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Energiepolitik

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Energiewende: Erste Gasleitung für LNG-Terminal in Brunsbüttel genehmigt

Um die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu verringern, soll in Brunsbüttel der erste deutsche Flüssiggasterminal entstehen. Nun können die Bauarbeiten für die Gasleitung beginnen.

Energiewende: Erste Gasleitung für LNG-Terminal in Brunsbüttel genehmigt

Energiewende: Erste Gasleitung für LNG-Terminal in Brunsbüttel genehmigt© Daniel Reinhardt / dpa

Beim geplanten Bau von Deutschlands erstem Flüssiggasterminal (LNG) gibt es Fortschritte. Die Planfeststellungsbehörde hat die Errichtung einer drei Kilometer langen Gasleitung am Standort in Brunsbüttel genehmigt. Das teilte das Energiewendeministerium in Kiel mit.

Die Leitung soll das schwimmende Flüssiggasterminal mit dem schleswig-holsteinischen Gasverteilnetz verbinden. Mit Erhalt der Plangenehmigung darf der Betreiber Gasunie nun offiziell mit den Bauarbeiten beginnen.

Laut Energieminister Tobias Goldschmidt (Grüne) soll nun bereits zum Jahreswechsel in Brunsbüttel Flüssiggas angelandet werden. Das Terminal am Elbehafen sei zentral für eine deutsche Versorgungsstrategie, die zukünftig komplett ohne russisches Gas auskomme. »Putin nutzt Erdgas als Waffe. Mit erneuerbaren Energien, Energieeinsparungen und LNG-Importinfrastrukturen nehmen wir ihm diese aus der Hand«, so Goldschmidt.

Die Planungen für ein Importterminal für flüssiges Erdgas (LNG) im Hafen der Kleinstadt an der Unterelbe laufen seit Jahren, kamen aber nicht recht voran. Angesichts des Ukrainekriegs macht die Bundesregierung jedoch seit Frühling Tempo. Berlin will so schnell wie möglich die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdgas beenden.

Zunächst hatte es geheißen, das Terminal soll spätestens 2026 in Betrieb gehen. Nun soll es bereits zum Jahreswechsel die Gasversorgung im Land unterstützen. Das Terminal soll ein Kapazität von acht Milliarden Kubikmeter Gas haben. Langfristig soll es für den Import von grünen Wasserstoffderivaten wie Ammoniak umgerüstet werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zudem bereits im März den zügigen Bau eines zweiten Flüssiggas-Terminals in Wilhelmshaven angekündigt.

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Tschechisches Parlament beschließt Obergrenze für Strom- und Gaspreise

Das tschechische Parlament hat am Dienstag eine Gesetzesreform gebilligt, mit der die Strom- und Gaspreise ab dem 1. November gedeckelt werden sollen, um die finanzielle Belastung für Haushalte und kleine Unternehmen zu verringern.

Archiv - Tschechischer Premierminister Petr Fiala - Tomas Tkacik/SOPA Images via ZUM / DPA

Archiv - Tschechischer Premierminister Petr Fiala - Tomas Tkacik/SOPA Images via ZUM / DPA© Bereitgestellt von News 360

Nach der Verabschiedung durch das Parlament hat der Senat den vom Kabinett von Premierminister Petr Fiala vorgeschlagenen Gesetzentwurf bestätigt, der den Höchstpreis pro Kilowattstunde (kWh) auf sechs Kronen (0,24 Euro) begrenzt. Laut DPA muss das neue Gesetz noch vom tschechischen Präsidenten Milos Zeman unterzeichnet werden, bevor es in Kraft treten kann.

Für Gas wird ein Höchstpreis von drei Kronen (0,12 Euro) pro Kilowattstunde (kWh) gelten. Zusammen mit der Strompreisobergrenze dürfte der von Haushalten und Unternehmen zu zahlende Höchstpreis pro Kilowattstunde (kWh) damit zwischen 7 und 9 Kronen (0,29 bzw. 0,37 Euro) liegen.

Der Staat wird die Differenz zwischen der Obergrenze und dem tatsächlichen Preis tragen, die sich nach Angaben des tschechischen Finanzministeriums auf 130 Milliarden Kronen (5,3 Milliarden Euro) belaufen wird, wie die Tageszeitung "iDNES" bei der Vorstellung des Vorschlags durch die Regierung berichtete.

Die Tschechische Republik ist dank der Kernkraftwerke Temelin und Dukovany, die beide im Süden des Landes liegen, ein Nettoexporteur von Strom. Allerdings leidet das Land wie andere EU-Mitgliedstaaten seit Monaten unter steigenden Energiekosten.

Rund 70.000 Menschen versammelten sich Anfang des Monats auf dem Prager Wenzelsplatz und forderten den Rücktritt des Kabinetts und ein Ende der Sanktionen gegen Russland, die nach dem Angriff Moskaus auf die Ukraine verhängt worden waren, wie DPA berichtete.

Viele europäische Länder sind in hohem Maße auf Gas aus Russland angewiesen, doch Moskau hat als Vergeltung für die wegen des Krieges verhängten Sanktionen die Lieferungen an mehrere Länder eingestellt oder drastisch reduziert. Dies hat dazu geführt, dass viele europäische Regierungen händeringend nach Alternativen suchen, weil sie Engpässe im kommenden Winter befürchten.

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Lindner will alle drei Atomkraftwerke am Netz halten

Finanzminister Christian Lindner (FDP) dringt weiter auf eine Kehrtwende bei der Kernkraft. «Es ist unabdingbar, die Kapazitäten am Strommarkt zu erhöhen und so die galoppierenden Preise zu senken. Die drei sicheren Kernkraftwerke müssen weiterlaufen und die Kohlekraftwerke unbedingt ans Netz gebracht werden», sagte Lindner im Interview der «Neuen Osnabrücker Zeitung».

Bundesfinanzminister Christian Lindner dringt auf den Weiterbetrieb der drei Atommeiler.

Bundesfinanzminister Christian Lindner dringt auf den Weiterbetrieb der drei Atommeiler.© Kay Nietfeld/dpa

Mit der von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagenen Reservelösung für nur zwei Kraftwerke gebe er sich nicht zufrieden, betonte Lindner. «Die Bundesregierung hat darüber noch nicht abschließend entschieden», sagte der FDP-Parteivorsitzende. «Ich kann nur dringend darauf hinweisen, dass wir aus physikalischen, ökonomischen und politischen Gründen für einen gewissen Zeitraum weiter auf die Kernenergie setzen sollten.»

Physikalisch sichere ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke die Netzstabilität, ökonomisch helfe jede Kilowattstunde am Markt, das Preisniveau zu dämpfen. «Politisch senden wir das Signal, dass in dieser schwierigen Situation die Politik alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Lage zu verbessern. Das bedeutet, dass die Kernkraftwerke Neckarwestheim, Isar 2 und natürlich auch Emsland am Netz gehalten werden müssen», so der Finanzminister.

Seit Russland im Zuge seines Angriffskrieges gegen die Ukraine weniger Gas nach Deutschland liefert, wird über einen längeren Betrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke diskutiert. Pläne von Minister Habeck sehen vor, zwei Kraftwerke für den Fall von Engpässen noch bis Mitte April einsatzbereit zu halten: Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim in Baden-Württemberg. Nach dem unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beschlossenen Atomausstieg sollten eigentlich alle deutschen Atomkraftwerke zum Jahresende vom Netz gehen. Vertreter von FDP, CDU und der in Bayern regierenden CSU plädieren für einen Weiterbetrieb aller drei Kraftwerke.

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Gaspreise: Deutschland steht vor einer harten Landung

 

Die Not-Verstaatlichung von Uniper mag unumgänglich gewesen sein. So lautete jedenfalls die Einschätzung der meisten Ökonomen nach der Bekanntgabe der Maßnahme am Mittwoch. Allerdings wirken diese affirmativen Aussagen von Beratern, die oft von Steuergeldern finanziert werden, mitunter wie die Verkündung eines Gewitters vom Vortag durch den Wetterfrosch. Zum einen steht fest: Die deutschen Steuerzahler müssen zu viel bezahlen, es war also ein schlechter Deal: So hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Ablöse eines Acht-Milliarden-Gesellschafterdarlehens zugesagt. Der finnische Staat, der mehrheitlich hinter dem bisherigen Haupteigentümer Fortum steht, hatte Habeck glatt erpresst und mit Klagen gedroht, sollte der Kredit nicht abgelöst werden. Wirtschaftlich ist so etwas absurd – der Kredit war aufgrund der massiven Überschuldung nicht mehr werthaltig, hätte also von den bisherigen Eigentümern als Verlust realisiert werden müssen. Die Übernahme des von Habeck mit 7,5 Milliarden Euro bezifferten Kredits ist vor allem deshalb nicht zu rechtfertigen, weil dieser Kredit nichts mit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu tun hat, sondern mit der Tatsache, dass das Geschäftsmodell von Uniper bereits vor längerer Zeit kollabierte: Weil die Gaspreise am Spotmarkt rasant gestiegen sind, Uniper seine Kunden – vor allem die Stadtwerke – jedoch mit langfristigen, niedriger bepreisten Verträgen zu versorgen hatte, wurde das Unternehmen zum Fass ohne Boden. Fortum musste Milliarden einschießen – und seit einigen Monaten auch der deutsche Steuerzahler über die staatliche KfW-Bank.

Gaspreise: Deutschland steht vor einer harten Landung

Gaspreise: Deutschland steht vor einer harten Landung© Bereitgestellt von Berliner Zeitung

Natürlich kann man die Finnen verstehen: Sie verlieren immer noch etwa 5,5 Milliarden Euro mit ihrem Engagement. Sie haben Habeck, der extrem unter Druck steht, eiskalt abgezockt. Der Börsenkurs von Fortum stieg nach Bekanntwerden der Verstaatlichung seit einigen Tagen stark an, am Mittwoch um 20 Prozent. Deutschland wird das gesamte Rettungspaket laut Bloomberg 30 Milliarden Euro kosten. Und es wird nicht das letzte Paket sein: Auch die beiden anderen großen deutschen Gasimporteure VNG und die frühere Gazprom Germania, die heute SEFE heißt, sind „systemrelevant“ und werden um eine Verstaatlichung nicht umhinkommen. Damit könnte Deutschland, wie vom Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel vorgeschlagen, in einem Dreischritt die Lage vorerst einmal stabilisieren. Hickel schlägt nach der Verstaatlichung aller Gaslieferanten die Einführung einer Gaspreisbremse und eine Sondersteuer auf Übergewinne vor. Eine Gasumlage, wie sie von Habeck geplant ist und nun von Finanzminister Christian Lindner vehement gefordert wird, ist dagegen in doppelter Hinsicht unsinnig: Die Bundesnetzagentur hat bekannt gegeben, dass zwölf Unternehmen diese Umlage haben wollen. Diese aber sind Teil eines Oligopols. Wenn verstaatlicht wird, macht eine solche Umverteilung keinen Sinn. Das zweite Problem ist die Höhe der Umlage: Sie soll laut Habeck 2,42 Cent pro Kilowattstunde für alle Gaskunden betragen. Doch durch die gestiegenen Gaspreise wäre ein Vielfaches nötig, um weitere Milliardenzahlungen an Uniper und die anderen zu vermeiden.

Die größte offene Frage ist allerdings, woher das Gas für die verstaatlichten Lieferanten kommen soll: Eine weitere Zusammenarbeit mit Russland wird derzeit politisch ausgeschlossen. Für Flüssiggas (LNG) muss die Infrastruktur erst errichtet werden. Es gibt nicht unbegrenzt Gasfelder, die erschlossen werden können. Die größten Gasfelder der Welt liegen in Russland, scheiden für Deutschland also aus. Die US-Importeure haben klargemacht, dass aktuell Lieferungen nicht zugestellt werden können. LNG ist außerdem sehr teuer. Wenn Russland als Lieferant ausfällt, sieht sich Deutschland der Preissetzungsmacht eines kleinen Oligopols gegenüber. Es gibt hier keinen Wettbewerb und auch kein Erbarmen: Warum sollten Katar, die USA, Norwegen oder Saudi-Arabien den Deutschen etwas schenken oder zum Freundschaftspreis abgeben? Norwegen hat bereits mitgeteilt, dass man einen Preisdeckel nicht akzeptieren werde.

Das Fehlen einer interessensgeleiteten, langfristigen Strategie für eine Industrie- und Wirtschaftspolitik wird dazu führen, dass der Wohlstand reduziert wird und der Sozialstaat daher massiv zurückgebaut werden muss. Die Idee, man könne das ganze System auf erneuerbare Energien umstellen und alles bleibt, wie es ist, ist eine Illusion. Deutschland steht vor einer harten Landung.

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Energiepreise: Der parteiinterne Druck auf das Kanzleramt wächst

Innerhalb der SPD werden die Forderungen nach einem Bekenntnis zu einem umfassenden Energiepreisdeckel lauter - und zwar noch vor der Niedersachsen-Wahl im Oktober.

Die Bundesregierung um Olaf Scholz müsse sich

Die Bundesregierung um Olaf Scholz müsse sich© Frank Rumpenhorst/dpa

Der parteiinterne Druck auf das Kanzleramt wächst

Vergangenes Wochenende in München: In einem Hotel im Norden der Stadt, im Freisinger Hof, treffen sich ein paar Dutzend Abgeordnete der SPD-Bundestagsfraktion. Sie gehören dem Seeheimer Kreis an, dem konservativen Flügel. Sie bilden neben den Parteilinken die zweite Hauptströmung. Es sind die vehementesten Olaf-Scholz-Unterstützer im Parlament, sein Fanklub, wenn man so will.

Die Seeheimer nennen ihren Ansatz gerne pragmatisch, agieren in der Regel geräuschlos und unaufgeregt. Bei der zweitägigen Klausurtagung geht es um innere und äußere Sicherheit. Der Krieg in der Ukraine hat die Lage in der Welt verändert. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind aufgewühlt, aber nicht nur wegen des Krieges, sondern auch wegen der Folgen.

In ihren Wahlkreisen präsentieren ihnen die Bürger ihre Energierechnungen: Abschlagszahlungen, die plötzlich um ein Mehrfaches gestiegen sind, teils absurd hohe Summen. "Da brennt die Hütte", sagt einer der Seeheimer. Es dauert nicht lange, bis sich diese Anspannung auch bei der Klausurtagung entlädt.

Das passiert dann - so berichten es übereinstimmend mehrere Teilnehmer der SZ -, als Wolfgang Schmidt, Kanzleramtschef und engster Vertrauter von Scholz, den Abgeordneten zugeschaltet wird. Es geht um den Umgang mit der Krise. Das Kanzleramt verweist auf die nunmehr drei Entlastungspakete mit einem Gesamtvolumen von knapp 100 Milliarden Euro, die die Ampel auf den Weg gebracht hat. Aber der Runde in München, vielen der Seeheimer, reicht das nicht. Sie würden ihren Anhängern in den Wahlkreisen gerne versichern, dass der Energiepreisdeckel kommt, quasi die Bürger nur für einen Teil der gestiegenen Kosten aufkommen müssen.

Beim Strom nimmt ein Konzept dafür bereits Konturen an, beim Gas, bei den Heizkosten, sieht das anders aus. Da haben sich die Ampelpartner nur darauf verständigt, eine Expertengruppe einzusetzen. Beim Gaspreisdeckel, sollte so etwas in der Art kommen, müsste der Staat wohl mit Milliarden Euro einspringen. Das wiederum könnte dazu führen, dass Finanzminister Christian Lindner von der FDP die Schuldenbremse nicht einhalten kann und eines seiner zentralen Versprechen aufgeben müsste.

Will das Kanzleramt erst die Landtagswahl abwarten?

Am 9. Oktober wählen die Niedersachsen einen neuen Landtag. Die FDP steht in Umfragen bei sechs, mal sieben Prozent. Es würde wohl nicht ohne Folgen bleiben für die Wahl, wenn Lindner seine Politik korrigieren müsste. Nimmt das Kanzleramt womöglich Rücksicht auf eine Landtagswahl und kommt deshalb nicht früher zu weiter reichenden Entscheidungen? Genau diesen Eindruck haben mehrere Teilnehmer bei den Ausführungen von Schmidt.

Sie bestätigen übereinstimmend, dass das Kanzleramt auch die Wahl im Blick habe und die Lage der FDP. Scholz und Schmidt gehe es darum, in dieser schwierigen Lage die Koalition zusammenzuhalten. Niemandem sei damit geholfen, wenn der Laden auseinanderfliege - das sei sinngemäß Schmidts Botschaft gewesen. Und: Mit weitergehenden Ankündigungen sei vorerst nicht zu rechnen. Schmidt sagte auf SZ-Nachfrage, dass er sich zu internen Sitzungen nicht äußere.

Die Stimmungslage wird von Teilnehmern als "hitzig" beschrieben. Holger Becker ist Abgeordneter aus Jena, er hat selbst ein Unternehmen gegründet. Er kennt die Lage. Die von ihm mitgegründete Firma beispielsweise solle statt bislang 20 000 Euro für Strom im Monat künftig 100 000 Euro als Abschlag bezahlen. Solche Anstiege stellten Unternehmen vor existenzielle Schwierigkeiten. Bürger sähen, wie sich "eine Welle" vor ihnen auftürme, "und haben keine Ahnung, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen".

Ginge es nach Becker, müsste sich Scholz jetzt hinstellen und "ein sofortiges Bekenntnis zum Energiepreisdeckel bei Strom und Gas" ablegen. "Ein Bekenntnis, das Sicherheit gibt." Er und andere Abgeordnete denken dabei an den Auftritt von Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), als sie in der Bankenkrise 2008 den beunruhigten Bürgern versicherten, dass ihr Erspartes sicher sei. "Was wir jetzt brauchen, ist eine Whatever-it-takes-Rede des Kanzlers", sagt Becker. Wahltermine dürften dabei "keine Rolle spielen". Schmidt, heißt es, habe in München richtig Gegenwind zu spüren bekommen.

Die Debatte hat mittlerweile die gesamte Fraktion erfasst, die am Dienstag zusammenkam. "Auch wenn die Details und die Umsetzung eines Gaspreisdeckels noch in der eingerichteten Expertenkommission geklärt werden, schon jetzt müssen sich die Bundesregierung und der Wirtschaftsminister zu einem Gaspreisdeckel bekennen", sagt Jessica Rosenthal der SZ, die Juso-Chefin, die in der Fraktion dem linken Flügel angehört. Die parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast sagte am Mittwoch: "Wir brauchen schnell eine Lösung."

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„So schaffen es 30 Prozent der Betriebe nicht mal mehr bis Dezember“

Robert Habeck hat nicht reagiert. Zum Frühstück hatten Deutschlands Konditoren den grünen Bundeswirtschaftsminister kürzlich eingeladen. „Er könnte sich satt essen, während wir ihm erklären, dass Betriebsschließungen keine Betriebsferien sind“, steht in einem entsprechenden Facebook-Post des Deutschen Konditorenbundes (BIV), der als Reaktion auf Habecks unglückliche und viel kritisierte Aussagen zu Insolvenzen und einer drohenden Pleitewelle in Deutschland entstanden ist.

Die hohe Inflationsrate bringt Verbraucher und Betriebe gleichermaßen an ihre Grenzen. Volkswirte rechnen sogar mit zweistelligen Inflationsraten in den nächsten Monaten. Das lässt einige Bäcker und Landwirte jetzt erfinderisch werden. Quelle: WELT/ Nadine Jantz

Die hohe Inflationsrate bringt Verbraucher und Betriebe gleichermaßen an ihre Grenzen. Volkswirte rechnen sogar mit zweistelligen Inflationsraten in den nächsten Monaten. Das lässt einige Bäcker und Landwirte jetzt erfinderisch werden. Quelle: WELT/ Nadine Jantz© WELT/ Nadine Jantz

Aber die Chance bleibt bestehen für den Minister. „Das Angebot gilt weiterhin“, sagt BIV-Präsident Gerhard Schenk. „Wir wollen Herrn Habeck anhand eines praktischen Beispiels zeigen, was in den Betrieben aktuell passiert und wie ernst die Lage ist angesichts der stark gestiegenen Energiekosten.“

Die entsprechende Einordnung, die Habeck zu erwarten hat, liefert Schenk schon vorweg. „Die Lage ist dramatisch“, sagt der Verbandschef gegenüber WELT. „Viele Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand und wissen nicht mehr, wie sie die hohen Strom- und Gaspreise stemmen sollen.“

Die Branche brauche Hilfe – und zwar unbürokratisch und vor allem so schnell wie möglich. „Wenn jegliche Unterstützung ausbleibt, schaffen es 30 Prozent der Betriebe nicht mal mehr bis Dezember“, warnt Schenk. Und damit würden nicht einfach nur ein paar Geschäfte aus den deutschen Innenstädten verschwinden. „Hier steht die Zukunft der Kaffeehauskultur in Deutschland auf dem Spiel.“

Exemplarisch für die Sorgen und Nöte der Konditoreien hierzulande steht das Café Siefert in Michelstadt im Odenwald. Eigentümer Bernd Siefert ist der wohl am höchsten dekorierte deutsche Konditor der vergangenen Jahre: Weltkonditor des Jahres, Weltmeister der Konditoren, mehrfacher Deutscher Konditormeister und Gewinner von über 30 nationalen und internationalen Wettbewerben.

Nun aber bangt der 56-Jährige um seine Existenz. Monatlich 11.266,20 Euro soll das Café Siefert künftig für Strom bezahlen, steht in einem Schreiben des Versorgers EGT Energievertrieb. Bislang lag der Abschlag Siefert zufolge bei 2500 Euro pro Monat.

Vorbereiten auf die Durststrecke im Frühjahr

„Die neue Summe kann ich in keinster Weise aufbringen“, sagt der verzweifelte Handwerksmeister. Zumal der Gas-Aufschlag auch noch komme, darüber hinaus Rohstoffe wie Mehl, Sahne, Mandeln und Co. massiv teurer geworden seien und ab Oktober der Mindestlohn für die Servicekräfte auf zwölf Euro steige. „Vielleicht schaffen wir es noch irgendwie bis Weihnachten, aber dann ist Schluss.“

Denn genau jetzt ist die Zeit, in der Konditoren für das Frühjahr vorsorgen müssen. „Von Januar bis März gibt es so gut wie kein Geschäft, also müssen wir im Herbst und mit dem Weihnachtsgeschäft so viel verdienen, dass wir die Saure-Gurken-Zeit im Frühjahr überstehen“, erklärt Siefert, dessen Familie schon seit 1793 am Standort in der Braunstraße in der Michelstädter Innenstadt gastronomisch tätig ist.

Nun aber gingen die nötigen Großaufträge reihenweise verloren, also Bestellungen von Unternehmen für zum Beispiel Pralinen, Stollen, Panettone, Bethmännchen oder Adventskalender für Mitarbeiter und Kunden.

„Aufgrund der Preisentwicklung kann ich keine verlässlichen Angebote machen, zudem sind vielen Unternehmen solche Geschenke schon jetzt zu teuer“, beschreibt Siefert. Aber auch im Café machen sich die Inflation bemerkbar. „Die Kunden bestellen ein Stück Kuchen mit zwei Gabeln oder teilen sich sogar eine Tasse Kaffee.“

Dabei verkauft Siefert Kuchen und Torten bislang noch weit unter dem eigentlich notwenigen Preis. „Wenn ich alle Kostensteigerungen weitergeben würde, müsste ich für ein Stück Kuchen sieben bis zehn Euro verlangen statt 3,50 Euro“, rechnet der Konditor im WELT-Gespräch vor.

„Das geht vielleicht in Paris auf den Champs-Élysées, aber nicht im Odenwald. Dann kommt bald gar keiner mehr zu uns ins Café.“ Er selbst habe aber auch nicht das Geld, um die Verluste auszugleichen. „Wir haben ja auch schon zwei Jahre Corona-Krise hinter uns, die uns bereits an den Rand des Zusammenbruchs geführt haben.“

Er besitze mittlerweile nicht mal mehr ein eigenes Auto. Aber eine mögliche Betriebsschließung treffe nicht nur ihn selbst und seine Familie, sondern weitere 21 Mitarbeiter und drei Auszubildende.

Und Siefert hat schon den Weltmeister-Bonus, der sich durchaus als Kundenmagnet erwiesen hat. Zumindest mussten einige Konkurrenten aus der Umgebung in den vergangenen Jahren schon aufgeben. In Summe gibt es im regional und mittelständisch geprägten Konditorenhandwerk in Deutschland aktuell noch knapp 3400 Fachbetriebe mit zusammen 67.800 Beschäftigten, wie die BIV-Statistik zeigt.

Protest aus der Backindustrie

Der Umsatz der Branche lag 2021 bei rund 1,7 Milliarden Euro. Verbandschef Schenk sieht vor allem die Kleinbetriebe darunter gefährdet. „Und Konditoreien, die jetzt aus diesem Markt ausscheiden, werden unwiederbringlich weg sein – mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Innenstädte, die dadurch weiter an Attraktivität verlieren“, sagt der Branchenexperte.

Den Unternehmern sei dabei kein Vorwurf zu machen. „Gewisse Preissteigerungen müssen Betriebe verkraften, das gehört zum Unternehmertum. Aktuell übersteigt die Teuerung aber alle Vorstellungen und Möglichkeiten.“

Protest kommt aber nicht nur von Handwerksmeistern, sondern auch aus der Backindustrie. Hans-Günter Trockels, Chef von Kuchenmeister aus dem westfälischen Soest, einem der größten Hersteller von Kuchen für die Eigenmarken des Handels, wendet sich in einem Offenen Brief an Wirtschaftsminister Habeck.

Darin beklagt der Unternehmer, dass Bäcker-Betriebe nicht als energieintensiv eingestuft werden – mit einer Ausnahme: der Herstellung von Dauerbackwaren, also etwa Kekse und Zwieback. „Der Ausschluss der Backwarenhersteller (ohne Dauerwaren) ist aus unserer Sicht falsch, da er weder physikalisch noch betriebswirtschaftlich zu belegen ist“, schreibt Trockels, der sich auch im Branchenverband BVE engagiert.

Sein 1884 gegründetes Unternehmen mit gut 1000 Mitarbeitern sieht er als ein typisches Beispiel: „Wir sind kein Einzelfall, sondern spiegeln die Probleme vieler Unternehmen aufgrund der explodierenden Energiekosten wider.“

Trockels beschwert sich in dem Brief, sein Unternehmen habe in mehreren Schreiben an das Ministerium den Energieverbrauch transparent gemacht, darauf aber keine Reaktion erhalten. Die Wirtschaft dürfe mit den steigenden Kosten aber nicht allein gelassen werden.

„Die prekäre Situation der gesamten deutschen Wirtschaft beruht nicht auf einem Fehlverhalten der verantwortlichen Führungskräfte, sondern ist ausschließlich auf Entscheidungen der verantwortlichen Politiker zurückzuführen.“

Habeck gehe jedoch davon aus, dass die Kosten auf die Verbraucher abgewälzt werden könnten. Das sei ein Irrweg, warnt Tröckel: „Diese Denkweise führt zu einem Rückgang des Konsums an Backwaren und bei vielen Verbrauchern zu einem Verzicht auf den Verzehr von Feinbackwaren.

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Zusätzliche deutsche Förderung von Solaranlagen gebilligt

Die Bundesregierung darf den Ausbau von Solaranlagen und anderen erneuerbaren Energien zusätzlich fördern. Die Europäische Kommission, die für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln in der EU zuständig ist, genehmigte am Dienstag entsprechende Maßnahmen. Diese seien erforderlich, um erneuerbare Energiequellen auszubauen und den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase zu verringern, teilte die Brüsseler Behörde mit.

Konkret sollen Förderungen für Solaranlagen auf privaten Dächern ausgebaut werden, um zusätzlich Strom ins allgemeine Netz einzuspeisen. Die EU-Kommission genehmigte auch zusätzliche staatliche Ausschreibungen für Photovoltaikanlagen auf Frei- und Dachflächen sowie eine Anpassung einer Marktprämie für Stromproduzenten im Bereich Innovation.

Die Bundesregierung hatte zuletzt zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. So sind Ausbaumengen bei der Windkraft sowie bei Solaranlagen deutlich erhöht worden. Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren kommen. Derzeit sind es knapp unter 50 Prozent.

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15 EU-Staaten fordern europäischen Gaspreisdeckel – warum Deutschland dagegen ist

Als Notfallmaßnahme gegen die hohen Energiepreise hat mehr als die Hälfte der Länder in der Europäischen Union einen EU-weiten Gaspreisdeckel gefordert. Griechenland, Italien, Belgien, Frankreich und elf andere Staaten sendeten am Dienstag einen Brief mit den entsprechenden Forderungen an die EU-Energiekommissarin Kadri Simson.

Noch immer ist unklar, wie es mit der umstrittenen Gasumlage weitergeht. Unklar ist auch, wie weitere Hilfen für die Verbraucher aussehen könnten. Einige Ministerpräsidenten haben schon einmal Wünsche geäußert, wofür der Bund noch Geld locker machen soll. Quelle: WELT / Leonie von Randow

Noch immer ist unklar, wie es mit der umstrittenen Gasumlage weitergeht. Unklar ist auch, wie weitere Hilfen für die Verbraucher aussehen könnten. Einige Ministerpräsidenten haben schon einmal Wünsche geäußert, wofür der Bund noch Geld locker machen soll. Quelle: WELT / Leonie von Randow© WELT / Leonie von Randow

Darin fordern die Regierungen die EU-Kommission auf, umgehend einen Vorschlag für einen Maximalpreis für Gas vorzustellen. Dieser solle sich auf Gaslieferungen aus dem Ausland beziehen – etwa Importe aus Russland und anderen Ländern – aber auch auf Transaktionen an Großhandelsplätzen innerhalb der EU, heißt es in dem Schreiben, das der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.

Wie das konkret aussehen könnte, und wie hoch der Deckel sein soll, ließen die Staaten offen. Fest steht, dass ihnen die bisherigen Vorschläge der EU-Kommission, die für Gesetzesinitiativen zuständig ist, nicht weit genug gehen. Die Behörde hatte zuletzt keine konkreten Vorschläge für einen Gaspreisdeckel gegen die hohen Preise gemacht. Stattdessen schlug sie vor, zunächst die übermäßigen Gewinne von Öl- und Gaskonzernen sowie vieler Stromproduzenten abzuschöpfen und mit dem Geld Verbraucher zu entlasten.

Ein Preislimit wäre nach Ansicht der Behörde und von Ökonomen ein noch drastischerer Eingriff in den Markt. Es wird befürchtet, dass dies dazu führen würde, dass Drittstaaten dann weniger oder gar kein Gas mehr an die EU-Länder liefern und es stattdessen anderswo verkaufen würden – etwa nach Asien.

Die Staaten argumentieren in ihrem Brief jedoch, dass ein Preisdeckel den Inflationsdruck eindämmen und gleichzeitig die Erwartungen steuern könne. „Er kann so gestaltet werden, dass die Versorgungssicherheit und der freie Fluss von Gas innerhalb Europas gewährleistet sind und gleichzeitig unser gemeinsames Ziel, die Gasnachfrage zu senken, erreicht wird“, schreiben die Staaten.

Insbesondere Deutschland hatte sich gegen einen Preisdeckel ausgesprochen. Die Bundesrepublik erhält quasi kein Gas mehr aus Russland und zahlt viel für Lieferungen aus anderen Ländern wie Norwegen.

„Für Deutschland wäre das sicherlich ein großes Problem, wenn man nicht mehr höher als andere Mitgliedstaaten bieten könnte, um benötigtes Gas nach Deutschland zu bekommen“, sagte der Ökonom Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel der Deutschen Presse-Agentur. „Für einige gut versorgte EU-Länder wäre es attraktiv, wenn die Deutschen eben nicht mehr das Gas wegkaufen können und die Preise nach oben treiben.“

Der Brief wurde von Belgien, Bulgarien, Kroatien, Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, der Slowakei, Slowenien und Spanien unterzeichnet. Am Freitag treffen sich die Energieminister der EU-Staaten, um mögliche Notfallmaßnahmen zu beschließen.

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LNG-Projekt in Lubmin schreibt ab Oktober Kapazitäten aus

In Abstimmung mit der Bundesnetzagentur will der private Flüssiggas-Terminal-Betreiber Deutsche Regas ab 10. Oktober Kapazitäten für den Gasimport ausschreiben. Wie das Unternehmen am Dienstag mitteilte, müssen Importeure - die das schwimmende LNG-Terminal im vorpommerschen Lubmin ab Anfang Dezember nutzen wollen - verbindliche Angebote abgeben. Einheitliche Regeln und Mechanismen für die Zusage der Kapazitäten müssen der Ankündigung nach noch festgelegt werden.

Hinter einem Rettungsring ist die Baustelle des LNG-Terminal im Industriehafen Lubmin "Deutsche Ostsee" zu sehen.

Hinter einem Rettungsring ist die Baustelle des LNG-Terminal im Industriehafen Lubmin "Deutsche Ostsee" zu sehen.© Stefan Sauer/dpa/Archivbild

Insgesamt will die Deutsche Regas in einer ersten Phase 4,5 Milliarden Kubikmeter an Flüssiggas jährlich am Standort Lubmin anlanden. Ab Dezember 2023 soll diese Kapazität durch ein weiteres Terminal auf 13,5 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr steigen.

Auch für die zweite Phase will der Betreiber ab Oktober bereits Kapazitäten ausschreiben. Wie ein Sprecher des Unternehmens erläuterte, müssen dort genannte Zahlen jedoch lediglich indikativ sein, eine verbindliche Ausschreibungsrunde soll erst später folgen. Damit Interessenten dennoch einen Anreiz haben, sich schon jetzt auf Kapazitäten zu bewerben, gilt demnach die Regel: Nur wer sich am unverbindlichen Verfahren beteiligt, darf auch am verbindlichen Prozess teilnehmen.

Läuft alles nach Plan, wäre das Projekt das erste betriebsbereite LNG-Terminal in Deutschland. Die Bundesregierung setzt unter anderem auf Flüssiggas, um russisches Pipeline-Gas zu ersetzen. Die Bauarbeiten für das Projekt der Deutschen Regas in Lubmin laufen bereits. Es stehen allerdings noch Genehmigungen aus, weshalb der Zeitplan als ambitioniert gilt.

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Dramatisches Szenario führender Institute: Bei einem kalten Winter droht Deutschland eine beispiellose Wirtschaftskrise

In ihrer Gemeinschaftsprognose haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ein Risikoszenario berechnet: Danach droht Deutschland im Falle einer Gasknappheit eine dramatische Krise.

In ihrer Gemeinschaftsprognose haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ein Risikoszenario berechnet: Danach droht Deutschland im Falle einer Gasknappheit eine dramatische Krise.© Picture Alliance
In ihrer Gemeinschaftsprognose haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ein Risikoszenario berechnet: Danach droht Deutschland im Falle einer Gasknappheit eine dramatische Krise.

Wie kommt Deutschland durch den Winter? Reichen die Gasvorräte, stehen ausreichend Alternativen zur Energie aus Russland bereit? Auf diese Frage versuchte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor ein paar Tagen etwas Optimismus auszustrahlen: „Wenn beim Gassparen alles gut geht und wir Glück mit dem Wetter haben, dann haben wir eine Chance, gut durch den Winter zu kommen.“

Und wenn nicht? Wenn Haushalte und Unternehmen nicht genügend Gas sparen, auch weil der Winter sehr kalt wird? Was droht dann eigentlich?

Damit haben sich die vier großen Wirtschaftsforschungsinstitute befasst, die diese Woche ihre gemeinsame Konjunkturprognose vorgestellt haben. In ihrem Basisszenario erwarten die Ökonomen demnach eine eher milde Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde 2023 um 0,4 Prozent schrumpfen, die deutsche Wirtschaft werde aber bereits im Laufe des Jahres wieder wachsen.

Das Risikoszenario der Wirtschaftsinstitute?

In ihrem 83-seitigen Gutachten befassen sich die Institute aber auch intensiv mit einem weniger beachteten Risikoszenario. Es stellt genau die "Habeck"-Frage. Was passiert, wenn der Winter kalt wird und wir nicht genug Gas sparen? Antwort der Forscher: Die Folgen wären ein dramatischer Einbruch der Wirtschaft und die tiefste und längste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.

Im Jahr 2023 würde die Wirtschaftsleistung in Deutschland dann um 7,9 Prozent einbrechen. Im Winterquartal würde das BIP sogar um 14 Prozent schrumpfen. Die Krise wäre nicht nur tief, sondern auch lang. Denn auch im Folgejahr 2024 würde die Wirtschaft noch einmal um deutliche 4,2 Prozent schrumpfen, im ersten Quartal 2024 sogar um 15 Prozent.

Eine solche Depression hat es in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Die Folgen für Wohlstand, Einkommen, Arbeitsmarkt und mit großer Wahrscheinlichkeit für die soziale und politische Stabilität wären immens.

Das größte Risiko für Deutschland ist die Verfügbarkeit von Gas

"Das größte Risiko für die konjunkturelle Entwicklung stellt derzeit die Verfügbarkeit von Gas dar", schreiben die Forscher. "Sollte der Verbrauch in diesem Winter nicht, wie in dieser (Basis-)Prognose unterstellt, ausreichend sinken, käme es zu einer staatlichen Rationierung. In dieser Situation müssten die Unternehmen ihre Produktion zusätzlich einschränken." Mehr noch: "Auch im darauffolgenden Winter ist eine Gasmangellage nicht auszuschließen, sofern es nicht gelingt, die Speicher im Laufe

des Jahres ausreichend zu füllen." Dann käme es im Winter 2023/2024 abermals zu Ausfällen der Produktion.

Das Besondere an der Situation ist, dass sich die Wahrscheinlichkeit der Risiken schwer schätzen lässt. Denn das Wohl und Wehe der deutschen Wirtschaft hängt in einem hohen Maß vom Wetter ab. "Sollte der kommende Winter deutlich wärmer (kälter) als im Durchschnitt der vergangenen Jahre werden, würde die Gasnachfrage geringer (größer) ausfallen als in dieser Prognose unterstellt. In diesem Fall dürften die Gaspreise schneller (langsamer) zurückgehen und die Wirtschaftsaktivität in geringerem (größerem) Maße dämpfen", beschreiben die Ökonomen die Unsicherheit.

Um eine Rationierung von Gas zu verhindern, müsse der Gasverbrauch um 20 Prozent zum Vorjahr sinken. Dies wäre aber wohl nur dann zu erreichen, wenn es keinen außergewöhnlich kalten Winter gibt. Zusätzlich müsse der Import von Gas aus anderen Quellen, vor allem von Flüssiggas, erhöht werden.

Gelinge dies nicht, "sind gravierende Konsequenzen für die wirtschaftliche Aktivität zu erwarten", heißt es in der Prognose. "In einem Risikoszenario, welches unter anderem einen sehr kalten Winter sowie geringere Gaseinsparungen unterstellt, dürfte das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt jeweils zu Jahresbeginn 2023 und 2024 massiv einbrechen."

Für ihre Szenarien haben die Institute ihre Modelle deutlich verfeinert. Das gilt sowohl für die Annahmen über das Gasangebot als auch für die Einsparpotenziale bei Haushalten und Unternehmen sowie die Folgewirkung von Gasrationierungen auf die Wirtschaft. Besonders wurden die Modelle aber um den Einfluss des Wetters ergänzt.

Der große Einfluss des Wetters im Winter

Die Institute berechnen den Einfluss des Wetters auf den Gasverbrauch anhand von Erfahrungswerten zu Temperatur und Gasverbrauch aus der Vergangenheit. Sie rechnen mehrere Szenarien anhand vieler Parameter.

"Eine entscheidende Rolle spielt das Wetter", steht in der Studie. Wird der Winter wärmer als im Mittel der vergangenen Jahre, kommt es zu keinem Mangel an Gas. Im mittleren Szenario "besteht ein erhöhtes Risiko, dass es zwischen Januar und März 2024 zu Rationierungen in der Industrie kommen kann". Der Grund ist, dass die Gasspeicher leer laufen und vor dem Winter 2024 nicht wieder gefüllt werden können. Ein Mangel ließe sich durch den Weiterbetrieb der verbliebenen Atomkraftwerke und die volle Auslastung der Flüssiggas-Terminals vermeiden.

Sind die Temperaturen im kommenden Winter ähnlich dem Durchschnitt der vergangenen Jahre, könnte ein Gasmangel vermieden werden, wenn:

  • der Gasverbrauch um zehn Prozent reduziert wird,
  • die Gasexporte (zum Beispiel nach Tschechien) um 20 Prozent reduziert werden,
  • über Pipelines weiterhin etwa so viel Gas wie im August 2022 importiert wird.

Für den Fall, dass die beiden kommenden Winter sehr kalt werden, reiche dies aber nicht aus. Um einen Gasmangel auch dann zu vermeiden, müssten 20 Prozent Gas gespart werden. Dies ist gerade bei tieferen Temperaturen aber unwahrscheinlich. Daher müssten die Importe über Pipelines oder Flüssiggas-Terminals entsprechend erhöht werden.

Sollte es aufgrund eines Gasmangels zu Einschränkungen der Produktion kommen, seien die Folgen gravierend, lautet das Fazit der Ökonomen. In ihrem Szenario gehen die Forscher davon aus, die gesamtwirtschaftliche Aktivität im ersten Quartal 2023 um rund 14 Prozent und zum Jahresanfang 2024 noch einmal um rund 16 Prozent einbrechen würde. In den Jahresverläufen würde es dann jeweils eine Erholung geben, die die Einbußen aber nicht mehr aufholen könnte.

Zur Wahrscheinlichkeit ihres Risikoszenarios stellen die Forscher fest: "Die Modellsimulationen zur Gasverfügbarkeit zeigen, dass eine Reduktion des Gasverbrauchs um 20 Prozent bei gleichzeitiger Erhöhung der Importe (inklusive der geplanten LNG-Terminals) eine Gasmangellage bei jeder Wetterlage verhindern kann." Bei den Haushalten entspreche eine Senkung der Raumtemperatur um drei Grad einer Einsparung um 18 Prozent. Wenn die Einsparungen aber nicht gelingen, seien gravierende Folgen zu erwarten. Selbst wenn die Rationierung von Gas dann nicht mit einer Pleitewelle einhergehe, würden das BIP 2023 um 7,9 Prozent und 2024 nochmals um 4,2 Prozent schrumpfen.

In jedem Fall kostet die Energiekrise Wohlstand

Die Institute weisen darauf hin, dass die Gaskrise in jedem Fall einen Wohlstandsverlust für Deutschland bedeute, den der Staat mit allen Entlastungsprogrammen nicht ausgleichen könne.

"Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Energiekrise, die das Ausmaß der Ölpreisschocks der 1970er Jahre übertreffen könnte", schreiben die Institute. Der Ölpreis hatte sich 1973/74 verdoppelt und war 1979/80 um das Eineinhalbfache gestiegen. Die Folgen waren jeweils Rezessionen, die mit minus 2,5 Prozent und minus einem Prozent zwar vergleichsweise mild blieben, aber stark steigende Arbeitslosenzahlen mit sich brachten.

Für den Wohlstand Deutschlands müsse zudem bedacht werden, dass die Preise für Güter, die Deutschland importiert, viel stärker steigen als für Güter, die Deutschland exportiert. Das bewirkt einen Einkommensverlust ans Ausland, den die Ökonomen auf rund 100 Milliarden Euro schätzen.

Die aktuelle Energiekrise werde in Deutschland zu dauerhaften Einkommenseinbußen führen. "Diesen Wohlstandsverlust kann die Politik mit Entlastungspaketen nicht aus der Welt schaffen", mahnen die Ökonomen. Wichtiger seien daher eine Ausweitung des Energieangebotes, die Steigerung der Energieeffizienz und die Stabilisierung der Energiepreise.