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Merkels Altlasten

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Das ist aufs Fürchterlichste offenbar geworden

 

 

Angela Merkel: War sie eine große Kanzlerin?
Angela Merkel: Die Folgen ihrer Politik werden jetzt erst deutlich. (Quelle: IMAGO/Ulrich Stamm/imago-bilder)

Angela Merkel war eine erfolgreiche Kanzlerin? Diese Deutung lassen all die Probleme – von der Energiewende bis zur Zuwanderung – nicht mehr zu.

Stechwarzen, das habe ich irgendwo mal gelesen oder gehört, lassen sich ganz gut wegbeten. Die Wirtschaft ist aber keine Warze, sie ist deutlich schwerer gesundzubeten als eine hinderliche Hautveränderung in der Handfläche oder am großen Zeh. Gleichwohl haben sich in dieser Kunst Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Wirtschaftsminister Robert Habeck versucht.

Sie erklärten erst jüngst die drohende Rezession für abgemildert, wenn nicht abgewendet. Es sah tatsächlich nach etwas Hoffnung aus – dann aber kam die Warze zurück: Das Statistische Bundesamt wies für das das vierte Quartal 2022 ein um 0,2 Prozent geschrumpftes Bruttoinlandsprodukt aus. Vorher war die deutsche Wirtschaft trotz der Teuerung und der Energieprobleme infolge des Ukraine-Kriegs gewachsen. 2023 droht nun am letzten Quartal 2022 anzuknüpfen.

Energiewende verschleppt, Zuwanderung verhindert

Das gefürchtete R-Wort ist also seit vergangener Woche zurück, und die Wirtschaftskollegin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Julia Löhr machte sich in ihrem Kommentar daran, die Ursachen für den drohenden Abschwung Deutschlands zu ergründen: "Das chaotische Management der Energiewende, allen voran der Ausstieg aus einer verlässlichen, günstigen und noch dazu klimafreundlichen Stromquelle wie der Atomkraft, lässt Unternehmen am Wirtschaftsstandort Deutschland zweifeln. Auch in der Zuwanderungspolitik läuft einiges schief. Derzeit drängen vor allem die vollen Flüchtlingsheime auf die politische Agenda und weniger die so dringend benötigte Einwanderung von Fachkräften."

Bei diesen Zeilen könnte ich kaum so viel nicken, wie ich zustimmen wollte. Um dann, als der leichte Schwindel wegen des vielen Nickens vorbei war, der Frage nachzuhängen: Wo kommt das Unheil her, wo fing es an?

Da landet man – tut mir leid – bei Angela Merkel. Denn, ja, die aktuelle Koalition ist verantwortlich dafür, dass darüber gefeilscht wird, ob die drei Rest-Atomkraftwerke in Deutschland noch drei Monate oder doch vielleicht drei Jahre länger als geplant laufen dürfen (es sind bekanntlich drei Monate und kein Tag mehr). Und auch für die aktuelle Not, Flüchtlingen aus den bisherigen Herkunftsländern, plus denen aus der Ukraine, Unterkunft und Versorgung zu sichern, kann die frühere Bundeskanzlerin nichts.

Deutschland am Beginn des Abstiegs

Aber Angela Merkel hat für beide Beschwernisse dieses Landes die strukturell-politische Verantwortung. Sie hat beide herbeigeführt mit einem kopflos-überhasteten Atomausstieg und einer resignativen Flüchtlingspolitik ohne jede Ambition auf Steuerung und Einflussnahme. Es sind nicht die beiden einzigen Bereiche, in denen Merkel das Land, von dem sie schwor, Schaden von ihm abzuwenden, mit Hypotheken belud. Und ihre Nachfolger nebenbei gesagt auch.

Es geht nicht um kleine Schwankungen, ein kleines Schwächeln. Die staatliche Förderbank KfW sieht über konjunkturelle Schwankungen hinweg Deutschland am Beginn eines jahrzehntelangen Abstiegs, nicht zuletzt wegen des Fachkräftemangels. Merkels Einwanderungspolitik (die keine war, die den Namen verdient hätte) hat dafür gesorgt, dass zwar viele kamen, aber nicht die, die man dringend gebraucht hätte.

Aus dem klassischen Drama kennt man das retardierende Moment. Es verzögert für eine gewisse Weile die Auswirkungen des Tragischen, das die handelnden Personen vorher angerichtet haben. Der Zuschauer wird kurz in den Glauben gelullt, dass alles doch noch gut ausgehen könne – um dann jäh von der Katastrophe aus dieser Illusion gerissen zu werden.

In der Politik gibt es dieses retardierende Moment auch, es dauert nicht Minuten, wie auf der Bühne, sondern Jahre. Dann aber ist es vorbei. Und die Folgen einer Amtszeit, ihrer strukturell wirkenden Entscheidungen (oder Unterlassungen) stellen sich vor aller Augen ein – meist erst, wenn der Amtsinhaber nicht mehr da ist.

Von Schröder und Kohl lernen

Das gilt im Guten wie im Schlechten. Gerhard Schröder hatte von Helmut Kohl ein Land in einem noch enger vereinten, neuen Europa mit einer vorbereiteten einheitlichen Währung übernommen. Schröder, der lange noch davon sprach, dass deutsche Steuergelder in der Europäischen Union "verbraten" würden, kam alsbald zu dem Schluss, dass sein Vorgänger Großes geleistet hatte, auf dem er aufbauen konnte. Er wiederum machte sich daran, die liegen gebliebenen Reformen auf dem deutschen Arbeitsmarkt anzugehen und machte das Land damit gegen großen Widerstand vor allem der Gewerkschaften flott.

Schröder und Kohl, das zeigt der Blick zurück und erweist sich (retardierendes Moment!) erst mit einem gewissen Abstand, waren beide große Kanzler. Es ist noch zu früh für eine endgültige Bilanz, aber bei Angela Merkel zeichnet sich zunehmend ab, dass sie das nicht war. Bei aller (auch etwas merkwürdigen) Huldigung, ja Verehrung, derer sie sich zu ihrer aktiven Zeit bei den meisten Kommentatoren sicher sein konnte.

Zwei ihrer langen Schatten, die bis ins Heute und Morgen reichen, sind schon genannt. Angela Merkel hat aber noch mehr auf der Soll-Seite. Dass die öffentliche Infrastruktur so aussieht, wie sie aussieht, ob Brücken, Straßen, Schulen oder die Bahn, hat eben sehr viel mit der Politik der Angela Merkel zu tun.

Das gilt auch für die Bundeswehr. Dass es um sie tragisch-verheerend steht, ist länger bekannt und seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs aufs Fürchterlichste offenbar geworden – und existenziell bedrohlich, nicht nur für die Ukraine. Die Kollegen vom "Spiegel" haben diesem Desaster in Olivgrün jüngst eine profunde Titelgeschichte gewidmet. Und die strukturell wehrkraftzersetzenden Ursprünge des Ist-Zustandes plausibel bei den beiden zuständigen Merkel-Ministern Thomas de Maizière und Karl Theodor zu Guttenberg festgemacht.

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"Das grenzt an Peinlichkeit"

Artikel von T - Online • Vor 4 Std.

Verdienstorden für Merkel

"Das grenzt an Peinlichkeit"

"Das grenzt an Peinlichkeit"

"Das grenzt an Peinlichkeit"© T - Online

16 Jahre lang regierte Angela Merkel Deutschland, nun erhält die frühere Bundeskanzlerin eine hohe Auszeichnung. Zu Recht? Auf keinen Fall, sagt Politikwissenschaftler Klaus Schroeder.

Nur zwei Männer haben bislang die für einen Bundeskanzler höchstmögliche Stufe des Bundesverdienstkreuzes erhalten: Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Nun folgt ihnen Angela Merkel, Deutschlands frühere Langzeitregierungschefin. Wie gerechtfertigt ist die Ehrung mit Großkreuz in besonderer Ausfertigung? Politologe Klaus Schroeder ist skeptisch.

t-online: Professor Schroeder, Angela Merkel erhält die für sie höchstmögliche Stufe des Bundesverdienstkreuzes. Ist diese Ehrung für die frühere Bundeskanzlerin angemessen?

Klaus Schroeder: Das grenzt an Peinlichkeit. Ich halte es für verfehlt, sie mit diesem Verdienstorden auszuzeichnen. Was spricht denn für Angela Merkel – außer ihrer langen Kanzlerschaft von 16 langen Jahren?

Die Kernfrage ist, ob Deutschland nach dem Ende von Merkels Amtszeit besser oder schlechter dasteht als zuvor.

Deutschland steht nach Merkel viel schlechter da. Früher war die Bundesrepublik wirtschaftlich stark und konnte politisch mitmischen. Heute ist Deutschland nur noch eine Randfigur. Das haben wir Merkel zu verdanken.

Klaus Schroeder, Jahrgang 1949, ist Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, zugleich leitet er den Forschungsverbund SED-Staat. Der Politikwissenschaftler ist unter anderem Experte für die Geschichte der DDR und der deutschen Teilung. 2020 erschien Schroeders Buch "Kampf der Systeme. Das geteilte und wiedervereinigte Deutschland".

Zumindest in Europa hat Deutschland aber doch einige Bedeutung.

Auch aus europapolitischer Sicht halte ich die Ehrung Merkels für falsch. Erinnern Sie sich an ihren Ausspruch "Wir schaffen das"? In der "Flüchtlingskrise" seit 2015 hatte sie sich in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin über die Empfehlung der obersten Sicherheitsbehörden hinweggesetzt – und gut eine Million Menschen ins Land gelassen. Damit hat Merkel auch Europa entzweit, weil die meisten europäischen Staaten diese Art der Politik nicht guthießen.

Auf der anderen Seite wurde Merkel für ihre damalige Entscheidung gelobt. So von den Vereinten Nationen wie vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama.

Immerhin ist Angela Merkel nicht Lobbyistin geworden, wie es ihr Vorgänger Gerhard Schröder für Russland getan hat.

Bleiben wir bei Vorgängern: Außer Merkel haben nur zwei Politiker dieselbe Ordensstufe erhalten wie nun sie: Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Waren diese Auszeichnungen gerechtfertigt?

Absolut. Der Christdemokrat Konrad Adenauer hat als erster Bundeskanzler die junge Bundesrepublik in den Kreis der westlichen Demokratien geführt. Und erfolgreich eine eigenständige Rolle für das Land proklamiert. Helmut Kohl hingegen spielte später eine herausragende Rolle bei der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Auch wenn ihn die Spendenaffäre 1999 diskreditiert hat.

"Das grenzt an Peinlichkeit"

"Das grenzt an Peinlichkeit"© T - Online

Ohne den Fall der Mauer 1989 wäre Kohls Zeit als Kanzler wohl bald beendet gewesen.

Ja, Kohl war damals fast am Ende. Mauerfall und Einheit haben aber dafür gesorgt, dass er es schließlich auf 16 Jahre im Kanzleramt gebracht hat.

So wie Angela Merkel, die zu Beginn ihrer Karriere als "Kohls Mädchen" galt.

16 Jahre im Kanzleramt allein sind aber noch lange kein Grund für die nun erfolgende Auszeichnung.

Sich so lange an der Macht zu halten, ist allerdings schon ein Kunststück. Was zeichnete Merkels Politikstil denn aus?

Merkel war immer sehr geduldig, sehr vorsichtig, in der Regel hat sie versucht, ausgleichend zu wirken. Deshalb hat sie aber manche Entwicklungen, die sich dann zugespitzt haben, auch nicht rechtzeitig erkannt.

Wie die Pläne Wladimir Putins in Hinsicht auf die Ukraine?

Da war Merkel nicht vorsichtig genug, obwohl man ihr diese Eigenschaft immer nachgesagt hat. Der Fairness halber muss ich aber sagen, dass man hinterher immer schlauer ist.

Spätestens seit der russischen Annexion der Krim durch Russland 2014 wurden insbesondere Polen und die baltischen Staaten es nicht müde, Deutschland vor der aufziehenden Gefahr zu warnen.

Merkel hätte die Warnungen ernster nehmen müssen, ja. Sie hat nicht erkannt, worauf Putin aus ist: nämlich Russland in den Ausmaßen der alten Sowjetunion zu restaurieren. Daher hätte vielmehr Rücksicht auf unsere östlichen Partnerstaaten genommen werden müssen.

Diese hatten sich Führung von Deutschlands als führender europäischer Wirtschaftsmacht erhofft.

Wir wollen gerne Führungsmacht sein, sind es aber nicht. Genaugenommen versinkt Deutschland in Bedeutungslosigkeit. Wir sind gar nichts mehr, das ist auch eine Spätfolge der Merkel-Zeit. Sie hat die Rolle, die Deutschland innerhalb Europas hätte einnehmen müssen, nicht angenommen.

Nun hat Merkel einmal aber außerordentlich schnell reagiert. 2011 kassierte sie nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima die gerade erst erteilte Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke.

Das war ungewöhnlich für Merkel, dass sie so schnell und hart reagiert hat. Was bis heute vielen hierzulande nicht klar ist: In Fukushima war ja ein Tsunami ursprünglich verantwortlich. Bis heute wird immer noch erzählt, dass dort ein Atomkraftwerk explodiert wäre. Tatsächlich lehrt Fukushima, dass man besser in derart gefährdeten Regionen kein AKW baut. Merkel aber hat im Kurzschluss reagiert. Nun verstromen wir nach Putins Krieg gegen die Ukraine wieder Steinkohle und die Leute heizen ihre Öfen an.

Wie beurteilen Sie Merkels Politik in der Corona-Pandemie?

Corona ließ sich so nicht voraussehen, davon sind wir alle in Deutschland überwältigt worden.

Merkels Jahre im Kanzleramt neigten sich zu Beginn der Pandemie bereits dem Ende zu. Sind 16 Jahre nicht einfach zu viel?

Absolut. Ich bin sehr für eine Begrenzung der Amtszeiten von Bundeskanzlern auf zwei Perioden.

Olaf Scholz wird als Merkels Nachfolger eine gewisse Ähnlichkeit zu ihr in der Amtsführung nachgesagt. Was sagen Sie dazu?

Ich will es so ausdrücken. Wir bräuchten einmal jemanden im Kanzleramt, der über etwas mehr Charisma und Strahlkraft verfügt.

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Kommentar von Ulrich Reitz - Merkel verdient einen Orden - aber nicht Deutschlands höchsten

Der Bundespräsident verleiht Angela Merkel einen Orden, der sie auf eine Stufe mit Adenauer und Kohl stellt. Das provoziert eine Debatte über Merkels wirkliche Leistungen. Wirklich verdient hätte Merkel einen anderen Orden.

Angela Merkel benötigt Krücken Getty Images

Angela Merkel benötigt Krücken Getty Images© Getty Images

Den Orden, den Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel wirklich verdient hätte, gibt es nicht: Das Machiavelli-Großkreuz mit Stern, Schulterband und Lorbeerkranz. Ihre Verdienste in der Disziplin „Politische Macht“ sind unübertroffen und hätten daher diese einmalige Auszeichnung verdient.

Und zwar deshalb: Als erste Frau eroberte Merkel die damalige Männerpartei CDU und machte sie sich untertan. Als erste Ostdeutsche kam sie zuerst an die Spitze einer Westpartei und danach an die Führung eines Weststaates, dem der Ostteil als historischer Irrtum 1990 nur „beigetreten“ war. Als erster Regierungschef überhaupt verließ Merkel ihr Amt wieder freiwillig, nach 16 Jahren.

Merkel erfand die „asymmetrische Mobilisierung“

Merkel schaffte das, weil sie eine neue Macht-Methode ersann. Sie verließ die Grundlinien ihrer eigenen Partei, ohne dass ihre Partei sie verließ. Sie machte sich die Ideen der roten und grünen Konkurrenz zu eigen, ohne dass Sozialdemokraten und Grüne ein Gegenmittel gefunden hätten. Politikwissenschaftler und Demoskopen gaben ihrem einzigartigen Machiavellismus einen neuen Namen: Asymmetrische Mobilisierung. Damit kommt sie in die Geschichtsbücher, verdientermaßen. Weitere Einträge wird es allerdings kaum geben. Oder wenn, dann Negative. Weite Teile der Merkelschen Politik liegen inzwischen in Trümmern.

Daher ist es nur konsequent, dass Merkel Applaus erfährt von jenen, deren Politik sie machte. Und Kritik von jenen, in deren Namen sie sie machte. Der Beifall kommt von einem der beiden SPD-Vorsitzenden, einem der beiden Grünen-Vorsitzenden, und selbstredend vom sozialdemokratischen Staatsoberhaupt (Präsidenten lassen ihr Parteibuch ruhen, nicht aber ihre Gesinnung).

Ausgerechnet ihr Außenminister ehrt Merkel

Frank Walter Steinmeier, ehemals Außenminister unter Merkel, ehrt seine Ex-Chefin nun mit dem Großkreuz des Verdienstordens in besonderer Ausführung, in Anwesenheit des sozialdemokratischen Bundeskanzlers und des früheren sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Franz Müntefering, mit dem sie ihre erste große Koalition führte.

Die Buh-Rufe kommen von den beiden bürgerlichen Parteien, im Fall der CDU pikanterweise von dem, der ein neues Programm ersinnen soll: Carsten Linnemann. Das neue CDU-Programm soll Merkels Ära überwinden, indem es der gesichtslosen CDU wieder eine Kontur gibt, oder bescheidener: Erkennbarkeit. Die andere bürgerliche Partei, mit der Merkel vier unglückliche Jahre verbrachte, die FDP, stellt fest, dass nach ihren 16 Jahren Deutschland zum Reparaturfall geworden war.

Ein Urteil, das von SPD und Grünen geteilt wird, aller persönlichen Wertschätzung für die Plagiatorin von der CDU zum Trotz. In so gut wieder jeder Bundestagsdebatte spielen Merkels etwa beim Klimaschutz verlorene Jahre eine Schlüsselrolle – die Ampelparteien richten sich als „Fortschrittskoalition“ daran auf. Jetzt ehren sie die Frau, deren Nichtstun sie überwinden wollen.  Es ist daher nur ehrlich, dass aus der Unionsführung wie aus der Chefetage der Liberalen niemand an der Ordensvergabe teilnimmt.

Merkel hat das Großkreuz nicht verdient

Hat Merkel das Großkreuz nun verdient? Nein, sicher nicht. Konrad Adenauer hat Deutschland nach der Nazi-Herrschaft in den Kreis der Demokratien zurückgeführt. Er hat diesem Land seine Staatsräson als West-Staat gegeben. Helmut Kohl hat Deutschland mit der Wiedervereinigung den von den Sowjets geraubten Osten zurückgebracht. Beide, Adenauer wie Kohl, haben Deutschlands Existenz als europäisches Land unumkehrbar gemacht. Eine auch nur annähernd vergleichbare grundlegende Weichenstellung hat es in Merkels Regierungszeit nicht gegeben.

Weder war Merkel die „Klimakanzlerin“, die sie gerne gewesen wäre. Noch war sie die „Flüchtlingskanzlerin“, zu der die Grünen sie ausriefen – ein Jahr nach „Wir schaffen das“ machte Merkel eine rigide Flüchtlingspolitik, auch mit Hilfe des Schein-Demokraten Recep Tayyip Erdogan aus der Türkei.

Dass Merkel als „Krisenkanzlerin“ Europa gerettet habe, indem sie den Kontinent zusammenhielt, ist allenfalls die halbe Wahrheit. Mit dem gigantischen Nordstream-Projekt spaltete Merkel Europa wie noch nie ein deutscher Regierungschef vor ihr, ganz abgesehen von der Entfremdung zu Deutschlands wichtigstem Verbündeten, den USA, der sogar Sanktionen gegen die Merkel-Regierung verhängte.

Schmidt und Schröder hätten Ehrung eher verdient

Nun sagen Merkels Verteidiger wie ihr Kanzleramtsminister Peter Altmaier, man müsse Merkels Politik „aus ihrer Zeit“ bewerten. Kann sein, muss aber nicht sein. Die Leistungen von Adenauer und Kohl haben ihre Zeit überdauert, sie sind zur Staatsräson geworden.

Auch zwei sozialdemokratische Kanzler haben sich mit weitreichenden Weichenstellungen um Deutschland verdient gemacht:

Helmut Schmidt mit dem Nato-Doppelbeschluss, der den Anfang vom Ende der Sowjetunion einleitete und damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für die spätere deutsche Wiedervereinigung bildete.

Und Gerhard Schröder mit seinen bahnbrechenden Wirtschaftsreformen, die eine traditionelle SPD-Politik der sozialen Gießkanne gegen weite Teile der eigenen Partei um das liberale Prinzip der Eigenverantwortung ergänzten. „Fordern und Fördern“ – Schröder säte, Merkel fuhr die Ernte ein.

Schmidt und Schröder hätten, jeder zu seiner Zeit, eine derartige Ehrung eher verdient als Merkel heute. Dass die Mehrheit der Bevölkerung Merkel 16 Jahre lang vertraute, ist zweifellos richtig. Es ist aber die beinahe logische Folge daraus, dass Merkel wie kein Bundeskanzler vor ihr die Politik ausrichtete an den Meinungsumfragen.

2011 waren 90 Prozent der Bundestagsabgeordneten und weit über 50 Prozent der Bevölkerung für den Atomausstieg. Man hätte auch damals schon wissen können, dass das nicht nachhaltig war. Merkel wollte die wichtige Landtagswahl in Baden-Württemberg gewinnen, das war der Grund für den Atomausstieg nach Fukushima.

Merkel feiert lieber mit Ihresgleichen

Die Mehrheit in Parlament und Bevölkerung war auch für die Aufnahme der syrischen Flüchtlinge im Jahr 2015. Man hätte auch damals schon wissen können, dass das nicht nachhaltig war. Den Aufstieg der AfD, der eine Folge davon war, nahm Merkel bewusst und sehenden Auges in Kauf. Der CDU nahm Merkel damit einen Teil ihrer DNA – 30 Jahre lang war die CDU die Partei gegen den Missbrauch des individuellen Asylgrundrechts gewesen. Merkels Beharren auf einer „gerechten“ Verteilung der Flüchtlinge auf dem Kontinent schadete auch dem Ruf der CDU als verlässlicher Europapartei.

Ein Vorwurf, dem man nun dem Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier als damaligem Mit-Architekten der Russlandpolitik Merkels macht, ist vielleicht doch zu billig. Steinmeier hat sich für seine naive Putin-Gläubigkeit entschuldigt. Merkel nicht.

Worauf Wolfgang Schäuble hinwies. Der Doyen der Christdemokraten wäre gern Bundespräsident geworden seinerzeit. Merkel hat es verhindert. 16 Jahre Regierung hinterließen auch 16 Jahre Wunden.

Manche Verletzungen, für die Merkel sorgte, reichen auch noch länger zurück. Friedrich Merz, den sie einst, 2002, der eigenen Karriere opferte, hat Merkel erst gar nicht eingeladen. Sie feiert lieber mit Ihresgleichen.

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Die "Mutti" der Misere

Wer ist verantwortlich, wenn ein Land schwächelt? Kolumnist Christoph Schwennicke sieht das Problem nicht nur bei der aktuellen Regierung.

Letzter sein – daran haben wir uns beim European Song Contest mittlerweile gewöhnt: Germany: zero points, Allemagne: zero points. Für die Wirtschaftsweltmacht Deutschland aber ist es ein ganz neues Gefühl: Schlusslicht zu sein.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat nun dem bisherigen Powerhouse Europas die rote Laterne umgehängt. Von 22 ausgewählten wirtschaftsmächtigen Ländern und Regionen hat Deutschland in der Prognose des IWF den letzten Platz belegt. Für 2023 sagen die Experten des Fonds ein Wachstum der Weltwirtschaft von drei Prozent voraus, für Deutschland ein Minus von 0,3 Prozent.

Das kann ja nur schiefgehen

In der reflexhaften Suche nach den Ursachen und den politisch Verantwortlichen sind viele Beobachter ganz schnell bei der regierenden Ampel gelandet – am liebsten beim Wirtschaftsminister. Ein Grüner auf diesem Posten – das kann ja nur schiefgehen, ist da der Tenor.

Und natürlich haben manche Entscheidungen der amtierenden Bundesregierung einen Anteil am Problem. Man kann sich nicht aus dem Stand gleichzeitig vom russischen Gas verabschieden und die letzten Atommeiler stoisch abschalten. Der Strom, dieser Saft aus der Dose, der auch die Industrie antreibt, ist dadurch extrem teuer geworden. Die energieaufwendige Industrie geht bei diesen Preisen zwangsläufig in die Knie.

Christoph Schwennicke

ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".

Es ist wie mit einem Gebrauchtwagen

Mit einem Land ist es im Prinzip wie mit einem Gebrauchtwagen. Wenn der zwei Jahre nach dem Besitzerwechsel zu mucken beginnt, dann kann das an der schlechten Wartung des Neubesitzers liegen. Erheblicher aber ist, wie der Vorbesitzer die letzten 16 Jahre mit dem Wagen umgegangen war. Ob er ihn immer technisch fit gehalten, regelmäßig frisches Öl gegönnt und die Bremsflüssigkeit rechtzeitig gewechselt hat.

Und ebenso ist beim Zustand eines Landes die Vorgängerregierung maßgeblich verantwortlich für dessen Krisenfestigkeit. Zu Recht hatte die Kanzlerin bei der Amtsübergabe im Kanzleramt im Beisein ihres Vorgängers seinerzeit hervorgehoben, dass sich Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 um Deutschland verdient gemacht habe.

Dasselbe kann man von der Amtsinhaberin zwischen 2005 und 2021 leider nicht sagen. Hart formuliert: Die aktuelle Malaise hat eine Mutter. Sie heißt Angela Merkel.

Leistungsbilanz der Kanzlerin Merkel sieht mager aus

Unbestritten war die erste deutsche Regierungschefin eine Meisterin der Macht, des Machterwerbs und des Machterhalts. Daher wäre es auch jederzeit angemessen, ihr in dieser Disziplin einen Orden ans Revers ihrer unvergesslichen Jacken zu heften: Den "Goldenen Niccolo am Bande", benannt nach dem Gründervater der modernen Machttheorie, Niccolo Machiavelli.

Das tatsächliche Lametta jedoch, das ihr seit ihrem Amtsende zugedacht wurde, ist nurmehr aus dem milden Lichte der Verklärung und Verehrung zu erklären.

In der Sache gibt es für Ehrenornamente wenig Grund. Die Leistungsbilanz der Kanzlerin Angela Merkel sieht mager aus. Bis auf die schwarze Null und die Schuldenbremse haben ihre 16 Amtsjahre keine strukturellen Reformen hervorgebracht, die Deutschland zukunftsfest gemacht hätten.

Kanzlerin vertiefte Fehler

Vielmehr kam es zu Fehlentscheidungen, deren Effekte sich heute erst so richtig erweisen. Wie seinerzeit die positiven Effekte der Agenda 2010, die Merkel zugutekamen und nicht mehr Gerhard Schröder. Die Kanzlerin verlängerte und vertiefte den Fehler, sich wie kein anderes europäisches Land von russischem Gas abhängig zu machen.

Sie setzte erst den Atomausstieg von Rot-Grün aus – um ihn dann nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima umso abrupter und überhasteter zu vollziehen. Dass die Ampelkoalition den letzten drei verbliebenen Meilern nur noch ein paar Monate länger gönnte, anstatt sie in neuer Lage bis auf Weiteres am Netz zu lassen, ist gegen diese Strukturentscheidung eine Petitesse.