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Transformation der Arbeitswelt: „Wer soll die ganze Party bezahlen?“

DGB-Chef Reiner Hoffmann erklärt im Interview, was er von den Plänen der Ampelkoalition hält und warum das Arbeitszeitgesetz nicht geändert werden darf.

Herr Hoffmann, wie gefallen Ihnen die Pläne der selbsternannten Fortschrittskoalition?

Sozialer Zusammenhalt, Stärkung der Tarifbindung und Weiterentwicklung der Mitbestimmung werden als Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation benannt, das finde ich fortschrittlich. Dazu wollen nach meiner Beobachtung alle drei Ampelparteien die Gestaltungsrolle der Sozialpartner stärken.

Auch die FDP, deren Vorsitzender vor ein paar Jahren noch Tarifverträge verbrennen wollte?

Das ist vorbei. Die FDP mit Christian Lindner ist eine andere als die FDP mit Guido Westerwelle und Philipp Rösler.

Lindner hat den Verzicht auf Steuern für Reiche, die Schuldenbremse und die Beibehaltung der Minijobs durchgesetzt.

Es gibt im Sondierungspapier Bereiche mit offenen Fragen, drei möchte ich benennen: Wenn sich alle einig sind, dass wir massiv investieren müssen, aber gleichzeitig die Schuldenbremse betonen und Steuererhöhungen ablehnen, dann wüsste ich schon gerne, wie die ganze Party finanziert werden soll. Ferner wird Klimaschutz nicht allein über den Markt funktionieren, wie sich das die FDP vorstellt. Wir brauchen vielmehr einen Mix aus Preismechanismen und Regulierung, auch um die Belastungen zum Beispiel höherer Energiepreise verträglich zu halten. Und: Wir brauchen den massiven Ausbau erneuerbarer Energien, damit sichern wir den Industriestandort. Ein Bundeswirtschaftsminister Christian Lindner könnte dafür sorgen, dass schnelle Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren realisiert werden. Das hat Herr Altmaier leider versäumt.

Und der dritte Bereich?

Der betrifft Arbeitszeit und Mitbestimmung. Bei der Arbeitszeit ist das Sondierungspapier auffallend konkret, indem es „Experimentierräume“ für Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz mit den dort festgeschrieben Ruhezeiten und Höchstarbeitszeiten ins Spiel bringt. Das lehnen wir mit aller Entschiedenheit ab.

Experimente bringen Erkenntnisse.

Offenbar kennen nicht alle Ampelparteien unsere Tarifverträge, in denen Arbeitszeiten flexibel geregelt sind. Dafür brauchen wir keine Gesetzesänderung. Das Arbeitszeitgesetz ist ein Schutzgesetz, und weil viele Beschäftigten keinen Tarifschutz haben, wehren wir uns gegen Lockerungen im Gesetz. Beim Thema Arbeits- und Ruhezeiten geht es um die Gesundheit der Beschäftigten, und mit der experimentiert man nicht. Beim Thema Weiterentwicklung der Mitbestimmung erwarte ich nach der vagen Formulierung im Sondierungspapier „mehr Fleisch“ im Koalitionsvertrag.

Wenn nur mit Tarifverträgen vom Arbeitszeitgesetz abgewichen werden darf, veranlasst das womöglich Unternehmen, Tarife anzuwenden.

Im Sondierungspapier steht aber Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung. Das können wir nicht akzeptieren, weil Arbeitgeber dann auf der betrieblichen Ebene längere Arbeitszeiten durchsetzen zulasten der Gesundheit der Beschäftigten.

Führen Sie an diesem Punkt nicht einen Prinzipienstreit, der weit weg ist von der Wirklichkeit der Beschäftigten?

An dem Punkt bin ich knochenhart, weil mit der hübsch klingenden Formulierung „flexible Arbeitszeit“ vor allem längere Arbeitszeiten gemeint sind. Nach Erhebungen des wissenschaftlichen Instituts der Bundesagentur für Arbeit werden hierzulande jährlich rund zwei Milliarden Überstunden geleistet, die Hälfte davon unbezahlt. Das ist die Realität. Im Übrigen erwarten wir von der nächsten Bundesregierung eine Umsetzung der Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs, wonach es eine Arbeitszeiterfassung geben muss.

Das dürfte schwierig werden mit der FDP.

Die FDP weiß Sozialpartnerschaft durchaus zu schätzen. Es entspricht ja auch der Logik des von den Liberalen geschätzten Subsidiaritätsprinzips, dass die Sozialpartner die Arbeitswelt gestalten. Dazu brauchen wir eine höhere Tarifbindung. Sonst wird es immer wieder den Ruf nach dem Gesetzgeber geben.

Christian Lindner akzeptiert also ein bundesweites Tariftreuegesetz für die staatliche Auftragsvergabe und eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit für Tarifverträge?

Davon gehe ich aus. Wenn ich schon keine Steuern erhöhen will für Reiche und Erben, dann ist doch eine Tariftreueregelung geradezu zwingend, um Geschäftsmodelle zu erschweren, mit denen Beschäftigte ausgebeutet sowie Steuern und Sozialabgaben vermieden werden.

Sie wollen eine weitere Stärkung der Betriebsräte, obgleich im vergangenen Sommer das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Kraft trat. Warum reicht das nicht?

Der Lieferdienst Gorillas ist ja ein aktuelles Beispiel für die Notwendigkeit. Wir sehen hier ein bourgeoises Geschäftsmodell mit Befristungen, verschleppten Gehaltszahlungen und miesen Arbeitsbedingungen, bei dem die Beschäftigten auch noch daran gehindert werden, einen Betriebsrat zu gründen.

Das ist ein extremes Beispiel.

Nein. Bei der Böckler-Stiftung haben wir eine Datei mit ein paar hundert Unternehmen, die versuchen Betriebsräte zu verhindern. Ungefähr ein Drittel der Betriebsratsarbeit wird ständig von Arbeitgebern behindert. Diese Sabotage der Mitbestimmung sollte als Offizialdelikt erklärt werden, das dann auch vom Gericht empfindlich sanktioniert werden kann. Der Bürgerrechtspartei FDP traue ich hier ebenso Unterstützung zu wie bei einer Reform der Unternehmensmitbestimmung.

Wieso gibt es da Reformbedarf?

Sechs der zehn neuen Unternehmen im Dax 40 nutzen die europäische SE und unterlaufen damit die Unternehmensmitbestimmung mit einem paritätisch besetzten Aufsichtsrat. Das lässt sich leicht korrigieren. Im Übrigen: Das Mitbestimmungsgesetz wurde 1976 von der sozialliberalen Koalition verabschiedet. Heute weiß jeder aufgeklärte Kapitalist, dass die deutsche Mitbestimmung ein Erfolgsmodell ist. Die FDP weiß das auch.

Das hilft aber wenig bei der Organisation der neuen Berufe und Branchen, in denen die Gewerkschaften keinen Fuß an die Erde kriegen.

Grundsätzlich gilt: Transformation gelingt besser mit Sozialpartnerschaft als ohne, auch in der digitalen Welt. Viele neue Geschäftsmodelle und Unternehmen haben jedoch überhaupt kein Interesse an Mitbestimmung und Tarifbindung. Auch deshalb macht die EU-Kommission vermutlich noch in diesem Jahr einen Vorschlag zur Gestaltung der Plattformökonomie. Da geht es zum Beispiel um die Feststellung des Arbeitnehmerstatus: selbstständig, scheinselbstständig oder abhängig beschäftigt.

Und dann?

Viele neue Branchen und Betriebe sind innovativ, übernehmen aber keine soziale Verantwortung. Es ist doch für die Gesellschaft insgesamt und im europäischen Maßstab ganz wichtig, ob sich Sozialpartnerschaft auch in der digitalen Welt entwickeln kann. Wir werden Unternehmen dazu bewegen müssen, Arbeitgeberverbänden beizutreten, die dann mit Gewerkschaften die Tarifverträge aushandeln.

Dazu bedarf es konfliktbereiter Gewerkschaftsmitglieder; die gibt es im Stahlwerk, aber nicht in einem Software Lab.

Deshalb brauchen wir dringend ein digitales Zugangsrecht. In der „alten“Welt verteilen wir Flugblätter vor dem Werkstor oder treten bei Betriebsversammlungen auf. In der neuen Welt benötigen wir einen Zugang für die internen Netze, um die Leute kontaktieren und informieren zu können. Wir müssen zum Beispiel eine Meldung auf den Dienstlaptop schicken können mit dem Hinweis, dass der Tarifvertrag 30 Tage Urlaub und kürzere Arbeitszeiten bedeutet. Diese direkte Kommunikation ist unverzichtbar, das haben wir in der Pandemie gelernt.

Wie digital sind die Gewerkschaften?

Auch wir haben in der Pandemie einen Sprung nach vorne gemacht. Der digitale 1. Mai war ein großer Erfolg. Digitale Kommunikation muss schnell und zugespitzt sein und neugierig machen auf Gewerkschaften – das können wir. Aber nochmal: Erst muss der Status als abhängig Beschäftigter festgestellt werden. Dann kann man Betriebsräte wählen und mit der Gewerkschaft Tarifverträge durchsetzen.

Die Gewerkschaften werden aber immer schwächer, der Mitgliederschwund beschleunigt sich in der Pandemie.

Die Menschen wollen angesprochen werden, und das ist in diesen Zeiten kaum möglich. Es gibt Jugendliche, die in der Pandemie eine Ausbildung begonnen haben, aber den Betrieb oder das Büro kaum sehen. Diesen Nachwuchs anzusprechen und für eine Gewerkschaft zu gewinnen, ist zurzeit sehr schwer.

Sie haben vor ein paar Tagen gemeinsam mit dem Arbeitgeberpräsidenten zum Impfen aufgerufen. Ist die Zeit der Appelle nicht lange schon vorbei?

Impfen ist ein Akt der Solidarität und wir befürworten 3G im Betrieb. Wer sich nicht impfen lassen will, der muss täglich ein negatives Testergebnis vorlegen.

Warum sind Sie gegen eine Impfpflicht für Pflegepersonal und Erziehungsberufe, wie das andere Länder machen?

In den Schulen haben wir eine Impfquote über 90 Prozent und bei den Pflegenden über 80 Prozent. Ich verbessere nicht die Arbeitsbedingungen in der Pflege, sondern verschärfe womöglich sogar den Pflexit, wenn ich eine Impfpflicht einführe. Arbeitsbedingungen und Entlohnung in der Pflege müssen dauerhaft verbessert werden. Aber nochmal: Es gibt keine Alternative zum Impfen.

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Eine glatte Lüge

"Mehr Fortschritt wagen", haben SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag überschrieben. Passender wäre der Satz "Mehr Vages wagen" gewesen. Das 177-seitige Dokument, das die Genossen Olaf Scholz, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock sowie FDP-Boss Christian Lindner gestern vorgestellt haben, ist in weiten Teilen nur ein politischer Wunschzettel. Einen Monat vor Weihnachten haben die drei Parteien ihre inhaltlichen Differenzen durch einen Kniff gelöst: Sie haben ihre jeweiligen Wunschvorstellungen in mehr als 50.000 wohlklingende Worte verpackt und schlicht aneinandergereiht. Sozialdemokraten, Klimabewegte, Liberale: Für jeden ist in diesem Füllhorn etwas dabei – aber konkrete Lösungsvorschläge für die gegenwärtigen Herausforderungen muss man mit der Lupe suchen. Auch den Beweis, dass sich all die Ideen, Vorhaben und Absichten zu einem schlüssigen Gesamtkonzept schmieden lassen, müssen die drei Parteien erst noch erbringen.

Ein Blick auf die wichtigsten Punkte:

Für den Kampf gegen Corona gründen die Ampelkoalitionäre einen Krisenstab im Kanzleramt, der sich von einer Expertengruppe beraten lässt – besetzt mit Virologen, Epidemiologen, Soziologen und Psychologen. "Wir brauchen diesen Sachverstand, um zu Erkenntnissen zu kommen", räumt Bald-Hausherr Olaf Scholz ein. Das ist der Bruch mit Angela Merkels klandestinen Corona-Kungelrunden. Ein überfälliger Schritt, der schon vor Monaten von Beobachtern gefordert wurde, auch hier im Tagesanbruch. Außerdem sollen Pflegekräfte einen einmaligen Bonus bekommen. Das ist nett, aber es ist viel zu wenig. In der außer Kontrolle geratenen Corona-Katastrophe, angesichts Schwerkranker, die in Rettungswägen Hunderte von Kilometern durch die Republik gekarrt werden müssen, weil immer mehr Intensivstationen voll sind, braucht es mehr als einen Expertenrat und ein bisschen Extrageld. Was ist mit strikten Kontrollen der 2G-Regel, mit harten Strafen für Verstöße, mit bundesweit einheitlichen Kontaktregeln, mit der Impfpflicht? "Wir werden alles tun, um die vierte Corona-Welle zu brechen", beteuert Grünen-Chef Robert Habeck. Stand jetzt ist das eine glatte Lüge.

Der Mindestlohn soll auf 12 Euro steigen, was einer Gehaltserhöhung für zehn Millionen Bürger gleichkommt, wie Olaf Scholz stolz vorrechnet. Damit hat die SPD ihr wichtigstes Wahlkampfversprechen durchgesetzt, Punkt für die Roten.

Den Neubau von 100.000 Wohnungen will die Koalition bezuschussen, weitere 300.000 sollen auf dem freien Markt entstehen. Ein kompliziertes Vorhaben, doch die SPD hat in Hamburg gezeigt, dass es geht. Die Mietpreisbremse wird verlängert und die EEG-Umlage abgeschafft, was den Strom günstiger macht. Ob das reicht, um die explodierenden Mieten in Großstädten zu drosseln, ist offen.

Ein "Bürgergeld" ersetzt Hartz IV, was im Wesentlichen bedeutet, dass die Empfänger weniger gegängelt und die verhassten Vermögensprüfungen erleichtert werden. Mehr Geld gibt es aber nicht, der Regelsatz bleibt gleich.

Auch das Rentenniveau soll dauerhaft gleichbleiben, Rentenkürzungen schließen die Koalitionäre ebenso aus wie ein höheres Renteneintrittsalter. Weil Rentner durchschnittlich aber immer länger leben, muss das nötige Geld irgendwo herkommen. Dafür plant die Ampel einen aktienbasierten Fonds, ähnlich wie in den skandinavischen Staaten. Das könnte funktionieren.

Junge Menschen bekommen eine Ausbildungsplatzgarantie, was in Zeiten der Vollbeschäftigung nach wenig klingt, in Krisenzeiten aber ein Meilenstein sein kann. Ebenso bemerkenswert ist die geplante Kindergrundsicherung: Alle Leistungen für Minderjährige werden zusammengeführt, zudem soll es mehr Geld für Schulen und Unis geben. Konsequent durchgezogen, können diese Projekte helfen, Deutschlands Zukunft als wohlhabende Wirtschaftsnation zu sichern.

Den Klimaschutz soll ein neues Superministerium vorantreiben, das alle Regierungsvorhaben auf ihre Vereinbarkeit mit den Klimazielen überprüft. Der Kohleausstieg ist "idealerweise" bereits für 2030 geplant, zudem bekommt der öffentliche Nahverkehr mehr Geld. Der moderate Anstieg des CO2-Preises bleibt, möglichst viele Dächer sollen mit Solaranlagen gepflastert und die Wasserstoffproduktion ausgebaut werden. Als Ergebnis wünschen sich die Koalitionäre, dass schon in neun Jahren 80 Prozent des Stroms im ganzen Land aus erneuerbaren Energien kommt. Ob und wie genau das alles funktionieren kann, bleibt offen. Also allenfalls ein halbes Pünktchen für die Grünen.

Bewaffnete Drohnen sollen künftig die Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen schützen. Rüstungsexporte wollen die Koalitionäre effektiver einschränken. Das Asylrecht soll es mehr Flüchtlingen gestatten, ihre Angehörigen nach Deutschland zu holen.

Die Verwaltung in Behörden und Ämtern soll vereinfacht und durch digitale Prozesse beschleunigt werden, auch hier bleibt das Papier allerdings bei vielen Knackpunkten vage.

Und woher kommt das Geld für all die Ideen? Im kommenden Jahr wollen die drei Parteien noch mal kräftig Schulden machen, ab 2023 die Schuldenbremse dann wieder einhalten. Punkt für die FDP.

"Wir haben außerordentlich ambitionierte Vorhaben", sagt Christian Lindner. "Man kann sich alles Mögliche vornehmen, allerdings hält sich das Leben oft nicht so recht daran", schreiben hingegen unsere Politikreporter Johannes Bebermeier, Sven Böll und Tim Kummert in ihrer Analyse des Koalitionsvertrags – und erinnern daran: "Die großen Herausforderungen der vergangenen Jahre – von der Euro- und Finanz- über die Flüchtlings- bis zur Corona-Krise – standen in keinem Koalitionsvertrag."

So gesehen sollten die Ampelleute nun schleunigst anfangen zu reagieren. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren.

 

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Gemeindetag: Ampel-Versprechen finanziell schwer vereinbar

Der Gemeindetag Baden-Württemberg hält die Versprechen der angehenden Ampel-Koalition in der Sozialpolitik und die geplanten Zukunftsinvestitionen für finanziell nur schwer vereinbar. «Der Koalitionsvertrag bleibt im Ungefähren, weil er beides verspricht», sagte Gemeindetagspräsident Steffen Jäger am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.
Grundsätzlich sei der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP durchaus mutig. Die Ampel-Partner setzten sich nicht nur ambitionierte Ziele, sondern versuchten auch den Weg dorthin zu beschreiben, lobte Jäger. Sie müssten aber auch die Frage beantworten: «Haben wir genügend Mittel, um die Zukunft zu gestalten?»

Denn die Ampel wolle in der Sozialpolitik ein «Füllhorn» ausschütten, um kurzfristig den Wohlstand abzusichern. Das lasse sich aber nur schwer in Einklang bringen mit den dringend notwendigen Investitionen in den künftigen Wohlstand. «Dieses Dilemma muss beantwortet werden», forderte Jäger. Hier sei nicht nur die Politik gefragt, auch die Gesellschaft müsse sich darüber klar werden.

Der Gemeindetagspräsident sieht die künftige Bundesregierung jedenfalls in der Pflicht, die Kommunen finanziell so auszustatten, dass diese die Zukunftsaufgaben bewältigen können, etwa bei der Bildung, Digitalisierung und im Klimaschutz.

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Medikamente, Internet, Bahn  

Das ändert sich im Dezember für die Deutschen

Mehr Rechte, aber auch mehr Ausgaben: Der neue Monat bringt für Internet-, Handy- und Festnetznutzer gleich ein ganzes Bündel an guten Nachrichten. Dafür wird es in der Apotheke und am Ticketautomaten teurer.

Auf dem Weg Richtung Jahresende tut sich noch mal was: Auch im Dezember müssen sich Verbraucher auf einige Änderungen einstellen. Viele sind dabei zu ihrem Vorteil, doch wer Medikamente benötigt oder ein Bahnticket kauft, muss mitunter mehr zahlen. Die wichtigsten Neuerungen im Überblick.

Internetnutzer dürfen Rechnung mindern

Wer von seinem Netzanbieter nicht bekommt, was der verspricht, kriegt Geld zurück: Vom 1. Dezember an können Internetkunden den Preis mindern oder fristlos kündigen, wenn zu Hause nicht die Bandbreite erreicht wird, die vertraglich vereinbart ist. Das sieht die Novelle des Telekommunikationsgesetzes vor.

Erhalten Sie beispielsweise regelmäßig nur die Hälfte der versprochenen Internetgeschwindigkeit, müssen Sie auch nur die Hälfte dafür bezahlen. Alternativ können Sie den Vertrag komplett kündigen.

Keine Verträge mehr rein am Telefon

Die Zeiten, da Mobilfunk-, Internet- und Festnetzverträge ausschließlich am Telefon aufgeschwatzt werden konnten, sind ab Dezember vorbei. Ein Abschluss per Telefon ist dann nur noch wirksam, wenn Sie vom Anbieter vorher eine Vertragszusammenfassung in Textform erhalten haben – etwa ein PDF per E-Mail. Geschieht das nicht, ist der Vertrag so lange unwirksam, bis Sie ihn schriftlich genehmigt haben.

Kürzere Kündigungsfristen

Bisher durften sich Telefon-, Internet- und Handyverträge automatisch um lange Zeiträume verlängern – auch damit ist ab Dezember Schluss. Wer nach Ablauf der Mindestvertragslaufzeit seinem Anbieter nicht mitgeteilt hat, ob er kündigen oder seinen Vertrag fortführen will, kann eine einmonatige Kündigungsfrist nutzen. Früher hätte er mitunter ein komplettes Jahr warten müssen.

Entschädigung bei geplatzten Terminen

Auch wenn sich bei einer Störung keine Technikerin und kein Techniker blicken lässt, werden Verbraucher ab Dezember bessergestellt. Bei geplatzten Technikerterminen oder einem Ausfall des Telekommunikationsdienstes können Verbraucher eine kurzfristige Entstörung oder gegebenenfalls auch eine Entschädigung vom Anbieter verlangen.

Laut Wirtschaftsministerium müssen Verbraucher entschädigt werden, wenn die Störung innerhalb von zwei Arbeitstagen nicht beseitigt werden kann. Die Höhe der Entschädigung ab dem dritten Tag beträgt demnach – je nachdem welcher Betrag höher ist – fünf Euro oder zehn Prozent des vertraglich vereinbarten Monatsentgelts und ab dem fünften Tag zehn Euro oder 20 Prozent.

Wird ein vereinbarter Termin vom Anbieter versäumt, kann der Verbraucher dafür eine Entschädigung in Höhe von zehn Euro oder 20 Prozent des Monatsentgeltes verlangen. Falls der Kunde aber für den fehlgeschlagenen Termin verantwortlich ist oder die Störung nicht im Einflussbereich des Unternehmens liegt, ist der Anbieter nicht in der Pflicht.

In der Apotheke wird es teurer

Ab dem 15. Dezember kosten fertig verpackte rezeptpflichtige Medikamente 20 Cent mehr. Diesen Zuschlag muss jede Apotheke dann in den Nacht- und Notdienstfonds des Deutschen Apothekenverbands abführen. Der Fonds unterstützt unter anderem Apotheken bei der Abrechnung.

Neue Regeln beim Pfändungsschutzkonto

Wer hoch verschuldet ist, muss damit rechnen, dass sein Konto gepfändet wird. Um trotzdem noch über einen bestimmten Betrag frei verfügen zu können, gibt es Pfändungsschutzkonten. Der Freibetrag, der dadurch vor einer Pfändung geschützt ist, steigt ab 1. Dezember von 1.252,64 Euro auf 1.260 Euro. Wer unterhaltspflichtig ist, erhält mehr. Der Freibetrag wird zudem künftig jährlich angepasst – und nicht mehr nur alle zwei Jahre.

Auch ist es P-Kontoinhabern ab Dezember möglich, nicht komplett verbrauchtes Guthaben drei Monate lang auf den nächsten Monat zu übertragen. Bisher war das nur für einen Monat erlaubt. Das soll es leichter machen, für größere Anschaffungen zu sparen.

Und: Eine Bank muss ein Girokonto nun auch dann in ein P-Konto umwandeln, wenn das Girokonto im Minus ist. Der negative Saldo ist dann künftig auf einem separaten Konto zu führen.

Bahnfahren wird teurer

Die Deutsche Bahn erhöht mit ihrem neuen Fahrplan ab 12. Dezember die Preise. Die Flexpreise sowie die Preise für Streckenzeitkarten steigen dann im Schnitt um 2,9 Prozent. Ebenfalls um 2,9 Prozent steigen die Preise für die Bahncards 25, 50 und 100. Gleich bleiben die Super Sparpreise und Sparpreise ab 17,90 Euro beziehungsweise ab 21,50 Euro. Auch die Preise für Sitzplatzreservierungen in der ersten und zweiten Klasse bleiben unverändert.

Support für Betriebssystem läuft aus

Wer seinen PC oder Laptop noch mit Windows 10 2004 betreibt, sollte sich dringend Zeit nehmen, um das System zu aktualisieren. Denn der Hersteller Microsoft stellt seinen Support für diese Windows-Version, die im Mai 2020 erschienen ist, am 14. Dezember ein.

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Ampel will Flüchtlinge schneller eingliedern

 

Düsseldorf . Die künftige Koalition will Migranten bessere Bleibeperspektiven verschaffen. Kritiker glauben, dass das falsche Anreize setzt. Die Hauptprobleme beim Thema Migration liegen jedoch auf europäischer Ebene – und dürften weiter polarisieren.

Von einer Rückkehr der Willkommenskultur war gleich zu hören, als die Ampelparteien mit ihrem Koalitionspapier auch ihre Pläne für die Migrationspolitik öffentlich machten. Nach Jahren erbitterter Debatten über das Thema Zuwanderung klingt das für viele Menschen nach Bedrohung. Dabei plant das neue Bündnis vor allem Erleichterungen für Migranten, die bereits in Deutschland leben. So soll es etwa Kettenduldungen und Arbeitsverbote nicht mehr geben, gut integrierte Menschen sollen schneller ein Bleiberecht bekommen, das Angebot an Integrationskursen und psychosozialer Betreuung soll verbessert werden. Das sind pragmatische Ansätze für ein Land, das sich lange nicht als Einwanderungsland sehen wollte, aber längst zum Hauptziel der Migration nach Europa geworden ist. Das hat natürlich auch mit dem guten Sozial- und Gesundheitssystem hierzulande zu tun. Da bedarf es gar keiner zusätzlichen Anreize, wie sie Kritiker in den geplanten Verbesserungen sehen.

Doch natürlich ist die Frage nach den Grenzen der Aufnahmebereitschaft berechtigt und brisant. Sie schwingt auch im Ampelpapier mit, wenn die Koalitionäre schreiben, sie planten eine „Rückführungsoffensive“, Straftäter und Gefährder sollten konsequent abgeschoben werden. Das hat allerdings auch die alte Regierung stets angekündigt – und ist an der Realität gescheitert. Von sicheren Herkunftsländern ist bei der Ampel nicht mehr die Rede, doch Asylanträge aus Ländern mit geringen Anerkennungsquoten sollen zur Verfahrensbeschleunigung priorisiert werden. Außerdem will die Ampel auf internationaler Ebene aktiv werden und mit den wichtigsten Herkunftsländern von Geflüchteten Abkommen schließen: Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Visa-Erleichterungen gegen die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber könnte die Gleichung lauten. Dafür soll es einen Sonderbevollmächtigten geben.

Hoffnungsvoll findet der Migrationsexperte Gerald Knaus die Ansätze der Ampel. Deutschland müsse neuen Formen der Zusammenarbeit mit Partnern in Drittstaaten und mit willigen Ländern innerhalb der EU finden, mehr legale Aufnahmen Schutzbedürftiger ermöglichen und großzügige Altfallregelungen mit einem Fokus auf der Abschiebung von Straftätern verbinden. Die neue Regierung müsse sich auch dafür einsetzen, dass die EU zu Respekt von EU-Recht zurückkehre und zum Beispiel Pushbacks an ihren Außengrenzen nicht länger dulde. „Das alles könnte humane Kontrolle von Zuwanderung ermöglichen, irreguläre Migration reduzieren und den derzeitigen Trend in der EU, Flüchtlingsrechts auszusetzen, noch stoppen“, sagt Knaus. Und es könne Leben retten. „Die EU-Außengrenze ist nämlich noch immer die tödlichste Grenze der Welt.“

Aus der künftigen Opposition kommt dagegen harsche Kritik an den Plänen: Deutschland sei natürlich auf Einwanderung angewiesen, um seinen Wohlstand zu sichern, dazu habe die Union mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Grundlage geschaffen. „Was dagegen die links-gelbe Koalition nun im Bereich Migration vorhat, hat nichts mit gesteuerter Einwanderung zu tun“, sagt Mathias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der Union. Vorhaben wie der umfassende Ausbau der Bleiberechtsmöglichkeiten, die Ausweitung der Asylbewerberleistungen und der erleichterte Erwerb der Staatsangehörigkeit, setzten Anreize für mehr ungesteuerte Zuwanderung. Dabei seien Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Migration notwendig, um die Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft für die wirklich Schutzbedürftigen zu erhalten und Integration zu ermöglichen. „Dafür ist natürlich entscheidend, dass illegale Migration bekämpft und die Pflicht zur Ausreise auch durchgesetzt wird“, sagt Middelberg. „Erwartungsgemäß findet man dazu im Koalitionsvertrag aber leider nichts Konkretes.“

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Neue Bundesregierung: Auch die zweite Reihe steht

Bei den parlamentarischen Staatssekretären und Staatsministern sorgt Olaf Scholz erneut für Überraschungen. Mit den neuen Namen ist die Regierungsmannschaft so gut wie komplett.

Auch die zweite Reihe steht

In der SPD sind weitere zentrale Personalentscheidungen gefallen. Nach der Riege der Ministerinnen und Minister steht nach Informationen der Süddeutschen Zeitung nun auch fest, wer aus der SPD in der zweiten Reihe Karriere machen wird, wer zum parlamentarischen Staatssekretär oder zur parlamentarischen Staatssekretärin ernannt werden soll, zum Staatsminister oder zur Staatsministerin aufsteigt. Und wieder sorgt Olaf Scholz für Überraschungen.

Die erst 31 Jahre alte, frisch in den Bundestag gewählte SPD-Politikerin Reem Alabali-Radovan aus Schwerin soll Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration bei Kanzler Scholz werden. Sie bringt einige Erfahrung mit. Im Januar 2020 hatte die Politikerin das Amt der Integrationsbeauftragten in Mecklenburg-Vorpommern übernommen.

Alabali-Radovan wurde 1990 als Kind irakischer Eltern in Moskau geboren und kam sechs Jahre später mit ihrer Familie nach Mecklenburg-Vorpommern. Sie wuchs in Schwerin auf und machte dort Abitur. An der Freien Universität Berlin studierte sie später Politikwissenschaft, kehrte aber 2015 nach Mecklenburg-Vorpommern zurück. Zwischenzeitlich arbeitete sie für die Ausländerbehörde des Landes just in jener Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete, in der sie selbst als Kind aufgenommen worden war.

Zum Staatsminister und Ostbeauftragten der Bundesregierung macht Scholz den bisherigen parlamentarischen Fraktionsgeschäftsführer, den Erfurter Carsten Schneider, 45 Jahre alt. Außerdem nimmt er eine weitere Vertraute aus dem Finanzministerium mit, das er bisher leitete: Sarah Ryglewski, 38. Sie war dort bereits parlamentarische Staatssekretärin und steigt zur Staatsministerin beim Bundeskanzler auf.

Wer wird was - ein Überblick:

Der designierte Kanzler hat im Einvernehmen mit den jeweiligen künftigen SPD-Ministern geklärt, welche Frauen und Männer dort unterstützen sollen. Damit steht im Großen und Ganzen Scholz' erweiterte Regierungsmannschaft, denn Grüne und FDP, die Partner im Ampel-Bündnis, hatten diese Personalfragen für sich schon geklärt.

Im Innenministerium, das mit der SPD-Politikerin Nancy Faeser erstmals von einer Frau geführt werden wird, endet auch die reine Männerherrschaft auf Ebene der parlamentarischen Staatssekretäre: Neben Mahmut Özdemir und Johann Saathoff soll mit Rita Schwarzelühr-Sutter eine weitere Frau in die Leitungsebene aufsteigen. Sie war bisher im Umweltministerium Staatssekretärin.

Im Verteidigungsministerium soll Christine Lambrecht als Ministerin von zwei erfahrenen Verteidigungspolitikern unterstützt werden: Siemtje Möller und Thomas Hitschler.

Karl Lauterbach, Corona-Experte und nächster Gesundheitsminister, soll sich bei der Leitung des Hauses auf zwei Gesundheitsexperten aus der Fraktion stützen können: Sabine Dittmar, die selbst als neue Gesundheitsministerin gehandelt worden war, und Edgar Franke.

Svenja Schulze, die vom Umweltministerium ins Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wechselt, bekommt einen Scholz-Vertrauten an die Seite gestellt, Niels Annen, bislang Staatsminister im Auswärtigen Amt, sowie Bärbel Kofler, dort bisher Menschenrechtsbeauftragte.

Der bisherige wie künftige Arbeitsminister Hubertus Heil behält sein Spitzenpersonal: Kerstin Griese und Anette Kramme sollen parlamentarische Staatssekretäre bleiben.

Im neu zu schaffenden, wieder eigenständigen Bauministerium bekommt Ressortchefin Klara Geywitz Hilfe von Cansel Kiziltepe, Abgeordnete aus Berlin, die sich mit dem angespannten Wohnungsmarkt in Großstädten auskennt, sowie von Sören Bartol.

Von den insgesamt 16 Posten gehen sieben an Männer, neun an Frauen. Scholz hatte angekündigt, auch unterhalb der Ebene der Minister darauf achten zu wollen, zentrale Posten mit Frauen zu besetzen.

Die parlamentarischen Staatssekretäre unterstützen die jeweiligen Minister. Sie müssen dem Bundestag angehören, halten Kontakt zum Parlament, den Fraktionen und Ausschüssen. Der Minister oder die Ministerin legt deren Aufgaben fest. Auf Wunsch des Ministers vertreten die Staatssekretäre ihn oder sie bei Auftritten etwa in den Ausschüssen.

Die Staatssekretäre werden vom Kanzler dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen. Im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt führen die parlamentarischen Staatssekretäre die Bezeichnung: "Staatsminister".

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Subventionsbetrug durch falsche Corona-Hilfen nimmt zu

Seit dem Start der Corona-Soforthilfen für Unternehmen hat der Betrug mit erschlichenen Subventionen in Baden-Württemberg stark zugenommen. Hunderte Verdachtsfälle beschäftigen bereits die baden-württembergischen Behörden, der Schaden ist im vergangenen Jahr und im Vergleich zum Vorjahr geradezu explosionsartig gestiegen. Nach Angaben des Landesinnenministeriums wurden im Jahr 2019 noch 21 Fälle von Subventionsbetrug in Schadenshöhe von insgesamt 160.724 Euro registriert. Ein Jahr später waren es bereits 333 Fälle, die Höhe des Schadens wird mit mehr als 3,873 Millionen Euro angegeben - das ist das 24-fache des Werts im Jahr zuvor.

Zwar trennt die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) nicht die Fälle, die mit Corona zu tun haben, von anderen Betrugsfällen. «Es lässt sich aber sehr wohl die Aussage treffen, dass der deutliche Anstieg im Jahr 2020 durchaus auf den Missbrauch von Corona-Soforthilfen zurückzuführen ist», sagte ein Ministeriumssprecher in Stuttgart. Der Trend bleibt ungebremst: «Für das aktuelle Jahr 2021 lässt sich im Bereich des Subventionsbetrugs ein weiterer Anstieg sowohl bei den Fällen als auch beim Schaden feststellen», sagte der Sprecher. Allerdings kommen Betrüger nur selten unentdeckt davon: Im vergangenen Jahr wurden 97 Prozent der Fälle aufgeklärt.

«Die Corona-Pandemie kriminell auszunutzen, ist überhaupt nicht in Ordnung, dafür gibt es keinerlei Rechtfertigung», warnte Innenminister Thomas Strobl (CDU). «Wer hier betrügt, begeht eine Straftat an allen ehrlichen Steuerzahlern.»

Nach Auskunft des Innenministeriums kamen die Betrugsfälle zu Anfang der Pandemie vermehrt vor. Später führten Bundesregierung und die für die Auszahlung zuständigen Landesbanken verschärfte Prüf- und Sicherungsregeln ein. Beispielsweise werden Anträge nur noch nach Testierung durch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zur Auszahlung zugelassen.

Nach früheren Angaben des Justizministeriums haben Ermittler in Baden-Württemberg allein zwischen April 2020 und Ende Februar 2021 rund 798 Verfahren wegen Betrugs mit Corona-Soforthilfen eingeleitet. Beispielhaft dafür steht ein Fall, der von Dienstag an vor dem Landgericht Mannheim verhandelt wird. Ein angeklagter Unternehmer soll im April eine Soforthilfe des Bundes in Höhe von 9000 Euro beantragt und angegeben haben, er betreibe ein Unternehmen für Klimatechnik in Weinheim. Das war allerdings nach Angaben des Gerichts zu keinem Zeitpunkt der Fall, dennoch wurde die beantragte Summe ausgezahlt. Die Masche soll der Mann wiederholt unter anderem auch in Hessen angewandt haben, bevor er aufflog.

Nach Angaben des Justizministeriums handelt es sich auch um Subventionsbetrug, wenn tatsächlich kein Geld gezahlt wurde und damit auch kein Schaden entstanden ist - zum Beispiel, wenn der Betrug vor der Auszahlung bemerkt wird. Bei den Taten ließen sich unterschiedliche Vorgehensweisen unterscheiden. Die Betrüger gingen zum Beispiel so vor, dass sie im Namen eines tatsächlich existierenden Unternehmens Soforthilfe beantragten und das Geld dann umlenkten. Oder, und das sei die weit überwiegende Mehrzahl der Fälle, ein Antragsteller wie der in Mannheim angeklagte mutmaßliche Betrüger mache falsche Angaben, um unberechtigt Hilfen zu kassieren.

Die Polizei deckt den Betrug vornehmlich über Geldwäscheverdachtsanzeigen von Kreditinstituten oder über Meldungen durch die für die Subventionen zuständigen Behörden auf. Speziell geschulte Beamte in den regionalen Polizeipräsidien übernehmen die Fälle.

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Harte Vorwürfe in Debatte um Kredit-Umschichtung

Die Opposition hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) wegen der geplanten Umschichtung von Milliarden-Krediten im Haushalt Verfassungsbruch vorgeworfen.

Die Ampel-Fraktionen beschuldigten vor allem die Union am Donnerstag daraufhin der Heuchelei und des Opportunismus. Lindner verteidigte seine Pläne. Anfang des neuen Jahres soll darüber im Parlament abgestimmt werden.

Der Finanzminister will für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung 60 Milliarden Euro umschichten, die wegen der Corona-Krise 2021 als Kredite genehmigt waren, aber nicht aufgenommen wurden. Sie sollen in einem Klima- und Transformationsfonds sozusagen auf die hohe Kante gelegt werden, damit sie nicht verfallen, sondern auch in den kommenden Jahren noch nutzbar sind.

Die Opposition hält den Schachzug für verfassungswidrig, weil Geld, das zur Bekämpfung der Corona-Krise genehmigt war, für Klimaschutz und andere Vorhaben genutzt werden soll. «In einer wundersamen Wandlung werden Corona-Kredite zu Klima-Krediten», kritisierte Unions-Haushälter Christian Haase am Donnerstag. «Es ist doch offensichtlich, dass Sie die Schuldenbremse mit diesem waghalsigen Manöver aushöhlen», warf er Lindner vor und fügte hinzu: «Ich halte diesen Nachtragshaushalt für verfassungswidrig. Ich halte diesen Nachtragshaushalt für den Anfang vom Ende der Schuldenbremse. Und das wird mit Ihrem Namen verbunden sein.»

Die Unionsfraktion will den Haushalt vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen. Auch AfD und Linke halten ihn für verfassungswidrig. Die Linken-Haushälterin Gesine Lötzsch fragte, warum das Geld im laufenden Jahr nicht genutzt wurde - etwa für Impfstoffe, Luftfilter oder Pflegekräfte. «Die alte Regierung war unfähig und unwillig, dieses Geld sinnvoll auszugeben», sagte sie.

Lindner verteidigte die Milliarden-Umschichtungen. «Mitnichten geht es darum, allgemeine Projekte der Ampel-Koalition zu finanzieren», betonte er. Er gebe die klare Zusage, dass das Geld nur verwendet werde, um Folgeschäden der Corona-Pandemie abzufedern. Durch die Krise seien zuletzt viele Investitionen nicht möglich gewesen, die jetzt dringend nachgeholt werden müssten. «Wir dürfen durch die Pandemie nicht auch noch Zeit bei der Transformation verlieren», betonte Lindner.

Politiker von Grünen und SPD lenkten den Blick auf den Haushalt des vergangenen Jahres. Damals habe die schwarz-rote Bundesregierung auch Mittel in den Fonds umgeschichtet - und die Union habe dies sogar noch als Vitaminspritze bezeichnet. Wenn sie jetzt dagegen klage, sei das «keine redliche Haushaltspolitik, das ist Heuchelei», sagte der Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler. Er betonte, die Kredite seien unter anderem zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und zur Stabilisierung der Volkswirtschaft genehmigt worden - und genau dafür sollten sie jetzt eingesetzt werden.

Der SPD-Haushaltspolitiker Dennis Rohde warf der Union vor, sich «aus Opportunismus zum Kämpfer gegen den Wohlstand in diesem Land» zu machen. Jetzt nicht zu handeln, würde den Aufschwung massiv gefährden.

Unmittelbar vor der Debatte hatte bereits der neue Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der CDU-Politiker Helge Braun, den Nachtragshaushalt scharf kritisiert. Die Union mache sich große Sorgen. «Denn das ist schon ein sehr grundsätzlicher Bruch mit der Haushaltssolidität in Deutschland, den wir da gerade erleben», sagte er im Deutschlandfunk.

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Nord Stream 2 und die Ukraine: Streit zwischen SPD und Grüne um Russland verschärft sich

Olaf Scholz will an Nord Stream 2 festhalten. Doch die Koalitionspartnerin fordert das Aus für die Pipeline, falls Putin die Ukraine angreift.

In der Russland-Politik zeichnet sich zwischen den Koalitionspartnerinnen SPD und Grüne immer stärker ein grundsätzlicher Konflikt ab. „Die Tür für Dialog steht vonseiten der EU weiter offen, aber Erpressungsversuchen, ständigen Regelbrüchen und Imperialgehabe werden wir nicht nachgeben“, sagte die Verteidigungspolitikerin und Vizefraktionschefin der Bundestagsgrünen Agnieszka Brugger dem Tagesspiegel.

„ Dialog kann nur auf Basis der gemeinsam vereinbarten Regeln und Verträge geschehen und muss mit starker Einbindung unserer ost- und mitteleuropäischen Partner erfolgen, die sich schon länger sehr begründet Sorgen um ihre Sicherheit machen.“

Mit Blick auf das hochumstrittene Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 sagte Brugger: „Es wäre gerade jetzt falsch, ein Ende dieses Vorhabens auch bei einem Angriff auf die Ukraine auszuschließen.“

Genau dies hatte allerdings Bundeskanzler Scholz getan. Brugger sagte, auch in den Koalitionsverhandlungen hätten sich SPD, Grüne und FDP „darauf verständigt, dass Nord Stream 2 unter normalen Bedingungen nur in Betrieb gehen kann, wenn alle nationalen und europäischen Vorgaben eingehalten werden. Es spricht auch Bände, dass das entsprechende Verfahren bisher alles andere als reibungslos läuft.“

In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ hat auch Wirtschaftsminister Habeck mit Blick auf die Spannungen zwischen Moskau und der Ukraine mit dem Ende von Nord Stream 2 gedroht: Jede weitere militärische Aggression könne „nicht ohne scharfe Konsequenzen bleiben“, sagte der Vizekanzler. „Da kann es keine Denkverbote geben.“

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte dagegen auf dem EU-Gipfel vergangene Woche – seinem ersten im Amt – erklärt, er lehne es ab, die Frage der Pipeline mit dem Ukraine-Konflikt zu verbinden. Nord Stream 2, so Scholz in Brüssel, sei ein „privatwirtschaftliches Projekt“, das jetzt von der Netzagentur geprüft werde.

Dies bezeichnete Reinhard Bütikofer, Grünen-Abgeordneter im Europäischen Parlament, im Gespräch mit dem Tagesspiegel als „belämmert“ und nannte rein wirtschaftliche Interpretationen des Vorhabens „Ammenmärchen“. Wenn es in Europa in den vergangenen zehn Jahren „ein geostrategisch hoch heikles Projekt“ gegeben habe, dann dieses, und die SPD habe es jahrelang gegen die Interessen Europas unterstützt.

Grünen-Politikerin erinnert an Vereinbarungen der Ampel-Parteien

„Doch alles hat eine Grenze. Dass die Pipeline in Betrieb geht, während die Ukraine sich verstärkter russischer Aggression ausgesetzt sieht, das kann niemand verantworten.“ Auch Brugger hält das Argument für wenig stichhaltig: „Der Kreml hat Nord Stream 2 anders als die letzte Bundesregierung eben nie als rein privatwirtschaftliches Vorhaben gesehen“, sagte die Grünen-Politikerin.

Sie erinnerte zudem an Vereinbarungen der Ampel: „In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns darauf verständigt, dass Nord Stream 2 unter normalen Bedingungen nur in Betrieb gehen kann, wenn alle nationalen und europäischen Vorgaben eingehalten werden. Es spricht auch Bände, dass das entsprechende Verfahren bisher alles andere als reibungslos läuft.“

Die USA, aber auch Polen und die Ukraine sind gegen die Leitung, die Russland durch die Ostsee direkt mit Deutschland verbindet. Es geht dabei einerseits darum, dass Deutschland und die EU von Russland abhängig würden, andererseits um die Bedrohung der Ukraine durch Russland. Moskau hat sich 2014 bereits die Schwarzmeer-Halbinsel Krim einverleibt, die völkerrechtlich zur Ukraine gehört.

Nord Stream 2 ist im Besitz des russischen Energiekonzerns Gazprom. Einer der größten Befürworterinnen des Projekts ist Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.t Ihre Regierung gründete vor einem Jahr sogar eine Stiftung, die es vor US-Sanktionen bewahren und seine Fertigstellung sichern soll. Sie nennt sich „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“, der Schweriner Landtag gab sein Plazet Anfang Januar 2021.

Vizekanzler Habeck äußerte sich jetzt verbindlicher, aber inhaltlich auf gleicher Linie wie sein Parteifreund Bütikofer: Die Bundesnetzagentur werde die Unterlagen zu Nord Stream 2 nach Recht und Gesetz prüfen, sagte er. Eine andere Frage sei, „was passiert, wenn Russland die territoriale Integrität der Ukraine weiter verletzt und die Lage eskaliert“.

Lambrecht: Kein Shoppen in Paris für Putin

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht plädierte im Ukraine- Konflikt zwar für härtere Sanktionen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin; das Thema Nord Stream 2 allerdings sprach die SPD-Politikerin in einem Interview mit „Bild am Sonntag“ nicht an. „Aktuell müssen wir Putin und sein Umfeld ins Visier nehmen“. Alle, die für die Aggression gegen die Ukraine verantwortlich seien, müssten „persönliche Konsequenzen“ spüren, „zum Beispiel, dass sie nicht mehr zum Shoppen auf die Pariser Champs Élysées reisen können“.

Derzeit zieht Russland Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen. Es gibt Befürchtungen, Moskau könnte das Nachbarland angreifen. Die G7 und die EU drohen Russland im Falle eines Angriffs mit „massiven Konsequenzen“.

Der „Spiegel“ hatte am Sonnabend berichtet, dass die Nato eine Verstärkung ihrer Truppen im Osten des Bündnisgebietes erwäge.

Der Nato-Oberbefehlshaber für Europa, Tod Wolters, habe den Mitgliedsstaaten auf einer Videokonferenz vorgeschlagen, in Rumänen und Bulgarien ähnlich wie bereits im Baltikum und in Polen die Nato-Präsenz über die Mission „Enhanced Forward Presence“ (EFP) zu erweitern, hieß es. Demnach solle die Nato auch in Südosteuropa EFP-Kontingente von gut 1 500 Personen aufbauen.

„Ich kann auch die Ängste der Ukrainer sehr gut verstehen“, sagte Lambrecht im Interview. Zurückhaltend äußerte sich die neue Verteidigungsministerin zu den Aussichten einer Entsendung von Nato-Soldaten in die Ukraine selbst. „Wir müssen alle Optionen der Diplomatie und der Wirtschaftssanktionen ausschöpfen.“

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Chip-Mangel: Robert Habeck will Halbleiter-Herstellung nach Deutschland holen

Seit Monaten leidet die deutsche Wirtschaft unter fehlenden Chips. Wirtschaftsminister Habeck will die Produktion nun mit Milliardenförderung nach Europa holen, doch Details des Plans sind umstritten.

Vizekanzler Robert Habeck versucht in seinem neuen Amt als Bundeswirtschaftsminister erste industriepolitische Akzente zu setzen – mithilfe von Milliarden-Subventionen. Um die Abhängigkeit von Asien beim Bezug von Halbleitern zu verringern, sollen Produktion dieser Bauteile nach Deutschland gebracht werden.

32 Projekte mit einem Investitionsvolumen von mehr als zehn Milliarden Euro seien ausgewählt worden, teilte das Ministerium des Grünen-Politikers mit. Wie hoch die staatliche Förderung sein soll, blieb zunächst offen. Deutschland habe diese Projekte bei der Europäischen Kommission eingereicht – der erste Schritt zur Genehmigung der Förderung, erklärte das Ministerium.

20 EU-Länder an Initiative beteiligt

»Die weltweiten Lieferengpässe zeigen: Deutschland und Europa haben keine Zeit zu verlieren«, so Habeck. »Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, unseren Bedarf an Mikroelektronik selbst zu decken und Produktion wieder stärker nach Deutschland und Europa holen.« Bei der Chipproduktion müsse Europa unabhängiger von internationalen Lieferketten werden. Neben Deutschland sind 19 weitere EU-Länder mit rund 90 Unternehmen an dem Projekt beteiligt.

Deutschland habe Branchengrößen ebenso eingereicht wie kleine und mittelständische Unternehmen sowie Start-ups. Die Projekte reichten von der Materialherstellung über das Chipdesign und die Produktion von Halbleitern bis hin zur Integration in Komponenten und Systeme.

Hierzulande könnte laut »Handelsblatt« unter anderem die als »Silicon Saxony« bekannte Region Dresden von dem Plan profitieren, die Chipherstellung wieder zurück nach Deutschland zu holen. Der Zeitung zufolge ist jedoch umstritten, ob viel Steuergeld in neue Fabriken gesteckt werden solle. Die Denkfabrik »Stiftung Neue Verantwortung« empfiehlt demnach, gezielt Start-ups zu fördern, um die Abhängigkeit von Bauteilen aus Asien insgesamt gering zu halten.

Engpässe bei der Lieferung der derzeit hauptsächlich in Asien hergestellten Halbleiter hatten zuletzt in mehreren Branchen zu Schwierigkeiten geführt. Insbesondere die Autoindustrie leidet unter dem Mangel, zahlreiche Hersteller mussten deswegen zu Kurzarbeit greifen, vielerorts warteten zuletzt zahlreiche Wagen auf ihre Fertigstellung. Auch Hersteller von Smartphones, Computern, WLAN-Routern und medizinischen Geräten konnten ohne die Chips nicht wie gewohnt produzieren.