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Kriegerische Handlung

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Ukraine aktuell: Kiew will 300 Milliarden Euro Entschädigung

Mit russischen Auslandsvermögen sollen die Folgen der Invasion behoben werden. Die ukrainische Armee erobert Städte im Süden und Osten zurück. EU-Finanzminister beraten über Hilfsmöglichkeiten. Ein Überblick.

Für entstandene Kriegsschäden in der Ukraine fordert Justizministers Denys Maliuska Entschädigungen aus Russland von mindestens 300 Milliarden US-Dollar

Für entstandene Kriegsschäden in der Ukraine fordert Justizministers Denys Maliuska Entschädigungen aus Russland von mindestens 300 Milliarden US-Dollar© Cover-Images/IMAGO

Das Wichtigste in Kürze:

- Ukraine fordert 300 Milliarden US-Dollar Entschädigung

- Ukraine verkündet weitere Erfolge bei Gegenoffensive

- US-Außenminister Blinken lobt militärische Fortschritte

- EU-Finanzminister beraten über neues Hilfspaket

Die Ukraine will nach Angaben ihres Justizministers Denys Maliuska Kriegsentschädigungen aus Russland von mindestens 300 Milliarden US-Dollar (etwa 300 Milliarden Euro) durchsetzen. Bei der UN-Vollversammlung wolle Kiew eine Resolution erreichen als Grundstein für einen internationalen Wiedergutmachungsmechanismus, sagte Maliuska den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Wir wollen eine Kompensation für alle Schäden, die Russland in der Ukraine durch seinen Angriffskrieg verursacht hat", sagte er.

Der Schaden, den die Ukraine durch die russische Invasion erlitten hat, wird mittlerweile schon viel höher geschätzt. Doch die genannte Summe von 300 Milliarden US-Dollar entspricht den Guthaben der russischen Nationalbank in den G7-Staaten, die im Zuge der Sanktionen eingefroren wurden. Maliuska verlangte den Zugriff darauf sowie auf das Auslandsvermögen russischer Staatsunternehmen und auf beschlagnahmten Besitz russischer Oligarchen.

Deutschland solle Auskunft geben, wie viel russisches Vermögen hier geparkt sei, sagte der Minister. Zugleich solle Berlin das ukrainische Vorhaben in der UN-Vollversammlung in New York unterstützen. Maliuska hatte am Donnerstag mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gesprochen.

Ukraine verkündet weitere Erfolge bei Gegenoffensive

Die ukrainische Armee drängt laut Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj und Militärvertretern die russischen Besatzungstruppen weiter zurück. In der Region Charkiw im Nordosten des Landess seien die Einheiten 50 Kilometer weit in das feindliche Gebiet vorgedrungen, sagte Armeevertreter Oleksij Gromow, der dem ukrainischen Generalstabs angehört. Er verkündete zudem weitere Rückeroberungen von Gebieten im Süden und im ostukrainischen Donbass. Im Süden seien die ukrainischen Streitkräfte "tief" in die russischen Stellungen vorgedrungen und hätten "mehrere Ortschaften befreit". Im Donbass seien sie in den Gebieten von Kramatorsk und Slowjansk vorgerückt.

Die Ukraine meldet weiter Erfolge bei ihrer Gegenoffensive: ein ukrainischer Kampfverband in der Region Charkiw

Die Ukraine meldet weiter Erfolge bei ihrer Gegenoffensive: ein ukrainischer Kampfverband in der Region Charkiw© Orlando Barría/Agencia EFE/IMAGO

Nach Angaben von Präsident Selenskyj haben die russischen Truppen seit Anfang September mehr als 1000 Quadratkilometer von den russischen Invasoren zurückerobert. Diese Zahl nannte Selenskyj am Donnerstag in seiner abendlichen Videoansprache. "Im Rahmen laufender Verteidigungsoperationen haben unsere Helden bereits Dutzende von Siedlungen befreit", sagte er ohne weitere Details zu nennen. "Die Ukraine ist und wird frei sein", versprach Selenskyj. Allerdings halten russische Truppen nach früheren Angaben etwa 125.000 Quadratkilometer in der Ukraine besetzt. Das ist ein Fünftel des Staatsgebietes einschließlich der Halbinsel Krim.

Früher am Abend hatte Selenskyj Meldungen über die Rückeroberung der Kreisstadt Balaklija in der Region Charkiw bestätigt. Als Beleg veröffentlichte er ein Video, gedreht mutmaßlich auf dem Rathaus. Vor der blau-gelben ukrainischen Fahne erstattete ein Soldat dem Präsidenten Bericht über die Einnahme der Stadt. "Die Flagge der Ukraine über einer freien ukrainischen Stadt unter einem freien ukrainischen Himmel", schrieb Selenskyj. Nicht verifizierte Internetvideos zeigten Passanten, die den ukrainischen Soldaten zuwinkten oder sie unter Tränen umarmten.

Die von Russland eingesetzte Verwaltung für die eroberten Gebiete um Charkiw behauptete, Balaklija und der Ort Schewtschenkowe seien weiter unter russischer Kontrolle. Es würden Reserven in den Kampf geführt, meldete die Agentur Interfax unter Berufung auf Verwaltungschef Andrej Alexejenko. Nach Angaben des Generalstabs in Kiew sind die ukrainischen Truppen dagegen bereits weiter nach Osten in Richtung der Stadt Kupjansk vorgestoßen. Dort ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, über den Russland seine Truppen beim Angriff auf den Donbass versorgt. In Kupjansk ordnete die Besatzungsverwaltung die Evakuierung von Frauen und Kindern an.

US-Außenminister Blinken lobt militärische Fortschritte

Ohne Vorankündigung reiste US-Außenminister Antony Blinken am 8. September 2022 in die Ukraine und traf in Kiew Präsident Wolodymyr Selenskyj (l.)

Ohne Vorankündigung reiste US-Außenminister Antony Blinken am 8. September 2022 in die Ukraine und traf in Kiew Präsident Wolodymyr Selenskyj (l.)© Genya Savilov/AFP/AP/dpa/picture alliance

US-Außenminister Antony Blinken hat sich zum Abschluss seines Überraschungsbesuchs in Kiew positiv zur ukrainischen Gegenoffensive geäußert. "Es ist noch sehr früh, aber wir sehen deutliche und echte Fortschritte vor Ort, insbesondere in der Gegend von Cherson, aber auch einige interessante Entwicklungen im Donbass im Osten", sagte Blinken vor Journalisten.

Es war Blinkens zweiter Besuch in der Ukraine seit Kriegsbeginn. Der US-Chefdiplomat sagte der Ukraine langfristige Kredite und Bürgschaften in Höhe von einer Milliarde Dollar zu. Weitere 1,2 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern des US-Außenministeriums sollen an 18 andere Länder fließen, die sich ebenfalls von Russland bedroht fühlen, darunter die drei baltischen Staaten, die Republik Moldau und Georgien.

EU-Finanzminister beraten über neues Hilfspaket

Auch die Finanzminister der Europäischen Union beraten ab diesem Freitag in Prag über weitere Unterstützung für die Ukraine. Bei dem zweitägigen informellen Treffen geht es um eine neue Hilfstranche in Höhe von fünf Milliarden Euro. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte der Regierung in Kiew die Kredite am Mittwoch in Aussicht gestellt.

Am Rande des Finanzministertreffens dürfte es auch um eine sogenannte Übergewinnabgabe für Energiekonzerne gehen, die besonders von den massiv gestiegenen Preisen in Folge des Ukraine-Kriegs profitieren. Die Ampel-Koalition hatte sich am Wochenende geeinigt, Entlastungen für die Verbraucher durch das Abschöpfen solcher "Zufallsgewinne" zu finanzieren. Zeitgleich zu den Finanzministern tagen dazu in Brüssel auch die Minister, die in ihren Staaten für Energie zuständig sind.

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Erst antäuschen, dann zuschlagen: Ukrainer überrumpeln Russen
Die ukrainische Gegenoffensive im Süden scheint ein Ablenkungsmanöver zu sein. Die größte Gefahr droht Putins Truppen jetzt im Donbass.

Wäre der Krieg gegen die Ukraine ein Boxkampf, würden wir die russische Armee jetzt taumeln sehen. Von den Ukrainern geschickt an die südliche Front bei Cherson gelockt, haben Putins Truppen ihre Verteidigung bei Charkiw im Nordosten des Landes geschwächt – und kassieren dort jetzt einen Schlag nach dem anderen. Frontberichten beider Seiten zufolge rücken die ukrainischen Truppen im Eiltempo auf die Stadt Kupiansk vor, dem wichtigsten Logistikzentrum der Besatzer in der Ostukraine.

"Russische Kriegsblogger fürchten, dass der ukrainische Gegenangriff auf die Versorgungslinien der russischen Truppen zwischen Kupiansk und Isjum abzielt", schreiben die US-Forscher des renommierten "Institute for the Study of War" (ISW) in ihrem jüngsten Lagebericht. "Das würde es den Ukrainern ermöglichen, russische Stellungen in der Region zu isolieren und große Gebiete zurückzuerobern. Aus den Berichten dieser Blogger sprechen Panik und Verzweiflung, sie bestätigen die ukrainischen Erfolge und glauben, dass die ukrainische Offensive im Süden nur eine Ablenkung ist."

Ukraine: 20 Orte bei Charkiw befreit

Das glaubt auch der Militärexperte Gustav Gressel: "Die Gegenoffensive um Charkiw verläuft viel schneller als die in Cherson, und ich würde tippen, dass das ganze Gerede um Cherson eine Verschleierung war, um die Vorbereitungen der Charkiw-Offensive zu vernebeln", sagte Gressel t-online. Die ukrainische Armee bestätigte am Donnerstag die Befreiung von 20 Ortschaften in der Region Charkiw und teilte auf Twitter Aufnahmen einer Drohne. Die Bilder sollen die Zerstörung eines russischen Luftabwehrsystems vom Typ S-300 bei Balakliya zeigen.

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Schwere Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien

Im Schatten des Ukraine-Krieges sind zwischen Aserbaidschan und Armenien im Kaukasus wieder schwere Kämpfe ausgebrochen.

Nikol Paschinjan (M), Ministerpräsident von Armenien, spricht mit einem Offizier der armenischen Armee.

Nikol Paschinjan (M), Ministerpräsident von Armenien, spricht mit einem Offizier der armenischen Armee.© Tigran Mehrabyan/PAN Photo/AP/dpa

Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan telefonierte in der Nacht nach Angaben seiner Regierung mit dem Präsidenten der Schutzmacht Russland, Wladimir Putin. Paschinjan sprach von einem aserbaidschanischen Angriff, auf den es eine internationale Reaktion geben müsse. Er und Putin vereinbarten demnach, in Kontakt zu bleiben. Der armenische Regierungschef alarmierte außerdem Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, wie Medien in Eriwan berichteten.

Das armenische Verteidigungsministerium teilte mit, aserbaidschanische Truppen hätten an drei Stellen armenische Stellungen mit Artillerie und großkalibrigen Waffen angegriffen. Es gebe Tote und Verwundete. In Baku sprach das Verteidigungsministerium Aserbaidschans wiederum davon, dass ein großangelegter armenischer Sabotageversuch die Kämpfe ausgelöst habe. «Die gesamte Verantwortung für die Situation liegt bei der militärisch-politischen Führung Armeniens», hieß es.

Kämpfe finden außerhalb von Berg-Karabach statt

Die früheren Sowjetrepubliken bekriegen einander seit Jahrzehnten wegen des Gebiets Berg-Karabach. Allerdings wurde nach armenischen Angaben diesmal nicht die Exklave angegriffen, die Attacken trafen Stellungen bei den Städten Goris, Sotk und Dschermuk. Diese liegen auf dem Gebiet Armeniens.

Das umstrittene Berg-Karabach gehört zu Aserbaidschan, wird aber von Armeniern bewohnt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sicherten sich armenische Kräfte in einem Krieg von 1992 bis 1994 die Kontrolle über das Gebiet und besetzten weite Teile Aserbaidschans. 2020 gewann Aserbaidschan seine Gebiete zurück und eroberte strategisch wichtige Stellen in Berg-Karabach. Den nach vier Monaten vereinbarten Waffenstillstand überwacht Russland, die Schutzmacht der christlichen Armenier. Auch die Europäische Union unternahm seitdem viele Anstrengungen, den Konflikt zu lösen.

Das Auswärtige Amt mahnte Deutsche in der Region zur Vorsicht, eine Ausweitung der Kämpfe sei nicht ausgeschlossen. Wer in einem von Kampfhandlungen betroffenen Gebiet sei, solle sich an einen geschützten Ort begeben und dort warten, bis man ihn sicher verlassen könne. Gerade Dschermuk ist bei ausländischen Touristen beliebt, dort befindet sich ein bekanntes Mineralbad.

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USA überlassen Deutschland Entscheidung über Waffenlieferungen

Washington/Berlin. Immer wieder betonen der Kanzler und Mitglieder der Ampel-Koalition, dass man nicht eigenständig über Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine entscheiden könne und wolle. man müsse sich mit den Partnern abstimmen. Dabei verlautet aus den USA, dass andere Länder freie Hand haben.

Deutsche Panzer vom Typ Leopard IIA6 (Symbolbild).

Deutsche Panzer vom Typ Leopard IIA6 (Symbolbild).© Klaus-Dietmar Gabbert

Die USA lassen Deutschland freie Hand bei der Lieferung von Waffen an die Ukraine. „Wir wissen die militärische Unterstützung Deutschlands für die Ukraine zu schätzen und werden uns weiterhin eng mit Berlin abstimmen“, heißt es in einem Tweet der US-Botschaft in Berlin. Die USA riefen „alle Verbündeten und Partner dazu auf, der Ukraine im Kampf um ihre demokratische Souveränität so viel Unterstützung wie möglich zu gewähren“. Zum Abschluss wird betont: „Die Entscheidung über die Art der Hilfen liegt letztlich bei jedem Land selbst.“

Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt es bislang ab, der Ukraine die gewünschten Kampf- und Schützenpanzer zur Verfügung zu stellen, mit der Begründung, dass es keine Alleingänge Deutschlands geben werde. Und auch der SPD-Außenpolitiker Michael Roth fordert, dass man sich mit den internationalen Partnern schnell über Panzerlieferungen an die Ukraine zu verständigen muss. „Noch niemand hat das geliefert, was jetzt gefordert wird, also Schützenpanzer, Kampfpanzer, aber solche Verabredungen sind ja nicht in Stein gemeißelt“, sagte Roth am Dienstag im Deutschlandfunk. „Deswegen sollte man sich jetzt in der EU, in der Nato vor allem, auch mit den USA zusammensetzen und klären, was können wir noch liefern.“

Entsprechende Gespräche könnten „ganz schnell gehen“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Seines Wissens nach „könnten sowieso nur die USA und Deutschland diese Panzer liefern, die jetzt auch von der Ukraine erwartet werden.“

Auch der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, sagte in Berlin, es sei „absolut nötig“ zu prüfen, „ob wir noch mehr tun können“. Er glaube, dies sei der Fall. „Was genau, welches Waffensystem genau, das müssen wir im westlichen Bündnis diskutieren“, fügte Vogel hinzu.

„Es ist richtig, da abgestimmt zu agieren“, sagte der FDP-Politiker. „Aber wenn ich mir zum Beispiel anschaue, was wir an Marder oder Fuchs, an Panzern und gepanzerten Fahrzeugen an Möglichkeiten haben, finde ich, die müssen jetzt in die Ukraine geliefert werden.“

„Wir müssen uns klarmachen, dass wir nicht in einer ewig gleichen Diskussion sind, sondern in einer neuen Lage“, mahnte Vogel. Die Ukraine habe „in den letzten Tagen ein beeindruckendes Momentum auf dem Schlachtfeld“ gezeigt. „Und das ist so wichtig, weil das der einzige Weg zum Frieden ist.“ Es sei daher nötig, „ jetzt noch stärker zu unterstützen“.

Auch Roth sagte im Deutschlandfunk, es gehe darum, dass sich die Ukraine „nicht nur noch besser zu verteidigen vermag, sondern dass sie auch die Chance hat, von Russland erobertes Gebiet zu befreien. Denn das scheint mir das Wichtigste zu sein“, sagte Roth. Die Ukraine befinde sich derzeit in der erfreulichen Situation, „wirklich über einen Gewinn sprechen zu können, dass man diese furchtbare russische Aggression, diesen furchtbaren Krieg Russlands beenden kann“.

Dazu hätten auch deutsche Waffenlieferungen beigetragen, hob Roth hervor. „Jetzt reden wir darüber, was man noch tun kann, um in dieser ganz entscheidenden Phase der Ukraine beizustehen.“

Der Sozialdemokrat unterstrich zugleich, dass es um viel mehr gehe. „Es geht auch um unsere eigene Freiheit und unsere eigene Sicherheit“, sagte er. „Nur wenn die Ukraine als freies demokratisches Land unter Wahrung ihrer territorialen Integrität übersteht, diesen furchtbaren Krieg, dann gibt es auch für uns ein mehr als Sicherheit. Denn wenn Putin gewinnt, dann drohen weitere militärische Konflikte in unserer Nachbarschaft.“


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Nach Charkiw: Putin ist zwischen Skylla und Charybdis gefangen. Das sind seine Optionen

Die Bedeutung der ukrainischen Gegenoffensive bei Charkiw liegt keineswegs darin, dass sie das Blatt des Krieges wenden und die Ukraine definitiv direkt zum Sieg führen wird, wie einige Hitzköpfe schreiben. Das wissen wir nicht sicher und können es auch nicht wissen, da der Kriegsverlauf unvorhersehbar ist.

Nach Charkiw: Putin ist zwischen Skylla und Charybdis gefangen. Das sind seine Optionen

Nach Charkiw: Putin ist zwischen Skylla und Charybdis gefangen. Das sind seine Optionen© Bereitgestellt von Berliner Zeitung

Der Erfolg dieser Gegenoffensive macht jedoch die These von der Unausweichlichkeit eines langfristigen (bis zu mehreren Jahren) Stellungskrieges (im Geiste des Ersten Weltkriegs) nicht mehr so wahrscheinlich, wie viele unabhängige Analysten bisher gemutmaßt haben.

Diese für viele eher unerwartete Gegenoffensive der ukrainischen Armee stellt die Fähigkeit Russlands infrage, mit „geringen Kräften“, also ohne generelle Mobilmachung, unendlich lange einen Krieg gegen die Ukraine zu führen, und zwar gegen die Ukraine, die der Westen mit Waffen und Geld unterstützt. Es scheint, dass Russland derzeit nicht über diese Fähigkeit verfügt, und zwar vor allem wegen des unbefriedigenden Zustands seiner Bodentruppen, die für regionale Konflikte in einem nicht-nuklearen Krieg entscheidend sind. Diese Unfähigkeit lässt uns erneut über den abenteuerlichen Charakter der Kreml-Politik und alle möglichen Entwicklungen in diesem Krieg nachdenken.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die russische Armee infolge der ukrainischen Offensive bei Charkiw deswegen keinen nennenswerten Schaden erlitten hat, weil das russische Kommando es vorgezogen hatte, sich organisiert zurückzuziehen, die Frontlinie anzupassen und dadurch die strategische Einkreisung großer Formationen der regulären Armee durch die Ukrainer zu verhindern.

Die ganze Episode ist so zu einem Lackmustest geworden, der eine Erschöpfung des Offensivpotenzials der russischen Bodentruppen zur Folge hat. Die Ansätze der Kriegsführung in Form einer „militärischen Spezialoperation“ bleiben dem Kreml jedoch erhalten. Diese Kriegsepisode zeigt, dass das Offensivpotenzial der ukrainischen Bodentruppen zunehmen wird, wenn die USA und die EU weiterhin Waffen an die Ukraine liefern. Diese beiden gegensätzlichen Trends machen einen langen, mehrjährigen Krieg (bis zu zehn Jahren, wie zwischen dem Iran und dem Irak) für den Kreml inakzeptabel und zwingen ihn dazu, nach schnelleren Lösungen zu suchen.

Allerdings bleibt die Möglichkeit irgendeines Friedens mit der Ukraine im Moment meines Erachtens völlig illusorisch, da die Ukraine durch die Unterstützung des Westens immer wieder neuen Mut fasst und auf keinen Frieden ohne die Rückkehr aller Territorien, einschließlich der Krim, eingehen wird. Und selbst das kann nicht mehr als Maximum der ukrainischen Forderungen angesehen werden. Es ist davon auszugehen, dass die Ukraine auch nach Reparationen und weitgehenden Sicherheitsgarantien fragen wird. All das ist für den Kreml absolut inakzeptabel, da es zum Auslöser der russischen Revolution werden könnte. Nur eine Änderung der Position der USA und der EU und ihre Verweigerung ihrer militärischen Unterstützung kann die Position der Ukraine an der Stelle ändern. Auf diese Änderung der westlichen Position setzt Moskau nun und greift zu einer Energieblockade, also mit dem Stopp der Gaslieferungen über Nord Stream 1 an Europa.

Die chronische Insuffizienz der russischen Bodentruppen war eigentlich schon lange vor der Gegenoffensive bei Charkiw ein offensichtliches Problem. Die Russen haben einen Nuklearfetischismus kultiviert, besonders die Kreml-Elite und persönlich ihr Führer Wladimir Putin, um potenzielle Gegner mit der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen einzuschüchtern. Dabei war die russische Armee auf langfristige regionale und, was wichtig ist, moderne militärische Konflikte nicht vorbereitet gewesen. Daher hat der Kreml in der gegenwärtigen Situation nur zwei strategische Optionen: Entweder Massenvernichtungswaffen einsetzen und über den Ausgang des Krieges auf Kosten des Massensterbens feindlicher Soldaten entscheiden oder eine Mobilisierung durchführen und über den Ausgang des Krieges auf Kosten des Massensterbens eigener Soldaten entscheiden.

Gefangen in einer strategischen Sackgasse zwischen Skylla, also der Mobilisierung, und Charybdis, also einem nuklearen Szenario, will der Kreml nicht schnell entscheiden. Beide Lösungen sind für ihn nicht attraktiv, da sie zwar keine offensichtlichen, aber durchaus reale Bedrohungen für die Existenz des Regimes darstellen. Daher wird der Kreml in seiner üblichen Weise höchstwahrscheinlich versuchen, palliative taktische Maßnahmen zu ergreifen und die Situation mit den Ressourcen, die er schon hat, in eine für ihn günstige Richtung zu lenken.

Von solchen verfügbaren Ressourcen sind nicht viele übrig geblieben. Erstens, es ist die anhaltende Überlegenheit der russischen Armee bei der Gesamtfeuerkraft, die es ermöglicht, nach der Umgruppierung der Truppen einen Gegenangriff an allen Abschnitten der Front zu starten. Zweitens, es ist die Überlegenheit bei Langstreckenflugkörpern und Luftstreitkräften, die es der russischen Armee ermöglicht, das gesamte Territorium der Ukraine unter Beschuss zu halten und die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Meine Erwartung ist, dass beides in naher Zukunft umgesetzt wird, wobei der zweite Bestandteil, also der Terror gegen die Zivilbevölkerung, bevorzugt werden wird. Eine unbestrafte Zerstörung der zivilen Infrastruktur ist immer viel einfacher zu organisieren, als die Verteidigung der ukrainischen Armee in der Tiefe zu durchbrechen.

Es mag sein, dass wir kurz vor einer völlig neuen Kriegsphase mit einer Vervielfachung der Anzahl der zivilen Todesopfer stehen. Das wird seine Folgen haben. Das Bild zerstörter und frierender ukrainischer Städte wird den Westen kaum auf die Idee bringen, bestehende militärische Hilfeleistungen (trotz eigener Energiekrise) aufzugeben. Im Gegenteil, das macht die Aufrüstung der Ukraine mit qualitativ anderen Waffensystemen, einschließlich modernster Luftverteidigungssysteme und Offensivwaffen mit großer Reichweite bis zu 300 und mehr Kilometern, unumgänglich.

Ich glaube, dass der Krieg bereits einen Punkt erreicht hat, wo das Ausmaß des gegenseitigen Hasses jede Art von Gentleman's Agreement zwischen der Ukraine und Russland selbst unter Beteiligung von Dritten fast unmöglich macht. In diesem Zusammenhang scheint die angeblich zwischen der Ukraine und den Vereinigten Staaten bestehende Vereinbarung, dass die ukrainische Armee die gelieferten Waffen nicht für Angriffe auf das russische Territorium einsetzen wird, schwer durchsetzbar zu sein. Und umgekehrt kann ich davon ausgehen, dass in der Ukraine ein neuer öffentlicher Konsens über die Zulässigkeit des Krieges auf dem Territorium des Feindes, also Russlands, entsteht. Es wäre merkwürdig, etwas anderes zu erwarten nach allem, was in diesem Krieg bereits passiert ist, und erst recht nach den massiven Angriffen auf die zivile Infrastruktur in den letzten Tagen.

In diesem Zusammenhang macht der Artikel des Oberbefehlshabers der Streitkräfte der Ukraine Valery Zaluzhny auf sich aufmerksam. Zaluzhny schreibt, dass selbst die vollständige Rückgabe aller besetzten Gebiete mit der Verlegung der russischen Schwarzmeerflotte von der Krim nach Noworossijsk in der russischen Region Krasnodar das Problem einer militärischen Bedrohung durch Russland nicht beseitige. Man kann daraus schließen, dass die Ukraine den Krieg bis zur vollständigen Beseitigung einer solchen Bedrohung auf russischem Territorium fortsetzen wird. Angriffe auf russisches Territorium werden eigentlich seit langem verübt, daher ist mehr von deren Ausmaß und der Möglichkeit des physischen Erscheinens ukrainischer Truppen auf dem russischen Territorium die Rede, beispielsweise während einer Truppenlandung.

Eine solche Wende würde sowohl die Mobilisierung innerhalb Russlands als auch den Einsatz von Atomwaffen praktisch unvermeidlich machen. Das heißt, nach einem Zeit-Zyklus wird der Kreml immer noch vor der gleichen Wahl stehen, die er in diesem Herbst zu vermeiden versucht. Ich gehe daher davon aus, dass wir uns noch ganz am Anfang der Eskalation dieses militärischen Konflikts befinden und neue große Erschütterungen uns spätestens im Frühjahr erwarten. Sie können nur vermieden werden, indem die oben beschriebene Abfolge der Ereignisse irgendwann unterbrochen wird, was äußerst schwierig ist und höchstwahrscheinlich einen Regimewechsel entweder in Moskau oder in Kiew erfordern wird.

Aus der heutigen Perspektive erscheinen drei Szenarien der Kriegsentwicklung gleich wahrscheinlich. Im ersten Szenario entwickeln sich alle Ereignisse spontan, keine Seite gibt nach, und Europa wird innerhalb eines Jahres oder etwas mehr mit schlecht kalkulierbaren Folgen in den ersten Atomkonflikt seiner Geschichte hineingezogen.

Im zweiten Szenario platzt Europa, das einen akuten Energieschock erlebt, der Kragen, es übt Druck auf die Vereinigten Staaten aus und zwingt sie, die Waffenlieferungen an die Ukraine drastisch zu reduzieren, was zur Notwendigkeit einer vollständigen oder teilweisen Kapitulation der Ukraine führt, gefolgt von einem Regimewechsel in Kiew. Europa und Russland balancieren dabei am Rande eines Atomkriegs, zumindest bis Putin geht.

Im dritten Szenario liegen schon bei den russischen Eliten die Nerven blank, und sie entscheiden, dass es besser ist, Putin zu beseitigen, statt auf den „roten Knopf“ zu drücken, was ebenfalls zu einem Regimewechsel führen wird.

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Russische Luftwaffe steht offenbar zunehmend unter Druck

Die russische Luftwaffe gerät im Krieg gegen die Ukraine nach britischer Einschätzung zunehmend unter Druck. In den vergangenen zehn Tage habe Russland offensichtlich vier Kampfjets verloren und damit insgesamt 55 Maschinen seit Beginn des Angriffs Ende Februar. Das teilte das Verteidigungsministerium in London am Montag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit.

Auch nach dem Abzug der russischen Truppen aus dem Raum Charkiw geht der Beschuss weiter. Nach erfolgreichem Vorstoß der Ukraine, hatte Kreml-Chef Putin mit einer härteren Gangart gedroht. Das schürt Sorgen, Moskau könnte letztlich auch Chemiewaffen oder taktische Atomwaffen einsetzen. Quelle: WELT / Thomas Laeber

Auch nach dem Abzug der russischen Truppen aus dem Raum Charkiw geht der Beschuss weiter. Nach erfolgreichem Vorstoß der Ukraine, hatte Kreml-Chef Putin mit einer härteren Gangart gedroht. Das schürt Sorgen, Moskau könnte letztlich auch Chemiewaffen oder taktische Atomwaffen einsetzen. Quelle: WELT / Thomas Laeber© dpa/Kostiantyn Liberov

Der Anstieg der Verluste sei womöglich teilweise darauf zurückzuführen, dass die russische Luftwaffe ein größeres Risiko eingehe, um Bodentruppen unter dem Druck ukrainischer Vorstöße aus nächster Nähe zu unterstützen, hieß es weiter. Hinzu komme das schlechte Situationsbewusstsein russischer Piloten. Einige Flugzeuge seien wegen der sich schnell bewegenden Front über ukrainisch kontrolliertem Gebiet in dichtere Luftverteidigungszonen geraten.

„Russlands andauernder Mangel an Luftüberlegenheit bleibt einer der wichtigsten Faktoren, die die Fragilität seines operativen Designs in der Ukraine untermauern“, betonte das Ministerium.

Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.

Ukraine meldet Angriff auf AKW Piwdennoukraijinsk

Die Ukraine meldet indes russische Angriffe auf das Atomkraftwerk Piwdennoukrajinsk im Süden des Landes. Alle drei Reaktoren des AKW blieben aber unbeschädigt und funktionierten normal, teilt der staatliche Betreiber Energoatom weiter mit. Eine Detonation habe es 300 Meter entfernt von den Reaktoren gegeben. Dabei seien Gebäude beschädigt worden, außerdem seien durch den Angriff Schäden an einem Wasserkraftwerk in der Nähe entstanden.

Die aktuelle Situation in der Ukraine Quelle: Infografik WELT

Die aktuelle Situation in der Ukraine Quelle: Infografik WELT© Infografik WELT

In den vergangenen Wochen hatte der wiederholte Beschuss des russisch besetzten AKW Saporischschja im Süden der Ukraine international große Besorgnis ausgelöst. Russland und die Ukraine machten sich gegenseitig für den Beschuss verantwortlich.

Selenskyj kündigt neue Offensive an

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte unterdessen neue Angriffe auf das von russischen Truppen besetzte Gebiet in der Ukraine an. „Vielleicht erscheint es irgendjemandem unter Ihnen so, dass nach einer Reihe von Siegen Stille eingetreten ist, doch das ist keine Stille“, sagte Selenskyj am Sonntag in seiner täglichen Videoansprache. Vielmehr sei es die Vorbereitung auf die nächste Offensive, deren Ziel die Rückeroberung von Mariupol, Melitopol und Cherson sei.

Nach Angaben Selenskyjs wird sich die Ukraine dabei nicht nur auf die Gebiete konzentrieren, die es vor dem russischen Überfall im Februar kontrollierte. Auch die Territorien der von Moskau unterstützten Separatisten im Osten des Landes und Städte auf der seit 2014 von Russland annektierten Krim würden zurückerobert, kündigte der 44-Jährige an. „Denn die gesamte Ukraine muss frei sein.“

Russland hat nach seinem Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar große Gebiete im Süden und Osten des Landes erobert. Derzeit hält Moskau immer noch rund 125.000 Quadratkilometer besetzt – das ist etwa ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebietes inklusive der Halbinsel Krim.

Kiew lehnt Verhandlungen als sinnlos ab

Kiew schloss Verhandlungen und ein Treffen von Russlands Präsidenten Wladimir Putin und Selenskyj zum jetzigen Zeitpunkt aus. „Kurz gesagt, der Verhandlungsprozess an sich und ein persönliches Treffen der Präsidenten ergeben derzeit keinen Sinn“, sagte der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbürochefs, Mychajlo Podoljak, ukrainischen Medien zufolge.

Podoljak nannte drei Gründe, warum Gespräche in dieser Phase zwecklos seien. Erstens werde Russland dabei versuchen, Geländegewinne festzuhalten und zu legitimieren. Zweitens diene das Festhalten des Status quo Russland nur als Atempause, um dann die Angriffe auf der neuen Linie fortsetzen zu können. Und drittens müsse Russland für die auf ukrainischem Terrain begangenen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.

Verhandlungen seien also erst möglich, wenn sich die russischen Truppen von ukrainischem Gebiet zurückgezogen hätten. Dann könne über die Höhe der Reparationszahlungen und die Herausgabe von Kriegsverbrechern verhandelt werden, sagte Podoljak. Russland und die Ukraine hatten kurz nach dem russischen Einmarsch über eine Friedenslösung verhandelt, waren jedoch nicht zu einer endgültigen Einigung gelangt.

Brückenkopf für mögliche Fortsetzung der Offensive

Kiew bezieht sein Selbstbewusstsein aus der jüngsten eigenen Offensive im Norden des Landes. Dabei wurde der Großteil des Gebietes Charkiw befreit. Die russischen Truppen bauten die neue Front am Ostufer des Flusses Oskil auf, doch auch diese Linie scheint zu wackeln. Das ukrainische Militär konnte nach eigenen Angaben an dem Fluss Truppenteile übersetzen und damit einen Brückenkopf gen Osten bilden.

„Die ukrainischen Streitkräfte haben den Oskil überwunden. Seit gestern kontrolliert die Ukraine auch das linke Ufer“, teilte die Pressestelle der ukrainischen Streitkräfte am Sonntag per Video auf ihrem Telegram-Kanal mit. Zuvor gab es Berichte, dass Kiew sich die Kontrolle über den Ostteil der Stadt Kupjansk gesichert habe. Unabhängig können die Angaben nicht überprüft werden.

Bei ihrer Gegenoffensive Anfang September waren die ukrainischen Kräfte im Gebiet Charkiw bis an den Oskil vorgestoßen. Dahinter bauten die russischen Truppen nach ihrem Rückzug eine neue Frontlinie auf und wehrten mehrere Versuche der Ukrainer ab, den Fluss zu überqueren. Die Bildung eines Brückenkopfs auf der Ostseite des Oskil wäre ein strategisch wichtiger Erfolg für die ukrainischen Truppen. Damit könnten sie ihren Angriff Richtung Gebiet Luhansk fortsetzen. Über den genauen Ort der Flussquerung machte das Militär keine Angaben.

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„Verändern zweifellos die Pläne“: Ukrainischer Oberst schildert, wie Irans Kamikaze-Drohnen zur Gefahr werden

Russland setzt die Flugwaffen aus Teheran mittlerweile erfolgreich ein. Experten gehen davon aus, dass sie den Kriegsverlauf deutlich beeinflussen könnten.

Dieses undatierte Foto zeigt das Wrack einer iranischen Shahed-Drohne, die in der Nähe von Kupiansk (Ukraine) abgeschossen wurde, wie Kiew mitteilte.

Dieses undatierte Foto zeigt das Wrack einer iranischen Shahed-Drohne, die in der Nähe von Kupiansk (Ukraine) abgeschossen wurde, wie Kiew mitteilte.© Foto: Foto: Uncredited/dpa

Durch den Einsatz von iranischen Drohnen hat Russland mehrere schwere Angriffe in der nordöstlichen Region Charkiw durchgeführt. Wie ukrainische Kommandeure beschreiben, seien in der vergangenen Woche mehrere Kamikaze-Drohnen des Typs Shahed-136, die in russische Farben umlackiert und als „Geranium 2“ beschriftet wurden, über die ukrainischen Panzer- und Artilleriestellungen hinweggeflogen, berichtet das „Wall Street Journal“.

Ukrainischen Angaben zufolge ist dies der erste groß angelegte Einsatz eines ausländischen Waffensystems auf russischer Seite seit Beginn des Krieges. Allein in seinem Einsatzgebiet hätten die iranischen Drohnen vier Panzerhaubitzen sowie zwei Schützenpanzer zerstört, sagte Oberst Rodion Kulagin, Artilleriekommandeur der 92. Brigade der ukrainischen Armee, der US-Zeitung.

„In anderen Gebieten verfügen die Russen über eine überwältigende Feuerkraft der Artillerie, mit der sie zurechtkommen“, so Kulagin. Nach den Gebietsgewinnen der ukrainischen Armee in Charkiw hätten die russischen Streitkräfte diesen Artillerievorteil im Nordosten nicht mehr. „Deshalb haben sie begonnen, auf diese Drohnen zurückzugreifen.“

Die Kamikaze-Drohnen des Typs Shahed-136 fliegen meist paarweise und schlagen dann auf ihre Ziele ein. Da sie relativ klein sind und niedrig fliegen, seien die ausländischen Drohnen schwer mit den ukrainischen Luftabwehrsystemen auzuspüren, so der Kommandeur.

Am vergangenen Dienstag war der Einsatz der Drohnen im Ukraine-Krieg erstmals bildlich nachgewiesen worden. Fotos zeigten eine zerstörte Shahed-136, die vermutlich explodiert war.

Wann und wo die Bilder gemacht wurden, ließ sich zunächst nicht bestätigen. Einen Tag später berichtete das britische Verteidigungsministerium, dass Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit erstmalig iranische Drohnen in der Ukraine anwende.

Laut Kulagin habe Russland vor dem derzeitigen Einsatz einen Test mit den iranischen Drohnen durchgeführt. Getroffen worden sei dabei eine Haubitze des Typs M777. Diese werden von den USA an die Ukraine geliefert. Eine weitere Drohne, die wohl fehlschlug, hätten die ukrainischen Truppen bergen können.

Iranische Drohnen bieten Russland ein „starkes Gegengewicht“

Experten gehen davon aus, dass die ausländischen Drohnen - anders als die bisher eher schwachen Drohnentechnologien Russlands - den weiteren Kriegsverlauf deutlich beeinflussen werden. Die Shahed-136 biete Russland ein „starkes Gegengewicht“ zu Waffensystemen wie die von den USA zur Verfügung gestellten Raketenwerfer des Typ Himars, sagte Scott Crino, Gründer des Consulting-Unternehmens Red Six Solutions, dem „Wall Street Journal“.

„Die Anwesenheit der Shahed-136 im Ukraine-Krieg verändert zweifellos die operativen Pläne Kiews.“ Allein die schiere Größe des ukrainischen Schlachtfeldes mache es schwer, sich gegen die Shahed-136 zu verteidigen. Zudem hätten die Drohnen laut Crino eine hohe Zielgenauigkeit: „Wenn eine Shahed einmal ein Ziel erfasst hat, ist sie schwer zu stoppen.“

Um die iranischen Drohnenlieferungen an Russland zu unterbinden, hofft Oberst Kulagin auf fortschrittlichere Drohnentechnologien aus den USA und von ihren Verbündeten. Zu solchen Lieferungen hat sich das Land derzeit nicht geäußert.

Bereits im Juli warnten erste US-Sicherheitsberater, dass Russland womöglich Hunderte Drohnen aus dem Iran einkaufe. Damals bestritt das iranische Außenministerium das Vorhaben. Moskau hat sich bislang nicht öffentlich zu einem Kauf iranischer Drohnen geäußert.

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News zum Russland-Ukraine-Krieg: Das geschah in der Nacht zu Dienstag (20. September)

Die russische Seite will ihre Reihen offenbar mit Straftätern verstärken – mit mäßigem Erfolg. In der Ostukraine sollen rasch Volksabstimmungen stattfinden. Und: deutsche Panzerhaubitzen für Kiew. Das geschah in der Nacht.

News zum Russland-Ukraine-Krieg: Das geschah in der Nacht zu Dienstag (20. September)

News zum Russland-Ukraine-Krieg: Das geschah in der Nacht zu Dienstag (20. September)© GLEB GARANICH / REUTERS

Was in den vergangenen Stunden geschah

Die russische Söldnertruppe Wagner versucht nach US-Angaben, mehr als 1500 Häftlinge als Kämpfer zu rekrutieren. »Wir haben Informationen, laut denen Wagner in der Ukraine schwere Verluste erlitten hat. Das betrifft, wenig überraschend, vor allem junge und unerfahrene Kämpfer«, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen namentlich nicht genannten US-Militär. Allerdings komme die Söldnertruppe bei ihren Rekrutierungen nicht recht voran. Viele junge und verurteilte Straftäter würden das Angebot ablehnen, hieß es.

Die Existenz privater Militärunternehmen hat das russische Regime lange abgestritten, Söldnertum ist in Russland strikt verboten. Mit dem Ukrainekrieg haben sich die ohnehin schon schwer zu trennenden Grenzen zwischen regulärem russischem Militär und Schattenarmeen endgültig aufgehoben.

Das sagt Kiew

Die Ukraine will sich darauf konzentrieren, in den zurückeroberten Gebieten schnell voranzukommen. Dies kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoansprache an. Die ukrainischen Truppen müssten sich weiterhin schnell bewegen, das normale Leben schnell wiederhergestellt werden. »Wir tun alles, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der Ukraine auf allen Ebenen – Verteidigung, Finanzen, Wirtschaft, Diplomatie – erfüllt werden«, sagte Selenskyj. Er deutete zudem an, dass er am Mittwoch in einer Videoansprache vor den Vereinten Nationen auch die Beschleunigung von Waffenlieferungen und Hilfsleistungen anderer Länder fordern werde.

Der ukrainische Präsident hat zudem erneut mit der Führung von Armee und Sicherheitsapparat über die Lage im Abwehrkampf gegen die russische Invasion beraten. Diese Beratungen haben sich gehäuft, seit die Ukraine Anfang September zu Gegenoffensiven übergegangen ist. Selenskyj sagte, dass die Ukraine die Lage in den befreiten Gebieten bei Charkiw im Osten fest im Griff habe. Er dankte einzelnen Brigaden seiner Armee, aber auch dem Geheimdienst SBU. Dieser trage Sorge dafür, »dass die Besatzer sich nirgends auf ukrainischem Boden halten können«.

Aus den Gräbern nahe der ukrainischen Stadt Isjum sind der örtlichen Regierung zufolge bisher 146 Leichen exhumiert worden. »Einige der Toten weisen Anzeichen eines gewaltsamen Todes auf. Es gibt Leichen mit gefesselten Händen und Spuren von Folter«, schrieb der Gouverneur der Region Charkiw, Oleg Sinegubow, auf Telegram. Zudem habe man die Leichen von zwei Kindern gefunden. Anwohnern zufolge kamen manche der begrabenen Menschen bei einem russischen Luftangriff ums Leben. Selenskyj zufolge wurden am Stadtrand von Isjum vermutlich insgesamt 450 Leichen begraben. Der Kreml weist die Anschuldigungen der Ukraine zurück.

Das sagt Moskau

Angesichts des Vormarsches ukrainischen Truppen beginnt in den von Moskau unterstützten Separatistengebieten Luhansk und Donezk eine Kampagne für einen schnellen Beitritt zu Russland. In der sogenannten Volksrepublik Luhansk appellierte ein »Bürgerkammer« genanntes Gremium an die örtliche Führung, bald eine Volksabstimmung über den Anschluss abzuhalten.

Wenig später folgte in der Volksrepublik Donezk die Bürgerkammer mit der gleichen Bitte, wie die russische Nachrichtenagentur Tass meldete. Auch im Gebiet Cherson fordere die Bevölkerung ein Referendum, sagte der von Russland eingesetzte Verwaltungschef Kirill Stremoussow.

Vorbereitungen auf solche Volksabstimmungen laufen sowohl in den Separatisten-Republiken wie in den neu von Russland eroberten Gebieten seit Längerem. In Cherson waren sie wegen der ukrainischen Vorstöße zunächst auf den 4. November verschoben worden.

Es sei noch zu früh, um über ein Datum zu sprechen, sagte der Vorsitzende der Bürgerkammer von Luhansk, Alexej Karjakin, im russischen Fernsehen. Der Hintergrund der Kampagne ist unklar. Die Volksrepubliken Donezk und Luhansk werden seit 2014 aus Moskau sehr kleinteilig gesteuert. Doch wenn dort auf einen Anschluss an Russland gedrängt wurde, reagierte Moskau bislang zurückhaltend.

Debatte über deutsche Waffenlieferungen

Die Ukraine soll für ihren Abwehrkampf gegen Russland von der Bundeswehr vier weitere Panzerhaubitzen erhalten. Die Lieferung werde unverzüglich in die Wege geleitet, teilte das Verteidigungsministerium in Berlin mit. Bei der Panzerhaubitze 2000 handelt es sich um schwere Artilleriegeschütze mit einer Reichweite bis zu 40 Kilometer. Die Lieferung soll auch ein Munitionspaket beinhalten.

Die Bundesregierung betonte, dass die Ukraine den Wunsch nach weiteren Haubitzen geäußert habe. »Die von Deutschland und den Niederlanden gelieferten Panzerhaubitzen 2000 haben sich im Gefecht mehr als bewährt«, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) laut Mitteilung. »Um die Ukraine in ihrem mutigen Kampf gegen den brutalen russischen Angriff weiter zu unterstützen, wird Deutschland diesem Wunsch nachkommen.« Mit den vier Panzerhaubitzen steige die Zahl der von Deutschland gelieferten Artilleriegeschütze auf 14.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sollte seine Reise nach New York aus Sicht der Grünen-Außenpolitikerin Jamila Schäfer nutzen, um über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu sprechen. »Besonders glaubwürdig kann der Bundeskanzler bei den Vereinten Nationen agieren, wenn Deutschland seiner Verantwortung in der Ukraine gerecht wird«, sagte die Chefin der bayerischen Landesgruppe der Grünen im Bundestag.

Die jüngsten Geländegewinne der ukrainischen Armee hätten bewiesen, dass die westliche Militärhilfe den Ausschlag geben könne. »Olaf Scholz ist also angehalten, in den Gesprächen mit unseren amerikanischen Partnern unsere Unterstützung für die Lieferung von gepanzerten Fahrzeugen sowie Kampfpanzern zu signalisieren«, sagte Schäfer.

Internationale Reaktionen

Sänger Udo Lindenberg hat sich mit der bekannten russischen Popsängerin Alla Pugatschowa und ihrer Kritik an Russlands Angriffskrieg in der Ukraine solidarisiert. Er postete am Montagabend ein Foto von sich und Pugatschowa auf seiner Facebook-Seite und schrieb dazu, dass seine »langjährige Freundin und Kollegin« heftige Kritik an »Putins verbrecherischem Krieg gegen die Ukraine« äußere.

Pugatschowa hatte am Sonntag beklagt, dass die russischen Soldaten für »illusorische Ziele« stürben, während gleichzeitig Russland durch den Krieg international geächtet werde. Die Worte der 73-Jährigen, die immer noch als Superstar in ihrer Heimat gilt, fanden ein breites Echo. Die staatlichen Medien allerdings ließen ihre Kriegskritik in der Berichterstattung unter den Tisch fallen.

Wirtschaftliche Konsequenzen

Die deutschen Gasspeicher haben einen Füllstand von 90 Prozent überschritten. Dies geht aus Daten auf der europäischen Gas-Infrastruktur-Unternehmen hervor. Die Bundesregierung peilt einen Füllstand von 95 Prozent ab Anfang November an. Das Zwischenziel von 75 Prozent war Mitte August früher erreicht worden als geplant wie auch die Marke von 85 Prozent Anfang September. Die Speicherfüllung gilt als ein entscheidendes Element dafür, dass Deutschland ohne Gas-Abschaltungen durch den Winter kommt.

Das US-Energieministerium gibt für November den Verkauf von weiteren bis zu zehn Millionen Barrel Öl aus der strategischen Reserve bekannt. Sie sind Teil einer im März von Präsident Joe Biden angekündigten Gesamtmenge von 180 Millionen Barrel. Bislang wurden 155 Millionen Barrel veräußert. Ursprünglich hieß es, dass die Verkäufe bis Ende Oktober abgeschlossen sein sollten. Ein vorgeschriebenes Datum für den Abschluss der Aktion – die größte ihrer Art in der US-Geschichte – gibt es nicht. Anfang November finden in den USA Kongresswahlen statt.

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Ehemalige Sowjetstaaten: Eskalation zwischen Ländern im Kaukasus und Zentralasien

 

Bild: David Peinado, CC0-Lizenz, via Pexels (Bildgröße verändert)

Bild: David Peinado, CC0-Lizenz, via Pexels (Bildgröße verändert)© Bereitgestellt von Z-LiVE NEWS

In Zentralasien, Kirgisistan und Tadschikistan gibt es seit Jahren Konflikte über den Verlauf der Landesgrenzen. In den vergangenen Tagen waren die Gefechte jedoch besonders heftig und tödlich.

Die tadschikische Regierung sprach in einer Pressemitteilung von 41 Toten, beschossenen Dörfern und Drohnenangriffen. Für das Nachbarland Kirgisistan ist die autoritäre Führung des Landes Schuld an der Eskalation des Konfliktes. Kirgisistan spricht von mehr als 50 getöteten Menschen und schweren Schäden an der Infrastruktur des Landes, wie die Süddeutsche berichtete.

Auch in den ehemaligen Sowjetstaaten im Kaukasus, Aserbaidschan und Armenien, eskalierte die seit Jahren herrschende Gewalt zwischen den beiden Staaten. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sei zwar nicht der direkte Auslöser der Konflikte, wohl aber der Anlass, sagen Experten.

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Tadschikistan und Kirgisistan erzielen Einigung im Grenzstreit

Die kirgisische Regierung kündigte am Sonntag eine Vereinbarung mit den tadschikischen Behörden zur Beendigung des Grenzkonflikts an, die den Abbau von insgesamt acht Kontrollpunkten, vier in jedem Land, vorsieht.

Militärische Kräfte in Tadschikistan - LI XIANG / ZUMA PRESS / CONTACTOPHOTO

Militärische Kräfte in Tadschikistan - LI XIANG / ZUMA PRESS / CONTACTOPHOTO© Bereitgestellt von News 360

"Ich hoffe, dass alle Punkte des unterzeichneten Protokolls umgesetzt werden. Frieden und Einigung werden auf kirgisischem und tadschikischem Boden Einzug halten", erklärte Kamtschibek Taschiew, Vorsitzender des kirgisischen Nationalen Sicherheitsrates, gegenüber der Nachrichtenagentur AKIPress.

Das Abkommen werde es den Bewohnern der Bezirke Batken und Leilek ermöglichen, in ihre Häuser zurückzukehren, erklärte Taschiew. Das Ministerium für Notstandssituationen stellt zu diesem Zweck Transportmittel zur Verfügung.

"Wir werden alles organisieren. Ich kann garantieren, dass die Grenzen von heute an friedlich bleiben werden", betonte Taschiew.

Das Protokoll wurde von den Vorsitzenden der nationalen Sicherheitskommissionen der beiden Länder unterzeichnet, mit dem Hauptziel, die Feindseligkeiten einzustellen, die Ursachen des Konflikts zu bekämpfen und dessen Wiederaufflammen in Zukunft zu verhindern. Gemäß der Vereinbarung wird es in den ausgewiesenen Gebieten keine militärische oder zivile Präsenz geben.

Darüber hinaus haben sich beide Seiten darauf geeinigt, die Arbeit der Grenzdemarkationskommission zu beschleunigen, "um offene Fragen zu klären", erklärte Taschiew.

Der bewaffnete Konflikt zwischen den beiden Ländern begann am 14. September und hat bisher 62 Menschen auf kirgisischer und 46 auf tadschikischer Seite das Leben gekostet. Darüber hinaus mussten 140.000 Kirgisen aus ihrer Heimat fliehen.