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News aus der EU
Zitat von Gast am 30. November 2021, 07:14 UhrGlobal Gateway: Der 300-Milliarden-Euro-Plan: Die EU stemmt sich gegen Chinas Seidenstraße
Das Investitionsprogramm ist Europas Antwort auf den politischen und ökonomischen Wettbewerb mit China. Europäische Unternehmen dürfen auf lukrative Aufträge hoffen.
Mit einem Investitionsprogramm in Höhe von bis zu 300 Milliarden Euro will die EU den Bau von moderner Infrastruktur in Schwellen- und Entwicklungsländern fördern. Das Vorhaben gilt als Schlüsselinitiative der EU im Systemwettbewerb mit China und ist das Ergebnis jahrelanger Beratungen zwischen Kommission und Mitgliedstaaten.
Am Mittwoch soll die Strategie mit dem Namen Global Gateway offiziell vorgestellt werden. Die aktuelle Fassung liegt dem Handelsblatt vor. Die Summe ist deutlich höher als bis zuletzt geplant und ein Zeichen dafür, wie wichtig das Vorhaben EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist. Europäische Unternehmen dürfen auf lukrative Aufträge hoffen.
„Global Gateway hat das Potenzial, die EU zu einem wirkungsvollen geopolitischen Akteur zu machen“, sagte der deutsche EU-Botschafter Michael Clauss dem Handelsblatt. Das Angebot werde „für viele Partnerländer eine attraktive Alternative zur chinesischen Seidenstraße sein“.
Es ist das erklärte Ziel der EU, ihren weltweiten Einfluss zu stärken. Global Gateway wurde speziell mit Blick auf die Rivalität mit autoritären Systemen konzipiert. Das verdeutlicht die Kommission bereits im ersten Satz ihres Strategiedokuments: „Starke Demokratien und die Werte, die sie untermauern, müssen eine Antwort auf die heutigen globalen Herausforderungen geben.“
Eine dieser Herausforderungen ist veraltete Infrastruktur: In vielen Ländern fehlen moderne Zugstrecken und Straßen, Stromtrassen und Glasfaserkabel, ihnen will sich Europa als Partner anbieten.
300 Milliarden Euro für sechs Jahre
Um die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen und eine klimaneutrale Weltwirtschaft zu schaffen, fehlen nach Schätzungen der EU 1,3 Billionen Euro pro Jahr. Mit dem Programm „Global Gateway“ will Europa nun seinen Beitrag dazu leisten, diese Investitionslücke zu verringern.
Die anvisierten 300 Milliarden Euro sollen im Zeitraum zwischen 2021 und 2027 fließen. Dafür werden verschiedene Programme aus dem EU-Haushalt angezapft. „Es geht nicht nur darum, für europäische Werte einzutreten, sondern auch darum, Europa wirtschaftlich zu stärken“, erläuterte ein hochrangiger Kommissionsbeamter. Soll heißen: Auch europäische Unternehmen sollen profitieren, wenn konkrete Projekte mit Partnerländern vereinbart werden.
Die EU plant, 135 Milliarden Euro über den Europäischen Fonds für nachhaltige Investitionen (EFSD+) zu mobilisieren, 25 Milliarden Euro über die Europäische Investitionsbank. Zudem sollen 18 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen aus dem Entwicklungsbudget der EU fließen. „Europäische Finanz- und Entwicklungsinstitutionen“ sollen weitere 145 Milliarden Euro aufbringen, dazu zählen etwa die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau, die französische Entwicklungsagentur AFD und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.
Durch die Beteiligung privater Geldgeber oder weiterer öffentlicher Institutionen soll die Summe, die am Ende tatsächlich für Projekte zur Verfügung steht, noch höher ausfallen.
„Die Kommission hat eine beeindruckende Zahl vorgelegt, und das verdient Anerkennung“, sagte Noah Barkin von der Beratungsfirma Rhodium Group. „Der wahre Test für Global Gateway wird jedoch sein, ob die EU die versprochenen Mittel mobilisieren und sie in Abstimmung mit den Verbündeten in hochkarätige und strategisch relevante Projekte leiten kann.“
Darauf hofft auch die deutsche Wirtschaft: „Für alle europäischen Firmen, die in der Infrastrukturbranche tätig sind, ist Global Gateway eine gute Nachricht“, sagte Frank Kehlenbach, der beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie den Bereich Europa und Auslandsbau leitet. „Viel zu lange hat sich die EU gescheut, ein Problem für den Infrastrukturausbau außerhalb Europas aufzulegen.“
Das jetzige Paket ist der zweite Anlauf
Ursprünglich hatte die EU die Strategie schon im November vorlegen wollen. Doch der damalige Entwurf blieb weit hinter den Erwartungen zurück, die von der Leyen zuvor geweckt hatte. Die Finanzierungszusagen beliefen sich auf gerade einmal 40 Milliarden Euro, der Text führte weder konkrete Projekte auf, noch formulierte er klare Prioritäten. Auch den Systemkonflikt mit China deutete er nur an.
Nachdem das Handelsblatt darüber berichtet hatte, intervenierte von der Leyens Kabinettschef Björn Seibert. Er sagte die geplante Veröffentlichung ab und verlangte umfangreiche Änderungen. In der vergangenen Woche lud Seibert Diplomaten und Experten zum Abendessen in die Führungsetage der Kommission, um über Global Gateway zu diskutieren, darunter den deutschen EU-Botschafter Michael Clauss und Mikko Huotari, Leiter der auf China spezialisierten Berliner Denkfabrik Merics.
Clauss, der von 2013 bis 2018 Deutschland in Peking vertrat, ist in Brüssel eine der treibenden Kräfte hinter den Bestrebungen, Chinas wachsendem geopolitischen Einfluss entgegenzutreten. Zunächst jedoch stieß dieses Ziel innerhalb der EU-Institutionen auf erhebliche Skepsis. Wegen bürokratischer Abwehrschlachten verzögerte sich die europäische Infrastrukturinitiative um mehrere Jahre. Die Umsetzung der Pläne verlaufe „insgesamt stockend“, beklagte das Auswärtige Amt noch im Frühjahr in einem internen Vermerk. Mit Global Gateway hat die EU nun die Chance, aus der Defensive zu gelangen.
Die neue Strategie könnte auf eine grundlegende Neuausrichtung der europäischen Entwicklungspolitik hinauslaufen. Bisher hat sich die EU eher auf klassische Entwicklungszusammenarbeit konzentriert und die strategische Bedeutung von Infrastrukturvorhaben vernachlässigt. Europa ist zwar der weltweit größte Geber von Entwicklungshilfe, zieht daraus aber nur geringen politischen Nutzen.
Wie es anders geht, haben die Chinesen vorgemacht. Unter der Führung von Staatschef Xi Jinping finanziert China den Bau von Häfen, Autobahnen und Datenzentren und schiebt chinesischen Unternehmen die Aufträge dafür zu. Um ökologische und soziale Folgen der Projekte schert sich Peking wenig. Es häufen sich Berichte über Korruption, es kommt zu Ausbeutung und Zwangsarbeit.
Bis zuletzt hat China auch den Bau von Kohlekraftwerken gefördert und damit die Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel konterkariert. Im September kündigte Xi an, künftig keine Kohlemeiler mehr finanzieren zu wollen. Ein Schritt, der international begrüßt wurde, allerdings muss sich noch beweisen, ob sich China an das Versprechen hält.
Europäische Firmen fürchten, Zugang zu Märkten zu verlieren
Peking nutze die Seidenstraßen-Initiative, auch „Belt and Road“ genannt, „um politischen Einfluss global auszudehnen, globale Standards und Normen nach eigener Vorstellung zu prägen und Industriepolitik, insbesondere durch Förderung von Staatsunternehmen, voranzutreiben“, warnte das Auswärtige Amt in seinem Vermerk.
In der deutschen Wirtschaft gibt es ganz ähnliche Sorgen. Europäische Unternehmen können sich an den Ausschreibungen für Belt-and-Road-Projekte zwar beteiligen, gehen aber in der Regel leer aus. Der Bund der Deutschen Industrie (BDI) weist seit Jahren auf diesen Wettbewerbsnachteil hin. Zudem fürchten europäische Firmen, Zugang zu den Märkten von Ländern zu verlieren, die in den chinesischen Orbit geraten und die technischen Normen der Volksrepublik übernehmen.
International ist die Seidenstraße vor allem deshalb umstritten, weil sie als Instrument gesehen wird, andere Länder in Abhängigkeiten von Peking zu treiben. Von einer Schuldendiplomatie sprechen Kritiker. Erst vor ein paar Monaten bat Montenegro um die Hilfe der EU: Der Balkanstaat hatte sich mit einem chinesischen Autobahn-Kredit übernommen.
Um sich klar von Chinas rigoroser Interessenpolitik abzugrenzen, heißt es in der Global-Gateway-Strategie: „Die EU wird ihre Finanzierungen zu fairen und günstigen Bedingungen ‧anbieten, um das Risiko von Zahlungsschwierigkeiten zu begrenzen.“ Die Initiative ziele darauf ab, „Verbindungen zu knüpfen und keine Abhängigkeiten zu schaffen“. Ein zentrales Kriterium bei der Mittelvergabe soll die Klimafreundlichkeit der Investitionen sein.
Aus den Mitgliedstaaten kommt Unterstützung: „Wichtig ist, Global Gateway jetzt im geplanten Umfang finanziell zu unterlegen und rasch erste Umsetzungsschritte folgen zu lassen“, sagte ein EU-Diplomat. „Wenn das gelingt, kann die Initiative mit ihrem partnerschaftlichen Ansatz den geopolitischen Anspruch der EU untermauern und chinesischen Einfluss zurückdrängen.“
Auch in der Ampelkoalition trifft die EU-Initiative auf Zustimmung. „Der Vorschlag der Kommission ist ein großer Schritt nach vorn“, sagte Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD. „Jetzt kommt es entscheidend darauf an, ihn schnell mit konkreten Vorhaben zu unterlegen. Schon im nächsten Jahr muss Global Gateway auf dem Balkan und in Afrika mit den Plänen zum Bau von Eisenbahn- und Stromnetzen sichtbar werden.“ Die EU müsse sich deshalb auf physische Projekte konzentrieren. Genau das sieht die Strategie auch vor.
Japan, USA und Großbritannien sind schon weiter
Zugleich forderte Schmid das Bundeswirtschaftsministerium auf, sich gezielt um die Einbindung deutscher Unternehmen zu kümmern. Das demnächst von Grünen-Chef Robert Habeck geführte Haus müsse die von seinem Vorvorgänger Sigmar Gabriel geschaffene Koordinationsstelle zur Unterstützung von strategischen Infrastrukturprojekten dafür nutzen, „deutschen Unternehmen, insbesondere aus dem Mittelstand, die Teilnahme an Global Gateway zu ermöglichen“.
Neben der EU haben auch Japan, die USA und Großbritannien die Bedeutung einer strategischen Infrastrukturpolitik erkannt. Bei der Umsetzung sind sie den Europäern teils schon deutlich voraus.
So will die US-Regierung schon im Januar bis zu zehn Leuchtturmprojekte benennen. Präsident Joe Biden hatte die G7-Staaten im Sommer auf seinen Plan „Build Back Better World“ eingeschworen – einen gemeinsamen westlichen Gegenentwurf zur Seidenstraße. Hieran will die EU nun anknüpfen: Global Gateway solle mit der „im Rahmen der G7 begonnenen Arbeit verzahnt werden und sich mit Initiativen wie Build Back Better World gegenseitig verstärken“, schreibt die Kommission in ihrer Strategie.
Global Gateway: Der 300-Milliarden-Euro-Plan: Die EU stemmt sich gegen Chinas Seidenstraße
Das Investitionsprogramm ist Europas Antwort auf den politischen und ökonomischen Wettbewerb mit China. Europäische Unternehmen dürfen auf lukrative Aufträge hoffen.
Mit einem Investitionsprogramm in Höhe von bis zu 300 Milliarden Euro will die EU den Bau von moderner Infrastruktur in Schwellen- und Entwicklungsländern fördern. Das Vorhaben gilt als Schlüsselinitiative der EU im Systemwettbewerb mit China und ist das Ergebnis jahrelanger Beratungen zwischen Kommission und Mitgliedstaaten.
Am Mittwoch soll die Strategie mit dem Namen Global Gateway offiziell vorgestellt werden. Die aktuelle Fassung liegt dem Handelsblatt vor. Die Summe ist deutlich höher als bis zuletzt geplant und ein Zeichen dafür, wie wichtig das Vorhaben EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist. Europäische Unternehmen dürfen auf lukrative Aufträge hoffen.
„Global Gateway hat das Potenzial, die EU zu einem wirkungsvollen geopolitischen Akteur zu machen“, sagte der deutsche EU-Botschafter Michael Clauss dem Handelsblatt. Das Angebot werde „für viele Partnerländer eine attraktive Alternative zur chinesischen Seidenstraße sein“.
Es ist das erklärte Ziel der EU, ihren weltweiten Einfluss zu stärken. Global Gateway wurde speziell mit Blick auf die Rivalität mit autoritären Systemen konzipiert. Das verdeutlicht die Kommission bereits im ersten Satz ihres Strategiedokuments: „Starke Demokratien und die Werte, die sie untermauern, müssen eine Antwort auf die heutigen globalen Herausforderungen geben.“
Eine dieser Herausforderungen ist veraltete Infrastruktur: In vielen Ländern fehlen moderne Zugstrecken und Straßen, Stromtrassen und Glasfaserkabel, ihnen will sich Europa als Partner anbieten.
300 Milliarden Euro für sechs Jahre
Um die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen und eine klimaneutrale Weltwirtschaft zu schaffen, fehlen nach Schätzungen der EU 1,3 Billionen Euro pro Jahr. Mit dem Programm „Global Gateway“ will Europa nun seinen Beitrag dazu leisten, diese Investitionslücke zu verringern.
Die anvisierten 300 Milliarden Euro sollen im Zeitraum zwischen 2021 und 2027 fließen. Dafür werden verschiedene Programme aus dem EU-Haushalt angezapft. „Es geht nicht nur darum, für europäische Werte einzutreten, sondern auch darum, Europa wirtschaftlich zu stärken“, erläuterte ein hochrangiger Kommissionsbeamter. Soll heißen: Auch europäische Unternehmen sollen profitieren, wenn konkrete Projekte mit Partnerländern vereinbart werden.
Die EU plant, 135 Milliarden Euro über den Europäischen Fonds für nachhaltige Investitionen (EFSD+) zu mobilisieren, 25 Milliarden Euro über die Europäische Investitionsbank. Zudem sollen 18 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen aus dem Entwicklungsbudget der EU fließen. „Europäische Finanz- und Entwicklungsinstitutionen“ sollen weitere 145 Milliarden Euro aufbringen, dazu zählen etwa die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau, die französische Entwicklungsagentur AFD und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.
Durch die Beteiligung privater Geldgeber oder weiterer öffentlicher Institutionen soll die Summe, die am Ende tatsächlich für Projekte zur Verfügung steht, noch höher ausfallen.
„Die Kommission hat eine beeindruckende Zahl vorgelegt, und das verdient Anerkennung“, sagte Noah Barkin von der Beratungsfirma Rhodium Group. „Der wahre Test für Global Gateway wird jedoch sein, ob die EU die versprochenen Mittel mobilisieren und sie in Abstimmung mit den Verbündeten in hochkarätige und strategisch relevante Projekte leiten kann.“
Darauf hofft auch die deutsche Wirtschaft: „Für alle europäischen Firmen, die in der Infrastrukturbranche tätig sind, ist Global Gateway eine gute Nachricht“, sagte Frank Kehlenbach, der beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie den Bereich Europa und Auslandsbau leitet. „Viel zu lange hat sich die EU gescheut, ein Problem für den Infrastrukturausbau außerhalb Europas aufzulegen.“
Das jetzige Paket ist der zweite Anlauf
Ursprünglich hatte die EU die Strategie schon im November vorlegen wollen. Doch der damalige Entwurf blieb weit hinter den Erwartungen zurück, die von der Leyen zuvor geweckt hatte. Die Finanzierungszusagen beliefen sich auf gerade einmal 40 Milliarden Euro, der Text führte weder konkrete Projekte auf, noch formulierte er klare Prioritäten. Auch den Systemkonflikt mit China deutete er nur an.
Nachdem das Handelsblatt darüber berichtet hatte, intervenierte von der Leyens Kabinettschef Björn Seibert. Er sagte die geplante Veröffentlichung ab und verlangte umfangreiche Änderungen. In der vergangenen Woche lud Seibert Diplomaten und Experten zum Abendessen in die Führungsetage der Kommission, um über Global Gateway zu diskutieren, darunter den deutschen EU-Botschafter Michael Clauss und Mikko Huotari, Leiter der auf China spezialisierten Berliner Denkfabrik Merics.
Clauss, der von 2013 bis 2018 Deutschland in Peking vertrat, ist in Brüssel eine der treibenden Kräfte hinter den Bestrebungen, Chinas wachsendem geopolitischen Einfluss entgegenzutreten. Zunächst jedoch stieß dieses Ziel innerhalb der EU-Institutionen auf erhebliche Skepsis. Wegen bürokratischer Abwehrschlachten verzögerte sich die europäische Infrastrukturinitiative um mehrere Jahre. Die Umsetzung der Pläne verlaufe „insgesamt stockend“, beklagte das Auswärtige Amt noch im Frühjahr in einem internen Vermerk. Mit Global Gateway hat die EU nun die Chance, aus der Defensive zu gelangen.
Die neue Strategie könnte auf eine grundlegende Neuausrichtung der europäischen Entwicklungspolitik hinauslaufen. Bisher hat sich die EU eher auf klassische Entwicklungszusammenarbeit konzentriert und die strategische Bedeutung von Infrastrukturvorhaben vernachlässigt. Europa ist zwar der weltweit größte Geber von Entwicklungshilfe, zieht daraus aber nur geringen politischen Nutzen.
Wie es anders geht, haben die Chinesen vorgemacht. Unter der Führung von Staatschef Xi Jinping finanziert China den Bau von Häfen, Autobahnen und Datenzentren und schiebt chinesischen Unternehmen die Aufträge dafür zu. Um ökologische und soziale Folgen der Projekte schert sich Peking wenig. Es häufen sich Berichte über Korruption, es kommt zu Ausbeutung und Zwangsarbeit.
Bis zuletzt hat China auch den Bau von Kohlekraftwerken gefördert und damit die Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel konterkariert. Im September kündigte Xi an, künftig keine Kohlemeiler mehr finanzieren zu wollen. Ein Schritt, der international begrüßt wurde, allerdings muss sich noch beweisen, ob sich China an das Versprechen hält.
Europäische Firmen fürchten, Zugang zu Märkten zu verlieren
Peking nutze die Seidenstraßen-Initiative, auch „Belt and Road“ genannt, „um politischen Einfluss global auszudehnen, globale Standards und Normen nach eigener Vorstellung zu prägen und Industriepolitik, insbesondere durch Förderung von Staatsunternehmen, voranzutreiben“, warnte das Auswärtige Amt in seinem Vermerk.
In der deutschen Wirtschaft gibt es ganz ähnliche Sorgen. Europäische Unternehmen können sich an den Ausschreibungen für Belt-and-Road-Projekte zwar beteiligen, gehen aber in der Regel leer aus. Der Bund der Deutschen Industrie (BDI) weist seit Jahren auf diesen Wettbewerbsnachteil hin. Zudem fürchten europäische Firmen, Zugang zu den Märkten von Ländern zu verlieren, die in den chinesischen Orbit geraten und die technischen Normen der Volksrepublik übernehmen.
International ist die Seidenstraße vor allem deshalb umstritten, weil sie als Instrument gesehen wird, andere Länder in Abhängigkeiten von Peking zu treiben. Von einer Schuldendiplomatie sprechen Kritiker. Erst vor ein paar Monaten bat Montenegro um die Hilfe der EU: Der Balkanstaat hatte sich mit einem chinesischen Autobahn-Kredit übernommen.
Um sich klar von Chinas rigoroser Interessenpolitik abzugrenzen, heißt es in der Global-Gateway-Strategie: „Die EU wird ihre Finanzierungen zu fairen und günstigen Bedingungen ‧anbieten, um das Risiko von Zahlungsschwierigkeiten zu begrenzen.“ Die Initiative ziele darauf ab, „Verbindungen zu knüpfen und keine Abhängigkeiten zu schaffen“. Ein zentrales Kriterium bei der Mittelvergabe soll die Klimafreundlichkeit der Investitionen sein.
Aus den Mitgliedstaaten kommt Unterstützung: „Wichtig ist, Global Gateway jetzt im geplanten Umfang finanziell zu unterlegen und rasch erste Umsetzungsschritte folgen zu lassen“, sagte ein EU-Diplomat. „Wenn das gelingt, kann die Initiative mit ihrem partnerschaftlichen Ansatz den geopolitischen Anspruch der EU untermauern und chinesischen Einfluss zurückdrängen.“
Auch in der Ampelkoalition trifft die EU-Initiative auf Zustimmung. „Der Vorschlag der Kommission ist ein großer Schritt nach vorn“, sagte Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD. „Jetzt kommt es entscheidend darauf an, ihn schnell mit konkreten Vorhaben zu unterlegen. Schon im nächsten Jahr muss Global Gateway auf dem Balkan und in Afrika mit den Plänen zum Bau von Eisenbahn- und Stromnetzen sichtbar werden.“ Die EU müsse sich deshalb auf physische Projekte konzentrieren. Genau das sieht die Strategie auch vor.
Japan, USA und Großbritannien sind schon weiter
Zugleich forderte Schmid das Bundeswirtschaftsministerium auf, sich gezielt um die Einbindung deutscher Unternehmen zu kümmern. Das demnächst von Grünen-Chef Robert Habeck geführte Haus müsse die von seinem Vorvorgänger Sigmar Gabriel geschaffene Koordinationsstelle zur Unterstützung von strategischen Infrastrukturprojekten dafür nutzen, „deutschen Unternehmen, insbesondere aus dem Mittelstand, die Teilnahme an Global Gateway zu ermöglichen“.
Neben der EU haben auch Japan, die USA und Großbritannien die Bedeutung einer strategischen Infrastrukturpolitik erkannt. Bei der Umsetzung sind sie den Europäern teils schon deutlich voraus.
So will die US-Regierung schon im Januar bis zu zehn Leuchtturmprojekte benennen. Präsident Joe Biden hatte die G7-Staaten im Sommer auf seinen Plan „Build Back Better World“ eingeschworen – einen gemeinsamen westlichen Gegenentwurf zur Seidenstraße. Hieran will die EU nun anknüpfen: Global Gateway solle mit der „im Rahmen der G7 begonnenen Arbeit verzahnt werden und sich mit Initiativen wie Build Back Better World gegenseitig verstärken“, schreibt die Kommission in ihrer Strategie.
Zitat von Gast am 1. Dezember 2021, 09:35 UhrKann dieser Mann Europa zerstören?
Der Rassist von nebenan
Paris, Stadt der Liebe, dahin möchte jeder mal. Besonders eilig hat es der künftige Kanzler, der sich schon vor der Bundestagswahl auf sein erstes Reiseziel im Amt festlegte: "Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist zentral dafür, dass wir es schaffen, Europa voranzubringen", hat Olaf Scholz gesagt. Auch wenn man sich aus seinem Mund eine flottere Formulierung gewünscht hätte (was wir vermutlich noch oft tun werden), recht hat er ja. Ohne Frankreich und Deutschland geht nichts in Europa. Deshalb wird er also in wenigen Tagen nach Paris düsen, zum Rendezvous mit Emmanuel Macron. Ein Zeichen der Kontinuität wird das sein – aber eines, über dem ein Fragezeichen schwebt. Denn im Frühjahr wird in Frankreich der Präsident neu gewählt. Und bei unseren Nachbarn ist ganz schön viel in Bewegung.
Wahlen in Frankreich sind immer für eine Überraschung gut. Dass ihr Ausgang aufregender ist, als man es sich für eine stabile deutsch-französische Allianz im Herzen Europas wünschen würde, daran ist diesmal aber ausgerechnet Monsieur Macron selbst schuld. Bei seinem Aufstieg ins höchste Amt hat er eindrucksvoll demonstriert, dass man als Präsidentschaftsaspirant auf eine Partei locker verzichten kann. Die Partei, das bin ich, verkündete er und staffierte seine Kandidatur nur rasch mit einem eigens gegründeten Unterstützerverein aus, der "Die Republik in Bewegung" heißt – womit vor allem die Beförderung des Chefs ins Präsidentenamt gemeint war. Eine richtige Partei mit all den Querelen und Richtungskämpfen, der Konkurrenz, den Profilierungsbemühungen und dem langen Weg an die Spitze: Braucht man alles nicht. Hauptsache, das Sendungsbewusstsein des Kandidaten ist groß genug (und das Ego auch).
Was der kann, kann ich schon lange, hat sich jetzt ein anderer gesagt und ist ebenso überraschend aufs Parkett des Präsidentschaftswahlkampfs gehüpft wie ehemals Herr Macron: Éric Zemmour hat gestern seine Kandidatur angekündigt und damit in Frankreich eine politische Bombe gezündet. In den Umfragen liegt der Grünschnabel hinter Präsident Macron. Und zwar, Moment, ich schaue mal gerade ... oh: soeben noch auf Platz zwei.
Die Franzosen kennen ihn. Éric Zemmour hat als Kommentator in einem rechten TV-Kanal Karriere gemacht, schreibt Bestseller und provoziert bei jeder Gelegenheit. Er stört sich an einer linken Kultur, die von der 68er-Bewegung hervorgebracht worden sei, die mit Feminismus, sexueller Revolution und der Amerikanisierung des Lebens den Niedergang der großen französischen Nation verschuldet habe. Gewiss, das klingt altbacken, als wäre da einer in der Vergangenheit stecken geblieben und führe noch die Diskussionen, die vor mehr als vierzig Jahren mal für Aufregung sorgten.
Aber es lohnt sich für diesen Herrn Zemmour. Er ist der Kandidat der Alten. Sie sind das demografische Schwergewicht, mit dem man Abstimmungen gewinnen kann, zahlreich vertreten in der Bevölkerung und an der Wahlurne. Der Aufwiegler versucht, das wohlhabende, aber unzufriedene Bürgertum für sich einzunehmen: die Generation 65 plus, in der viele alten Zeiten und vergangener Größe hinterhertrauern. Er gibt sich kultiviert, als Mann des Buches, das kommt in Frankreich bei vielen gut an. Ach ja, und noch etwas zeichnet ihn aus: Er ist ein rechtsextremer Rassist.
"Er sagt, wie es ist", loben seine Anhänger ihn und meinen damit, dass er auf politisch korrektes Geschwurbel verzichtet, dass er rücksichtslos Dinge ausspricht, die sonst keiner in den Mund zu nehmen wagt. Das kann man wohl sagen. Ausländisch klingende Vornamen will Herr Zemmour verbieten ("Muhammad" zum Beispiel) und Eltern auf französische Vornamen für ihre Kinder verpflichten. Gerne schwadroniert er vom "Bevölkerungsaustausch", durch den angeblich Frankreichs Christen durch Muslime ersetzt würden – eine Verschwörungstheorie, die inzwischen in ganz Europa zum Standardrepertoire von Rechtsradikalen und Neonazis gehört. Wie alle Populisten setzt auch Éric Zemmour darauf, dass seine Fans die Tabubrüche und Provokationen mit der Wahrheit verwechseln. Mit diesem Sound ist er inzwischen auch zum Kandidaten der Jungen geworden, mancher jedenfalls. Unter den jungen Rechten sind seine Fernsehauftritte Kult.
Schon vor seiner Präsidentschaftskandidatur ist im ultrarechten Lager die Strategiefrage entbrannt. Bei den Regionalwahlen im vergangenen Juni hat Marine Le Pen, die bisher unangefochtene Spitzenfrau der Rechten, mit ihrer Partei eine empfindliche Schlappe erlitten. Madame achtet seit geraumer Zeit genauer auf das Erscheinungsbild und hängt den Rechtsradikalen ein bürgerliches Mäntelchen um, bevor sie sie im Wahlkampf vor die Tür lässt. Die offene Opposition gegen den Euro und die EU gilt ihr inzwischen als zu riskant, sie hat sie feinsäuberlich unter den Teppich gekehrt. Als Alternative für Frankreich will sie für Unzufriedene aus dem bürgerlichen Lager wählbar sein, zugleich gesellschaftlich Abgehängten von links und rechts eine politische Heimat bieten. Für manche ist das zu viel Weichspüler im braunen Hemd.
Der parteilose Herr Zemmour ist nun ausgeschert, um Frau Le Pen rechts zu überholen. Mit Rassismus ohne Schnörkel beschwört er den rechtsradikalen Markenkern. Zugleich vermeidet er, vom Ausstieg Frankreichs aus der EU und dem Euro oder anderen Eskapaden zu fantasieren, die der wohlhabenden Generation der Älteren Angst machen und ans Portemonnaie gehen würden. Éric Zemmour, der als "TV-freundlicher Faschist" betitelt worden ist, baut an einer Brücke zwischen Rechtsextremen und Konservativen.
Ins politische Spektrum Deutschlands übersetzt, sähe das so aus: Er würde nicht nur auf Wähler schielen, die von der AfD und der NPD kommen, sondern auch von der CSU und dem rechten Flügel der CDU – also dem wertkonservativen Teil der Basis, der sich hinter einen Mann wie Friedrich Merz stellt und von der Merkel-Mitte nichts wissen will. Hierzulande würde ein solcher Brückenschlag vermutlich schnell an dem haarsträubenden Gefasel Éric Zemmours scheitern.
In Frankreich jedoch hat eine lange Liste politischer Verfehlungen die Angst vor dem Islam bis ins Extreme geschürt: das Debakel bei der Integration der Einwanderer aus Algerien und den ehemaligen Kolonien, die Kriminalität in den Vorstädten, Straßenschlachten, brennende Autos und Prügeleien mit der Polizei, auch die viel größere Gefahr islamistischer Terroranschläge. Selbst für Bürgerliche ist der Kandidat Zemmour nicht automatisch ein rechtsextremer Spinner, sondern eine akzeptable Wahl.
Die gute Nachricht für Europa und auch für den Frankreich-Reisenden Olaf Scholz: Emmanuel Macron hat in den Umfragen deutlich die Nase vorn. Doch bis zum Wahltag im April ist es noch lange hin, und in Corona-Zeiten polarisiert sich die Gesellschaft weiter. Die politische Landschaft ist rechts und links zersplittert, das Ergebnis schlecht vorhersehbar. Drücken wir also die Daumen, dass in Paris nicht der Extremist siegt. Sondern die Liebe.
Kann dieser Mann Europa zerstören?
Der Rassist von nebenan
Paris, Stadt der Liebe, dahin möchte jeder mal. Besonders eilig hat es der künftige Kanzler, der sich schon vor der Bundestagswahl auf sein erstes Reiseziel im Amt festlegte: "Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist zentral dafür, dass wir es schaffen, Europa voranzubringen", hat Olaf Scholz gesagt. Auch wenn man sich aus seinem Mund eine flottere Formulierung gewünscht hätte (was wir vermutlich noch oft tun werden), recht hat er ja. Ohne Frankreich und Deutschland geht nichts in Europa. Deshalb wird er also in wenigen Tagen nach Paris düsen, zum Rendezvous mit Emmanuel Macron. Ein Zeichen der Kontinuität wird das sein – aber eines, über dem ein Fragezeichen schwebt. Denn im Frühjahr wird in Frankreich der Präsident neu gewählt. Und bei unseren Nachbarn ist ganz schön viel in Bewegung.
Wahlen in Frankreich sind immer für eine Überraschung gut. Dass ihr Ausgang aufregender ist, als man es sich für eine stabile deutsch-französische Allianz im Herzen Europas wünschen würde, daran ist diesmal aber ausgerechnet Monsieur Macron selbst schuld. Bei seinem Aufstieg ins höchste Amt hat er eindrucksvoll demonstriert, dass man als Präsidentschaftsaspirant auf eine Partei locker verzichten kann. Die Partei, das bin ich, verkündete er und staffierte seine Kandidatur nur rasch mit einem eigens gegründeten Unterstützerverein aus, der "Die Republik in Bewegung" heißt – womit vor allem die Beförderung des Chefs ins Präsidentenamt gemeint war. Eine richtige Partei mit all den Querelen und Richtungskämpfen, der Konkurrenz, den Profilierungsbemühungen und dem langen Weg an die Spitze: Braucht man alles nicht. Hauptsache, das Sendungsbewusstsein des Kandidaten ist groß genug (und das Ego auch).
Was der kann, kann ich schon lange, hat sich jetzt ein anderer gesagt und ist ebenso überraschend aufs Parkett des Präsidentschaftswahlkampfs gehüpft wie ehemals Herr Macron: Éric Zemmour hat gestern seine Kandidatur angekündigt und damit in Frankreich eine politische Bombe gezündet. In den Umfragen liegt der Grünschnabel hinter Präsident Macron. Und zwar, Moment, ich schaue mal gerade ... oh: soeben noch auf Platz zwei.
Die Franzosen kennen ihn. Éric Zemmour hat als Kommentator in einem rechten TV-Kanal Karriere gemacht, schreibt Bestseller und provoziert bei jeder Gelegenheit. Er stört sich an einer linken Kultur, die von der 68er-Bewegung hervorgebracht worden sei, die mit Feminismus, sexueller Revolution und der Amerikanisierung des Lebens den Niedergang der großen französischen Nation verschuldet habe. Gewiss, das klingt altbacken, als wäre da einer in der Vergangenheit stecken geblieben und führe noch die Diskussionen, die vor mehr als vierzig Jahren mal für Aufregung sorgten.
Aber es lohnt sich für diesen Herrn Zemmour. Er ist der Kandidat der Alten. Sie sind das demografische Schwergewicht, mit dem man Abstimmungen gewinnen kann, zahlreich vertreten in der Bevölkerung und an der Wahlurne. Der Aufwiegler versucht, das wohlhabende, aber unzufriedene Bürgertum für sich einzunehmen: die Generation 65 plus, in der viele alten Zeiten und vergangener Größe hinterhertrauern. Er gibt sich kultiviert, als Mann des Buches, das kommt in Frankreich bei vielen gut an. Ach ja, und noch etwas zeichnet ihn aus: Er ist ein rechtsextremer Rassist.
"Er sagt, wie es ist", loben seine Anhänger ihn und meinen damit, dass er auf politisch korrektes Geschwurbel verzichtet, dass er rücksichtslos Dinge ausspricht, die sonst keiner in den Mund zu nehmen wagt. Das kann man wohl sagen. Ausländisch klingende Vornamen will Herr Zemmour verbieten ("Muhammad" zum Beispiel) und Eltern auf französische Vornamen für ihre Kinder verpflichten. Gerne schwadroniert er vom "Bevölkerungsaustausch", durch den angeblich Frankreichs Christen durch Muslime ersetzt würden – eine Verschwörungstheorie, die inzwischen in ganz Europa zum Standardrepertoire von Rechtsradikalen und Neonazis gehört. Wie alle Populisten setzt auch Éric Zemmour darauf, dass seine Fans die Tabubrüche und Provokationen mit der Wahrheit verwechseln. Mit diesem Sound ist er inzwischen auch zum Kandidaten der Jungen geworden, mancher jedenfalls. Unter den jungen Rechten sind seine Fernsehauftritte Kult.
Schon vor seiner Präsidentschaftskandidatur ist im ultrarechten Lager die Strategiefrage entbrannt. Bei den Regionalwahlen im vergangenen Juni hat Marine Le Pen, die bisher unangefochtene Spitzenfrau der Rechten, mit ihrer Partei eine empfindliche Schlappe erlitten. Madame achtet seit geraumer Zeit genauer auf das Erscheinungsbild und hängt den Rechtsradikalen ein bürgerliches Mäntelchen um, bevor sie sie im Wahlkampf vor die Tür lässt. Die offene Opposition gegen den Euro und die EU gilt ihr inzwischen als zu riskant, sie hat sie feinsäuberlich unter den Teppich gekehrt. Als Alternative für Frankreich will sie für Unzufriedene aus dem bürgerlichen Lager wählbar sein, zugleich gesellschaftlich Abgehängten von links und rechts eine politische Heimat bieten. Für manche ist das zu viel Weichspüler im braunen Hemd.
Der parteilose Herr Zemmour ist nun ausgeschert, um Frau Le Pen rechts zu überholen. Mit Rassismus ohne Schnörkel beschwört er den rechtsradikalen Markenkern. Zugleich vermeidet er, vom Ausstieg Frankreichs aus der EU und dem Euro oder anderen Eskapaden zu fantasieren, die der wohlhabenden Generation der Älteren Angst machen und ans Portemonnaie gehen würden. Éric Zemmour, der als "TV-freundlicher Faschist" betitelt worden ist, baut an einer Brücke zwischen Rechtsextremen und Konservativen.
Ins politische Spektrum Deutschlands übersetzt, sähe das so aus: Er würde nicht nur auf Wähler schielen, die von der AfD und der NPD kommen, sondern auch von der CSU und dem rechten Flügel der CDU – also dem wertkonservativen Teil der Basis, der sich hinter einen Mann wie Friedrich Merz stellt und von der Merkel-Mitte nichts wissen will. Hierzulande würde ein solcher Brückenschlag vermutlich schnell an dem haarsträubenden Gefasel Éric Zemmours scheitern.
In Frankreich jedoch hat eine lange Liste politischer Verfehlungen die Angst vor dem Islam bis ins Extreme geschürt: das Debakel bei der Integration der Einwanderer aus Algerien und den ehemaligen Kolonien, die Kriminalität in den Vorstädten, Straßenschlachten, brennende Autos und Prügeleien mit der Polizei, auch die viel größere Gefahr islamistischer Terroranschläge. Selbst für Bürgerliche ist der Kandidat Zemmour nicht automatisch ein rechtsextremer Spinner, sondern eine akzeptable Wahl.
Die gute Nachricht für Europa und auch für den Frankreich-Reisenden Olaf Scholz: Emmanuel Macron hat in den Umfragen deutlich die Nase vorn. Doch bis zum Wahltag im April ist es noch lange hin, und in Corona-Zeiten polarisiert sich die Gesellschaft weiter. Die politische Landschaft ist rechts und links zersplittert, das Ergebnis schlecht vorhersehbar. Drücken wir also die Daumen, dass in Paris nicht der Extremist siegt. Sondern die Liebe.
Zitat von Gast am 2. Dezember 2021, 07:27 UhrChinas Neue Seidenstraße: Europa auf der Parallelstraße
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentiert ein gewaltiges Projekt, mit dem die EU Chinas Neuer Seidenstraße Konkurrenz machen will. Aber sie ist damit nicht allein.
Europa auf der Parallelstraße
Ursula von der Leyen hat aus dem Europaparlament bislang selten so viel Lob erhalten wie an diesem Mittwoch nach der Präsentation ihres Projekts namens "Global Gateway". Christdemokraten, Sozialdemokraten, auch Grüne lobten die Kommissionspräsidentin für ihren Plan, die EU solle in den nächsten sechs Jahren 300 Milliarden Euro mobilisieren, um Infrastrukturprojekte in aller Welt zu finanzieren - nicht zuletzt als Antwort auf die "Neue Seidenstraße", mit der China seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss auszudehnen versucht. Von der Leyen habe "dankenswerterweise von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht", lobte der Grüne Reinhard Bütikofer. Er zählt federführend zu den Abgeordneten, die schon länger eine derartige Strategie fordern und der Kommission Beine zu machen versuchen.
Die Europäische Union als geopolitischer Player: Diese Vorstellung ist es, was die Fantasien in Brüssel beflügelt. Aber um ein neues Phänomen handelt es sich nicht. Von "Weltpolitikfähigkeit" sprach Jean-Claude Juncker, der Vorgänger von der Leyens im Amt des Kommissionspräsidenten. Aus dessen Amtszeit stammt der Vorgänger des Global Gateway. Der sperrige Name dafür lautete EU-Asien-Konnektivitätsstrategie und meint die recht banale Erkenntnis, dass Brücken, Straßen, Gleise oder Kabel geeignet sind, Menschen und ganze Nationen miteinander in Verbindung zu bringen. Konkrete Projekte hat die EU zum Beispiel mit Japan und Indien vereinbart. Auf dem Konzept baut von der Leyen auf mit ihrem Global Gateway, das sie im September bei ihrer Rede zur "State of the Union" in Straßburg angekündigt und nun vorgestellt hat.
Von den ausgelobten 300 Milliarden Euro sollen bis zu 135 Milliarden über den Fonds für nachhaltige Entwicklung und 145 Milliarden Euro über weitere europäische Finanzierungsinstitutionen beschafft werden. Zuschüsse von bis zu 18 Milliarden Euro sind aus anderen EU-Programmen geplant. So könnten zum Beispiel Glasfaserleitungen für schnelle Internetverbindungen, neue Eisenbahnstrecken oder Anlagen zur Herstellung und Verflüssigung von grünem Wasserstoff gefördert werden. Auch in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Forschung will die EU Projekte finanzieren.
Das ganze "Team Europa" stecke hinter dem Konzept, sagte von der Leyen am Mittwoch, also nicht nur die Kommission, sondern auch die 27 Mitgliedsländer. Zudem solle privates Kapital in die Projekte gelockt werden. Die Europäische Union garantiere den Partnern Transparenz, Nachhaltigkeit und die Beteiligung der jeweiligen Länder und Kommunen. Man werde die Finanzierung zu fairen und günstigen Bedingungen anbieten, um das Risiko einer Schuldenkrise zu begrenzen, sagte die Kommissionspräsidentin.
Die Enttäuschung der Osteuropäer soll gedämpft werden
Ursula von der Leyen sieht das Projekt auch als Fortsetzung der EU-Pläne für Klimaschutz und Digitalisierung, festgeschrieben im Grünen Deal und im Corona-Wiederaufbaufonds - ein Angebot an andere Staaten in Europa, Afrika, Asien und Südamerika also, sich dem Weg der EU anzuschließen und nicht dem chinesischen Weg. Das Global Gateway sei eine "echte Alternative" zur Neuen Seidenstraße, sagte von der Leyen. Unter dem Namen firmieren seit dem Jahr 2013 Projekte zum Auf- und Ausbau internationaler Handels- und Infrastrukturnetze zwischen China und Ländern in Afrika, Asien und auch in Osteuropa. Gerade dort versucht die Europäische Union nun, mit großen Infrastrukturprojekten die Enttäuschung darüber zu dämpfen, dass es für die betroffenen Länder immer noch keine konkrete Aussicht auf einen Beitritt zur EU gibt.
Global Gateway habe das Potenzial, die Europäische Union zu einem wirkungsvollen geopolitischen Akteur zu machen, sagt der ständige Vertreter der Bundesrepublik bei der EU, Michael Clauß. Das Angebot einer regel- und wertebasierten Zusammenarbeit auf Augenhöhe werde für viele Partnerländer eine attraktive Alternative zur chinesischen Seidenstraße sein. Auch Vertreter der deutschen Wirtschaft zeigten sich in ersten Reaktionen angetan. Die Europäische Union ist allerdings keineswegs allein mit ihrem Plan, den chinesischen Expansionsdrang einzudämmen und umweltfreundliche Infrastrukturen in der Welt zu verbreiten. Das könnte auch zum Problem werden.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat anlässlich des Klimagipfels in Glasgow ein Programm namens "Clean Green Initiative" angekündigt, ausgestattet mit drei Milliarden Pfund. Ebenfalls in Glasgow sprach Ursula von der Leyen mit US-Präsident Joe Biden über dessen Investitionsprogramm namens "Build Back Better World". Zumindest in diesem Punkt hat Biden das Erbe seines Vorgängers Donald Trump weitergeführt. Bei Trump hieß die Strategie, Chinas Einfluss zu stoppen, "Blue Dot Network". Die Frage wird nun sein, ob all diese Programme miteinander konkurrieren, oder ob die westlichen Staaten gemeinsam vorgehen, als echte Alternative zu Chinas Neuer Seidenstraße.
Chinas Neue Seidenstraße: Europa auf der Parallelstraße
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentiert ein gewaltiges Projekt, mit dem die EU Chinas Neuer Seidenstraße Konkurrenz machen will. Aber sie ist damit nicht allein.
Europa auf der Parallelstraße
Ursula von der Leyen hat aus dem Europaparlament bislang selten so viel Lob erhalten wie an diesem Mittwoch nach der Präsentation ihres Projekts namens "Global Gateway". Christdemokraten, Sozialdemokraten, auch Grüne lobten die Kommissionspräsidentin für ihren Plan, die EU solle in den nächsten sechs Jahren 300 Milliarden Euro mobilisieren, um Infrastrukturprojekte in aller Welt zu finanzieren - nicht zuletzt als Antwort auf die "Neue Seidenstraße", mit der China seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss auszudehnen versucht. Von der Leyen habe "dankenswerterweise von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht", lobte der Grüne Reinhard Bütikofer. Er zählt federführend zu den Abgeordneten, die schon länger eine derartige Strategie fordern und der Kommission Beine zu machen versuchen.
Die Europäische Union als geopolitischer Player: Diese Vorstellung ist es, was die Fantasien in Brüssel beflügelt. Aber um ein neues Phänomen handelt es sich nicht. Von "Weltpolitikfähigkeit" sprach Jean-Claude Juncker, der Vorgänger von der Leyens im Amt des Kommissionspräsidenten. Aus dessen Amtszeit stammt der Vorgänger des Global Gateway. Der sperrige Name dafür lautete EU-Asien-Konnektivitätsstrategie und meint die recht banale Erkenntnis, dass Brücken, Straßen, Gleise oder Kabel geeignet sind, Menschen und ganze Nationen miteinander in Verbindung zu bringen. Konkrete Projekte hat die EU zum Beispiel mit Japan und Indien vereinbart. Auf dem Konzept baut von der Leyen auf mit ihrem Global Gateway, das sie im September bei ihrer Rede zur "State of the Union" in Straßburg angekündigt und nun vorgestellt hat.
Von den ausgelobten 300 Milliarden Euro sollen bis zu 135 Milliarden über den Fonds für nachhaltige Entwicklung und 145 Milliarden Euro über weitere europäische Finanzierungsinstitutionen beschafft werden. Zuschüsse von bis zu 18 Milliarden Euro sind aus anderen EU-Programmen geplant. So könnten zum Beispiel Glasfaserleitungen für schnelle Internetverbindungen, neue Eisenbahnstrecken oder Anlagen zur Herstellung und Verflüssigung von grünem Wasserstoff gefördert werden. Auch in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Forschung will die EU Projekte finanzieren.
Das ganze "Team Europa" stecke hinter dem Konzept, sagte von der Leyen am Mittwoch, also nicht nur die Kommission, sondern auch die 27 Mitgliedsländer. Zudem solle privates Kapital in die Projekte gelockt werden. Die Europäische Union garantiere den Partnern Transparenz, Nachhaltigkeit und die Beteiligung der jeweiligen Länder und Kommunen. Man werde die Finanzierung zu fairen und günstigen Bedingungen anbieten, um das Risiko einer Schuldenkrise zu begrenzen, sagte die Kommissionspräsidentin.
Die Enttäuschung der Osteuropäer soll gedämpft werden
Ursula von der Leyen sieht das Projekt auch als Fortsetzung der EU-Pläne für Klimaschutz und Digitalisierung, festgeschrieben im Grünen Deal und im Corona-Wiederaufbaufonds - ein Angebot an andere Staaten in Europa, Afrika, Asien und Südamerika also, sich dem Weg der EU anzuschließen und nicht dem chinesischen Weg. Das Global Gateway sei eine "echte Alternative" zur Neuen Seidenstraße, sagte von der Leyen. Unter dem Namen firmieren seit dem Jahr 2013 Projekte zum Auf- und Ausbau internationaler Handels- und Infrastrukturnetze zwischen China und Ländern in Afrika, Asien und auch in Osteuropa. Gerade dort versucht die Europäische Union nun, mit großen Infrastrukturprojekten die Enttäuschung darüber zu dämpfen, dass es für die betroffenen Länder immer noch keine konkrete Aussicht auf einen Beitritt zur EU gibt.
Global Gateway habe das Potenzial, die Europäische Union zu einem wirkungsvollen geopolitischen Akteur zu machen, sagt der ständige Vertreter der Bundesrepublik bei der EU, Michael Clauß. Das Angebot einer regel- und wertebasierten Zusammenarbeit auf Augenhöhe werde für viele Partnerländer eine attraktive Alternative zur chinesischen Seidenstraße sein. Auch Vertreter der deutschen Wirtschaft zeigten sich in ersten Reaktionen angetan. Die Europäische Union ist allerdings keineswegs allein mit ihrem Plan, den chinesischen Expansionsdrang einzudämmen und umweltfreundliche Infrastrukturen in der Welt zu verbreiten. Das könnte auch zum Problem werden.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat anlässlich des Klimagipfels in Glasgow ein Programm namens "Clean Green Initiative" angekündigt, ausgestattet mit drei Milliarden Pfund. Ebenfalls in Glasgow sprach Ursula von der Leyen mit US-Präsident Joe Biden über dessen Investitionsprogramm namens "Build Back Better World". Zumindest in diesem Punkt hat Biden das Erbe seines Vorgängers Donald Trump weitergeführt. Bei Trump hieß die Strategie, Chinas Einfluss zu stoppen, "Blue Dot Network". Die Frage wird nun sein, ob all diese Programme miteinander konkurrieren, oder ob die westlichen Staaten gemeinsam vorgehen, als echte Alternative zu Chinas Neuer Seidenstraße.
Zitat von Gast am 3. Dezember 2021, 07:31 UhrUngarn und Estland blockieren neue Regeln gegen Steuerdumping
Das Wettrennen um möglichst niedrige Steuern für Konzerne kostet EU-Staaten jedes Jahr Milliarden Euro. Jetzt wollen sie ihren Verhaltenskodex stärken – doch zwei Mitgliedsländer stellen sich quer.
Einige EU-Staaten locken internationale Konzerne mit Steuergeschenken ins Land, anderen entgehen dadurch Jahr für Jahr enorme Einnahmen: In der EU sorgt das seit Jahrzehnten für Streit, der nun erneut aufflammt.
Im Ausschuss der Botschafter der EU-Länder haben die Vertreter Ungarns und Estlands am Mittwoch eine Neufassung des Verhaltenskodex blockiert, der den Wettlauf um immer niedrigere Unternehmenssteuern eindämmen soll.
Nun kommt es am nächsten Dienstag bei einem Treffen der EU-Finanzminister zum Showdown: Trotz des Widerstands aus Budapest und Tallinn hat die slowenische Ratspräsidentschaft, unterstützt von diversen anderen Ländern, die Abstimmung über den neuen Verhaltenskodex auf die Tagesordnung gesetzt. Eine Debatte soll es nicht mehr geben, ein Beschluss kann nur einstimmig gefasst werden.
Ob der Beschluss zustande kommt, ist fraglich – auch weil der Widerstand Ungarns und Estlands dank Paolo Gentiloni öffentlich geworden ist. Der EU-Wirtschaftskommissar hatte die beiden Länder am Dienstag in einer öffentlichen Anhörung im Europaparlament beschuldigt, die Neufassung des Verhaltenskodex zu blockieren. Im Rat der Mitgliedsländer stieß das auf Befremden. Eine Einigung könne dadurch zusätzlich erschwert werden, hieß es.
»Die wichtigsten Probleme bleiben unangetastet«
Die EU-Staaten haben den Verhaltenskodex bereits im Dezember 1997 beschlossen, eine Arbeitsgruppe aus ranghohen Vertretern der Finanzministerien sollte ihn durchsetzen – was aber weitgehend misslang, wie kürzlich eine Analyse von mehr als 2500 vertraulichen Dokumenten durch den SPIEGEL und Partnerredaktionen des Rechercheverbunds EIC zeigte.
Der niederländische Wissenschaftler Martijn Nouwen, der die Papiere in jahrelanger Recherche für seine Doktorarbeit zusammengetragen hatte, bezweifelt eine Verbesserung durch die Neufassung des Kodex. »Die wichtigsten Probleme« – etwa Briefkastenfirmen, Tricks mit Abrechnungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften oder Niedrigsteuern für Superreiche – »bleiben unangetastet«, sagte Nouwen dem SPIEGEL. »Der neue Kodex wird nichts verändern, schon gar nicht wird er die Steuergerechtigkeit in der EU stärken.«
Ungarn und Estland aber wollen offenbar auch die kleinen Veränderungen torpedieren. Ein Grund ist laut Diplomaten, dass neben den Mitgliedsländern auch die EU-Kommission künftig das Recht haben soll, Punkte auf die Tagesordnung der Arbeitsgruppe Verhaltenskodex setzen zu lassen. Sie könnte damit Diskussionen über schädliche Steuerpraktiken erzwingen.
Auch soll das für seine Verschlossenheit berüchtigte Gremium künftig mehr Dokumente als bisher öffentlich machen – allerdings nur »sofern angemessen«, wie es im neuen Kodex heißt. Zudem hat jedes der 27 EU-Länder ein Vetorecht, womit der Passus weitgehend wirkungslos bleiben dürfte. »Alle Diskussionen der vergangenen Jahre für diesen Satz?«, sagt Nouwen. »Das ist lächerlich.«
Ungarn und Estland blockieren neue Regeln gegen Steuerdumping
Das Wettrennen um möglichst niedrige Steuern für Konzerne kostet EU-Staaten jedes Jahr Milliarden Euro. Jetzt wollen sie ihren Verhaltenskodex stärken – doch zwei Mitgliedsländer stellen sich quer.
Einige EU-Staaten locken internationale Konzerne mit Steuergeschenken ins Land, anderen entgehen dadurch Jahr für Jahr enorme Einnahmen: In der EU sorgt das seit Jahrzehnten für Streit, der nun erneut aufflammt.
Im Ausschuss der Botschafter der EU-Länder haben die Vertreter Ungarns und Estlands am Mittwoch eine Neufassung des Verhaltenskodex blockiert, der den Wettlauf um immer niedrigere Unternehmenssteuern eindämmen soll.
Nun kommt es am nächsten Dienstag bei einem Treffen der EU-Finanzminister zum Showdown: Trotz des Widerstands aus Budapest und Tallinn hat die slowenische Ratspräsidentschaft, unterstützt von diversen anderen Ländern, die Abstimmung über den neuen Verhaltenskodex auf die Tagesordnung gesetzt. Eine Debatte soll es nicht mehr geben, ein Beschluss kann nur einstimmig gefasst werden.
Ob der Beschluss zustande kommt, ist fraglich – auch weil der Widerstand Ungarns und Estlands dank Paolo Gentiloni öffentlich geworden ist. Der EU-Wirtschaftskommissar hatte die beiden Länder am Dienstag in einer öffentlichen Anhörung im Europaparlament beschuldigt, die Neufassung des Verhaltenskodex zu blockieren. Im Rat der Mitgliedsländer stieß das auf Befremden. Eine Einigung könne dadurch zusätzlich erschwert werden, hieß es.
»Die wichtigsten Probleme bleiben unangetastet«
Die EU-Staaten haben den Verhaltenskodex bereits im Dezember 1997 beschlossen, eine Arbeitsgruppe aus ranghohen Vertretern der Finanzministerien sollte ihn durchsetzen – was aber weitgehend misslang, wie kürzlich eine Analyse von mehr als 2500 vertraulichen Dokumenten durch den SPIEGEL und Partnerredaktionen des Rechercheverbunds EIC zeigte.
Der niederländische Wissenschaftler Martijn Nouwen, der die Papiere in jahrelanger Recherche für seine Doktorarbeit zusammengetragen hatte, bezweifelt eine Verbesserung durch die Neufassung des Kodex. »Die wichtigsten Probleme« – etwa Briefkastenfirmen, Tricks mit Abrechnungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften oder Niedrigsteuern für Superreiche – »bleiben unangetastet«, sagte Nouwen dem SPIEGEL. »Der neue Kodex wird nichts verändern, schon gar nicht wird er die Steuergerechtigkeit in der EU stärken.«
Ungarn und Estland aber wollen offenbar auch die kleinen Veränderungen torpedieren. Ein Grund ist laut Diplomaten, dass neben den Mitgliedsländern auch die EU-Kommission künftig das Recht haben soll, Punkte auf die Tagesordnung der Arbeitsgruppe Verhaltenskodex setzen zu lassen. Sie könnte damit Diskussionen über schädliche Steuerpraktiken erzwingen.
Auch soll das für seine Verschlossenheit berüchtigte Gremium künftig mehr Dokumente als bisher öffentlich machen – allerdings nur »sofern angemessen«, wie es im neuen Kodex heißt. Zudem hat jedes der 27 EU-Länder ein Vetorecht, womit der Passus weitgehend wirkungslos bleiben dürfte. »Alle Diskussionen der vergangenen Jahre für diesen Satz?«, sagt Nouwen. »Das ist lächerlich.«
Zitat von Gast am 3. Dezember 2021, 12:06 UhrEuroparat: Vertragsverletzungsverfahren gegen Türkei
Im Konflikt um den inhaftierten Kulturförderer Osman Kavala hat der Europarat in einem historisch nahezu einmaligen Schritt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei eingeleitet.
Das sogenannte Ministerkomitee mit Vertretern der 47 Mitgliedstaaten stimmte gestern für das Verfahren, wie die Institution mitteilte. Seit Einführung 2010 wurde das Vertragsverletzungsverfahren erst einmal ausgelöst: gegen Aserbaidschan.
Hintergrund ist die Weigerung Ankaras, Kavala aus der Haft zu entlassen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte schon vor rund zwei Jahren dessen Freilassung angeordnet und die Haft als politisch motiviert eingestuft. Als Mitgliedsland des Europarats ist die Türkei verpflichtet, sich an Urteile des Gerichts zu halten. Der Europarat wacht über die Einhaltung der Menschenrechte und ist keine EU-Institution.
Das Vertragsverletzungsverfahren, das nun läuft, ist mehrstufig und führt keineswegs zwangsläufig zu einem Ausschluss der Türkei aus dem Europarat. Kavala werden in der Türkei ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten sowie «politische und militärische Spionage» im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen. Er selbst weist die Vorwürfe strikt zurück.
Europarat: Vertragsverletzungsverfahren gegen Türkei
Im Konflikt um den inhaftierten Kulturförderer Osman Kavala hat der Europarat in einem historisch nahezu einmaligen Schritt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei eingeleitet.
Das sogenannte Ministerkomitee mit Vertretern der 47 Mitgliedstaaten stimmte gestern für das Verfahren, wie die Institution mitteilte. Seit Einführung 2010 wurde das Vertragsverletzungsverfahren erst einmal ausgelöst: gegen Aserbaidschan.
Hintergrund ist die Weigerung Ankaras, Kavala aus der Haft zu entlassen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte schon vor rund zwei Jahren dessen Freilassung angeordnet und die Haft als politisch motiviert eingestuft. Als Mitgliedsland des Europarats ist die Türkei verpflichtet, sich an Urteile des Gerichts zu halten. Der Europarat wacht über die Einhaltung der Menschenrechte und ist keine EU-Institution.
Das Vertragsverletzungsverfahren, das nun läuft, ist mehrstufig und führt keineswegs zwangsläufig zu einem Ausschluss der Türkei aus dem Europarat. Kavala werden in der Türkei ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten sowie «politische und militärische Spionage» im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen. Er selbst weist die Vorwürfe strikt zurück.
Zitat von Gast am 7. Dezember 2021, 07:16 UhrChinas Streit mit Litauen eskaliert – doch schon bald könnte die EU hart reagieren
Ausgerechnet eines der kleinsten Länder der EU hat sich entschlossen, gegenüber China hart aufzutreten und prinzipientreu zu bleiben – und ist deshalb ins Visier der chinesischen Führung geraten. China hat offenbar die Einfuhr von Produkten aus Litauen gestoppt, vermutlich als Reaktion auf eine ausgesprochen kritische Haltung des baltischen Landes gegenüber Peking.
Die litauische Regierung berichtet, dass Litauen mit dem Monatswechsel zum 1. Dezember offenbar komplett aus dem chinesischen IT-System für Zollerklärungen gestrichen wurde. Für den chinesischen Zoll existiert Litauen damit nicht mehr – und dementsprechend kann er die Einfuhr von Gütern aus dem Land nicht mehr genehmigen.Die Folge: Container mit Möbeln und anderen Holzprodukten aus Litauen werden in chinesischen Häfen festgehalten. Die chinesische Seite hat sich gegenüber Litauen zu den Vorgängen nicht geäußert. Chinesische Staatsmedien haben diese Darstellung zurückgewiesen.
Die litauische Regierung geht davon aus, dass die Maßnahme eine Vergeltung für die robuste China-Politik des Landes ist. Das Land mit seinen drei Millionen Einwohnern fährt China bereits seit Längerem in die Parade: So hat das litauische Parlament in einer Resolution Chinas Behandlung der Uiguren als „Völkermord“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet.
Im März hatte Litauen angekündigt, eine Handelsvertretung auf der Insel Taiwan zu eröffnen. Es war eine absehbar provokante Entscheidung, denn Peking betrachtet Taiwan als Teil Chinas und reagiert äußerst empfindlich auf jede noch so kleine Geste, die eine staatliche Eigenständigkeit Taiwans unterstreicht. Peking protestierte denn auch umgehend.
Litauen hatte im Juli Taiwan erlaubt, eine Vertretung in Vilnius zu öffnen, die de facto als Botschaft dienen wird. Daraufhin zog China im August seinen Botschafter aus Litauen ab und wies den litauischen Botschafter aus Peking aus.
Im Mai hatte Litauen zudem öffentlichkeitswirksam erklärt, den Club der 17+1 zu verlassen. Es war ein Forum von 17 Ländern aus Mittel- und Osteuropa mit China, mit dem die Führung in Peking die betreffenden Länder an sich binden wollte.
Rückendeckung aus dem Europäischen Parlament
Kritikern gilt das Bündnis als Strategie Pekings, die EU zu spalten. In der litauischen Hauptstadt Vilnius sieht man das offenbar genauso. „Die EU ist am stärksten, wenn alle 27 Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen“, begründete damals Außenminister Gabrielius Landsbergis den Austritt seines Landes und forderte andere EU-Länder auf, es seinem Land gleichzutun. Landsbergis forderte jetzt von der Europäischen Kommission Unterstützung angesichts der chinesischen Handelsblockade.
Aus dem Europäischen Parlament bekommt er Rückendeckung für seine Forderung. „Das ist kein Angriff auf ein einzelnes Land, sondern ein Angriff auf die gesamte EU und deshalb ist eine solidarische Reaktion nötig‘“, sagt der grüne Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer.
„Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sollte das Thema deshalb auf die nächste Tagesordnung der Sitzung der Kommissare am Mittwoch nehmen und Charles Michel, der Vorsitzende des Europäischen Rates, sollte die Aggression Chinas gegenüber Litauen auf die Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels setzen.“ Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen am 16. Und 17. Dezember beraten, dann wird auch der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz an dem Treffen teilnehmen.
„Die chinesischen Maßnahmen sind völlig inakzeptabel und ein plumper Versuch einem Mitgliedstaat der EU den eigenen Willen aufzudrücken“, sagt auch Bernd Lange. Der SPD-Politiker ist Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament. „Darauf werden wir reagieren, auch über eine Klage bei der Welthandelsorganisation.“ Der Vorfall unterstreiche aber die Lücke, die es derzeit im Werkzeugkasten der EU gebe.
Tatsächlich will der auch für Handelsfragen zuständige Vizepräsident Valdis Dombrovskis am Mittwoch ein neues Instrument präsentieren, mit der sich die EU gegen Sanktionen Chinas wehren könnte. Das sogenannte Instrument zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen soll es der EU künftig leichter machen, schnell und entschieden gegen wirtschaftliche Sanktionen vorzugehen. Chinas Vorgehen gegen Litauen, könnte es jetzt leichter machen, das EU-Parlament und vor allem die Mitgliedstaaten zur Zustimmung zu bewegen.
Die Details des Vorhabens, das von Deutschland und Frankreich unterstützt wird, sind in Grundzügen bereits bekannt. Entscheidend soll sein, dass die Europäische Kommission künftig von sich aus entsprechende Gegenmaßnahmen zur Abwehr in Bewegung setzen kann, ohne dass sie vorher die Genehmigung der Mitgliedstaaten einholen muss. Das berichtet der Informationsdienst Politico (Politico gehört wie WELT zur Axel Springer SE) aus einem Entwurf der Pläne.
EU hofft auf Abschreckung
Die Hoffnung in Brüssel: Schon die Existenz des Mechanismus, wird andere Staaten, allen voran China und die USA, davon abhalten, wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zu verhängen.
„Chinas Sanktionen gegen Litauen zeigen, wie notwendig das Instrument gegen Zwangsmaßnahmen ist“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Sven Simon. „Wir brauchen eine Rechtsgrundlage um zügige Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Die EU muss selbstbewusster als bisher ihre Handelsinteressen vertreten, dazu gehört insbesondere auch der Schutz kleinerer Mitgliedstaaten.“
Bisher werden wirtschaftliche Sanktionen häufig verhindert, wenn sie von den Außenministern der Mitgliedsländer beschlossen werden müssen. In diesen Runden ist Einstimmigkeit nötig, es gibt aber immer wieder einzelne Länder, die sich Sanktionen widersetzen.
Chinas Streit mit Litauen eskaliert – doch schon bald könnte die EU hart reagieren
Ausgerechnet eines der kleinsten Länder der EU hat sich entschlossen, gegenüber China hart aufzutreten und prinzipientreu zu bleiben – und ist deshalb ins Visier der chinesischen Führung geraten. China hat offenbar die Einfuhr von Produkten aus Litauen gestoppt, vermutlich als Reaktion auf eine ausgesprochen kritische Haltung des baltischen Landes gegenüber Peking.
Die Folge: Container mit Möbeln und anderen Holzprodukten aus Litauen werden in chinesischen Häfen festgehalten. Die chinesische Seite hat sich gegenüber Litauen zu den Vorgängen nicht geäußert. Chinesische Staatsmedien haben diese Darstellung zurückgewiesen.
Die litauische Regierung geht davon aus, dass die Maßnahme eine Vergeltung für die robuste China-Politik des Landes ist. Das Land mit seinen drei Millionen Einwohnern fährt China bereits seit Längerem in die Parade: So hat das litauische Parlament in einer Resolution Chinas Behandlung der Uiguren als „Völkermord“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet.
Im März hatte Litauen angekündigt, eine Handelsvertretung auf der Insel Taiwan zu eröffnen. Es war eine absehbar provokante Entscheidung, denn Peking betrachtet Taiwan als Teil Chinas und reagiert äußerst empfindlich auf jede noch so kleine Geste, die eine staatliche Eigenständigkeit Taiwans unterstreicht. Peking protestierte denn auch umgehend.
Litauen hatte im Juli Taiwan erlaubt, eine Vertretung in Vilnius zu öffnen, die de facto als Botschaft dienen wird. Daraufhin zog China im August seinen Botschafter aus Litauen ab und wies den litauischen Botschafter aus Peking aus.
Im Mai hatte Litauen zudem öffentlichkeitswirksam erklärt, den Club der 17+1 zu verlassen. Es war ein Forum von 17 Ländern aus Mittel- und Osteuropa mit China, mit dem die Führung in Peking die betreffenden Länder an sich binden wollte.
Rückendeckung aus dem Europäischen Parlament
Kritikern gilt das Bündnis als Strategie Pekings, die EU zu spalten. In der litauischen Hauptstadt Vilnius sieht man das offenbar genauso. „Die EU ist am stärksten, wenn alle 27 Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen“, begründete damals Außenminister Gabrielius Landsbergis den Austritt seines Landes und forderte andere EU-Länder auf, es seinem Land gleichzutun. Landsbergis forderte jetzt von der Europäischen Kommission Unterstützung angesichts der chinesischen Handelsblockade.
Aus dem Europäischen Parlament bekommt er Rückendeckung für seine Forderung. „Das ist kein Angriff auf ein einzelnes Land, sondern ein Angriff auf die gesamte EU und deshalb ist eine solidarische Reaktion nötig‘“, sagt der grüne Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer.
„Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sollte das Thema deshalb auf die nächste Tagesordnung der Sitzung der Kommissare am Mittwoch nehmen und Charles Michel, der Vorsitzende des Europäischen Rates, sollte die Aggression Chinas gegenüber Litauen auf die Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels setzen.“ Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen am 16. Und 17. Dezember beraten, dann wird auch der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz an dem Treffen teilnehmen.
„Die chinesischen Maßnahmen sind völlig inakzeptabel und ein plumper Versuch einem Mitgliedstaat der EU den eigenen Willen aufzudrücken“, sagt auch Bernd Lange. Der SPD-Politiker ist Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament. „Darauf werden wir reagieren, auch über eine Klage bei der Welthandelsorganisation.“ Der Vorfall unterstreiche aber die Lücke, die es derzeit im Werkzeugkasten der EU gebe.
Tatsächlich will der auch für Handelsfragen zuständige Vizepräsident Valdis Dombrovskis am Mittwoch ein neues Instrument präsentieren, mit der sich die EU gegen Sanktionen Chinas wehren könnte. Das sogenannte Instrument zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen soll es der EU künftig leichter machen, schnell und entschieden gegen wirtschaftliche Sanktionen vorzugehen. Chinas Vorgehen gegen Litauen, könnte es jetzt leichter machen, das EU-Parlament und vor allem die Mitgliedstaaten zur Zustimmung zu bewegen.
Die Details des Vorhabens, das von Deutschland und Frankreich unterstützt wird, sind in Grundzügen bereits bekannt. Entscheidend soll sein, dass die Europäische Kommission künftig von sich aus entsprechende Gegenmaßnahmen zur Abwehr in Bewegung setzen kann, ohne dass sie vorher die Genehmigung der Mitgliedstaaten einholen muss. Das berichtet der Informationsdienst Politico (Politico gehört wie WELT zur Axel Springer SE) aus einem Entwurf der Pläne.
EU hofft auf Abschreckung
Die Hoffnung in Brüssel: Schon die Existenz des Mechanismus, wird andere Staaten, allen voran China und die USA, davon abhalten, wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zu verhängen.
„Chinas Sanktionen gegen Litauen zeigen, wie notwendig das Instrument gegen Zwangsmaßnahmen ist“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Sven Simon. „Wir brauchen eine Rechtsgrundlage um zügige Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Die EU muss selbstbewusster als bisher ihre Handelsinteressen vertreten, dazu gehört insbesondere auch der Schutz kleinerer Mitgliedstaaten.“
Bisher werden wirtschaftliche Sanktionen häufig verhindert, wenn sie von den Außenministern der Mitgliedsländer beschlossen werden müssen. In diesen Runden ist Einstimmigkeit nötig, es gibt aber immer wieder einzelne Länder, die sich Sanktionen widersetzen.
Zitat von Gast am 9. Dezember 2021, 07:52 UhrBaerbock will ein «starkes und geeintes Europa»
Deutschlands neue Außenministerin Annalena Baerbock beginnt heute in Paris mit einer Serie von Antrittsbesuchen in Europa.
Am Vormittag stand für die Grünen-Politikerin ein Treffen mit ihrem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian auf dem Programm. Anschließend wollte Baerbock mit dem Zug nach Brüssel weiterreisen. Dort waren Gespräche mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, dem US-Klimaschutzbeauftragten John Kerry und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg geplant.
Am Freitag fliegt Baerbock nach Warschau zu einem Treffen mit ihrem polnischen Kollegen Zbigniew Rau.
Krise zwischen USA und Russland
Baerbock beginnt ihre Gespräche auf internationalem Parkett vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden Ukraine-Krise. US-Präsident Joe Biden und sein russischer Kollege Wladimir Putin hatten bei ihrem etwa zweistündigen Videogipfel zuletzt keine Entspannung erzielt.
Die USA werfen Russland seit Wochen einen Truppenaufmarsch unweit der Grenze zur Ukraine vor. Befürchtet wird im Westen eine russische Invasion der Ex-Sowjetrepublik. Russland weist das zurück und wirft der Ukraine vor, mehr als 120.000 Soldaten an die Linie zu den von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebieten verlegt zu haben.
Zu Beginn ihrer Reise betonte Baerbock die Verlässlichkeit der Außenpolitik der neuen Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP. «Auf die neue Bundesregierung können sich unsere Partner in der Europäischen Union verlassen, vom ersten Tag an. Europa ist der Dreh- und Angelpunkt für unsere Außenpolitik.»
Streit in der EU
Voraussetzung für ein starkes und geeintes Europa sei, «dass wir als EU unsere Grundwerte ernst nehmen und die Regeln, die wir uns gemeinsam gegeben haben, auch durchsetzen», mahnte Baerbock. «Gerade bei Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten können wir nicht zulassen, dass Europas Fundamente wegbröckeln», sagte sie, ohne Länder wie Ungarn oder Polen zu nennen.
In der EU gibt es seit Jahren Streit mit den Regierungen von Ungarn und Polen, weil sie sich ausweislich etlicher Gerichtsurteile nicht an EU-Recht halten. Kritiker werfen Warschau und Budapest vor, die Justiz entgegen der EU-Standards zu beeinflussen. So baut Polens nationalkonservative PiS-Regierung das Justizsystem um. Die EU-Kommission hat wegen der Reformen Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet.
Ziel von Baerbocks Antrittsbesuchen
Angesichts von Baerbocks klaren Worten zur Rechtsstaatlichkeit könnte vor allem der Besuch in Polen heikel werden. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise gerät zudem auch die neue Bundesregierung wegen der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 unter Druck aus den USA. Auch aus Warschau dürften die Forderungen lauter werden, die Gasröhre zwischen Russland und Deutschland nicht in Betrieb zu nehmen.
Vor allem gehe es ihr bei den Antrittsbesuchen darum, den engsten Partnern zuzuhören, betonte Baerbock zu Beginn ihrer Reise. «Wir werden unsere Vorstellungen und Interessen nicht über die Köpfe unserer Nachbarn hinweg verfolgen, und schon gar nicht auf deren Kosten.» Ob das im Zusammenhang mit Nord Stream 2 als Zeichen in Richtung Warschau gedacht war?
Sie werde vom ersten Tag an der internationalen Klimapolitik «den Platz geben, den sie auf der diplomatischen Agenda verdient: Ganz oben», sagte Baerbock weiter. Die wichtigste Aufgabe von Diplomatie sei es, Krisen vorzubeugen, einzudämmen und bestmöglichst zu lösen. «Und keine Krise ist bedrohlicher für die Zukunft der Menschheit als die Klimakrise.» Mit den europäischen Partnern wolle sie auch darüber sprechen, «wie wir unsere Klimapartnerschaften mit anderen Regionen der Welt stärken».
Baerbock will ein «starkes und geeintes Europa»
Deutschlands neue Außenministerin Annalena Baerbock beginnt heute in Paris mit einer Serie von Antrittsbesuchen in Europa.
Am Vormittag stand für die Grünen-Politikerin ein Treffen mit ihrem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian auf dem Programm. Anschließend wollte Baerbock mit dem Zug nach Brüssel weiterreisen. Dort waren Gespräche mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, dem US-Klimaschutzbeauftragten John Kerry und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg geplant.
Am Freitag fliegt Baerbock nach Warschau zu einem Treffen mit ihrem polnischen Kollegen Zbigniew Rau.
Krise zwischen USA und Russland
Baerbock beginnt ihre Gespräche auf internationalem Parkett vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden Ukraine-Krise. US-Präsident Joe Biden und sein russischer Kollege Wladimir Putin hatten bei ihrem etwa zweistündigen Videogipfel zuletzt keine Entspannung erzielt.
Die USA werfen Russland seit Wochen einen Truppenaufmarsch unweit der Grenze zur Ukraine vor. Befürchtet wird im Westen eine russische Invasion der Ex-Sowjetrepublik. Russland weist das zurück und wirft der Ukraine vor, mehr als 120.000 Soldaten an die Linie zu den von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebieten verlegt zu haben.
Zu Beginn ihrer Reise betonte Baerbock die Verlässlichkeit der Außenpolitik der neuen Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP. «Auf die neue Bundesregierung können sich unsere Partner in der Europäischen Union verlassen, vom ersten Tag an. Europa ist der Dreh- und Angelpunkt für unsere Außenpolitik.»
Streit in der EU
Voraussetzung für ein starkes und geeintes Europa sei, «dass wir als EU unsere Grundwerte ernst nehmen und die Regeln, die wir uns gemeinsam gegeben haben, auch durchsetzen», mahnte Baerbock. «Gerade bei Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten können wir nicht zulassen, dass Europas Fundamente wegbröckeln», sagte sie, ohne Länder wie Ungarn oder Polen zu nennen.
In der EU gibt es seit Jahren Streit mit den Regierungen von Ungarn und Polen, weil sie sich ausweislich etlicher Gerichtsurteile nicht an EU-Recht halten. Kritiker werfen Warschau und Budapest vor, die Justiz entgegen der EU-Standards zu beeinflussen. So baut Polens nationalkonservative PiS-Regierung das Justizsystem um. Die EU-Kommission hat wegen der Reformen Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet.
Ziel von Baerbocks Antrittsbesuchen
Angesichts von Baerbocks klaren Worten zur Rechtsstaatlichkeit könnte vor allem der Besuch in Polen heikel werden. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise gerät zudem auch die neue Bundesregierung wegen der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 unter Druck aus den USA. Auch aus Warschau dürften die Forderungen lauter werden, die Gasröhre zwischen Russland und Deutschland nicht in Betrieb zu nehmen.
Vor allem gehe es ihr bei den Antrittsbesuchen darum, den engsten Partnern zuzuhören, betonte Baerbock zu Beginn ihrer Reise. «Wir werden unsere Vorstellungen und Interessen nicht über die Köpfe unserer Nachbarn hinweg verfolgen, und schon gar nicht auf deren Kosten.» Ob das im Zusammenhang mit Nord Stream 2 als Zeichen in Richtung Warschau gedacht war?
Sie werde vom ersten Tag an der internationalen Klimapolitik «den Platz geben, den sie auf der diplomatischen Agenda verdient: Ganz oben», sagte Baerbock weiter. Die wichtigste Aufgabe von Diplomatie sei es, Krisen vorzubeugen, einzudämmen und bestmöglichst zu lösen. «Und keine Krise ist bedrohlicher für die Zukunft der Menschheit als die Klimakrise.» Mit den europäischen Partnern wolle sie auch darüber sprechen, «wie wir unsere Klimapartnerschaften mit anderen Regionen der Welt stärken».
Zitat von Gast am 10. Dezember 2021, 12:12 UhrFrankreich: Macrons gefährlichste Konkurrentin
Valérie Pécresse ist Frankreichs konservative Präsidentschaftskandidatin und der neue Star in den Umfragen. Wer ist die Frau, die von sich selbst sagt, sie sei "zwei Drittel Merkel"?
Macrons gefährlichste Konkurrentin
Valérie Pécresse mag Käse. Und zwar auf die Art, wie Politiker Käse mögen: als Bewerbungsschreiben an die Wähler, als Bekenntnis zur französischen Kultur. Was sie am Wahlkampf am meisten möge, sagte die Präsidentschaftskandidatin der Républicains kürzlich in einem Fernsehinterview, sei die Möglichkeit, überall im Land andere Käse zu probieren. Dazu wurden Bilder gezeigt, wie Pécresse tütenweise Käse, den sie als "sehr intensiv" bezeichnet, in ihren Dienstwagen lädt. Und wenn es etwas gibt, was sie am besten beschreibt, dann die Tatsache, dass sie "sehr gerne esse".
Man kann das als Nebensache abtun, oder sich an das Ausmaß der nationalen Anteilnahme erinnern, als 2019 der Ex-Präsident Jacques Chirac starb. Zwei Feststellungen fanden sich damals in jedem Kommentar: Chirac sei der letzte große Präsident Frankreichs gewesen, der das Volk noch hinter sich wusste. Und Chirac habe wirklich sehr gut essen können. Viel und immer. Von wem wurde Pécresse die hohe Käsekunde gelehrt? Von ihrem politischen Ziehvater Chirac, der die heute 54-Jährige 1998 zu seiner Beraterin machte. In der wahlentscheidenden Disziplin der offensiv gezeigten Volksnähe scheint Pécresse ihre Strategie gefunden zu haben.Und tatsächlich: Pécresse ist nicht nur gut vorbereitet auf diesen Wahlkampf, er könnte für sie gar nicht besser beginnen. Am Samstag wurde Pécresse durch eine interne Abstimmung in ihrer Partei Les Républicains zur Präsidentschaftskandidatin ernannt. Und drei Tage später sagt die erste Umfrage ihren Sieg für April 2022 voraus. "Pécresse schlägt Macron" titelt eine Zeitung am Mittwoch, als sei es schon geschehen.
Es gehört zu den gängigen Dynamiken der französischen Präsidentschaftswahlkämpfe, dass die Kandidaten der großen Parteien einen Sprung nach vorn machen, wenn sie offiziell ernannt werden. Doch bei Pécresse war dieser Sprung ungewöhnlich groß: Das Umfrageinstitut Elabe sah sie am Dienstag bei 20 Prozent. Eine Zunahme von elf Prozentpunkten. Und träfe Pécresse in der Stichwahl auf Emmanuel Macron, könnte sie den amtierenden Präsidenten schlagen. Laut Elabe käme sie aktuell auf 52 Prozent, Macron auf 48. Schon bevor Pécresse sich bei den Républicains durchsetzte, hieß es aus dem Élysée, man halte sie für "die gefährlichste Konkurrentin" Macrons.
"Wenn man links ist, weiß man das."
Wer also ist Pécresse? Geboren wird sie in Neuilly-sur-Seine im Nordwesten von Paris, einer der wohlhabendsten Gemeinden Frankreichs. Die Mutter ist Hausfrau, der Vater ein bekannter Wirtschaftsprofessor, die Tochter Valérie besucht die besten Schulen. Zunächst macht sie einen Abschluss an der renommierten Wirtschaftshochschule HEC, dann absolviert sie die Elite-Verwaltungshochschule ENA, Frankreichs Kaderschmiede für Politiker und angehende Präsidenten. Ihre politische Karriere beginnt unter Chirac als Beraterin. Sie habe sich als Jugendliche "weder als links noch als rechts" wahrgenommen, sagte Pécresse in einem Interview. Und ergänzt: "Aber das heißt ja meist, dass man rechts ist, denn wenn man links ist, dann weiß man das."
Unter Nicolas Sarkozy, der wie keiner vor ihm einen national-identitären Ton ins Élysée bringt, wird Pécresse 2007 Ministerin für Hochschule und Forschung. 2015 wird sie zur Präsidentin der Region Île-de-France gewählt, zu der auch Paris gehört. Pécresse betont gern, dass sie als Regionalpräsidentin spare und Neuverschuldung vermeide. Beschreibt man Pécresse in den Worten ihrer Gegner, ist sie eine unterkühlte Karrieristin, die ihre Positionen opportunistisch dem Zeitgeist anpasst. 2012 nahm sie an Demonstrationen gegen die "Ehe für alle" teil. Diese "Manif pour tous" wurden von erzkonservativen Katholiken organisiert, die den rechten Flügel der Républicains unterstützten. 2014 sagte Pécresse, sie habe ihre Meinung geändert, die "Ehe für alle" dürfe nicht rückgängig gemacht werden.
In ihrer eigenen Vorstellung ist Pécresse "zu zwei Dritteln Angela Merkel, zu einem Drittel Margaret Thatcher". Pécresse wählt diesen Vergleich zum einen, um zu betonen, dass in Frankreich die Zeit für eine Frau an der Staatsspitze gekommen sei. Zum anderen, weil sie wie Merkel als Pragmatikerin wahrgenommen werden will. Und wie Thatcher als harte Reformerin.
Doch was ist an dem Merkel-Vergleich dran? Kaum einer kann das besser beantworten als Marion Van Renterghem, Frankreichs bekannteste Merkel-Biografin, die 2019 ein Interviewbuch mit Pécresse herausgebracht hat und also beide Frauen sehr gut kennt. "Es ist ja sehr in Mode, sich mit Merkel zu vergleichen, wegen ihrer langen Amtszeit und wegen ihrer Popularität", sagt Van Renterghem. Auch Pécresses interner Kollege bei der Vorwahl der Républicains, Michel Barnier, und die sozialistische Präsidentschaftskandidatin Anne Hidalgo hätten sich mit Merkel verglichen. Bei Pécresse habe dieser Vergleich jedoch eine glaubwürdige Basis: "Pécresse hat mit Merkel gemeinsam, dass sie eine fleißige, ruhige Frau ist, die sich wenig aus Geld macht und die im Team arbeiten kann. Außerdem ist es beiden Frauen gelungen, sich gegen die Machos in ihren jeweiligen Parteien durchzusetzen."
Ihre große Aufgabe: "die Extreme ihrer Partei zu vereinen"
Pécresse ist die erste Frau, die von den Konservativen als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt wird. Ein Umstand, den Pécresse häufig und stolz erwähnt. Nach ihrer Wahl bedankte sie sich bei den Mitgliedern der Républicains für "ihren Mut", eine Frau aufzustellen. Für die Merkel-Biografin Van Renterghem hören die Parallelen zwischen Pécresse und der früheren Kanzlerin jedoch bei der politischen Identität der beiden Politikerinnen auf. Pécresse positioniere sich "deutlich weiter rechts" als Merkel. Zudem stehe Pécresse vor der Aufgabe, "die Extreme ihrer Partei zu vereinen. Das wird schwierig", so Van Renterghem.
Pécresse hatte sich in der parteiinternen Stichwahl gegen den Rechtsaußen Éric Ciotti durchgesetzt. Pécresse kam auf 61 Prozent der Stimmen, Ciotti auf 39. Ein Ergebnis, das hoch genug ist, um den Südfranzosen zu den aktuell hörbarsten Stimmen der Républicains zu machen. Ciotti macht keinen Hehl aus seiner ideologischen Nähe zu dem rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour.
Frankreich: Macrons gefährlichste Konkurrentin
Valérie Pécresse ist Frankreichs konservative Präsidentschaftskandidatin und der neue Star in den Umfragen. Wer ist die Frau, die von sich selbst sagt, sie sei "zwei Drittel Merkel"?
Macrons gefährlichste Konkurrentin
Valérie Pécresse mag Käse. Und zwar auf die Art, wie Politiker Käse mögen: als Bewerbungsschreiben an die Wähler, als Bekenntnis zur französischen Kultur. Was sie am Wahlkampf am meisten möge, sagte die Präsidentschaftskandidatin der Républicains kürzlich in einem Fernsehinterview, sei die Möglichkeit, überall im Land andere Käse zu probieren. Dazu wurden Bilder gezeigt, wie Pécresse tütenweise Käse, den sie als "sehr intensiv" bezeichnet, in ihren Dienstwagen lädt. Und wenn es etwas gibt, was sie am besten beschreibt, dann die Tatsache, dass sie "sehr gerne esse".
Und tatsächlich: Pécresse ist nicht nur gut vorbereitet auf diesen Wahlkampf, er könnte für sie gar nicht besser beginnen. Am Samstag wurde Pécresse durch eine interne Abstimmung in ihrer Partei Les Républicains zur Präsidentschaftskandidatin ernannt. Und drei Tage später sagt die erste Umfrage ihren Sieg für April 2022 voraus. "Pécresse schlägt Macron" titelt eine Zeitung am Mittwoch, als sei es schon geschehen.
Es gehört zu den gängigen Dynamiken der französischen Präsidentschaftswahlkämpfe, dass die Kandidaten der großen Parteien einen Sprung nach vorn machen, wenn sie offiziell ernannt werden. Doch bei Pécresse war dieser Sprung ungewöhnlich groß: Das Umfrageinstitut Elabe sah sie am Dienstag bei 20 Prozent. Eine Zunahme von elf Prozentpunkten. Und träfe Pécresse in der Stichwahl auf Emmanuel Macron, könnte sie den amtierenden Präsidenten schlagen. Laut Elabe käme sie aktuell auf 52 Prozent, Macron auf 48. Schon bevor Pécresse sich bei den Républicains durchsetzte, hieß es aus dem Élysée, man halte sie für "die gefährlichste Konkurrentin" Macrons.
"Wenn man links ist, weiß man das."
Wer also ist Pécresse? Geboren wird sie in Neuilly-sur-Seine im Nordwesten von Paris, einer der wohlhabendsten Gemeinden Frankreichs. Die Mutter ist Hausfrau, der Vater ein bekannter Wirtschaftsprofessor, die Tochter Valérie besucht die besten Schulen. Zunächst macht sie einen Abschluss an der renommierten Wirtschaftshochschule HEC, dann absolviert sie die Elite-Verwaltungshochschule ENA, Frankreichs Kaderschmiede für Politiker und angehende Präsidenten. Ihre politische Karriere beginnt unter Chirac als Beraterin. Sie habe sich als Jugendliche "weder als links noch als rechts" wahrgenommen, sagte Pécresse in einem Interview. Und ergänzt: "Aber das heißt ja meist, dass man rechts ist, denn wenn man links ist, dann weiß man das."
Unter Nicolas Sarkozy, der wie keiner vor ihm einen national-identitären Ton ins Élysée bringt, wird Pécresse 2007 Ministerin für Hochschule und Forschung. 2015 wird sie zur Präsidentin der Region Île-de-France gewählt, zu der auch Paris gehört. Pécresse betont gern, dass sie als Regionalpräsidentin spare und Neuverschuldung vermeide. Beschreibt man Pécresse in den Worten ihrer Gegner, ist sie eine unterkühlte Karrieristin, die ihre Positionen opportunistisch dem Zeitgeist anpasst. 2012 nahm sie an Demonstrationen gegen die "Ehe für alle" teil. Diese "Manif pour tous" wurden von erzkonservativen Katholiken organisiert, die den rechten Flügel der Républicains unterstützten. 2014 sagte Pécresse, sie habe ihre Meinung geändert, die "Ehe für alle" dürfe nicht rückgängig gemacht werden.
In ihrer eigenen Vorstellung ist Pécresse "zu zwei Dritteln Angela Merkel, zu einem Drittel Margaret Thatcher". Pécresse wählt diesen Vergleich zum einen, um zu betonen, dass in Frankreich die Zeit für eine Frau an der Staatsspitze gekommen sei. Zum anderen, weil sie wie Merkel als Pragmatikerin wahrgenommen werden will. Und wie Thatcher als harte Reformerin.
Doch was ist an dem Merkel-Vergleich dran? Kaum einer kann das besser beantworten als Marion Van Renterghem, Frankreichs bekannteste Merkel-Biografin, die 2019 ein Interviewbuch mit Pécresse herausgebracht hat und also beide Frauen sehr gut kennt. "Es ist ja sehr in Mode, sich mit Merkel zu vergleichen, wegen ihrer langen Amtszeit und wegen ihrer Popularität", sagt Van Renterghem. Auch Pécresses interner Kollege bei der Vorwahl der Républicains, Michel Barnier, und die sozialistische Präsidentschaftskandidatin Anne Hidalgo hätten sich mit Merkel verglichen. Bei Pécresse habe dieser Vergleich jedoch eine glaubwürdige Basis: "Pécresse hat mit Merkel gemeinsam, dass sie eine fleißige, ruhige Frau ist, die sich wenig aus Geld macht und die im Team arbeiten kann. Außerdem ist es beiden Frauen gelungen, sich gegen die Machos in ihren jeweiligen Parteien durchzusetzen."
Ihre große Aufgabe: "die Extreme ihrer Partei zu vereinen"
Pécresse ist die erste Frau, die von den Konservativen als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt wird. Ein Umstand, den Pécresse häufig und stolz erwähnt. Nach ihrer Wahl bedankte sie sich bei den Mitgliedern der Républicains für "ihren Mut", eine Frau aufzustellen. Für die Merkel-Biografin Van Renterghem hören die Parallelen zwischen Pécresse und der früheren Kanzlerin jedoch bei der politischen Identität der beiden Politikerinnen auf. Pécresse positioniere sich "deutlich weiter rechts" als Merkel. Zudem stehe Pécresse vor der Aufgabe, "die Extreme ihrer Partei zu vereinen. Das wird schwierig", so Van Renterghem.
Pécresse hatte sich in der parteiinternen Stichwahl gegen den Rechtsaußen Éric Ciotti durchgesetzt. Pécresse kam auf 61 Prozent der Stimmen, Ciotti auf 39. Ein Ergebnis, das hoch genug ist, um den Südfranzosen zu den aktuell hörbarsten Stimmen der Républicains zu machen. Ciotti macht keinen Hehl aus seiner ideologischen Nähe zu dem rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour.
Zitat von Gast am 14. Dezember 2021, 11:57 UhrMacron und Orbán: Ja zur Atomkraft und zum Außengrenzenschutz
Es ist ein unwahrscheinliches Bündnis. Aber Frankreichs Staatschef Macron und Ungarns Premier Orbán haben am Montag ihre Gemeinsamkeiten deutlich gemacht.
Auf den ersten Blick gibt es nicht viel, das Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron miteinander verbindet. Vor der letzten Europawahl sagte Macron der „illiberalen Demokratie“ den Kampf an. Das konnte man auch als deutliche Ansage an Orbán verstehen, der in seinem Land seit 2010 in autokratischer Manier regiert.
Am Montag wurde bei einem Besuch Macrons in Budapest aber klar, dass es zwischen den beiden Politikern Übereinstimmungen in zwei Punkten gibt: in der Flüchtlingspolitik und bei der Haltung zur Atomkraft.
Vor der am 1. Januar beginnenden französischen EU-Ratspräsidentschaft hat Macron sämtliche Regierungszentralen in den übrigen 26 Mitgliedstaaten besucht; Budapest war am Montag als letzte Hauptstadt dran. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Orbán betonte Macron eingangs zwar: „Wir haben politische Meinungsverschiedenheiten, die bekannt sind.“ Dann betonte er aber seine Einigkeit mit Orbán darin, dass Europa unabhängiger von Gasimporten aus Drittländern werden müsse – ein kleiner Seitenhieb gegen das Pipeline-Projekt „Nord Stream 2“, das wegen der fehlenden Zulassung durch die EU bislang auf Eis liegt.
Macron hat in Orbán einen Verbündeten für seine Forderung gefunden, für die Kernkraft EU-weit als „grüne“ Energiequelle zusätzliche Finanzquellen zu erschließen. Von der EU-Kommission wird demnächst eine Entscheidung in dieser Streitfrage erwartet. Die Bundesregierung lehnt eine Vergabe des Nachhaltigkeits-Siegels für die Kernkraft ab.
Annäherung in der Migrationspolitik
Auch in der Migrationspolitik zeichnet sich eine Annäherung zwischen Macron und Orbán ab. Während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 war Orbán EU-weit für den Bau eines Zauns an der EU-Außengrenze an der Grenze zu Serbien kritisiert worden. Doch nun sagte Macron, dass die vergangenen Wochen während der Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze gezeigt hätten, dass man neu über die gemeinsame Organisation des Außengrenzenschutzes nachdenken müsse.
Zwar plädiert Macron nicht für den Bau von Zäunen. Allerdings hat der Staatschef bereits in der vergangenen Woche bei der Präsentation seines Programms für Frankreichs EU-Vorsitz klar gemacht, wie er sich eine Reform des Schengen-Raums vorstellt: Künftig sollen aus anderen Schengen-Staaten Sicherheitskräfte und Material entsandt werden, wenn – wie jetzt Polen – demnächst wieder ein Land mit hohen Flüchtlingszahlen konfrontiert werden sollte. Mit einer derart harten Linie will Macron auch sicherstellen, dass seine angestrebte Wiederwahl im kommenden Jahr nicht durch die politische Konkurrenz im konservativen und rechtsextremen Lager gefährdet wird.
Orbán betonte seinerseits: „Wir sind politische Gegner, aber europäische Partner.“ Er sei sich mit Macron darin ein, dass die EU eine „strategische Autonomie“ benötigte. Nach seinen Worten sei eine solche Autonomie nicht ohne drei Bestandteile denkbar: eine eigene Verteidigungsindustrie, die Selbstversorgung im Agrarbereich – und die Kernkraft.
Macron und Orbán: Ja zur Atomkraft und zum Außengrenzenschutz
Es ist ein unwahrscheinliches Bündnis. Aber Frankreichs Staatschef Macron und Ungarns Premier Orbán haben am Montag ihre Gemeinsamkeiten deutlich gemacht.
Auf den ersten Blick gibt es nicht viel, das Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron miteinander verbindet. Vor der letzten Europawahl sagte Macron der „illiberalen Demokratie“ den Kampf an. Das konnte man auch als deutliche Ansage an Orbán verstehen, der in seinem Land seit 2010 in autokratischer Manier regiert.
Am Montag wurde bei einem Besuch Macrons in Budapest aber klar, dass es zwischen den beiden Politikern Übereinstimmungen in zwei Punkten gibt: in der Flüchtlingspolitik und bei der Haltung zur Atomkraft.
Vor der am 1. Januar beginnenden französischen EU-Ratspräsidentschaft hat Macron sämtliche Regierungszentralen in den übrigen 26 Mitgliedstaaten besucht; Budapest war am Montag als letzte Hauptstadt dran. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Orbán betonte Macron eingangs zwar: „Wir haben politische Meinungsverschiedenheiten, die bekannt sind.“ Dann betonte er aber seine Einigkeit mit Orbán darin, dass Europa unabhängiger von Gasimporten aus Drittländern werden müsse – ein kleiner Seitenhieb gegen das Pipeline-Projekt „Nord Stream 2“, das wegen der fehlenden Zulassung durch die EU bislang auf Eis liegt.
Macron hat in Orbán einen Verbündeten für seine Forderung gefunden, für die Kernkraft EU-weit als „grüne“ Energiequelle zusätzliche Finanzquellen zu erschließen. Von der EU-Kommission wird demnächst eine Entscheidung in dieser Streitfrage erwartet. Die Bundesregierung lehnt eine Vergabe des Nachhaltigkeits-Siegels für die Kernkraft ab.
Annäherung in der Migrationspolitik
Auch in der Migrationspolitik zeichnet sich eine Annäherung zwischen Macron und Orbán ab. Während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 war Orbán EU-weit für den Bau eines Zauns an der EU-Außengrenze an der Grenze zu Serbien kritisiert worden. Doch nun sagte Macron, dass die vergangenen Wochen während der Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze gezeigt hätten, dass man neu über die gemeinsame Organisation des Außengrenzenschutzes nachdenken müsse.
Zwar plädiert Macron nicht für den Bau von Zäunen. Allerdings hat der Staatschef bereits in der vergangenen Woche bei der Präsentation seines Programms für Frankreichs EU-Vorsitz klar gemacht, wie er sich eine Reform des Schengen-Raums vorstellt: Künftig sollen aus anderen Schengen-Staaten Sicherheitskräfte und Material entsandt werden, wenn – wie jetzt Polen – demnächst wieder ein Land mit hohen Flüchtlingszahlen konfrontiert werden sollte. Mit einer derart harten Linie will Macron auch sicherstellen, dass seine angestrebte Wiederwahl im kommenden Jahr nicht durch die politische Konkurrenz im konservativen und rechtsextremen Lager gefährdet wird.
Orbán betonte seinerseits: „Wir sind politische Gegner, aber europäische Partner.“ Er sei sich mit Macron darin ein, dass die EU eine „strategische Autonomie“ benötigte. Nach seinen Worten sei eine solche Autonomie nicht ohne drei Bestandteile denkbar: eine eigene Verteidigungsindustrie, die Selbstversorgung im Agrarbereich – und die Kernkraft.
Zitat von Gast am 16. Dezember 2021, 09:03 UhrUkraine dringt auf Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen
- von Pavel Polityuk und Robin Emmott und Sabine Siebold
Brüssel/Kiew (Reuters) - Die Ukraine hat auf einem EU-Gipfel mit weiteren ehemaligen Sowjet-Staaten auf den Beginn von Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union gedrungen.
"Unser Ziel ist die volle Mitgliedschaft in der EU", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch bei dem eintägigen Treffen der Östlichen Partnerschaft in Brüssel. Auch Georgien und Moldawien haben in den vergangenen Tagen ihr Interesse an einem Beitritt erneut bekundet. Jedoch hatte die Nachrichtenagentur Reuters vor Tagen aus einem Entwurf der Abschlusserklärung erfahren, dass die EU derartige Zusagen nicht geben wolle. Vielmehr erkenne die Staatengemeinschaft "die europäischen Bestrebungen" der Partnerstaaten an, hieß es.
Zur Östlichen Partnerschaft gehören auch Armenien und Aserbaidschan, die bislang jedoch kein Interesse an einer EU-Mitgliedschaft signalisiert haben. Als sechstes Land ist Belarus beteiligt, dessen Präsident Alexander Lukaschenko dem Treffen fern blieb. Im Rahmen der Partnerschaft will die EU unter anderem die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Beziehungen zu den sechs Nachbarstaaten fördern. An dem Gipfel nahmen auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron teil, die am Rande mit Selenskyj sprachen.
Das Treffen fand vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise statt. Der Vorsitzende des ukrainischen Sicherheitsrates, Oleksij Danilow, sagte Reuters in Kiew, Russland habe weiterhin 92.000 Soldaten an der Grenze stationiert. Es gebe keine Anzeichen, dass eine Invasion unmittelbar bevorstehe. Die EU und die USA haben mit schweren wirtschaftlichen Folgen gedroht, sollte Russland tatsächlich in das Nachbarland einmarschieren. Die Regierung in Moskau weist derartige Pläne zurück und fordert von der Nato, eine Mitgliedschaft der Ukraine auszuschließen.
Ukraine dringt auf Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen
- von Pavel Polityuk und Robin Emmott und Sabine Siebold
Brüssel/Kiew (Reuters) - Die Ukraine hat auf einem EU-Gipfel mit weiteren ehemaligen Sowjet-Staaten auf den Beginn von Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union gedrungen.
"Unser Ziel ist die volle Mitgliedschaft in der EU", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch bei dem eintägigen Treffen der Östlichen Partnerschaft in Brüssel. Auch Georgien und Moldawien haben in den vergangenen Tagen ihr Interesse an einem Beitritt erneut bekundet. Jedoch hatte die Nachrichtenagentur Reuters vor Tagen aus einem Entwurf der Abschlusserklärung erfahren, dass die EU derartige Zusagen nicht geben wolle. Vielmehr erkenne die Staatengemeinschaft "die europäischen Bestrebungen" der Partnerstaaten an, hieß es.
Zur Östlichen Partnerschaft gehören auch Armenien und Aserbaidschan, die bislang jedoch kein Interesse an einer EU-Mitgliedschaft signalisiert haben. Als sechstes Land ist Belarus beteiligt, dessen Präsident Alexander Lukaschenko dem Treffen fern blieb. Im Rahmen der Partnerschaft will die EU unter anderem die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Beziehungen zu den sechs Nachbarstaaten fördern. An dem Gipfel nahmen auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron teil, die am Rande mit Selenskyj sprachen.
Das Treffen fand vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise statt. Der Vorsitzende des ukrainischen Sicherheitsrates, Oleksij Danilow, sagte Reuters in Kiew, Russland habe weiterhin 92.000 Soldaten an der Grenze stationiert. Es gebe keine Anzeichen, dass eine Invasion unmittelbar bevorstehe. Die EU und die USA haben mit schweren wirtschaftlichen Folgen gedroht, sollte Russland tatsächlich in das Nachbarland einmarschieren. Die Regierung in Moskau weist derartige Pläne zurück und fordert von der Nato, eine Mitgliedschaft der Ukraine auszuschließen.