbelastung von rund 50 Prozent des Bruttoeinkommens im deutschen Steuer- und Transfersystem bleibt Menschen mit mittlerem Einkommen vom nächsten hinzuverdienten Euro effektiv nur die Hälfte übrig. Mehrarbeit und mehr Leistung zahlen sich daher in der Mittelschicht netto nur sehr begrenzt aus“, sagte der Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen, Andreas Peichl, in München.
Mittelschicht in Deutschland schrumpft
Über 80 Prozent der Deutschen ordneten sich selbst der Mittelschicht zu. Tatsächlich aber sei sie geschrumpft. Laut OECD-Definition gehörten im Jahr 2019 noch gut 26 Millionen Haushalte und damit 63 Prozent der Mittelschicht an. Obwohl der Rückgang von zwei Prozentpunkten seit 2007 „relativ moderat erscheint, ist er im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern beachtlich“, sagte Ifo-Forscher Florian Dorn.
Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehört zur Mittelschicht, wer zwischen 75 und 200 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Bei Alleinstehenden entsprach das 2019 einem verfügbaren Nettoeinkommen inklusive Transfers zwischen 17.475 und 46.600 Euro.
Paare mit zwei Kindern gehören statistisch der Mittelschicht an, wenn sie über ein Einkommen zwischen 36.698 und 97.860 Euro verfügen. Die Studie erstellte das Ifo-Institut im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung.
Mehrarbeit und Leistung lohnt sich kaum: Ifo: Mittelschicht ist „am Rande ihrer Belastungsfähigkeit“
Das Ifo-Institut sieht Menschen mit mittleren Einkommen in Deutschland „am Rande ihrer Belastungsfähigkeit“. Im europäischen Vergleich trage die Mittelschicht in Deutschland mit die höchste Steuer- und Abgabenlast.
„Mit einer Grenzbelastung von rund 50 Prozent des Bruttoeinkommens im deutschen Steuer- und Transfersystem bleibt Menschen mit mittlerem Einkommen vom nächsten hinzuverdienten Euro effektiv nur die Hälfte übrig. Mehrarbeit und mehr Leistung zahlen sich daher in der Mittelschicht netto nur sehr begrenzt aus“, sagte der Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen, Andreas Peichl, in München.
Mittelschicht in Deutschland schrumpft
Über 80 Prozent der Deutschen ordneten sich selbst der Mittelschicht zu. Tatsächlich aber sei sie geschrumpft. Laut OECD-Definition gehörten im Jahr 2019 noch gut 26 Millionen Haushalte und damit 63 Prozent der Mittelschicht an. Obwohl der Rückgang von zwei Prozentpunkten seit 2007 „relativ moderat erscheint, ist er im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern beachtlich“, sagte Ifo-Forscher Florian Dorn.
Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehört zur Mittelschicht, wer zwischen 75 und 200 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Bei Alleinstehenden entsprach das 2019 einem verfügbaren Nettoeinkommen inklusive Transfers zwischen 17.475 und 46.600 Euro.
Paare mit zwei Kindern gehören statistisch der Mittelschicht an, wenn sie über ein Einkommen zwischen 36.698 und 97.860 Euro verfügen. Die Studie erstellte das Ifo-Institut im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung.
Zitat von Gast am 5. Oktober 2023, 11:07 Uhr "Die Lage spitzt sich dramatisch zu"Von Russland bedroht, im Inneren von Rechten zermürbt – Deutschland und Europa befinden sich in keinem guten Zustand. Droht so etwas wie eine Revolution? Historiker Christopher Clark rät zur Vorsicht.
Russland greift nach der Ukraine, China demonstriert unverhohlen seine Macht: Europa müsste nun einig und stark sein. Doch der Kontinent taumelt, nahezu überall sind rechte Populisten und Radikale auf dem Vormarsch – sehr zur Freude von Wladimir Putin. Wenn sie, wie in Italien, nicht bereits regieren. Herrscht ein Hauch von Revolution in Europa?
Christopher Clark, der zu den führenden Historikern unserer Zeit zählt, mahnt im t-online-Interview zur Vorsicht. Clark weiß, wovon er spricht: Gerade hat er mit "Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt" ein Buch über die europäischen Revolutionen vor 150 Jahren veröffentlicht. Weshalb Clark die Lage in Europa heute als dramatisch einschätzt, welchen Fehler er den Parteien der politischen Mitte attestiert und auf welche Weise Putin uns einen Gefallen getan hat, erklärt der australische Historiker im Interview.
t-online: Professor Clark, immer mehr Europäer hegen Misstrauen gegenüber der Demokratie und verachten deren Repräsentanten. Sind das schon Vorboten einer neuen Revolution?
Christopher Clark: Die Lage spitzt sich tatsächlich dramatisch zu. Denn ein entscheidender Faktor für eine stabile Demokratie ist im Schwinden begriffen: der Respekt. Ich meine nicht die servile Unterwürfigkeit von Untertanen einer willkürlichen Macht gegenüber; ich meine den Respekt der Staatsbürger vor den rechtsstaatlichen Organen, vor den Parlamenten und den gewählten Volksvertretern, vor den Institutionen des öffentlichen Lebens. Auf diesem Respekt basiert die Stabilität der rechtsstaatlichen Demokratien.
Warum erodiert dieser Respekt gegenüber dem Rechtsstaat, während die radikale Rechte breiten Zulauf erhält?
Lassen Sie es mich mit einer Anekdote erklären: Für Dreharbeiten war ich einmal in Dresden und schaute mir eine Demonstration der islamfeindlichen Organisation Pegida an. Sobald die Leute unsere Kamera sahen, schallte es uns entgegen: "Lügenpresse, Lügenpresse!" Ich fragte einen Teilnehmer, warum er dort mitlief. Seine Antwort: "Weil sich Krankenschwestern und Polizisten das Leben in der Innenstadt nicht mehr leisten können!" Das schien mir sicher ein vernünftiger Grund, um zu protestieren. Aber als ich den Mann fragte, was das mit dem Wort "Islamisierung" auf den Pegida-Transparenten zu tun hatte, sagte er einfach: "Gar nichts!".
Christopher Clark, geboren 1960, lehrt Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine's College in Cambridge. Sein 2013 erschienenes Buch "Die Schlafwandler" über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs avancierte zum internationalen Bestseller. 2015 schlug Elizabeth II. den Historiker zum Ritter. Gerade ist Clarks neues Buch erschienen: "Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt".
Beunruhigend.
Erschreckend! Aufwiegler, die gegen irgendetwas hetzen, gibt es immer – ob es Muslime sind oder Politiker oder Flüchtlinge. Strömen diesen Demagogen jedoch Menschen zu, die zum Teil aus nachvollziehbaren Gründen frustriert, verunsichert und zornig sind, dann wird es richtig gefährlich. Denn Enthemmung ist ein Nebeneffekt des Verschwindens von Respekt.
2020 versuchte ein Mob von Corona-Leugnern das Reichstagsgebäude in Berlin zu stürmen, ein Jahr später besetzten Anhänger von Donald Trump das Kapitol in Washington. Meinen Sie das mit Enthemmung?
Das sind besonders auffällige Beispiele. Aber in nahezu allen westlichen Ländern lässt sich beobachten, dass der Gehorsam vor den demokratischen Institutionen schwindet und die Enthemmung wächst. Es herrscht immer weniger Respekt vor den demokratischen Errungenschaften, die unsere Vorfahren entwickelt und erstritten haben.
Die Revolutionen 1848/49 gelten als Meilenstein in der Entwicklung der europäischen und der deutschen Demokratie. Welche Lehren können wir heute aus der Vergangenheit ziehen?
Es gibt durchaus Parallelen zwischen 1848/49 und unserer Gegenwart. Nehmen wir die Auseinandersetzungen um soziale Fragen: 1848/1849 kam es in Deutschland in den Vereinen und Parlamenten und auf den Straßen zu heftigen Auseinandersetzungen: auf der einen Seite die Linken, die soziale Forderungen stellten, auf der anderen die Liberalen, die hauptsächlich strukturelle und politische Veränderungen verlangten – etwa die Pressefreiheit, die Öffnung der Märkte und die Etablierung regulärer Wahlen. Diese Gegensätze wurden bis zum Ende der Revolutionen 1849 nicht überwunden.
Der Konflikt wurde von Zeitgenossen als Streit zwischen "Pressefreiheit" und "Fressefreiheit" bespöttelt.
"Was nützt uns die Pressefreiheit, wenn die Menschen wortwörtlich nichts zu fressen haben?" – diese Frage stellten die radikalen Linken. Nicht unberechtigt, denn in Zeiten von bitterer Armut und quälendem Hunger hatten die Menschen tatsächlich andere Prioritäten als die von den Liberalen angestrebten politischen Freiheiten. Diese Schwierigkeiten der Diskussion, der Kompromissfindung zwischen dem Sozialen und Politischen 1848/49, wirken wie aus dem historischen Lehrbuch entsprungen. Wir sollten daraus lernen.
Wäre dies der einzige Konflikt unter den Abgeordneten der Paulskirche gewesen, hätte das damalige demokratische Experiment mehr Chancen auf Erfolg gehabt. Tatsächlich führte aber auch der Nationalismus zu heftigem Streit.
Die Frankfurter Paulskirche war ein faszinierendes Organ: ein Parlament für einen Nationalstaat, der überhaupt nicht existierte! Das war ein Parlament im Konjunktiv. Man tat einfach so, als gäbe es ein Deutschland – dabei gab es ja noch die vielen souveränen Einzelstaaten des Deutschen Bundes. Besonders die Nationalitätenfrage in Bezug auf die polnische Minderheit in Preußen geriet zu einem zentralen Streitpunkt. Der Revolutionär Robert Blum argumentierte, dass man den Polen kaum ihr Vaterland verwehren könne, wenn die Deutschen gerade selbst das ihrige anstrebten. Viele linke und liberale Zeitgenossen wollten aber nichts davon hören.
Warum finden Sie es so wichtig, dass wir die damaligen Auseinandersetzungen heute noch kennen?
Weil wir auch heute noch Schwierigkeiten haben, gemeinsame Vorstellungen von so komplexen Kategorien wie Nation, Migration und Integration zu entwickeln. Sie haben ein ungeheuer destruktives Potenzial, wenn sie nicht konstruktiv gelöst werden. 1848/49 sind die Vertreter der unterschiedlichen Strömungen nicht weitergekommen, weil sie nicht aufeinander gehört haben. Wir sollten es heute besser machen.
Vor der Revolution 1848 lebte ein Großteil der deutschen Bevölkerung in Armut, heute sorgen sich viele Menschen vor sozialem Abstieg und finanzieller Not. Damals herrschte Unzufriedenheit wegen der politischen Repression, heute agitieren rechte Demagogen gegen eine angebliche "rotgrün-versiffte" politische Clique an der Macht. Birgt das revolutionäres Potenzial?
Hunger und Not wie in den Jahren 1846–1848 gibt es heute in Europa kaum. Und die kausale Verbindung zwischen Armut und Aufstand war und ist nicht direkt, denn wahre existenzielle Not hat eine eher deaktivierende Wirkung auf die Menschen. Menschen, die hungern, machen keine Revolutionen. In Irland zum Beispiel herrschte 1846–1848 eine Hungersnot, die Millionen Menschen das Leben kostete oder zur Auswanderung zwang. Politisch blieb es dort aber verhältnismäßig ruhig. Allerdings hat die wachsende soziale Ungleichheit damals – wie auch heute – eine polarisierende Wirkung auf die Politik. 1848 gab es viele, die nicht mehr so leben wollten – das sind diejenigen, die auf die Straßen gingen, um für eine bessere, gerechtere Ordnung zu kämpfen. Wir müssen heute also vorsichtig sein.
Sie betonen in Ihrem Buch, dass die Revolution von 1848/49 kein deutsches, sondern ein europäisches Ereignis war. Wie war es möglich, dass fast ein ganzer Kontinent in Aufruhr geriet?
Die Revolution begann nicht einmal in Deutschland, vielmehr nahm Deutschland an einem europäischen Geschehen teil. Sie schien mehr oder weniger aus dem Nichts zu kommen, aber einige Hellsichtigere hatten zumindest etwas geahnt.
Wie der französische Politiker und Publizist Alexis de Tocqueville.
Am 27. Januar 1848 fragte er die Minister des französischen Königs: "Haben Sie nicht das Gefühl, als stünde ein Sturm der Revolution bevor?" Besonders fasziniert mich an den damaligen Ereignissen die Stärke des europäischen Bewusstseins. Wenn man die französische Presse oder die schweizerische, spanische, rumänische und italienische seit Spätherbst 1847 liest, dann ist man beeindruckt von dem europäischen Horizont der Berichterstattung. Den wachsenden Tumult, die steigende Unruhe vor der Revolution nahmen die Zeitgenossen als vernetztes europäisches Phänomen wahr. Die Menschen damals dachten europäischer, als wir es heute tun.
Aber wir haben doch heute mit der EU einen weit fortgeschrittenen europäischen Einigungsprozess.
Die Institutionen sind da, aber es mangelt vielen Menschen an der Identifikation. Sie sehen in Europa nicht mehr ein Ideal, sondern ein Problem. Schauen Sie nach Ungarn, Polen, Großbritannien, Italien, auch zu den Populisten in Deutschland: Überall fällt man zurück in nationalstaatliches Denken. Es wurzelt in der Entwicklung nach 1848: Weil die Revolution nicht erfolgreich war, wurde der Nationalstaat zum neuen Über-Ideal, der alles im Leben der Bevölkerungen organisiert. Er prägte nun die Kultur, die Information, das Bewusstsein der Menschen. Die Macht dieser Denkweise spüren wir noch heute.
Wie die Revolution von 1848 ist auch das Erstarken von rechtem Populismus heute ein Phänomen auf dem ganzen Kontinent. Woran liegt das?
Der Aufstieg der neuen, "sozial" genannten, Medien bildet einen tiefgreifenden Strukturwandel der Öffentlichkeit dar. Die Glaubwürdigkeit der "traditionellen Medien" – Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen – ist in manchen gesellschaftlichen Milieus erschüttert. Auch hier sind Parallelen zu erkennen, denn die Revolutionen von 1848 waren auch ein Kommunikationsereignis. Es gab es eine geradezu explosionsartige Expansion der Presse, den Menschen fiel die Orientierung in dieser Vielzahl von scheinbar neuen Wirklichkeiten schwer. Wem sollte man Glauben schenken, wem nicht? Damals zirkulierten Drohbriefe an Politiker und Minister, heute bekommen sie Hass-E-Mails.
Heute stehen Liberalismus und Demokratie, für die einst in der Frankfurter Paulskirche gestritten wurde, für die politische Mitte. Beide werden nun von rechter Seite attackiert. Warum ist die Mitte so schwach geworden?
Schwach wird die politische Mitte, wenn sie sich als einen mathematischen Punkt betrachtet, der eine Äquidistanz zur äußersten Linken und äußersten Rechten einnimmt. Die Mitte darf kein Punkt sein. Sie muss einen sehr, sehr breiten und offenen Raum einnehmen – während sie links und rechts natürlich scharf im Auge behält.
Die demokratischen Parteien in Deutschland lassen sich eher von der AfD treiben, als dass sie die Rechten einhegen.
Das ist ein gewaltiges Problem. Ich habe einmal einige deutsche Politiker gefragt, wie oft sie sich die Homepages von Linkspartei und AfD anschauen würden. Sie sagten alle: gar nicht, da stehe ohnehin nur Unsinn. Da mag auch Unsinn sein, aber dazwischen werden dort auch gesellschaftliche Probleme artikuliert, auf die die demokratischen Parteien Antworten liefern müssen, um sie nicht ihren Gegnern zu überlassen. Solange sie das nicht tun, wachsen ihre Probleme.
Russland blieb von der Revolution 1848/49 weitgehend unberührt, stattdessen beteiligten sich russische Truppen an der Unterwerfung der aufständischen Ungarn. Lassen sich daraus Lehren für den heutigen Umgang mit dem kriegführenden Russland unter Putin ziehen?
Die politisch aktiven Kreise in Russland reagierten unterschiedlich auf die Revolutionen im Westen des Kontinents. Für die slawophilen Konservativen war das die Bestätigung, dass das autokratische Russland nichts lernen könne von einem moralisch korrupten Westen. Die russischen Radikalen fühlten sich enttäuscht vom Scheitern der linken Projekte von 1848. Aus dieser Gefühlslage heraus entstand die Vorstellung, dass Russland selbst der Welt eines Tages den Weg zur sozialistischen Erlösung weisen würde. Putin stellt die Rückkehr zum älteren Modell dar. Aber Putin ist nicht Russland. Wir müssen halt warten, bis er weg ist.
Putin führt diesen Krieg aber nicht allein. Was geschieht, wenn nach ihm ein noch schlimmerer Despot an seine Stelle tritt?
Die Zukunft ist offen. Wir müssen aber hoffnungsvoll sein und bedenken, dass es auch Menschen gibt, die für ein anderes Russland stehen. So wie Alexej Nawalny und der Dissident Wladimir Kara-Mursa.
Die beide im Gefängnis sitzen.
Putins Regime ist unbarmherzig und geht viel härter mit Kritikern um als die europäischen Staaten vor 1848. Man stelle sich vor, die österreichische Polizei hätte 1848 wie im Fall Nawalny Giftstoff in die Unterhose des ungarischen Patrioten Lajos Kossuth geschmiert …
Wie kann der Westen künftig mit einem Russland umgehen, das der Ukraine mit Vernichtung droht?
Es gab eine Zeit, in der auch Deutsche gehofft haben, dass sich die Welt daran erinnern möge, dass neben dem Nationalsozialismus auch ein anderes Deutschland existiert. Das sollten wir nun auch im Falle Russlands nicht vergessen.
Über Jahre hat das Putin-Regime versucht, die Europäer zu entzweien. Nun hat der russische Angriffskrieg die Ukraine und die EU-Länder einander nähergebracht. Sehen Sie darin die Chance, ein stärkeres europäisches Bewusstsein zu etablieren?
Den EU-Staaten ist nach dem 24. Februar 2022 schnell der Schulterschluss geglückt: Sanktionen, Waffenlieferungen, gemeinsame Diplomatie – das ist eine historische Leistung, die kaum überschätzt werden kann. So gesehen hat Putin den Europäern ungewollt sogar ein Geschenk gemacht: Er hat die europäischen Demokratien gestärkt. Umso wichtiger, dass Deutschland und Frankreich nun endlich gemeinsame Entscheidungsprozesse etablieren, statt weiter alles über die nationalen Regierungen laufen zu lassen.
Letzte Frage: In Deutschland gilt die Revolution von 1848/49 als gescheitert. Stimmen Sie zu?
Die These einer gescheiterten Revolution ist zu einem Erinnerungsort im historischen Bewusstsein der Deutschen geworden. Die These ist nicht unbedingt falsch, aber angesichts der großen Tragweite und der weitreichenden Folgen dieser Revolution greift sie zu kurz. Dieses enorme Ereignis im Herzen des neunzehnten Jahrhunderts hat die politischen Kulturen Europas tief geprägt. Diese Revolutionen lassen sich über die Frage "Erfolgreich oder gescheitert?" einfach nicht begreifen.
Von Russland bedroht, im Inneren von Rechten zermürbt – Deutschland und Europa befinden sich in keinem guten Zustand. Droht so etwas wie eine Revolution? Historiker Christopher Clark rät zur Vorsicht.
Russland greift nach der Ukraine, China demonstriert unverhohlen seine Macht: Europa müsste nun einig und stark sein. Doch der Kontinent taumelt, nahezu überall sind rechte Populisten und Radikale auf dem Vormarsch – sehr zur Freude von Wladimir Putin. Wenn sie, wie in Italien, nicht bereits regieren. Herrscht ein Hauch von Revolution in Europa?
Christopher Clark, der zu den führenden Historikern unserer Zeit zählt, mahnt im t-online-Interview zur Vorsicht. Clark weiß, wovon er spricht: Gerade hat er mit "Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt" ein Buch über die europäischen Revolutionen vor 150 Jahren veröffentlicht. Weshalb Clark die Lage in Europa heute als dramatisch einschätzt, welchen Fehler er den Parteien der politischen Mitte attestiert und auf welche Weise Putin uns einen Gefallen getan hat, erklärt der australische Historiker im Interview.
t-online: Professor Clark, immer mehr Europäer hegen Misstrauen gegenüber der Demokratie und verachten deren Repräsentanten. Sind das schon Vorboten einer neuen Revolution?
Christopher Clark: Die Lage spitzt sich tatsächlich dramatisch zu. Denn ein entscheidender Faktor für eine stabile Demokratie ist im Schwinden begriffen: der Respekt. Ich meine nicht die servile Unterwürfigkeit von Untertanen einer willkürlichen Macht gegenüber; ich meine den Respekt der Staatsbürger vor den rechtsstaatlichen Organen, vor den Parlamenten und den gewählten Volksvertretern, vor den Institutionen des öffentlichen Lebens. Auf diesem Respekt basiert die Stabilität der rechtsstaatlichen Demokratien.
Warum erodiert dieser Respekt gegenüber dem Rechtsstaat, während die radikale Rechte breiten Zulauf erhält?
Lassen Sie es mich mit einer Anekdote erklären: Für Dreharbeiten war ich einmal in Dresden und schaute mir eine Demonstration der islamfeindlichen Organisation Pegida an. Sobald die Leute unsere Kamera sahen, schallte es uns entgegen: "Lügenpresse, Lügenpresse!" Ich fragte einen Teilnehmer, warum er dort mitlief. Seine Antwort: "Weil sich Krankenschwestern und Polizisten das Leben in der Innenstadt nicht mehr leisten können!" Das schien mir sicher ein vernünftiger Grund, um zu protestieren. Aber als ich den Mann fragte, was das mit dem Wort "Islamisierung" auf den Pegida-Transparenten zu tun hatte, sagte er einfach: "Gar nichts!".
Christopher Clark, geboren 1960, lehrt Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine's College in Cambridge. Sein 2013 erschienenes Buch "Die Schlafwandler" über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs avancierte zum internationalen Bestseller. 2015 schlug Elizabeth II. den Historiker zum Ritter. Gerade ist Clarks neues Buch erschienen: "Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt".
Beunruhigend.
Erschreckend! Aufwiegler, die gegen irgendetwas hetzen, gibt es immer – ob es Muslime sind oder Politiker oder Flüchtlinge. Strömen diesen Demagogen jedoch Menschen zu, die zum Teil aus nachvollziehbaren Gründen frustriert, verunsichert und zornig sind, dann wird es richtig gefährlich. Denn Enthemmung ist ein Nebeneffekt des Verschwindens von Respekt.
2020 versuchte ein Mob von Corona-Leugnern das Reichstagsgebäude in Berlin zu stürmen, ein Jahr später besetzten Anhänger von Donald Trump das Kapitol in Washington. Meinen Sie das mit Enthemmung?
Das sind besonders auffällige Beispiele. Aber in nahezu allen westlichen Ländern lässt sich beobachten, dass der Gehorsam vor den demokratischen Institutionen schwindet und die Enthemmung wächst. Es herrscht immer weniger Respekt vor den demokratischen Errungenschaften, die unsere Vorfahren entwickelt und erstritten haben.
Die Revolutionen 1848/49 gelten als Meilenstein in der Entwicklung der europäischen und der deutschen Demokratie. Welche Lehren können wir heute aus der Vergangenheit ziehen?
Es gibt durchaus Parallelen zwischen 1848/49 und unserer Gegenwart. Nehmen wir die Auseinandersetzungen um soziale Fragen: 1848/1849 kam es in Deutschland in den Vereinen und Parlamenten und auf den Straßen zu heftigen Auseinandersetzungen: auf der einen Seite die Linken, die soziale Forderungen stellten, auf der anderen die Liberalen, die hauptsächlich strukturelle und politische Veränderungen verlangten – etwa die Pressefreiheit, die Öffnung der Märkte und die Etablierung regulärer Wahlen. Diese Gegensätze wurden bis zum Ende der Revolutionen 1849 nicht überwunden.
Der Konflikt wurde von Zeitgenossen als Streit zwischen "Pressefreiheit" und "Fressefreiheit" bespöttelt.
"Was nützt uns die Pressefreiheit, wenn die Menschen wortwörtlich nichts zu fressen haben?" – diese Frage stellten die radikalen Linken. Nicht unberechtigt, denn in Zeiten von bitterer Armut und quälendem Hunger hatten die Menschen tatsächlich andere Prioritäten als die von den Liberalen angestrebten politischen Freiheiten. Diese Schwierigkeiten der Diskussion, der Kompromissfindung zwischen dem Sozialen und Politischen 1848/49, wirken wie aus dem historischen Lehrbuch entsprungen. Wir sollten daraus lernen.
Wäre dies der einzige Konflikt unter den Abgeordneten der Paulskirche gewesen, hätte das damalige demokratische Experiment mehr Chancen auf Erfolg gehabt. Tatsächlich führte aber auch der Nationalismus zu heftigem Streit.
Die Frankfurter Paulskirche war ein faszinierendes Organ: ein Parlament für einen Nationalstaat, der überhaupt nicht existierte! Das war ein Parlament im Konjunktiv. Man tat einfach so, als gäbe es ein Deutschland – dabei gab es ja noch die vielen souveränen Einzelstaaten des Deutschen Bundes. Besonders die Nationalitätenfrage in Bezug auf die polnische Minderheit in Preußen geriet zu einem zentralen Streitpunkt. Der Revolutionär Robert Blum argumentierte, dass man den Polen kaum ihr Vaterland verwehren könne, wenn die Deutschen gerade selbst das ihrige anstrebten. Viele linke und liberale Zeitgenossen wollten aber nichts davon hören.
Warum finden Sie es so wichtig, dass wir die damaligen Auseinandersetzungen heute noch kennen?
Weil wir auch heute noch Schwierigkeiten haben, gemeinsame Vorstellungen von so komplexen Kategorien wie Nation, Migration und Integration zu entwickeln. Sie haben ein ungeheuer destruktives Potenzial, wenn sie nicht konstruktiv gelöst werden. 1848/49 sind die Vertreter der unterschiedlichen Strömungen nicht weitergekommen, weil sie nicht aufeinander gehört haben. Wir sollten es heute besser machen.
Vor der Revolution 1848 lebte ein Großteil der deutschen Bevölkerung in Armut, heute sorgen sich viele Menschen vor sozialem Abstieg und finanzieller Not. Damals herrschte Unzufriedenheit wegen der politischen Repression, heute agitieren rechte Demagogen gegen eine angebliche "rotgrün-versiffte" politische Clique an der Macht. Birgt das revolutionäres Potenzial?
Hunger und Not wie in den Jahren 1846–1848 gibt es heute in Europa kaum. Und die kausale Verbindung zwischen Armut und Aufstand war und ist nicht direkt, denn wahre existenzielle Not hat eine eher deaktivierende Wirkung auf die Menschen. Menschen, die hungern, machen keine Revolutionen. In Irland zum Beispiel herrschte 1846–1848 eine Hungersnot, die Millionen Menschen das Leben kostete oder zur Auswanderung zwang. Politisch blieb es dort aber verhältnismäßig ruhig. Allerdings hat die wachsende soziale Ungleichheit damals – wie auch heute – eine polarisierende Wirkung auf die Politik. 1848 gab es viele, die nicht mehr so leben wollten – das sind diejenigen, die auf die Straßen gingen, um für eine bessere, gerechtere Ordnung zu kämpfen. Wir müssen heute also vorsichtig sein.
Sie betonen in Ihrem Buch, dass die Revolution von 1848/49 kein deutsches, sondern ein europäisches Ereignis war. Wie war es möglich, dass fast ein ganzer Kontinent in Aufruhr geriet?
Die Revolution begann nicht einmal in Deutschland, vielmehr nahm Deutschland an einem europäischen Geschehen teil. Sie schien mehr oder weniger aus dem Nichts zu kommen, aber einige Hellsichtigere hatten zumindest etwas geahnt.
Wie der französische Politiker und Publizist Alexis de Tocqueville.
Am 27. Januar 1848 fragte er die Minister des französischen Königs: "Haben Sie nicht das Gefühl, als stünde ein Sturm der Revolution bevor?" Besonders fasziniert mich an den damaligen Ereignissen die Stärke des europäischen Bewusstseins. Wenn man die französische Presse oder die schweizerische, spanische, rumänische und italienische seit Spätherbst 1847 liest, dann ist man beeindruckt von dem europäischen Horizont der Berichterstattung. Den wachsenden Tumult, die steigende Unruhe vor der Revolution nahmen die Zeitgenossen als vernetztes europäisches Phänomen wahr. Die Menschen damals dachten europäischer, als wir es heute tun.
Aber wir haben doch heute mit der EU einen weit fortgeschrittenen europäischen Einigungsprozess.
Die Institutionen sind da, aber es mangelt vielen Menschen an der Identifikation. Sie sehen in Europa nicht mehr ein Ideal, sondern ein Problem. Schauen Sie nach Ungarn, Polen, Großbritannien, Italien, auch zu den Populisten in Deutschland: Überall fällt man zurück in nationalstaatliches Denken. Es wurzelt in der Entwicklung nach 1848: Weil die Revolution nicht erfolgreich war, wurde der Nationalstaat zum neuen Über-Ideal, der alles im Leben der Bevölkerungen organisiert. Er prägte nun die Kultur, die Information, das Bewusstsein der Menschen. Die Macht dieser Denkweise spüren wir noch heute.
Wie die Revolution von 1848 ist auch das Erstarken von rechtem Populismus heute ein Phänomen auf dem ganzen Kontinent. Woran liegt das?
Der Aufstieg der neuen, "sozial" genannten, Medien bildet einen tiefgreifenden Strukturwandel der Öffentlichkeit dar. Die Glaubwürdigkeit der "traditionellen Medien" – Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen – ist in manchen gesellschaftlichen Milieus erschüttert. Auch hier sind Parallelen zu erkennen, denn die Revolutionen von 1848 waren auch ein Kommunikationsereignis. Es gab es eine geradezu explosionsartige Expansion der Presse, den Menschen fiel die Orientierung in dieser Vielzahl von scheinbar neuen Wirklichkeiten schwer. Wem sollte man Glauben schenken, wem nicht? Damals zirkulierten Drohbriefe an Politiker und Minister, heute bekommen sie Hass-E-Mails.
Heute stehen Liberalismus und Demokratie, für die einst in der Frankfurter Paulskirche gestritten wurde, für die politische Mitte. Beide werden nun von rechter Seite attackiert. Warum ist die Mitte so schwach geworden?
Schwach wird die politische Mitte, wenn sie sich als einen mathematischen Punkt betrachtet, der eine Äquidistanz zur äußersten Linken und äußersten Rechten einnimmt. Die Mitte darf kein Punkt sein. Sie muss einen sehr, sehr breiten und offenen Raum einnehmen – während sie links und rechts natürlich scharf im Auge behält.
Die demokratischen Parteien in Deutschland lassen sich eher von der AfD treiben, als dass sie die Rechten einhegen.
Das ist ein gewaltiges Problem. Ich habe einmal einige deutsche Politiker gefragt, wie oft sie sich die Homepages von Linkspartei und AfD anschauen würden. Sie sagten alle: gar nicht, da stehe ohnehin nur Unsinn. Da mag auch Unsinn sein, aber dazwischen werden dort auch gesellschaftliche Probleme artikuliert, auf die die demokratischen Parteien Antworten liefern müssen, um sie nicht ihren Gegnern zu überlassen. Solange sie das nicht tun, wachsen ihre Probleme.
Russland blieb von der Revolution 1848/49 weitgehend unberührt, stattdessen beteiligten sich russische Truppen an der Unterwerfung der aufständischen Ungarn. Lassen sich daraus Lehren für den heutigen Umgang mit dem kriegführenden Russland unter Putin ziehen?
Die politisch aktiven Kreise in Russland reagierten unterschiedlich auf die Revolutionen im Westen des Kontinents. Für die slawophilen Konservativen war das die Bestätigung, dass das autokratische Russland nichts lernen könne von einem moralisch korrupten Westen. Die russischen Radikalen fühlten sich enttäuscht vom Scheitern der linken Projekte von 1848. Aus dieser Gefühlslage heraus entstand die Vorstellung, dass Russland selbst der Welt eines Tages den Weg zur sozialistischen Erlösung weisen würde. Putin stellt die Rückkehr zum älteren Modell dar. Aber Putin ist nicht Russland. Wir müssen halt warten, bis er weg ist.
Putin führt diesen Krieg aber nicht allein. Was geschieht, wenn nach ihm ein noch schlimmerer Despot an seine Stelle tritt?
Die Zukunft ist offen. Wir müssen aber hoffnungsvoll sein und bedenken, dass es auch Menschen gibt, die für ein anderes Russland stehen. So wie Alexej Nawalny und der Dissident Wladimir Kara-Mursa.
Die beide im Gefängnis sitzen.
Putins Regime ist unbarmherzig und geht viel härter mit Kritikern um als die europäischen Staaten vor 1848. Man stelle sich vor, die österreichische Polizei hätte 1848 wie im Fall Nawalny Giftstoff in die Unterhose des ungarischen Patrioten Lajos Kossuth geschmiert …
Wie kann der Westen künftig mit einem Russland umgehen, das der Ukraine mit Vernichtung droht?
Es gab eine Zeit, in der auch Deutsche gehofft haben, dass sich die Welt daran erinnern möge, dass neben dem Nationalsozialismus auch ein anderes Deutschland existiert. Das sollten wir nun auch im Falle Russlands nicht vergessen.
Über Jahre hat das Putin-Regime versucht, die Europäer zu entzweien. Nun hat der russische Angriffskrieg die Ukraine und die EU-Länder einander nähergebracht. Sehen Sie darin die Chance, ein stärkeres europäisches Bewusstsein zu etablieren?
Den EU-Staaten ist nach dem 24. Februar 2022 schnell der Schulterschluss geglückt: Sanktionen, Waffenlieferungen, gemeinsame Diplomatie – das ist eine historische Leistung, die kaum überschätzt werden kann. So gesehen hat Putin den Europäern ungewollt sogar ein Geschenk gemacht: Er hat die europäischen Demokratien gestärkt. Umso wichtiger, dass Deutschland und Frankreich nun endlich gemeinsame Entscheidungsprozesse etablieren, statt weiter alles über die nationalen Regierungen laufen zu lassen.
Letzte Frage: In Deutschland gilt die Revolution von 1848/49 als gescheitert. Stimmen Sie zu?
Die These einer gescheiterten Revolution ist zu einem Erinnerungsort im historischen Bewusstsein der Deutschen geworden. Die These ist nicht unbedingt falsch, aber angesichts der großen Tragweite und der weitreichenden Folgen dieser Revolution greift sie zu kurz. Dieses enorme Ereignis im Herzen des neunzehnten Jahrhunderts hat die politischen Kulturen Europas tief geprägt. Diese Revolutionen lassen sich über die Frage "Erfolgreich oder gescheitert?" einfach nicht begreifen.