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Verivox: 30 Prozent der Haushalte erwägen Kauf von Elektroheizung wegen Gaskrise

Aus Sorge vor einem Gasmangel im Winter steigt die Nachfrage nach Elektroheizungen wie Heizlüftern, Radiatoren oder Heizstrahlern. Wie eine Umfrage des Vergleichsportals Verivox ergab, erwägen derzeit 30 Prozent aller Haushalte den Kauf von Elektroheizungen. Zehn Prozent schafften sich bereits ein solches Gerät an, wie die am Montag veröffentlichte Umfrage ergab.

Aus Sorge vor einem Gasmangel im Winter steigt die Nachfrage nach Elektroheizungen wie Heizlüftern, Radiatoren oder Heizstrahlern. Das Vergleichsportal Verivox warnte allerdings vor den damit verbundenen hohen Stromkosten.

© INA FASSBENDERAus Sorge vor einem Gasmangel im Winter steigt die Nachfrage nach Elektroheizungen wie Heizlüftern, Radiatoren oder Heizstrahlern. Das Vergleichsportal Verivox warnte allerdings vor den damit verbundenen hohen Stromkosten.

Befragt wurden 1007 Menschen online. Nur rund ein Drittel (35 Prozent) dieser Befragten geht dabei davon aus, dass der Betrieb der elektrischen Geräte teurer ist als der von herkömmlichen Gas- oder Ölheizungen. "Damit liegen zwei Drittel der Umfrage-Teilnehmenden falsch", warnte Verivox. Die Kosten für Stromheizungen würden häufig falsch eingeschätzt.

"Elektrische Direktheizgeräte verursachen deutlich höhere Kosten als eine Gasheizung", warnte Verivox-Experte Thorsten Storck. Das liege daran, dass eine Kilowattstunde Strom deutlich teurer sei als eine höher ist als eine Kilowattstunde Gas. "Unterstellt man eine vollständige Umwandlung der Heizenergie in Raumwärme, also einen Wirkungsgrad von 100 Prozent, müsste sich der Gaspreis also noch mehr als verdoppeln, damit die gleichen Kosten wie bei einer Elektroheizung anfallen", rechnete Verivox vor.

Auch Verbraucherschützer haben wegen des Trends zu strombetriebenen Heizungen angesichts der Energiekrise zuletzt vor der Anschaffung solcher Geräte gewarnt. Diese würden die Stromrechnungen massiv in die Höhe treiben.

Bei einer Gasmangellage wird tatsächlich die noch verfügbare Menge des Rohstoffs rationiert und entsprechend verteilt. Privathaushalte sind allerdings besonders geschützt, wie die Bundesnetzagentur und auch die Regierung immer wieder betonen. Verivox nannte die Sorge vor einer kalten Wohnung deshalb ebenfalls "unbegründet".

Das Portal verwies unter Berufung auf Branchenverbände indes noch auf eine weitere Gefahr von Stromheizungen: Kommen sie massenhaft zum Einsatz, kann dadurch das örtliche Stromnetz überlastet werden und die Gefahr von Stromausfällen steigt. Mobile elektrische Heizungen lohnten sich nur für Räume, die kurz und sporadisch erwärmt werden sollen - "nicht für eine ganze Wohnung".

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Preise steigen auf Rekordniveau: Kriegen wir nach dem Gas- auch ein Stromproblem?

Ein Hochspannungsmast im Hamburger Umland. Die Strompreise in Deutschland sind zuletzt stark angestiegen.

© picture alliance/Chromorange/Christian OhdeEin Hochspannungsmast im Hamburger Umland. Die Strompreise in Deutschland sind zuletzt stark angestiegen.
Ein Hochspannungsmast im Hamburger Umland. Die Strompreise in Deutschland sind zuletzt stark angestiegen.

Dass der Winter für die Verbraucher teuer wird, ist unumgänglich. Der russische Angriff auf die Ukraine und der daraus folgende Wirtschaftskonflikt Russlands mit Europa hat die Gaspreise in Deutschland nach oben getrieben – auf die Bürger kommen in diesem Jahr hohe dreistellige bis vierstellige Mehrkosten zu.

Doch die aktuelle Energiekrise beschränkt sich nicht nur auf den Erdgaspreis. Auch die Strompreise steigen in Europa stark an – zum einen in Reaktion auf die gestiegenen Kosten für fossile Brennstoffe, zum anderen aufgrund der Hitze und Dürre, die etwa in Frankreich viele Atomkraftwerke ausfallen lässt.

Business Insider erklärt, was das für Verbraucher bedeutet, mit welchen Preisen im Winter zu rechnen ist und ob Deutschland ein Blackout droht.

Wie teuer wird Strom in diesem Jahr?

Deutlich und spürbar teurer als noch 2021. Lag der Börsenpreis für eine Megawattstunde Strom (MWh) im Juli 2021 noch bei etwa 81 Euro, stieg er zum Juli dieses Jahres bereits auf ein Rekordniveau von 315 Euro an – vervierfachte sich also nahezu.

Die hohen Preise am Strommarkt werden letztlich bei den Verbrauchern durchschlagen. Im Juni lagen die Strompreise laut den Vergleichsportalen Verivox und Check24 um rund 30 Prozent über dem Vorjahresniveau. Spätestens zum Jahreswechsel ist Experten zufolge erneut mit flächendeckenden Strompreiserhöhungen für Millionen Haushalte zu rechnen.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen rechnet so mit Laut der Verbraucherzentrale wird geschätzt, dass die Kosten dieses Jahr für Haushaltsenergie um einer Preissteigerung von bis zu 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Kosten für einen Single-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 1300 Kilowattstunden Strom könnten so von 670 auf über 1000 Euro steigen. Bei einem Vier-Personen-Haushalt mit jährlichem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden würde sich der Preis von knapp 1700 Euro auf etwa 2550 Euro erhöhen.

Warum wird der Strom teurer?

Der europäische Strommarkt ist stark vernetzt, Strom wird zwischen Nachbarstaaten importiert wie exportiert – je nachdem, wie hoch Produktion und Verbrauch jeweils ausfallen. Die gestiegenen Gaspreise betreffen so den gesamten europäischen Strommarkt, aus Gas gewonnener Strom wird teurer, europaweit.

In Deutschland machen die Gaskraftwerke 14,5 Prozent der Stromerzeugung aus. Wenig im Vergleich etwa zu den Erneuerbaren, die in diesem Jahr im Schnitt für über 45 Prozent der Stromerzeugung verantwortlich sind. Aber genug, um die gestiegenen Gaspreise auch auf dem Strommarkt spürbar zu machen.

Die nun teureren Gaskraftwerke einfach vom Stromnetz nehmen, wie etwa Finanzminister Christian Lindner (FDP) das forderte, ist jedoch nicht möglich. Gaskraftwerke liefern stabilen Strom, kein anderer Energieträger kann zudem so schnell zu- und abgeschaltet werden, um auf Schwankungen im Stromnetz zu reagieren. Die Bundesregierung sehen den Strom und auch die Wärmeproduktion einiger Gaskraftwerke – etwa in Bayern – deshalb als systemrelevant an.

Zudem wird der Strom aus Gas auch im Ausland gebraucht. In Frankreich fallen wegen der anhaltenden Hitze viele Atomkraftwerke aus, die nicht mehr ausreichend gekühlt werden können. Das treibt zum einen den Strompreis in Europa, zum anderen werden die Ausfälle auch mit aus Gas erzeugtem deutschen Strom kompensiert.

Gut die Hälfte der hohen Verbraucherpreise beim Strom in Deutschland entfällt zudem auf Steuern und die Kosten für CO₂-Zertifikate. Zum 1. Juli hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Abschaffung der EEG-Umlage beschlossen. Dadurch sparen Verbraucher etwa 3,7 Cent je Kilowattstunde. Eine spürbare Entlastung, die aber die im Jahresvergleich gestiegenen Kosten von bisher über 5 Cent pro Kilowattstunde im Vergleich zum Durchschnittspreis 2021 nicht vollends ausgleichen.

Drohen Deutschland Strommangel und Blackouts?

Der Strom in Deutschland wird teurer, aber er wird nicht weniger. Stand jetzt drohen keine Blackouts im Winter. So hat die Bundesregierung etwa beschlossen, Stein- und Braunkohlekraftwerke aus der sogenannten Reserve wieder ans Netz zu nehmen. Sie sollen mittelfristig ermöglichen, mehr Gaskraftwerke abzuschalten, ohne, dass es zu einem Strommangel kommt. Selbst wenn dieser partiell einträte, könnte Deutschland Strom auf dem internationalen Markt zukaufen. Das wäre teuer, würde aber Engpässe verhindern.

Weiter steht zudem zur Debatte, ob die verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke im Streckbetrieb über das laufende Jahr hinaus betrieben werden sollten. Die Grünen lehnen das ab, die FDP spricht sich dafür aus – auch mit Blick auf die Stromversorgung. Im ersten Quartal 2022 machte die Kernkraft sechs Prozent der produzierten Strommenge in Deutschland aus. Im Streckbetrieb wäre der Output der Kraftwerke jedoch geringer. Dennoch könnte die Atomkraft den Strommarkt auf niedrigem Niveau weiter stabilisieren, dann aber zu hohen Produktionspreisen.

Dennoch schließt Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, längere Laufzeitenfür Atomkraftwerke in einem Gespräch mit der "Welt am Sonntag" nicht aus. Es gebe Herausforderungen, die Kohlekraftwerke mit Kohle zu versorgen. Hinzu käme die Situation in Frankreich, wo man auf deutschen Strom angewiesen sei. "Außerdem sehen wir mit Sorge, dass viele Menschen sich strombetriebene Heizlüfter kaufen", sagte Müller. "Das ist eine wahnsinnig teure Idee, weil es selbst bei den aktuell astronomisch hohen Gaspreisen noch 50 Prozent teurer ist, mit Strom zu heizen als mit Gas."

Tatsächlich löst der aktuelle Boom bei den Elektro-Heizungen löst Bedenken aus. Es gibt Sorgen, dass es zu Stromausfällen wegen Überlastungen im Netz kommen kann.

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So steht es um Deutschlands grüne "Freiheitsenergien"
Habeck und Gruener Wasserstoff mit Solar 21.03.2022, VAE, Abu Dhabi, Solaranlage und Stadtprojekt Zukunftsstadt der staatlichen Masdar Comany mit Besuch des Vizekanzlers Robert Habeck.
Robert Habeck in einem Solarkraftwerk: Der Wirtschaftsminister will den Turbo für die Erneuerbaren Energien zünden. (Quelle: Frank Ossenbrink/imago images)
Notfallstrategien und Schnapsideen beherrschen die Energiedebatte. Die Erneuerbaren werden im Hintergrund dennoch mit Höchstgeschwindigkeit ausgebaut. Oder?

Gas? Nein, danke. Zumindest nicht, wenn es aus Russland kommt. In diesem Punkt sind sich Politik und Bevölkerung inzwischen weitgehend einig. Ansonsten geht es in der Diskussion um Deutschlands Energiesicherheit und die erneuerbaren Quellen aber weiter wild durcheinander.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) liebäugelt mit unerschlossenen Gasreserven im Senegal, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schlägt vor, man könne den Norddeutschen das Schiefergas unter den Füßen wegfracken, Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und CDU-Chef Friedrich Merz folgen in Söders Fußstapfen, um längere Laufzeiten für die verbleibenden Kernkraftwerke zu fordern. Und Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) hat den Weg für Reserve-Kohlekraftwerke und Schnellstgenehmigungen von Flüssiggasterminals freigemacht. War da nicht mal etwas mit Energiewende?

Noch im Frühjahr hatte die Zeitung "taz" getitelt: "A Windrad a day keeps Putin away”. Der Begriff der grünen "Freiheitsenergien" (Lindner) war in aller Munde.

Doch während Klimaminister Habeck seit Monaten nicht müde wird, die "neue Allianz aus Klimaschutz und Energiesicherheit" zu betonen und jüngst das erste Maßnahmenpaket für den Erneuerbaren-Turbo in Gesetzesform gegossen hat, scheitert die deutsche Energiewende weiter an Papiertigern und skurrilen Regelkollisionen. t-online gibt den Überblick – und erklärt, wo Deutschland steht bei der Solarkraft, bei Windenergie, bei erneuerbarer Wärme und Wasserstoff.

Wo der Solarausbau zum Erliegen kommt

Manchmal geht die Energiewende an einer Packung Eier zugrunde. So wie auf einem norddeutschen Bauernhof, dessen Betreiber seinen freilaufenden Hühnern gerne eine Solaranlage auf die Wiese setzen würde: Glückliche Hennen und grüner Strom in unmittelbarer Nachbarschaft. Wären da nicht die Eierklassen.

Thomas Seltmann vom Bundesverband Solarwirtschaft schildert die Situation des Landwirts, der ihn nun um Hilfe gebeten hat: Stelle dieser Photovoltaikpaneele auf seine Hühnerwiese, dürfe er die Eier nicht mehr mit dem Etikett "Freilandhaltung" verkaufen. Stattdessen lebten die Hennen dann zumindest offiziell in Bodenhaltung – und ihre Eier brächten dem Bauern nur noch einen Bruchteil des Geldes.

Schafherde unter Solarpaneelen bei Gutstetten in Bayern: In einigen Fällen funktionieren Tierhaltung und Ökostromerzeugung bereits gut nebeneinander. Bei Hühnern scheint der Fall jedoch schwieriger.
Schafherde unter Solarpaneelen bei Gutstetten in Bayern: In einigen Fällen funktionieren Tierhaltung und Ökostromerzeugung bereits gut nebeneinander. Bei Hühnern scheint der Fall jedoch schwieriger. (Quelle: Harry Koerber/ IMAGO)

Man könnte das für ein kurioses Spezialproblem halten. Doch um ihre großen Ziele zu erreichen, braucht die Bundesregierung jede Solaranlage auf jeder Fläche, die sie kriegen kann. Und in der Landwirtschaft gäbe es einige, die sich eigentlich eignen würden. Wären da nicht noch immer so viele bürokratische Hürden – und zu wenige Anreize.

Dabei sieht man in der Solarbranche durchaus eine positive Dynamik in den vielen Reformen, die die Ampelkoalition gerade angestoßen hat. "Es ist gut, dass die Regierung die Ausbauziele massiv hochgesetzt hat", sagt der Verbandsvorsitzende Seltmann zu t-online.

30 Prozent des gesamten Strombedarfs sollen schon 2030 aus Solarenergie gedeckt werden. Das bedeute eine Vervierfachung des Ausbaus in den nächsten acht Jahren. Das Problem: "Es fehlen noch immer die Instrumente, um diese sehr ehrgeizigen Ziele zu erreichen."

Jede Installation kommt mit eigenen Tücken

Die Schwierigkeiten beim Ausbau variieren dabei je nachdem, um welche Art von Anlagen es geht. "Bei den Freiflächenanlagen werden die nutzbaren Flächen noch immer unnötig eingeschränkt und dadurch verknappt", sagt Seltmann. Der Landwirt mit seinen Hühnern sei ein gutes Beispiel.

Das einst als "Osterpaket" bezeichnete Maßnahmenbündel zum schnelleren Ausbau der Erneuerbaren habe zwar Verbesserungen gebracht. Aber ob das ausreicht, um genug von diesen wichtigen, weil leistungsstarken Anlagen zu bauen – da zweifeln die Experten beim Solarverband.

Ähnlich sieht es bei den Anlagen aus, die sich eine wachsende Zahl an Unternehmen auf ihre Fabrikhallen bauen lassen wollen. Dort ist der Ausbau in den vergangenen Jahren regelrecht eingebrochen. Vor allem, weil es sich für die Firmen finanziell nicht lohnte – die Vergütung war viel zu gering.

Dabei könnten sie mit den großen Flächen einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Ziele leisten. Die Förderkonditionen sind nun mit dem "Osterpaket" zwar verbessert worden. Zugleich steigen aber auch die Kosten für Material und Kapital. Seltmann sagt deshalb: "Bei den mittleren und größeren gewerblichen Anlagen reichen die Vergütungssätze weiterhin nicht aus, um den Ausbau ausreichend zu beschleunigen."

Einen Boom hingegen gab es zuletzt bei den privaten Solardächern, die jedoch weniger Strom erzeugen als große Anlagen. Der Andrang führte zum Teil zu langen Wartezeiten – hinzu kommt einmal mehr die Bürokratie.

Ein Neubau bekommt Solarkollektoren aufs Dach: In einigen Bundesländern, darunter NRW und Niedersachsen, ist die Solarpflicht für Privathäuser bereits beschlossene Sache.
Ein Neubau bekommt Solarkollektoren aufs Dach: In einigen Bundesländern, darunter NRW und Niedersachsen, ist die Solarpflicht für Privathäuser bereits beschlossene Sache. (Quelle: IMAGO/Rolf Poss)

Jeder der knapp 900 Netzbetreiber in Deutschland konnte bisher unterschiedliche Informationen zur Anmeldung verlangen – und nimmt diese teils nur via E-Mail, mitunter ausschließlich per Fax oder in einigen Fällen sogar nur per Brief an. Ein Regelwust sondergleichen.

Die Reformen der Ampelkoalition schreiben vor, dass dieser Prozess nun standardisiert und digitalisiert werden muss. Allerdings erst im Laufe des Jahres 2025. Trotz weiterer Verbesserungen sagt Seltmann, der mit dem Bundesverband die Interessen der Solarwirtschaft vertritt, deshalb: "Bei kleineren Privatanlagen ist die Bürokratie noch immer das größte Problem."

Wieso es bei der Windkraft hakt

In kaum einem Bereich zeigen sich Deutschlands Ehrgeiz und Probleme so deutlich wie bei der Windenergie – ohne deren rasanten Ausbau die Energiewende nicht zu stemmen sein wird.

Robert Habeck hat in den ersten Monaten als Minister für Wirtschaft und Klimaschutz viele Hebel in Bewegung gesetzt. "Der Ausbau der Windenergie ist inzwischen eine Frage der nationalen Sicherheit", heißt es in Ministeriumskreisen.

Windräder bei Barnim, Brandenburg: Bundesweit standen zuletzt rund 28.000 Windkraftanlagen auf Feldern, Hügeln und Wiesen. Doch es müssen viele Tausende mehr werden.
Windräder bei Barnim, Brandenburg: Erstmals gibt es dank des Osterpakets nun eine gesetzliche Pflicht, in jedem Bundesland mindestens zwei Prozent der Fläche für Windenergie bereitzustellen. (Quelle: IMAGO/Jürgen Ritter)

Habeck hat verfügt, dass bundesweit zwei Prozent der Flächen für Windkraftanlagen zur Verfügung stehen sollen. Das ist deutlich mehr als eine Verdopplung der derzeit genutzten Flächen und das erste Mal überhaupt, dass eine Bundesregierung den Bundesländern solche klaren Vorgaben macht. In der Windbranche spricht man von einem "bahnbrechenden Gesetz".

Branche in Deutschland am Abgrund

Solche Hoffnungsschimmer hat die Branche bitter nötig. Einst weltweit führend, ist sie in den letzten Jahren weit zurückgefallen. Der Ausbau daheim ist zuletzt fast zum Erliegen gekommen, die Branche ist zunehmend abhängig von China und rutscht immer weiter in die wirtschaftliche Schieflage.

Wichtige Unternehmen wie Siemens Gamesa oder Nordex schreiben tiefrote Zahlen – Schuld daran sind auch die akuten Lieferkettenprobleme und Rohstoffpreisanstiege. Ausgerechnet jetzt, wo die Firmen doch den Ausbau-Turbo zünden sollen.

Doch der lässt noch auf sich warten. Im ersten Halbjahr 2022 ging kein einziges Windrad mehr ans Netz als im gleichen Zeitraum des Vorjahres: Ganze 238 Anlagen wurden deutschlandweit errichtet. Es herrscht Ausbau-Flaute. "Die größten Hemmnisse beim Ausbau der Windenergie bestehen bereits seit Jahren in dem Dreiklang Genehmigungsdauer, Flächenverfügbarkeit, Artenschutz", klagt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie (BWE).

Sechs Jahre vom Antrag bis zur Genehmigung

Weiterhin dauert es im Durchschnitt sechs Jahre, bis die Genehmigung für ein Windrad steht. "Das ist deutlich zu lang, um den Ausbau im nötigen Umfang und mit der nötigen Geschwindigkeit umzusetzen", sagte Axthelm zu t-online. Selbst für den Transport eines Rotorblattes zu einer Windkraftanlage sind häufig Dutzende Genehmigungen nötig.

Ein Schwerlaster auf dem Weg zu einer Windpark-Baustelle bei Rotterdam: Der Transport von Rotorblätter ist ein Akt - in Deutschland auch ein bürokratischer.
Ein Schwerlaster auf dem Weg zu einer Windpark-Baustelle bei Rotterdam: Der Transport von Rotorblättern ist ein Akt – in Deutschland auch ein bürokratischer. (Quelle: IMAGO/Jochen Tack)

Die deutsche Bürokratie bremst die Energiewende kräftig aus. Die Konflikte zwischen Unternehmen und Naturschützern beim Artenschutz – Stichwort Rotmilan – sind durch neue Gesetze zwar entschärft, aber längst nicht gelöst. Klagen von Vogelschützern ziehen die Prozesse oft in die Länge. Und bislang haben manche Bundesländer wie Bayern mit Erfolg Ausbauziele hintertrieben.

Neidisch blickt man in der Windenergiebranche darauf, in welchem Tempo die Bundesregierung unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges die Genehmigung für die Terminals für Flüssiggas durchgedrückt hat. Im Wahlkampf hatte etwa Olaf Scholz versprochen, dass es nicht mehr sechs Jahre dauern sollte, bis ein Windrad gebaut werden kann, sondern nur noch sechs Monate.

Von einer derartigen Beschleunigung ist immer noch nichts zu sehen. Dabei wird sich daran nicht nur entscheiden, ob aus den Steckdosen der Bundesrepublik im Jahr 2030 tatsächlich zu 80 Prozent Ökostrom fließt. Sondern auch, ob aus dem Traum vom grünen Wasserstoff "Made in Germany" etwas Größeres wird. Denn: Ohne ausreichend Windkraft bleibt auch der klimafreundliche Wasserstoff auf der Strecke.

Warum es beim Wasserstoff klemmt

In der Industrie soll er das verpönte russische Gas ersetzen, auf Flüssen und Meeren die Schifffahrt ergrünen lassen und im Fernflugverkehr für ein reineres Gewissen und eine bessere Klimabilanz sorgen: Grüner Wasserstoff gilt überall dort als Heilsbringer, wo zu viel Energie benötigt wird, um fossile Brennstoffe einfach durch Strom zu ersetzen.

Ein Elektrolyseur von AirLiquide in einem Chemiepark in Oberhausen: Der Wasserstoff, der hier entsteht ist grau - der verwendete Strom stammt aus fossiler Energie. Eine zusätzliche Anlage für grünen Wasserstoff soll folgen.
Ein Elektrolyseur von AirLiquide in einem Chemiepark in Oberhausen: Der Wasserstoff, der hier entsteht, ist grau – der verwendete Strom stammt aus fossiler Energie. Eine zusätzliche Anlage für grünen Wasserstoff soll folgen. (Quelle: IMAGO/Rupert Oberhäuser)
Doch nirgends ist die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit bei den Erneuerbaren in Deutschland so riesig wie beim erneuerbaren Gas. Ab 2030 sollen laut Versprechen der Regierung die Elektrolyseure hierzulande 10 Gigawatt grünen Wasserstoff produzieren können – genug, um beispielsweise ein Drittel der Stahlherstellung klimaneutral zu machen.

Aus Sicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist das schon sehr optimistisch: Das Leitmodell für den deutschen Elektrolyse-Zubau, "Remind", rechnet mit einer deutlich bescheideneren Entwicklung als die Bundesregierung. Angesichts der aktuellen Produktionskapazität von gerade einmal 0,06 Gigawatt scheint das wenig verwunderlich. In der Branche hofft man dennoch auf größere Sprünge in den kommenden Jahren.

Der Containerhafen in Hamburg: Frachter stehen wegen ihrer schlechten Klimabilanz und Luftverschmutzung in der Kritik. Grüner Wasserstoff als Treibstoff könnte bei beidem Abhilfe schaffen.
Der Containerhafen in Hamburg: Frachter stehen wegen ihrer schlechten Klimabilanz und Luftverschmutzung in der Kritik. Grüner Wasserstoff als Treibstoff könnte bei beidem Abhilfe schaffen. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen)

Viele Projekte angekündigt, noch wenige im Bau

"Wir rechnen damit, dass in der zweiten Hälfte der 20er Jahre zahlreiche Großprojekte in Betrieb gehen werden", sagt eine Sprecherin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) auf Anfrage von t-online. Zahlreiche Vorhaben für Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff seien derzeit in Planung oder neu angekündigt und warteten auf Förderzusagen der Bundesregierung oder der EU. Erst dann könne es richtig losgehen – sofern es bis dahin schnelle Zulassungsverfahren gebe und weder Lieferengpässe noch der Fachkräftemangel zu stark dazwischen grätschten.

Unabhängig davon, wie schnell einzelne Projekte genehmigt und realisiert werden könnten, sei entscheidend, dass gerade die Offshore-Windkraft weiter ausgebaut werde. Dank des "Osterpakets" der Regierung gibt es im Windenergie-auf-See-Gesetz inzwischen einen eigenen Ausbaupfad für die Erzeugung von grünem Wasserstoff auf dem Meer.

Bis 2028 sollen darüber 3 Gigawatt Elektrolysekapazität ausgeschrieben werden – ob sich Unternehmen darauf bewerben, hängt laut BDEW aber stark davon ab, wie die Ausschreibungen letztlich im Detail aussehen. Kurz: Welche Voraussetzungen es gibt und welche Vergütungen in Aussicht stehen. Das muss eine zusätzliche Verordnung noch spezifizieren. Und auch mittelfristig geht es ums Geld.

Windenergie auf See: Siemens entwickelt zur Zeit neuartige Kombi-Windkraftanlagen, die mit dem erzeugten Strom direkt vor Ort Wasserstoffelektrolyse ermöglichen sollen
Windenergie auf See: Siemens entwickelt zur Zeit neuartige Kombi-Windkraftanlagen, die mit dem erzeugten Strom direkt vor Ort Wasserstoffelektrolyse ermöglichen sollen (Quelle: Albertus Engbers/ IMAGO)

"Nur wenn sich ein ausreichend großer Absatzmarkt abzeichnet, werden Unternehmen im geplanten Ausmaß in die Erzeugungskapazitäten investieren", so der BDEW. Es muss sich also lohnen, die von der Regierung erhofften Elektrolysekapazitäten zu bauen und zu betreiben. Noch scheint das nicht garantiert zu sein.

Weshalb es kaum grüne Wärme gibt

Die Gasheizung ist angezählt. Geht es nach dem Willen von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), soll 2024 Schluss sein mit dem Einbau reiner Gaswärmesysteme. Stattdessen setzt die Regierung vor allem auf Wärmepumpen: Sechs Millionen Geräte sollen schon 2030 Wohn- und Bürogebäude in Deutschland heizen – je nach Bauart mit Wärme aus Luft, Boden oder Grundwasser.

Derzeit sind rund 1,5 Millionen der Heizpumpen angeschlossen. Vergangenes Jahr gingen 150.000 neu in Betrieb, schon 2024 sollen es 500.000 sein. Das sei machbar, heißt es auch aus dem Wirtschafts- und Klimaministerium.

In dieser Tonne steckt eine Luft- und Wasserwärmepumpe: Die Geräte ziehen Wärme aus ihrer Umgebung und machen diese in Wohn- und Geschäftsräumen zum Heizen nutzbar.
In dieser Tonne steckt eine Luft- und Wasserwärmepumpe: Die Geräte ziehen Wärme aus ihrer Umgebung und machen diese in Wohn- und Geschäftsräumen zum Heizen nutzbar. (Quelle: IMAGO)

Statt eines Sturms auf die neue grüne Heizungstechnik gab es zuletzt noch einen kleinen Gas-Boom. Im vergangenen Jahr installierten die Deutschen so viele neue Gasheizungen wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr, wie die Zahlen des Bundesverbands der Deutschen Heizungsindustrie zeigen.

Von 100 Haushalten, die sich für eine neue Heizung entschieden, fiel die Wahl bei 70 auf Gas. Zum Vergleich: Nur in knapp 17 Haushalten wurde eine Wärmepumpe gekauft. Denn: Die grüne Alternative ist eine teure Anschaffung.

Großer Nutzen, hohe Kosten

Zwischen 14.000 und 28.000 Euro kosten Gerät, Einbau und Erschließung der neuen klimafreundlichen Technik. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, dem griff die Bundesregierung mit der Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude bis Ende Juli noch recht ordentlich unter die Arme. Mitte August wird die Förderung für die meisten Antragssteller gekürzt: Wurde die Anschaffung einer Wärmepumpe bisher mit maximal 50 Prozent unterstützt, sinkt die Obergrenze nun auf 40 Prozent.

"In Zukunft bekommt der oder die Einzelne etwas weniger an Förderung als vorher, aber dafür können viele Menschen von den Förderprogrammen profitieren. Das ist in Zeiten von hohen Energiekosten angezeigt", erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Schritt.

Hinzu kommt: Auch wer sich den Wechsel zur Wärmepumpe leisten kann, muss mit teils langen Wartezeiten rechnen. "Derzeit trifft eine enorm große Nachfrage auf ein begrenztes Angebot, sowohl was die Produktion als auch die Handwerkerkapazität betrifft", sagt Martin Seibel, Geschäftsführer des Bundesverbands Wärmepumpe (BWP), zu t-online. Er erklärt sich das inzwischen wachsende Interesse mit der Sorge um Gasknappheit und der Angst vor den Folgen der Klimaerwärmung.

Eine Gastherme in einem Heizungskeller: Noch ist die Gasheizung der unangefochtene Favorit in Deutschland. Dennoch steigt die Nachfrage nach Wärmepumpen langsam an.
Eine Gastherme in einem Heizungskeller: Noch ist die Gasheizung der unangefochtene Favorit in Deutschland. Dennoch steigt die Nachfrage nach Wärmepumpen langsam an. (Quelle: IMAGO)

Doch den Herstellern fehlten aufgrund der allgegenwärtigen Lieferengpässe Bauteile, während es in Heizungsbaubetrieben teils am nötigen Know-how mangele, um fossile Heizsysteme gegen Wärmepumpen auszutauschen. "Die Branche tut alles, um die Ziele der Bundesregierung zu erreichen und Fachhandwerker in puncto Wärmepumpe fit zu machen", versichert BWP-Chef Seibel.

Ebenso wichtig wie gute Aus- und Weiterbildungskonzepte sei dafür allerdings Planungssicherheit – bisher sind weder die angestrebten sechs Millionen Wärmepumpen gesetzlich fixiert noch das geplante Gebot, ab 2024 nur noch neue Heizungen zuzulassen, die mit mindestens 65 Prozent erneuerbarer Wärme laufen.

"Nur so können Hersteller, Zulieferer und Handwerker ihre Betriebe und Investitionen konsequent auf das Ziel der Regierung ausrichten." Wie ernst es der Regierung mit ihrer Wärmepumpen-Offensive ist, könne sie außerdem dadurch zeigen, wie im kommunalen und öffentlichen Bereich die Wärmewende vorangetrieben werde, findet Martin Seibel.

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Der Bundestag verschleppt die Fracking-Debatte – trotz Energiekrise

Bundesweit wird über mögliche Alternativen zur bisherigen Gasgewinnung diskutiert. Fracking gelangt immer mehr in den Fokus. Eine Art der Gasgewinnung, die bisher eher als Tabu galt. Quelle: WELT/ Marco Reinke

© WELT/ Marco ReinkeBundesweit wird über mögliche Alternativen zur bisherigen Gasgewinnung diskutiert. Fracking gelangt immer mehr in den Fokus. Eine Art der Gasgewinnung, die bisher eher als Tabu galt. Quelle: WELT/ Marco Reinke

Deutschland steckt in der Erdgas-Krise, es ist abhängig von russischen Lieferungen, die reduziert werden. Eigene Ressourcen rücken in den Blickpunkt: Unter Deutschland liegen riesige Mengen an Erdgas, die das Land Geologen zufolge auf Jahrzehnte versorgen könnten.

Per Fracking ließen sich die Energie-Reserven erschließen. Doch die vorherige Bundesregierung hat die Bohrtechnologie 2017 verboten, obwohl wissenschaftliche Gutachten Fracking auch in Deutschland als praktikabel ausgewiesen hatten.

Das Verbot ist nicht in Stein gemeißelt, laut Wasserhaushaltsgesetz sollte es überdacht werden: Der Deutsche Bundestag war verpflichtet, die Angemessenheit des Frackingverbots bereits 2021 zu überprüfen – „auf der Grundlage des bis dahin vorliegenden Standes von Wissenschaft und Technik“, wie es im Gesetz heißt. Indes: Das ist nicht geschehen – trotz Gaskrise.

Der Bundestag verweist auf WELT-Anfrage darauf, dass die „Expertenkommission Fracking“ ihren Bericht von 2021 erst Ende Juni eingereicht habe, auf dessen Grundlage beraten werden solle. Über den Zeitpunkt der parlamentarischen Beratung würden nun die Fraktionen der im Bundestag vertretenden Parteien entscheiden.

„Vor September nach Ablauf der Sommerpause passiert in der Sache nichts“

Allerdings hatte die „Expertenkommission Fracking“ bereits 2020 einen Bericht vorgelegt. Darin stellten die Wissenschaftler die Gesetzeslage fest: „Im Jahr 2021 überprüft der Deutsche Bundestag auf Grundlage des bis dahin vorliegenden Standes von Wissenschaft und Technik die Angemessenheit des Verbots von unkonventionellem Fracking“. Warum also ist der Bundestag 2021 nicht tätig geworden?

Anfragen von WELT bei zuständigen Gremien der Parteien ergaben keine Antwort. Klar ist lediglich, dass ein Termin für die Prüfung des Fracking-Verbots noch nicht vereinbart worden ist.

„Vor September nach Ablauf der Sommerpause passiert in der Sache nichts“, sagt eine SPD-Mitarbeiterin. Der Bericht der Fracking-Kommission habe zwar schon eine Drucksachen-Nummer, aber es gebe noch keine Überweisung an einen Ausschuss.

Es werde voraussichtlich „in einer der Sitzungswochen im September entschieden, welcher Ausschuss die Federführung für die Behandlung erhält, ob der Ausschuss für Klima und Energie oder der Umweltausschuss“, erläutert ein Experte von der CDU. Danach würde „das weitere Verfahren beschlossen“.

Auch die Opposition zeigt wenig Interesse

Das Interesse der Parteien am Fracking scheint gering, selbst die Opposition macht keinen Druck. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Sprecher der CDU/CSU-Fraktion für Klimaschutz und Energie, Andreas Jung, sieht die Prüfung des Frackingverbots zwar als „einen gesetzlichen Auftrag“. Er lehnt Fracking aber ab, trotz Erdgasmangels: Die Technologie sei in Deutschland „aus gutem Grund wegen drohender Auswirkungen auf Umwelt und Natur ein Riegel vorgeschoben“ worden.

Wissenschaftler indes haben erneut versucht, Fracking auf die politische Tagesordnung zu setzen. Der Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler wollte diesen Sommer vor der Bundespressekonferenz über die Technologie und ihr Potential zu informieren, doch der Vorstand der Bundespressekonferenz lehnte nach WELT-Informationen im Juli ab.

Fracking könnte „eklatante Importabhängigkeit erheblich reduzieren“

Forscher hatten wiederholt grünes Licht für Fracking in Deutschland gegeben. „Solange wir in Deutschland Erdgas benötigen, ist es – freundlich ausgedrückt – ein Schildbürgerstreich, dass wir es nicht bei uns fördern“, sagt der ehemalige Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Rohstoffexperte Hans-Joachim Kümpel. Heimisches Fracking-Gas könne „die eklatante Importabhängigkeit erheblich reduzieren“.

Beim Fracking wird für die Gewinnung von Erdgas Gestein im Boden mit einer Flüssigkeit zerbrochen. Die Technologie hat einen schlechten Ruf, obwohl es seit Jahrzehnten erprobt ist und inzwischen kaum noch Probleme auftreten.

Ein internationales Gremium von Geologen-Verbänden hat sich angesichts vieler Falschberichte über angebliche Umweltschäden in ihrer „Kopenhagener Erklärung“ über „häufige irreführende Medienmeldungen zur Exploration und Nutzung von Schiefergas“ beschwert, was „zu schlechten Entscheidungen für die Gesellschaft führen kann“.

Gutachten von Wissenschaftlern deutscher Forschungsinstitute kamen sämtlich zu dem Schluss, dass Risiken beim Fracking leicht beherrschbar wären, sofern bestimmte Regionen von der Förderung ausgeklammert würden: Regionen, in denen Trinkwasser gewonnen wird, Bruchzonen und Erdbebengebiete sollten gemieden werden. Zudem sollten Gasreservoire oberhalb von 1000 Metern nicht angestochen werden, um den Abstand zum Grundwasser zu wahren.

Proteste verhinderten Fracking

Fracking-Technologie wird seit Jahrzehnten erprobt. In Deutschland wurde nach Angaben der Industrie rund 300-mal gefrackt, um aus gewöhnlichen Lagerstätten mehr Erdgas herauszuholen. Probleme habe es nicht gegeben.

Noch 2012 hatte die SPD-Bundestagsfraktion gefordert, dass „die Erschließung neuer Erdgasquellen möglich bleiben muss“. Die Bundesregierung erarbeitete ein Konzept, nach welchen Kriterien Fracking-Förderung genehmigt werden sollte.

Dass der Energieschatz unter Deutschland nicht geborgen wurde, lag wesentlich am Protest von Klimaschützern gegen die Förderung fossiler Energien, zum anderen am Protest gegen Fracking. Von Medienberichten über die Proteste aufgeschreckt hatten Bürger ihre Abgeordneten in den Wahlkreisen unter Druck gesetzt, Fracking zu verhindern.

In der aktuellen Erdgas-Not plädieren Wissenschaftler erneut für die Förder-Technologie. „Angesichts der politischen Lage sollte Deutschland fracken“, meint etwa der Energieforscher Mohammed Amro von der Bergakademie Freiberg. Binnen eines Jahres könnte in Deutschland mit der Förderung von Schiefergas begonnen werden. In fünf Jahren ließe sich die Förderrate so weit erhöhen, dass Deutschland mit heimischem Fracking-Gas ein Fünftel seines Erdgas-Bedarfs decken könnte, sagt Amro.

„Bundesregierung legt nicht alle Optionen auf den Tisch“

Vereinzelt schließen sich einige Politiker mittlerweile den Wissenschaftlern an. „Die Bundesregierung legt in der aktuell schwierigen Situation nicht alle Optionen auf den Tisch“, sagt der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch zu WELT. Mit deutscher Erdgasförderung ließen sich russische Importe „zwar nicht vollständig kompensieren, sie könnten aber die Abhängigkeit von Importen deutlich verringern“. Er erwarte von der Bundesregierung „schleuniges Umdenken“.

Ein Einlenken der Regierung scheint allerdings unwahrscheinlich. Mit ihrem Bericht „Evaluierung des Regelungspakets Fracking“ wollten die Ministerien für Umwelt, Wirtschaft und Bildung vergangenes Jahr offenbar einen Schlussstrich unters Fracking-Thema setzen. Der neunseitige Text kam zu dem Schluss: „Insgesamt haben sich die Vorschriften des Regelungspakets Fracking bewährt“. Empfehlungen zur Änderung von Rechtsvorschriften würden „derzeit nicht abgegeben“ – eine Revision des Verbots wäre demnach unnötig.

So einfach kann die Regierung das Fracking allerdings nicht abschütteln. Es bestehe „rechtlicher Handlungsbedarf“, stellt der Rechtswissenschaftler Michael Reinhardt von der Universität Trier fest. Experten hätten für Fracking ein „eher geringes und beherrschbares Risiko für Mensch, Umwelt und Gewässer attestiert“, was der Gesetzgeber in eine „komplexe Verhältnismäßigkeitsprüfung“ einfließen lassen müsse.

Zu hoffen, es würde niemand vor Gericht protestieren, um das Parlament zu drängen, sich des Themas anzunehmen, wäre „der Bedeutung der Angelegenheit nicht angemessen“, schreibt Reinhardt. Der Deutsche Bundestag sei zur Schaffung einer endgültigen Regelung in Sachen Fracking verpflichtet.

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Von wegen Atomausstieg: International sieht es vielmehr nach einem Comeback der Kernenergie aus

Jüngst wurde in Finnland der dritte Block von ;Olkiluoto fertiggestellt – allerdings mit über einem Jahrzehnt Verspätung. Roni Rekomaa / Bloomberg

© Bereitgestellt von Neue Zürcher Zeitung DeutschlandJüngst wurde in Finnland der dritte Block von ;Olkiluoto fertiggestellt – allerdings mit über einem Jahrzehnt Verspätung. Roni Rekomaa / Bloomberg

Krisen bringen Gewissheiten ins Wanken. Das gilt auch für die Rolle der Kernenergie. 2011 lehnten im Zug der Kernschmelze beim japanischen AKW in Fukushima drei Viertel der Deutschen die Atomkraft ab. Und in der Schweiz wurde das Energiegesetz 2017 mit 58 Prozent angenommen, das den Neubau von AKW verbietet.

Der Krieg in der Ukraine und eine drohende Strommangellage haben jedoch zu einem Umdenken geführt. Derzeit sprechen sich über 80 Prozent der Deutschen dafür aus, die Laufzeit der verbliebenen Kernkraftwerke zumindest vorübergehend zu verlängern. Deutschland war mit 36 AKW einmal ein führendes Land in dieser Technologie. Nun sind nur noch drei Kraftwerke in Betrieb, die Ende Jahr vom Netz gehen sollen – sofern sich die Regierung von Kanzler Olaf Scholz nicht noch umstimmen lässt.

International gesehen sieht es dagegen eher nach einem Comeback der Kernenergie aus. Belgien hat im März entschieden, die Laufzeit von zwei Kernkraftwerken um zehn Jahre zu verlängern. Und die Niederlande diskutieren über den Bau zweier neuer AKW, die zusammen mit dem bestehenden Atommeiler ein Viertel des niederländischen Stroms produzieren würden.

Die Internationale Energieagentur (IEA) zieht jedenfalls in einer neuen Studie eine Analogie zum Erdölschock von 1973, der zu einem Boom von AKW geführt hatte. Die heutige Energiekrise könne ein Revival dieser Stromquelle anstossen, mutmasst die Organisation.

Enorme Zeitverzögerungen und Mehrkosten

Die IEA hat eruiert, wie man die verschiedenen Stromquellen am besten kombiniert, damit die Weltwirtschaft 2050 netto kein CO2 mehr emittiert. Im optimalen Szenario produzieren AKW laut Energieagentur doppelt so viel Strom wie heute. Im gleichen Zeitraum aber verdreifacht sich die Stromnachfrage, etwa wegen der E-Mobilität. Deshalb geht der Anteil an Atomstrom an der gesamten Stromproduktion von gegenwärtig 10 auf 8 Prozent leicht zurück. Wind und Sonne führen die Dekarbonisierung zwar an, benötigen aber für die Versorgungssicherheit Quellen wie die Kernkraft.

Ein unerlässlicher Bestandteil auf dem Weg zu einer CO2-neutralen Wirtschaft sei dabei die Verlängerung der Laufzeiten bestehender AKW, sagen die Experten der IEA. Diese Anlagen können Strom für deutlich weniger als 40 Euro pro Megawattstunde (MWh) produzieren, womit man es mit Solar- oder Windstrom aufnehmen kann. Ungefähr auf diesem Niveau hatten die Strompreise an der Börse vor der Pandemie gelegen, seither haben sie sich allerdings durch die Krise verfünffacht.

Dass in der optimalen Strategie besonders ab den 2030er Jahren Dutzende neuer Kernkraftwerke gebaut werden, mag auf den ersten Blick überraschen. Jüngst hat der Bau von AKW nämlich vor allem wegen enormer Kostenüberschreitungen und Terminverzögerungen für Schlagzeilen gesorgt.

Der Bau des jüngst in Betrieb gegangenen Reaktors im finnischen Olkiluoto dauerte 17 Jahre, im französischen Flamanville rechnet man mit 16 Jahren. Das war nicht immer so: Im Schnitt benötigte der Bau der heute in Betrieb stehenden weltweit 439 Reaktoren sieben Jahre. Das zweite Problem sind die exorbitanten Kosten: Für Flamanville dürften sie sich auf 12,7 Milliarden Euro belaufen, nachdem man ursprünglich von 3,3 Milliarden Euro ausgegangen war.

In Europa sind die Kosten hoch, weil seit Fukushima Investitionen zurückgehalten werden und der deutsche Atomausstieg zu Lücken in der Lieferkette geführt hat. Dazu kommt, dass eine neue, sicherere AKW-Generation gebaut wird, was bei Erstanlagen Zusatzkosten verursacht. China oder Südkorea zeigen indes, dass es auch günstiger geht. 90 Prozent des Wachstums der Atomenergie erwarten die IEA-Experten denn auch in Schwellen- und Entwicklungsländern, darunter China, Indien oder die Türkei.

Atomstrom stützt das System

Wenn immer mehr Strom aus Wind und Sonne gewonnen wird, sind regelbare Quellen notwendig, wozu die IEA auch die Kernkraft zählt. So lässt sich die Produktion von flexiblen Kernkraftwerken innert Minuten um 10 Prozent und über einige Stunden um bis zu 80 Prozent verringern. Als Back-up für Solar- und Windstrom werden 2050 aber auch fossile Kraftwerke mit Vorrichtungen zur Abscheidung von CO2 dienen, sagen die Energieexperten voraus.

Sie nennen folgende Faustregel: Nimmt der Anteil von erneuerbaren Energien am Strommix um einen Prozentpunkt zu, sinkt der Wert von Solarstrom gemessen am Börsenpreis um ein bis zwei Prozent. Das hat damit zu tun, dass mehr Geld ins Netz und in Speicher gesteckt werden muss, wenn der Anteil aus volatilen Quellen wie Wind- und Sonnenkraft steigt.

AKW stützen das Stromsystem, weil sie im Schnitt zu 90 Prozent verfügbar sind. Diese stabilisierende Wirkung sollte angemessen honoriert werden, schreibt die IEA. Diverse Staaten haben deshalb «Kapazitätsmärkte» eingeführt, um stabile und flexible Stromquellen zu belohnen. Einen umstrittenen Weg hat Grossbritannien beim neuen Kernkraftwerk Hinkley Point C beschritten. Das Land garantiert dem Betreiber für 35 Jahre einen Strompreis von 92,5 Pfund je MWh, der zudem mit der Inflation steigt. Das war bei Vertragsschluss 2013 doppelt so viel wie der damals herrschende Börsenpreis.

Die Briten propagieren mittlerweile Verträge, die die Kostenrisiken beim Bau eines neuen AKW zwischen Investor und Konsument aufteilen. Diese Massnahme führe zu niedrigeren Finanzierungskosten als eine Preisgarantie à la Hinkley Point C, heisst es.

CO2-Preis macht AKW konkurrenzfähig

Kernkraftbefürworter sollten sodann eifrige Verfechter einer spürbaren CO2-Abgabe oder des Emissionshandels sein. Ein höherer CO2-Preis lässt nämlich auch den Börsenpreis für Strom steigen, weil er die Stromherstellung durch Gas und Kohle verteuert. Kernkraftwerke verdienen dann mehr Geld, um die hohen Investitionen zu amortisieren. Ohne Vergütung der Systemleistungen und ohne CO2-Preis rechnen sich neue Kernkraftwerke kaum.

Damit lassen sich aus der Studie drei Schlüsse ziehen: Eine Renaissance der Atomkraft tönt, erstens, plausibel. Diese wird zwar angeführt von den Schwellenländern, doch auch fünf der grössten sieben Volkswirtschaften – die USA, Japan, Grossbritannien, Frankreich und Kanada – setzen weiterhin auf Atomenergie. Deutschlands Ausstieg ist somit nicht die Regel.

Zweitens haben die derzeit in Bau befindlichen AKW in Europa ein Kostenproblem. Der Nuklearindustrie müsse es bis 2030 gelingen, Projekte pünktlich und zu den projektierten Kosten zu liefern, mahnen die IEA-Experten. Drittens und damit zusammenhängend setzen Länder wie Kanada, die USA oder Grossbritannien grosse Hoffnungen in «kleine modulare Reaktoren» (SMR).

SMR reduzieren das Investitionsrisiko, weil nicht gleich 10 Milliarden Euro in die Hand genommen werden müssen, um eine Anlage zu bauen. Die Energieagentur geht jedenfalls davon aus, dass ab den 2030er Jahren eine neue Ära für die Kernkraft anbricht, wenn solch kleinere Reaktoren breitere Anwendung finden.

Ein Vorteil der AKW geht zudem oft vergessen: Sie beanspruchen nur einen Bruchteil des Platzes von alternativen Energien. Im Fall der Niederlande würden die dann drei Reaktoren laut dem Betreiber 0,2 Quadratkilometer bedecken, während für die gleiche (aber volatile) Produktion mit Sonnenstrom 231 Quadratkilometer nötig wären oder 4400 Windturbinen an Land aufgestellt werden müssten.

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Libysches Öl als Preisbremse am Weltmarkt

Mit seinen gewaltige Öl- und Gasvorkommen könnte Libyen zur Bewältigung der globalen Energiekrise beitragen. Experten sehen in der Nutzung der Ressourcen auch den Schlüssel zur dauerhaften Befriedung des Krisenlandes.

Unmut der Bevölkerung. Könnten Öl und Gas helfen, ihn zu mindern?

© Hazem Ahmed/REUTERSUnmut der Bevölkerung. Könnten Öl und Gas helfen, ihn zu mindern?

Bislang waren die Gespräche vergeblich: Wiederholt haben die Vereinigten Staaten ihren Partner Saudi-Arabien darum gebeten, die Erdöl-Produktion zu erhöhen, um den Preisdruck auf den internationalen Markt zu mindern. Doch die Saudis reagierten auf die Aufforderungen verhalten. Zwar sind die Preise zuletzt wieder gefallen. Doch laut einigen Marktanalysten war es vor allem libysches Öl, das dazu beitrug, die weltweiten Ölpreise Anfang August wieder auf unter 100 Dollar (98 Euro) pro Barrel sinken zu lassen.

Tatsächlich ist die libysche Ölproduktion nach monatelanger Flaute seit Mitte Juli wieder auf mehr als eine Million Barrel pro Tag angestiegen. Zuvor hatte Libyen aufgrund der anhaltenden politischen Instabilität des Landes nur etwa die Hälfte dieser Menge gefördert.

Erdöl als Instrument der Konfliktlösung

Doch das libysche Öl könnte nicht nur der Schlüssel zur Wiederherstellung des Gleichgewichts auf den internationalen Ölmärkten sein: Experten zufolge könnte es auch dabei helfen, die politische Stabilität im Land nach Jahren des Krieges dauerhaft herzustellen.

Eine solche Entwicklung sei auch aus US-Perspektive wichtig, so der Libyenexperte Ben Fishman vom Washington Institute for Near East Policy in einem Aufsatz für das Politikmagazin "The National Interest". Die US-Regierung müsse stärker in die Stabilisierung der libyschen Politik investieren und mehr libysches Öl auf die internationalen Märkte bringen, empfiehlt Fishman.

Als Reaktion auf die Forderung von US-Präsident Joe Biden nach einer Produktionssteigerung haben sich die OPEC-Länder darauf geeinigt, im September 100.000 Barrel Öl pro Tag mehr zu fördern - eine in der Summe vergleichsweise geringe Steigerung. Eine Stabilisierung der libyschen, derzeit nicht durch OPEC-Produktionsobergrenzen limitierten Ölproduktion könnte dem Markt täglich eine halbe bis eine Million Barrel mehr Öl zuführen.

Libyen hat die neuntgrößten Ölreserven der Welt

© Maurizio Gambarini/dpa/picture allianceLibyen hat die neuntgrößten Ölreserven der Welt

Diese könnte das von einem jahrelangen Bürgerkrieg geplagte Land gut brauchen: Erdölprodukte machen rund 94 Prozent der Ausfuhren aus und tragen zu etwa 60 Prozent des libyschen Nationaleinkommens bei. Seit dem Sturz und gewaltsamen Tod des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi 2011 wird Libyen von Gewalt und Machtkämpfen erschüttert.

Unregelmäßige Produktionsmengen

Tatsächlich war die Höhe der Öleinnahmen in den vergangenen Jahren stark vom innerlibyschen Konflikt beeinflusst. So förderte Libyen vor der Revolution des Jahres 2011 durchschnittlich 1,3 Milliarden Barrel Öl pro Tag. Im Jahr 2020 war die Menge Angaben der Weltbank zufolge auf 400.000 Barrel täglich gesunken. Nachdem sich die Konfliktparteien Mitte 2020 auf einen Waffenstillstand geeinigt hatten, stieg die Produktion wieder - auf täglich rund 1,2 Millionen Barrel.

Danach jedoch sank die Fördermenge wieder. Im Juli etwa produzierte Libyen Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge nur noch rund 589.000 Barrel täglich. Der Rückgang hat seinen Grund hauptsächlich in der militärischen Blockade lokaler Öleinrichtungen und Exportterminals durch verschiedene Stammesgruppen. Diese hatten sich nicht einigen können, wer künftig die Nationale Ölgesellschaft (NOC) des Landes leiten soll - die einzige Organisation, die Öl nach Übersee exportieren darf. Die Blockade endete Mitte Juli mit der Wahl eines Kompromisskandidaten in das Amt.

Das Gebäude der staatlichen libyschen National Oil Corporation (NOC) in Tripolis

© Hazem Ahmed/REUTERSDas Gebäude der staatlichen libyschen National Oil Corporation (NOC) in Tripolis

Inzwischen hat das libysche Ölministerium angekündigt, das Land wolle in den kommenden fünf Jahren rund zwei bis zweieinhalb Millionen Barrel pro Tag fördern. Die kontinuierliche Versorgung des Marktes mit dieser Menge an Öl würde sich erheblich auf die Weltmarktpreise auswirken.

Erhebliche Gasvorkommen

Doch Libyen hat nicht nur erhebliche Öl-Kapazitäten. Auch mit seinen Erdgasvorkommen könnte das Land zu einem bedeutenden Lieferanten für Europa werden.

Kann Gas aus Libyen helfen, die Energiekrise zu bewältigen?

© Sabri Elmhedwi/EPA/dpa/picture allianceKann Gas aus Libyen helfen, die Energiekrise zu bewältigen?

Derzeit fließt das meiste libysche Gas nach Italien. Er glaube, dass sich die libyschen Gasexporte bei entsprechenden Investitionen um 30 Prozent steigern ließen, erklärte im April der italienische Botschafter in Libyen, Giuseppe Buccino.

Ausländische Einmischung

Ob es dazu kommt, ist offen, denn in Libyen mischen viele ausländische Akteure mit. Eine erhebliche Rolle spielt unter anderem Russland. Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe etwa unterstützen den einflussreichen libyschen General Chalifa Haftar und sind in der Nähe der ostlibyschen Öleinrichtungen stationiert. Aber auch andere Länder versuchen ihre Interessen geltend zu machen, etwa die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten. Sie alle gelten als zunehmend russlandfreundlich. Den VAE wird vorgeworfen, maßgeblich am Wechsel an der Führungsspitze der Nationalen Ölgesellschaft in Libyen beteiligt gewesen zu sein.

Lokale Interessen

Grundsätzlich sollte es bei der Stabilisierung der libyschen Öl- und Gasproduktion nicht allein um internationale Interessen gehen, sagte Emadeddin Badi, Senior Fellow am Atlantic Council, der DW. Die Produktionssteigerung könnte auch ein erster wichtiger Schritt zu einer ernsthaften Lösung der politischen Probleme in Libyen sein. Voraussetzung sei allerdings ein breiter Dialog über die gemeinsame Nutzung der Gas- und Öl-Ressourcen. In der Vergangenheit seien Blockaden der Produktionsstätten als Mittel der ökonomischen Kriegsführung eingesetzt worden. "Dies zuzulassen ist eine schlechte Idee für jeden, der sich um die langfristige Stabilität Libyens und die langfristige Stabilität seines Gas- und Ölsektors sorgt", so Badi.

Allerdings spielten neben der Politik auch andere Aspekte eine Rolle, sagte der Politikwissenschaftler Jalel Harchaoui vom Think Tank Royal United Services Institute der DW. "Es geht um Machtfragen und nicht um die Erdöl-Einnahmen oder deren gerechte Verteilung", so Harchaoui. Denn je mächtiger Akteure wie General Haftar seien, desto mehr würden sie versuchen, einen aus ihrer Sicht gerechten Anteil an den Einnahmen zu bekommen. Zufrieden, fürchtet Harchaoui, würden sich diese Akteure mit ihrem Anteil allerdings niemals geben.

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Debatte über Atomkraftverlängerung: Habeck lässt CSU abblitzen

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fordert von der Ampelregierung zumindest übergangsweise eine rasche Rückkehr zur Atomkraft. Die Grünenspitze jedoch hält dagegen – und stichelt zurück.

Debatte über Atomkraftverlängerung: Habeck lässt CSU abblitzen

© Chris Emil Janßen / IMAGODebatte über Atomkraftverlängerung: Habeck lässt CSU abblitzen

Sollen Atomkraftwerke in Deutschland angesichts der Energiekrise auch über das Jahresende hinaus weiterlaufen? Ja, sagen vor allem Politiker aus Bayern.

So fordert CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt von der Bundesregierung eine schnelle Entscheidung für eine Laufzeitverlängerung. »Statt weiter wertvolle Zeit zu vertrödeln, muss die Bundesregierung schnellstens den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke beschließen, die Brennstoffe bestellen und die zuletzt abgeschalteten Kraftwerke wieder betriebsfit machen«, sagte Dobrindt der Nachrichtenagentur dpa.

Grünen-Chef Omid Nouripour dagegen verwies angesichts der Debatte über die drei verbliebenen Atomkraftwerke auf den laufenden Stresstest, dessen Ergebnisse man abwarten wolle. »Und dann entscheiden wir anhand der Fakten wie bisher«, sagte er der dpa. Er betonte zugleich, dass er keine Zukunft für die Atomkraft sieht. »Das Gerede über den Wiedereinstieg, über Atomkraft als angebliche Zukunftstechnologie, ist eine Märchendebatte«, sagte der Partei-Co-Vorsitzende. Er verwies auf Frankreich, wo aktuell viele Kernkraftwerke nicht in Betrieb sind, was mit Wartungen begründet wird.

Die Bundesregierung prüft derzeit in einem Stresstest mit Blick auf den kommenden Winter die Sicherheit der Stromversorgung. Auf dieser Grundlage will sie darüber entscheiden, ob die drei verbliebenen Atomkraftwerke, die eigentlich zum Jahresende abgeschaltet werden sollen, noch etwas länger laufen sollen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte am Sonntag beim Tag der offenen Tür in seinem Ministerium gesagt, das Ergebnis sei noch offen. »Es gibt keine Entscheidung in die eine oder andere Richtung.«

Der Grünen-Politiker machte zugleich deutlich, dass auch er in der Atomkraft auf Dauer keine Lösung für Deutschland sieht. »Das ist nicht die günstigste Technologie und auch nicht die sicherste Technologie zur Versorgung von Europa und der Welt für die Zukunft.«

Die Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen, um Gas einzusparen, sei »nicht die richtige Debatte«, argumentierte Habeck zudem. Durch längere Laufzeiten ließe sich seinen Angaben zufolge der deutsche Gasverbrauch um etwa zwei Prozent drücken, wahrscheinlich weniger. »Wir haben andere Möglichkeiten«, sagte er.

Im Schlagabtausch mit der CSU legte Habeck nach. Denn seiner Einschätzung zufolge wären eventuelle Engpässe bei der Stromversorgung im Winter auch ein Ergebnis politischer Fehlentscheidungen in Bayern. Im »südostdeutschen Raum« seien die erneuerbaren Energien nicht ausreichend ausgebaut worden, bemängelte Habeck.

»Habeck hat überhaupt keine Ahnung von Bayern«

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verweise stets auf die in seinem Land gut ausgebaut Solarenergie, sagte Habeck. »Das Problem ist nur, dass auch in Bayern nachts die Sonne nicht scheint und auch in Bayern im Januar die Tage kürzer sind. Das heißt, mit Solarenergie kannst du nachts im Januar exakt gar nichts anfangen in Bayern, du brauchst auch andere Formen. Die sind nicht ausgebaut worden.«

Das hätte man über Strom aus Norddeutschland ausgleichen können, wenn die Stromnetze ausgebaut worden wären – was aber auch nicht ausreichend passiert sei. Das könne unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Problem werden.

CSU-Generalsekretär Martin Huber ließ daraufhin wissen: »Habeck hat überhaupt keine Ahnung von Bayern.«

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) trat Kritik an der Energiepolitik des Freistaats entgegen. Das »Märchen über die großen Stromtrassen« stimme nicht, sagte Aiwanger der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung. »Baden-Württemberg hat sich immer für diese Leitungen starkgemacht, trotzdem werden sie auch dort voraussichtlich erst Ende des Jahrzehnts fertig, genauso wie in anderen Bundesländern.«

Er betonte: »Die Bundesnetzagentur hat 2019 errechnet, dass Bayern nur dann aus der Atomenergie aussteigen kann, wenn wir eine sichere Gasversorgung für unsere Gaskraftwerke haben. Das ist nicht der Fall.«

Nouripour sieht Fehler der CSU

Dagegen unterstützte Grünen-Chef Nouripour seinen Parteifreund Habeck und stichelte ebenfalls gegen die CSU-Regierung im Süden: »Hätte Markus Söder konsequenter den Ausbau von Windenergie und Stromtrassen vorangetrieben, wäre die Stromversorgung in Bayern auch sicherer«, merkte er mit Blick auf den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef an.

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Ende des Tankrabatts: „Das Tanken wird teurer und darauf müssen wir uns einstellen“

Duraid El Obeid ist Chef der Tankstellen-Kette Sprint und Vorsitzender des Bundesverbands Freie Tankstellen. Für Ende August erwartet der Unternehmer einen Run auf die Tankstellen – und steigende Preise.

Ende des Tankrabatts könnte zu einem Run auf die Tankstellen führen. Foto: dpa Picture-Alliance data-portal-copyright=

Ende des Tankrabatts könnte zu einem Run auf die Tankstellen führen. Foto: dpa Picture-Alliance data-portal-copyright=© Bereitgestellt von Wirtschaftswoche

WirtschaftsWoche: Herr El Obeid, vor dem 1. Juni haben Sie vor einem historischen Ansturm gewarnt, weil die Bundesregierung die Bevölkerung mit einem Tankrabatt versorgt hat: 33 Cent auf Benzin, 17 Cent auf Diesel. Ist das Chaos damals am 1. Juni eingetreten?

Duraid El Obeid: Im Nachhinein war der Ansturm nicht so stark ausgeprägt, wie ich es erwartete hatte. Aber einige Tankstellen sind trotzdem beim Benzin oder Diesel leergelaufen. 15 freie Tankstellen aus meinem eigenen Netz waren etwa beim Diesel teilweise ausverkauft. Aber einen flächendeckenden Leerverkauf haben wir nicht erlebt. Da war ich zuvor wohl etwas zu pessimistisch.

Ab dem 1. September wird der Tankrabatt nun wieder zurückgedreht. Benzin und Diesel werden dann wieder teurer. Die Mineralölwirtschaft hat schon vor einem Ansturm auf die Reste der begünstigten Kraftstoffe Ende August gewarnt. Schwenken Sie darauf ein oder sind Sie – aufgrund Ihrer Erfahrungen vom 1. Juni – entspannter?

Das Tanken wird teurer und darauf müssen wir uns einstellen. Die Gesellschaft wird die steigenden Energiepreise natürlich antizipieren. Je näher wir an den 1. September heranrücken, desto mehr Kunden wollen ihre Tanks noch vollmachen. Ich gehe davon aus, dass im Vorfeld des 1. September ein hoher Tankkonsum stattfinden wird. Aber ich erwarte keinen Run am letzten Tag des Augusts, sondern ein allmähliches Volltanken. Die Leute werden ihr Auto schon eine Woche vorher voll machen und dann vielleicht noch mal die verfahrenen zehn bis 15 Liter nachtanken.

Der Rhein hat kaum noch Wasser. Ein Großteil des Benzins und Diesels wird per Binnenschiff transportiert. Welche Folgen hat das Niedrigwasser auf das Kraftstoffangebot an den Tankstellen?

Es ist gut möglich, dass die Versorgung im August an Grenzen kommt. Die Mineralöllieferanten geben den Tankstellenbetreibern nur noch die minimal garantierten Mengen. In der Regel haben Freie Tankstellen mit den Lieferanten Bandbreiten vereinbart. Sie können dann etwa fünf bis zehn Prozent mehr oder weniger Kraftstoffmengen abnehmen – je nach saisonaler Nachfrage. Doch wegen des Niedrigwassers können Tankstellen im Südwesten der Republik keine Mengen nachordern. Deshalb erhöhen einige Mittelständler schon die Preise an den Zapfsäulen, um ja nicht irgendwann in die Situation zu kommen, dass sie ihren Kunden gar kein Benzin oder Diesel mehr verkaufen können. Denn das wollen alle Tankstellenbetreiber unbedingt vermeiden.

Das heißt, die Preise steigen schon jetzt?

Bei einigen Tankstellen ist das der Fall. Normalerweise sind Freie Tankstellen im Schnitt circa einen Cent preiswerter als die Tankstellenketten von Konzernen. Derzeit kann es umgekehrt sein, weil einige freie Tankstellenbetreiber wegen der angespannten Versorgungslage die Preise erhöht haben, um ja nicht leerzulaufen. Andere Tankstellen suchen auch gerade Nachschub etwa in Bayern. Die Lkw-Transporte erhöhen die Preise ebenfalls.

Die Kritik nach dem 1. Juni war, dass der Tankrabatt nicht eins zu eins weitergegeben wurde. Am 1. September dürften die Preiserhöhungen aber ganz bestimmt um den gleichen Betrag erhöht werden, oder?

Ich betreibe 144 Tankstellen unter der Marke Sprint. Wir haben den Rabatt damals komplett weitergegeben und enorme Verluste gemacht. Denn wir haben die Kraftstoffe billiger verkauft, als wir sie wenige Tage und Wochen zuvor eingekauft haben. Jetzt gleicht sich der Effekt natürlich aus, das heißt, wir verkaufen das Benzin und den Diesel ab September dann teurer, als wir ihn zuvor beschafft haben. Wir werden jedenfalls fair bleiben. Wir erhöhen am 1. September um 33 Cent pro Liter Benzin und 17 Cent pro Liter Diesel – exakt um die Höhe des Tankrabatts.

Spüren Sie eigentlich schon jetzt ein verändertes Mobilitätsverhalten an Ihren 144 Tankstellen, weil sich die Verbraucherpreise generell erhöhen?

Wir spüren im Osten schon jetzt eine Konsumzurückhaltung. Es gibt weniger Trinkgeld, die Kunden ordern die preiswerteren Autowaschprogramme. Im Westen haben Inflation und drohende Rezession offenbar noch zu keinen Verhaltensänderungen geführt. Zumindest kann ich das an unseren Tankstellen noch nicht erkennen.

Lesen Sie auch: „Wenn der Pegel so bleibt, können keine Mineralölschiffe mehr fahren“

Sie betreiben einen Großteil der Sprint-Tankstellen in Berlin und Brandenburg und werden von der PCK Raffinerie in Schwedt beliefert. PCK ist eine Tochter des russischen Staatskonzerns Rosneft. Es gibt noch kein Embargo auf russisches Öl. Spüren Sie denn trotzdem etwas von der veränderten politischen Lage?

Wir spüren noch keine Veränderungen. Solange es kein Embargo gibt, erfüllen beide Seiten ihre Verträge: PCK liefert, wir nehmen ab. Die Verträge mit PCK werden zu 100 Prozent erfüllt. Aber wir wissen natürlich, dass die Situation endlich ist. Deutschland will mittelfristig kein Rohöl aus Russland mehr importieren.

Was erwarten Sie?

PCK wird über eine Pipeline aus Russland beliefert. Es wird schwierig sein, die Pipeline durch Schiffstransporte und eine kleinere Pipeline ab Rostock zu ersetzen. Ich gehe davon aus, dass die Kraftstoff-Mengen aus Schwedt zurückgehen werden. Darauf stellen wir uns ein. Aber irgendeine wirtschaftliche Lösung wird es geben. Ein neuer Eigentümer, neue Beschaffungswege – mal schauen, was kommt. Ich halte weiterhin an PCK fest.

Müssen Sie Benzin und Diesel für den Osten dennoch bald im Westen der Republik ein- oder zumindest zukaufen?

Wir kaufen schon heute teilweise im Westen ein, um unsere Tankstellen im Osten zu beliefern. Es ist dann aber teurer. Die Transportwege zwischen Raffinerie beziehungsweise Tanklager und Tankstelle betragen in der Regel 100 Kilometer. Es kann gut sein, dass sich die Transportwege in Zukunft verdoppeln. Das hätte natürlich Folgen: Es gibt Personalmangel bei Spediteuren und Engpässe bei der Bahn. Die Kraftstoffe werden teurer.

Das heißt, der Sprit im Osten wird teurer als im Westen?

Es kann gut sein, dass Benzin und Diesel im Osten teurer werden als im Westen. Aber für den Kunden werden die Preisunterschiede von Tankstelle zu Tankstelle marginal sein. Den Verbraucherpreis bestimmen ja nicht nur die Beschaffungskosten, sondern auch der Wettbewerb an den Zapfsäulen. Wir haben weltweit gesehen genug Rohöl. Wenn das Rohöl transportiert werden kann, dann in alle Richtungen. Öl und seine Derivate werden den Weg dahin finden, wo sie gebraucht werden. Es gibt gut laufende Raffinerien in Amsterdam und Rotterdam. Ein Teil der Produktion könnte vom Westen in den Osten transportiert werden

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„Enteignung der Bevölkerung“: Scharfe Kritik an Gasumlage für profitable Unternehmen

Auch profitable Unternehmen sollen die Gasumlage weitergeben dürfen. Die Opposition wittert einen Skandal, die Grüne Jugend droht der Ampel mit Protesten.

Die Gaspreise gehen den Verbrauchern an den Geldbeutel.

Die Gaspreise gehen den Verbrauchern an den Geldbeutel.© Foto: IMAGO/STAR-MEDIA

Berlin - Der Sprecherin des Wirtschaftsministerium ist das Unbehagen anzumerken. In der Bundespressekonferenz wird sie am Montag zu Details der umstrittenen Gasumlage befragt. Ob es sein könne, dass Verbraucher damit die Gewinne von Unternehmen absichern, will ein Journalist wissen. „Ein Unternehmen braucht eine gewisse Gewinnspanne, um weiter agieren zu können“, sagt die Sprecherin schmallippig.

Schon seit Wochen gibt es Vorbehalte gegen die Gasumlage, die von der Bundesregierung mittels Verordnung für eineinhalb Jahre angeordnet wurde. Sie soll die Unternehmen stützen, die wegen dem Ausfall russischer Gas-Lieferungen nun den Rohstoff teuer auf dem Weltmarkt einkaufen, ihn aber zu alten Konditionen auf dem deutschen Markt weiterverkaufen müssen.

Die Differenz, für manche Unternehmen hohe Millionenbeträge jeden Tag, sollen die Gas-Verbraucher zahlen mit einem Aufschlag von erst einmal 2,4 Cent pro Kilowattstunde. An welche Unternehmen genau die Umlage geht, war lange unklar gewesen. Doch nachdem am Montag die Namen der zwölf berechtigten Firmen bekannt wurden, ist nun auch ersichtlich, dass auch Unternehmen die Umlage an ihre Kunden weitergeben dürfen, die zuletzt schon satte Gewinne gemacht haben.

So hat beispielsweise der österreichische Energiekonzern OMV allein im ersten Halbjahr einen Gewinn von 5,6 Milliarden Euro gemacht – deutlich mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch der Energiekonzern Gunvor darf die Umlage an seine Kunden weitergeben – trotz einer Halbjahresbilanz mit einem Gewinn von rund zwei Milliarden Euro.

Begründet hatte das Wirtschaftsministerium die Gasumlage eigentlich anders: „um Insolvenzen von Gashändlern und Dominoeffekte in der Lieferkette der Energiewirtschaft zu verhindern“, hatte es in einer Erklärung des Ministeriums geheißen. Tatsächlich scheint es dabei aber vor allem um zwei Unternehmen zu gehen: Uniper und SEFE, das bis vor kurzem noch als Gazprom Germania agierte.

Beide Firmen haben in der Vergangenheit vor allem mit Russland Geschäfte gemacht und sind daher in Schieflage geraten. Uniper, bei dem der Bund unlängst mit 30 Prozent einstieg, hat im ersten Halbjahr einen Verlust von rund zwölf Milliarden Euro gemacht. SEFE steht aktuell unter Treuhand der Bundesnetzagentur. Gehen die beiden Unternehmen in die Knie, würde die Gas-Versorgung in Deutschland wohl zusammenbrechen.

Doch von der Gasumlage können nun auch Unternehmen profitieren, die sich breiter aufgestellt haben und ihre Verluste aus dem Russland-Geschäft anderswo bereits kompensieren. Für das Wirtschaftsministerium akzeptabel: „Wir stehen auf dem Standpunkt, dass ein Unternehmen auch Gewinne machen muss, um sich breiter aufzustellen und sich auch letztlich unabhängiger von russischen Gaslieferungen zu machen“, sagte die Sprecherin.

Für die Opposition ein Skandal: „Wenn es bei der Gasumlage völlig egal ist, ob Unternehmen Gewinne machen oder notleidend sind, dann handelt es sich faktisch um Enteignung der Bevölkerung“, sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch dem Tagesspiegel. Die Gasumlage sollte für profitable Unternehmen gesperrt werden, fordert er. Auch der energiepolitische Sprecher der Union, Jens Spahn, übte Kritik: „Selbst der Bundeskanzler und der Finanzminister scheinen bei der Chaosumlage den Durchblick verloren zu haben.“

Doch der Unmut wird auch in den eigenen Reihen laut. „Die Gasumlage war von Anfang an eine schlechte Idee“, sagte die Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah Lee Heinrich, dem Tagesspiegel. Die unabhängige Jugendorganisation der Grünen, aber auch Teile von Union und Linken, hatten sich in der Vergangenheit für einen Energiepreisdeckel ausgesprochen. „Das ist weiterhin der beste Weg, um durch den Winter zu kommen“, sagte Heinrich.

Das Konzept sieht vor, dass ein Gas-Grundbedarf für die Haushalte definiert wird, der zum alten Marktpreis bezahlt wird. Der Verbrauch, der über dem Grundbedarf liegt, müsste dann zu den deutlich höheren Marktpreisen bezahlt werden. Das Modell war auch von Ökonomen eingebracht worden, da es sowohl eine soziale Komponente, als auch einen Sparanreiz über die Preise verfolgt.

Finanzieren müssten die Mehrkosten für den Gas-Grundbedarf der Bundeshaushalt, forderte die Sprecherin der Grünen Jugend. „Es ist vollkommen unverständlich, warum die Regierung einerseits mal eben mit einem Fingerschnippen 100 Milliarden für das Militär locker machen kann, dann aber andererseits sagt, dass für die Menschen kaum Geld da sei“, sagte Heinrich, die die Koalition in der Verantwortung sieht.

„Eine Regierung muss zuallererst für die vielen Menschen da sein, die nicht wissen, wie sie durch den Winter kommen sollen – da setzt die Ampel mit der Gasumlage aber gerade völlig falsche Prioritäten“, kritisierte Heinrich, die Verständnis für einen möglichen heißen Herbst mit Demonstrationen äußerte. „Die Belastungen durch die Energiekrise sind Zündstoff für unsere Demokratie. Wenn die Ampel es nicht von sich aus schafft, ein echtes Entlastungspaket zu schnüren, dann wird es Zeit, den Druck zu organisieren, auch auf der Straße.“

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Energiekrise: Nobelpreisträger Joseph Stiglitz rät zu längeren AKW-Laufzeiten

Der bekannte US-Ökonom Joseph Stiglitz hat eine pragmatische Energiepolitik in Deutschland angemahnt. Um Versorgungsengpässe zu verhindern, gelte es, alle Möglichkeiten auszuschöpfen.

Energiekrise: Nobelpreisträger Joseph Stiglitz rät zu längeren AKW-Laufzeiten

Energiekrise: Nobelpreisträger Joseph Stiglitz rät zu längeren AKW-Laufzeiten© Frank Hoermann / Sven Simon / IMAGO

Ob Fracking oder Atomkraft: Im Kampf gegen die Energiekrise sollte Deutschland nach Ansicht von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz alle Register ziehen. »Im Krieg muss man pragmatisch sein«, sagte Stiglitz in einem Interview mit der »Welt«. »Jetzt ist nicht die Zeit für halbherzige Maßnahmen.« Um die Versorgungsengpässe zu beheben, gelte es in Energiealternativen zu investieren. »Europa hätte das schon vor sechs Monaten erkennen sollen, aber es ist immer noch möglich«, sagte er.

Fracking sei dabei »tatsächlich eine Möglichkeit«. Zwar dürfe das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 nicht aus den Augen verloren werden. »Aber das Gute am Fracking ist, dass es eine kurzfristige Maßnahme ist, die man aufsetzen kann und genauso schnell wieder beenden kann.«

Stiglitz sprach sich aber auch für Atomkraft aus, deren Abfallprodukte sich nicht so schnell aus der Welt schaffen lassen. »Ich bin kein Fan dieser Technologie«, sagte der Ökonom der Zeitung. »Aber wenn man die AKW länger laufen lassen oder sogar die abgeschalteten Kraftwerke zurückholen kann und die Sicherheit trotzdem gewährleistet ist, dann ist es absolut sinnvoll, das jetzt zu tun.«

Stiglitz: Merkel bereits 2006 vor Abhängigkeit zu Russland gewarnt

Hierzulande streitet die Regierung trotz Energiekrise seit Monaten über eine kurze Verlängerung der Laufzeiten für die noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke. Vor allem die Grünen tun sich schwer mit solch einem Streckbetrieb – oder gar damit, bereits stillgelegte AKWs wieder hochzufahren. Sie verweisen auf Risiken der Technologie. In der Bevölkerung hat sich angesichts der knapper und teurer werdenden Energie die Haltung zum für Ende 2022 geplanten Atomausstieg inzwischen gewandelt. (Lesen Sie hier: Atomkraft? Ja bitte!)

Stiglitz, der 2001 für seine Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, sagte, es komme jetzt darauf an, alles in Betracht zu ziehen, um die Engpässe auszugleichen. Das gelte auch für die erneuerbaren Energien. »Warum sagt man hier nicht einfach: Lasst uns alle Solarpaneele nutzen, die wir auftreiben können, lasst uns alle Windräder anwerfen, die wir haben. Ihr habt so viel Wind hier in Deutschland – nutzt das doch einfach.«

Bereits 2006, so der Wirtschaftswissenschaftler, habe er die Bundesregierung schon davor gewarnt, »dass es dumm ist, sich derart auf Gas aus Russland zu verlassen, weil Russland kein verlässlicher Partner ist«. Eine Antwort von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel habe er daraufhin nie bekommen. »Dabei habe ich den Aufsatz damals wirklich sehr klar formuliert.«

Daran, dass die Regierung angesichts der explodierenden Preise nun auch an Gegenmaßnahmen denkt, kann Stiglitz immerhin etwas Gutes erkennen. »Es ist gut, wenn die Regierung über niedrigere Steuern oder andere Maßnahmen dabei hilft, die Preise zu stabilisieren. Schließlich können sich die Menschen nicht gegen höhere Preise absichern.«

Die Frage, ob dabei auch Unternehmen gerettet werden sollten, sei dagegen schwieriger zu beantworten. »Ich bin eigentlich dagegen, Unternehmen zu retten, die keine ausreichende Risikovorsorge für Probleme gebildet haben, die eigentlich offensichtlich waren«, sagt Stiglitz. »Aber wenn man schon Bailouts durchführt, dann sollte der Staat auch Aktien bekommen, um auch dabei zu sein, wenn die Zeiten wieder besser werden.«

Aktuell plant der Staat eine Rettung von angeschlagenen Energieunternehmen mithilfe der Energieulage. Beim besonders kriselnden Konzern Uniper will er zudem einsteigen.