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Handelskrieg zwischen USA und EU: „Ein gefährliches Spiel“

Die Möglichkeit eines Handelskriegs zwischen den USA und der EU treibt die Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission um. Sowohl die EU-Kommission als auch die tschechische EU-Ratspräsidentschaft warnten am Freitag davor, dass beide Seiten bei dem geplanten milliardenschweren Förderpaket für Unternehmen mit Sitz in den USA verlieren würden. „Ein Subventionsrennen ist ein sehr gefährliches Spiel“, sagte der tschechische Handelsminister Jozef Sikela nach einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen. In der Regel sitze der Gewinner dann auf einem anderen Kontinent. Eine Sprecherin bestätigte, dass Sikela China gemeint habe. Tschechien hat noch bis Jahresende den Vorsitz unter den EU-Ländern inne.

Handelskrieg zwischen USA und EU: „Ein gefährliches Spiel“

Handelskrieg zwischen USA und EU: „Ein gefährliches Spiel“© Bereitgestellt von Berliner Zeitung

Präsident Joe Biden hatte im August den sogenannten Inflation Reducion Act (IRA) unterzeichnet. Es sieht Investitionen in den Klimaschutz und Soziales in Höhe von 369 Milliarden Dollar vor. Nach Ansicht der EU-Kommission werden dadurch EU-Firmen diskriminierend benachteiligt. So sind Subventionen und Steuergutschriften unter anderem daran geknüpft, dass Unternehmen Produkte aus den USA verwenden oder in den USA produzieren. Die EU dringt auf Ausnahmen, wie es sie auch für Mexiko und Kanada gibt.

„Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie sich die Situation entwickeln wird oder ob der EU eine Ausnahme gewährt wird“, sagte Sikela. Am 5. Dezember wollen sich Vertreter der EU und der USA treffen, um über den Konflikt zu sprechen.

EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis forderte die Menschen jedoch auf, das Gesamtbild zu sehen, und betonte die Notwendigkeit, die transatlantische Einheit angesichts der russischen Invasion in der Ukraine aufrechtzuerhalten.

Die EU ist in der Frage gespalten. Vor allem die baltischen Staaten warnen vor einem Konflikt mit den USA. Der lettische EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis sagte am Freitag, die Situation in der Ukraine sei „dramatisch, mit anhaltenden russischen Angriffen auf lebenswichtige Infrastruktur“. Den Menschen werde Wasser, Wärme und Strom vorenthalten, sagte Dombrovskis. „Angesichts dieser schrecklichen Angriffe müssen wir die transatlantische Einheit vertiefen und stärken. Und wir brauchen die USA, um ihre Unterstützung aufrechtzuerhalten, damit die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann." In diesem geopolitischen Kontext warnte Dombrovskis vor „der Gefahr, den Inflation Reducion Act mit unserer umfassenderen Beziehung zu den Vereinigten Staaten zu vermengen“. Allerdings sagte Dombrovskis auch: „Was wir fordern, ist Fairness. Wir wollen und erwarten, dass europäische Unternehmen und Exporte in den USA genauso behandelt werden wie amerikanische Unternehmen und Exporte in Europa.“

Andere EU-Länder, allen voran Frankreich, fürchten, dass das amerikanische Gesetz – wesentliche Teile davon werden am 1. Januar in Kraft treten – Investitionen aus Europa absaugen und die industrielle Basis des Blocks aushöhlen könnte. Subventionen im Wert von etwa 200 Milliarden US-Dollar seien nach den Regeln der Welthandelsorganisation illegal, sagte der französische Handelsminister Olivier Becht am Freitag in Brüssel zu Journalisten. Paris fordert eine harte Reaktion zur Durchsetzung der Reziprozität: Wenn die USA den IRA nicht ändern, sollte die EU mit „Zwangsmaßnahmen“ sicherstellen, dass europäische Unternehmen dieselben Bedingungen wie amerikanische Unternehmen erhalten, sagte Becht weiter.

Deutschland liegt eher auf einer Linie mit den Balten. Statt Zwangsmaßnahmen will die Bundesregierung eine Wiederaufnahme der Freihandelsverhandlungen. Vor einigen Jahren war das Freihandelsabkommen TTIP von Präsident Donald Trump auf den letzten Metern kassiert worden. Das Handelsblatt berichtet, beim Treffen der französischen Premierministerin Elisabeth Borne mit Bundeskanzler Olf Scholz am Freitag in Berlin habe es keine Einigung auf eine gemeinsame deutsch-französische Linie gegeben.

Ungeachtet der Tatsache, dass der IRA „grüne“ Energien fördern will, setzt die amerikanische Regierung weiter auch auf Öl und Gas. Die Maritime Administration des Verkehrsministeriums (MARAD) genehmigte in dieser Woche einen Antrag  für das Sea Port Oil Terminal von Enterprise, eines von vier vorgeschlagenen Offshore-Ölexportterminals. Das geht aus den Unterlagen des Ministeriums hervor. Gemäß dem Antrag wird der Hafen im Golf von Mexiko vor der Küste von Freeport, Texas, lokalisiert sein. Es wird über eine Lagerkapazität von 4,8 Millionen Barrel verfügen und die Ölexportkapazität der USA um zwei Millionen Barrel pro Tag erhöhen. In ihrer 94-seitigen Entscheidung erklärte die Seeverwaltung, sie habe den Antrag genehmigt, weil der Bau und Betrieb des Hafens „im nationalen Interesse und im Einklang mit anderen politischen Zielen und Zielsetzungen“ liege. „Der Bau und Betrieb des Hafens liegt im nationalen Interesse, da das Projekt der Beschäftigung, dem Wirtschaftswachstum und der Widerstandsfähigkeit und Sicherheit der US-Energieinfrastruktur zugute kommt“, schreibt die Behörde. Der Hafen werde „den US-Verbündeten im Falle einer Marktstörung eine zuverlässige Rohölquelle bieten und minimale Auswirkungen auf die Verfügbarkeit und die Kosten von Rohöl auf dem US-Inlandsmarkt haben“.

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Einigung in der EU: Kosovaren stehen vor Befreiung von der Visumpflicht

Problem gelöst: Am 6. November 2022 demonstrieren serbische Kosovaren gegen die Nummernschildregelung. Seit dieser Woche ist der Konflikt beigelegt.

Problem gelöst: Am 6. November 2022 demonstrieren serbische Kosovaren gegen die Nummernschildregelung. Seit dieser Woche ist der Konflikt beigelegt.© EPA

Gute Nachrichten aus dem Kosovo: Der serbisch-kosovarische „Nummernschildstreit“ ist im zweiten Anlauf durch einen von der EU vermittelten Kompromiss doch noch entschärft worden, zumindest einstweilen. Demnach wird die kosovarische Regierung darauf verzichten, im Kosovo lebende Serben, deren Fahrzeuge noch serbische Nummernschilder haben, mit Geldstrafen zu belegen oder gar ihre Autos zu konfiszieren, wie es angedroht war.

Der Prozess der Umregistrierung von serbischen auf kosovarische Nummernschilder wird gestoppt. Zugleich wird Serbien für Antragsteller aus dem Kosovo keine serbischen Kennzeichen mehr ausgeben. Niemand wird also gezwungen, ein aktuelles Fahrzeug umzumelden. Bei Anschaffung neuer Wagen soll es künftig aber nur noch kosovarische Kennzeichen geben. Damit, so die Erwartung, wird sich die leidige Sache mit den Jahren von selbst lösen.

Für das Kosovo ist der Kompromiss auch deshalb eine gute Nachricht, weil die drohende Eskalation ein weitaus wichtigeres politisches Ziel des seit 2008 unabhängigen Staates zu gefährden drohte. Seit mehr als einem Jahrzehnt bemüht sich das Kosovo um eine Befreiung von der Visumpflicht bei Reisen in die EU. Das Kosovo ist abgesehen von Armenien, Aserbaidschan, Belarus und Russland, wo aus offenkundigen Gründen keine Änderung ins Haus steht, der letzte Staat Europas, dessen Bürger noch Visa beantragen müssen, um in die EU reisen zu dürfen.

Seit 2010 Gespräche zur Visumpflicht

Bei den Versuchen, die Visumpflicht zu überwinden, sind kosovarische Regierungen seit 2010 oft schikanös behandelt worden. Immer neue Bedingungen wurden Prishtina auferlegt, und sobald sie erfüllt waren, kamen wiederum neue hinzu. So verlangte die EU von Prishtina ein Abkommen zur Grenzdemarkation mit Montenegro, bei dem das Kosovo dem Nachbarn territoriale Zugeständnisse machen musste. Immerhin sprach die Kommission die Empfehlung aus, die Visumpflicht aufzuheben, nachdem das Grenzabkommen 2018 unter Mühen ratifiziert worden war.

Doch einige Mitgliedstaaten sperrten sich weiter, allen voran Frankreich. Abgesehen von populistischen Gründen, hatte Paris anfangs auch gute Gründe für Skepsis. So beantragten 2015 fast 70.000 Bürger aus dem Kosovo Asyl in der EU, an erster Stelle in Frankreich. Dass Zehntausende Kosovaren in der EU Asyl wollten, warf die Frage auf, inwieweit das Land eigentlich reif sei für die Aufhebung der Visumpflicht. Inzwischen spielen Kosovaren in europäischen Asylstatistiken kaum noch eine Rolle. In Frankreich wurden 2021 nur noch 855 kosovarische Asylanträge registriert.

Dennoch bremste Frankreich weiter, obwohl das Kosovo nach mehrfacher klarer Feststellung der EU-Kommission seit Jahren alle Bedingungen für die Reisefreiheit erfüllt. Dies betrifft etwa die Einführung biometrischer Pässe und ein fälschungssicheres System für Sekundärdokumente wie Geburtsurkunden.

Russlands Krieg gegen die Ukraine brachte Bewegung

Zuletzt verlangte Frankreich jedoch auch noch, die Einführung der Visumfreiheit für das Kosovo sei aufzuschieben, bis in Europa das ETIAS-System eingeführt ist. ETIAS ist das Akronym der englischen Bezeichnung für das nach amerikanischem Vorbild entworfene „Europäische Reiseinformations- und Genehmigungssystem“ der EU. Bürger aus den mehr als 60 Staaten, die kein Visum für die Einreise in die EU benötigen, sollen in diesem System künftig ihre wichtigsten persönlichen Daten vor Reiseantritt elektronisch hinterlegen müssen.

Automatisiert wird dann geprüft, ob die betreffende Person eine Gefahr für die EU darstellen könnte. Wird eine Gefahr erkannt, wird die Einreise abgelehnt. „Wir müssen wissen, wer unsere Grenzen überschreitet. Auf diese Weise werden wir wissen, wer nach Europa reist, bevor sie hierherkommen“ – so pries der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Bedeutung des Systems, dessen Einführung sich seit Jahren immer wieder verzögert.

Russlands Krieg gegen die Ukraine scheint jedoch indirekt auch im Fall Kosovo Bewegung gebracht und einen einigenden Effekt gehabt zu haben. Unter der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft gab es zuletzt Fortschritte. Womöglich steht gar ein Durchbruch bevor, wenn auch kein rascher. Demnach wollen die EU-Staaten zustimmen, dass kosovarische Bürgerinnen und Bürger ab Januar 2024 visumfrei in die EU einreisen dürfen. Mehrere Länder, so Österreich, wollten die Visumpflicht schon zur zweiten Hälfte 2023 fallen sehen.

Furcht vor Asylwelle ist unbegründet

Dann wird jedoch Spanien die Ratspräsidentschaft innehaben, das neben Rumänien, der Slowakei, Griechenland und Zypern zu den fünf Mitgliedstaaten gehört, die das Kosovo aus innenpolitischen Gründen nicht anerkennen. Spanien sperrt sich dem Vernehmen nach ebenso wenig wie die anderen vier Nichtanerkenner gegen die Visumfreiheit für das Kosovo, wolle diesen Schritt aber nicht ausgerechnet in der eigenen Ratspräsidentschaft gehen, wird berichtet.

Kommt es zu einer Visumfreiheit für das Kosovo ab 2024, wäre das trotz der vielen Verzögerungen ein Erfolg für die EU in der Region, der auch ihre zuletzt angeschlagene Glaubwürdigkeit stärken würde. Für das Kosovo kann die Visumfreiheit zudem wirtschaftlich vorteilhaft sein. Seit Jahren klagen kosovarische Geschäftsleute, dass sie wegen des Visumzwangs keine kurzfristigen Termine in EU-Staaten wahrnehmen oder Fachmessen besuchen können, wodurch ihnen wichtige Aufträge entgingen.

Eine Asylwelle aus dem Kosovo wäre ab 2024 kaum zu fürchten. Das zeigen die Erfahrungen mit Serbien, Nordmazedonien, Montenegro, Bosnien und Albanien, deren Visumpflicht 2009 und 2010 fiel. Zu einem andauernden Anstieg der Asylanträge aus diesen Ländern kam es danach nicht. Zudem nahmen die Staaten abgelehnte und abgeschobene Asylbewerber umstandslos auf – schon um ihre Visumfreiheit nicht zu gefährden.

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Europäische Union: EU-Kommission will Ungarn 13,3 Milliarden Euro streichen

Weil Victor Orbán Korruption und Vetternwirtschaft nicht ausreichend bekämpft, empfiehlt die oberste EU-Behörde, Ungarn den Geldhahn zuzudrehen. Nun müssen die Mitgliedsländer nur noch zustimmen.

Die EU-Kommission ist unzufrieden mit den Reformen des autoritären Regierungschefs Victor Orbán.

Die EU-Kommission ist unzufrieden mit den Reformen des autoritären Regierungschefs Victor Orbán.© Darko Vojinovic/dpa

EU-Kommission will Ungarn 13,3 Milliarden Euro streichen

Die EU-Kommission empfiehlt, EU-Mittel in Milliardenhöhe erst einmal nicht an Ungarn auszuzahlen. Die Behörde ist unter anderem unzufrieden mit der Korruptionsbekämpfung der rechtsnationalen Regierung in Budapest. Deshalb schlägt sie vor, rund 7,5 Milliarden Euro aus dem Gemeinschaftshaushalt und 5,8 Milliarden Euro der Corona-Hilfen zu blockieren.

Die Kommission hatte mit Ungarn 17 Reformen vereinbart, um das Zurückhalten der Mittel abzuwenden. Danach hatte die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán bis Mitte November Zeit, um Fortschritte im Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft zu präsentieren. Doch wichtige Maßnahmen seien nicht richtig umgesetzt worden; bei anderen fehlten Informationen, hieß es vergangene Woche aus der Kommission.
Ob Ungarn die 7,5 Milliarden Euros aus dem Gemeinschaftshaushalt wirklich nicht bekommt, entscheiden die EU-Finanzminister. Um das Geld einzufrieren, ist eine qualifizierte Mehrheit nötig. Das heißt: mindestens 15 der 27 EU-Staaten müssten zustimmen und zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.

Ähnlich sieht es bei der Auszahlung der milliardenschweren Corona-Hilfen aus: Zwar will die Kommission in diesem Fall eine positive Empfehlung zum ungarischen Plan der Mittelverwendung abgeben, doch auch dieses Geld soll nur fließen, wenn das Land die rechtsstaatlichen Bedingungen erfüllt. Ähnlich ist die Kommission im Fall von Polen vorgegangen, deren Plan bereits Mitte des Jahres angenommen wurde.

Noch vor der Kommissionsempfehlung gaben sich Vertreter der ungarischen Regierung betont entspannt. Da man alle Versprechen umsetze, sei zu hoffen, dass im nächsten Jahr alle EU-Mittel zur Verfügung stünden, sagte der für Regionalentwicklung zuständige Minister Tibor Navracsics am Dienstag in Budapest. Unter anderem mit der Schaffung einer neuen "Integritätsbehörde" zur Überprüfung von mutmaßlichen Korruptionsfällen habe Ungarn EU-Forderungen erfüllt.

Dass die Mitgliedsländer der Empfehlung folgen, ist keinesfalls sicher. Manche ost- und südosteuropäischen Regierungen könnten sich zurückhalten, weil sie fürchten, selbst einmal wegen Korruptionsproblemen ins Visier zu geraten. Auf der anderen Seite könnte Ungarn nach dieser Strafe alle Entscheidungen blockieren, für die in der EU Einstimmigkeit erforderlich ist. Das gilt zum Beispiel für Sanktionen gegen Russland oder Beschlüsse zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen das Nachbarland.

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Maßnahmen gegen Russland: EU will Ukraine mit russischem Geld wiederaufbauen

Die EU-Kommission präsentiert neue Vorschläge, um Moskau finanziell und juristisch für den Krieg zur Verantwortung zu ziehen. Aber sind diese Ideen auch praktisch umsetzbar?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert:

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert:© Philipp von Ditfurth/DPA

EU will Ukraine mit russischem Geld wiederaufbauen

Die Europäische Union will Russland härter für den Überfall auf die Ukraine bestrafen. Die EU-Kommission schickte den 27 Mitgliedsländern am Mittwoch Vorschläge zu, wie Moskau finanziell und juristisch für den Krieg zur Verantwortung gezogen werden könnte - zusätzlich zu den bestehenden Wirtschaftssanktionen. "Russland muss für seine furchtbaren Verbrechen bezahlen", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Die Vorschläge umfassen zwei Bereiche. Zum einen will die EU auf russisches Vermögen zugreifen, das im Westen nach Kriegsbeginn eingefroren wurde, und dieses der Ukraine zur Verfügung stellen. Kiew soll das Geld dann dazu verwenden können, den Wiederaufbau des zerstörten Landes zu bezahlen. Von der Leyen sagte, die bisher von Moskau verursachten materiellen Schäden würden auf 600 Milliarden Euro geschätzt.

Brüssel hat vor allem zwei mögliche Geldquellen im Blick. So liegen auf westlichen Konten nach Angaben der EU-Kommission ungefähr 300 Milliarden Euro, die der russischen Zentralbank gehören und durch Sanktionsbeschlüsse auf Eis gelegt wurden. Hinzu kommen etwa 19 Milliarden Euro auf Konten in der EU, die russischen Unternehmen oder Personen gehören, welche wegen ihrer Beteiligung am Krieg gegen die Ukraine oder ihrer Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin auf Brüsseler Sanktionslisten stehen.

Eingefrorenes Vermögen bleibt eigentlich im Besitz des Eigentümers

Allerdings ist es aus rechtlichen Gründen für die EU nicht möglich, all dieses Geld einfach zu konfiszieren, zu enteignen und an die Ukraine weiterzuleiten. Eingefrorenes Vermögen bleibt im Besitz des Eigentümers, es sei nur "immobilisiert", wie ein EU-Beamter es ausdrückte. Sobald der Grund für das Einfrieren wegfällt, muss es zurückgegeben werden - auch wenn der Eigentümer wie im Falle Russlands eine von einem verbrecherischen Regime kontrollierte Staatsbank oder ein skrupelloser Oligarch ist.

Um der Ukraine trotz aller juristischen Probleme zumindest einen Teil des Geldes zukommen zu lassen, will die EU das eingefrorene russische Zentralbankvermögen daher in eine Art Treuhandfonds überführen. Dieser soll es anlegen und die Gewinne an Kiew auszahlen. Die Ukraine könnte so sichere, planbare, langfristige Einnahmen erhalten, argumentiert die Kommission.

Das Grundkapital, die 300 Milliarden Euro, könnte Russland nach Abschluss eines Friedensvertrages zurückerhalten - eventuell plus einer kleinen Zinszahlung. In dem Friedensvertrag müsste laut Kommission die Entschädigung der Ukraine geregelt sein.

Um an das eingefrorene Geld aus den Vermögen von russischen Unternehmen und Privatpersonen zu gelangen, will die EU einen neuen europäischen Straftatbestand schaffen - die Umgehung von Sanktionen. Russische Oligarchen könnten dann angeklagt und verurteilt werden, zur Strafe könnte ihr eingefrorenes Geld enteignet werden. Allerdings müsste tatsächlich ein Strafurteil in der EU gegen sie vorliegen, damit das möglich ist.

Ob und wie die Kommissionspläne in die Praxis umgesetzt werden, ist noch offen. Kommissionsvertreter räumen ein, dass es politisch und juristisch sehr schwierig sei, staatliches Vermögen wie das der russischen Zentralbank einzuziehen. Auch fehlt es an Informationen: Die EU weiß bisher nicht genau, wie viel russisches Zentralbankgeld in Europa liegt, in welchen Ländern und auf welchen Konten.

Manche EU-Mitglieder fordern ein Sondertribunal

Ebenso konnte die Kommission am Mittwoch nicht sagen, welcher Anteil dieses Vermögens liquide ist, also tatsächlich in einen Treuhandfonds überführt werden könnte. In welcher Höhe sich Gewinne erzielen lassen, die der Ukraine überwiesen werden können, ist daher unbekannt.

Ähnlich unklar ist das zweite Vorhaben der EU - die Einrichtung eines internationalen Sondertribunals, das den russischen Angriff auf die Ukraine untersuchen und juristisch ahnden soll. Einige osteuropäische EU-Mitglieder fordern das seit Längerem, andere Länder, darunter Deutschland, verwiesen hingegen bisher auf die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag für die Verfolgung von Kriegsverbrechen. Dieser ermittelt bereits in der Ukraine.

Nach Vorstellung der EU soll der ICC sich auch weiterhin um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine kümmern. Das neue Sondertribunal soll ausschließlich dafür zuständig sein, die russische Führung für den Angriffskrieg gegen das Nachbarland zur Rechenschaft zu ziehen - bis hinauf zu Putin und dessen engstem Kreis.

Da nicht zu erwarten ist, dass die Vetomacht Russland im UN-Sicherheitsrat der Gründung eines solchen Tribunals zustimmt, bereitet sich die EU darauf vor, das Gericht von einer möglichst großen Staatenmehrheit in der UN-Generalversammlung absegnen zu lassen.

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Energieversorgung: Frankreichs Notfallplan: Stromausfälle für bis zu 60 Prozent der Bevölkerung möglich

Weil in Frankreich noch immer viele Atomkraftwerke nicht am Netz sind, ist die Stromversorgung des Landes in Gefahr. Die französische Regierung versucht, das Land vorzubereiten.

Frankreich kann seinen Strombedarf aktuell nicht allein decken. Foto: dpadata-portal-copyright=

Frankreich kann seinen Strombedarf aktuell nicht allein decken. Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt

Die französische Regierung hat einen Notfallplan zur Stromversorgung im Winter ausgearbeitet. Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne hatte einen Krisenstab einberufen, um eine Katastrophe in den kommenden Monaten zu verhindern. Zwar wird ein Blackout ausgeschlossen. Frankreich bereitet sich dennoch auf Engpässe bei der Stromversorgung vor. Regierungssprecher Olivier Véran spricht von „außergewöhnlichen Maßnahmen als letzter Ausweg“.

Die französische Regierung befürchtet, dass die Stromerzeugung bei einem kalten Winter im Januar teilweise nicht ausreichen könnte. Grund für die Versorgungsengpässe ist die verzögerte Wartung vieler Atommeiler. Frankreich muss sich deshalb auf eine kontrollierte Unterbrechung der Versorgung von zwei Stunden vorbereiten. Es soll sich um lokale Stromausfälle handeln, die kleine Gebiete und nicht ganze Städte oder ein komplettes Département betreffen.

Dem Plan zufolge könnte der Strom im Zeitraum zwischen 8 und 13 Uhr oder zwischen 18 und 20 Uhr unterbrochen werden. In dem Fall würde die Bevölkerung über die zentrale Warn-App Ecowatt alarmiert. Krankenhäuser und andere wichtige Einrichtungen wie Feuerwehr und Polizei sollen verschont bleiben.

Wer in der Nähe einer wichtigen Einrichtung wohnt und über dieselbe Stromleitung versorgt wird, kann hoffen, weiter Strom zu haben: So könnten die Ausfälle über das Land hinweg 60 Prozent der Verbraucher treffen, in Paris aber nur 20 Prozent.

Internet und Telefone funktionieren bei einem Ausfall nicht, Züge und Metro sollen nicht fahren. Die Schulen sollen geschlossen bleiben, wenn in einer Gegend der Strom abgestellt wird. Fraglich ist noch, ob die zentrale Notfallnummer 112 weiter erreichbar sein wird.

Noch immer zu wenig Kernkraftwerke im Einsatz

Die Situation in den französischen Atomkraftwerken ist immer noch angespannt. Ende November liefen 21 der 56 Atommeiler nicht. Wartungsarbeiten, Korrosionsprobleme, die Pandemie und Streiks haben den französischen Energiekonzern EDF ausgebremst. Im Dezember sollen elf Meiler wieder hochgefahren werden. Der französische Netzbetreiber RTE rechnet aber damit, dass sich das bis in den Januar hineinziehen könnte.

Die restlichen Reaktoren sollen bis Februar wieder am Netz sein. Schon länger liegt EDF hinter dem Plan von Mitte September zurück: Demnach sollten aktuell nur neun Meiler nicht laufen.

Neben dem Wetter und dem Fortschritt bei den Atomkraftwerken hängt bei der Stromversorgung viel von Frankreichs Nachbarn ab. Das Land muss von den europäischen Partnern Elektrizität einkaufen, darunter vor allem von Deutschland und Belgien, aber auch von Spanien und Großbritannien. Mit Deutschland hat Frankreich gerade ein Solidaritätsabkommen getroffen. Deutschland liefert Strom an Frankreich, Frankreich Gas an Deutschland.

Doch die Kapazitäten dafür sind nicht unbegrenzt, sondern abhängig von der Versorgungslage in Deutschland. Laut RTE-Chef Xavier Piechaczyk könnte es im Winter mehr als zehnmal zu Ausfällen kommen, wenn die Atomreaktoren nicht hochgefahren werden und es besonders kalt wird. Bleibt es wärmer, sind bis zu sechs Ausfälle nicht ausgeschlossen.

Die Strom-Abhängigkeit Frankreichs von anderen Ländern war noch nie so hoch. Die Zahl der Tage, an denen Strom aus anderen Ländern importiert wurde, stieg von 17 im Jahr 2018 auf in diesem Jahr 220 allein bis Ende November. Vorher war Frankreich ein großes Exportland für Strom. In den Jahren 2014 und 2015 wurde gar kein Strom eingeführt.

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Freihandelsabkommen: Darum geht es bei Ceta

Der Bundestag hat dem umstrittenen Handelsabkommen mit Kanada zugestimmt. Es soll für mehr freien Handel sorgen. Was das Abkommen im Einzelnen bedeutet.

Container im Hamburger Hafen.

Container im Hamburger Hafen.© imago stock&people/imago/Hans Blossey

Darum geht es bei Ceta

Nach jahrelangen Debatten hat der Bundestag einer Ratifizierung des umstrittenen EU-Handelsabkommens mit Kanada zugestimmt. FDP-Fraktionschef Christian Dürr spricht von einem wichtigen Schritt. "Wir brauchen mehr Freihandel mit den Demokratien dieser Welt." SPD-Fraktionsvizechefin Verena Hubertz sagt, das Abkommen werde den Handel deutlich erleichtern und dafür sorgen, dass Zölle und Handelshemmnisse wegfallen. Die Grünen waren lange Zeit gegen das Abkommen, haben jetzt aber zugestimmt.

Wann tritt das Abkommen in Kraft?

Zwar werden Teile des Ceta-Abkommens schon angewendet, aber es kann erst endgültig in Kraft treten, wenn alle 27 EU-Mitgliedsstaaten grünes Licht gegeben haben. Viele Länder fehlen noch, darunter Italien und Frankreich.

Was ist der Sinn von Ceta?

Die deutsche Wirtschaft erhofft sich einen kräftigen Schub für den Handel mit dem nordamerikanischen Land, weil dadurch viele Handelshemmnisse wegfallen. Für 98 Prozent aller Waren, die zwischen der EU und Kanada gehandelt werden, werden keine Zölle mehr fällig.

Wie genau profitieren europäische Unternehmen davon?

Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammerverband (DIHK) fallen für europäische Unternehmen pro Jahr rund 500 Millionen Euro an Zollgebühren weg. Der FDP zufolge sind allein durch die vorläufige Anwendung des Ceta-Abkommens in der EU 700 000 Jobs entstanden. Deshalb sagt der Präsident des Industrieverbands BDI, Siegfried Russwurm: "Deutschland und die EU brauchen offene Märkte, gerade in Zeiten des zunehmenden Protektionismus."

Wie groß ist der Handel zwischen Deutschland und Kanada?

Im Jahr 2021 hat die deutsche Wirtschaft Güter im Wert von zehn Milliarden Euro exportiert, die Importe aus Kanada summierten sich auf 6,2 Milliarden. Der Anteil am gesamten deutschen Handelsvolumen beträgt allerdings nur 0,6 Prozent.

Das klingt etwas dünn. Lohnt sich Ceta überhaupt?

"Wir verdanken dem Abkommen, dass die Ausfuhren nach Kanada in den letzten fünf Jahren um mehr als ein Viertel gestiegen sind", sagt der Präsident des Großhandelsverbandes BGA, Dirk Jandura. "Selbst 2020 gab es trotz der Corona-Pandemie einen Zuwachs von über 15 Prozent. Ceta hat insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen geholfen, nach Kanada zu exportieren und sich dort zu etablieren."

Woran stören sich die Ceta-Kritiker?

Die Grünen waren zunächst gegen das Abkommen, haben jetzt aber doch zugestimmt. Das kritisieren gleich mehrere Umweltverbände. Ceta bringe Sonderklagerechte für Konzerne und undemokratische Schiedsgerichte bei Streitfällen mit sich. Die Verbände befürchten, dass die Unternehmen durch Ceta ökologische und soziale Vorgaben wie etwa Arbeitsstandards leichter umgehen können.

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Europas instabilste Region wird für Scholz zum Problem

Quelle: Afp//Tobias Schwarz; Montage: Infografik WELT

Quelle: Afp//Tobias Schwarz; Montage: Infografik WELT© Afp//Tobias Schwarz; Montage: Infografik WELT

Bevor Russland am 24. Februar die Ukraine überfiel, war der Westbalkan eine vernachlässigte Region. Die sechs dazugehörigen Länder wollen der EU beitreten, doch der Prozess stockt seit Jahren. Korruption, Autoritarismus und Nationalismus grassierten. Russland weitete seine Propaganda-Aktivitäten aus. China suchte Einfluss über Infrastruktur-Projekte. Und der Westen? Schien nicht zu begreifen, dass in seiner Mitte eine gefährliche Schwachstelle lag.

Quelle: Infografik WELT

Quelle: Infografik WELT© Infografik WELT

Das änderte sich mit dem Ukraine-Krieg. Neuralgische Punkte, die Russland zum eigenen Einflussgebiet zählt, sind in den strategischen Fokus des Westens gerückt: Georgien, die Republik Moldau – und der Westbalkan, geografisch der Innenhof der EU. Fragil sind vor allem jene drei der sechs Länder, die keine Nato-Mitglieder sind: Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kosovo. Doch es herrschen Zweifel, ob die EU aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat.

Bundeskanzler Olaf Scholz jedenfalls hat das Thema zur Chefsache gemacht. „Die sechs Staaten des westlichen Balkans gehören in die Europäische Union“, sagte er Anfang November. Er setze sich für ihren Beitritt ein. Am Dienstag reist Scholz in die albanische Hauptstadt Tirana, wo ein Gipfeltreffen zwischen Politikern der EU und des Westbalkans stattfindet. Seine Mission ist komplex. Der erste Konflikt ist gesetzt. Ein Grund dafür ist das größte und bedeutsamste Land auf dem Balkan: Serbien.

Vucic droht, dem Treffen fernzubleiben

Am Donnerstag kündigte der serbische Präsident Aleksandar Vucic wütend an, dem Gipfel fernbleiben zu wollen. „Es ist meines Wissens ohne Präzedenz, dass ein Land des Westbalkans einen solchen Gipfel boykottieren würde“, sagt Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Karl-Franzens-Universität Graz. Allein die Drohung sei ungewöhnlich. Seither ruderte die serbische Regierung zurück; nun ist offen, ob Vucic teilnimmt. Offenbar testet der Präsident seinen Spielraum aus.

Vucic‘ Unmut geht auf eine Personalentscheidung des kosovarischen Premierministers Albin Kurti zurück. Der Grundkonflikt liegt tief. Belgrad erkennt sein Nachbarland Kosovo nicht an und beansprucht dessen Territorium für sich, was historische, nationalistische und machtpolitische Gründe hat. Ohne die Lösung des Konflikts aber kein EU-Beitritt.

Deutschland und Frankreich schlugen kürzlich einen Kompromiss vor: ein Abkommen ähnlich dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag von 1972, in dem sich BRD und DDR gegenseitige territoriale Integrität zusicherten, die Bundesrepublik aber am Ziel der Wiedervereinigung festhielt. Eine faktische – nicht aber rechtliche – Anerkennung könnte auch die serbisch-kosovarischen Beziehungen verbessern und die Region näher an die EU bringen.

Fraglich nur, ob das in Belgrad überhaupt gewünscht ist. Vucic betreibt eine Schaukelpolitik zwischen West und Ost. Die Sanktionen gegen Moskau trägt er nicht mit, obwohl Serbien als Beitrittskandidat seine Außenpolitik an jene der EU anpassen muss. Er gibt sich proeuropäisch, ließ sich aber vor einigen Jahren vom russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Kampfflugzeugen und Panzern beschenken.

Europäische Angst vor der Wahrheit

Im eigenen Land regiert er de facto allein. „Das ganze Regime ist auf Vucic zugeschnitten“, so Experte Bieber. Die Nichtregierungsorganisation Freedom House stuft Serbien nur noch als „teilweise frei“ ein. Die Regierung habe „die politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten immer weiter ausgehöhlt und setzt unabhängige Medien, die politische Opposition und Organisationen der Zivilgesellschaft unter Druck“, heißt es zur Begründung.

Bieber bezweifelt daher, dass Vucic ein ernsthaftes Interesse an einer europäischen Mitgliedschaft habe. Denn dann „müsste er rechtsstaatliche Reformen auf den Weg bringen, die ihm letztlich zum Verhängnis“ würden. Brüssel auf der anderen Seite scheue sich, bestimmte Wahrheiten auszusprechen, etwa, dass mit Vucic‘ Politik kein EU-Beitritt möglich und Serbien in seinem jetzigen Zustand keine Demokratie mehr sei.

Der Westen setze seine Hebel nicht ein, sagt auch Kurt Bassuener vom Berliner Thinktank Democratization Policy Council. Dabei habe er „auf dem westlichen Balkan mehr Einfluss als überall sonst auf der Welt“. Stattdessen verkünde die EU Fortschritt, der in der Realität nicht existiere.

„Die Kluft zwischen Rhetorik und politischer Realität hat sich seit dem 24. Februar vergrößert, und das ist ein echtes Problem“, so Bassuener. Im Grunde gehe es den Europäern darum, in der Region keine Unruhe aufkommen zu lassen, Arbeitskräfte abzuschöpfen – und Migranten fernzuhalten.

Tatsächlich stand der Balkan zuletzt vor allem als Migrationsroute im Fokus. Für etliche Länder in Asien, Afrika und der Karibik galt in Serbien keine Visumspflicht. So kamen in den vergangenen Monaten via Serbien viele Migranten in EU-Länder, die dort keine Aussicht auf einen Schutzanspruch haben: Inder, Burundier, Tunesier. Besonders Österreich spürte den Effekt. Auf Druck Brüssels hin führte Serbien bereits die Visumspflicht für Bürger aus Tunesien und Burundi wieder ein, für Inder soll sie bis Ende des Jahres folgen.

Dennoch ist die Westbalkanroute laut der europäischen Grenzschutzagentur Frontex weiterhin die aktivste Migrationsroute in die EU. Migranten, die während der Pandemie dort oder in Griechenland ausharrten, machen sich verstärkt auf den Weg. Brüssel arbeitet nun an einem Aktionsplan, um Zuwanderung über die Balkanroute zu verringern.

Beobachter sind sich einig, dass die Integration des Westbalkans in die EU langfristig alternativlos ist, trotz aller Probleme der Region. Zum einen nutzt Russland die Spannungen auf dem Balkan, um die EU von dort aus zu destabilisieren. Zum anderen schade das ständige Zwischenstadium, in dem sich die Westbalkanstaaten befinden, der Planungssicherheit für Unternehmen, sagt Bieber.

„Wirtschaftliche Unsicherheit führt zu politischer Unsicherheit, die wiederum Krisen zur Folge haben kann“, so der Experte. „Der Preis dafür wäre letztlich für die EU viel höher, denn Krisen bringen Instabilität und Flüchtlinge mit sich.“ Ein Szenario, das die Europäer vermeiden wollen.

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Studie warnt: Nur Finnland hätte genug Munition für großen Krieg – Deutschland und UK schnell am Ende

Studie warnt: Nur Finnland hätte genug Munition für großen Krieg – Deutschland und UK schnell am Ende

Eine britische Studie untersucht, wie viel Munition die Nato-Länder im Kriegsfall hätten – das Urteil ist vernichtend.

London – Der Ukraine-Krieg hat auch den Zustand der Bundeswehr zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt: Sollte der Ernstfall eintreten und Deutschland steckt im Krieg, würde die Munition wohl nur zwei Tage reichen. Laut Nato-Vorgaben sollten Mitgliedstaaten Reserven für mindestens 30 Tage haben, berichtet merkur.de.

Ein Grund für Kritik am Verteidigungsministerium um Christine Lambrecht, vor allem aus der Opposition. Die Ministerin verweist auf Versäumnisse ihrer Vorgänger, verteidigt ihre Arbeit und versichert, sich für die Beschaffung von mehr Munition und Waffen einzusetzen. Das ist wohl einfacher gesagt als getan: Nicht nur ist der finanzielle Spielraum laut Lambrecht vorerst eingeschränkt. Für die Produktion von Munition ist Deutschland von Rohstoffen aus China abhängig. Lieferschwierigkeiten sorgen laut Welt für eine Wartezeit von bis zu 14 Monaten. Doch hat nur Deutschland die Beschaffung von Munition versäumt? Eine britische Studie zeigt, dass es weiteren Nato-Ländern ähnlich ergeht:

Deutschland und Nato-Staaten haben laut Studie nicht genug Munition

Denn im Fall eines großen Kriegs hätten die Nato-Staaten offenbar nicht genug Munition, um mehrere Tage zu kämpfen. Zu diesem Schluss kommt die britische Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI), die zu nationalen und internationalen Sicherheitsfragen forscht.

Studie warnt: Nur Finnland hätte genug Munition für großen Krieg – Deutschland und UK schnell am Ende

Studie warnt: Nur Finnland hätte genug Munition für großen Krieg – Deutschland und UK schnell am Ende© Bereitgestellt von FR

Foto © Roman Chop/dpa

Als die Kämpfe im Donbass ihren Höhepunkt erreichten, habe die russische Armee an zwei Tagen mehr Munition verschossen als etwa Großbritannien überhaupt auf Lager hat, hieß es. Das britische Verteidigungsministerium habe zwar mehrfach versucht, Entwarnung zu geben und auf die Unterstützung der anderen Nato-Staaten verwiesen. Allerdings gehe es den anderen Ländern, wie eben Deutschland, ähnlich.

Im Kriegsfall: Finnland hätte ausreichend Munition – anders als die europäischen Nato-Staaten

Auf die Munition der Bündnispartner könne man sich entsprechend nicht verlassen, auch bei gemeinsamen Kämpfen nicht. Innerhalb der Nato führt die Studie die USA als einzigen Staat mit genügend Munition und Produktionskapazitäten auf. Auch Finnland, das sich derzeit um einen Nato-Beitritt bemüht, hätte laut RUSI im Kriegsfall ausreichend Munition.

Die Studienautoren mahnten die Nato-Staaten, sich rechtzeitig um die Errichtung von Produktionsstätten und Beschaffungsquellen wichtiger Materialien sicherzustellen. Im Kriegsfall solle die Produktion von Munition schnell hochgefahren werden können. Zu Kriegsbeginn war die Ukraine laut Studienbericht vor allem von alter Munition aus Sowjet-Zeiten abhängig. Mittlerweile kommt die meiste Munition aus Nato-Staaten. Doch die Produktionskapazitäten in diesen Ländern reichen der Expertise zufolge nicht aus, um alle Staaten bei einem bewaffneten Konflikt zu versorgen.

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Auf dem Weg zu Europas größter Militärmacht

Polnische Aufrüstung

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Auf dem Weg zu Europas größter Militärmacht© T - Online

Während in Deutschland die Munition ausgeht und wichtige Waffenkäufe ins Stocken geraten, kauft Polen fleißig schweres Gerät ein. Das hat Folgen.

Für Mariusz Błaszczak ist es ein Erfolg. Allen, die an Polen zweifeln, will der Verteidigungsminister an diesem Tag im Hafen von Gdynia klarmachen, "dass Wollen Können bedeutet". Für sein Land bedeutet das: "Wir wollen Frieden, also bereiten wir uns auf den Krieg vor."

Hinter Błaszczak sind neue Haubitzen und Panzer aus Südkorea aufgereiht. Sie sind Teil des größten Rüstungsdeals, den das asiatische Land jemals abgeschlossen hat.

Zehn neue Panzer und 24 Haubitzen mögen in deutschen Ohren schon nach einer verhältnismäßig großen Menge klingen. Die Bundesregierung hat in zehn Monaten Ukraine-Krieg gemeinsam mit den Niederlanden die recht überschaubare Zahl von insgesamt 14 Panzerhaubitzen 2000 an die Ukraine abgegeben. Auch bei den eigenen Soldaten ist die Modernisierung ins Stocken geraten – trotz eines 100 Milliarden schweren Sondervermögens und der "Zeitenwende"-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

In Berlin wird etwa weiter über den Kauf von 35 F-35-Kampfjets gestritten und ein "Munitionsgipfel" sollte klären, womit die deutschen Soldaten ihre Waffen künftig überhaupt abfeuern sollen.

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Ganz anders in Polen: Dort läuft die Modernisierung der eigenen Streitkräfte auf Hochtouren. Am Ende der Entwicklung könnte das Land die bestimmende Militärmacht in Zentraleuropa werden – und Deutschland den Rang ablaufen.

Gesetz im Eiltempo

"Die Polen rufen militärisch ihr Leistungspotenzial gerade ab, während wir Deutschen es reduzieren", sagt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Gespräch mit t-online. Die von der nationalistischen PiS-Partei geführte Regierung verkauft die Maßnahmen als notwendig für den Schutz gegenüber Russland. Doch wie die polnische Aufrüstung abläuft, spiegelt zugleich das schwierige Verhältnis zum deutschen Nachbarn wider.

Die Weichen für den neuen Kurs hatte Warschau bereits kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im März gestellt: Im Schnelldurchlauf hatte die PiS-geführte Regierung ein Gesetz durchgebracht, das die polnischen Streitkräfte massiv ausbauen sollte. Bei der Unterzeichnung sagte Polens Präsident Andrzej Duda, Polen müsse sich gegen die "gierigen, imperialen" Ambitionen Russlands verteidigen können.

Aktuell kann Polen laut Nato-Angaben insgesamt 122.000 Soldaten mobilisieren. Zum Vergleich: Die Bundeswehr kommt insgesamt auf 188.000. Die größte Armee der Nato stellen die USA mit 1,3 Millionen Männern und Frauen in Uniform, gefolgt von der Türkei mit 447.000.

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Perspektivisch will die polnische Regierung aber mehr: Bis 2035 soll die Armee insgesamt 300.000 Soldaten umfassen. Dafür hat Warschau auch die Ausbildungsverfahren beschleunigt: Freiwillige können seit April eine Grundausbildung in 28 Tagen absolvieren, anschließend folgt eine elfmonatige Fachausbildung.

Zusätzlich steigert der Staat seine ohnehin schon hohen Verteidigungsausgaben: Während Deutschland darum ringt, das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der Nato überhaupt zu erreichen, strebt Polen im kommenden Jahr an, drei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung zu stecken, mittelfristig sollen es sogar fünf Prozent sein. Das Land wäre dann der Nato-Staat mit den verhältnismäßig höchsten Verteidigungsausgaben.

Große Deals mit den USA und Südkorea

Auf dem Rüstungsmarkt kauft Polen allerdings schon jetzt groß ein. Neben den Deals mit Südkorea hat die Regierung auch Großaufträge an US-Firmen vergeben: Mehr als 1.300 Panzer und 600 Haubitzen und Dutzende Kampfjets soll die polnische Armee in den nächsten Jahren erhalten. Dazu kommen 24 Kampfdrohnen aus der Türkei oder 20 Himars-Mehrfachraketenwerfer. Auch der Kauf von weiteren Hunderten Raketenwerfern aus den USA und Südkorea ist im Gespräch.

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Teilweise dienen die Waffenlieferungen dazu, leere Bestände wieder aufzufüllen: Rund 250 der amerikanischen Abrams-Panzer sollen die über 200 T-72-Panzer aus Sowjetzeiten ersetzen, die Polen im Frühjahr an die Ukraine abgegeben hat. Der geplante "Ringtausch" mit Berlin, demzufolge Deutschland die alten Panzer ersetzen sollte, ist vorerst geplatzt.

"Misstrauensvotum gegen Deutschland"

"Diese Aufrüstung ist auch ein Misstrauensvotum gegen Deutschland", sagt Rüstungsexperte Christian Mölling. Eigentlich habe Polen schon vor dem Krieg weitere Kampfpanzer aus Deutschland kaufen wollen. Allerdings habe man dem Land auch damals kein entsprechendes Angebot gemacht. "Berlins Zögern, die Untätigkeit, stellt den Wert des Bündnisses mit Deutschland ernsthaft infrage. Und das sagen nicht nur wir", beschwerte sich Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im "Spiegel". Er höre auch Klagen von anderen europäischen Regierungschefs.

Christian Mölling ist seit Februar 2017 Forschungsdirektor der DGAP und Leiter des Programms Sicherheit und Verteidigung. Vor seiner Tätigkeit bei der DGAP arbeitete er unter anderem beim German Marshall Fund, bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), an der ETH Zürich sowie an der Universität Hamburg.

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Doch dabei scheint es nicht zu bleiben: Auch die USA sollen zunehmend gereizt von der Bundesregierung sein, der verlässlichere Verbündete für die US-Regierung sitzt mittlerweile in Warschau. "Polen ist zu unserem wichtigsten Partner in Kontinentaleuropa geworden", zitierte das Nachrichtenportal "Politico" zuletzt einen hochrangigen US-Vertreter.

Politische Zweifel an Polen

Experte Mölling sieht das ähnlich: "Furchtbar genervt" sei man in Washington, weil Scholz und seine Minister die USA immer wieder als argumentativen Schutzschild benutzten, um ihre eigene Untätigkeit bei der Ukraine-Unterstützung zu erklären: "Washington ist ständig die Entschuldigung dafür, dass die Bundesregierung etwas nicht tun kann."

Doch dass die neue Waffenpartnerschaft Washington und Warschau noch enger zusammenschweißt, ist nicht ausgemacht: "Militärisch gibt es durchaus eine Tendenz zu Polen", sagt Christian Mölling. Ganz so einfach sei es aber dann doch nicht, denn es gebe eine zweite Perspektive, die man beachten müsse: "Die Frage bleibt, ob Polen politisch kooperationsfähig ist."

Die PiS-Regierung steht seit Jahren in der Kritik, den polnischen Rechtsstaat anzugreifen und Justiz und Medien stärker politisch zu kontrollieren. Seit Monaten blockiert etwa die EU Coronahilfen in Milliardenhöhe, weil Brüssel eklatante Mängel im polnischen Justizsystem sieht.

PiS steht vor schwierigen Wahlen

Die polnische Regierung zeigt sich bei dem Thema bisher wenig einsichtig: Der einflussreiche Parteichef der PiS, Jarosław Kaczyński, keilt im Moment besonders hart gegen Deutschland und die EU. Der Polen-Beauftragte der Bundesregierung warf der PiS gar "antideutsche" Tendenzen vor.

Streit zwischen den Nachbarn brach auch über die Frage aus, ob Deutschland Polen Patriot-Luftabwehrsysteme liefern soll. Erst nach Hin und Her einigte man sich. Die harte PiS-Rhetorik könnte aber auch damit zusammenhängen, dass die Partei dadurch auf mehr Stimmen bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr hofft. Aktuelle Umfragen sehen die PiS nicht mehr auf Rang eins.

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"Eine andere Regierung würde militärisch ähnliche Entscheidungen treffen. Die Kritik an Deutschland und der EU wäre in der Sache vergleichbar, aber im Ton wohl nicht so scharf formuliert", sagt Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik zu t-online. Dass die USA auch deshalb gerade stärker auf Polen setzen, hänge auch mit der gemeinsamen Grenze zur Ukraine zusammen, die gerade um ihre Existenz als Staat kämpft.

Ob Polen aber dauerhaft wichtiger für die USA als Deutschland wird, halten sowohl Lang als auch Christian Mölling für unwahrscheinlich. Politisch sieht Mölling noch immer eine größere Nähe zwischen Washington und Berlin. Und militärisch sei eine Abkehr nicht ganz so einfach, glaubt Kai-Olaf Lang – allein schon wegen Ramstein, dem größten US-Luftwaffenstützpunkt außerhalb der USA: "Ramstein ist in Deutschland. Das kann man nicht so leicht woanders hinbauen", sagt Lang.

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Das Ende der Autoproduktion in Europa

Ab 2035 dürfen Neuwagen mit Verbrennungsmotor in der EU nicht mehr zugelassen werden. Was das Verbot des Verbrenners für den Industriestandort Deutschland bedeutet.

 Abgase kommen aus dem Auspuff eines Autos.

Abgase kommen aus dem Auspuff eines Autos.

Ab 2035 dürfen Neuwagen mit Verbrennungsmotor in der EU nicht mehr zugelassen werden, so hat es die EU im Oktober beschlossen. Mit der Entscheidung hat die EU die Weichen faktisch vollständig in Richtung Elektromobilität gestellt. Die Technologielenkung in Richtung einer einzigen Technologie, dem Elektromotor, wird ganz erhebliche Wertschöpfungs- und Arbeitsplatzverluste in Deutschland mit sich bringen. Uns droht der Verlust der Kernkompetenz beim Verbrennungsmotor, wenn diese in der EU nicht mehr zugelassen werden können. Im Rest der Welt, außerhalb Europas, wird kein Verbrenner-Verbot implementiert. Deshalb ist noch nicht einmal aus klimapolitischer Sicht klar, ob eine weitere Reduktion des CO2-Ausstoßes beim Verbrennungsmotor nicht stärker zu einer globalen CO2-Reduktion beitragen könnte als ein Verbot des Verbrennungsmotors in der EU.

Zudem wird in Europa die weitere Forschung an E-Fuels unattraktiv gemacht, da diese Autos ab 2035 wohl auch nicht mehr in der EU zugelassen werden können. Das Ganze geschieht in einer Situation, in der die Wettbewerbsfähigkeit der Automobilproduktion in Deutschland ohnehin stark gefährdet ist. Aktuell machen die in Europa drastisch gestiegenen Energiepreise, aber auch die gestörten Lieferketten der deutschen Automobilwirtschaft das Leben schwer.

Deutscher Automarkt normalisiert sich weiter - Hersteller machen Rekordgewinne

Wie eine Studie der Strategieberatung Strategy& jüngst belegt hat, drängen schon heute immer mehr chinesische Hersteller von Elektroautos auf den europäischen Markt, während zugleich westliche Hersteller die Produktion von Elektroautos zunehmend nach China verlagern. Der Studie zufolge wird Europa schon in zwei Jahren von einem Export- zu einem Importmarkt für Autos. Mittelfristig ist davon auszugehen, dass sich die Automobilproduktion fast vollständig nach Asien und Nordamerika verlagert. Für den Industriestandort Deutschland werden somit sehr schwierige Zeiten anbrechen, wenn der der mit Abstand bedeutendste Industriezweig in Deutschland nach und nach abwandert.

Unser Autor ist Professor für Wettbewerbsökonomie an der Universität Düsseldorf. Er wechselt sich hier mit der Ökonomin Ulrike Neyer und dem Vermögensexperten Karsten Tripp ab.