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News aus der EU

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Nord Stream 2 gründet deutsches Tochterunternehmen

Die Pipeline-Gesellschaft Nord Stream 2 sitzt im Schweizer Steuerparadies Zug. Jetzt hat sie eine deutsche Tochtergesellschaft gegründet – Voraussetzung für eine Fortsetzung des Zertifizierungsverfahrens.

Das für die Zertifizierung der Gaspipeline Nord Stream 2 notwendige Tochterunternehmen ist gegründet. Die Gastransportgesellschaft Gas for Europe GmbH habe ihren Sitz in Schwerin, wie das Unternehmen am Mittwoch mitteilte. Die Bundesnetzagentur hatte im November ein Zertifizierungsverfahren ausgesetzt und eine entsprechende Auflage erteilt.

Gas for Europe werde Eigentümerin und Betreiberin des deutschen Teils der Pipeline, hieß es in der Mitteilung. Dazu gehören demnach der rund 54 Kilometer lange Leitungsabschnitt in deutschen Territorialgewässern sowie die Anlandestation in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern. Zum Geschäftsführer sei Reinhard Ontyd bestellt worden. Er sei im Management verschiedener Energieunternehmen tätig gewesen.

Die Gas for Europe wird nach eigenen Angaben nun alle Anstrengungen darauf ausrichten, die Anforderungen zur Fortsetzung des Zertifizierungsverfahrens zu erfüllen.

Die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland ist fertiggestellt, aber nicht in Betrieb. Eine Zertifizierung eines unabhängigen Transportnetzbetreibers durch die Bundesnetzagentur steht noch aus. Die Bonner Behörde hatte das Verfahren im November vorerst gestoppt und darauf verwiesen, dass der Transportnetzbetreiber ein Unternehmen nach deutschem Recht sein müsse. Die Nord Stream 2 AG hat ihren Sitz im schweizerischen Zug. Durch die Pipeline sollen jährlich etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas fließen.

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Wegen EU-Sanktionen - Minsk verbietet Transit für litauische Güterzüge durch Belarus

Belarus hat ein Verbot für den Eisenbahn-Transit von Ölprodukten und Düngemitteln aus Litauen verhängt. Es trat an diesem Montag in Kraft.

Der Schritt erfolgte, nachdem Litauen Ende 2021 seinen Hafen Klapeida für Belaruskali, einen der weltweit größten belarussischen Düngemittelexporteure, geschlossen hatte. Hintergrund sind die gegen Minsk verhängten Sanktionen der EU und USA für die gewaltsame Unterdrückung der belarussischen Opposition.


Der litauische Präsident nannte die Reaktion aus Minsk "vorhersehbar". "Man konnte diese Maßnahmen erwarten, und nun müssen wir nach alternativen Transportwegen suchen", sagte Gitanas Nausėda. "Vor einiger Zeit haben einige Unternehmen bereits Vorbereitungen getroffen, um die Fracht um das belarussische Gebiet herum zu transportieren. PKN Orlen zum Beispiel will über Polen in die Ukraine exportieren. Meiner Meinung nach eine gute Idee, denn wir sollten uns keine großen Illusionen über das belarussische Regime machen."
Beobachtern zufolge könnten einige Güter auf Lastwagen umgeladen werden, während andere um Belarus herum transportiert werden könnten. Allerdings bringt das technische Hindernisse in Polen mit sich. Um diese zu umgehen, hatte PKN Orlen im vergangenen Jahr das einzige Eisenbahn-Öl-Terminal an der polnisch-litauischen Grenze gekauft.

Vergeltungsmaßnahmen, die das anhaltende Patt zwischen Belarus, das von seinem Nachbarn Russland unterstützt wird, und dem Westen verdeutlichen.

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Ungarn: Warum Orban keinen Huxit will

Zum Wahlkampfauftakt hetzte Ungarns Premier Viktor Orban wieder einmal gegen die Europäische Union. Doch mit einem EU-Austrittsvorhaben würde er seine eigene Machtbasis untergraben.

Ungarns Premier Viktor Orban betont gern, dass er ein Politiker ist, der die Dinge offen ausspricht - und europäische Partner wie Gegner über seine Absichten nicht im Unklaren lässt. Tatsächlich redet Orban oft Klartext und breitet seine Agenda für alle sichtbar aus. Doch es gibt auch brisante innen- wie europapolitische Themen, über die der ungarische Premier seit langer Zeit nur mit großer Unschärfe spricht - womit er in der Öffentlichkeit immer wieder heftige Spekulationen provoziert.

Das wichtigste dieser Themen ist zweifellos der Huxit: die Frage, ob Ungarn weiterhin Mitglied der Europäischen Union bleiben oder einen Austritt anstreben soll wie Großbritannien mit dem Brexit. Einerseits attackiert Viktor Orban die EU regelmäßig auf das Schärfste und sieht in ihr einen ebenso schlimmen Feind wie einst die Sowjetunion, die Ungarn besetzt hatte. Zugleich bekräftigt er immer wieder, dass er Ungarns Platz weiterhin in der EU sieht. Was will Orban nun? Erwägt er ernsthaft einen Huxit? Wenn nicht - was bezweckt er mit seinen Anti-EU-Tiraden?

Diese Fragen stellten sich auch am vergangenen Sonnabend (12.02.2022). Ungarns Premier hielt an diesem Tag in Budapest seine traditionelle Bilanzrede, in der er das abgelaufene Jahr bewertet und einen Ausblick auf die kommende politische Saison gibt. Diesmal war es auch die Auftaktrede für die heiße Phase des Wahlkampfs - am 3. April findet in Ungarn die Parlamentswahl statt, eine der wichtigsten im Land seit mehr als zwei Jahrzehnten.

"Rechtsstaats-Dschihad"

Im europapolitischen Teil seiner Rede klang Orban diesmal für seine Verhältnisse zivilisiert, wenngleich es stellenweise nicht ohne die üblichen absurden Unterstellungen an die Adresse Brüssels ging. Beispielsweise, dass die EU Ungarn ein Regenbogen-Familienmodell aufzwingen wolle oder einen "rechtsstaatlichen Dschihad" gegen das Land führe.

Eher nüchtern stellte Orban fest, dass Budapest und Brüssel "in zwei Mühlen mahlen" würden und über die Nation, ihre Zukunft, Traditionen und Globalisierung unterschiedlich dächten. Allerdings, so Orban: "Wir unsererseits möchten die Europäische Union zusammenhalten." Deshalb richtete Ungarns Premier ein "Toleranzangebot an Brüssel und Berlin" - man möge sich gegenseitig respektieren und in Ruhe lassen. Was die Folge wäre, wenn die Adressaten das Angebot ausschlagen würden, sagte Orban nicht. Aber ein Huxit-Szenario stand unausgesprochen im Raum.

Die Möglichkeit eines EU-Austritts hat Ungarns Premier in vager Weise schon häufiger angedeutet. Im Umfeld der Brexit-Debatten sagte er 2016, es gebe "offenbar auch ein Leben außerhalb der EU". Im Februar 2020 kalauerte er: "Der Austritt der Briten und dass sie dort heute alle am Leben sind, zeigt, dass es auch außerhalb der EU Leben gibt."

Orban-Wähler wollen keinen Huxit

Expliziter äußern sich Vertraute Orbans und Mitglieder seiner Regierung. Sein alter Mitstreiter Laszlo Köver, aktuell Parlamentspräsident, sagte im Juli 2021 in einem Interview, er persönlich würde bei einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft "heute ganz sicher mit Nein stimmen". Kurze Zeit später erklärte der Finanzminister Mihaly Varga, am Ende des derzeitigen Jahrzehnts könne die Huxit-Frage "einen neuen Blickwinkel" bekommen, nämlich, wenn Ungarn EU-Nettozahler sein werde. Ebenfalls im vergangenen Sommer lancierte die inoffizielle Regierungszeitung Magyar Nemzet erstmals eine Debatte über einen EU-Austritt Ungarns. "Es ist Zeit, über den Huxit zu sprechen", übertitelte das Blatt einen Meinungsbeitrag.

Angesichts der Reaktionen auf diese kleine Huxit-Kampagne des Sommers 2021 dürfte Orban klar geworden sein: Es ist noch längst nicht an der Zeit, dieses Thema in Ungarn zu forcieren - es wäre sogar kontraproduktiv. Auf die Äußerungen seiner Parteifreunde und den Meinungsbeitrag in Magyar Nemzet reagierten damals sogar konservative Kreise empört. Meinungsumfragen der vergangenen Jahre zeigen Rekord-Zustimmungswerte der Ungarn zur EU. Selbst unter Orban-Wählern wollen rund vier Fünftel keinen Huxit.

Ungarn als Regionalmacht

Auch aus anderen Gründen kommt ein EU-Austritt Ungarns oder auch nur eine ernsthafte Debatte darüber für Orban noch längst nicht in Frage. Ungarns Premier will sein Land zu einer Regionalmacht und zu einem Gegenpol Brüssels in Mittel- und Südosteuropa ausbauen. Der ungarische Staat investiert in der gesamten Region massiv in Unternehmen, Immobilien und Medien und unterhält milliardenschwere Förderprogramme für die ungarischen Minderheiten in Rumänien, Serbien, der Ukraine, der Slowakei, Kroatien und Slowenien.

Orbans Regierung ist außerdem der hartnäckigste Fürsprecher einer schnellen EU-Mitgliedschaft Serbiens, Bosnien und Herzegowinas sowie Montenegros - drei Länder, in denen antidemokratische Führungspolitiker ein ähnliches Herrschaftsmodell vertreten wie Ungarns Premier. Im Fall eines Huxit könnte Orban, dem Weggefährten schon als Jungpolitiker enorme Ambitionen bescheinigten, die Rolle eines bedeutenden regionalen Führers innerhalb der EU nicht mehr spielen.

EU ohne einheitliche Werte

Hinzu kommen schließlich die EU-Fördermilliarden, die nach Ungarn fließen. Zwar stimmt der pauschale Vorwurf, dass Ungarn einfach nur europäische Steuergelder kassiere, nicht. Denn europäische Unternehmen profitieren in hohem Maße von billigen Produktionskosten, Steuervergünstigungen und Absatzmöglichkeiten in Ungarn. Dennoch machten Brüsseler Transfers im vergangenen Jahrzehnt etwa zwei bis vier Prozent des ungarischen Bruttosozialprodukts aus - sie sind damit eine Säule von Orbans Wirtschaftsmodell.

Mit einer ernsthaften Huxit-Debatte und einem EU-Austrittsvorhaben würde Ungarns Premier seine Machtbasis also untergraben. Sein explizites Interesse ist vielmehr - wie in seinem Toleranzangebot dargelegt - eine EU ohne einheitliche Werte. Eine EU, in der er innenpolitisch agieren kann, ohne dass ihm Rechtsstaatsverfahren und finanzielle Sanktionen drohen. Eine Union als pragmatischer Wirtschaftsklub. Dass Orban in seinen Reden permanent gegen die EU hetzt und unausgesprochen die Drohkulisse eines Huxit aufbaut, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern ist nur folgerichtig.
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Russland-Krise: Nicht nur gute Worte

Russland ist eine militärische Macht – die EU nicht. Doch die Union könnte die ukrainische Wirtschaft stabilisieren, die großen Schaden durch russische Drohungen nimmt.

"Das ist kein Krieg in der Ukraine, das ist Krieg in Europa" – diesen eindeutigen Satz sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Er verlangte von Europa und der Nato konkrete Antworten. Und was tat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen? Sie hielt auf der Konferenz eine Rede, die gespickt war mit Lob für die Ukrainer und mit scharfer Kritik an Russland. Sie sprach auch über Sanktionen, die Russland sehr schmerzen würden, für den Fall, dass es die Ukraine angreife.

Für den ukrainischen Präsidenten müssen dieses Versprechen hohl geklungen haben. Für ihn – das hat er in München klargemacht – ist es unverständlich, warum die Aggression Russlands nicht schon jetzt von der EU härter bestraft wird. Der Krieg hat seit Beginn des Konfliktes 2014 tatsächlich nie wirklich aufgehört und in den letzten Wochen hat der russische Präsident Putin ihn noch mal erheblich verschärft. Er kann jederzeit den Befehl zur Invasion geben. Da wirkte von der Leyen ziemlich abgehoben.

Die Ursache für die etwas luftige Rede der Kommissionspräsidentin kann man ihrem allseits bekannten Hang zum Pathos zuschreiben. Doch das allein reicht nicht als Erklärung. Vielmehr ist sie ein Zeichen dafür, dass die EU in diesem sich zuspitzenden Konflikt Zaungast ist. Das ist nicht frei von bitterer Ironie. Denn der Konflikt mit Russland begann 2014, weil sich die Ukraine auf den langen Weg machte, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Das wollte Russlands Präsident Wladimir Putin nicht akzeptieren. Und jetzt, da er die Ukraine mit allen Mitteln wieder unter seinen Einfluss zwingen will, spielt die EU eine Nebenrolle. Das ist ihr nicht grundsätzlich anzulasten. Putin eskaliert den Konflikt mit militärischen Mitteln, und die EU ist keine militärische Macht. Sie kann in dieser Hinsicht nicht mit Russland mithalten.

Putin könnte die Ukraine wirtschaftlich strangulieren

Doch das bedeutet nicht, dass sie keine Rolle spielt. Zum einen bleibt sie für viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihr Land im Westen verankert sehen wollen, der Fluchtpunkt ihrer Hoffnungen. Selenskij verlangte auf der Münchner Sicherheitskonferenz denn auch konkrete Antworten des Westens. Er meinte damit in erster Linie die Aussicht seines Landes auf Mitgliedschaft in der Nato, der Organisation, unter deren Dach sich die Ukrainer vor der russischen Aggression sicher fühlen könnten. Aber ein paar ermutigende Worte von der Leyens zum Beitritt der Ukraine zur EU hätten durchaus ihre Wirkung entfalten können.

Doch die EU kann mehr als nur Zuspruch geben, viel mehr. Gerade jetzt. Denn der seit Wochen sich entfaltende Aufmarsch der russischen Armee hat gravierende Folgen für die ukrainische Wirtschaft: Wer traut sich schon in einem Land zu investieren, das morgen schon von russischen Panzern niedergewalzt werden könnte? Möglich, dass Putin gar keine Invasion plant, sondern die Ukraine langsam strangulieren will. Die Ukraine könnte unter dem militärischen Druck, der erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichtet, kollabieren.

Daher braucht die Ukraine dringend finanzielle Hilfen – und die kann die EU liefern.

Seit Beginn des Konfliktes im Jahr 2014 hat sie Kredite im Umfang von insgesamt 17 Milliarden Euro gewährt, kürzlich hat sie 31 Millionen Euro für die ukrainische Armee lockergemacht, sie hat 200 Millionen Euro Corona-Hilfen ausgezahlt und kürzlich noch einmal 1,2 Milliarden Euro freigegeben, um die dringendsten finanziellen Bedürfnisse abzudecken. Außerdem besteht für ukrainische Staatsbürger seit 2017 EU–Visafreiheit. All diese Maßnahmen sollen die ukrainische Wirtschaft stärken, ihre Gesellschaft resilienter machen und sie Schritt für Schritt enger mit dem Westen verweben. Das alles treibt die EU weiter voran.

Bei der Korruptionsbekämpfung hat auch die EU versagt

Im Gegenzug muss die ukrainische Regierung Reformen umsetzen, die in erster Linie das Ziel haben, den Rechtsstaat zu stärken und die Korruption zu bekämpfen, eine Geißel für die Ukraine. Doch leider sieht es damit nicht gut aus. Ein Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes, im September letzten Jahres veröffentlicht, kommt zu einem niederschmetternden Schluss: "Großkorruption und eine Vereinnahmung des Staates im Sinne privater Interessen sind in der Ukraine immer noch weit verbreitet." Die EU habe "in den unterschiedlichsten Bereichen – vom Wettbewerbsumfeld über die Justiz bis hin zur Zivilgesellschaft – Anstrengungen unternommen und Geld bereitgestellt. Doch diese Unterstützung und die ergriffenen Maßnahmen haben nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt". Dieser Bericht könnte dazu verleiten, das Land als "hoffnungslos" abzuschreiben. Das wiederum wäre ganz im Sinne des Aggressors Wladimir Putin, der der Ukraine ohnehin das Existenzrecht abspricht.

Doch der Rechnungshofbericht ist vor allem eine Kritik an der EU selbst. In dem Bericht steht weiter: "Der EU sind die Verbindungen zwischen Oligarchen, hochrangigen Beamten, Politikern, der Justiz und staatseigenen Unternehmen seit Langem bekannt. Trotzdem hat sie keine echte Strategie zur Bekämpfung von Korruption auf höchster Ebene entwickelt."

Der Ukraine helfen, das heißt eben auch: Die EU muss ihre Instrumente schärfen, sie muss an sich selbst arbeiten und besser werden. "Großkorruption" bleibt ein ernsthaftes Problem für die Ukraine. Doch sie ist jetzt vor allem ein Land, das in seiner Existenz bedroht ist und deren Bewohner möglicherweise von russischen Soldaten überfallen werden. Es ist ein Land in Not, das jetzt die Hilfe der EU braucht.

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Weiter in die Schuldenunion – die EU nutzt die Krisen geschickt aus

Vermutlich hat man nicht einmal beim Bundesrechnungshof selbst befürchtet, so zügig von der Realität überholt zu werden. Der Wiederaufbaufonds, warnten die Haushaltsprüfer des Bundes vor genau einem Jahr in einem Sonderbericht, könnte als Präzedenzfall betrachtet werden, auch Kosten künftiger Krisen auf EU-Ebene zu verlagern.

Die Corona-Pandemie ging da gerade in ihr zweites Jahr, und man hätte meinen können, mit Ereignissen solch historischen Ausmaßes sei es danach auch erst einmal wieder gut. Doch weit gefehlt: Das Virus und seine wirtschaftlichen Folgen sind noch immer nicht verschwunden, da ist mit dem Ukraine-Krieg der nächste epochale Einschnitt im vollen Gang – und die Analysten vom Rechnungshof sollten mit ihrer Sorge Recht behalten.

Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel Macron fordert bereits eine Art „Wiederaufbaufonds 2.0“, in die Debatte eingeflogen diesmal als „europäische Investitionsstrategie“. Sein italienischer Mitstreiter Mario Draghi spricht von einem „Resilienzfonds“.

Konstrukt auf tönernen Füßen

„Never let a good crisis go to waste“, soll Winston Churchill einst gesagt haben. Diese Losung half Brüssel bereits, das Instrument „Next Generation EU“, wie der Wiederaufbaufonds genannt wird, zu etablieren. Der Fonds ermächtigte die Europäische Union, unter dem Eindruck der beängstigenden ersten Wochen der Pandemie, erstmals in ihrer Geschichte selbst Schulden zu machen.

Das am Markt aufgenommene Kapital – rund 800 Milliarden Euro – stellte sie anschließend den Mitgliedstaaten als Zuschüsse zur Verfügung. In den Wirren der Notlage ging unter, dass das Konstrukt juristisch auf tönernen Füßen stand, doch nach alter Juncker‘scher „Wir-stellen-etwas-in-den-Raum“-Manier nahm das Projekt eine Hürde nach der anderen und ist nun Realität.

Es mag zynisch klingen, aber: Das Virus kam Brüssel nicht eben ungelegen. Denn die Südländer der Eurozone ächzten auch schon vorher unter der Last ihrer Schulden. Diese waren für Italien und Co. nur deshalb noch tragfähig, weil die Europäische Zentralbank über Jahre eine Geldpolitik mindestens am Rande ihres Mandats betrieben hatte.

Mit deren Hilfe wurden die Risikoaufschläge für Anleihen der betroffenen Länder auf niedrigstem Niveau gehalten. Andernfalls wäre die notdürftig zusammengehaltene Gemeinschaftswährung sofort wieder in Turbulenzen geraten.

Verschiedenste Narrative für die Notwendigkeit

Der Wiederaufbaufonds verschaffte den Regierungen nun willkommene neue Spielräume, die ohne Einfluss auf die Maastrichter Schuldenkriterien blieben und zuweilen einfach dazu genutzt wurden, sich das Volk mit allerlei sozialen Wohltaten gewogen zu machen. Die Gelbwesten in Frankreich hatten ihrer Regierung bereits zuvor bedeutet, wo ihre roten Linien verliefen, und nach dem Beginn der Pandemie galt es auch in Italien, den Zorn des Volkes zu besänftigen.

Kein Wunder, dass die handelnden Akteure mit zweifelhaften Argumenten versuchen, den Zugang zu Dokumenten zu verwehren, die Aufschluss über die Mittelverwendung geben könnten.

Dass der Wiederaufbaufonds eine semantische Täuschung ist, zeigt sich auch daran, dass im Laufe seiner Evolution verschiedenste Narrative für die Notwendigkeit dieser epochalen Kreditfazilität herhalten mussten. Die Rede vom Wiederaufbau, die implizierte, das Virus hätte ganze Landschaften in Schutt und Asche gelegt, musste bald der Erzählung weichen, die wirtschaftlichen Folgeschäden der Pandemie ließen sich nur mithilfe der EU-Milliarden beheben.

Und schließlich sendete EU-Kommissions-Chefin von der Leyen mit dem „Green Deal“ und ihrer Digitalisierungsoffensive nichts weniger als das Signal zum Komplett-Umbau des europäischen Wirtschaftssystems.

Vertrauen der Anleger steht auf dem Spiel

Churchill steht auch jetzt wieder Pate, wenn angesichts des Krieges in der Ukraine und seiner wirtschaftlichen, militär- und energiepolitischen Folgen nach dem Prinzip „Next Generation EU“ erneut Schulden auf EU-Ebene aufgenommen werden sollen. Denn wie Corona spielt auch der Krieg den Befürwortern einer EU als Haftungs- und Transferunion in die Hände. Bei ihnen, sagen sie, ist nichts zu holen – die einzige Chance seien gemeinsame Schulden.

Dabei sind die Gelder aus dem Wiederaufbaufonds noch nicht einmal ausgegeben, aus diesem Topf stünden noch Milliarden Euro bereit. Es gibt keinen erkennbaren Grund, weshalb erneut europäische Gelder in Anspruch genommen werden sollten – außer den, jede sich bietende Chance zu nutzen, eine EU-seitige Schuldenaufnahme zu verstetigen und damit einen Gewöhnungseffekt zu erzielen.

Kommen Macron und Draghi auch noch mit diesem Ansinnen durch, so geht für die Mitgliedstaaten jede verbliebene Motivation verloren, mit ihren jeweiligen Budgets auszukommen. Auf dem Spiel steht dann das Vertrauen der Anleger in den Euro. Dafür ist die ökonomische Stärke des Währungsraums ebenso bedeutsam wie das Zutrauen in seine Schuldentragfähigkeit. Wachsende Haftungsrisiken mindern dieses Vertrauen.

Hohe Haftungsrisiken für Deutschland

Das Nachsehen hätte Deutschland als (noch) wirtschafts- und bonitätsstärkste Nation mit dem größten Anteil am EU-Haushalt – und entsprechenden Haftungsrisiken. Diese addieren sich ja noch zu den ausstehenden Gefahren etwa aus der Griechenland-Rettung, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus () oder den Salden aus „Target2“, dem Zahlungssystem innerhalb des Euro, mit dessen Hilfe nationale Notenbanken Geldüberweisungen abwickeln.

Doch Deutschlands Steuerzahler haben keine Lobby. Einen schwachen Hoffnungsschimmer liefert zwar das Bundesverfassungsgericht, das Deutschlands Zustimmung zum EU-Fonds für rechtens erklärt hatte, zugleich aber klarmachte, eine Hilfe dieser Art müsse eine Ausnahme bleiben. Doch bei von der Leyen, die ihr Amt dem Vorschlag des französischen Staatspräsidenten verdankt, und Haushaltskommissar Hahn laufen Macron und Draghi sicherlich offene Türen ein – den mit der Lizenz zur erneuten Schuldenaufnahme verbundenen Machtzuwachs für Brüssel werden sie kaum verschmähen.

Ob von Bundeskanzler Olaf Scholz Unterstützung zu erwarten ist, ist mindestens ungewiss. Er sieht die Europäische Union schon lange auf dem Weg in eine gemeinsame Finanzpolitik. Und die Grünen im Europaparlament hatten schon vor Monaten gefordert, dass die Finanzströme aus Brüssel in die Mitgliedstaaten nicht abreißen dürften, selbst wenn die wirtschaftlichen Pandemiefolgen überwunden wären.

Bleibt noch Finanzminister Christian Lindner. Dessen Partei hat ihre Wähler seit Aufnahme der Amtsgeschäfte in der Ampel oft genug mindestens ernüchtert. Jetzt wäre die Gelegenheit da, etwas davon wieder gutzumachen.

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Bulgarien: Zwischen allen Stühlen

Bulgarien ist Nato-Mitglied und hat zugleich historisch enge Verbindungen zu Russland. Eine klare Haltung zum Krieg in der Ukraine fällt dem Land schwer. In Rumänien sieht das ganz anders aus.

Zwischen allen Stühlen

Die russische Botschafterin in Sofia, Eleonora Mitrofanowa, äußerte sich in in den vergangenen Tagen über ihr Gastland so undiplomatisch, dass in Bulgarien bereits darüber spekuliert wird, ob sie den Abbruch der Beziehungen provozieren - oder nur ihren Arbeitgebern in Moskau mit ihrem Übereifer gefallen wolle. Bulgarische Politiker seien "Diener der Nato-Propaganda", so Mitrofanowa, und vom ganzen bulgarischen Staat wäre im Zweiten Weltkrieg gerade mal die Provinz Sofia übrig geblieben, hätte die Sowjetunion dereinst nicht ihre schützende Hand über das kleine Land gehalten. Das Land müsse daher in der Frage der "Spezialoperation" zur "Vermeidung eines ukrainischen Genozids im Donbass" natürlich neutral bleiben, warnte sie - schon aufgrund der Dankbarkeit gegenüber den einstigen Befreiern.

In Bulgarien, das 45 Jahre lang ein Satellit der UdSSR war und unter Repression und politischer Isolation litt, hat man zwar eine weit differenziertere Meinung, was die historische Rolle Moskaus in Südosteuropa angeht. Aber Mitrofanowas Äußerungen dürften ohnehin vor allem auf den traditionell russlandfreundlichen Teil der bulgarischen Bevölkerung abgezielt haben. Was die Völkerfreundschaft angeht, ist nämlich, in den Augen Moskaus, Sorge angezeigt: Die Sympathien für Russland und Wladimir Putin sind seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine laut Umfragen von 60 auf unter 30 Prozent gefallen. Erst vor wenigen Tagen marschierten Tausende aus Solidarität mit der Ukraine vom Präsidentenpalast zur Adlerbrücke auf jener bekannten Route durch die Sofioter Innenstadt, auf der vor zwei Jahren fast täglich Großdemonstrationen gegen die eigene Regierung stattgefunden hatten.

Die Botschafterin hat aber auch ganz konkrete Gründe für ihre ätzenden Äußerungen: Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen hat die bulgarische Regierung russische Diplomaten wegen Spionagevorwürfen ausgewiesen. Und sie hat sich, was im russischen Außenministerium mit Drohungen quittiert wurde, gemeinsam gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine positioniert. Für ein EU-Land und Nato-Mitglied ist das einerseits nicht überraschend, aber für Bulgarien mit seinen traditionell engen historischen Bindungen zu Moskau und seiner großen Abhängigkeit von russischem Gas ein wichtiger Schritt.

Der Krieg gegen die Ukraine führt in Bulgarien zu einem Sinneswandel vieler Moskau-Fans

Der Krieg hat die politische Agenda in Bulgarien wenige Monate nach dem Amtsantritt einer extrem heterogenen und mit vielen, politisch unerfahrenen Ministern besetzten Regierungskoalition grundlegend verschoben. Eigentlich sollte es - endlich - um einen demokratischen Neuanfang, um den Kampf gegen Korruption und Mafiastrukturen gehen. Doch nun überlagert das Gemetzel in der nur wenige Hundert Kilometer entfernten Ukraine alle anderen Themen, zumal dort auch eine bulgarische Minderheit von etwa 150 000 Menschen lebt.

Tiefe Risse in der Koalition sind aufgebrochen, die andernfalls wohl noch eine Weile hätten übertüncht werden können. Anfang März etwa wurde der Verteidigungsminister entlassen, der nicht von einem "Krieg" sprechen mochte und davor gewarnt hatte, dass eine dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen den nationalen Interessen schaden könnte. Dennoch hat das Land letztlich einer Stärkung von Nato-Truppen auf seinem Boden zugestimmt und sich dazu auch eng mit den "Bukarest-Neun" abgestimmt. Diese Kooperation war aus Sorge vor einer russischen Aggression nach der Krim-Annexion als Zusammenschluss osteuropäischer Staaten in der Nato entstanden. Jedoch: Sofia hat sowohl eigene Waffenlieferungen wie ein Gas-Embargo ausgeschlossen. Das war intern nicht durchsetzbar.

Der reformorientierte, letztlich aus den Protesten von 2020 als Ministerpräsident hervorgegangene Ex-Geschäftsmann Kiril Petkow muss sich nämlich mit den traditionell Moskau-freundlichen Sozialisten arrangieren, die den Wortlaut der gemeinsamen Erklärung im Parlament aus Angst vor ihrer prorussischen Klientel stark verwässerten. Aber auch mit einer erstarkenden extremen Rechten, die auf den Straßen für Moskau mobilisiert. Und dann ist da noch die konservative, ehemalige Regierungspartei Gerb, jetzt die größte Oppositionspartei, die eigentlich auf EU-Kurs ist und offiziell eine entschiedene Politik gegen Moskau mitträgt. Aber seit ihr Parteiführer und Ex-Regierungschef Bojko Borissow vor zwei Wochen unter großem Medienrummel wegen Korruptions- und Erpressungsvorwürfen festgenommen und für 24 Stunden festgehalten wurde, ist die Gesprächsbasis in dieser Sache schwer beschädigt.

Der bulgarische Journalist Martin Dimitrov von der Wochenzeitschrift Kapital sagt, man sehe, wie Ministerpräsident Petkow laviere. Ihm fehle die Kraft, eine entschiedenere Anti-Moskau-Politik durchzusetzen, während sich die Parteichefin der Sozialisten in der Imitation von Viktor Orbán versuche, indem sie ihre Position zwischen allen Stühlen als "Friedenspolitik" verteidige.

Im Umfeld des Ministerpräsidenten und seiner Partei "Wir setzen den Wandel fort" sieht man das hingegen ganz anders. Der grauenhafte Krieg gegen die Ukraine eröffne in Bulgarien selbst neue Chancen; was bisher unverhandelbar, unsagbar erschienen sei, sei nun politisch leichter vermittelbar: die Absage an einen neuen Liefervertrag mit Gazprom, wenn der jetzige 2023 ausläuft. Das Ende der Verhandlungen über einen mit russischer Hilfe gebauten Atommeiler. Der Umbau des Militärs weg von überkommener, sowjetischer Technik. Vor allem die mit der Nähe zu Russland sozialisierte und an die Abhängigkeit von Moskau gewöhnte ältere Generation, sagt eine Beraterin Petkows, wende sich nun ab - und entwickele ein neues, skeptischeres Denken. Der Krieg ändere, sagt sie, "wie wir uns sehen und wer wir sind".

Rumäniens Präsident hat höhere Verteidigungsausgaben angekündigt

Moskaus Trolle in den sozialen Netzen und seine verbliebenen Freunde im Land halten mit Fake News und Angstkampagnen dagegen. So wird behauptet, Petkow wolle einen geheimen, riesigen Nato-Stützpunkt bauen lassen und Bulgarien in den Krieg hineinziehen. Meldungen darüber, dass das Land kein Benzin mehr habe, führten innerhalb von Stunden zu langen Schlangen vor den Tankstellen. Gegen solche Kampagnen, heißt es in der Regierung erschöpft, sei man leider noch nicht ausreichend gerüstet.

Vielleicht ist deshalb die Kooperation mit EU und Nato besonders eng. Immerhin, konzediert Boris Popivanov in einer Analyse für die Friedrich-Ebert-Stiftung, habe Bulgarien fast demonstrativ allen Maßnahmen seiner Partner zugestimmt: etwa den EU-Sanktionen, dem Ende der Mitgliedschaft Moskaus im Europarat - und, wenngleich mit Bauchschmerzen, der Stärkung der Nato-Flanke im Osten.

Im Engagement für eine neue Verteidigungspolitik tut sich derzeit vor allem das Nachbarland Rumänien hervor. Es steht - seit dem gemeinsamen Eintritt in die EU 2007 - ebenso wie Bulgarien nach wie vor unter kritischer Beobachtung in Brüssel. Auch hier regiert, seit dem Herbst, eine neue und sehr heterogene Koalition, auch hier müssen proeuropäische und eher russlandfreundliche Kräfte sich arrangieren. Und auch hier ist es unter anderem der Präsident Klaus Johannis, der, wie sein Amtskollege Rumen Radew in Bulgarien, den Angriffskrieg Moskaus besonders deutlich verurteilte.

Militärpolitisch aber sind die Entscheidungen in Bukarest weit schneller gefallen als bei den Nachbarn: Das arme Land investiert Millionen in den Ausbau seiner militärischen Infrastruktur, Nato-Partner haben bereits zusätzliche Kampfflugzeuge und Abfangjäger überstellt. Johannis hat eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben von 2 auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angekündigt. Die Ukraine ist zu nah, die gemeinsame Grenze mit 640 Kilometern zu lang, Moldawien und das von russischen Truppen kontrollierte Transnistrien sind ein Sicherheitsrisiko - alles Gründe, warum man in Bukarest besonders eng mit den Partnern kooperiert. Ministerpräsident Nicolae Ciucă formulierte das am Rande des letzten Nato-Treffens - auf einer gemeinsamen Pressekonferenz unter anderem mit dem Kollegen Petkow aus Bulgarien so: "Ich habe den böswilligen Druck Russlands und seinen Einfluss in der Region zur Kenntnis genommen. Wir haben uns entschieden, dem entgegenzuwirken."

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Ungarn: Orbán-TV

In Ungarn stehen Wahlen an, Berichterstattung über die Opposition ist in den staatlichen Medien nicht vorgesehen. Denn sie erhalten ihre Anweisungen direkt von oben.

Orbán-TV

Als András Rostoványi vor drei Jahren den Sender M1 verließ, war er im Besitz von Tonaufnahmen, die beispielhaft belegten, wie staatliche Medien in Ungarn arbeiten: Per Anweisung von oben wird dekretiert, was gesagt und gezeigt werden darf, welche Codewörter in der Berichterstattung auftauchen müssen. Bei Clips über Migranten: nur junge Männer, keine Kinder zeigen, die erregen Mitleid. Bei Politikern: Fidesz-Vertreter zu Wort kommen lassen, über die Opposition Negatives sagen. Kritische Berichte über die Regierungsarbeit sind nicht vorgesehen; selbst Chefredakteure zittern bei Anrufen aus Ministerien. Der Journalist mochte daher nicht mehr für das Staatsfernsehen berichten, dessen Arbeit er unethisch fand - und kündigte.

Nun, kurz vor der Parlamentswahl am 3. April, erzählte Rostoványi, der mittlerweile für die linke Zeitung Népszava über Außenpolitik schreibt, in einem TV-Interview von seinen Erfahrungen. Er habe, sagt er der SZ, lange gezögert, ob er sich öffentlich äußern solle -schließlich wüssten jene Ungarn, die es wirklich wissen wollten, doch ohnehin, wie die interne Zensur und das Staatsfernsehen funktionierten. Aber dann habe er sich doch dazu entschlossen: um zu zeigen, dass es nicht nur die ungarische Regierung ist, die die ungarischen Wähler für dumm verkauft. Sondern dass auch deutsche Firmen und europäische Politiker durch Profitgier und Untätigkeit ihren Anteil hätten am propagandagesteuerten Machterhalt des illiberalen Systems.

Der Journalist erzählte daher über seine Arbeit bei M1 in der exzellenten Dokumentation Ungarn - Propaganda gegen Pressefreiheit, die am vergangenen Wochenende auf ZDF Info und einen Tag darauf auch in Ungarn auf der News-Webseite 444.hu lief. Auf Ungarisch heißt der Film, für den die Berliner Produktionsfirma Film Five mit dem ZDF kooperierte, Fünf Lektionen über die Eliminierung der Realität. Die Dokumentarfilmer Bence Máté und Áron Szentpéteri zeigen darin, wie es Viktor Orbán und seinen Oligarchen gelang, die ungarische Medienlandschaft in zwölf Jahren regelrecht zu unterwerfen.

80 Prozent der ungarischen Medien sind in regierungstreuen Händen

Mittlerweile haben den Film mehr als 350 000 Zuschauer bei 444.hu angeklickt, die Zahl steigt stündlich. Die Neugier ist groß. Dabei ist die Geschichte über den Rückbau der Medienfreiheit in Ungarn seit der Wahl Orbáns zum Ministerpräsidenten 2010 alt. Die EU hat wieder und wieder protestiert. Journalistenverbände haben darüber berichtet, dass mittlerweile 80 Prozent der ungarischen Medien in den Händen von regierungstreuen Besitzern sind - wenn sie nicht ohnehin schon 2018 per Schenkung in die regierungsnahe "Mitteleuropäische Presse- und Medienstiftung" (Kesma) überführt wurden. Dutzende Regionalmedien drucken seither die gleichen Aufmacher. Radiostationen senden ellenlange Interviews mit Orbán ohne kritische Nachfragen. Linksliberale Zeitungen wurden gekauft, nur um sie umgehend einzustellen. Onlinemedien wurden von Handlangern der Regierungspartei Fidesz übernommen, die Inhalte auf Linientreue getrimmt.

Das alles ist oft wortreich bedauert worden; das International Press Institute hat gerade erst wieder einen Report veröffentlicht, in dem aufgezeigt wird, wie sehr die Regierungsnarrative zum medialen Mainstream verkommen sind. Und die Wahlbeobachter von der OSZE haben, schon zwei Wochen vor der Parlamentswahl am kommenden Sonntag, festgestellt, dass Ungarns Medienlandschaft von "systemischer politischer Voreingenommenheit" geprägt sei und Oppositionspolitiker in staatsnahen Medien praktisch nicht vorkämen.

Und doch ist diesmal einiges anders als früher. Die Opposition tritt gemeinsam an, sechs Parteien von links bis rechts haben sich verbündet und einen gemeinsamen Spitzenkandidaten, Péter Márki-Zay, gekürt - unter anderem, um auch medial als eine Kraft aufzutreten. Sie hätten, theoretisch, laut Wahlgesetz das Anrecht auf eine Berichterstattung, die den unterschiedlichen Bewerbern und ihren Inhalten angemessenen Platz einräumt; so merkt es die OSZE in ihrem Wahlvorbericht an. Aber davon kann keine Rede sein. Nicht nur weigert sich Amtsinhaber Orbán seit vielen Jahren, mit seinem Herausforderer im Fernsehen zu debattieren. Mit Blick auf Márki-Zay hat er diesmal wissen lassen, mit dem rede er schon gar nicht direkt, weil er nicht der wahre Kandidat sei. Das, so das Fidesz-Narrativ, ist der ehemalige sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, der laut Orbán die Strippen der Oppositionskampagne zieht.

Einzig der ungarische RTL-Ableger teilt seine Sendezeit auf

Fidesz nutzt seine übermächtige Stellung nicht nur, um mit einem Ungleichgewicht bei der Wahlkampffinanzierung und einem Monopol auf Werbeflächen monetäre und optische Ungleichheit herzustellen. Die staatlichen und staatsnahen Medien ignorieren die Opposition generell so schamlos, dass zahlreiche Politiker und Sympathisanten schon mehrmals vor der Zentrale der MTVA, der Medienbehörde, demonstriert haben, um endlich wahrgenommen, angehört, interviewt, gezeigt zu werden. Vergeblich.

Das Medienforschungsinstitut Mérték, das vom German Marshall Fund unterstützt wird, wertet seit vielen Jahren die Berichterstattung in Ungarn aus - nach Minuten, nach Sendern und nach Inhalten. Drei Analysen wurden vor der kommenden Wahl erstellt. Das Ergebnis ist, was Ausgewogenheit und Fairness angeht, niederschmetternd. Staatsnahe Medien wie TV2 oder Duna widmen den Oppositionsparteien weniger als zehn Prozent ihrer Zeit, einzig der ungarische RTL-Ableger teilt seine Sendezeit zwischen den Lagern gerecht auf.

Wenn in Staatsmedien über Orbáns Gegner berichtet wird, geschieht dies praktisch immer verzerrt und in einem negativen Kontext. Weil Staatssender ohnehin nicht zu Pressekonferenzen der Opposition gehen, übernähmen sie, so Mérték, zudem regelmäßig die Coverage anderer Sender und intonierten deren Berichte neu. Zitate würden komplett aus dem Zusammenhang gerissen und dann tagelang in sekundenkurzen Clips wiederholt, alte Äußerungen von Politikern hervorgekramt und in einem falschen Kontext präsentiert.

Als die Opposition ihr Wahlprogramm vorstellte, berichteten öffentlich-rechtliche Sendern nicht über den Inhalt, stattdessen belächelten sie die Zahl der Teleprompter und der technischen Hilfsmittel und stellten die "Inszenierung" als "Reinfall" dar. Zwar, so Mérték, werde Márki-Zay im Fernsehen sekundenlang gezeigt - nur um ihn dann mit länglichen Zitaten aus Fidesz-nahen Medien niederzumachen. Immerhin: Einmal bekam der Spitzenkandidat der Opposition fünf Minuten Interviewzeit - live, an einem Mittwochmorgen gegen neun Uhr. Er nutzte seinen Auftritt, um atemlos zumindest einmal das Programm der vereinten Opposition zu erklären. Vor und nach seinem Auftritt kam indes ein anderer Kandidat sehr ausführlich zu Wort: Amtsinhaber Viktor Orbán.

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Muttis Erbe:

Ukraine-Krieg: „Wir haben Angela Merkel fast blind vertraut“ - Botschafter Andrij Melnyk

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk glaubt, dass Angela Merkel den Angriffskrieg von Putins Truppen hätte verhindern können. Er fordert die frühere Kanzlerin auf, Stellung zu ihrer Russlandpolitik zu nehmen.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat Angela Merkel (CDU) schwere Vorwürfe wegen ihrer Russlandpolitik gemacht. Dass sein Land der früheren Kanzlerin »fast blind vertraut« habe, sei ein Fehler gewesen, sagte Melnyk der »Süddeutschen Zeitung«.

Auf die Frage, ob Deutschland eine Mitschuld an dem Krieg trage, und ob Merkel diesen Krieg hätte verhindern können, antwortet der Botschafter: »Ich glaube schon.«


»Niemand wusste besser als sie, wie angespannt das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine geblieben ist und dass (der russische Präsident Wladimir) Putin keine Einigung, sondern die Vernichtung meiner Heimat will«, sagte Melnyk in einem Interview. Trotzdem sei in Berlin die Entscheidung für die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gefallen.
Melnyk forderte Merkel auf, Stellung zu ihrer Russlandpolitik zu nehmen. »Ich glaube, es wäre auch für Deutschland wichtig, dass Frau Merkel sich äußert.« Es gehe »nicht um Schuldzuweisungen. Es geht darum, zu verstehen, wie das Ganze schiefgelaufen ist.«

Zur Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte Melnyk: »Es steht außer Frage, dass Herr Steinmeier die Ukraine in Zukunft besuchen kann. Glauben Sie mir, es geht gar nicht darum, ob seine bisherige Distanzierung zu den gravierendsten Fehlern der Russlandpolitik als ausreichend empfunden wurde.«

Man brauche aber »nicht nur Worte, sondern vor allem mutige Taten, um diese verhängnisvollen Fehlentscheidungen zu korrigieren«, sagte Melnyk. »Daher wäre das deutlichste Zeichen deutscher Solidarität mit der Ukraine ein sofortiges Embargo für russisches Gas und Öl. Im Moment wäre es vorrangig, dass der Bundeskanzler die Ukraine besucht, weil nur er und die Ampel notwendige Entscheidungen über neue Waffen und weitere Strafmaßnahmen gegen Moskau treffen können.«

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Sanktionen? Baerbock knetet Serbien

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat Serbien signaisiert, dass die Sanktionen der EU gegen Russland mitgetragen werden müssen. Der eben bestätigte Präsident Aleksandar Vučić (03.04.2022) gehört zu den letzten Staatschefs Europas, die sich weigern, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Gleichzeitig ist sein Land seit zehn Jahren EU-Beitrittskandidat.
Vucic ist laut Beobachtern ("WOZ") unterwegs vom vom Ultranationalisten zum Proeuropäer. Er betont, sein Land in die EU führen zu wollen, pflegt aber gleichzeitig enge Beziehungen zu Russland.

Diplomaten aus europäischen Hauptstädten sagen: Serbien muss sich für eine Seite entscheiden. Meint auch die deutsche Außenministerin. Annalena Baerbock in Brüssel:

„Wenn man Mitglied der EU werden will, was Serbien werden möchte, dann ist es zentral, in solchen Momenten auch die Außenpolitik der EU und entsprechend die Sanktionen mitzutragen.“

Die Erklärung der deutschen Außenministerin ist die erste direkte Botschaft an Belgrad, wie es sich angesichts des Krieges in der Ukraine verhalten soll. Das Votum bei den Vereinten Nationen, Russlands Aggression zu verurteilen und das Land aus dem UN-Menschenrechtsrat zu verdrängen, hat offenbar den Druck der Europäischen Union kaum verringert.

Zur Zeit scheinen weder die Rechtsstaatlichkeit noch der Dialog mit Pristina (Kosovo) für die europäische Integration Serbiens wichtig – was zählt, ist nur das Verhältnis zu Moskau, meinen Analysten. Und dass der stärkste Druck noch stärker werden könnte.

Suzana GrubješićPolitik-Analystin, früher stellvertretende Ministerpräsidentin Serbiens für Europäische Integration:

"Die neue deutsche Außenpolitik will offenbar Antworten auf die sehr komplizierte Frage: 'Für uns oder gegen uns?' Wer Sanktionen gegen Russland verhängt, ist für uns, wer keine Sanktionen verhängt, ist gegen uns.”

"ENORMER DRUCK"

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic erklärte kürzlich, dass Serbien seit Beginn des Krieges enormem Druck und der Androhung von Sanktionen, dem Rückzug von Investoren und dem Stoppen der europäischen Integration ausgesetzt sei. Einige Analysten bezweifeln, dass Serbien diesem Druck standhält.

Schon vor knapp drei Jahren (Juli 2019) hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Hoffnungen auf eine schnelle Westintegration des Landes gedämpft: Serbien sei auf dem Weg zur europäischen Integration, aber der Erweiterungsprozess liege auf Eis, bis alle internen Probleme der EU gelöst seien.

Nemanja Sitplija, "European Western Balkans" (Webportal):

"Ich meine, dass die EU und vor allem die großen Mitgliedsstaaten wie Deutschland und Frankreich erwarten, dass Serbien seine Außenpolitik ändert. Es muss nicht, seien wir realistisch, das ist Serbiens eigene Entscheidung. Aber aber ich bin überzeugt, dass dieser Druck heftiger wird.”

POPULÄRER PUTIN

Warum Putin in Serbien populär ist? Im Jahr 1999 bombardierte die NATO nach drei Kriegen im Zuge des Zerfalls von Jugoslawien - ohne Mandat des Uno-Sicherheitsrats - das sogenannte Restjugoslawien, also das heutige Serbien, Montenegro und den seit 2008 unabhängigen Kosovo. Der Westen, federführend die USA, wollten den ethnischen Massakern an Albaner:innen und Massenvertreibungen Einhalt gebieten. Moskau stand damals auf der Seite Belgrads und verhinderte durch sein Veto im UN-Sicherheitsrat die Legitimierung des militärischen Eingreifens.

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Frankreich: Marine Le Pen attackiert Deutschland

Im Falle eines Wahlsieges will die französische Rechtsradikale Marine Le Pen alle Rüstungsprojekte mit Deutschland beenden. Sie sprach sich auch für engere Beziehungen zwischen der Nato und Russland aus.

Nach der Stichwahl am 24. April ist sie womöglich Staatschefin von Frankreich. Die Rechtsradikale Marine Le Pen hat bei einem Wahlkampfauftritt in Paris die Politik Deutschlands massiv attackiert.

Für den Fall ihres Sieges gegen Amtsinhaber Emmanuel Macron kündigte Le Pen die Aufkündigung gemeinsamer Rüstungsprojekte mit Deutschland an. »Wegen unvereinbarer strategischer Differenzen werden wir die gesamte Zusammenarbeit mit Berlin beenden, sowohl beim künftigen Kampfjet (FCAS) als auch beim künftigen Kampfpanzer und stattdessen unsere eigenen Programme verfolgen«, sagte sie über ihre außenpolitischen Pläne.

Le Pen warf Deutschland vor, für »die absolute Verneinung der französischen strategischen Identität« zu stehen. »Es ist normal, dass Berlin seine Interessen verteidigt, und dass wir unsere Interessen verteidigen, was Macron vernachlässigt hat«, sagte Le Pen. Sie warf Deutschland auch vor, die Nato als Grundpfeiler seiner Sicherheit zu betrachten und US-Rüstungsgüter zu kaufen.
Mit Blick auf die Energieversorgung verteidigte Le Pen den Ausbau der Atomkraft und kritisierte auch in diesem Punkt die deutsche Haltung: »Ich werde es nicht zulassen, dass Deutschland unsere Atomindustrie zerstört«, sagte Le Pen. Sie wolle vielmehr die Deutschen von dem französischen Modell überzeugen, das sich ihrer Ansicht nach auf Atomkraft und Wasserstoff stützen solle.

Während der Pressekonferenz hielt eine Aktivistin ein gemeinsames Foto von Le Pen und Kremlchef Wladimir Putin hoch. Sie wurde zu Boden geworfen und aus dem Saal getragen.

Le Pen: Engere Beziehungen von Nato und Russland nach Kriegsende

Nach einem Ende des Krieges in der Ukraine sprach sich Le Pen für engere Beziehungen zwischen der Nato und Russland aus. Bei einem Wahlsieg plane sie keinen Austritt Frankreichs aus der EU und werde das Pariser Klimaschutzabkommen respektieren, behauptete sie.

Macron hatte seiner Rivalin im Wahlkampf vorgeworfen, sie betreibe insgeheim eine Politik, die auf den Austritt Frankreichs aus der EU abziele. Le Pen erklärte daraufhin, sie habe keine geheime Agenda. Sie machte in einem Rundfunk-Interview zugleich deutlich, dass sie eine EU-Skeptikerin bleibt.