Forum
News aus der EU
Zitat von Gast am 28. Juli 2023, 06:10 UhrGrosse Sprüche, schlechte Leistung: Viktor Orbans Ungarn steht so schlecht da wie kein anderes europäisches Land
Falls Viktor Orban recht bekommt, werden 2030 in Europa andere Machtverhältnisse herrschen als heute. «Wir Mitteleuropäer werden bis dann zu Nettozahlern in der EU», sagte Ungarns Ministerpräsident vor einem Jahr an der traditionellen Sommerakademie der ungarischen Regierungspartei Fidesz in der rumänischen Kleinstadt Baile Tusnad. Und gleichsam als Drohung: «Wer bezahlt, bestellt die Musik.»
Höchster Reallohnverlust in Europa
Derzeit sieht es allerdings nicht danach aus, als könnte der grosse Provokateur dieses Ziel erreichen. Ideologisch geniesst Orban in rechtskonservativen Kreisen zwar Heldenstatus, wirtschaftlich aber steht kein europäisches Land so schlecht da wie Ungarn.
So ist die Inflation dort mit 19,9 Prozent so hoch wie nirgendwo sonst. Die Teuerung wirkt sich auf den Lebensstandard der Ungarn aus. Im Durchschnitt erlitten sie vom ersten Quartal 2022 bis zum ersten Quartal 2023 einen Reallohnverlust von 15,6 Prozent, den höchsten aller Länder der OECD.
Und die Wirtschaftsaussichten sind laut Konjunkturprognostikern schlecht: Die Ökonomen des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche etwa erwarten, dass die Wirtschaftsleistung (BIP) des Landes 2023 schrumpfen werde. Keinem anderen Land Mittel- und Südosteuropas stellen sie einen Rückgang des BIP in Aussicht.
Die Staaten dieser Region stehen in Konkurrenz zueinander: Jeder von ihnen strebt nach möglichst hohen Auslandinvestitionen, etwa von den Autoherstellern, um rasch das Wohlstandsniveau Westeuropas zu erreichen. In diesem Wettlauf ist Ungarn jüngst zurückgefallen.
Ungarn mag klein und ökonomisch verhältnismässig unwichtig sein, aber das Land ist in zweifacher Hinsicht ein interessanter Fall: Er zeigt, wie wichtig verlässliche Regeln für die Wirtschaft sind und welchen Schaden autoritär regierende Politiker verursachen, wenn sie die Wirtschaftspolitik auf die Wahlen ausrichten.
Wahlgeschenke treiben die Inflation an
Laut Ökonomen ist es kein Zufall, dass Ungarn ausgerechnet in diesem Jahr gleichzeitig unter einer hohen Inflation und einer flauen Wirtschaftsentwicklung leidet. Im April 2022 haben in Ungarn Wahlen stattgefunden, und gewisse Ereignisse von damals wirken nach.
«Die wirtschaftlichen Probleme Ungarns beruhen teilweise auf den Wahlgeschenken von damals», sagt Sandor Richter vom WIIW. Heute weiss man zwar: Die Opposition hat kaum Chancen, Orban in Wahlen zu besiegen. Dessen Machtsystem ist gefestigt, und die Opposition hat auch bei vielen Orban-Kritikern einen schlechten Ruf.
Im Frühjahr 2022 war das jedoch nicht so offensichtlich wie heute. Orban war wohl der grosse Wahlfavorit, siegessicher konnte er aber nicht sein. Fiskalisch öffnete der Ministerpräsident deshalb die Schleusen. Personen unter 25 Jahren mussten keine Steuern mehr bezahlen, Familien bekamen eine Steuerrückerstattung und Pensionierte eine 13. Monatsrente.
Das belebte die Nachfrage, allerdings zu einem schlechten Zeitpunkt. Viele Güter waren damals knapp, weil die internationale Logistik nach der Pandemie unter Engpässen litt. Die Folge war ein starker Preisauftrieb, der durch eine Dürre und eine schlechte Ernte in Ungarn verstärkt wurde.
Orban versuchte, die aufkeimende Inflation zu bekämpfen, indem er bei einigen stark nachgefragten Gütern Preisobergrenzen setzte, etwa bei Benzin, Mehl, Eiern, Schweinekeulen oder Hühnerbrüsten.
Das Geld der EU fehlt stark
Heute sind sich Ökonomen mehr oder wenig einig, dass diese Preisobergrenzen kontraproduktiv waren. Detailhändler und Produzenten hielten sich nämlich schadlos, indem sie die Preise von Gütern, bei denen es keine Obergrenze gab, verhältnismässig stark erhöhten.
Die Teuerungsrate bei den Nahrungsmitteln schnellte in diesem Frühjahr auf 46 Prozent. Die Ungarn sparten, wo sie nur konnten, und die Umsätze im Detailhandel brachen ein.
Orban ist also in der Klemme, zumal ihm die internationale Entwicklung auch nicht hilft. Ungarn gehört wie Tschechien und die Slowakei zum deutschen Industrie- und Autofabrikationscluster. In Deutschland jedoch ist die ökonomische Lage schlecht. Das zieht auch die Wirtschaft Mitteleuropas in Mitleidenschaft.
Im Land ist die Stimmung daher schlecht, besonders im Bausektor. «Die Auftragslage ist katastrophal», sagt der Manager eines deutschen Pflastersteinherstellers.
Zur misslichen Lage trägt auch bei, dass Orban auf Geld der EU verzichten muss. In den vergangenen Jahrzehnten hat dieses massgeblich zur Entwicklung des Landes beigetragen. Bis 2027 hätte Ungarn Anspruch auf 28 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbau- und dem Kohäsionsfonds.
Die EU blockiert die Finanzmittel jedoch. Sie bezweifelt unter anderem, dass es in Ungarn ausreichend Vorkehrungen gibt, damit die öffentlichen Gelder nicht versickern. Es existieren starke Hinweise darauf, dass Projekte, für die Ungarn EU-Mittel erhalten hatte, überteuert abgerechnet worden sind. Das zusätzliche Geld soll in die Taschen von Geschäftsleuten geflossen sein, die Orban nahestehen. Ungarn wird gewisse Gelder von der EU erst erhalten, wenn die Regierung Fortschritte macht bei 27 gesetzten Zwischenzielen.
Orban will Ungarns Wirtschaftsleistung verdoppeln
Orban scheint all das nicht zu bekümmern. Munter gibt er weiter den Provokateur. Am vergangenen Wochenende fand in Baile Tusnad erneut die Sommerakademie von Fidesz statt. In einer sehr langen Rede hat Orban erneut nach allen Seiten ausgeteilt. Anders als 2022 hat er zwar den völkischen Jargon weggelassen. Damals hatte er warnend auf die Gefahr einer «gemischtrassigen Welt» hingewiesen.
Allerdings hat er es geschafft, die rumänische Regierung zu erzürnen. Das Aussenministerium des Landes habe ihm eine Demarche geschickt, in der festgehalten sei, worüber er nicht sprechen solle, sagte Orban. Selbstverständlich redete er gerade darüber, etwa die magyarische Minderheit im Nachbarland.
Wirtschaftlich legte Orban wie 2022 die Latte hoch. Seine Absicht sei es, die Wirtschaftsleistung Ungarns bis 2030 im Vergleich mit heute zu verdoppeln, sagte er. Bleibt die Inflation im Land so hoch wie derzeit, hilft das auf jeden Fall, das Ziel zu erreichen.
Grosse Sprüche, schlechte Leistung: Viktor Orbans Ungarn steht so schlecht da wie kein anderes europäisches Land
Falls Viktor Orban recht bekommt, werden 2030 in Europa andere Machtverhältnisse herrschen als heute. «Wir Mitteleuropäer werden bis dann zu Nettozahlern in der EU», sagte Ungarns Ministerpräsident vor einem Jahr an der traditionellen Sommerakademie der ungarischen Regierungspartei Fidesz in der rumänischen Kleinstadt Baile Tusnad. Und gleichsam als Drohung: «Wer bezahlt, bestellt die Musik.»
Höchster Reallohnverlust in Europa
Derzeit sieht es allerdings nicht danach aus, als könnte der grosse Provokateur dieses Ziel erreichen. Ideologisch geniesst Orban in rechtskonservativen Kreisen zwar Heldenstatus, wirtschaftlich aber steht kein europäisches Land so schlecht da wie Ungarn.
So ist die Inflation dort mit 19,9 Prozent so hoch wie nirgendwo sonst. Die Teuerung wirkt sich auf den Lebensstandard der Ungarn aus. Im Durchschnitt erlitten sie vom ersten Quartal 2022 bis zum ersten Quartal 2023 einen Reallohnverlust von 15,6 Prozent, den höchsten aller Länder der OECD.
Und die Wirtschaftsaussichten sind laut Konjunkturprognostikern schlecht: Die Ökonomen des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche etwa erwarten, dass die Wirtschaftsleistung (BIP) des Landes 2023 schrumpfen werde. Keinem anderen Land Mittel- und Südosteuropas stellen sie einen Rückgang des BIP in Aussicht.
Die Staaten dieser Region stehen in Konkurrenz zueinander: Jeder von ihnen strebt nach möglichst hohen Auslandinvestitionen, etwa von den Autoherstellern, um rasch das Wohlstandsniveau Westeuropas zu erreichen. In diesem Wettlauf ist Ungarn jüngst zurückgefallen.
Ungarn mag klein und ökonomisch verhältnismässig unwichtig sein, aber das Land ist in zweifacher Hinsicht ein interessanter Fall: Er zeigt, wie wichtig verlässliche Regeln für die Wirtschaft sind und welchen Schaden autoritär regierende Politiker verursachen, wenn sie die Wirtschaftspolitik auf die Wahlen ausrichten.
Wahlgeschenke treiben die Inflation an
Laut Ökonomen ist es kein Zufall, dass Ungarn ausgerechnet in diesem Jahr gleichzeitig unter einer hohen Inflation und einer flauen Wirtschaftsentwicklung leidet. Im April 2022 haben in Ungarn Wahlen stattgefunden, und gewisse Ereignisse von damals wirken nach.
«Die wirtschaftlichen Probleme Ungarns beruhen teilweise auf den Wahlgeschenken von damals», sagt Sandor Richter vom WIIW. Heute weiss man zwar: Die Opposition hat kaum Chancen, Orban in Wahlen zu besiegen. Dessen Machtsystem ist gefestigt, und die Opposition hat auch bei vielen Orban-Kritikern einen schlechten Ruf.
Im Frühjahr 2022 war das jedoch nicht so offensichtlich wie heute. Orban war wohl der grosse Wahlfavorit, siegessicher konnte er aber nicht sein. Fiskalisch öffnete der Ministerpräsident deshalb die Schleusen. Personen unter 25 Jahren mussten keine Steuern mehr bezahlen, Familien bekamen eine Steuerrückerstattung und Pensionierte eine 13. Monatsrente.
Das belebte die Nachfrage, allerdings zu einem schlechten Zeitpunkt. Viele Güter waren damals knapp, weil die internationale Logistik nach der Pandemie unter Engpässen litt. Die Folge war ein starker Preisauftrieb, der durch eine Dürre und eine schlechte Ernte in Ungarn verstärkt wurde.
Orban versuchte, die aufkeimende Inflation zu bekämpfen, indem er bei einigen stark nachgefragten Gütern Preisobergrenzen setzte, etwa bei Benzin, Mehl, Eiern, Schweinekeulen oder Hühnerbrüsten.
Das Geld der EU fehlt stark
Heute sind sich Ökonomen mehr oder wenig einig, dass diese Preisobergrenzen kontraproduktiv waren. Detailhändler und Produzenten hielten sich nämlich schadlos, indem sie die Preise von Gütern, bei denen es keine Obergrenze gab, verhältnismässig stark erhöhten.
Die Teuerungsrate bei den Nahrungsmitteln schnellte in diesem Frühjahr auf 46 Prozent. Die Ungarn sparten, wo sie nur konnten, und die Umsätze im Detailhandel brachen ein.
Orban ist also in der Klemme, zumal ihm die internationale Entwicklung auch nicht hilft. Ungarn gehört wie Tschechien und die Slowakei zum deutschen Industrie- und Autofabrikationscluster. In Deutschland jedoch ist die ökonomische Lage schlecht. Das zieht auch die Wirtschaft Mitteleuropas in Mitleidenschaft.
Im Land ist die Stimmung daher schlecht, besonders im Bausektor. «Die Auftragslage ist katastrophal», sagt der Manager eines deutschen Pflastersteinherstellers.
Zur misslichen Lage trägt auch bei, dass Orban auf Geld der EU verzichten muss. In den vergangenen Jahrzehnten hat dieses massgeblich zur Entwicklung des Landes beigetragen. Bis 2027 hätte Ungarn Anspruch auf 28 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbau- und dem Kohäsionsfonds.
Die EU blockiert die Finanzmittel jedoch. Sie bezweifelt unter anderem, dass es in Ungarn ausreichend Vorkehrungen gibt, damit die öffentlichen Gelder nicht versickern. Es existieren starke Hinweise darauf, dass Projekte, für die Ungarn EU-Mittel erhalten hatte, überteuert abgerechnet worden sind. Das zusätzliche Geld soll in die Taschen von Geschäftsleuten geflossen sein, die Orban nahestehen. Ungarn wird gewisse Gelder von der EU erst erhalten, wenn die Regierung Fortschritte macht bei 27 gesetzten Zwischenzielen.
Orban will Ungarns Wirtschaftsleistung verdoppeln
Orban scheint all das nicht zu bekümmern. Munter gibt er weiter den Provokateur. Am vergangenen Wochenende fand in Baile Tusnad erneut die Sommerakademie von Fidesz statt. In einer sehr langen Rede hat Orban erneut nach allen Seiten ausgeteilt. Anders als 2022 hat er zwar den völkischen Jargon weggelassen. Damals hatte er warnend auf die Gefahr einer «gemischtrassigen Welt» hingewiesen.
Allerdings hat er es geschafft, die rumänische Regierung zu erzürnen. Das Aussenministerium des Landes habe ihm eine Demarche geschickt, in der festgehalten sei, worüber er nicht sprechen solle, sagte Orban. Selbstverständlich redete er gerade darüber, etwa die magyarische Minderheit im Nachbarland.
Wirtschaftlich legte Orban wie 2022 die Latte hoch. Seine Absicht sei es, die Wirtschaftsleistung Ungarns bis 2030 im Vergleich mit heute zu verdoppeln, sagte er. Bleibt die Inflation im Land so hoch wie derzeit, hilft das auf jeden Fall, das Ziel zu erreichen.
Zitat von Gast am 31. Juli 2023, 07:12 UhrDeutsche Unternehmen schlagen Alarm: Enteignung ausländischer Firmen in Ungarn greift um sich
Mitten in der EU
Deutsche Unternehmen schlagen Alarm: Enteignung ausländischer Firmen in Ungarn greift um sich
In Ungarn beklagen ausländische Unternehmen immer häufiger massive Rechtsverstöße durch die Behörden. Selbst vor Enteignungen sind ausländische Eigentümer nicht mehr gefeit.
Berlin – Mitten in der EU spielt sich Unglaubliches ab. Immer mehr ausländische Unternehmen in Ungarn berichten von einem politischen System, das auf ihre Enteignung abzielt. Es ist die Rede von hohen Sondersteuern, die diskriminierend nur ausländische Unternehmen treffen; von Blockaden, die sie vom Wachstum abhalten; von Dekreten, die Preise festsetzen; und von Staatsanwälten, die unversehens Hausdurchsuchungen bei Mitarbeitern ausländischer Firmen anordnen. All das passiert in der Europäischen Union – die fast tatenlos zusieht.
Für diesen Artikel hat IPPEN.MEDIA mit mehreren Unternehmen gesprochen. Sie gehören verschiedensten Branchen an: Baustoffindustrie, Energiewirtschaft, Telekommunikation, Lebensmittelhandel, Transport. Die meisten wollten nur unter der Bedingung sprechen, dass ihre Namen anschließend nicht genannt werden. Viele weitere lehnten eine Stellungnahme vollständig ab - aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der ungarischen Regierung und davor, dass sich ihre Lage noch weiter verschlechtern könnte.
Seit Corona-Pandemie: Orbán regiert mit Notstandsverordnung durch
Die Geschichten, die die Firmen erzählen, ähneln sich in vielen Punkten. Viele von ihnen haben bereits nach dem Zerfall der Sowjetunion den Sprung nach Ungarn gewagt. Andere kamen in den 2000er Jahren, lange bevor sich das Land unter Ministerpräsident Viktor Orbán in eine illiberale Demokratie verwandelte. Sie haben investiert, haben von niedrigen Steuern und günstigen Arbeitskräften profitiert – und im Gegenzug haben diese Firmen viele Arbeitsplätze geschaffen. Deutschland ist so für Ungarn zu einem sehr wichtigen Wirtschaftspartner geworden.
Mit dem Aufstieg Orbáns änderte sich für die Unternehmen erstmal recht wenig. Zwar beobachteten auch sie einen Wandel: Medien wurden von Oligarchen aufgekauft und pseudo-verstaatlicht, die Justiz ausgehebelt, Orbáns Freunde und Familie in wichtige Positionen gehievt. Für ausländische Investoren blieb das Land aber grundsätzlich attraktiv.
Der Bruch geschah im Jahr 2021, ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie. Diese nutzte Orbán aus für einen alten Trick: Er kann jetzt, auch noch 2023, durch eine Notstandsverordnung per Dekret durchregieren. Die Regierung kann den Notstand ohne Zustimmung des Parlaments verlängern. Ungefähr ab diesem Zeitraum wird es auch für Firmen in Ungarn eng. Orbán selbst kündigte es auch an: Die Wirtschaft müsse in ungarische Hände gelangen. Es sollten „nationale Champions“ geschaffen werden. Der Anteil ausländischer Unternehmen müsse reduziert werden, sagt Orbán mehrmals öffentlich.
E.ON, HeidelbergCement & Co: Auch Dax-Riesen in der Bredouille
Die Firma Heidelberg Materials hat bereits in den 1990er Jahren damit begonnen, in Ungarn Zement zu verkaufen. 2022 erhielt der Dax-Konzern ein Übernahmeangebot, das er ablehnte. Im Gegenzug wurde gegen HeidelbergCement eine 90-prozentige Bergbauabgabe verhängt. Jetzt schreibt die ungarische Tochter Verluste. Auch die Preise für Zementprodukte werden mittlerweile quasi vom Staat vorgegeben. Wie lange das Unternehmen das noch durchhält, ist offen. „Wir sind aber bereit zu kämpfen“, sagt ein Firmen-Manager.
Auch das Energieunternehmen E.ON fühlt sich in Ungarn nicht mehr willkommen. Im Mai 2023 sprach der Geschäftsführer von EON Hungaria, Guntram Würzberg, mit dem ungarischen Portal Portfolio. Man sei bereit, eine Milliarde Euro in die Modernisierung der ungarischen Infrastruktur zu investieren, sagte Würzberg damals - vorausgesetzt, es gebe „vernünftige und faire Investitionsbedingungen“.
Das ist keine Selbstverständlichkeit mehr. So wurde EON 2022 per Dekret dazu verpflichtet, den wirtschaftlich angeschlagenen Stahlunternehmen Dunaferr mit Strom zu beliefern – „im Grunde unentgeltlich“, sagt Würzberg. Für EON bedeute das nun Verluste im Wert von zehn Prozent des Jahresumsatzes. Gespräche über eine mögliche Kompensation laufen den Angaben zufolge bisher ins Nichts.
Weitere Unternehmen, die anonym bleiben möchten, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Erst kam das „Übernahmeangebot“, das sie ablehnten, dann begann die Drangsalierung. Durch Notstandsdekrete werden sie vom Wachstum abgehalten. Von einigen Firmen ist bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Büroräume und private Räume durchsuchen ließ.
EU hat bei Ungarn zu lange gezögert
Der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft sieht die Entwicklung mit wachsender Sorge. Immer mehr Unternehmen und Branchen seien betroffen, heißt es. Durch die Maßnahmen der ungarischen Regierung – Sondersteuern, Blockade, Blockaden, etc. – sei die Investitionssicherheit in Ungarn für deutsche, aber auch für österreichische, französische Firmen gefährdet, erklärt ein Verantwortlicher für Ungarn-Themen gegenüber IPPEN.MEDIA. „Viele Unternehmen stellen sich in Ungarn inzwischen die Frage: Bin ich in Ungarn erwünscht? Wenn ja, wie lange noch?“
Eine Lösung ist nicht in Sicht. Den größten Hebel gegen die ungarische Regierung hätte vor allem die EU. Doch die europäische Gegenwehr kommt spät und schleppend: EU-Gelder werden teilweise eingefroren und es laufen Vertragsverletzungsverfahren. Aber es dauert.
In einer Resolution des Europäischen Parlaments vom Juni heißt es: „Das Parlament ist entsetzt über Berichte von Einschüchterungsversuchen, wie solche, dass die Geheimpolizei die Firmensitze mancher Unternehmen besucht sowie andere Methoden, die darauf abzielen, Druck auszuüben“. Weiter schreibt das Parlament, dass es „mit Sorge feststellt, dass eine wachsende Zahl an Unternehmen in die Hände von ungarischen Oligarchen fallen“. Das Thema ist also bekannt. Die Frage ist nur: Wie viele Firmen sind in Ungarn noch da, bis die EU wirksam durchgreift?
Deutsche Unternehmen schlagen Alarm: Enteignung ausländischer Firmen in Ungarn greift um sich
Mitten in der EU
Deutsche Unternehmen schlagen Alarm: Enteignung ausländischer Firmen in Ungarn greift um sich
In Ungarn beklagen ausländische Unternehmen immer häufiger massive Rechtsverstöße durch die Behörden. Selbst vor Enteignungen sind ausländische Eigentümer nicht mehr gefeit.
Berlin – Mitten in der EU spielt sich Unglaubliches ab. Immer mehr ausländische Unternehmen in Ungarn berichten von einem politischen System, das auf ihre Enteignung abzielt. Es ist die Rede von hohen Sondersteuern, die diskriminierend nur ausländische Unternehmen treffen; von Blockaden, die sie vom Wachstum abhalten; von Dekreten, die Preise festsetzen; und von Staatsanwälten, die unversehens Hausdurchsuchungen bei Mitarbeitern ausländischer Firmen anordnen. All das passiert in der Europäischen Union – die fast tatenlos zusieht.
Für diesen Artikel hat IPPEN.MEDIA mit mehreren Unternehmen gesprochen. Sie gehören verschiedensten Branchen an: Baustoffindustrie, Energiewirtschaft, Telekommunikation, Lebensmittelhandel, Transport. Die meisten wollten nur unter der Bedingung sprechen, dass ihre Namen anschließend nicht genannt werden. Viele weitere lehnten eine Stellungnahme vollständig ab - aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der ungarischen Regierung und davor, dass sich ihre Lage noch weiter verschlechtern könnte.
Seit Corona-Pandemie: Orbán regiert mit Notstandsverordnung durch
Die Geschichten, die die Firmen erzählen, ähneln sich in vielen Punkten. Viele von ihnen haben bereits nach dem Zerfall der Sowjetunion den Sprung nach Ungarn gewagt. Andere kamen in den 2000er Jahren, lange bevor sich das Land unter Ministerpräsident Viktor Orbán in eine illiberale Demokratie verwandelte. Sie haben investiert, haben von niedrigen Steuern und günstigen Arbeitskräften profitiert – und im Gegenzug haben diese Firmen viele Arbeitsplätze geschaffen. Deutschland ist so für Ungarn zu einem sehr wichtigen Wirtschaftspartner geworden.
Mit dem Aufstieg Orbáns änderte sich für die Unternehmen erstmal recht wenig. Zwar beobachteten auch sie einen Wandel: Medien wurden von Oligarchen aufgekauft und pseudo-verstaatlicht, die Justiz ausgehebelt, Orbáns Freunde und Familie in wichtige Positionen gehievt. Für ausländische Investoren blieb das Land aber grundsätzlich attraktiv.
Der Bruch geschah im Jahr 2021, ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie. Diese nutzte Orbán aus für einen alten Trick: Er kann jetzt, auch noch 2023, durch eine Notstandsverordnung per Dekret durchregieren. Die Regierung kann den Notstand ohne Zustimmung des Parlaments verlängern. Ungefähr ab diesem Zeitraum wird es auch für Firmen in Ungarn eng. Orbán selbst kündigte es auch an: Die Wirtschaft müsse in ungarische Hände gelangen. Es sollten „nationale Champions“ geschaffen werden. Der Anteil ausländischer Unternehmen müsse reduziert werden, sagt Orbán mehrmals öffentlich.
E.ON, HeidelbergCement & Co: Auch Dax-Riesen in der Bredouille
Die Firma Heidelberg Materials hat bereits in den 1990er Jahren damit begonnen, in Ungarn Zement zu verkaufen. 2022 erhielt der Dax-Konzern ein Übernahmeangebot, das er ablehnte. Im Gegenzug wurde gegen HeidelbergCement eine 90-prozentige Bergbauabgabe verhängt. Jetzt schreibt die ungarische Tochter Verluste. Auch die Preise für Zementprodukte werden mittlerweile quasi vom Staat vorgegeben. Wie lange das Unternehmen das noch durchhält, ist offen. „Wir sind aber bereit zu kämpfen“, sagt ein Firmen-Manager.
Auch das Energieunternehmen E.ON fühlt sich in Ungarn nicht mehr willkommen. Im Mai 2023 sprach der Geschäftsführer von EON Hungaria, Guntram Würzberg, mit dem ungarischen Portal Portfolio. Man sei bereit, eine Milliarde Euro in die Modernisierung der ungarischen Infrastruktur zu investieren, sagte Würzberg damals - vorausgesetzt, es gebe „vernünftige und faire Investitionsbedingungen“.
Das ist keine Selbstverständlichkeit mehr. So wurde EON 2022 per Dekret dazu verpflichtet, den wirtschaftlich angeschlagenen Stahlunternehmen Dunaferr mit Strom zu beliefern – „im Grunde unentgeltlich“, sagt Würzberg. Für EON bedeute das nun Verluste im Wert von zehn Prozent des Jahresumsatzes. Gespräche über eine mögliche Kompensation laufen den Angaben zufolge bisher ins Nichts.
Weitere Unternehmen, die anonym bleiben möchten, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Erst kam das „Übernahmeangebot“, das sie ablehnten, dann begann die Drangsalierung. Durch Notstandsdekrete werden sie vom Wachstum abgehalten. Von einigen Firmen ist bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Büroräume und private Räume durchsuchen ließ.
EU hat bei Ungarn zu lange gezögert
Der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft sieht die Entwicklung mit wachsender Sorge. Immer mehr Unternehmen und Branchen seien betroffen, heißt es. Durch die Maßnahmen der ungarischen Regierung – Sondersteuern, Blockade, Blockaden, etc. – sei die Investitionssicherheit in Ungarn für deutsche, aber auch für österreichische, französische Firmen gefährdet, erklärt ein Verantwortlicher für Ungarn-Themen gegenüber IPPEN.MEDIA. „Viele Unternehmen stellen sich in Ungarn inzwischen die Frage: Bin ich in Ungarn erwünscht? Wenn ja, wie lange noch?“
Eine Lösung ist nicht in Sicht. Den größten Hebel gegen die ungarische Regierung hätte vor allem die EU. Doch die europäische Gegenwehr kommt spät und schleppend: EU-Gelder werden teilweise eingefroren und es laufen Vertragsverletzungsverfahren. Aber es dauert.
In einer Resolution des Europäischen Parlaments vom Juni heißt es: „Das Parlament ist entsetzt über Berichte von Einschüchterungsversuchen, wie solche, dass die Geheimpolizei die Firmensitze mancher Unternehmen besucht sowie andere Methoden, die darauf abzielen, Druck auszuüben“. Weiter schreibt das Parlament, dass es „mit Sorge feststellt, dass eine wachsende Zahl an Unternehmen in die Hände von ungarischen Oligarchen fallen“. Das Thema ist also bekannt. Die Frage ist nur: Wie viele Firmen sind in Ungarn noch da, bis die EU wirksam durchgreift?
Zitat von Gast am 9. August 2023, 13:29 UhrGriechenland und Italien drückt die größte Schuldenlast
Das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) hat im Juli gemeldet, dass die Staatsverschuldung in der Europäischen Union auf 83,7 Prozent gefallen (Q1 2022 = 87,4 Prozent). Auch im Euroraum ging die Schuldenlast der Staaten in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) zurück. Das betrifft auch die Länder mit der schlechtesten Bilanz. Belief sich der Schuldenstand Griechenlands Anfang 2022 auf 189,4 Prozent des BIP, waren es zuletzt 168,3 Prozent. Italien gelang es im selben Zeitraum seine Schulden von 151,4 Prozent auf 143,5 Prozent zu senken. Gründe für den Rückgang nennt Eurostat nicht. Neben Haushaltsdisziplin könnten die Abschöpfung von Übergewinnen in beiden Ländern zumindest einen kleinen Anteil am Rückgang gehabt haben. Auch in Deutschland ist die Staatsverschuldung um zwei Prozentpunkte zurückgegangen. Aktuell beläuft sich die Schuldenstand des Staatssektors auf 65,9 Prozent des BIP.
Die Grafik zeigt die Staatsverschuldung in der EU in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im 1. Quartal 2023.
Griechenland und Italien drückt die größte Schuldenlast
Das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) hat im Juli gemeldet, dass die Staatsverschuldung in der Europäischen Union auf 83,7 Prozent gefallen (Q1 2022 = 87,4 Prozent). Auch im Euroraum ging die Schuldenlast der Staaten in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) zurück. Das betrifft auch die Länder mit der schlechtesten Bilanz. Belief sich der Schuldenstand Griechenlands Anfang 2022 auf 189,4 Prozent des BIP, waren es zuletzt 168,3 Prozent. Italien gelang es im selben Zeitraum seine Schulden von 151,4 Prozent auf 143,5 Prozent zu senken. Gründe für den Rückgang nennt Eurostat nicht. Neben Haushaltsdisziplin könnten die Abschöpfung von Übergewinnen in beiden Ländern zumindest einen kleinen Anteil am Rückgang gehabt haben. Auch in Deutschland ist die Staatsverschuldung um zwei Prozentpunkte zurückgegangen. Aktuell beläuft sich die Schuldenstand des Staatssektors auf 65,9 Prozent des BIP.
Die Grafik zeigt die Staatsverschuldung in der EU in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im 1. Quartal 2023.
Zitat von Gast am 10. August 2023, 06:37 UhrThyssen Krupp und Lürssen: Bürokratie bremst Rüstungsaufträge
Nur eine gute Woche nachdem die Hoffnungen von Rheinmetall auf einen weiteren milliardenschweren Auftrag in Australien zerstoben, bewerben sich deutsche Rüstungsunternehmen abermals um einen Großauftrag auf dem fünften Kontinent. Die Werften Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) und Lürssen wollen für ein geschätztes Volumen von 5 Milliarden australische Dollar (2,98 Milliarden Euro) Korvetten bauen. Einfach wird das nicht: Denn europäische Rüstungskonzerne fühlen sich von den Australiern unfair behandelt.
Niemand aus der Branche spricht offen darüber aus Sorge, sich von weiteren Aufträgen auszuschließen. In Kreisen in Canberra heißt es aber, der europäische Flugzeughersteller Airbus fühle sich etwa bei einem Auftrag für Satelliten im Wert von rund 6 Milliarden australische Dollar von der Politik ausgebremst. Auch deshalb sehe er eine künftige Fertigung eher in den Vereinigten Staaten als in Australien.
In Düsseldorf bei Rheinmetall prüfe man im Nachspiel der Auftragsvergabe für einen Panzer rechtliche Schritte: Die Deutschen hatten ihren Lynx KF41 ins Rennen geschickt, das dann aber der Konkurrent Redback des südkoreanischen Herstellers Hanwha machte. Nun ist offen, wie das Rheinmetall Military Vehicle Centre of Excellence (MILVEHCOE) in Redbank im ostaustralischen Bundesstaat Queensland, in der der Boxer für die Australier gefertigt wird, seine Kapazitäten weiter füllen will.
Problematisch ist auch die politische Dimension: Denn die Australier verkünden schon, dass sie in Redbank auch Boxer für die Bundeswehr bauen würden. Das ist zwar beabsichtigt, nicht aber vertraglich vereinbart. Die Australier gaben ihre Entscheidung gegen den Lynx dann genau in der Woche bekannt, in der Mitglieder des Verteidigungsausschusses aus Berlin Australien bereisten. Ob der Bundestag nun noch einem Liefervertrag der Boxer aus Australien zustimme, sei völlig offen: „Die Australier wollen uns beliefern, aber unsere Produkte nicht kaufen“, heißt es in Canberra. „Wir erwarten, dass sie sehr schnell ein klares Gespräch mit Rheinmetall führen werden, woran die Absage gelegen hat.“ Zwar habe es die Vereinbarung zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Ministerpräsident Anthony Albanese über die Lieferung von Boxer aus Brisbane gegeben. Doch: „Das ist nicht mehr als eben eine Absicht. Genehmigen müssen das die Abgeordneten – die aber sind mehr als verschnupft.“
Amerikaner stechen Airbus aus
Airbus zeigt sich nach der Absage des Baus seiner Satelliten verärgert. Die Zusage ging an Amerikaner. Die Reihe der Niederlagen der Europäer setzt sich damit fort: Als es bei den U-Booten 2017 noch um konventionelle Antriebe ging, hatte auch TKMS auf den Großauftrag im Wert von mehr als 100 Milliarden australische Dollar über die Lebenszeit der Boote gehofft. Auch damals hieß es nach dem Ausscheiden, die schlussendliche Vergabe an die heutige französische Staatswerft Naval Group sei nicht fair verlaufen. Zu einem rechtlichen Nachspiel kam es nicht.
So kann sich TKMS nun um einen Großauftrag bewerben: Australien braucht zehn Korvetten. Peter Lürßen, einer der Besitzer der gleichnamigen Bremer Werft, wird an diesem Mittwoch in Canberra den australischen Verteidigungsminister Richard Marles und führende Mitarbeiter der Ministerien und Militärs in der australischen Hauptstadt treffen. Schon im November vergangenen Jahres hatten TKMS-Manager in Canberra Gespräche über Korvetten geführt. Mit den rund 90 Meter langen Schiffen wollen die Australier ihre drei Zerstörer der Hobart-Klasse ergänzen.
Noch ist sehr vieles offen: Denn die australische Regierung prüft in diesem Monat auch die Aufstellung ihrer Marine. Der gleiche Prozess für die Landstreitkräfte führte zu einer Neuausrichtung, die unter anderem deutlich geringere Bestellvolumina für Panzer mit sich brachte. Australien richtet seine Streitkräfte direkt auf die wachsende Bedrohung aus China und auch die Folgen einer Auseinandersetzung um Taiwan aus.
In unruhigem Fahrwasser
Die Deutschen bewegen sich in sehr unruhigem Fahrwasser: So bewerben sich neben TKMS und Lürssen auch die spanische Navantia um denselben Auftrag und den Bau weiterer Zerstörer, die britische Babcock bietet eine leichtere Fregatte. Das gesamte Einkaufsvolumen von Marles für die Marine wird auf rund 50 Milliarden australische Dollar geschätzt. Hinzu kommen die atomaren Unterseeboote unter dem Aukus-Programm, entwickelt, gebaut und ausgerüstet mit Amerikanern und Briten.
Wie groß der Einfluss Washingtons auf seine regionalen Partner im Pazifik ist, zeigt die Planung Canberras: Die unabhängige Untersuchung der Aufstellung der australischen Navy leitet der frühere amerikanische Vizeadmiral William Hilarides. Der pensionierte U-Boot-Fahrer soll für seine Beratungsdienste einen Tagessatz von 4000 australische Dollar bekommen.
Die Entscheidung für einen amerikanischen Offizier als Berater kam in Canberra nicht überall gut an. Zumal Hilarides nicht allein steht: Australien verlässt sich seit Langem auf hoch bezahlte frühere US-Offiziere, die als Berater ein zweites Leben führen. Die amerikanische Zeitung „Washington Post“ berichtete, neben sechs pensionierten Admiralen stünden auch drei zivile frühere Spitzenkräfte der amerikanischen Marine und drei amerikanische Marine-Werftmanager in Canberras Diensten.
Die Regierung steht unter Druck
Das wird es für Europäer schwer machen. So dürfte es Werftchef Lürßen auch nicht nur um einen weiteren Auftrag gehen. Denn auch hinter dem von Lürssen gewonnenen Auftrag für zwölf Patrouillenboote im Schätzwert von 3,6 Milliarden australische Dollar stehen unter Hilarides wieder Fragezeichen. Schon zuvor hatte das Verteidigungsministerium den Bau als „Projekt mit Bedenken“ eingestuft. Eines ist gebaut, das Gesamtprojekt aber soll um ein Jahr hinter dem Zeitplan liegen. Zudem erscheinen die Schiffe den Australiern inzwischen als unterbewaffnet – nicht ganz grundlos betont Lürßen, die neuen Korvetten würden „schwer bewaffnet“ werden. In Canberra wird nun mit der Idee gespielt, den Bau der Bremer Patrouillenboote beim halben Dutzend einzustellen.
Das wäre möglich. Doch hatte der überaus raue Entzug des Auftrags zum Bau konventioneller U-Boote von Frankreich durch die Vorgängerregierung unter Ministerpräsident Scott Morrison zu tiefen Verstimmungen zwischen Canberra und Paris geführt. In Zeiten der zähen Schlussverhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union wäre ein weiteres Übersehen der europäischen Rüstungsindustrie eine zusätzliche Belastung. Hinter den Kulissen klagen nicht nur Airbus, TKMS und Rheinmetall über die Vergabeverfahren. Sie seien „einseitig“ ausgerichtet, und „die Torpfosten werden noch auf den letzten Metern so lange verschoben, bis es passt“, heißt es bei europäischen Diplomaten.
Doch steht auch die neue Regierung unter Druck: Denn der Bau von neun Fregatten der Hunter-Klasse durch die britische BAE Systems Maritime Australia im südaustralischen Adelaide ist aus dem Ruder gelaufen. Er wird zu teuer, die Bauzeiten haben sich über Jahre verzögert, Gewicht und Bewaffnung der Schiffe sind umstritten. Der jüngste Bericht des australischen Rechnungshofes weist darauf hin, dass das erste der rund 10.000-Tonnen-Schiffe nun wohl erst 2032 einsatzfähig wäre. Unter anderem ging es bei einer Prüfung auch um Weihnachtskarten und -dekorationen im Wert von 50.000 australische Dollar. Das im Preis von 30 auf rund 50 Milliarden australische Dollar gestiegene Projekt könnte geschrumpft werden, um dafür den Bau der Korvetten zu finanzieren. Vor allem aber weisen auch hier die australischen Auditoren auf einen sehr fragwürdigen Vergabeprozess unter der damaligen Regierung von Ministerpräsident Malcolm Turnbull hin.
Den deutschen Werften und ihrem Engagement für die Korvetten könnten die Probleme mit den Fregatten zugutekommen. Lürssen könnte auf Pläne zurückgreifen, die für den Bau bulgarischer Korvetten vorliegen, TKMS baut unter anderem für die Israelis Korvetten. Für die Bundesmarine bauen Lürssen und TKMS gemeinsam Korvetten – ein Bau für die Australier müsste zwar unbedingt in australischen Werften stattfinden, doch könnte Wissen aus Deutschland transferiert werden und damit auch Arbeitsplätze 16.000 Kilometer im Westen erhalten. Ob es sinnvoll ist, dass zwei deutsche Werften in Australien konkurrieren, bezweifeln manche in Canberra.
Thyssen Krupp und Lürssen: Bürokratie bremst Rüstungsaufträge
Nur eine gute Woche nachdem die Hoffnungen von Rheinmetall auf einen weiteren milliardenschweren Auftrag in Australien zerstoben, bewerben sich deutsche Rüstungsunternehmen abermals um einen Großauftrag auf dem fünften Kontinent. Die Werften Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) und Lürssen wollen für ein geschätztes Volumen von 5 Milliarden australische Dollar (2,98 Milliarden Euro) Korvetten bauen. Einfach wird das nicht: Denn europäische Rüstungskonzerne fühlen sich von den Australiern unfair behandelt.
Niemand aus der Branche spricht offen darüber aus Sorge, sich von weiteren Aufträgen auszuschließen. In Kreisen in Canberra heißt es aber, der europäische Flugzeughersteller Airbus fühle sich etwa bei einem Auftrag für Satelliten im Wert von rund 6 Milliarden australische Dollar von der Politik ausgebremst. Auch deshalb sehe er eine künftige Fertigung eher in den Vereinigten Staaten als in Australien.
In Düsseldorf bei Rheinmetall prüfe man im Nachspiel der Auftragsvergabe für einen Panzer rechtliche Schritte: Die Deutschen hatten ihren Lynx KF41 ins Rennen geschickt, das dann aber der Konkurrent Redback des südkoreanischen Herstellers Hanwha machte. Nun ist offen, wie das Rheinmetall Military Vehicle Centre of Excellence (MILVEHCOE) in Redbank im ostaustralischen Bundesstaat Queensland, in der der Boxer für die Australier gefertigt wird, seine Kapazitäten weiter füllen will.
Problematisch ist auch die politische Dimension: Denn die Australier verkünden schon, dass sie in Redbank auch Boxer für die Bundeswehr bauen würden. Das ist zwar beabsichtigt, nicht aber vertraglich vereinbart. Die Australier gaben ihre Entscheidung gegen den Lynx dann genau in der Woche bekannt, in der Mitglieder des Verteidigungsausschusses aus Berlin Australien bereisten. Ob der Bundestag nun noch einem Liefervertrag der Boxer aus Australien zustimme, sei völlig offen: „Die Australier wollen uns beliefern, aber unsere Produkte nicht kaufen“, heißt es in Canberra. „Wir erwarten, dass sie sehr schnell ein klares Gespräch mit Rheinmetall führen werden, woran die Absage gelegen hat.“ Zwar habe es die Vereinbarung zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Ministerpräsident Anthony Albanese über die Lieferung von Boxer aus Brisbane gegeben. Doch: „Das ist nicht mehr als eben eine Absicht. Genehmigen müssen das die Abgeordneten – die aber sind mehr als verschnupft.“
Amerikaner stechen Airbus aus
Airbus zeigt sich nach der Absage des Baus seiner Satelliten verärgert. Die Zusage ging an Amerikaner. Die Reihe der Niederlagen der Europäer setzt sich damit fort: Als es bei den U-Booten 2017 noch um konventionelle Antriebe ging, hatte auch TKMS auf den Großauftrag im Wert von mehr als 100 Milliarden australische Dollar über die Lebenszeit der Boote gehofft. Auch damals hieß es nach dem Ausscheiden, die schlussendliche Vergabe an die heutige französische Staatswerft Naval Group sei nicht fair verlaufen. Zu einem rechtlichen Nachspiel kam es nicht.
So kann sich TKMS nun um einen Großauftrag bewerben: Australien braucht zehn Korvetten. Peter Lürßen, einer der Besitzer der gleichnamigen Bremer Werft, wird an diesem Mittwoch in Canberra den australischen Verteidigungsminister Richard Marles und führende Mitarbeiter der Ministerien und Militärs in der australischen Hauptstadt treffen. Schon im November vergangenen Jahres hatten TKMS-Manager in Canberra Gespräche über Korvetten geführt. Mit den rund 90 Meter langen Schiffen wollen die Australier ihre drei Zerstörer der Hobart-Klasse ergänzen.
Noch ist sehr vieles offen: Denn die australische Regierung prüft in diesem Monat auch die Aufstellung ihrer Marine. Der gleiche Prozess für die Landstreitkräfte führte zu einer Neuausrichtung, die unter anderem deutlich geringere Bestellvolumina für Panzer mit sich brachte. Australien richtet seine Streitkräfte direkt auf die wachsende Bedrohung aus China und auch die Folgen einer Auseinandersetzung um Taiwan aus.
In unruhigem Fahrwasser
Die Deutschen bewegen sich in sehr unruhigem Fahrwasser: So bewerben sich neben TKMS und Lürssen auch die spanische Navantia um denselben Auftrag und den Bau weiterer Zerstörer, die britische Babcock bietet eine leichtere Fregatte. Das gesamte Einkaufsvolumen von Marles für die Marine wird auf rund 50 Milliarden australische Dollar geschätzt. Hinzu kommen die atomaren Unterseeboote unter dem Aukus-Programm, entwickelt, gebaut und ausgerüstet mit Amerikanern und Briten.
Wie groß der Einfluss Washingtons auf seine regionalen Partner im Pazifik ist, zeigt die Planung Canberras: Die unabhängige Untersuchung der Aufstellung der australischen Navy leitet der frühere amerikanische Vizeadmiral William Hilarides. Der pensionierte U-Boot-Fahrer soll für seine Beratungsdienste einen Tagessatz von 4000 australische Dollar bekommen.
Die Entscheidung für einen amerikanischen Offizier als Berater kam in Canberra nicht überall gut an. Zumal Hilarides nicht allein steht: Australien verlässt sich seit Langem auf hoch bezahlte frühere US-Offiziere, die als Berater ein zweites Leben führen. Die amerikanische Zeitung „Washington Post“ berichtete, neben sechs pensionierten Admiralen stünden auch drei zivile frühere Spitzenkräfte der amerikanischen Marine und drei amerikanische Marine-Werftmanager in Canberras Diensten.
Die Regierung steht unter Druck
Das wird es für Europäer schwer machen. So dürfte es Werftchef Lürßen auch nicht nur um einen weiteren Auftrag gehen. Denn auch hinter dem von Lürssen gewonnenen Auftrag für zwölf Patrouillenboote im Schätzwert von 3,6 Milliarden australische Dollar stehen unter Hilarides wieder Fragezeichen. Schon zuvor hatte das Verteidigungsministerium den Bau als „Projekt mit Bedenken“ eingestuft. Eines ist gebaut, das Gesamtprojekt aber soll um ein Jahr hinter dem Zeitplan liegen. Zudem erscheinen die Schiffe den Australiern inzwischen als unterbewaffnet – nicht ganz grundlos betont Lürßen, die neuen Korvetten würden „schwer bewaffnet“ werden. In Canberra wird nun mit der Idee gespielt, den Bau der Bremer Patrouillenboote beim halben Dutzend einzustellen.
Das wäre möglich. Doch hatte der überaus raue Entzug des Auftrags zum Bau konventioneller U-Boote von Frankreich durch die Vorgängerregierung unter Ministerpräsident Scott Morrison zu tiefen Verstimmungen zwischen Canberra und Paris geführt. In Zeiten der zähen Schlussverhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union wäre ein weiteres Übersehen der europäischen Rüstungsindustrie eine zusätzliche Belastung. Hinter den Kulissen klagen nicht nur Airbus, TKMS und Rheinmetall über die Vergabeverfahren. Sie seien „einseitig“ ausgerichtet, und „die Torpfosten werden noch auf den letzten Metern so lange verschoben, bis es passt“, heißt es bei europäischen Diplomaten.
Doch steht auch die neue Regierung unter Druck: Denn der Bau von neun Fregatten der Hunter-Klasse durch die britische BAE Systems Maritime Australia im südaustralischen Adelaide ist aus dem Ruder gelaufen. Er wird zu teuer, die Bauzeiten haben sich über Jahre verzögert, Gewicht und Bewaffnung der Schiffe sind umstritten. Der jüngste Bericht des australischen Rechnungshofes weist darauf hin, dass das erste der rund 10.000-Tonnen-Schiffe nun wohl erst 2032 einsatzfähig wäre. Unter anderem ging es bei einer Prüfung auch um Weihnachtskarten und -dekorationen im Wert von 50.000 australische Dollar. Das im Preis von 30 auf rund 50 Milliarden australische Dollar gestiegene Projekt könnte geschrumpft werden, um dafür den Bau der Korvetten zu finanzieren. Vor allem aber weisen auch hier die australischen Auditoren auf einen sehr fragwürdigen Vergabeprozess unter der damaligen Regierung von Ministerpräsident Malcolm Turnbull hin.
Den deutschen Werften und ihrem Engagement für die Korvetten könnten die Probleme mit den Fregatten zugutekommen. Lürssen könnte auf Pläne zurückgreifen, die für den Bau bulgarischer Korvetten vorliegen, TKMS baut unter anderem für die Israelis Korvetten. Für die Bundesmarine bauen Lürssen und TKMS gemeinsam Korvetten – ein Bau für die Australier müsste zwar unbedingt in australischen Werften stattfinden, doch könnte Wissen aus Deutschland transferiert werden und damit auch Arbeitsplätze 16.000 Kilometer im Westen erhalten. Ob es sinnvoll ist, dass zwei deutsche Werften in Australien konkurrieren, bezweifeln manche in Canberra.
Zitat von Gast am 10. August 2023, 13:31 UhrWelche europäischen Länder schöpfen Übergewinne ab?
Sieben Länder in Europa haben bislang Steuern zur Abschöpfung von Übergewinnen eingeführt. Als erstes Land hatte Rumänien bereits 2021 eine Sondersteuer für Stromerzeuger eingeführt. Auch in den anderen Ländern trifft es überwiegend Unternehmen aus dem Energiesektor, wie die Statista-Grafik zeigt.
Nur in Ungarn ist die entsprechende Regelung weitergefasst. Hier sind Unternehmen aus den Bereichen Banken, Versicherungen, Energie, Handel, Telekommunikation, Fluggesellschaften und Pharma steuerpflichtig. Die zusätzlichen Einnahmen sollen der Subventionierung von Energiepreisen und der Finanzierung von zusätzlichen Verteidigungsausgaben dienen.
Zuletzt hat Italien eine neue Übergewinnsteuer aufgelegt. Die Regierung von Ministerpräsidentin Meloni will künftig Gewinne von Banken abschöpfen. Das Land hatte bereits "im März 2022 als Reaktion auf die Auswirkungen des Ukraine-Krieges eine einmalig in 2022 zu erhebende Abgabe für Unternehmen des Energiesektors eingeführt", wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags schreibt.
Laut Medienberichten soll die bislang auf das laufende Jahr beschränkte Maßnahme dem Staat zwischen zwei und 3,5 Milliarden Euro einbringen.
Die Grafik zeigt die europäischen Länder mit befristeten Steuern zur Abschöpfung von Übergewinnen.
Welche europäischen Länder schöpfen Übergewinne ab?
Sieben Länder in Europa haben bislang Steuern zur Abschöpfung von Übergewinnen eingeführt. Als erstes Land hatte Rumänien bereits 2021 eine Sondersteuer für Stromerzeuger eingeführt. Auch in den anderen Ländern trifft es überwiegend Unternehmen aus dem Energiesektor, wie die Statista-Grafik zeigt.
Nur in Ungarn ist die entsprechende Regelung weitergefasst. Hier sind Unternehmen aus den Bereichen Banken, Versicherungen, Energie, Handel, Telekommunikation, Fluggesellschaften und Pharma steuerpflichtig. Die zusätzlichen Einnahmen sollen der Subventionierung von Energiepreisen und der Finanzierung von zusätzlichen Verteidigungsausgaben dienen.
Zuletzt hat Italien eine neue Übergewinnsteuer aufgelegt. Die Regierung von Ministerpräsidentin Meloni will künftig Gewinne von Banken abschöpfen. Das Land hatte bereits "im März 2022 als Reaktion auf die Auswirkungen des Ukraine-Krieges eine einmalig in 2022 zu erhebende Abgabe für Unternehmen des Energiesektors eingeführt", wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags schreibt.
Laut Medienberichten soll die bislang auf das laufende Jahr beschränkte Maßnahme dem Staat zwischen zwei und 3,5 Milliarden Euro einbringen.
Die Grafik zeigt die europäischen Länder mit befristeten Steuern zur Abschöpfung von Übergewinnen.
Zitat von Gast am 29. August 2023, 08:25 UhrBeitrittskandidaten: EU-Ratspräsident rechnet bis 2030 mit neuen EU-Mitgliedern
Charles Michel hält die EU-Erweiterung für notwendig. Im Oktober sollen die Details diskutiert werden. Vor allem den Balkanstaaten werden gute Chancen eingeräumt.
EU-Ratspräsident Charles Michel rechnet bis 2030 mit einer Erweiterung der Europäischen Union um weitere Mitgliedsstaaten. „Das ist ehrgeizig, aber notwendig“, sagte Michel am Montag im slowenischen Seebad Bled.
Die Balkanstaaten Albanien, Bosnien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien durchlaufen bereits den mehrstufigen Prozess, der Voraussetzung für einen Beitritt zu dem Bund von derzeit 27 europäischen Staaten ist. Vergangenes Jahr erhielten Moldawien und die Ukraine den Kandidatenstatus.
Welche Länder er für besonders aussichtsreiche Kandidaten für einen schnellen Beitritt hält, sage Michel nicht. Mit der Türkei gab es bereits lange Beitrittsverhandlungen, sie liegen allerdings seit Jahren wegen rechtsstaatlicher Defizite auf Eis.
Michel sagte, der Europäische Rat werde eine Erweiterung der EU auf seiner nächsten Tagung erörtern. Wie die letztlich entscheidenden Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten Michels Vorstoß sehen, wird sich vermutlich in den kommenden Monaten zeigen.
Das Thema Erweiterung soll unter anderem bei einem informellen EU-Gipfel Anfang Oktober diskutiert werden. Im Dezember soll entschieden werden, ob mit der Ukraine und Moldau Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden und ob Georgien den Status des Beitrittskandidaten bekommt.
„Die Integration neuer Mitglieder in unsere Union wird nicht einfach sein“
Voraussetzung für eine Mitgliedschaft seien eine unabhängige Justiz und der Kampf gegen Korruption. Zudem müssten die Staaten ihre Außenpolitik mit der der der EU-Mitgliedstaaten abstimmen und bilaterale Konflikte vor einem möglichen Beitritt lösen.
„Die Integration neuer Mitglieder in unsere Union wird nicht einfach sein“, sagte Michel. Dazu gehöre auch, dass es erhebliche finanzielle Mittel brauchen werde, um den Ländern beim Aufholen zu helfen. Die Wirtschaftskraft künftiger Mitgliedstaaten entspreche etwa 50 bis 70 Prozent der kleinsten EU-Wirtschaft, sagt er. Dies bedeute, dass diese Länder zunächst Nettoempfänger würden. Zugleich würden mehrere derzeitige Nettoempfänger zu Nettozahlern werden.
Beitrittskandidaten: EU-Ratspräsident rechnet bis 2030 mit neuen EU-Mitgliedern
Charles Michel hält die EU-Erweiterung für notwendig. Im Oktober sollen die Details diskutiert werden. Vor allem den Balkanstaaten werden gute Chancen eingeräumt.
EU-Ratspräsident Charles Michel rechnet bis 2030 mit einer Erweiterung der Europäischen Union um weitere Mitgliedsstaaten. „Das ist ehrgeizig, aber notwendig“, sagte Michel am Montag im slowenischen Seebad Bled.
Die Balkanstaaten Albanien, Bosnien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien durchlaufen bereits den mehrstufigen Prozess, der Voraussetzung für einen Beitritt zu dem Bund von derzeit 27 europäischen Staaten ist. Vergangenes Jahr erhielten Moldawien und die Ukraine den Kandidatenstatus.
Welche Länder er für besonders aussichtsreiche Kandidaten für einen schnellen Beitritt hält, sage Michel nicht. Mit der Türkei gab es bereits lange Beitrittsverhandlungen, sie liegen allerdings seit Jahren wegen rechtsstaatlicher Defizite auf Eis.
Michel sagte, der Europäische Rat werde eine Erweiterung der EU auf seiner nächsten Tagung erörtern. Wie die letztlich entscheidenden Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten Michels Vorstoß sehen, wird sich vermutlich in den kommenden Monaten zeigen.
Das Thema Erweiterung soll unter anderem bei einem informellen EU-Gipfel Anfang Oktober diskutiert werden. Im Dezember soll entschieden werden, ob mit der Ukraine und Moldau Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden und ob Georgien den Status des Beitrittskandidaten bekommt.
„Die Integration neuer Mitglieder in unsere Union wird nicht einfach sein“
Voraussetzung für eine Mitgliedschaft seien eine unabhängige Justiz und der Kampf gegen Korruption. Zudem müssten die Staaten ihre Außenpolitik mit der der der EU-Mitgliedstaaten abstimmen und bilaterale Konflikte vor einem möglichen Beitritt lösen.
„Die Integration neuer Mitglieder in unsere Union wird nicht einfach sein“, sagte Michel. Dazu gehöre auch, dass es erhebliche finanzielle Mittel brauchen werde, um den Ländern beim Aufholen zu helfen. Die Wirtschaftskraft künftiger Mitgliedstaaten entspreche etwa 50 bis 70 Prozent der kleinsten EU-Wirtschaft, sagt er. Dies bedeute, dass diese Länder zunächst Nettoempfänger würden. Zugleich würden mehrere derzeitige Nettoempfänger zu Nettozahlern werden.
Zitat von Gast am 30. August 2023, 05:22 UhrDie antideutsche Stimmung wächst
Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,
seine Verwandten kann man sich nicht aussuchen, und seine Nachbarn auch nicht. Manchmal versteht man sich prächtig mit den Hausbewohnern nebenan, manchmal pflegt man auch nur eine freundliche Neutralität. Und manchmal gibt es Zoff, und zwar nicht zu knapp. Das Verhältnis zu Nachbarn kann ein großes Spektrum von Zu- bis Abneigung abdecken, das ist normal. Eines aber kommt seltener vor: dass man sich um das Wohlergehen der Menschen nebenan wirklich ernste Sorgen macht.
Auch Staaten haben Nachbarn. Bei uns zum Beispiel floriert direkt hinter der östlichen Grenze eine große Nation. Die Wirtschaft wächst rasant, man kann es gar nicht übersehen: Überall wird gehämmert und gebaut, werden Häuser hochgezogen, manche Städte wirken wie eine einzige Baustelle – es geht mächtig voran. In der Rangliste der größten Volkswirtschaften der EU belegen die zupackenden Leute jenseits der Grenze schon Platz sechs, Tendenz steigend. Bei der Bevölkerungszahl liegt das Land auf Platz fünf. Ganz schön viel Power also, was Anlass zu ebenso viel guter Laune sein könnte. Stattdessen müssen wir uns gewaltige Sorgen machen.
Die kraftvolle Nachbarnation heißt Polen. Wenn Sie jetzt wissen wollen, warum es einem angst und bange werden kann, während das Land sich augenscheinlich bester Gesundheit erfreut, muss ich Ihnen zunächst ein paar Fragen stellen.
Erst einmal möchte ich von Ihnen ganz offiziell – behördlicherseits sozusagen – folgende Auskunft einholen: "Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegalen Einwanderern aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme?"
Bevor sich jetzt jemand beschwert, dass sei ja ganz schön tendenziös formuliert: Ich gebe es ja zu. "Tausende" klingt nach einem Ansturm, obwohl es – gemessen an der Größe einer Nation – eine verschwindend geringe Anzahl wäre. "Illegal" tönt ebenfalls gefährlich – ob die Menschen aus gutem Grund geflohen sind, interessiert dagegen nicht die Bohne. Und die mühsam ausgehandelten Kompromisse, die gemeinsame Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten? "Von der europäischen Bürokratie auferlegt". Ach so, na dann. Natürlich kann man kontrovers darüber diskutieren, wie man mit der Migration umgehen soll. Aber über die Frage, die ich Ihnen eben gestellt habe, kann man eines sicher sagen: Neutral gestellt ist sie nicht.
Apropos Suggestivfragen, ich hätte da noch eine: "Unterstützen Sie den Verkauf von Staatsvermögen an ausländische Unternehmen, der zum Verlust der Kontrolle von Bürgerinnen und Bürgern über strategische Wirtschaftsbereiche führt?" Nein, das finden Sie gar nicht gut? Das habe ich mir gedacht. Kein Wunder, wenn man so fragt. Dann verteufeln Sie also Investitionen aus Partnerländern in der EU oder den USA bei zukünftigen Privatisierungs- und Reformvorhaben. Ach, doch nicht? Sie sehen: So formuliert sieht die Sache gleich ganz anders aus.
Die Fragen mit dem Spin habe ich mir nicht selbst ausgedacht. Das hat die polnische PiS-Partei erledigt. Im Parlament hat die Regierungskoalition mit ihrer Mehrheit durchgedrückt, dass ihre populistischen Positionen – in Frageform gegossen – den Bürgern als Begleitprogramm zu den Parlamentswahlen im Oktober vorgelegt werden. Und zwar tatsächlich so formuliert wie oben: ungebremst tendenziös und die rhetorischen Manöver wiederholend, mit denen die PiS ihren schärfsten Konkurrenten im Wahlkampf attackiert. Das ist nämlich der europafreundliche Ex-Premier und Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Im Rahmen eines Referendums sollen die Polen Antworten auf die manipulativen Fragen geben. Das Ergebnis hat zwar auf bereits getroffene Beschlüsse wie den EU-Asylkompromiss keinerlei Auswirkung, aber die Fragerei hilft, das Wahlvolk aufzuhetzen, bevor es unmittelbar danach auf dem nächsten Zettel das Kreuzchen für die künftige Regierungspartei macht. Wahlkampf in der Wahlkabine also – und nur zugunsten einer Seite. Mit solchem Schwung werden in Polen die Prinzipien einer fairen Abstimmung über Bord geworfen, dass man das erst mal einen Moment sacken lassen muss.
Nun ist es nicht das erste Mal, dass die PiS an den demokratischen Grundfesten herumhantiert, um ihre Macht zu sichern. Die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben und den obersten Gerichtshof mit den eigenen Leuten auszustaffieren gehört genauso zu ihrer Strategie wie Attacken auf unabhängige Medien. Mit der EU hat Polens Regierung deshalb Dauerzoff. Bremsende Wirkung entfalten die Sanktionen aus Brüssel aber nicht.
Unbeirrt schieben die PiS und ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski, von dem die Idee des Referendums stammt, die Grenzen des Akzeptablen immer weiter hinaus. Nach seiner Lesart sind die eigentlich Bösen in der ganzen Geschichte natürlich andere: nämlich wir. Es ist Ihnen vielleicht neu (ich war auch ganz baff), aber die willfährige Marionette Deutschlands, also Oppositionsführer Tusk, würde im Fall seines Wahlsieges den Ausverkauf Polens an die Deutschland GmbH organisieren. Sagt jedenfalls Herr Kaczynski. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, ebenfalls von der PiS, legt prompt nach und schmäht seinen Konkurrenten als größte Gefahr für die Sicherheit Polens. Sie haben richtig gehört: Das sei nicht Putin, sondern Herr Tusk.
Nun mag man solche abstrusen Behauptungen als Wahlkampfgetöse abtun. Aber irgendwas bleibt immer hängen. Die antideutsche Propaganda der PiS hat nämlich Tradition. Sie vergiftet das Verhältnis eines erheblichen Teils der polnischen Bevölkerung zum Nachbarn im Westen, während im Innern die demokratischen Grundmauern des Staates abgetragen werden. Deutschland wolle die EU in ein "Viertes Deutsches Reich" verwandeln, behauptete Herr Kaczynski mal.
Es ist zum Haare raufen: Polen könnte eine strahlende Erfolgsgeschichte und eine Bereicherung für die Gemeinschaft in Europa sein. Stattdessen bringt der aktuelle Kurs das enorme Potential des Landes in Gefahr. Bei der Parlamentswahl am 15. Oktober wird darüber entschieden, ob unser wichtiger, oft auch unterschätzter und zu wenig wahrgenommener Nachbar aus dem undemokratischen Sumpf wieder herausfindet – oder ob er noch tiefer darin versinkt.
Die PiS liegt in den Umfragen übrigens vorn. Optimismus ist ja immer gut. Aber dass wir uns um unseren Nachbarn echte Sorgen machen, ist diesmal leider angebracht.
Die antideutsche Stimmung wächst
Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,
seine Verwandten kann man sich nicht aussuchen, und seine Nachbarn auch nicht. Manchmal versteht man sich prächtig mit den Hausbewohnern nebenan, manchmal pflegt man auch nur eine freundliche Neutralität. Und manchmal gibt es Zoff, und zwar nicht zu knapp. Das Verhältnis zu Nachbarn kann ein großes Spektrum von Zu- bis Abneigung abdecken, das ist normal. Eines aber kommt seltener vor: dass man sich um das Wohlergehen der Menschen nebenan wirklich ernste Sorgen macht.
Auch Staaten haben Nachbarn. Bei uns zum Beispiel floriert direkt hinter der östlichen Grenze eine große Nation. Die Wirtschaft wächst rasant, man kann es gar nicht übersehen: Überall wird gehämmert und gebaut, werden Häuser hochgezogen, manche Städte wirken wie eine einzige Baustelle – es geht mächtig voran. In der Rangliste der größten Volkswirtschaften der EU belegen die zupackenden Leute jenseits der Grenze schon Platz sechs, Tendenz steigend. Bei der Bevölkerungszahl liegt das Land auf Platz fünf. Ganz schön viel Power also, was Anlass zu ebenso viel guter Laune sein könnte. Stattdessen müssen wir uns gewaltige Sorgen machen.
Die kraftvolle Nachbarnation heißt Polen. Wenn Sie jetzt wissen wollen, warum es einem angst und bange werden kann, während das Land sich augenscheinlich bester Gesundheit erfreut, muss ich Ihnen zunächst ein paar Fragen stellen.
Erst einmal möchte ich von Ihnen ganz offiziell – behördlicherseits sozusagen – folgende Auskunft einholen: "Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegalen Einwanderern aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme?"
Bevor sich jetzt jemand beschwert, dass sei ja ganz schön tendenziös formuliert: Ich gebe es ja zu. "Tausende" klingt nach einem Ansturm, obwohl es – gemessen an der Größe einer Nation – eine verschwindend geringe Anzahl wäre. "Illegal" tönt ebenfalls gefährlich – ob die Menschen aus gutem Grund geflohen sind, interessiert dagegen nicht die Bohne. Und die mühsam ausgehandelten Kompromisse, die gemeinsame Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten? "Von der europäischen Bürokratie auferlegt". Ach so, na dann. Natürlich kann man kontrovers darüber diskutieren, wie man mit der Migration umgehen soll. Aber über die Frage, die ich Ihnen eben gestellt habe, kann man eines sicher sagen: Neutral gestellt ist sie nicht.
Apropos Suggestivfragen, ich hätte da noch eine: "Unterstützen Sie den Verkauf von Staatsvermögen an ausländische Unternehmen, der zum Verlust der Kontrolle von Bürgerinnen und Bürgern über strategische Wirtschaftsbereiche führt?" Nein, das finden Sie gar nicht gut? Das habe ich mir gedacht. Kein Wunder, wenn man so fragt. Dann verteufeln Sie also Investitionen aus Partnerländern in der EU oder den USA bei zukünftigen Privatisierungs- und Reformvorhaben. Ach, doch nicht? Sie sehen: So formuliert sieht die Sache gleich ganz anders aus.
Die Fragen mit dem Spin habe ich mir nicht selbst ausgedacht. Das hat die polnische PiS-Partei erledigt. Im Parlament hat die Regierungskoalition mit ihrer Mehrheit durchgedrückt, dass ihre populistischen Positionen – in Frageform gegossen – den Bürgern als Begleitprogramm zu den Parlamentswahlen im Oktober vorgelegt werden. Und zwar tatsächlich so formuliert wie oben: ungebremst tendenziös und die rhetorischen Manöver wiederholend, mit denen die PiS ihren schärfsten Konkurrenten im Wahlkampf attackiert. Das ist nämlich der europafreundliche Ex-Premier und Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Im Rahmen eines Referendums sollen die Polen Antworten auf die manipulativen Fragen geben. Das Ergebnis hat zwar auf bereits getroffene Beschlüsse wie den EU-Asylkompromiss keinerlei Auswirkung, aber die Fragerei hilft, das Wahlvolk aufzuhetzen, bevor es unmittelbar danach auf dem nächsten Zettel das Kreuzchen für die künftige Regierungspartei macht. Wahlkampf in der Wahlkabine also – und nur zugunsten einer Seite. Mit solchem Schwung werden in Polen die Prinzipien einer fairen Abstimmung über Bord geworfen, dass man das erst mal einen Moment sacken lassen muss.
Nun ist es nicht das erste Mal, dass die PiS an den demokratischen Grundfesten herumhantiert, um ihre Macht zu sichern. Die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben und den obersten Gerichtshof mit den eigenen Leuten auszustaffieren gehört genauso zu ihrer Strategie wie Attacken auf unabhängige Medien. Mit der EU hat Polens Regierung deshalb Dauerzoff. Bremsende Wirkung entfalten die Sanktionen aus Brüssel aber nicht.
Unbeirrt schieben die PiS und ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski, von dem die Idee des Referendums stammt, die Grenzen des Akzeptablen immer weiter hinaus. Nach seiner Lesart sind die eigentlich Bösen in der ganzen Geschichte natürlich andere: nämlich wir. Es ist Ihnen vielleicht neu (ich war auch ganz baff), aber die willfährige Marionette Deutschlands, also Oppositionsführer Tusk, würde im Fall seines Wahlsieges den Ausverkauf Polens an die Deutschland GmbH organisieren. Sagt jedenfalls Herr Kaczynski. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, ebenfalls von der PiS, legt prompt nach und schmäht seinen Konkurrenten als größte Gefahr für die Sicherheit Polens. Sie haben richtig gehört: Das sei nicht Putin, sondern Herr Tusk.
Nun mag man solche abstrusen Behauptungen als Wahlkampfgetöse abtun. Aber irgendwas bleibt immer hängen. Die antideutsche Propaganda der PiS hat nämlich Tradition. Sie vergiftet das Verhältnis eines erheblichen Teils der polnischen Bevölkerung zum Nachbarn im Westen, während im Innern die demokratischen Grundmauern des Staates abgetragen werden. Deutschland wolle die EU in ein "Viertes Deutsches Reich" verwandeln, behauptete Herr Kaczynski mal.
Es ist zum Haare raufen: Polen könnte eine strahlende Erfolgsgeschichte und eine Bereicherung für die Gemeinschaft in Europa sein. Stattdessen bringt der aktuelle Kurs das enorme Potential des Landes in Gefahr. Bei der Parlamentswahl am 15. Oktober wird darüber entschieden, ob unser wichtiger, oft auch unterschätzter und zu wenig wahrgenommener Nachbar aus dem undemokratischen Sumpf wieder herausfindet – oder ob er noch tiefer darin versinkt.
Die PiS liegt in den Umfragen übrigens vorn. Optimismus ist ja immer gut. Aber dass wir uns um unseren Nachbarn echte Sorgen machen, ist diesmal leider angebracht.
Zitat von Gast am 31. August 2023, 09:19 UhrRiesige Käufe von Panzern und Hubschraubern deuten darauf hin, dass Polen sich ein Schlachtfeldkonzept von der US-Armee abschaut
Während sich Osteuropa als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine neu formiert, entwickelt sich Polen zu einem regionalen militärischen Kraftzentrum.
Obwohl Polen erst seit 1999 Mitglied der NATO ist, gibt es viel mehr Geld aus als ältere Bündnismitglieder. Mit 3,9 Prozent des BIP ist der polnische Verteidigungshaushalt 2023 fast doppelt so hoch wie das NATO-Ziel von 2 Prozent des BIP für jedes Land – ein Ziel, das Bündnispartner wie Deutschland und Frankreich noch nicht erreicht haben.
Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak hat erklärt, Polen wolle "die größte Landstreitkraft in Europa" aufbauen. Dazu gehört auch eine Verdoppelung des Militärs auf 300.000 Mann. Nach Angaben des Internationalen Instituts für Strategische Studien verfügt Polen derzeit über eine Mischung aus westlicher und sowjetischer Ausrüstung, darunter 650 Panzer, 800 Artilleriegeschütze, 94 Kampfjets und 28 Kampfhubschrauber.
Diese Waffen kauft Polen aus den USA und Südkorea
Polen hat einige seiner älteren Waffen in die Ukraine geschickt, darunter MiG-29-Kampfjets sowjetischer Bauart, T-72-Panzer und 155-mm-Panzerhaubitzen polnischer Bauart vom Typ Krab.
Bezeichnend ist nicht nur Polens Kaufrausch, sondern auch das, was es kauft.
Warschau hat einen Vertrag im Wert von 6 Milliarden Dollar über den Kauf von 350 M1 Abrams-Panzern aus den USA unterzeichnet. Und das US-Außenministerium hat gerade einen 12-Milliarden-Dollar-Kauf von 96 AH-64E-Apache-Kampfhubschraubern genehmigt, die mit einer Vielzahl von Waffen bewaffnet sind, darunter Hellfire-Panzerabwehrraketen, Stinger-Luft-Luft-Raketen und die Joint Air-to-Ground Missile. Mit den 96 Hubschraubern wäre Polen der größte Apache-Betreiber neben den USA.
Polen gibt außerdem 10 Milliarden Dollar für 18 HIMARS-Werfer aus und plant Berichten zufolge den Erwerb von bis zu 500 weiteren Werfern. Die ersten HIMARS-Systeme werden mit 45 taktischen Langstreckenraketen des Army Tactical Missile Systems ausgestattet, deren Lieferung an die Ukraine die USA bisher abgelehnt haben.
Polen hat außerdem Waffen im Wert von 14 Milliarden Dollar bei Südkorea, einem aufstrebenden Unternehmen der Verteidigungsindustrie, bestellt, darunter 1.000 K2 Black Panther-Panzer, fast 700 K9-Panzerhaubitzen und 48 leichte Kampfflugzeuge FA-50.
Polens Bollwerk gegen die Wiederholung der Geschichte
Eine Frage ist, ob Polens 700 Milliarden Dollar schwere Wirtschaft den Anstieg der Verteidigungsausgaben verkraften kann. Einige Experten verweisen auf Polens niedrige Staatsverschuldung und die öffentliche Unterstützung für eine starke Verteidigung zur Abschreckung Russlands als Beweis dafür, dass das Land dies kann.
Allerdings "ist es für mich nicht offensichtlich, dass Polen in der Lage ist, all dies zu bezahlen, wenn man sich die aktuelle Lage auf den Finanzmärkten und unsere jüngsten Erfolge beim Verkauf von Anleihen ansieht", sagte Radosław Sikorski, ein Oppositionspolitiker und ehemaliger Außenminister, der Financial Times.
Auch Polen scheint sich auf eine neue Art des Krieges einzulassen.
Ein Problem für die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten besteht darin, dass die meisten von ihnen zwar der NATO beigetreten sind, die Ausbildung, die Doktrin und die Kommandostruktur ihrer Streitkräfte aber immer noch auf dem sowjetischen Modell basieren. Die Ukraine beispielsweise hat mit Truppen jongliert, die sowohl nach sowjetischem als auch nach westlichem Vorbild ausgebildet wurden. Und ihre derzeitige Gegenoffensive wurde dadurch behindert, dass westlich ausgebildete Angriffsbrigaden bei dem Versuch, die stark befestigten russischen Verteidigungsanlagen zu durchbrechen, mit neuen Taktiken zu kämpfen hatten.
In der Tat scheint Polen seine Armee zu einer kleineren Version der US-Armee umzubauen, die sich auf kombinierte Taktiken stützt, wie etwa die enge Zusammenarbeit zwischen Abrams-Panzern und Apache-Hubschraubern.
Das AH-64-Geschäft umfasst 37 mastmontierte Longbow-Feuerleitradargeräte, was darauf hindeutet, dass die polnische Armee plant, diese Hubschrauber "ähnlich wie die US-Armee einzusetzen, wobei ein einziges Flugzeug auf einem Flug Ziele aufspürt und diese Informationen mit nicht mit Longbow ausgerüsteten Flugzeugen teilt", so die Zeitschrift Aviation Week.
Polen wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von seinen größeren, aggressiveren Nachbarn überfallen, besetzt und aufgeteilt. Wladimir Putins Nostalgie für den sowjetischen Ruhm des Zweiten Weltkriegs, in dem Polen geteilt, umkämpft und dann erobert wurde, lässt diese Erinnerungen wieder aufleben. Die polnische Führung sieht nun eine große, gut ausgerüstete Armee – koste es, was es wolle – als das beste Bollwerk gegen eine Wiederholung dieser Geschichte.
Riesige Käufe von Panzern und Hubschraubern deuten darauf hin, dass Polen sich ein Schlachtfeldkonzept von der US-Armee abschaut
Während sich Osteuropa als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine neu formiert, entwickelt sich Polen zu einem regionalen militärischen Kraftzentrum.
Obwohl Polen erst seit 1999 Mitglied der NATO ist, gibt es viel mehr Geld aus als ältere Bündnismitglieder. Mit 3,9 Prozent des BIP ist der polnische Verteidigungshaushalt 2023 fast doppelt so hoch wie das NATO-Ziel von 2 Prozent des BIP für jedes Land – ein Ziel, das Bündnispartner wie Deutschland und Frankreich noch nicht erreicht haben.
Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak hat erklärt, Polen wolle "die größte Landstreitkraft in Europa" aufbauen. Dazu gehört auch eine Verdoppelung des Militärs auf 300.000 Mann. Nach Angaben des Internationalen Instituts für Strategische Studien verfügt Polen derzeit über eine Mischung aus westlicher und sowjetischer Ausrüstung, darunter 650 Panzer, 800 Artilleriegeschütze, 94 Kampfjets und 28 Kampfhubschrauber.
Diese Waffen kauft Polen aus den USA und Südkorea
Polen hat einige seiner älteren Waffen in die Ukraine geschickt, darunter MiG-29-Kampfjets sowjetischer Bauart, T-72-Panzer und 155-mm-Panzerhaubitzen polnischer Bauart vom Typ Krab.
Bezeichnend ist nicht nur Polens Kaufrausch, sondern auch das, was es kauft.
Warschau hat einen Vertrag im Wert von 6 Milliarden Dollar über den Kauf von 350 M1 Abrams-Panzern aus den USA unterzeichnet. Und das US-Außenministerium hat gerade einen 12-Milliarden-Dollar-Kauf von 96 AH-64E-Apache-Kampfhubschraubern genehmigt, die mit einer Vielzahl von Waffen bewaffnet sind, darunter Hellfire-Panzerabwehrraketen, Stinger-Luft-Luft-Raketen und die Joint Air-to-Ground Missile. Mit den 96 Hubschraubern wäre Polen der größte Apache-Betreiber neben den USA.
Polen gibt außerdem 10 Milliarden Dollar für 18 HIMARS-Werfer aus und plant Berichten zufolge den Erwerb von bis zu 500 weiteren Werfern. Die ersten HIMARS-Systeme werden mit 45 taktischen Langstreckenraketen des Army Tactical Missile Systems ausgestattet, deren Lieferung an die Ukraine die USA bisher abgelehnt haben.
Polen hat außerdem Waffen im Wert von 14 Milliarden Dollar bei Südkorea, einem aufstrebenden Unternehmen der Verteidigungsindustrie, bestellt, darunter 1.000 K2 Black Panther-Panzer, fast 700 K9-Panzerhaubitzen und 48 leichte Kampfflugzeuge FA-50.
Polens Bollwerk gegen die Wiederholung der Geschichte
Eine Frage ist, ob Polens 700 Milliarden Dollar schwere Wirtschaft den Anstieg der Verteidigungsausgaben verkraften kann. Einige Experten verweisen auf Polens niedrige Staatsverschuldung und die öffentliche Unterstützung für eine starke Verteidigung zur Abschreckung Russlands als Beweis dafür, dass das Land dies kann.
Allerdings "ist es für mich nicht offensichtlich, dass Polen in der Lage ist, all dies zu bezahlen, wenn man sich die aktuelle Lage auf den Finanzmärkten und unsere jüngsten Erfolge beim Verkauf von Anleihen ansieht", sagte Radosław Sikorski, ein Oppositionspolitiker und ehemaliger Außenminister, der Financial Times.
Auch Polen scheint sich auf eine neue Art des Krieges einzulassen.
Ein Problem für die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten besteht darin, dass die meisten von ihnen zwar der NATO beigetreten sind, die Ausbildung, die Doktrin und die Kommandostruktur ihrer Streitkräfte aber immer noch auf dem sowjetischen Modell basieren. Die Ukraine beispielsweise hat mit Truppen jongliert, die sowohl nach sowjetischem als auch nach westlichem Vorbild ausgebildet wurden. Und ihre derzeitige Gegenoffensive wurde dadurch behindert, dass westlich ausgebildete Angriffsbrigaden bei dem Versuch, die stark befestigten russischen Verteidigungsanlagen zu durchbrechen, mit neuen Taktiken zu kämpfen hatten.
In der Tat scheint Polen seine Armee zu einer kleineren Version der US-Armee umzubauen, die sich auf kombinierte Taktiken stützt, wie etwa die enge Zusammenarbeit zwischen Abrams-Panzern und Apache-Hubschraubern.
Das AH-64-Geschäft umfasst 37 mastmontierte Longbow-Feuerleitradargeräte, was darauf hindeutet, dass die polnische Armee plant, diese Hubschrauber "ähnlich wie die US-Armee einzusetzen, wobei ein einziges Flugzeug auf einem Flug Ziele aufspürt und diese Informationen mit nicht mit Longbow ausgerüsteten Flugzeugen teilt", so die Zeitschrift Aviation Week.
Polen wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von seinen größeren, aggressiveren Nachbarn überfallen, besetzt und aufgeteilt. Wladimir Putins Nostalgie für den sowjetischen Ruhm des Zweiten Weltkriegs, in dem Polen geteilt, umkämpft und dann erobert wurde, lässt diese Erinnerungen wieder aufleben. Die polnische Führung sieht nun eine große, gut ausgerüstete Armee – koste es, was es wolle – als das beste Bollwerk gegen eine Wiederholung dieser Geschichte.
Zitat von Gast am 26. September 2023, 05:22 UhrDieses EU-Verbot droht Deutschland ins Chaos zu stürzen
Die EU will sogenannte Ewigkeits-Chemikalien verbieten, auch auf Initiative von Deutschland. Die heimische Industrie warnt dagegen vor einem Pauschal-Verbot und sieht zentrale Ziele des Landes in Gefahr. Sogar die medizinische Versorgung sei kaum aufrechtzuerhalten.
Deutschland soll in Zukunft ein wichtiger Standort für die Herstellung von Halbleitern sein. Das ist das erklärte Ziel von Bund und Ländern, die dafür auch reichlich Geld in die Hand nehmen. Rund vier Milliarden Euro Förderung stehen für insgesamt 31 Projekte zur Verfügung, hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) kürzlich beim sogenannten Chips-Gipfel vermeldet.
Damit würden „komplexe und investitionsintensive Entwicklungs- und Innovationsprojekte unterstützt, mit denen die Wertschöpfungskette der Mikroelektronik gestärkt und die Fertigung in Deutschland ausgebaut werden soll“, heißt es. Zu den Leuchttürmen gehören dabei vor allem der Bau neuer Chip-Fabriken von TSMC und Intel in Dresden und Magdeburg, durch den die Abhängigkeit von Asien und den USA verringert werden soll und der zudem Tausende neue Arbeitsplätze schafft.
Stefan Rinck ist allerdings gar nicht so sicher, dass diese Fabriken am Ende auch wirklich gebaut werden. Als Grund nennt der Vorstandschef des unterfränkischen Maschinenbauers Singulus das geplante PFAS-Verbot der Europäischen Union (EU). PFAS, das steht für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen und meint künstlich hergestellte Chemikalien.
Und die kommen unter anderem in Alltagsgegenständen wie Kleidung, Feuerlöschern oder Pfannenbeschichtungen vor, insbesondere aber in technischen Anwendungen und Prozessen, etwa in Dichtungen, Schläuchen, Armaturen, Pumpen, Ventilen, Kompressoren und Beschichtungen. All diese Bauteile werden durch PFAS höchst resistent gegen Hitze, Abrieb und Druck oder auch gegen Laugen und Säuren.
„Unsere Politik und unsere Regierung werden sehr schnell feststellen, dass Firmen wie TSMC oder Intel sagen, dass sie nicht nach Dresden oder Magdeburg oder wo auch immer hinkommen können, wenn es ein solches Verbot in Europa geben wird“, prognostiziert Rinck. Sein Unternehmen gehört zu den wichtigsten Zulieferern der Chipfirmen.
So verkauft Singulus zum Beispiel Timaris III, eine Ultra-Hochvakuum-Beschichtungsmaschine für die Halbleiterindustrie. „Damit werden Sensoren hergestellt, die in Elektroautos verbaut sind und in Wallboxen, um den Strom zu messen“, beschreibt Rinck, „aber auch Mikrochips für die Automobilindustrie, für Smartphones und Smartwatches, oder für Drohnen.“
PFAS kommen dabei in den Dichtungen der Timaris III zum Einsatz – weil sie entsprechend langlebig sind, verschleißfest, hohe Temperaturen aushalten, einen niedrigen Reibungskoeffizienten haben und dazu eine chemische Beständigkeit auch im Vakuum, wie Rinck erklärt. „Ohne diese Dichtungen funktioniert es nicht. Dann ist die Herstellung von Halbleitern schlicht nicht möglich.“
Aber damit nicht genug, wie Rinck meint, der auch im Hauptvorstand des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sitzt. Wenn man das geplante Verbot für die Inverkehrbringung solcher Werkstoffe konsequent zu Ende denkt, dürfe in Europa künftig auch kein Chip mehr aus Asien oder Amerika importiert werden, wenn er auf Maschinen mit PFAS-Dichtungen hergestellt wurde.
„Dann läuft in Deutschland aber kein einziges Auto mehr vom Band, weil wir keine Mikrochips mehr haben.“ Gleichzeitig seien aber auch etliche andere Industriezweige betroffen. Zudem können die Energiewende nicht mehr stattfinden, weil PFAS sowohl bei der Herstellung von Solarmodulen genutzt werden müssen, dazu in Windkraftanlagen und bei der Produktion von Wasserstoff.
Die Idee des Verbots stammt aus fünf EU-Staaten
Auf solche Folgen hat Singulus in einem jüngst ausgelaufenen Konsultationsverfahren auch die EU hingewiesen – genau wie Tausende andere Firmen und Wirtschaftsverbände. Allein aus dem Maschinenbau und der Medizintechnik hat rund jedes zweite deutsche Unternehmen eine Eingabe gemacht, melden der VDMA und der Medizintechnik-Branchenverband Spectaris.
„Das zeigt die enorme Betroffenheit von einem solchen Verbot“, sagt Jörg Mayer, der Geschäftsführer von Spectaris. Er sieht nun Hunderte Unternehmen in ihrer Existenz bedroht. Genau wie der VDMA. „Wir haben Firmen, die nach einem PFAS-Verbot allenfalls noch zehn bis 20 Prozent ihres Portfolios auf den Markt bringen dürften, auch weil es praktisch keine Alternativen zu den genutzten Stoffen gibt“, sagt Sarah Brückner, die Abteilungsleiterin Umwelt und Nachhaltigkeit bei Maschinenbauverband. Das aber lohne sich nicht mehr. „Diese Firmen sagen mir, dass sie dann schließen müssen.“
Losgetreten wurde die Idee eines PFAS-Verbots von den Umweltbehörden aus fünf EU-Staaten: Dänemark, Schweden, Norwegen, Niederlande – und Deutschland. Sie haben untersucht, in welchen Anwendungen PFAS vorkommen und welche Gefahren von ihrem Einsatz für Mensch und Umwelt ausgehen.
Das Ergebnis: Es geht um rund 10.000 Stoffe, die sich nach Stand der Wissenschaft in der Umwelt anreichern können und nur sehr langsam abgebaut und deswegen auch als „Ewigkeits-Chemikalien“ bezeichnet werden. Von einem Teil dieser Substanzen weiß man, dass sie schädlich sind, andere sind noch unerforscht. Dennoch haben die fünf Staaten bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) ein sogenanntes Beschränkungsverfahren für pauschal alle 10.000 Stoffe eingeleitet.
Es handelt sich nicht um ein reguläres Gesetzgebungsverfahren, das politische Positionierungen der EU-Kommission, des Rates und des Parlaments ermöglicht. Die Institutionen werden erst am Ende des Verfahrens formal eingebunden, ihr Einspruchsrecht ist somit begrenzt. In den kommenden Monaten wird die ECHA nun erst einmal die Eingaben der Unternehmen prüfen und dann einen konkreten Regulierungsvorschlag machen.
Die Bundesregierung gibt sich bislang offenbar gelassen. „Natürlich haben die Verbände auf höchster politischer Ebene gesprochen“, berichtet VDMA-Vertreterin Brückner. „Die Antwort war, dass wir Vertrauen in das Verfahren haben und davon ausgehen sollen, dass es notwendige Ausnahmen geben wird – wir haben aber kein Vertrauen.“ Denn die geplante Regulierung habe schon im entsprechenden Antrag große Schwachstellen.
„Ich mag mir eine Pandemie ohne Beatmungsgeräte nicht vorstellen“
So werde zu Beispiel kein Unterschied gemacht zwischen Anwendungen und Produkten, bei denen PFAS direkt in die Umwelt gelangen können und solchen, bei denen Bauteile mit PFAS tief im Inneren etwa einer Maschine verbaut sind. Zudem werde nicht berücksichtigt, dass es sogenannte „Polymers of low concern“ gibt, die als stabil gelten und sich nicht abbauen, was auch Untersuchungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen. „Sie müssen aus dem Verbot ausgenommen werden“, fordern VDMA und Spectaris.
Andernfalls sehen die Industrievertreter Deutschland und Europa vor dem Chaos – weil mehrere Industriebranchen zusammenbrechen könnten, eine Energiewende unmöglich wird und auch die medizinische Versorgung in Gefahr ist. „Wir haben rund 60 Millionen Krankenhausbehandlungen und 16 Millionen Operationen in Deutschland – die Hälfte davon ist ohne PFAS nicht mehr möglich“, warnt Martin Leonhard, Bereichsleiter Technologie-Management bei Karl Storz, einem der führenden Hersteller für Endoskopie-Systeme.
Gemeinsam mit Spectaris-Chef Mayer mahnt er eine industriepolitisch Folgenabschätzung an, aber auch die Beachtung gesellschaftlicher Verantwortung. Stefan Dräger, der Chef des Medizin- und Sicherheitstechnikkonzerns Drägerwerk, erinnert zudem an die Corona-Zeit. „Ich mag mir eine Pandemie ohne Beatmungsgeräte nicht vorstellen“, sagt Dräger. Solche Geräte könnten bei einem pauschalen PFAS-Verbot aber nicht mehr gebaut werden, ebenso andere Medizintechnikgeräte des Mittelständlers aus Lübeck. „Im schlimmsten Fall würden wir unser Unternehmen schließen.“
Singulus-Chef Rinck hält solche Folgen für Wahnsinn und nennt das aktuelle Vorgehen der EU absurd. „Die ganze Diskussion macht für mich den Eindruck, als würde jemand zu mir sagen: Herr Rinck, wir stellen ihnen morgen den Strom ab, weil wir festgestellt haben, dass Strom gefährlich ist und es tödlich endet, wenn man den Finger in die Steckdose steckt.“ Gleichwohl gebe es kein generelles Stromverbot, weil es entsprechende Schutzmaßnahmen und Isolierungen gibt. Nach dieser Maßgabe müsse jetzt auch überlegt werden, wie man mit PFAS umgeht.
Dieses EU-Verbot droht Deutschland ins Chaos zu stürzen
Die EU will sogenannte Ewigkeits-Chemikalien verbieten, auch auf Initiative von Deutschland. Die heimische Industrie warnt dagegen vor einem Pauschal-Verbot und sieht zentrale Ziele des Landes in Gefahr. Sogar die medizinische Versorgung sei kaum aufrechtzuerhalten.
Deutschland soll in Zukunft ein wichtiger Standort für die Herstellung von Halbleitern sein. Das ist das erklärte Ziel von Bund und Ländern, die dafür auch reichlich Geld in die Hand nehmen. Rund vier Milliarden Euro Förderung stehen für insgesamt 31 Projekte zur Verfügung, hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) kürzlich beim sogenannten Chips-Gipfel vermeldet.
Damit würden „komplexe und investitionsintensive Entwicklungs- und Innovationsprojekte unterstützt, mit denen die Wertschöpfungskette der Mikroelektronik gestärkt und die Fertigung in Deutschland ausgebaut werden soll“, heißt es. Zu den Leuchttürmen gehören dabei vor allem der Bau neuer Chip-Fabriken von TSMC und Intel in Dresden und Magdeburg, durch den die Abhängigkeit von Asien und den USA verringert werden soll und der zudem Tausende neue Arbeitsplätze schafft.
Stefan Rinck ist allerdings gar nicht so sicher, dass diese Fabriken am Ende auch wirklich gebaut werden. Als Grund nennt der Vorstandschef des unterfränkischen Maschinenbauers Singulus das geplante PFAS-Verbot der Europäischen Union (EU). PFAS, das steht für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen und meint künstlich hergestellte Chemikalien.
Und die kommen unter anderem in Alltagsgegenständen wie Kleidung, Feuerlöschern oder Pfannenbeschichtungen vor, insbesondere aber in technischen Anwendungen und Prozessen, etwa in Dichtungen, Schläuchen, Armaturen, Pumpen, Ventilen, Kompressoren und Beschichtungen. All diese Bauteile werden durch PFAS höchst resistent gegen Hitze, Abrieb und Druck oder auch gegen Laugen und Säuren.
„Unsere Politik und unsere Regierung werden sehr schnell feststellen, dass Firmen wie TSMC oder Intel sagen, dass sie nicht nach Dresden oder Magdeburg oder wo auch immer hinkommen können, wenn es ein solches Verbot in Europa geben wird“, prognostiziert Rinck. Sein Unternehmen gehört zu den wichtigsten Zulieferern der Chipfirmen.
So verkauft Singulus zum Beispiel Timaris III, eine Ultra-Hochvakuum-Beschichtungsmaschine für die Halbleiterindustrie. „Damit werden Sensoren hergestellt, die in Elektroautos verbaut sind und in Wallboxen, um den Strom zu messen“, beschreibt Rinck, „aber auch Mikrochips für die Automobilindustrie, für Smartphones und Smartwatches, oder für Drohnen.“
PFAS kommen dabei in den Dichtungen der Timaris III zum Einsatz – weil sie entsprechend langlebig sind, verschleißfest, hohe Temperaturen aushalten, einen niedrigen Reibungskoeffizienten haben und dazu eine chemische Beständigkeit auch im Vakuum, wie Rinck erklärt. „Ohne diese Dichtungen funktioniert es nicht. Dann ist die Herstellung von Halbleitern schlicht nicht möglich.“
Aber damit nicht genug, wie Rinck meint, der auch im Hauptvorstand des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sitzt. Wenn man das geplante Verbot für die Inverkehrbringung solcher Werkstoffe konsequent zu Ende denkt, dürfe in Europa künftig auch kein Chip mehr aus Asien oder Amerika importiert werden, wenn er auf Maschinen mit PFAS-Dichtungen hergestellt wurde.
„Dann läuft in Deutschland aber kein einziges Auto mehr vom Band, weil wir keine Mikrochips mehr haben.“ Gleichzeitig seien aber auch etliche andere Industriezweige betroffen. Zudem können die Energiewende nicht mehr stattfinden, weil PFAS sowohl bei der Herstellung von Solarmodulen genutzt werden müssen, dazu in Windkraftanlagen und bei der Produktion von Wasserstoff.
Die Idee des Verbots stammt aus fünf EU-Staaten
Auf solche Folgen hat Singulus in einem jüngst ausgelaufenen Konsultationsverfahren auch die EU hingewiesen – genau wie Tausende andere Firmen und Wirtschaftsverbände. Allein aus dem Maschinenbau und der Medizintechnik hat rund jedes zweite deutsche Unternehmen eine Eingabe gemacht, melden der VDMA und der Medizintechnik-Branchenverband Spectaris.
„Das zeigt die enorme Betroffenheit von einem solchen Verbot“, sagt Jörg Mayer, der Geschäftsführer von Spectaris. Er sieht nun Hunderte Unternehmen in ihrer Existenz bedroht. Genau wie der VDMA. „Wir haben Firmen, die nach einem PFAS-Verbot allenfalls noch zehn bis 20 Prozent ihres Portfolios auf den Markt bringen dürften, auch weil es praktisch keine Alternativen zu den genutzten Stoffen gibt“, sagt Sarah Brückner, die Abteilungsleiterin Umwelt und Nachhaltigkeit bei Maschinenbauverband. Das aber lohne sich nicht mehr. „Diese Firmen sagen mir, dass sie dann schließen müssen.“
Losgetreten wurde die Idee eines PFAS-Verbots von den Umweltbehörden aus fünf EU-Staaten: Dänemark, Schweden, Norwegen, Niederlande – und Deutschland. Sie haben untersucht, in welchen Anwendungen PFAS vorkommen und welche Gefahren von ihrem Einsatz für Mensch und Umwelt ausgehen.
Das Ergebnis: Es geht um rund 10.000 Stoffe, die sich nach Stand der Wissenschaft in der Umwelt anreichern können und nur sehr langsam abgebaut und deswegen auch als „Ewigkeits-Chemikalien“ bezeichnet werden. Von einem Teil dieser Substanzen weiß man, dass sie schädlich sind, andere sind noch unerforscht. Dennoch haben die fünf Staaten bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) ein sogenanntes Beschränkungsverfahren für pauschal alle 10.000 Stoffe eingeleitet.
Es handelt sich nicht um ein reguläres Gesetzgebungsverfahren, das politische Positionierungen der EU-Kommission, des Rates und des Parlaments ermöglicht. Die Institutionen werden erst am Ende des Verfahrens formal eingebunden, ihr Einspruchsrecht ist somit begrenzt. In den kommenden Monaten wird die ECHA nun erst einmal die Eingaben der Unternehmen prüfen und dann einen konkreten Regulierungsvorschlag machen.
Die Bundesregierung gibt sich bislang offenbar gelassen. „Natürlich haben die Verbände auf höchster politischer Ebene gesprochen“, berichtet VDMA-Vertreterin Brückner. „Die Antwort war, dass wir Vertrauen in das Verfahren haben und davon ausgehen sollen, dass es notwendige Ausnahmen geben wird – wir haben aber kein Vertrauen.“ Denn die geplante Regulierung habe schon im entsprechenden Antrag große Schwachstellen.
„Ich mag mir eine Pandemie ohne Beatmungsgeräte nicht vorstellen“
So werde zu Beispiel kein Unterschied gemacht zwischen Anwendungen und Produkten, bei denen PFAS direkt in die Umwelt gelangen können und solchen, bei denen Bauteile mit PFAS tief im Inneren etwa einer Maschine verbaut sind. Zudem werde nicht berücksichtigt, dass es sogenannte „Polymers of low concern“ gibt, die als stabil gelten und sich nicht abbauen, was auch Untersuchungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen. „Sie müssen aus dem Verbot ausgenommen werden“, fordern VDMA und Spectaris.
Andernfalls sehen die Industrievertreter Deutschland und Europa vor dem Chaos – weil mehrere Industriebranchen zusammenbrechen könnten, eine Energiewende unmöglich wird und auch die medizinische Versorgung in Gefahr ist. „Wir haben rund 60 Millionen Krankenhausbehandlungen und 16 Millionen Operationen in Deutschland – die Hälfte davon ist ohne PFAS nicht mehr möglich“, warnt Martin Leonhard, Bereichsleiter Technologie-Management bei Karl Storz, einem der führenden Hersteller für Endoskopie-Systeme.
Gemeinsam mit Spectaris-Chef Mayer mahnt er eine industriepolitisch Folgenabschätzung an, aber auch die Beachtung gesellschaftlicher Verantwortung. Stefan Dräger, der Chef des Medizin- und Sicherheitstechnikkonzerns Drägerwerk, erinnert zudem an die Corona-Zeit. „Ich mag mir eine Pandemie ohne Beatmungsgeräte nicht vorstellen“, sagt Dräger. Solche Geräte könnten bei einem pauschalen PFAS-Verbot aber nicht mehr gebaut werden, ebenso andere Medizintechnikgeräte des Mittelständlers aus Lübeck. „Im schlimmsten Fall würden wir unser Unternehmen schließen.“
Singulus-Chef Rinck hält solche Folgen für Wahnsinn und nennt das aktuelle Vorgehen der EU absurd. „Die ganze Diskussion macht für mich den Eindruck, als würde jemand zu mir sagen: Herr Rinck, wir stellen ihnen morgen den Strom ab, weil wir festgestellt haben, dass Strom gefährlich ist und es tödlich endet, wenn man den Finger in die Steckdose steckt.“ Gleichwohl gebe es kein generelles Stromverbot, weil es entsprechende Schutzmaßnahmen und Isolierungen gibt. Nach dieser Maßgabe müsse jetzt auch überlegt werden, wie man mit PFAS umgeht.
Zitat von Gast am 26. September 2023, 13:51 UhrStaatsgeheimnis um Visa gegen Schmiergeld: Was die Hälfte der Polen nie erfährt
Trotz eines Mega-Skandals kann Polens PiS drei Wochen vor der Wahl hoffen, an der Macht zu bleiben. Die Staatsmedien verschweigen die Affäre.
Ist das vorstellbar: Ein solcher Mega-Skandal bleibt folgenlos? Und falls es so kommt: Wie ist das zu erklären? Einen Monat vor der Wahl wird bekannt, dass polnische Konsulate gegen Schmiergeld Hunderttausende Visa vergeben haben. Die Spitze des Außenministeriums ist verwickelt.
Die Regierung steht als Lügnerin da. Sie hat den Kampf gegen illegale Migration zu ihrem zentralen Wahlkampfversprechen gemacht, führt eine Hetzkampagne gegen Zuwanderung aus muslimischen Ländern und erklärt sich zum letzten Bollwerk gegen eine Überfremdung Europas.
Nahezu täglich kommen durch Recherchen unabhängiger Medien empörende Details ans Licht. Sie zeigen: Die Regierung täuscht ihre Wähler. Sie tut das Gegenteil dessen, was sie versprochen hat. Und mauert bei der Aufklärung.
Visaaffäre ohne Auswirkung auf Umfragen
Wie aber entwickeln sich ihre Chancen auf Wiederwahl? Zwölf Tage nach Bekanntwerden des Skandals zeigen die Umfragen keine Veränderung im Meinungsbild. Alle Institute warten mit neuen Daten auf – sie bleiben aber im Schwankungsbereich wie vor dem Skandal.
Der wahrscheinlichste Wahlausgang in Polen ist ein politisches Patt. Die PiS bleibt stärkste Partei und darf dank des Wahlrechts mit mehr Parlamentssitzen rechnen, als es ihrem Stimmenanteil entspricht. Und hoffen, in einer Koalition mit der rechtsextremen Konfederacja an der Macht zu bleiben oder sich von ihr dulden zu lassen.
Polen ist in zwei Lager gespalten – mit je eigenen Medien und Wählern. Wer sich über die staatlichen TV- und Radiosender informiert, erfährt kaum etwas über den Skandal. Dort hat die PiS in acht Jahren Regierungszeit ihre Leute platziert. Viele Regionalzeitungen sind vom staatsnahen Ölkonzern Orlen übernommen worden.
Typische PiS-Wähler sind älter, leben in Kleinstädten oder auf dem Land, haben begrenzte Bildung und Sprachkenntnisse und wissen wenig über Alternativen zu ihren gewohnten Informationsquellen. Diese haben sich in Propagandakanäle verwandelt. Der Radiosender „Trojka“ war früher populär. Heute präsentiert er den neuesten Wahlwerbespot der PiS als Nachricht – und das ist keine Satire.
So sorgt die PiS dafür, dass rund die Hälfte der Gesellschaft nichts von dem Skandal erfährt. Sie macht ein Staatsgeheimnis daraus.
Noch hat Polen, anders als Ungarn, eine starke Opposition und starke regierungsunabhängige Medien wie den Sender tvn. Und Zeitungen wie die „Gazeta Wyborcza“ und die „Rzeczpospolita“.
Ihre Nutzer wählen freilich längst die Opposition. Sie tun sich schwer, Menschen zu erreichen, die wegen des Skandals anders abstimmen könnten.
Ist eine Wahl in Polen angesichts dieser Umstände noch frei, gleich und fair? Oder näher an einer Farce?
Staatsgeheimnis um Visa gegen Schmiergeld: Was die Hälfte der Polen nie erfährt
Trotz eines Mega-Skandals kann Polens PiS drei Wochen vor der Wahl hoffen, an der Macht zu bleiben. Die Staatsmedien verschweigen die Affäre.
Ist das vorstellbar: Ein solcher Mega-Skandal bleibt folgenlos? Und falls es so kommt: Wie ist das zu erklären? Einen Monat vor der Wahl wird bekannt, dass polnische Konsulate gegen Schmiergeld Hunderttausende Visa vergeben haben. Die Spitze des Außenministeriums ist verwickelt.
Die Regierung steht als Lügnerin da. Sie hat den Kampf gegen illegale Migration zu ihrem zentralen Wahlkampfversprechen gemacht, führt eine Hetzkampagne gegen Zuwanderung aus muslimischen Ländern und erklärt sich zum letzten Bollwerk gegen eine Überfremdung Europas.
Nahezu täglich kommen durch Recherchen unabhängiger Medien empörende Details ans Licht. Sie zeigen: Die Regierung täuscht ihre Wähler. Sie tut das Gegenteil dessen, was sie versprochen hat. Und mauert bei der Aufklärung.
Visaaffäre ohne Auswirkung auf Umfragen
Wie aber entwickeln sich ihre Chancen auf Wiederwahl? Zwölf Tage nach Bekanntwerden des Skandals zeigen die Umfragen keine Veränderung im Meinungsbild. Alle Institute warten mit neuen Daten auf – sie bleiben aber im Schwankungsbereich wie vor dem Skandal.
Der wahrscheinlichste Wahlausgang in Polen ist ein politisches Patt. Die PiS bleibt stärkste Partei und darf dank des Wahlrechts mit mehr Parlamentssitzen rechnen, als es ihrem Stimmenanteil entspricht. Und hoffen, in einer Koalition mit der rechtsextremen Konfederacja an der Macht zu bleiben oder sich von ihr dulden zu lassen.
Polen ist in zwei Lager gespalten – mit je eigenen Medien und Wählern. Wer sich über die staatlichen TV- und Radiosender informiert, erfährt kaum etwas über den Skandal. Dort hat die PiS in acht Jahren Regierungszeit ihre Leute platziert. Viele Regionalzeitungen sind vom staatsnahen Ölkonzern Orlen übernommen worden.
Typische PiS-Wähler sind älter, leben in Kleinstädten oder auf dem Land, haben begrenzte Bildung und Sprachkenntnisse und wissen wenig über Alternativen zu ihren gewohnten Informationsquellen. Diese haben sich in Propagandakanäle verwandelt. Der Radiosender „Trojka“ war früher populär. Heute präsentiert er den neuesten Wahlwerbespot der PiS als Nachricht – und das ist keine Satire.
So sorgt die PiS dafür, dass rund die Hälfte der Gesellschaft nichts von dem Skandal erfährt. Sie macht ein Staatsgeheimnis daraus.
Noch hat Polen, anders als Ungarn, eine starke Opposition und starke regierungsunabhängige Medien wie den Sender tvn. Und Zeitungen wie die „Gazeta Wyborcza“ und die „Rzeczpospolita“.
Ihre Nutzer wählen freilich längst die Opposition. Sie tun sich schwer, Menschen zu erreichen, die wegen des Skandals anders abstimmen könnten.
Ist eine Wahl in Polen angesichts dieser Umstände noch frei, gleich und fair? Oder näher an einer Farce?