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News aus der EU
Zitat von Gast am 24. Juni 2022, 09:02 UhrElektroautos: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe warnt vor Lithium-Engpass
Ab 2035 sollen in der EU nur noch E-Autos zugelassen werden – doch Zahlen einer Bundesbehörde wecken laut einem Medienbericht Zweifel an dem Vorhaben. Demnach wird ein kritischer Rohstoff für Batterien knapp.
Ein Engpass bei Lithium bedroht den Umstieg auf Elektroautos – damit rechnet die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), wie das »Handelsblatt« berichtet. Zwar sei das in Batterien verwendete Metall grundsätzlich weltweit reichlich vorhanden, doch Förderprojekte verzögerten sich.
Teils blockierten Regierungen die rasche Entwicklung zusätzlicher Vorkommen, teils fehle es an privatem Kapital, um die Vorkommen zu erschließen. Weitere Unternehmen und Fachorganisationen teilen der Zeitung zufolge diese Einschätzung der Behörde. Sie gehört zum Bundeswirtschaftsministerium, geführt von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).Treffen die Annahmen zu, geriete auch der für das Jahr 2035 geplante Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor in der EU in Gefahr. Nach dem Willen der Kommission und des Parlaments sollen dann nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden – also Elektroautos mit Batterien oder Wasserstoff-Brennstoffzelle.
Derzeit stimmen die nationalen Regierungen ihre Positionen darüber ab, in den kommenden Tagen und Wochen verhandeln Sie mit dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission darüber. In Deutschland hatte sich zuletzt die FDP gegen den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ausgesprochen. Die Partei will Autos mit Verbrennungsmotor eine Zukunft ermöglichen, wenn diese mit klimaneutralen E-Fuels betrieben werden.
Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner begründetet dies vor allem damit, dass Pkw mit Otto- oder Dieselmotoren in anderen Kontinenten auch in kommenden Jahrzehnten nachgefragt würden. Die europäische Autoindustrie liefe Gefahr, das Know-how für den Bau solcher Pkw zu verlieren, wenn sie sie auf dem Heimatmarkt nicht mehr verkaufen dürfe.
Konkret erwartet die BGR, dass die weltweite Nachfrage nach Lithium für Batterien bis 2030 auf 316.000 bis mehr als 550.000 Tonnen pro Jahr anwachsen wird. Davon würden etwa 90 Prozent für Lithium-Ionen-Batterien benötigt, die in Elektroautos eingebaut werden. Dann würden bis zu 300.000 Tonnen Lithium pro Jahr fehlen. 2020 wurden dem Bericht, zufolge weltweit 82.000 Tonnen Lithium produziert.
Rohstoff-Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen
Lithium ist zentraler Bestandteil von Fahrbatterien in Batterie-betriebenen Elektroautos. Der Rohstoff wird als Lithiumcarbonat gehandelt. Die Preise für dieses Material sind zuletzt stark gestiegen, weil die Nachfrage nach E-Autos weltweit zunimmt – dank staatlicher Vorgaben und steigender Spritpreise. Zugleich wächst die Kapazität der Batterien, sodass tendenziell mehr Lithium pro Fahrzeug benötigt wird.
Starke Preissteigerungen lösen in der Rohstoffindustrie allerdings häufig auch neue Investitionswellen in die Förderung aus. Dadurch kann das Angebot stärker steigen als vorhergesagt.
Prognosen zur Verfügbarkeit von Rohstoffen sind also grundsätzlich mit viel Vorsicht zu genießen. So erwarteten Fachleute bis Anfang der 2010er-Jahre lange, dass Öl knapp und stetig teurer werde. Doch dann lösten hohe Preise in den USA mit der neuen Fracking-Technologie ein Förderboom aus. Mehr Öl wurde verfügbar, die Preise sanken.
Europa ist überwiegend auf Importe angewiesen
Eine solche Entwicklung lässt sich indes nicht direkt auf den Rohstoff Lithium übertragen. Es dauert laut BGR fünf bis zehn Jahre, bis eine neue Lagerstätte erschlossen werden kann. Regierungen erschweren den Prozess vielfach, auch weil manche Staaten wie Chile oder Bolivien die Förderung selbst in die Hand nehmen wollen – teils, um eine eigene E-Auto-Industrie zu stärken.
Nationale Interessen könnten aus europäischer Sicht beim Lithium besonders problematisch werden. Nur ein Teil des global geförderten Metalls steht auf dem Weltmarkt zur Verfügung. In den USA beispielsweise hat die Regierung ein Gesetz reaktiviert, dass demzufolge Rohstoffe wie Lithium vorrangig in den USA selbst zum Einsatz kommen müssen. Großlieferant ist außerdem China, das selbst zum führenden Hersteller von Elektroautos aufsteigen will.
Europa ist dem »Handelsblatt«-Bericht zufolge laut BGR allerdings zu 56 Prozent auf Importe angewiesen. Damit gerate schon das Ziel der Bundesregierung in Gefahr, bis 2030 insgesamt 15 Millionen E-Autos auf die deutschen Straßen zu bekommen.
Elektroautos: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe warnt vor Lithium-Engpass
Ab 2035 sollen in der EU nur noch E-Autos zugelassen werden – doch Zahlen einer Bundesbehörde wecken laut einem Medienbericht Zweifel an dem Vorhaben. Demnach wird ein kritischer Rohstoff für Batterien knapp.
Ein Engpass bei Lithium bedroht den Umstieg auf Elektroautos – damit rechnet die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), wie das »Handelsblatt« berichtet. Zwar sei das in Batterien verwendete Metall grundsätzlich weltweit reichlich vorhanden, doch Förderprojekte verzögerten sich.
Treffen die Annahmen zu, geriete auch der für das Jahr 2035 geplante Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor in der EU in Gefahr. Nach dem Willen der Kommission und des Parlaments sollen dann nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden – also Elektroautos mit Batterien oder Wasserstoff-Brennstoffzelle.
Derzeit stimmen die nationalen Regierungen ihre Positionen darüber ab, in den kommenden Tagen und Wochen verhandeln Sie mit dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission darüber. In Deutschland hatte sich zuletzt die FDP gegen den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ausgesprochen. Die Partei will Autos mit Verbrennungsmotor eine Zukunft ermöglichen, wenn diese mit klimaneutralen E-Fuels betrieben werden.
Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner begründetet dies vor allem damit, dass Pkw mit Otto- oder Dieselmotoren in anderen Kontinenten auch in kommenden Jahrzehnten nachgefragt würden. Die europäische Autoindustrie liefe Gefahr, das Know-how für den Bau solcher Pkw zu verlieren, wenn sie sie auf dem Heimatmarkt nicht mehr verkaufen dürfe.
Konkret erwartet die BGR, dass die weltweite Nachfrage nach Lithium für Batterien bis 2030 auf 316.000 bis mehr als 550.000 Tonnen pro Jahr anwachsen wird. Davon würden etwa 90 Prozent für Lithium-Ionen-Batterien benötigt, die in Elektroautos eingebaut werden. Dann würden bis zu 300.000 Tonnen Lithium pro Jahr fehlen. 2020 wurden dem Bericht, zufolge weltweit 82.000 Tonnen Lithium produziert.
Rohstoff-Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen
Lithium ist zentraler Bestandteil von Fahrbatterien in Batterie-betriebenen Elektroautos. Der Rohstoff wird als Lithiumcarbonat gehandelt. Die Preise für dieses Material sind zuletzt stark gestiegen, weil die Nachfrage nach E-Autos weltweit zunimmt – dank staatlicher Vorgaben und steigender Spritpreise. Zugleich wächst die Kapazität der Batterien, sodass tendenziell mehr Lithium pro Fahrzeug benötigt wird.
Starke Preissteigerungen lösen in der Rohstoffindustrie allerdings häufig auch neue Investitionswellen in die Förderung aus. Dadurch kann das Angebot stärker steigen als vorhergesagt.
Prognosen zur Verfügbarkeit von Rohstoffen sind also grundsätzlich mit viel Vorsicht zu genießen. So erwarteten Fachleute bis Anfang der 2010er-Jahre lange, dass Öl knapp und stetig teurer werde. Doch dann lösten hohe Preise in den USA mit der neuen Fracking-Technologie ein Förderboom aus. Mehr Öl wurde verfügbar, die Preise sanken.
Europa ist überwiegend auf Importe angewiesen
Eine solche Entwicklung lässt sich indes nicht direkt auf den Rohstoff Lithium übertragen. Es dauert laut BGR fünf bis zehn Jahre, bis eine neue Lagerstätte erschlossen werden kann. Regierungen erschweren den Prozess vielfach, auch weil manche Staaten wie Chile oder Bolivien die Förderung selbst in die Hand nehmen wollen – teils, um eine eigene E-Auto-Industrie zu stärken.
Nationale Interessen könnten aus europäischer Sicht beim Lithium besonders problematisch werden. Nur ein Teil des global geförderten Metalls steht auf dem Weltmarkt zur Verfügung. In den USA beispielsweise hat die Regierung ein Gesetz reaktiviert, dass demzufolge Rohstoffe wie Lithium vorrangig in den USA selbst zum Einsatz kommen müssen. Großlieferant ist außerdem China, das selbst zum führenden Hersteller von Elektroautos aufsteigen will.
Europa ist dem »Handelsblatt«-Bericht zufolge laut BGR allerdings zu 56 Prozent auf Importe angewiesen. Damit gerate schon das Ziel der Bundesregierung in Gefahr, bis 2030 insgesamt 15 Millionen E-Autos auf die deutschen Straßen zu bekommen.
Zitat von Gast am 24. Juni 2022, 09:15 UhrBulgarien: Ende eines Reformtraumes
Nach nur sechs Monaten im Amt stürzt die Reformregierung des Premiers Kiril Petkow. Bulgarien steht vor einer neuen innenpolitischen Stagnation. Immerhin: Das Drama um das Nordmazedonien-Veto könnte ein Ende finden.
Bulgarien ist seit langem eines der politisch instabilsten Länder der Europäischen Union. Im vergangenen Jahrzehnt gab es neun Regierungswechsel und sechs Parlamentswahlen, darunter drei allein im Jahr 2021. Begleitumstände waren schwerwiegende Korruptionsaffären und gebrochene Reformversprechen, soziale und Finanzkrisen, Massenproteste und Bürgerrevolten. Zwischendurch hegten die Menschen immer wieder kurze und schnell enttäuschte Reformhoffnungen - sei es durch politische Newcomer, sei es durch Interims-Regierungen, die Veränderungen anstrebten, aber nicht umsetzten.
Nun ist in Bulgarien ein weiterer Reformtraum geplatzt. Am Mittwoch (22.06.2022) wurde in Sofia die Regierung unter Premier Kiril Petkow durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Es war das absehbare Ende eines seit längerem schwelenden Streits in der Vier-Parteien-Koalition. Zu ihr gehörten die beiden liberalen Parteien "Wir setzen den Wandel fort" (PP) und Demokratisches Bulgarien (DB) sowie die populistische Partei "Es gibt so ein Volk" (ITN) und die nominell sozialdemokratischen, faktisch aber rechtsnationalistischen Sozialisten (BSP).
Die populistische ITN war vor kurzem aus der Regierung ausgestiegen. Zusammen mit den Oppositionsparteien, darunter einer prorussisch-nationalistischen Partei, stimmte sie für einen Sturz der Regierung. Vordergründig ging es um einen außenpolitischen Disput: das Verhältnis zu Nordmazedonien und das bulgarische Veto gegen den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Nachbarland. Im Hintergrund stand jedoch ein Konflikt um die innenpolitische Reformagenda und Anti-Korruptionsvorhaben. Auch der russische Krieg gegen die Ukraine spaltete die Koalition - obwohl das Thema beim Misstrauensvotum keine direkte Rolle spielte. So etwa sprachen sich die mitregierenden prorussisch eingestellten Sozialisten gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus.
Petkows Regierung war erst vor sechs Monaten, im Dezember 2021, mit radikalen Reformversprechen angetreten - vor dem Hintergrund von anderthalb Jahren schwerer innenpolitischer Krise. Nun kommt ihr Sturz für Bulgarien und zugleich auch für die Europäische Union zu einem der schlechtesten möglichen Zeitpunkte der vergangenen Jahre: Die Frage von Waffenlieferungen und der Sanktionen gegen Russland stellt die EU und ihre Mitgliedsländer immer wieder vor Zerreißproben. Auch die Glaubwürdigkeit der EU-Erweiterungspolitik in Südosteuropa nimmt wegen des bulgarischen Vetos gegen eine Aufnahme von Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien immer größeren Schaden.Was will Bulgarien von Nordmazedonien?
Nordmazedonien ist in Bulgarien seit langem Gegenstand innenpolitischer Machtspiele - so wie auch beim jetzigen Misstrauensvotum. Die beiden Nationen haben gemeinsame historische und sprachliche Wurzeln. In Bulgarien sieht man die Mazedonier jedoch verbreitet als Teil der bulgarischen Nation, das Mazedonische als bulgarischen Dialekt. In einer innenpolitischen Krisensituation instrumentalisierte Bulgariens umstrittener Langzeit- und Ex-Premier Bojko Borissow das Thema im Herbst 2020: Wegen schwerwiegender Korruptionsvorwürfe gegen ihn nutzte er ein Veto gegen den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien dazu, nationalistische Wähler zu mobilisieren.
Die Forderung dabei: Nordmazedonien müsse erst seine bulgarischen Wurzeln und seine Sprache als bulgarischen Dialekt anerkennen, dann könne es EU-Verhandlungen beginnen. Mit dieser Haltung hat Bulgarien sich in der EU in die Isolation und in eine ähnliche Ecke manövriert wie der Dauerquerulant Viktor Orban in Ungarn. Nachdem Petkows Reformregierung Ende 2021 ihr Amt angetreten hatte, versuchte der Premier vergeblich, den Widerstand gegen eine Vetorücknahme zu brechen. Sein Koalitionskollege, Slawi Trifonow, Chef der Partei ITN, nahm Petkows Politik Anfang Juni 2022 zum Anlass für einen Rückzug aus der Regierung.
Trifonows Phantompartei
Der Entertainer Slawi Trifonow ist ein Populist, Corona-Skeptiker und selbsternannter Heilsbringer - und seine ITN eine Phantompartei ohne irgendein konsistentes politisches Programm, präsent vor allem durch die Erklärungen ihres Führers auf Facebook. Wie so oft in Bulgarien spülte eine Krisensituation ITN an die politische Oberfläche und machte sie wegen ihrer pauschalen Antikorruptionsversprechen bei der Parlamentswahl 2021 zeitweise zur stärksten Partei Bulgariens.
Nun jedoch war es ausgerechnet Petkows Antikorruptions- und Transparenzpolitik, die Trifonow wohl zu weit ging. So etwa gab es in der Regierung Streit um die Art und Weise der Vergabe öffentlicher Gelder - ITN sperrte sich gegen Reformen. Gleichzeitig konnte sich die Trifonow-Partei auch bei der Ernennung umstrittener, teils korruptionsverdächtiger Personen auf staatliche Schlüsselposten nicht durchsetzen.
Eine desillusionierte Gesellschaft
Für Bulgarien ist das Ende der Regierung Petkow ein schwerer Schlag. Zwar ist auch der Noch-Premier keine Lichtgestalt - aber er unternahm mit seiner Regierung erstmals seit vielen Jahren einen glaubwürdigen Reformversuch tief korrupter, scheinbar unreformierbarer Strukturen im Land. Das Ende dieses Experimentes dürfte in der ohnehin desillusionierten bulgarischen Gesellschaft nun zu noch mehr Frustration über die politische Klasse und noch mehr Lethargie bei künftigen Wahlen führen.
Bulgarien wird in den kommenden Wochen oder sogar Monaten erst einmal auf der Stelle treten. Staatspräsident Rumen Radew muss nach dem Sturz der Regierung nun bis zu drei Mal den Auftrag erteilen, eine Regierung zu bilden. Scheitern alle drei Versuche, kann er Neuwahlen ausrufen. Als erste Partei wird voraussichtlich Petkows "Wir setzen den Wandel fort" den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten.
Neue Jahre der Reformagonie?
Unterdessen zeichnet sich eine mögliche Lösung des Nordmazedonien-Disputs ab: So überraschend, wie Ex-Premier Borissow einst sein Veto gegen den Beginn der EU-Beitrittsgespräche mit dem Nachbarland eingelegt hatte, so überraschend verkündete er am Mittwoch, dass seine Partei, die rechtskonservativ-populistische GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens), einer Rücknahme des Vetos im Parlament zustimmen würde.
Hintergrund für diese Kehrtwende dürfte unter anderem sein, dass Borissow und seine Partei, die der Europäischen Volkspartei (EVP) angehören, außenpolitisch inzwischen zu stark unter Druck stehen. Möglicherweise will sich Borissow innenpolitisch angesichts bevorstehender Neuwahlen auch wieder mehr als Führer einer verantwortlichen politischen Kraft darstellen. Falls er auf diese Weise erneut den Sprung zurück an die Regierung schafft, stünden Bulgarien wieder viele weitere Jahre der Reformagonie bevor.
Bulgarien: Ende eines Reformtraumes
Nach nur sechs Monaten im Amt stürzt die Reformregierung des Premiers Kiril Petkow. Bulgarien steht vor einer neuen innenpolitischen Stagnation. Immerhin: Das Drama um das Nordmazedonien-Veto könnte ein Ende finden.
Bulgarien ist seit langem eines der politisch instabilsten Länder der Europäischen Union. Im vergangenen Jahrzehnt gab es neun Regierungswechsel und sechs Parlamentswahlen, darunter drei allein im Jahr 2021. Begleitumstände waren schwerwiegende Korruptionsaffären und gebrochene Reformversprechen, soziale und Finanzkrisen, Massenproteste und Bürgerrevolten. Zwischendurch hegten die Menschen immer wieder kurze und schnell enttäuschte Reformhoffnungen - sei es durch politische Newcomer, sei es durch Interims-Regierungen, die Veränderungen anstrebten, aber nicht umsetzten.
Nun ist in Bulgarien ein weiterer Reformtraum geplatzt. Am Mittwoch (22.06.2022) wurde in Sofia die Regierung unter Premier Kiril Petkow durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Es war das absehbare Ende eines seit längerem schwelenden Streits in der Vier-Parteien-Koalition. Zu ihr gehörten die beiden liberalen Parteien "Wir setzen den Wandel fort" (PP) und Demokratisches Bulgarien (DB) sowie die populistische Partei "Es gibt so ein Volk" (ITN) und die nominell sozialdemokratischen, faktisch aber rechtsnationalistischen Sozialisten (BSP).
Die populistische ITN war vor kurzem aus der Regierung ausgestiegen. Zusammen mit den Oppositionsparteien, darunter einer prorussisch-nationalistischen Partei, stimmte sie für einen Sturz der Regierung. Vordergründig ging es um einen außenpolitischen Disput: das Verhältnis zu Nordmazedonien und das bulgarische Veto gegen den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Nachbarland. Im Hintergrund stand jedoch ein Konflikt um die innenpolitische Reformagenda und Anti-Korruptionsvorhaben. Auch der russische Krieg gegen die Ukraine spaltete die Koalition - obwohl das Thema beim Misstrauensvotum keine direkte Rolle spielte. So etwa sprachen sich die mitregierenden prorussisch eingestellten Sozialisten gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus.
Was will Bulgarien von Nordmazedonien?
Nordmazedonien ist in Bulgarien seit langem Gegenstand innenpolitischer Machtspiele - so wie auch beim jetzigen Misstrauensvotum. Die beiden Nationen haben gemeinsame historische und sprachliche Wurzeln. In Bulgarien sieht man die Mazedonier jedoch verbreitet als Teil der bulgarischen Nation, das Mazedonische als bulgarischen Dialekt. In einer innenpolitischen Krisensituation instrumentalisierte Bulgariens umstrittener Langzeit- und Ex-Premier Bojko Borissow das Thema im Herbst 2020: Wegen schwerwiegender Korruptionsvorwürfe gegen ihn nutzte er ein Veto gegen den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien dazu, nationalistische Wähler zu mobilisieren.
Die Forderung dabei: Nordmazedonien müsse erst seine bulgarischen Wurzeln und seine Sprache als bulgarischen Dialekt anerkennen, dann könne es EU-Verhandlungen beginnen. Mit dieser Haltung hat Bulgarien sich in der EU in die Isolation und in eine ähnliche Ecke manövriert wie der Dauerquerulant Viktor Orban in Ungarn. Nachdem Petkows Reformregierung Ende 2021 ihr Amt angetreten hatte, versuchte der Premier vergeblich, den Widerstand gegen eine Vetorücknahme zu brechen. Sein Koalitionskollege, Slawi Trifonow, Chef der Partei ITN, nahm Petkows Politik Anfang Juni 2022 zum Anlass für einen Rückzug aus der Regierung.
Trifonows Phantompartei
Der Entertainer Slawi Trifonow ist ein Populist, Corona-Skeptiker und selbsternannter Heilsbringer - und seine ITN eine Phantompartei ohne irgendein konsistentes politisches Programm, präsent vor allem durch die Erklärungen ihres Führers auf Facebook. Wie so oft in Bulgarien spülte eine Krisensituation ITN an die politische Oberfläche und machte sie wegen ihrer pauschalen Antikorruptionsversprechen bei der Parlamentswahl 2021 zeitweise zur stärksten Partei Bulgariens.
Nun jedoch war es ausgerechnet Petkows Antikorruptions- und Transparenzpolitik, die Trifonow wohl zu weit ging. So etwa gab es in der Regierung Streit um die Art und Weise der Vergabe öffentlicher Gelder - ITN sperrte sich gegen Reformen. Gleichzeitig konnte sich die Trifonow-Partei auch bei der Ernennung umstrittener, teils korruptionsverdächtiger Personen auf staatliche Schlüsselposten nicht durchsetzen.
Eine desillusionierte Gesellschaft
Für Bulgarien ist das Ende der Regierung Petkow ein schwerer Schlag. Zwar ist auch der Noch-Premier keine Lichtgestalt - aber er unternahm mit seiner Regierung erstmals seit vielen Jahren einen glaubwürdigen Reformversuch tief korrupter, scheinbar unreformierbarer Strukturen im Land. Das Ende dieses Experimentes dürfte in der ohnehin desillusionierten bulgarischen Gesellschaft nun zu noch mehr Frustration über die politische Klasse und noch mehr Lethargie bei künftigen Wahlen führen.
Bulgarien wird in den kommenden Wochen oder sogar Monaten erst einmal auf der Stelle treten. Staatspräsident Rumen Radew muss nach dem Sturz der Regierung nun bis zu drei Mal den Auftrag erteilen, eine Regierung zu bilden. Scheitern alle drei Versuche, kann er Neuwahlen ausrufen. Als erste Partei wird voraussichtlich Petkows "Wir setzen den Wandel fort" den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten.
Neue Jahre der Reformagonie?
Unterdessen zeichnet sich eine mögliche Lösung des Nordmazedonien-Disputs ab: So überraschend, wie Ex-Premier Borissow einst sein Veto gegen den Beginn der EU-Beitrittsgespräche mit dem Nachbarland eingelegt hatte, so überraschend verkündete er am Mittwoch, dass seine Partei, die rechtskonservativ-populistische GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens), einer Rücknahme des Vetos im Parlament zustimmen würde.
Hintergrund für diese Kehrtwende dürfte unter anderem sein, dass Borissow und seine Partei, die der Europäischen Volkspartei (EVP) angehören, außenpolitisch inzwischen zu stark unter Druck stehen. Möglicherweise will sich Borissow innenpolitisch angesichts bevorstehender Neuwahlen auch wieder mehr als Führer einer verantwortlichen politischen Kraft darstellen. Falls er auf diese Weise erneut den Sprung zurück an die Regierung schafft, stünden Bulgarien wieder viele weitere Jahre der Reformagonie bevor.
Zitat von Gast am 4. Juli 2022, 14:03 UhrEnergiepreise: Welche Entlastungen bieten Europas Regierungen an?
Bundeskanzler Scholz will mit einer "Konzertierten Aktion" mit Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden die Inflation bekämpfen. Ein Vorschlag: eine Einmalzahlung. Was machen andere Regierungen in Europa?Das Leben wird teurer, nicht nur in Deutschland . Viele Länder erleben Teuerungsraten wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein wesentlicher Faktor sind steigende Energiekosten, als Folge der Sanktionen gegen Russland, die nach dem Überfall auf die Ukraine verhängt wurden.
Um dem Preisanstieg Einhalt zu gebieten, hat die Bundesregierung mit Steuer- und Abgabenerleichterungen auf fossile Brennstoffe reagiert. Langzeitarbeitslose erhalten eine Einmalzahlung von 200 Euro und das Kindergeld wird für einen Monat um 100 Euro aufgestockt. Ein weiterer Vorschlag zur Entlastung ist, dass sich die Tarifpartner in anstehenden Verhandlungen lieber auf eine Einmalzahlung, die wäre dann steuerfrei, statt auf eine Gehaltserhöhung einigen sollten.Damit soll eine so genannte Lohn-Preis-Spirale verhindert werden, die entsteht, wenn Verbraucher nominell immer mehr Geld haben, um die gleiche Menge an Gütern zu erwerben. Dadurch entfällt der wirtschaftliche Anreiz, den Konsum aufgrund steigender Preise dem knapperen Angebot anzupassen.
Laut einer Studie des Brüsseler Thinktanks Bruegel haben fast alle europäischen Regierungen Schritte unternommen, um ihre Bevölkerungen zu entlasten. Allerdings verfolgen sie durchaus unterschiedliche Ansätze. Ein paar Beispiele:
Griechenland
Nachdem die Menschen in Griechenland im abgelaufenen Jahrzehnt fast jedes Jahr einen Rückgang der Reallöhne hinnehmen mussten, hat der Staat nun schnell reagiert, um den Kaufkraftverlust abzufedern. Dafür hat die Regierung laut Bruegel ein Maßnahmenpaket in Höhe von 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bereitgestellt - im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Landes ist es demnach das teuerste in der ganzen EU.
Bereits im vergangenen Herbst beschloss Athen, monatliche Pauschalabschläge auf private und geschäftliche Stromrechnungen von bis zu 42 Euro pro Monat. Durch die Pauschale hielt die Regierung den Anreiz zum Stromsparen aufrecht. Außerdem profitieren einkommensschwache Haushalte und kleinere Geschäfte im Verhältnis stärker.
Anfang des Jahres aber änderte die Regierung die Strategie: Unternehmen erhielten einen Preisnachlass von 65 Euro pro Megawattstunde (MWh) und sozial schwache Haushalte von 180 Euro/MWh. Ein Preisnachlass, der sich durchaus bemerkbar macht, wenn ein Normalhaushalt zwischen drei und fünf Megawattstunden im Jahr verbraucht. Nach dem gleichen Prinzip entlastet das Programm auch Gasverbraucher. Nachteil: Es gibt einen geringeren Anreiz für Verbraucher, Energie zu sparen. Tendenziell führt das eher zu einer erhöhten Nachfrage - und damit wiederum zu steigenden Preisen.
Estland, Litauen, Lettland
In dieser Reihenfolge führen die drei baltischen Republiken die Eurostat-Liste der Länder mit den höchsten Inflationsraten in Europa (s. Grafik) an. Auch beim Anstieg der Energiepreise sind sie unter den ersten sechs. Ein Grund: Neben dem Import von russischen Rohstoffen haben die drei Länder auch sehr viel Strom aus Russland bezogen. Deshalb trifft sie die Abkehr von Energieimporten aus Russland doppelt.
Laut Bruegel wenden die drei Staaten - gemessen am BIP - sehr unterschiedliche Summen auf, um die Menschen vor dem Preisanstieg zu schützen. Estland, das den höchsten Energiepreisanstieg erlebt hat, nimmt lediglich 0,8 Prozent des BIP in die Hand. Der größte Teil davon kommt Hauhalten mit geringem Einkommen zugute. Außerdem hat die Regierung die Netzentgelte zunächst halbiert, dann ausgesetzt, um die Verbraucherpreise zu senken. Letztlich hat sie auch die Preise für Gas und Strom gedeckelt. Auch Lettland hat wirtschaftsschwachen Haushalten eine Energiekostenpauschale von bis zu 20 Euro pro Monat gezahlt und die Netzentgelte gesenkt.
Litauen hat das größte Energiepaket der drei baltischen Staaten und das zweitgrößte der erfassten Staaten in Europa geschnürt. Etwa die Hälfte der gut zwei Milliarden Euro soll in direkte Entlastungen fließen. Mit der anderen Hälfte will die Regierungen Investitionen in die energetische Unabhängigkeit durch erneuerbare Energien fördern.
Ungarn
Ungarns Premierminister Viktor Orban hat kurz vor der Wahl im April eine ganze Reihe von Verbraucherpreisen gedeckelt, die Treibstoffpreise hatte er schon vergangenen Herbst eingefroren. Derlei Maßnahmen hebeln allerdings das volkswirtschaftlich wichtige Preissignal für Verbraucher völlig aus: Niemand schränkt seinen Konsum ein, obwohl ein Gut knapper wird.
Die Gewinneinbußen wegen steigender Einkaufspreise sind weitgehend das Problem der Tankstellen. Die Subvention von umgerechnet fünf Euro-Cent pro Liter, heißt es aus dem Branchenverband, sei völlig unzureichend, man rechne mit Schließungen und Insolvenzen.
Obwohl die staatlichen Finanzhilfen offenbar nicht reichen, heißt es bei der Nachrichtenagentur Reuters, könnten die Maßnahmen das Land rund fünf Milliarden Euro kosten.
Vereinigtes Königreich
Die Briten erleben die höchste Inflation seit 40 Jahren. Die Energie- und Treibstoffkosten sind auch hier ein wesentlicher Faktor - trotz eines seit vielen Jahren existierenden Preisdeckels. Diesen aber passt die Regulierungsbehörde Ofgem zweimal jährlich an die Marktbedingungen an, damit nur solide wirtschaftende Energieanbieter am Markt bleiben.
Im April hat sie den Deckel um sage und schreibe 54 Prozent angehoben - auf 1971 Pfund (ca. 2300 Euro). Der Betrag gilt pro Haushalt und Jahr für eine durchschnittliche Menge Gas und Strom. Im Oktober werden jedem Haushalt automatisch 200 Pfund von der Rechnung abgezogen werden. Die müssen aber über die fünf folgenden Jahre zurückgezahlt werden.
Wirklich entlastet werden nur Haushalte mit geringem Einkommen. Versorger sind verpflichtet, ihnen einen Rabatt von 140 Pfund auf die Jahresrechnung zu geben, der aus einem aus Gewinnen gespeisten Fonds gezahlt wird. Künftig sollen mehr Menschen davon profitieren, auch der Rabatt könnte steigen.
Energiepreise: Welche Entlastungen bieten Europas Regierungen an?
Das Leben wird teurer, nicht nur in Deutschland . Viele Länder erleben Teuerungsraten wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein wesentlicher Faktor sind steigende Energiekosten, als Folge der Sanktionen gegen Russland, die nach dem Überfall auf die Ukraine verhängt wurden.
Damit soll eine so genannte Lohn-Preis-Spirale verhindert werden, die entsteht, wenn Verbraucher nominell immer mehr Geld haben, um die gleiche Menge an Gütern zu erwerben. Dadurch entfällt der wirtschaftliche Anreiz, den Konsum aufgrund steigender Preise dem knapperen Angebot anzupassen.
Laut einer Studie des Brüsseler Thinktanks Bruegel haben fast alle europäischen Regierungen Schritte unternommen, um ihre Bevölkerungen zu entlasten. Allerdings verfolgen sie durchaus unterschiedliche Ansätze. Ein paar Beispiele:
Griechenland
Nachdem die Menschen in Griechenland im abgelaufenen Jahrzehnt fast jedes Jahr einen Rückgang der Reallöhne hinnehmen mussten, hat der Staat nun schnell reagiert, um den Kaufkraftverlust abzufedern. Dafür hat die Regierung laut Bruegel ein Maßnahmenpaket in Höhe von 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bereitgestellt - im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Landes ist es demnach das teuerste in der ganzen EU.
Bereits im vergangenen Herbst beschloss Athen, monatliche Pauschalabschläge auf private und geschäftliche Stromrechnungen von bis zu 42 Euro pro Monat. Durch die Pauschale hielt die Regierung den Anreiz zum Stromsparen aufrecht. Außerdem profitieren einkommensschwache Haushalte und kleinere Geschäfte im Verhältnis stärker.
Anfang des Jahres aber änderte die Regierung die Strategie: Unternehmen erhielten einen Preisnachlass von 65 Euro pro Megawattstunde (MWh) und sozial schwache Haushalte von 180 Euro/MWh. Ein Preisnachlass, der sich durchaus bemerkbar macht, wenn ein Normalhaushalt zwischen drei und fünf Megawattstunden im Jahr verbraucht. Nach dem gleichen Prinzip entlastet das Programm auch Gasverbraucher. Nachteil: Es gibt einen geringeren Anreiz für Verbraucher, Energie zu sparen. Tendenziell führt das eher zu einer erhöhten Nachfrage - und damit wiederum zu steigenden Preisen.
Estland, Litauen, Lettland
In dieser Reihenfolge führen die drei baltischen Republiken die Eurostat-Liste der Länder mit den höchsten Inflationsraten in Europa (s. Grafik) an. Auch beim Anstieg der Energiepreise sind sie unter den ersten sechs. Ein Grund: Neben dem Import von russischen Rohstoffen haben die drei Länder auch sehr viel Strom aus Russland bezogen. Deshalb trifft sie die Abkehr von Energieimporten aus Russland doppelt.
Laut Bruegel wenden die drei Staaten - gemessen am BIP - sehr unterschiedliche Summen auf, um die Menschen vor dem Preisanstieg zu schützen. Estland, das den höchsten Energiepreisanstieg erlebt hat, nimmt lediglich 0,8 Prozent des BIP in die Hand. Der größte Teil davon kommt Hauhalten mit geringem Einkommen zugute. Außerdem hat die Regierung die Netzentgelte zunächst halbiert, dann ausgesetzt, um die Verbraucherpreise zu senken. Letztlich hat sie auch die Preise für Gas und Strom gedeckelt. Auch Lettland hat wirtschaftsschwachen Haushalten eine Energiekostenpauschale von bis zu 20 Euro pro Monat gezahlt und die Netzentgelte gesenkt.
Litauen hat das größte Energiepaket der drei baltischen Staaten und das zweitgrößte der erfassten Staaten in Europa geschnürt. Etwa die Hälfte der gut zwei Milliarden Euro soll in direkte Entlastungen fließen. Mit der anderen Hälfte will die Regierungen Investitionen in die energetische Unabhängigkeit durch erneuerbare Energien fördern.
Ungarn
Ungarns Premierminister Viktor Orban hat kurz vor der Wahl im April eine ganze Reihe von Verbraucherpreisen gedeckelt, die Treibstoffpreise hatte er schon vergangenen Herbst eingefroren. Derlei Maßnahmen hebeln allerdings das volkswirtschaftlich wichtige Preissignal für Verbraucher völlig aus: Niemand schränkt seinen Konsum ein, obwohl ein Gut knapper wird.
Die Gewinneinbußen wegen steigender Einkaufspreise sind weitgehend das Problem der Tankstellen. Die Subvention von umgerechnet fünf Euro-Cent pro Liter, heißt es aus dem Branchenverband, sei völlig unzureichend, man rechne mit Schließungen und Insolvenzen.
Obwohl die staatlichen Finanzhilfen offenbar nicht reichen, heißt es bei der Nachrichtenagentur Reuters, könnten die Maßnahmen das Land rund fünf Milliarden Euro kosten.
Vereinigtes Königreich
Die Briten erleben die höchste Inflation seit 40 Jahren. Die Energie- und Treibstoffkosten sind auch hier ein wesentlicher Faktor - trotz eines seit vielen Jahren existierenden Preisdeckels. Diesen aber passt die Regulierungsbehörde Ofgem zweimal jährlich an die Marktbedingungen an, damit nur solide wirtschaftende Energieanbieter am Markt bleiben.
Im April hat sie den Deckel um sage und schreibe 54 Prozent angehoben - auf 1971 Pfund (ca. 2300 Euro). Der Betrag gilt pro Haushalt und Jahr für eine durchschnittliche Menge Gas und Strom. Im Oktober werden jedem Haushalt automatisch 200 Pfund von der Rechnung abgezogen werden. Die müssen aber über die fünf folgenden Jahre zurückgezahlt werden.
Wirklich entlastet werden nur Haushalte mit geringem Einkommen. Versorger sind verpflichtet, ihnen einen Rabatt von 140 Pfund auf die Jahresrechnung zu geben, der aus einem aus Gewinnen gespeisten Fonds gezahlt wird. Künftig sollen mehr Menschen davon profitieren, auch der Rabatt könnte steigen.
Zitat von Gast am 5. Juli 2022, 10:37 UhrEU-Milliarden für die Ukraine: Und was, wenn Oligarchen sie einfach klauen?
Was er von der Ukraine als EU-Beitrittskandidaten erwartet, gab auch Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung vom 22. Juni deutlich bekannt: Von „besonderer Bedeutung“ seien „Fragen der Rechtsstaatlichkeit“, darunter auch „der Kampf gegen die Korruption“. Kurz bekam die Ukraine in Brüssel den Kandidatenstatus für den EU-Beitritt.
Nun hat auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen betont, dass Kiew den Kampf gegen Korruption und gegen den Einfluss von Oligarchen verstärken müsse. Das Land habe zwar bereits Fortschritte erzielt, sagte die 63-Jährige am Freitag in einer Video-Ansprache vor dem Parlament in Kiew, aber die geschaffenen Institutionen bräuchten „Zähne und die richtigen Personen in leitenden Positionen“.
Von der Leyen könnte in diesen Tagen auf einer Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Lugano, Schweiz, dem vom Krieg verwüsteten Land eine Art Marshallplan in Höhe von 523 Milliarden Euro in Aussicht stellen, wie der Nachrichtendienst Bloomberg unter Verweis auf informierte Personen berichtet. An welche Bedingungen dieser Plan gebunden wird, bleibt noch unklar, aber es wäre dringend geboten. Denn wer garantiert sonst, dass die EU-Gelder wirklich in den akuten Wirtschaftssektoren ankommen und nicht in die Tasche von korrupten Beamten oder Oligarchen gehen?
Warum die Bundesregierung und die EU-Kommission gerade auf die Bekämpfung der Korruption so großen Wert legen, zeigt ein detaillierter Sonderbericht des EU-Rechnungshofes über die Ukraine aus dem Jahr 2021. Über den Bericht wurde rechtzeitig kaum berichtet, aber jetzt bekommt er mit der Vergabe des Kandidatenstatus an die Ukraine eine aktuelle Bedeutung.
Der „Sonderbericht 23“ mit dem Titel „Bekämpfung der Großkorruption in der Ukraine“ konstatiert, die Ukraine leide „seit vielen Jahren an Korruption, vor allem an Großkorruption“. Diese zeichne sich aus durch „Machtmissbrauch auf hoher Ebene, durch den sich wenige Personen auf Kosten der Allgemeinheit einen Vorteil verschaffen“. Diese Großkorruption, legt der EU-Rechnungshof nach, sei „für die Rechtstaatlichkeit und die wirtschaftliche Entwicklung in der Ukraine das Haupthindernis“.
Denn sie basiere in der Ukraine „auf informellen Verbindungen zwischen Regierungsbeamten, Parlamentsmitgliedern, Staatsanwälten, Strafverfolgungsbehörden“ und „Geschäftsführern von staatseigenen Unternehmen“. Betroffene Bereiche reichten von der Energiebranche über Maschinenbaubetriebe und Häfen bis in die Medien.
Der Auswärtige Dienst der EU und die EU-Kommission haben die Ukraine nach eigenen Worten in den vergangenen Jahren bei der Korruptionsbekämpfung unterstützt, doch Dutzende Milliarden Euro würden in der Ukraine nach wie vor jedes Jahr verloren gehen. Da die Reformhilfe der EU nicht konkret auf die Bekämpfung der Großkorruption ausgerichtet gewesen sei, habe sich die Überwachung ihrer Auswirkungen als schwierig erwiesen, stellen die Verfasser des Berichts fest. Oder war sie vielleicht wirkungslos?
Die 2016 mit EU-Unterstützung geschaffene ukrainische Antikorruptionsbehörde Nationales Antikorruptionsbüro (NABU) habe zwar „in der internationalen Gemeinschaft einen guten Ruf“, besänftigen die Verfasser des Berichts gleich die Kritiker. Bei Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht in staatseigenen Unternehmen sei die Zahl der laufenden Ermittlungen der Behörde etwa von 200 im Jahre 2016 auf 1000 im Jahre 2020 gestiegen. Dennoch, bedauern die EU-Rechnungsprüfer, komme es „nur vereinzelt zu Verurteilungen wegen Großkorruption.“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zieht allerdings eine andere Bilanz zum Antikorruptionskampf in seinem Land. In einem Interview wenige Monate vor Kriegsbeginn sagte er, die Ukraine habe „in den letzten Jahren eine Antikorruptionsinfrastruktur geschaffen, die beispiellos ist in Europa und vielleicht auf der ganzen Welt“. Die Ukraine, so Selenskyj, „lebt bereits mit europäischen Standards“.
Der Hintergrund für diese Aussagen ist die ukrainische Abwehr der massiven Moskauer Propaganda, die immer wieder versucht, die Ukraine als Hort der Korruption darzustellen. Dabei verfügt Russland nicht einmal über eine eigene Antikorruptionsbehörde wie die Ukraine. Mehr noch: Im Korruptionsindex von Transparency International liegt die Ukraine auf Rang 122 zwischen Niger und Sambia – aber noch vor Russland, das den Platz 136 besetzt.
Mit der Frage, wie glaubwürdig Selenskyjs Bekundungen zum Kampf gegen die Korruption sind, befasste sich die Ukraine-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Susan Stewart, im Oktober 2021 in einer Analyse. Stewart konstatiert einen „Reformstau“. Es sei „Selenskyj gelungen, während seiner Amtszeit die eigene Macht und die des Präsidentenbüros stetig auszubauen.“ Damit aber habe er „die Rolle von Institutionen in der Ukraine weiter geschwächt“.Die Glaubwürdigkeit Selenskyjs als Korruptionsbekämpfer war im Oktober vergangenen Jahres erschüttert worden. Dabei handelte es sich um das bis heute größte Daten-Leak über internationale Steueroasen, die Pandora Papers. Es wurde aufgedeckt, dass Selenskyj ebenso wie 38 andere ukrainische Politiker Geld auf Offshore-Konten versteckt hatte. Dabei ging es um ein Netzwerk von Offshore-Firmen auf Zypern, den Britischen Jungferninseln und in Belize. Mit dessen Hilfe wurden Gelder versteckt, die Selenskyjs TV-Produktionsfirma Kwartal 95 erwirtschaftet hatte. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei die Firma Maltex Multicapital Corporation. An ihr besaßen Selenskyj und seine Ehefrau Olena 25 Prozent der Anteile.
Beteiligt an den Offshore-Praktiken waren auch jetzige leitende Amtsträger in der Kiewer Präsidialverwaltung. Zu den ukrainischen Kapitaleignern, die Offshore-Gelder verbargen, gehört auch der Oligarch Ihor Kolomoisky. Der hatte Selenskyjs siegreichen Präsidentenwahlkampf 2019 maßgeblich unterstützt. Kritiker in der Ukraine warfen Selenskyj immer wieder eine Abhängigkeit von Kolomoisky vor.
Die Praxis der Offshore-Konten ist zwar nicht gesetzeswidrig. Dennoch befand sich der ukrainische Präsident damit schlechter Gesellschaft mit russischen Oligarchen und Figuren aus dem Umfeld des Kremlchefs Wladimir Putin, die ebenfalls in den Pandora-Papers aufgedeckte Finanzschlupflöcher nutzten. Noch im Präsidentenwahlkampf 2019 hatte Selenskyj als Herausforderer dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko vorgeworfen, Geld auf Offshore-Konten vor dem ukrainischen Fiskus verborgen zu haben. Nach den Enthüllungen sprach der in Kiew für deutsche Medien tätige Journalist Denis Trubetskoy von den „zwei Gesichtern des Wolodymyr Selenskyj“.
Dass ihm die Pandora-Affäre im Lande nicht nachhaltig schadete, ist eine Folge von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Krieg und der mit ihm verbundene breite Aufschwung des ukrainischen Patriotismus haben die Erinnerung an die Pandora-Papers verweht. Einige ukrainische Oligarchen haben das Land verlassen, der Wunsch von Millionen Ukrainern, schließlich der EU beizutreten, weckt große Hoffnungen auch auf eine Überwindung der Korruption.
Doch gerade der Krieg öffnet neue Tore für die Großkorruption. In der Situation einer unmittelbaren Bedrohung stehen zivile Kontrollmechanismen nicht im Mittelpunkt. Ein heikler Bereich ist die Beschaffung von Militärgütern und die Versorgung der Armee. Der staatlich organisierte Waffenhandel ist seit den 90er-Jahren sowohl in Russland als auch in der Ukraine eine von korrupten Seilschaften durchzogene Branche, die immer wieder für Skandale sorgte. In den letzten Jahren gab es im ukrainischen Verteidigungssektor mehrfach Korruptionsskandale. Der größte von ihnen betraf einen hohen Amtsträger.
Am 17. Oktober 2019 wurde zum Beispiel der ehemalige Vize des Nationalen Verteidigungsrates, Oleg Gladkowski, am Kiewer Flughafen wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet. Gladkowski, ein enger Vertrauter des 2019 abgewählten Präsidenten Petro Poroschenko, hatte versucht, das Land zu verlassen. Die Ermittler verdächtigten ihn des Amtsmissbrauches, falscher Angaben gegenüber dem Finanzamt und Gesetzesverstößen bei Beschaffungen für das Militär. Doch bereits vier Tage später war er gegen Kaution wieder frei. Verurteilt wurde er nicht.
Die unter Selenskyj eingesetzte neue Militärführung wendet sich zwar mit scharfer Rhetorik gegen die Korruption im Militär. Der Oberkommandierende der Streitkräfte der Ukraine, Walerij Saluschnyj, spricht von „null Toleranz“ und nennt zugleich die korruptionsanfälligen Bereiche: Logistik, die höhere Militärausbildung und die Beschaffung von Versorgungsgütern. Wie ernst die Lage seit Jahren ist, bekannte der jetzige Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates und damalige Finanzminister Oleksandr Danyliuk bei der Organisation Chatham House in London am 5. Juli 2017. Die Verteidigungsausgaben in der Ukraine, so Danyliuk, seien „völlig intransparent“. Das betraf konkret die Ära Poroschenko. Doch im Kern dürfte sich in diesem Bereich bis heute nichts geändert haben.
Maßgeblichen Einfluss darauf, ob und wie die Ukraine ihre Korruptionsprobleme überwindet, hat die Politik der USA, des stärksten Unterstützers der Ukraine. Präsident Joe Biden rief bereits als Vizepräsident im April 2014 bei einem Besuch in Kiew die ukrainische Gesellschaft dazu auf, den „Krebsschaden“ der „endemischen Korruption“ zu bekämpfen. Kurz danach, am 12. Mai 2014, gab der in der Ukraine tätige Energiekonzern Burisma Holdings bekannt, dass Hunter Biden, Sohn von Joe Biden, in den Vorstand des Unternehmens berufen werde.
Burisma Holdings mit dem Sitz in Limassol auf Zypern ist im Besitz einer zypriotischen Investmentfirma, die der ukrainische Oligarch Mikola Slotschewskyj kontrolliert. Slotschewskyj war unter dem korrupten, im Februar durch den Maidan-Aufstand gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowytsch zunächst Umweltminister und dann stellvertretender Chef des Sicherheitsrates. Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine verdächtigte Slotschewskyj, er habe als Beamter der eigenen Firma Vorteile in Form von Explorationslizenzen verschafft. Doch Slotschewskyj wurde von einem Gericht freigesprochen, was zu Protesten von Antikorruptionsaktivisten führte.
Gegen Hunter Biden wurde auch später nicht ermittelt. Doch er bewegte sich durch seinen Posten bei Burisma in einem „für jede Reputation toxischen Umfeld“, wie der Spiegel 2019 monierte. Denn die Firma, deren Vorstand Hunter Biden angehörte, agierte in einem für die Vor-Maidan-Ukraine typischen Oligarchenmilieu. Nach amerikanischen Presseberichten erhielt Hunter Biden, der keinerlei Qualifikation für die Energiebranche hat, bei Burisma eine monatliche Bezahlung von bis zu 50.000 US-Dollar. Seine Tätigkeit für Burisma endete im April 2019. Die Annahme, dass er mit seinem Vater darüber nie sprach, widerspricht jeder politischen und menschlichen Erfahrung. Denn Hunter Biden bewegte sich im politischen Windschatten von Joe Biden, der als Vizepräsident mehrfach die Ukraine besuchte und Kontakte zu deren Führung pflegte.
Belegt ist, dass Joe Biden dafür sorgte, dass der damalige Generalstaatsanwalt der Ukraine, Wiktor Schokin, im April 2016 durch den damaligen Präsidenten Poroschenko entlassen wurde. Denn Schokin hatte gegen Burisma ermittelt. Joe Biden bekannte in einer Diskussion des Council on Foreign Relations in den USA am 23. Januar 2018, dass er Poroschenko und den ukrainischen Premierminister Arsenij Yazeniuk erfolgreich gedrängt habe, Schokin zu entlassen.
Biden hat ihm nach eigenen Worten sogar gedroht: „Wir werden Ihnen die Milliarde nicht geben.“ Es ging um Hilfsgelder für die Ukraine in Höhe von einer Milliarde Dollar. Biden sagte, er habe den Präsidenten und den Premierminister der Ukraine angesehen und ihnen gesagt: „Ich gehe in sechs Stunden. Wenn der Staatsanwalt dann nicht gefeuert ist, kriegt ihr das Geld nicht.“
Die Generalstaatsanwalt, der gegen Burisma ermittelte, wurde so entlassen. Die Ukraine bekam ihre Milliarde. Ein Beitrag zur Überwindung der selektiven Korruptionsbekämpfung in der Ukraine war dieses Vorgehen aber kaum.
Nun ist es an der EU, die Milliarden für die Nachkriegs-Ukraine ebenfalls an klare Bedingungen und Gegenleistungen zu binden, zum Beispiel eine bessere und glaubwürdigere Bekämpfung der Korruption. Aber nicht wie Joe Biden es vor Jahren machte, den Geschäften des eigenen Sohnes zuliebe.
EU-Milliarden für die Ukraine: Und was, wenn Oligarchen sie einfach klauen?
Was er von der Ukraine als EU-Beitrittskandidaten erwartet, gab auch Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung vom 22. Juni deutlich bekannt: Von „besonderer Bedeutung“ seien „Fragen der Rechtsstaatlichkeit“, darunter auch „der Kampf gegen die Korruption“. Kurz bekam die Ukraine in Brüssel den Kandidatenstatus für den EU-Beitritt.
Nun hat auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen betont, dass Kiew den Kampf gegen Korruption und gegen den Einfluss von Oligarchen verstärken müsse. Das Land habe zwar bereits Fortschritte erzielt, sagte die 63-Jährige am Freitag in einer Video-Ansprache vor dem Parlament in Kiew, aber die geschaffenen Institutionen bräuchten „Zähne und die richtigen Personen in leitenden Positionen“.
Von der Leyen könnte in diesen Tagen auf einer Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Lugano, Schweiz, dem vom Krieg verwüsteten Land eine Art Marshallplan in Höhe von 523 Milliarden Euro in Aussicht stellen, wie der Nachrichtendienst Bloomberg unter Verweis auf informierte Personen berichtet. An welche Bedingungen dieser Plan gebunden wird, bleibt noch unklar, aber es wäre dringend geboten. Denn wer garantiert sonst, dass die EU-Gelder wirklich in den akuten Wirtschaftssektoren ankommen und nicht in die Tasche von korrupten Beamten oder Oligarchen gehen?
Warum die Bundesregierung und die EU-Kommission gerade auf die Bekämpfung der Korruption so großen Wert legen, zeigt ein detaillierter Sonderbericht des EU-Rechnungshofes über die Ukraine aus dem Jahr 2021. Über den Bericht wurde rechtzeitig kaum berichtet, aber jetzt bekommt er mit der Vergabe des Kandidatenstatus an die Ukraine eine aktuelle Bedeutung.
Der „Sonderbericht 23“ mit dem Titel „Bekämpfung der Großkorruption in der Ukraine“ konstatiert, die Ukraine leide „seit vielen Jahren an Korruption, vor allem an Großkorruption“. Diese zeichne sich aus durch „Machtmissbrauch auf hoher Ebene, durch den sich wenige Personen auf Kosten der Allgemeinheit einen Vorteil verschaffen“. Diese Großkorruption, legt der EU-Rechnungshof nach, sei „für die Rechtstaatlichkeit und die wirtschaftliche Entwicklung in der Ukraine das Haupthindernis“.
Denn sie basiere in der Ukraine „auf informellen Verbindungen zwischen Regierungsbeamten, Parlamentsmitgliedern, Staatsanwälten, Strafverfolgungsbehörden“ und „Geschäftsführern von staatseigenen Unternehmen“. Betroffene Bereiche reichten von der Energiebranche über Maschinenbaubetriebe und Häfen bis in die Medien.
Der Auswärtige Dienst der EU und die EU-Kommission haben die Ukraine nach eigenen Worten in den vergangenen Jahren bei der Korruptionsbekämpfung unterstützt, doch Dutzende Milliarden Euro würden in der Ukraine nach wie vor jedes Jahr verloren gehen. Da die Reformhilfe der EU nicht konkret auf die Bekämpfung der Großkorruption ausgerichtet gewesen sei, habe sich die Überwachung ihrer Auswirkungen als schwierig erwiesen, stellen die Verfasser des Berichts fest. Oder war sie vielleicht wirkungslos?
Die 2016 mit EU-Unterstützung geschaffene ukrainische Antikorruptionsbehörde Nationales Antikorruptionsbüro (NABU) habe zwar „in der internationalen Gemeinschaft einen guten Ruf“, besänftigen die Verfasser des Berichts gleich die Kritiker. Bei Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht in staatseigenen Unternehmen sei die Zahl der laufenden Ermittlungen der Behörde etwa von 200 im Jahre 2016 auf 1000 im Jahre 2020 gestiegen. Dennoch, bedauern die EU-Rechnungsprüfer, komme es „nur vereinzelt zu Verurteilungen wegen Großkorruption.“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zieht allerdings eine andere Bilanz zum Antikorruptionskampf in seinem Land. In einem Interview wenige Monate vor Kriegsbeginn sagte er, die Ukraine habe „in den letzten Jahren eine Antikorruptionsinfrastruktur geschaffen, die beispiellos ist in Europa und vielleicht auf der ganzen Welt“. Die Ukraine, so Selenskyj, „lebt bereits mit europäischen Standards“.
Der Hintergrund für diese Aussagen ist die ukrainische Abwehr der massiven Moskauer Propaganda, die immer wieder versucht, die Ukraine als Hort der Korruption darzustellen. Dabei verfügt Russland nicht einmal über eine eigene Antikorruptionsbehörde wie die Ukraine. Mehr noch: Im Korruptionsindex von Transparency International liegt die Ukraine auf Rang 122 zwischen Niger und Sambia – aber noch vor Russland, das den Platz 136 besetzt.
Die Glaubwürdigkeit Selenskyjs als Korruptionsbekämpfer war im Oktober vergangenen Jahres erschüttert worden. Dabei handelte es sich um das bis heute größte Daten-Leak über internationale Steueroasen, die Pandora Papers. Es wurde aufgedeckt, dass Selenskyj ebenso wie 38 andere ukrainische Politiker Geld auf Offshore-Konten versteckt hatte. Dabei ging es um ein Netzwerk von Offshore-Firmen auf Zypern, den Britischen Jungferninseln und in Belize. Mit dessen Hilfe wurden Gelder versteckt, die Selenskyjs TV-Produktionsfirma Kwartal 95 erwirtschaftet hatte. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei die Firma Maltex Multicapital Corporation. An ihr besaßen Selenskyj und seine Ehefrau Olena 25 Prozent der Anteile.
Beteiligt an den Offshore-Praktiken waren auch jetzige leitende Amtsträger in der Kiewer Präsidialverwaltung. Zu den ukrainischen Kapitaleignern, die Offshore-Gelder verbargen, gehört auch der Oligarch Ihor Kolomoisky. Der hatte Selenskyjs siegreichen Präsidentenwahlkampf 2019 maßgeblich unterstützt. Kritiker in der Ukraine warfen Selenskyj immer wieder eine Abhängigkeit von Kolomoisky vor.
Die Praxis der Offshore-Konten ist zwar nicht gesetzeswidrig. Dennoch befand sich der ukrainische Präsident damit schlechter Gesellschaft mit russischen Oligarchen und Figuren aus dem Umfeld des Kremlchefs Wladimir Putin, die ebenfalls in den Pandora-Papers aufgedeckte Finanzschlupflöcher nutzten. Noch im Präsidentenwahlkampf 2019 hatte Selenskyj als Herausforderer dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko vorgeworfen, Geld auf Offshore-Konten vor dem ukrainischen Fiskus verborgen zu haben. Nach den Enthüllungen sprach der in Kiew für deutsche Medien tätige Journalist Denis Trubetskoy von den „zwei Gesichtern des Wolodymyr Selenskyj“.
Dass ihm die Pandora-Affäre im Lande nicht nachhaltig schadete, ist eine Folge von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Krieg und der mit ihm verbundene breite Aufschwung des ukrainischen Patriotismus haben die Erinnerung an die Pandora-Papers verweht. Einige ukrainische Oligarchen haben das Land verlassen, der Wunsch von Millionen Ukrainern, schließlich der EU beizutreten, weckt große Hoffnungen auch auf eine Überwindung der Korruption.
Doch gerade der Krieg öffnet neue Tore für die Großkorruption. In der Situation einer unmittelbaren Bedrohung stehen zivile Kontrollmechanismen nicht im Mittelpunkt. Ein heikler Bereich ist die Beschaffung von Militärgütern und die Versorgung der Armee. Der staatlich organisierte Waffenhandel ist seit den 90er-Jahren sowohl in Russland als auch in der Ukraine eine von korrupten Seilschaften durchzogene Branche, die immer wieder für Skandale sorgte. In den letzten Jahren gab es im ukrainischen Verteidigungssektor mehrfach Korruptionsskandale. Der größte von ihnen betraf einen hohen Amtsträger.
Am 17. Oktober 2019 wurde zum Beispiel der ehemalige Vize des Nationalen Verteidigungsrates, Oleg Gladkowski, am Kiewer Flughafen wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet. Gladkowski, ein enger Vertrauter des 2019 abgewählten Präsidenten Petro Poroschenko, hatte versucht, das Land zu verlassen. Die Ermittler verdächtigten ihn des Amtsmissbrauches, falscher Angaben gegenüber dem Finanzamt und Gesetzesverstößen bei Beschaffungen für das Militär. Doch bereits vier Tage später war er gegen Kaution wieder frei. Verurteilt wurde er nicht.
Die unter Selenskyj eingesetzte neue Militärführung wendet sich zwar mit scharfer Rhetorik gegen die Korruption im Militär. Der Oberkommandierende der Streitkräfte der Ukraine, Walerij Saluschnyj, spricht von „null Toleranz“ und nennt zugleich die korruptionsanfälligen Bereiche: Logistik, die höhere Militärausbildung und die Beschaffung von Versorgungsgütern. Wie ernst die Lage seit Jahren ist, bekannte der jetzige Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates und damalige Finanzminister Oleksandr Danyliuk bei der Organisation Chatham House in London am 5. Juli 2017. Die Verteidigungsausgaben in der Ukraine, so Danyliuk, seien „völlig intransparent“. Das betraf konkret die Ära Poroschenko. Doch im Kern dürfte sich in diesem Bereich bis heute nichts geändert haben.
Maßgeblichen Einfluss darauf, ob und wie die Ukraine ihre Korruptionsprobleme überwindet, hat die Politik der USA, des stärksten Unterstützers der Ukraine. Präsident Joe Biden rief bereits als Vizepräsident im April 2014 bei einem Besuch in Kiew die ukrainische Gesellschaft dazu auf, den „Krebsschaden“ der „endemischen Korruption“ zu bekämpfen. Kurz danach, am 12. Mai 2014, gab der in der Ukraine tätige Energiekonzern Burisma Holdings bekannt, dass Hunter Biden, Sohn von Joe Biden, in den Vorstand des Unternehmens berufen werde.
Burisma Holdings mit dem Sitz in Limassol auf Zypern ist im Besitz einer zypriotischen Investmentfirma, die der ukrainische Oligarch Mikola Slotschewskyj kontrolliert. Slotschewskyj war unter dem korrupten, im Februar durch den Maidan-Aufstand gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowytsch zunächst Umweltminister und dann stellvertretender Chef des Sicherheitsrates. Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine verdächtigte Slotschewskyj, er habe als Beamter der eigenen Firma Vorteile in Form von Explorationslizenzen verschafft. Doch Slotschewskyj wurde von einem Gericht freigesprochen, was zu Protesten von Antikorruptionsaktivisten führte.
Gegen Hunter Biden wurde auch später nicht ermittelt. Doch er bewegte sich durch seinen Posten bei Burisma in einem „für jede Reputation toxischen Umfeld“, wie der Spiegel 2019 monierte. Denn die Firma, deren Vorstand Hunter Biden angehörte, agierte in einem für die Vor-Maidan-Ukraine typischen Oligarchenmilieu. Nach amerikanischen Presseberichten erhielt Hunter Biden, der keinerlei Qualifikation für die Energiebranche hat, bei Burisma eine monatliche Bezahlung von bis zu 50.000 US-Dollar. Seine Tätigkeit für Burisma endete im April 2019. Die Annahme, dass er mit seinem Vater darüber nie sprach, widerspricht jeder politischen und menschlichen Erfahrung. Denn Hunter Biden bewegte sich im politischen Windschatten von Joe Biden, der als Vizepräsident mehrfach die Ukraine besuchte und Kontakte zu deren Führung pflegte.
Belegt ist, dass Joe Biden dafür sorgte, dass der damalige Generalstaatsanwalt der Ukraine, Wiktor Schokin, im April 2016 durch den damaligen Präsidenten Poroschenko entlassen wurde. Denn Schokin hatte gegen Burisma ermittelt. Joe Biden bekannte in einer Diskussion des Council on Foreign Relations in den USA am 23. Januar 2018, dass er Poroschenko und den ukrainischen Premierminister Arsenij Yazeniuk erfolgreich gedrängt habe, Schokin zu entlassen.
Biden hat ihm nach eigenen Worten sogar gedroht: „Wir werden Ihnen die Milliarde nicht geben.“ Es ging um Hilfsgelder für die Ukraine in Höhe von einer Milliarde Dollar. Biden sagte, er habe den Präsidenten und den Premierminister der Ukraine angesehen und ihnen gesagt: „Ich gehe in sechs Stunden. Wenn der Staatsanwalt dann nicht gefeuert ist, kriegt ihr das Geld nicht.“
Die Generalstaatsanwalt, der gegen Burisma ermittelte, wurde so entlassen. Die Ukraine bekam ihre Milliarde. Ein Beitrag zur Überwindung der selektiven Korruptionsbekämpfung in der Ukraine war dieses Vorgehen aber kaum.
Nun ist es an der EU, die Milliarden für die Nachkriegs-Ukraine ebenfalls an klare Bedingungen und Gegenleistungen zu binden, zum Beispiel eine bessere und glaubwürdigere Bekämpfung der Korruption. Aber nicht wie Joe Biden es vor Jahren machte, den Geschäften des eigenen Sohnes zuliebe.
Zitat von Gast am 11. Juli 2022, 09:18 UhrWie wird ein Demokrat zum Diktator? – György Dalos’ analysiert Viktor Orbans Ungarn
György Dalos ist kein Freund von Viktor Orbán. Dazu hat er allen Grund. Als Intellektueller fühlt er sich von Orbáns Politik direkt angegriffen. In einer Brandrede kurz vor seinem Erdrutschsieg 2010 benannte der Fidesz-Parteichef seine Feinde, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Die Kulturschaffenden hätten sich mit ihrer sozialliberalen Werteordnung vollkommen diskreditiert: «Die Schriftsteller sind der Meinung, trotz allem gute Romane geschrieben zu haben. Als massgebliche Elite haben sie allerdings abgewirtschaftet.» Nun gehe es darum, eine auf ständiges Regieren ausgerichtete Politik durchzusetzen. Die nationalen Angelegenheiten müssten in einem grossen, zentralen Kraftfeld entschieden werden, das ohne lästige Diskussionen auskomme.
Der Plan ging auf: Fidesz konnte von der eklatanten Schwäche der sozialliberalen Regierung profitieren, nachdem Ministerpräsident Gyurcsány sich in einer geleakten Rede offen damit gebrüstet hatte, seine Wählerschaft belogen zu haben. Orbán erklärte seinen Wahlsieg zur «Revolution» und gab dem Land eine neue Verfassung, die ihre nationalistische Ausrichtung bereits im Titel trägt: Der offizielle Staatsname lautet seit 2012 nicht mehr «Republik Ungarn», sondern «Ungarn». Orbán verfolgt eine revisionistische Politik und betrachtet auch die zahlreichen ethnischen Ungarn ausserhalb der Staatsgrenzen als potenzielle Wähler. Seine Verve geht so weit, dass er seinem Redenschreiber sogar verbietet, Ungarn als «kleines Land» zu bezeichnen.
Revisionistische Politik
Skrupellos baut Orbán seither Politik, Wirtschaft und Medien nach seinen Vorstellungen um. Der ehemalige Kulturminister Bálint Magyar bezeichnet Ungarn heute als «Mafiastaat», in dem alle Institutionen vom Verfassungsgericht über den Rechnungshof bis zur Nachrichtenagentur die Linie der Regierung verträten. Er verortet das «System Orbán» in einem Niemandsland zwischen Diktatur und Demokratie. Die Regierung könne auf den Rückhalt in der Mehrheit der Bevölkerung zählen. Gleichzeitig lasse sie Kritik in sorgfältig eingehegten Foren zu. Dazu gehören etwa die sozialen Netzwerke, die in Ungarn als «Kommunikationswuträume» funktionieren.
Dalos legt einen kenntnisreichen, etwas geschwätzigen und nicht immer überzeugend gegliederten Überblick über das «System Orbán» vor. In einem Kapitel, das seltsamerweise den Abschluss des Buches bildet, zeichnet er den aufhaltsamen Aufstieg des Viktor Orbán nach. Bereits 1988 gründete der geschickte Machtpolitiker die Fidesz-Partei, die sich für ein «demokratisches Ungarn», für eine staatlich-private «gemischte Wirtschaft» und ein «blockfreies Europa» einsetzen wollte. Ein Jahr später forderte Orbán in einer ebenso mutigen wie machiavellistischen Rede am Jahrestag der Hinrichtung von Imre Nagy den Abzug der Roten Armee aus Ungarn. Überlebende Zeugen des niedergeschlagenen Aufstandes von 1956 kritisierten Orbán später für diesen Auftritt: «Er allein war unter uns der Politiker, und wir waren die erschütterten Teilnehmer.» Zu dieser Zeit war Orbán bereits Stipendiat der Soros Foundation, die ihm eine Studienreise nach Oxford ermöglichte.Orbán hat sich von einem überzeugten Liberalen zu einem autoritären Herrscher gewandelt, der seine Partei mit eiserner Faust regiert. Dalos bezeichnet Fidesz als «homogene Organisation mit Führerprinzip». Es gebe kaum interne Diskussionen. Auch das Gespräch mit anderen Parteien werde grundsätzlich verweigert. Orbán treffe alle wichtigen Personalentscheidungen selbst. Er verbanne Abweichler im besten Fall nach Brüssel oder sonst nach Debrecen oder Hódmezővásárhely.
Im Zug seiner Selbstradikalisierung hat Orbán auch seinen ehemaligen Gönner fallengelassen. Mittlerweile gilt George Soros in Ungarn als Staatsfeind Nr. 1. Im Zuge der Flüchtlingskrise gab die Regierung Orbán der angeblichen Bedrohung für die ungarische Nation ein Gesicht: Auf zahlreichen Plakatwänden prangte Soros’ Konterfei, er wurde als Handlanger fremder Mächte diffamiert.
Interessante Schlaglichter, aber unausgewogene Auswahl
Dalos zeichnet in Einzelstudien nach, mit welchen Tricks sich das «System Orbán» im öffentlichen Leben durchsetzt. Unter dem Deckmantel des Jugendschutzes wurde der Tabakhandel in ein nationales Monopol übergeführt. Die willkürliche Vergabe von Verkaufslizenzen trieb viele traditionelle Kioske in den Ruin. Wichtiger noch sind die Umwälzungen im Printsektor. Oppositionelle Zeitungen wechselten unter dubiosen Umständen den Eigentümer. Sie stellten ihr Erscheinen entweder ein oder passten ihren Inhalt der Regierungslinie an.
Schliesslich kritisiert Dalos die staatliche Hochschulpolitik. Die von Soros finanzierte Central European University (CEU) wurde aus Budapest nach Wien vertrieben. Eine unter Druck der EU erfolgte Rücknahme der «Lex CEU» kam zu spät. Gleichzeitig schloss die Regierung eine «strategische Vereinbarung» mit der chinesischen Fudan-Universität, die einen überdimensionierten Campus in Budapest errichten soll.
Dalos wirft interessante Schlaglichter, allerdings bleibt die Auswahl der Themen unausgewogen. Es gibt zwar eigene Kapitel über das Verhältnis zur Türkei und zum Judentum, aber kaum Erklärungen über Orbáns eigentümliche Faszination für Putins Russland oder über die Rolle von Katholizismus und Protestantismus in Ungarn.
Immerhin beweist Dalos Humor für die Bewältigungsstrategien einzelner Bürger gegen das «System Orbán». So freut er sich über die Gründung der «Partei des Hundes mit zwei Schwänzen», die ihren Wählern Freibier oder das ewige Leben verspricht und die Einführung des Forint in ganz Europa fordert.
Wie wird ein Demokrat zum Diktator? – György Dalos’ analysiert Viktor Orbans Ungarn
György Dalos ist kein Freund von Viktor Orbán. Dazu hat er allen Grund. Als Intellektueller fühlt er sich von Orbáns Politik direkt angegriffen. In einer Brandrede kurz vor seinem Erdrutschsieg 2010 benannte der Fidesz-Parteichef seine Feinde, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Die Kulturschaffenden hätten sich mit ihrer sozialliberalen Werteordnung vollkommen diskreditiert: «Die Schriftsteller sind der Meinung, trotz allem gute Romane geschrieben zu haben. Als massgebliche Elite haben sie allerdings abgewirtschaftet.» Nun gehe es darum, eine auf ständiges Regieren ausgerichtete Politik durchzusetzen. Die nationalen Angelegenheiten müssten in einem grossen, zentralen Kraftfeld entschieden werden, das ohne lästige Diskussionen auskomme.
Der Plan ging auf: Fidesz konnte von der eklatanten Schwäche der sozialliberalen Regierung profitieren, nachdem Ministerpräsident Gyurcsány sich in einer geleakten Rede offen damit gebrüstet hatte, seine Wählerschaft belogen zu haben. Orbán erklärte seinen Wahlsieg zur «Revolution» und gab dem Land eine neue Verfassung, die ihre nationalistische Ausrichtung bereits im Titel trägt: Der offizielle Staatsname lautet seit 2012 nicht mehr «Republik Ungarn», sondern «Ungarn». Orbán verfolgt eine revisionistische Politik und betrachtet auch die zahlreichen ethnischen Ungarn ausserhalb der Staatsgrenzen als potenzielle Wähler. Seine Verve geht so weit, dass er seinem Redenschreiber sogar verbietet, Ungarn als «kleines Land» zu bezeichnen.
Revisionistische Politik
Skrupellos baut Orbán seither Politik, Wirtschaft und Medien nach seinen Vorstellungen um. Der ehemalige Kulturminister Bálint Magyar bezeichnet Ungarn heute als «Mafiastaat», in dem alle Institutionen vom Verfassungsgericht über den Rechnungshof bis zur Nachrichtenagentur die Linie der Regierung verträten. Er verortet das «System Orbán» in einem Niemandsland zwischen Diktatur und Demokratie. Die Regierung könne auf den Rückhalt in der Mehrheit der Bevölkerung zählen. Gleichzeitig lasse sie Kritik in sorgfältig eingehegten Foren zu. Dazu gehören etwa die sozialen Netzwerke, die in Ungarn als «Kommunikationswuträume» funktionieren.
Orbán hat sich von einem überzeugten Liberalen zu einem autoritären Herrscher gewandelt, der seine Partei mit eiserner Faust regiert. Dalos bezeichnet Fidesz als «homogene Organisation mit Führerprinzip». Es gebe kaum interne Diskussionen. Auch das Gespräch mit anderen Parteien werde grundsätzlich verweigert. Orbán treffe alle wichtigen Personalentscheidungen selbst. Er verbanne Abweichler im besten Fall nach Brüssel oder sonst nach Debrecen oder Hódmezővásárhely.
Im Zug seiner Selbstradikalisierung hat Orbán auch seinen ehemaligen Gönner fallengelassen. Mittlerweile gilt George Soros in Ungarn als Staatsfeind Nr. 1. Im Zuge der Flüchtlingskrise gab die Regierung Orbán der angeblichen Bedrohung für die ungarische Nation ein Gesicht: Auf zahlreichen Plakatwänden prangte Soros’ Konterfei, er wurde als Handlanger fremder Mächte diffamiert.
Interessante Schlaglichter, aber unausgewogene Auswahl
Dalos zeichnet in Einzelstudien nach, mit welchen Tricks sich das «System Orbán» im öffentlichen Leben durchsetzt. Unter dem Deckmantel des Jugendschutzes wurde der Tabakhandel in ein nationales Monopol übergeführt. Die willkürliche Vergabe von Verkaufslizenzen trieb viele traditionelle Kioske in den Ruin. Wichtiger noch sind die Umwälzungen im Printsektor. Oppositionelle Zeitungen wechselten unter dubiosen Umständen den Eigentümer. Sie stellten ihr Erscheinen entweder ein oder passten ihren Inhalt der Regierungslinie an.
Schliesslich kritisiert Dalos die staatliche Hochschulpolitik. Die von Soros finanzierte Central European University (CEU) wurde aus Budapest nach Wien vertrieben. Eine unter Druck der EU erfolgte Rücknahme der «Lex CEU» kam zu spät. Gleichzeitig schloss die Regierung eine «strategische Vereinbarung» mit der chinesischen Fudan-Universität, die einen überdimensionierten Campus in Budapest errichten soll.
Dalos wirft interessante Schlaglichter, allerdings bleibt die Auswahl der Themen unausgewogen. Es gibt zwar eigene Kapitel über das Verhältnis zur Türkei und zum Judentum, aber kaum Erklärungen über Orbáns eigentümliche Faszination für Putins Russland oder über die Rolle von Katholizismus und Protestantismus in Ungarn.
Immerhin beweist Dalos Humor für die Bewältigungsstrategien einzelner Bürger gegen das «System Orbán». So freut er sich über die Gründung der «Partei des Hundes mit zwei Schwänzen», die ihren Wählern Freibier oder das ewige Leben verspricht und die Einführung des Forint in ganz Europa fordert.
Zitat von Gast am 13. Juli 2022, 10:22 UhrGriechenland und Türkei: "Wir werden uns nicht absurden türkischen Ansprüchen beugen"
Rhodos, Kreta, Kos – plötzlich türkisch? Griechenlands Vizeaußenminister Varvitsiotis warnt vor türkischen Großmachtfantasien und vor deutschen Waffen für die Türkei.
Miltiadis Varvitsiotis wurde 1969 in Athen geboren und ist Rechtsanwalt am Obersten Gerichtshof in Griechenland. Von 2013 bis 2015 war er Minister für Schifffahrt und die Ägäis. Seit Juli 2019 ist er Griechenlands stellvertretender Außenminister für europäische Angelegenheiten.
ZEIT ONLINE: Herr Varvitsiotis, wie groß ist die Gefahr eines echten militärischen Konflikts mit der Türkei um die griechischen Inseln?
Miltiadis Varvitsiotis: Die Türkei hat ihre aggressive Rhetorik gegenüber unserem Land verschärft und ihre Gebietsansprüche im Ägäischen Meer stark ausgeweitet. Bis zum Jahr 2020 gab es den Anspruch, ihre ausschließliche Wirtschaftszone im Mittelmeer auszuweiten und damit das Recht zu bekommen zur Nutzung von Bodenschätzen und zum Fischfang. Seit 2021 aber spricht die Türkei oft vom Mavi Vatan, also der sogenannten Blauen Heimat oder der Meeresheimat. Sie wissen, dass die Regierung in Ankara behauptet, dass die Hälfte des Ägäischen Meeres ihr gehöre und dass viele unserer Inseln ihr und nicht Griechenland gehörten. Diese Ansichten sind allerdings geschichtswidrig und inakzeptabel.
ZEIT ONLINE: Ein Argument der Türkei ist, dass es laut internationalen Verträgen keine griechische Militärpräsenz auf bestimmten Inseln vor ihrer Küste geben dürfe. Was sagen Sie dazu?
Varvitsiotis: Definitiv befindet sich auf diesen Inseln unser Militär. Es könnte nicht anders sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir auf der anderen Seite des Meeres die türkischen Streitkräfte vor uns haben, das heißt mehr als eine halbe Million Soldaten. Diese Zahl ist weiterhin so hoch trotz aller anderen Aktivitäten des türkischen Militärs – ob im Irak oder Syrien oder wo auch immer sie in den vergangenen Jahren aktiv waren.
ZEIT ONLINE: Welche Erklärung haben Sie dafür, dass die Türkei ihre Rhetorik derartig verändert hat?
Varvitsiotis: Zweifellos spielt die politische Zukunft des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan eine wichtige Rolle, der im kommenden Jahr eine Wiederwahl anstrebt. Gegen Griechenland zu wettern, ist ein beliebtes Motiv von vielen türkischen Politikern. Bemerkenswert ist aber auch, dass die heutige Türkei das Erbe des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk umgestalten möchte. Ich erinnere daran, dass dazu der Vertrag von Lausanne von 1923 gehört, in dem die modernen Grenzen der Türkei festgelegt wurden. Die heutige Regierung in Ankara scheint leider zu glauben, dass die Türkei nicht in ihren bestehenden Grenzen existieren könne. Mit dieser revisionistischen Agenda nimmt jedoch Erdoğan die gesamte türkische Politik in Geiselhaft.
ZEIT ONLINE: Ist das innenpolitisches Theater im Wahlkampf oder eine echte Gefahr?
Varvitsiotis: Man darf nicht vergessen, dass die Türkei in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von militärischen Operationen ausgeführt hat. In Syrien kontrolliert sie nun eine etwa 100 Kilometer weite Zone des Landes im Norden. Im Kurdengebiet des Nordiraks hat die Türkei einen sehr intensiven Einsatz durchgeführt und Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht. Die Türkei ist militärisch engagiert in Somalia, in Libyen und im Kaukasus. Außerdem möchte ich Sie daran erinnern, dass sie einen Flugzeugträger bauen. Der ist nicht dazu gedacht, ihn im Mittelmeer einzusetzen, sondern um militärische Stärke ausdrücklich zu demonstrieren. Das alles bereitet Sorge, sowohl auf EU- als auch auf Nato-Ebene.
ZEIT ONLINE: Was müsste geschehen, damit dieser Konflikt mit der Türkei in einen echten Krieg mit Griechenland mündet?
Varvitsiotis: Es hängt ausschließlich davon ab, wie sich die Türkei verhält. Wir wollen diesen Kampf nicht. Wir werden nichts unternehmen, was einen Krieg provozieren könnte. Seien Sie sich aber sicher, dass wir uns verteidigen werden, wann immer es nötig ist. Und vor allem werden wir uns nicht irgendwelchen absurden türkischen Ansprüchen beugen. Ich werde auch nicht die Türkei um Erlaubnis bitten, um eine unserer Inseln zu besuchen. Das klingt wie ein Witz, aber es ist Realität. Es gibt viele Beschwerden türkischer Offizieller, weil griechische Minister zu griechischen Inseln nahe unseren östlichen Grenzen fahren. Sogar unserer Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou haben sie das vorgeworfen. Es ist absolut absurd und inakzeptabel.
ZEIT ONLINE: Wie reagieren Sie auf dieses Verhalten?
Varvitsiotis: Zunächst versuchen wir, die ausländischen Regierungen darauf aufmerksam zu machen und das Interesse der internationalen Öffentlichkeit für dieses provokative Verhalten Ankaras zu wecken, das mit guten Nachbarschaftsbeziehungen inkompatibel ist. Darüber hinaus haben wir dieses Jahr die Rüstungsausgaben gesteigert, das Budget wird bei fast vier Prozent unserer Wirtschaftsleistung liegen. Trotzdem versuchen wir, die Gesprächskanäle mit der Türkei offenzuhalten. Ich möchte daran erinnern, dass sich vor drei Monaten der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis mit Präsident Erdoğan getroffen hat, einige Wochen später aber hat Erdoğan gesagt, er würde nie mehr mit ihm sprechen. Wir folgen diesem Vorgehen der Spannung nicht, sondern halten die Tür für einen Dialog offen, ohne Rabatt auf unsere territoriale Souveränität.
ZEIT ONLINE: Können Sie auf die Forderungen eingehen, das griechische Militär von den Inseln abzuziehen?
Varvitsiotis: Nein. Ich möchte auf einen Spruch verweisen: Ich werde meinen Hund nicht umbringen, nur weil der Nachbar über meinen Rasen laufen möchte.
ZEIT ONLINE: Griechenland versucht zu verhindern, dass die Türkei neue F16-Kampfjets aus den USA erhält. In den Verhandlungen über den Beitritt Schwedens und Finnlands zur Nato wurde dies der Türkei in Aussicht gestellt. Wie finden Sie das?
Varvitsiotis: Wir haben nicht versucht, das zu verhindern. Es war der US-Kongress, der Einwände hatte aufgrund der Tatsache, dass die Türkei anspruchsvolle Waffensysteme aus Russland gekauft hat. Der Kongress hat einen Lieferstopp für Waffen aus den USA ausgesprochen, solange die Türkei nicht das russische S-400-Raketensystem abschaltet. Wir sprechen aber auch mit Deutschland, Italien oder Spanien darüber und weisen darauf hin, dass Waffen aus der Produktion freundlicher Staaten nicht auf ein verbündetes Land wie Griechenland gerichtet sein dürfen.
ZEIT ONLINE: Und wie reagieren diese Staaten darauf, besonders die deutsche Bundesregierung?
Varvitsiotis: Wir nehmen noch nicht wahr, dass sich etwas ändert, obwohl wir darum bitten. Aber wir werden nicht aufhören, darüber zu informieren, nicht zuletzt die deutsche Öffentlichkeit.
ZEIT ONLINE: Welche Waffen liefert Deutschland aktuell an die Türkei?
Varvitsiotis: Es geht vor allem um technologisch sehr weit entwickelte U-Boote von Thyssenkrupp. Es ist ein ähnliches Modell, über das auch wir in unserer Marine verfügen und das wir schon vor 20 Jahren gekauft haben. Griechenland war das erste Land, das diese U-Boote bestellt und damit auch die Entwicklung mitfinanziert hat, noch vor der deutschen Marine. Nun gibt es bei der Auslieferung dieser U-Boote an die Türkei erhebliche Verzögerungen, noch ist keines angekommen.
ZEIT ONLINE: Was erwarten Sie von der Bundesregierung in diesem Fall?
Varvitsiotis: Wir bitten sie darum, ihre Position zur Lieferung deutscher Waffensysteme zu überdenken. Darum haben wir schon die Regierung der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel gebeten und wir tun dies nun auch bei der aktuellen Bundesregierung. Die Antwort lautet aber, dass dieses Geschäft schon vor der jüngsten Eskalation in den griechisch-türkischen Beziehungen abgeschlossen worden sei.
ZEIT ONLINE: Ein wichtiger Grund für den Konflikt mit der Türkei sind die Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Griechenland hat eine Allianz mit Zypern, Israel und Ägypten geformt, um diese Vorkommen zu heben. Hätte die Türkei nicht von Anfang zu diesem Club dazugehören müssen?
Varvitsiotis: Zunächst muss man feststellen, dass die Erdgasvorkommen in den ausschließlichen Wirtschaftszonen anderer Staaten gefunden wurden, nicht in der Wirtschaftszone der Türkei. Hinzukommt, dass die Türkei mit keinem seiner Nachbarstaaten am Mittelmeer ein Abkommen über die genauen Grenzen der ausschließlichen Wirtschaftszonen abgeschlossen hat. Das zeigt, dass ihre Ansprüche sehr weitreichend sind.
ZEIT ONLINE: Können diese Vorkommen in der aktuellen Gaskrise von Bedeutung sein?
Varvitsiotis: Ja natürlich. Wir sollten die Vorkommen nutzen, die in der Nachbarschaft liegen. Ich verstehe aber eigentlich nicht, warum sich Zypern, Israel und Ägypten mit der Türkei an einen Tisch setzen und beraten sollten, wenn die Türkei nicht einen Kubikmeter dieser Vorkommen in ihrer Wirtschaftszone hat.
ZEIT ONLINE: Was ist dann die Lösung für den Streit?
Varvitsiotis: Ein internationales Gericht könnte das schnell klären und die ausschließlichen Wirtschaftszonen festlegen. Ich glaube fest daran, dass wenn man Streit mit dem Nachbarn hat, man vor Gericht geht und keinen Krieg beginnt.
ZEIT ONLINE: Welche Position nimmt Griechenland dabei ein?
Varvitsiotis: Wir sind nicht Partner bei der Förderung aus den Erdgasfeldern südlich von Zypern, sie gehören uns nicht. Es geht darum, die Eastmed-Pipeline zu realisieren, die aus dem Gebiet südlich von Zypern über Kreta und Griechenland bis nach Italien führen könnte. Es wäre der sicherste und verlässlichste Weg, das Gas nach Europa zu befördern. Warum wir der Ansicht sind, dass die Türkei in diese Kooperation nicht einbezogen werden sollte? Weil wir glauben, dass sie nicht als Transitland, sondern als Zwischenhändler agieren möchte. Der zweite Grund ist: Man sollte sich genau überlegen, ob man nach der Erfahrung mit Russland einer revisionistischen und autoritären Regierung noch mehr Macht in die Hand geben möchte.
ZEIT ONLINE: Griechenland hat sich in der EU dagegen gewehrt, die Sanktionen gegen Russland auf den Seetransport von russischem Öl auszuweiten. Die Tanker der griechischen Reedereien wären davon besonders betroffen. Ist es nicht an der Zeit, diesen Widerstand zu beenden?
Varvitsiotis: Wenn der Vorschlag der EU-Kommission akzeptiert worden wäre, wäre dies ein großes Geschenk für die chinesische Schifffahrt gewesen. Auch die G7-Staaten haben diesem Vorschlag nicht zugestimmt. Es ist von großem Vorteil, dass Europa über eine derart starke maritime Handelsflotte verfügt, die griechischen Reedereien machen dabei mit etwa 60 Prozent den größten Teil aus. Wir sollten diese Macht nutzen. Wenn wir uns für den Transport im Welthandel allein auf China verlassen, kann das gefährlich werden. Wir merken das schon längst auch in den internationalen Lieferketten, die durch nationale Einschränkungsmaßnahmen in China, vor allem wegen der Lockdowns, schwer gestört sind.
ZEIT ONLINE: Irgendwann wird es aber vorbei sein mit den russischen Ölimporten. Das ist doch allen klar.
Varvitsiotis: Wir reden nicht allein über die Importe nach Europa, sondern über den Export aus Russland in Drittstaaten, der auf europäischen und griechischen Schiffen stattfindet. Wir würden die Weltwirtschaft lahmlegen, wenn wir diese Öltransporte einstellen. Es würde zu einer globalen Wirtschaftskrise führen.
ZEIT ONLINE: Es kann aus Ihrer Sicht keine Sanktionen gegen die griechische Schifffahrt geben?
Varvitsiotis: Es würde unseren europäischen Interessen zuwiderlaufen. Der einzige Ausweg wäre, ein globales Embargo generell auf den Transport von russischem Öl auszusprechen. Aber daran müssten sich möglichst viele Staaten über die EU hinaus beteiligen. Dies hätte aber noch schwerere Konsequenzen für die Weltwirtschaft.
Griechenland und Türkei: "Wir werden uns nicht absurden türkischen Ansprüchen beugen"
Rhodos, Kreta, Kos – plötzlich türkisch? Griechenlands Vizeaußenminister Varvitsiotis warnt vor türkischen Großmachtfantasien und vor deutschen Waffen für die Türkei.
Miltiadis Varvitsiotis wurde 1969 in Athen geboren und ist Rechtsanwalt am Obersten Gerichtshof in Griechenland. Von 2013 bis 2015 war er Minister für Schifffahrt und die Ägäis. Seit Juli 2019 ist er Griechenlands stellvertretender Außenminister für europäische Angelegenheiten.
ZEIT ONLINE: Herr Varvitsiotis, wie groß ist die Gefahr eines echten militärischen Konflikts mit der Türkei um die griechischen Inseln?
Miltiadis Varvitsiotis: Die Türkei hat ihre aggressive Rhetorik gegenüber unserem Land verschärft und ihre Gebietsansprüche im Ägäischen Meer stark ausgeweitet. Bis zum Jahr 2020 gab es den Anspruch, ihre ausschließliche Wirtschaftszone im Mittelmeer auszuweiten und damit das Recht zu bekommen zur Nutzung von Bodenschätzen und zum Fischfang. Seit 2021 aber spricht die Türkei oft vom Mavi Vatan, also der sogenannten Blauen Heimat oder der Meeresheimat. Sie wissen, dass die Regierung in Ankara behauptet, dass die Hälfte des Ägäischen Meeres ihr gehöre und dass viele unserer Inseln ihr und nicht Griechenland gehörten. Diese Ansichten sind allerdings geschichtswidrig und inakzeptabel.
ZEIT ONLINE: Ein Argument der Türkei ist, dass es laut internationalen Verträgen keine griechische Militärpräsenz auf bestimmten Inseln vor ihrer Küste geben dürfe. Was sagen Sie dazu?
Varvitsiotis: Definitiv befindet sich auf diesen Inseln unser Militär. Es könnte nicht anders sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir auf der anderen Seite des Meeres die türkischen Streitkräfte vor uns haben, das heißt mehr als eine halbe Million Soldaten. Diese Zahl ist weiterhin so hoch trotz aller anderen Aktivitäten des türkischen Militärs – ob im Irak oder Syrien oder wo auch immer sie in den vergangenen Jahren aktiv waren.
ZEIT ONLINE: Welche Erklärung haben Sie dafür, dass die Türkei ihre Rhetorik derartig verändert hat?
Varvitsiotis: Zweifellos spielt die politische Zukunft des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan eine wichtige Rolle, der im kommenden Jahr eine Wiederwahl anstrebt. Gegen Griechenland zu wettern, ist ein beliebtes Motiv von vielen türkischen Politikern. Bemerkenswert ist aber auch, dass die heutige Türkei das Erbe des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk umgestalten möchte. Ich erinnere daran, dass dazu der Vertrag von Lausanne von 1923 gehört, in dem die modernen Grenzen der Türkei festgelegt wurden. Die heutige Regierung in Ankara scheint leider zu glauben, dass die Türkei nicht in ihren bestehenden Grenzen existieren könne. Mit dieser revisionistischen Agenda nimmt jedoch Erdoğan die gesamte türkische Politik in Geiselhaft.
ZEIT ONLINE: Ist das innenpolitisches Theater im Wahlkampf oder eine echte Gefahr?
Varvitsiotis: Man darf nicht vergessen, dass die Türkei in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von militärischen Operationen ausgeführt hat. In Syrien kontrolliert sie nun eine etwa 100 Kilometer weite Zone des Landes im Norden. Im Kurdengebiet des Nordiraks hat die Türkei einen sehr intensiven Einsatz durchgeführt und Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht. Die Türkei ist militärisch engagiert in Somalia, in Libyen und im Kaukasus. Außerdem möchte ich Sie daran erinnern, dass sie einen Flugzeugträger bauen. Der ist nicht dazu gedacht, ihn im Mittelmeer einzusetzen, sondern um militärische Stärke ausdrücklich zu demonstrieren. Das alles bereitet Sorge, sowohl auf EU- als auch auf Nato-Ebene.
ZEIT ONLINE: Was müsste geschehen, damit dieser Konflikt mit der Türkei in einen echten Krieg mit Griechenland mündet?
Varvitsiotis: Es hängt ausschließlich davon ab, wie sich die Türkei verhält. Wir wollen diesen Kampf nicht. Wir werden nichts unternehmen, was einen Krieg provozieren könnte. Seien Sie sich aber sicher, dass wir uns verteidigen werden, wann immer es nötig ist. Und vor allem werden wir uns nicht irgendwelchen absurden türkischen Ansprüchen beugen. Ich werde auch nicht die Türkei um Erlaubnis bitten, um eine unserer Inseln zu besuchen. Das klingt wie ein Witz, aber es ist Realität. Es gibt viele Beschwerden türkischer Offizieller, weil griechische Minister zu griechischen Inseln nahe unseren östlichen Grenzen fahren. Sogar unserer Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou haben sie das vorgeworfen. Es ist absolut absurd und inakzeptabel.
ZEIT ONLINE: Wie reagieren Sie auf dieses Verhalten?
Varvitsiotis: Zunächst versuchen wir, die ausländischen Regierungen darauf aufmerksam zu machen und das Interesse der internationalen Öffentlichkeit für dieses provokative Verhalten Ankaras zu wecken, das mit guten Nachbarschaftsbeziehungen inkompatibel ist. Darüber hinaus haben wir dieses Jahr die Rüstungsausgaben gesteigert, das Budget wird bei fast vier Prozent unserer Wirtschaftsleistung liegen. Trotzdem versuchen wir, die Gesprächskanäle mit der Türkei offenzuhalten. Ich möchte daran erinnern, dass sich vor drei Monaten der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis mit Präsident Erdoğan getroffen hat, einige Wochen später aber hat Erdoğan gesagt, er würde nie mehr mit ihm sprechen. Wir folgen diesem Vorgehen der Spannung nicht, sondern halten die Tür für einen Dialog offen, ohne Rabatt auf unsere territoriale Souveränität.
ZEIT ONLINE: Können Sie auf die Forderungen eingehen, das griechische Militär von den Inseln abzuziehen?
Varvitsiotis: Nein. Ich möchte auf einen Spruch verweisen: Ich werde meinen Hund nicht umbringen, nur weil der Nachbar über meinen Rasen laufen möchte.
ZEIT ONLINE: Griechenland versucht zu verhindern, dass die Türkei neue F16-Kampfjets aus den USA erhält. In den Verhandlungen über den Beitritt Schwedens und Finnlands zur Nato wurde dies der Türkei in Aussicht gestellt. Wie finden Sie das?
Varvitsiotis: Wir haben nicht versucht, das zu verhindern. Es war der US-Kongress, der Einwände hatte aufgrund der Tatsache, dass die Türkei anspruchsvolle Waffensysteme aus Russland gekauft hat. Der Kongress hat einen Lieferstopp für Waffen aus den USA ausgesprochen, solange die Türkei nicht das russische S-400-Raketensystem abschaltet. Wir sprechen aber auch mit Deutschland, Italien oder Spanien darüber und weisen darauf hin, dass Waffen aus der Produktion freundlicher Staaten nicht auf ein verbündetes Land wie Griechenland gerichtet sein dürfen.
ZEIT ONLINE: Und wie reagieren diese Staaten darauf, besonders die deutsche Bundesregierung?
Varvitsiotis: Wir nehmen noch nicht wahr, dass sich etwas ändert, obwohl wir darum bitten. Aber wir werden nicht aufhören, darüber zu informieren, nicht zuletzt die deutsche Öffentlichkeit.
ZEIT ONLINE: Welche Waffen liefert Deutschland aktuell an die Türkei?
Varvitsiotis: Es geht vor allem um technologisch sehr weit entwickelte U-Boote von Thyssenkrupp. Es ist ein ähnliches Modell, über das auch wir in unserer Marine verfügen und das wir schon vor 20 Jahren gekauft haben. Griechenland war das erste Land, das diese U-Boote bestellt und damit auch die Entwicklung mitfinanziert hat, noch vor der deutschen Marine. Nun gibt es bei der Auslieferung dieser U-Boote an die Türkei erhebliche Verzögerungen, noch ist keines angekommen.
ZEIT ONLINE: Was erwarten Sie von der Bundesregierung in diesem Fall?
Varvitsiotis: Wir bitten sie darum, ihre Position zur Lieferung deutscher Waffensysteme zu überdenken. Darum haben wir schon die Regierung der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel gebeten und wir tun dies nun auch bei der aktuellen Bundesregierung. Die Antwort lautet aber, dass dieses Geschäft schon vor der jüngsten Eskalation in den griechisch-türkischen Beziehungen abgeschlossen worden sei.
ZEIT ONLINE: Ein wichtiger Grund für den Konflikt mit der Türkei sind die Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Griechenland hat eine Allianz mit Zypern, Israel und Ägypten geformt, um diese Vorkommen zu heben. Hätte die Türkei nicht von Anfang zu diesem Club dazugehören müssen?
Varvitsiotis: Zunächst muss man feststellen, dass die Erdgasvorkommen in den ausschließlichen Wirtschaftszonen anderer Staaten gefunden wurden, nicht in der Wirtschaftszone der Türkei. Hinzukommt, dass die Türkei mit keinem seiner Nachbarstaaten am Mittelmeer ein Abkommen über die genauen Grenzen der ausschließlichen Wirtschaftszonen abgeschlossen hat. Das zeigt, dass ihre Ansprüche sehr weitreichend sind.
ZEIT ONLINE: Können diese Vorkommen in der aktuellen Gaskrise von Bedeutung sein?
Varvitsiotis: Ja natürlich. Wir sollten die Vorkommen nutzen, die in der Nachbarschaft liegen. Ich verstehe aber eigentlich nicht, warum sich Zypern, Israel und Ägypten mit der Türkei an einen Tisch setzen und beraten sollten, wenn die Türkei nicht einen Kubikmeter dieser Vorkommen in ihrer Wirtschaftszone hat.
ZEIT ONLINE: Was ist dann die Lösung für den Streit?
Varvitsiotis: Ein internationales Gericht könnte das schnell klären und die ausschließlichen Wirtschaftszonen festlegen. Ich glaube fest daran, dass wenn man Streit mit dem Nachbarn hat, man vor Gericht geht und keinen Krieg beginnt.
ZEIT ONLINE: Welche Position nimmt Griechenland dabei ein?
Varvitsiotis: Wir sind nicht Partner bei der Förderung aus den Erdgasfeldern südlich von Zypern, sie gehören uns nicht. Es geht darum, die Eastmed-Pipeline zu realisieren, die aus dem Gebiet südlich von Zypern über Kreta und Griechenland bis nach Italien führen könnte. Es wäre der sicherste und verlässlichste Weg, das Gas nach Europa zu befördern. Warum wir der Ansicht sind, dass die Türkei in diese Kooperation nicht einbezogen werden sollte? Weil wir glauben, dass sie nicht als Transitland, sondern als Zwischenhändler agieren möchte. Der zweite Grund ist: Man sollte sich genau überlegen, ob man nach der Erfahrung mit Russland einer revisionistischen und autoritären Regierung noch mehr Macht in die Hand geben möchte.
ZEIT ONLINE: Griechenland hat sich in der EU dagegen gewehrt, die Sanktionen gegen Russland auf den Seetransport von russischem Öl auszuweiten. Die Tanker der griechischen Reedereien wären davon besonders betroffen. Ist es nicht an der Zeit, diesen Widerstand zu beenden?
Varvitsiotis: Wenn der Vorschlag der EU-Kommission akzeptiert worden wäre, wäre dies ein großes Geschenk für die chinesische Schifffahrt gewesen. Auch die G7-Staaten haben diesem Vorschlag nicht zugestimmt. Es ist von großem Vorteil, dass Europa über eine derart starke maritime Handelsflotte verfügt, die griechischen Reedereien machen dabei mit etwa 60 Prozent den größten Teil aus. Wir sollten diese Macht nutzen. Wenn wir uns für den Transport im Welthandel allein auf China verlassen, kann das gefährlich werden. Wir merken das schon längst auch in den internationalen Lieferketten, die durch nationale Einschränkungsmaßnahmen in China, vor allem wegen der Lockdowns, schwer gestört sind.
ZEIT ONLINE: Irgendwann wird es aber vorbei sein mit den russischen Ölimporten. Das ist doch allen klar.
Varvitsiotis: Wir reden nicht allein über die Importe nach Europa, sondern über den Export aus Russland in Drittstaaten, der auf europäischen und griechischen Schiffen stattfindet. Wir würden die Weltwirtschaft lahmlegen, wenn wir diese Öltransporte einstellen. Es würde zu einer globalen Wirtschaftskrise führen.
ZEIT ONLINE: Es kann aus Ihrer Sicht keine Sanktionen gegen die griechische Schifffahrt geben?
Varvitsiotis: Es würde unseren europäischen Interessen zuwiderlaufen. Der einzige Ausweg wäre, ein globales Embargo generell auf den Transport von russischem Öl auszusprechen. Aber daran müssten sich möglichst viele Staaten über die EU hinaus beteiligen. Dies hätte aber noch schwerere Konsequenzen für die Weltwirtschaft.
Zitat von Gast am 19. Juli 2022, 07:26 UhrVerbot von Verbrenner-Motoren: Wissenschaftler warnen EU-Parlament
maennersache - Gestern um 13:30Reagieren302 Kommentare|
Demnächst wird im EU-Parlament über ein Verbot von Verbrenner-Motoren abgestimmt, nun haben 300 Wissenschaftler die Parlamentarier gewarnt.
Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fürchten ein solches Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor und warnen die EU eindringlich vor diesem Schritt.
Auch interessant:
Formiert haben sie sich in einer "Internationalen Vereinigung zur Erforschung nachhaltiger Antriebs- und Fahrzeugtechnik" (IASTEC) und einen offenen Brief an die EU-Parlamentarier verfasst.
130 auf Autobahn: So viel Liter Sprit würde ein Tempolimit einsparen
Verbot von Verbrenner-Motoren: Wissenschaftler warnen EU-Parlament
In dem Schreiben äußern sie "große Bedenken" gegen das Verbot von Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2035.Begründung: Nach Ansicht besagter Fachleute ist die CO₂-Bilanz von batterieelektrisch betriebenen Autos (BEV) wesentlich schlechter als zumeist angegeben, unter anderem weil der zusätzliche Strombedarf zunächst hauptsächlich durch fossile Energieträger gedeckt werden müsste.Die einseitige Ausrichtung auf diese Mobilitätsform könnte zudem zu einer größeren Abhängigkeit von China führen.
Die Verfasser empfehlen, vielmehr Elektromobilität weiterzuentwickeln, zeitgleich jedoch auf Bio- und synthetische Kraftstoffe (reFuels) zu setzen.
Durch ein Verbrennerverbot würde dieser Ansatz allerdings unterbunden werden, so die Wissenschaftler.
Zudem würden bei einem Verbot Fahrzeuge im Zivilschutz, Militär, für Feuerwehren, Krankenwagen und Landmaschinen deutlich teurer werden.
Bereits vor einem Jahr warnte IASTEC vor einem Rechenfehler hinsichtlich der Reduktion von Treibhausgasen von E-Autos.
Professor Christian Rehtanz von der TU Dortmund kritisierte bereits damals die IASTEC: "Der Brief ist hochgradig peinlich. Es ist ein wissenschaftlich verbrämtes Lobbyistenschreiben, welches krampfhaft versucht, die Kolbenmaschinen (Lehrstuhldenomination von Prof. Koch des KIT) zu retten."
Besagter Professor Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gehört übrigens auch jetzt zu den Unterzeichnern des neuen offenen Briefes.
Verbot von Verbrenner-Motoren: Wissenschaftler warnen EU-Parlament
Demnächst wird im EU-Parlament über ein Verbot von Verbrenner-Motoren abgestimmt, nun haben 300 Wissenschaftler die Parlamentarier gewarnt.
Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fürchten ein solches Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor und warnen die EU eindringlich vor diesem Schritt.
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Formiert haben sie sich in einer "Internationalen Vereinigung zur Erforschung nachhaltiger Antriebs- und Fahrzeugtechnik" (IASTEC) und einen offenen Brief an die EU-Parlamentarier verfasst.
130 auf Autobahn: So viel Liter Sprit würde ein Tempolimit einsparen
Verbot von Verbrenner-Motoren: Wissenschaftler warnen EU-Parlament
Die einseitige Ausrichtung auf diese Mobilitätsform könnte zudem zu einer größeren Abhängigkeit von China führen.
Die Verfasser empfehlen, vielmehr Elektromobilität weiterzuentwickeln, zeitgleich jedoch auf Bio- und synthetische Kraftstoffe (reFuels) zu setzen.
Durch ein Verbrennerverbot würde dieser Ansatz allerdings unterbunden werden, so die Wissenschaftler.
Zudem würden bei einem Verbot Fahrzeuge im Zivilschutz, Militär, für Feuerwehren, Krankenwagen und Landmaschinen deutlich teurer werden.
Bereits vor einem Jahr warnte IASTEC vor einem Rechenfehler hinsichtlich der Reduktion von Treibhausgasen von E-Autos.
Professor Christian Rehtanz von der TU Dortmund kritisierte bereits damals die IASTEC: "Der Brief ist hochgradig peinlich. Es ist ein wissenschaftlich verbrämtes Lobbyistenschreiben, welches krampfhaft versucht, die Kolbenmaschinen (Lehrstuhldenomination von Prof. Koch des KIT) zu retten."
Besagter Professor Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gehört übrigens auch jetzt zu den Unterzeichnern des neuen offenen Briefes.
Zitat von Gast am 19. Juli 2022, 13:19 UhrGriechenlands Bevölkerung nach der Finanzkrise deutlich geschrumpft
Die griechische Bevölkerung ist innerhalb von zehn Jahren spürbar geschrumpft. 2021 lebten in dem EU-Land laut einer Volkszählung 10.432.481 Menschen – 384.000 weniger als beim Zensus 2011.
Experten der nationalen Statistikbehörde führten den Rückgang am Dienstag auf eine niedrige Geburtenrate, vor allem aber auf die Abwanderung von Griechen zurück, die während der schweren Finanzkrise von 2010 bis 2018 das Land auf der Suche nach Arbeit verlassen hatten. Mit dem Problem niedriger Geburtenraten seien auch fast alle anderen EU-Staaten konfrontiert, hieß es.
Laut Hochrechnungen von Eurostat werden die Griechen 2030 das älteste Volk der EU sein. Bis jetzt ist das noch Italien, wo 22,8 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahren sind. In Griechenland sind es bis jetzt noch 22 Prozent, der EU-Durchschnitt liegt bei 20,3 Prozent.
Laut dem aktuellen Weltbevölkerungsbericht, den die UNO vergangene Woche veröffentlichte, schrumpfte die Bevölkerung Europas 2021 zum zweiten Mal in Folge. Besonders groß war der Rückgang in Portugal, Spanien, Italien, Deutschland und dem Balkan.
Griechenlands Bevölkerung nach der Finanzkrise deutlich geschrumpft
Die griechische Bevölkerung ist innerhalb von zehn Jahren spürbar geschrumpft. 2021 lebten in dem EU-Land laut einer Volkszählung 10.432.481 Menschen – 384.000 weniger als beim Zensus 2011.
Experten der nationalen Statistikbehörde führten den Rückgang am Dienstag auf eine niedrige Geburtenrate, vor allem aber auf die Abwanderung von Griechen zurück, die während der schweren Finanzkrise von 2010 bis 2018 das Land auf der Suche nach Arbeit verlassen hatten. Mit dem Problem niedriger Geburtenraten seien auch fast alle anderen EU-Staaten konfrontiert, hieß es.
Laut Hochrechnungen von Eurostat werden die Griechen 2030 das älteste Volk der EU sein. Bis jetzt ist das noch Italien, wo 22,8 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahren sind. In Griechenland sind es bis jetzt noch 22 Prozent, der EU-Durchschnitt liegt bei 20,3 Prozent.
Laut dem aktuellen Weltbevölkerungsbericht, den die UNO vergangene Woche veröffentlichte, schrumpfte die Bevölkerung Europas 2021 zum zweiten Mal in Folge. Besonders groß war der Rückgang in Portugal, Spanien, Italien, Deutschland und dem Balkan.
Zitat von Gast am 3. August 2022, 05:36 UhrFrankreichs Senat stimmt für Abschaffung der Rundfunkgebühr
Die geplante Abschaffung der Rundfunkgebühren in Frankreich rückt näher. Nach der Nationalversammlung hat auch der Senat als zweite Parlamentskammer für einen entsprechenden Artikel im Rahmen der Prüfung des Nachtragshaushalts votiert. In der Nacht zum Dienstag sprachen sich in erster Lesung 196 Senatorinnen und Senatoren dafür aus, 147 stimmten dagegen.
Künftig soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter anderem durch einen Teil der Mehrwertsteuer finanziert werden. Der Senat will allerdings, dass diese Regelung nur bis Ende 2024 gilt. Die Regierung solle in der Übergangszeit eine echte Reform des Sektors vorlegen, die mit einer angemessenen Mittelzuweisung einhergeht, hieß es in einem angenommenen Änderungsantrag.
Die Rundfunkgebühr beträgt bislang in Frankreich 138 Euro im Jahr. Sie wird für alle Haushalte fällig, die einen Fernseher besitzen. Präsident Emmanuel Macron hatte die Abschaffung der Gebühr im Wahlkampf angekündigt. Damit wollte er den gestiegenen Lebenshaltungskosten entgegenwirken und die Kaufkraft der Menschen erhöhen.
Frankreichs Senat stimmt für Abschaffung der Rundfunkgebühr
Die geplante Abschaffung der Rundfunkgebühren in Frankreich rückt näher. Nach der Nationalversammlung hat auch der Senat als zweite Parlamentskammer für einen entsprechenden Artikel im Rahmen der Prüfung des Nachtragshaushalts votiert. In der Nacht zum Dienstag sprachen sich in erster Lesung 196 Senatorinnen und Senatoren dafür aus, 147 stimmten dagegen.
Künftig soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter anderem durch einen Teil der Mehrwertsteuer finanziert werden. Der Senat will allerdings, dass diese Regelung nur bis Ende 2024 gilt. Die Regierung solle in der Übergangszeit eine echte Reform des Sektors vorlegen, die mit einer angemessenen Mittelzuweisung einhergeht, hieß es in einem angenommenen Änderungsantrag.
Die Rundfunkgebühr beträgt bislang in Frankreich 138 Euro im Jahr. Sie wird für alle Haushalte fällig, die einen Fernseher besitzen. Präsident Emmanuel Macron hatte die Abschaffung der Gebühr im Wahlkampf angekündigt. Damit wollte er den gestiegenen Lebenshaltungskosten entgegenwirken und die Kaufkraft der Menschen erhöhen.
Zitat von Gast am 11. August 2022, 13:44 UhrWarum es für Europas Verteidigung plötzlich auf Griechenland ankommt
Deutsche Regierungsmitglieder haben sich in den vergangenen Wochen in Griechenland die Klinke in die Hand gegeben. Im Juni kam Bundeskanzler Olaf Scholz in Thessaloniki vorbei, kurz danach stattete Finanzminister Christian Lindner Athen einen Besuch ab – der erste eines deutschen Finanzministers seit acht Jahren. Und jüngst holte Außenministerin Annalena Baerbock ihre im Juni wegen einer Corona-Erkrankung abgesagte Reise nach Griechenland nach.
So viel Aufmerksamkeit erhielt das Land noch nicht einmal in den finstersten Tagen der griechischen Wirtschafts- und Finanzkrise.
Die Besuche verdeutlichen die neue strategische Bedeutung Griechenlands innerhalb der EU. Griechenland wird ein immer wichtigerer Außenposten für den Schutz der EU-Außengrenze. Was bisher unter zivilen Schutzaspekten betrachtet wurde, gerät angesichts der zunehmend aggressiven Töne der Türkei und der Provokationen ihres autokratisch regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan immer mehr zu einer militärischen Bedrohung.
Regionales Pendant zu Putin
Baerbock kombinierte ihre Griechenland-Reise nicht ohne Grund mit einem Besuch in der Türkei. Häufig donnern türkische Kampfjets unter Missachtung des griechischen Luftraums im Tiefflug über griechische Inseln.
Erdogan bedroht die EU-Außengrenzen permanent: mit seiner Kriegsrhetorik, die schon mehrfach in militärischen Operationen wie im Irak oder in Syrien mündete, mit seinen Signalen, etwa eine Wirtschaftszone mit Libyen in einer Form zu vereinbaren, die die dazwischen liegenden griechischen Inseln wie Rhodos oder Kreta völlig ignoriert. Oder mit seiner Forderung nach einer Entmilitarisierung der vor dem türkischen Festland liegenden griechischen Inseln, die Erdogan gleichzeitig immer wieder unverhohlen zu erobern droht.Ein Großteil der griechischen Bevölkerung empfindet Erdogan als regionales Pendant zu Putin. Die Sorge vor einem militärischen Angriff der Türkei steigt in Griechenland täglich. Immerhin reagiert die griechische Regierung auf diese Provokationen deeskalierend. Dennoch dürften mit dem russischen Angriff auf die Ukraine die Hemmungen gesunken sein, in Europa einen Krieg zu starten, und die EU-Mitgliedstaaten müssen sich gegenüber ihren Nachbarländern neu positionieren. Dabei kommen Deutschland und Griechenland in unterschiedlicher Form Schlüsselrollen zu.
Deutsche Doktrin muss überprüft werden
Griechenland konnte sich in der jüngeren Vergangenheit vor allem auf die militärische Unterstützung Frankreichs und der USA verlassen. Deutschland fungierte bei vergangenen Auseinandersetzungen – man denke an die Konfrontationen zwischen Griechenland und der Türkei in der östlichen Ägäis im Sommer 2020 – aufgrund seiner engen wirtschaftlichen Verbindungen zur Türkei bislang eher als neutraler Mittler.
Dass sich Deutschland lange nicht uneingeschränkt hinter das EU-Mitgliedsland Griechenland stellte, wenn dessen Grenzen bedroht waren, stößt in Athen auf großes Unverständnis. Und eine solche Position bedarf auch angesichts der von der Bundesregierung eingeleiteten neuen Doktrin der wertegeleiteten Außenpolitik der Überprüfung.
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner und einer der wichtigsten ausländischen Investoren der Türkei und hat damit – ähnlich wie in seinen vergangenen Beziehungen zu Russland – erhebliche Eigeninteressen. Diese Eigeninteressen könnten zukünftig einem geschlossenen Auftreten der EU bei einer türkischen Aggression in Richtung EU entgegenstehen.
Insofern ist es eine berechtigte Frage, welche Haltung Deutschland zukünftig gegenüber der Türkei auch im Vergleich zu Griechenland einnehmen möchte. Ist es nicht Zeit für Signale, wonach die Handelsbeziehungen zu autokratisch regierten Staaten tendenziell eingeschränkt werden sollten, zu denen die Türkei zweifelsohne gehört?
Die jüngsten Erfahrungen mit anderen autokratisch regierten Ländern, zu denen sich Deutschland in Abhängigkeiten begeben hat, werden in Deutschlands Öffentlichkeit derzeit kritisch diskutiert und sprechen für solche Einschränkungen auch gegenüber der Türkei. Außenministerin Baerbock hat bei ihrem Besuch deutliche Signale gesendet: Sie verurteilte die militärischen Drohgebärden der Türkei und lobte die Dialogbereitschaft Griechenlands.
Der deutsche Finanzminister hat bei seinem Athen-Besuch Mitte Juni betont, dass es Deutschland nicht akzeptieren würde, wenn die nationale Souveränität von EU-Partnerländern infrage gestellt wird. Ebenso wichtig war seine Aussage, wonach es an der Zeit sei, dass Griechenland ein neues Kapitel in seiner Entwicklung eröffne. Dazu passt, dass die in den Krisenjahren erheblich gesunkenen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Griechenland zuletzt endlich wieder angestiegen sind.
Diese Beziehungen gilt es nun weiter zu intensivieren und zu einer strategischen Partnerschaft auszubauen. Erste Voraussetzungen sind dafür geschaffen: Zum einen hat die konservative Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis den seit Langem anstehenden Reformprozess in Griechenland gestartet, in dessen Folge auch die deutschen Direktinvestitionen in Griechenland angestiegen sind, etwa in erneuerbare Energien oder in den IT-Sektor.
Zum anderen kann Griechenland ganz aktuell zu einem neuen Hub für die Energieverteilung werden, insbesondere wenn es um die Strom- und Gasversorgung der Region geht und dort etwa demnächst Strom über ein Seekabel und LNG-Gas aus Ägypten und Israel anlangt.
Diese Schritte ebenso wie die langfristige Absicherung der griechischen Staatsschulden haben sich auch in anderer Form ausgezahlt: So hat die EU soeben das „Programm zur verstärkten finanzpolitischen Überwachung Griechenlands“ beendet und dieses in ein „normales Überwachungsprogramm“ überführt. Nach 12 Jahren hat Griechenland somit den Modus als Krisenstaat verlassen. Auch die Sorge, dass die griechischen Staatsfinanzen angesichts steigender Zinsen wieder zu einer Hypothek werden, ist derzeit im Unterschied zu Italien unberechtigt.
Griechenland ist auf einem guten Weg
Ganz im Gegenteil: Der überwiegende Teil der griechischen Staatsschuld ist zu sehr niedrigen Zinsen angelegt, und die reale griechische Staatsschuld schrumpft aufgrund der stark steigenden Inflation. Mit anderen Worten: Es wird zunehmend realistisch, dass Griechenland die alten Staatsschulden, die derzeit rund 200 Prozent des BIP betragen, in ferner Zukunft wird bedienen können. Und neue Staatsschulden versucht es derzeit zu vermeiden.
Trotz aller Fortschritte sind die Reformen aber noch längst nicht dort angekommen, wo die griechische Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit vor drei Jahren hinwollte. Das griechische Innovationssystem, die Qualität der Regulierung und Bürokratieprozesse und vor allem das Justizsystem sind im Vergleich zur Europäischen Union immer noch unterdurchschnittlich gut entwickelt.
Und so ermutigte der deutsche Finanzminister seine griechischen Partner diesen Reformprozess trotz aller weltpolitischer Widrigkeiten weiterzuführen, und bot seine Unterstützung an.
Es gibt also zwischen der deutschen und der griechischen Regierung viel zu besprechen. Und es ist gut, dass der in den letzten zehn Jahren doch immer wieder einmal eingenommene schulmeisterliche Ton auf deutscher Seite nun der Vergangenheit angehört – eine weitere wichtige Voraussetzung für eine strategische Partnerschaft.
Warum es für Europas Verteidigung plötzlich auf Griechenland ankommt
Deutsche Regierungsmitglieder haben sich in den vergangenen Wochen in Griechenland die Klinke in die Hand gegeben. Im Juni kam Bundeskanzler Olaf Scholz in Thessaloniki vorbei, kurz danach stattete Finanzminister Christian Lindner Athen einen Besuch ab – der erste eines deutschen Finanzministers seit acht Jahren. Und jüngst holte Außenministerin Annalena Baerbock ihre im Juni wegen einer Corona-Erkrankung abgesagte Reise nach Griechenland nach.
So viel Aufmerksamkeit erhielt das Land noch nicht einmal in den finstersten Tagen der griechischen Wirtschafts- und Finanzkrise.
Die Besuche verdeutlichen die neue strategische Bedeutung Griechenlands innerhalb der EU. Griechenland wird ein immer wichtigerer Außenposten für den Schutz der EU-Außengrenze. Was bisher unter zivilen Schutzaspekten betrachtet wurde, gerät angesichts der zunehmend aggressiven Töne der Türkei und der Provokationen ihres autokratisch regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan immer mehr zu einer militärischen Bedrohung.
Regionales Pendant zu Putin
Baerbock kombinierte ihre Griechenland-Reise nicht ohne Grund mit einem Besuch in der Türkei. Häufig donnern türkische Kampfjets unter Missachtung des griechischen Luftraums im Tiefflug über griechische Inseln.
Ein Großteil der griechischen Bevölkerung empfindet Erdogan als regionales Pendant zu Putin. Die Sorge vor einem militärischen Angriff der Türkei steigt in Griechenland täglich. Immerhin reagiert die griechische Regierung auf diese Provokationen deeskalierend. Dennoch dürften mit dem russischen Angriff auf die Ukraine die Hemmungen gesunken sein, in Europa einen Krieg zu starten, und die EU-Mitgliedstaaten müssen sich gegenüber ihren Nachbarländern neu positionieren. Dabei kommen Deutschland und Griechenland in unterschiedlicher Form Schlüsselrollen zu.
Deutsche Doktrin muss überprüft werden
Griechenland konnte sich in der jüngeren Vergangenheit vor allem auf die militärische Unterstützung Frankreichs und der USA verlassen. Deutschland fungierte bei vergangenen Auseinandersetzungen – man denke an die Konfrontationen zwischen Griechenland und der Türkei in der östlichen Ägäis im Sommer 2020 – aufgrund seiner engen wirtschaftlichen Verbindungen zur Türkei bislang eher als neutraler Mittler.
Dass sich Deutschland lange nicht uneingeschränkt hinter das EU-Mitgliedsland Griechenland stellte, wenn dessen Grenzen bedroht waren, stößt in Athen auf großes Unverständnis. Und eine solche Position bedarf auch angesichts der von der Bundesregierung eingeleiteten neuen Doktrin der wertegeleiteten Außenpolitik der Überprüfung.
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner und einer der wichtigsten ausländischen Investoren der Türkei und hat damit – ähnlich wie in seinen vergangenen Beziehungen zu Russland – erhebliche Eigeninteressen. Diese Eigeninteressen könnten zukünftig einem geschlossenen Auftreten der EU bei einer türkischen Aggression in Richtung EU entgegenstehen.
Insofern ist es eine berechtigte Frage, welche Haltung Deutschland zukünftig gegenüber der Türkei auch im Vergleich zu Griechenland einnehmen möchte. Ist es nicht Zeit für Signale, wonach die Handelsbeziehungen zu autokratisch regierten Staaten tendenziell eingeschränkt werden sollten, zu denen die Türkei zweifelsohne gehört?
Die jüngsten Erfahrungen mit anderen autokratisch regierten Ländern, zu denen sich Deutschland in Abhängigkeiten begeben hat, werden in Deutschlands Öffentlichkeit derzeit kritisch diskutiert und sprechen für solche Einschränkungen auch gegenüber der Türkei. Außenministerin Baerbock hat bei ihrem Besuch deutliche Signale gesendet: Sie verurteilte die militärischen Drohgebärden der Türkei und lobte die Dialogbereitschaft Griechenlands.
Der deutsche Finanzminister hat bei seinem Athen-Besuch Mitte Juni betont, dass es Deutschland nicht akzeptieren würde, wenn die nationale Souveränität von EU-Partnerländern infrage gestellt wird. Ebenso wichtig war seine Aussage, wonach es an der Zeit sei, dass Griechenland ein neues Kapitel in seiner Entwicklung eröffne. Dazu passt, dass die in den Krisenjahren erheblich gesunkenen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Griechenland zuletzt endlich wieder angestiegen sind.
Diese Beziehungen gilt es nun weiter zu intensivieren und zu einer strategischen Partnerschaft auszubauen. Erste Voraussetzungen sind dafür geschaffen: Zum einen hat die konservative Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis den seit Langem anstehenden Reformprozess in Griechenland gestartet, in dessen Folge auch die deutschen Direktinvestitionen in Griechenland angestiegen sind, etwa in erneuerbare Energien oder in den IT-Sektor.
Zum anderen kann Griechenland ganz aktuell zu einem neuen Hub für die Energieverteilung werden, insbesondere wenn es um die Strom- und Gasversorgung der Region geht und dort etwa demnächst Strom über ein Seekabel und LNG-Gas aus Ägypten und Israel anlangt.
Diese Schritte ebenso wie die langfristige Absicherung der griechischen Staatsschulden haben sich auch in anderer Form ausgezahlt: So hat die EU soeben das „Programm zur verstärkten finanzpolitischen Überwachung Griechenlands“ beendet und dieses in ein „normales Überwachungsprogramm“ überführt. Nach 12 Jahren hat Griechenland somit den Modus als Krisenstaat verlassen. Auch die Sorge, dass die griechischen Staatsfinanzen angesichts steigender Zinsen wieder zu einer Hypothek werden, ist derzeit im Unterschied zu Italien unberechtigt.
Griechenland ist auf einem guten Weg
Ganz im Gegenteil: Der überwiegende Teil der griechischen Staatsschuld ist zu sehr niedrigen Zinsen angelegt, und die reale griechische Staatsschuld schrumpft aufgrund der stark steigenden Inflation. Mit anderen Worten: Es wird zunehmend realistisch, dass Griechenland die alten Staatsschulden, die derzeit rund 200 Prozent des BIP betragen, in ferner Zukunft wird bedienen können. Und neue Staatsschulden versucht es derzeit zu vermeiden.
Trotz aller Fortschritte sind die Reformen aber noch längst nicht dort angekommen, wo die griechische Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit vor drei Jahren hinwollte. Das griechische Innovationssystem, die Qualität der Regulierung und Bürokratieprozesse und vor allem das Justizsystem sind im Vergleich zur Europäischen Union immer noch unterdurchschnittlich gut entwickelt.
Und so ermutigte der deutsche Finanzminister seine griechischen Partner diesen Reformprozess trotz aller weltpolitischer Widrigkeiten weiterzuführen, und bot seine Unterstützung an.
Es gibt also zwischen der deutschen und der griechischen Regierung viel zu besprechen. Und es ist gut, dass der in den letzten zehn Jahren doch immer wieder einmal eingenommene schulmeisterliche Ton auf deutscher Seite nun der Vergangenheit angehört – eine weitere wichtige Voraussetzung für eine strategische Partnerschaft.