Forum
Energiepolitik
Zitat von Gast am 9. Oktober 2024, 08:00 UhrWie der Strommarkt noch zu retten ist
Der Strommarkt ist Grundlage für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit und zentraler Ansatzpunkt für die Transformation in eine erneuerbare Energiewelt. Doch er steht am Scheideweg. In seinem Bericht „Strommarktdesign der Zukunft“, dem „Optionenpapier“, spricht das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz von fehlendem Vertrauen der Marktakteure in die langfristige Stabilität und Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen. Der Grund: In den vergangenen Jahren wurde es versäumt, die Marktregeln so weiterzuentwickeln, dass sie dem zunehmend dezentralen Stromsystem gerecht werden.
Stattdessen wird seit Jahren nahezu jeder Marktein- und -austritt energiepolitisch gesteuert und auch in die Strompreisbildung eingegriffen. Die Folge sind Fehlanreize, die immer neue Reparaturen und Eingriffe erforderlich machen. Notwendige Investitionen bleiben deshalb aus, was das Gelingen der Energiewende zunehmend gefährdet. Der Markt muss reformiert werden. Doch wie sollte das neue Strommarktdesign aussehen?
Eine naheliegende Möglichkeit wäre, das fehlende Vertrauen der Marktakteure durch die überfällige „Reparatur“ des Strommarktes und stabile energiepolitische Rahmenbedingungen zurückzugewinnen. Bei der Lektüre des Optionenpapiers drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass im Gegenteil der Strommarkt in wichtigen Teilen aufgegeben wird und stattdessen finanzielle Anreize für den Zubau von Kraftwerkskapazitäten Aufgaben des Strommarktes übernehmen sollen. Kapazitätsmechanismen sind sinnvoll, um das „Missing Money“-Problem zu lösen. In gravierenden Knappheitssituationen können die Strompreise aus politischen, regulatorischen und technischen Gründen oft nicht ausreichend steigen, um die notwendigen Investitionen in Erzeugungskapazitäten zu gewährleisten.
Der Markt kann die Versorgungssicherheit nicht selbst steuern
Eingriffe in den Strommarkt sind sogar unumgänglich, wenn die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Der Markt kann die Versorgungssicherheit nicht selbst steuern, wenn zum Beispiel in Zeiten geringer Solar- und Windstromeinspeisung die Nachfrage trotz hoher Strompreise am Großhandelsmarkt nicht ausreichend reduziert wird – etwa aufgrund unzureichender Weitergabe von Preissignalen oder fehlender Investitionen in Flexibilitäten. Oder wenn bei einem Überangebot an Solar- und Windstromeinspeisung trotz stark negativer Strompreise nicht ausreichend Flexibilität auf der Angebots- und Nachfrageseite aktiviert werden kann. In beiden Fällen fehlen Preissignale, die die Knappheiten und die Notwendigkeit für Flexibilität ökonomisch adäquat widerspiegeln.
Die vorgesehenen Kapazitätsmärkte beschränken sich jedoch nicht auf die Lösung des „Missing Money“-Problems, sondern sollen viele weitere Aufgaben übernehmen. Ein Beispiel ist, dass die Investoren in Zukunft weitgehend von Risiken befreit werden sollen. Investitionen in steuerbare Anlagen sollen durch Kapazitätszahlungen für 15 Jahre abgesichert und erneuerbare Anlagen von Preisrisiken im Strommarkt abgeschirmt werden.
Es ist zwar richtig, dass große energiepolitische Risiken in der Transformation investitionshemmend wirken, aber solche Risiken werden in einem Kapazitätsmarkt nicht eliminiert, sondern sie erhöhen in der Regel die Kapazitätszahlungen, die dann vom Steuerzahler oder Energieverbraucher bezahlt werden. Ein besserer Weg, die politischen Risiken und damit die Stromkosten in einem Strommarkt der Zukunft zu reduzieren, wäre die Ablösung eines überforderten regulatorischen Mikromanagements durch ein stabiles Marktumfeld. Doch davon ist im Optionenpapier wenig zu lesen.
Viel Bürokratie, hohe Komplexität
Die in dem Papier favorisierten Kapazitätsmärkte stellen auch eine besondere bürokratische Herausforderung dar. Nicht nur die Zielkapazitäten müssen vom Regulierer festgelegt werden, im Idealfall muss für jede Anlage administrativ ein Kapazitätswert ermittelt werden, mit dem der Beitrag der Anlage zur Zielerreichung bewertet wird. Dies hat sich in Ländern, die bereits über einen Kapazitätsmarkt verfügen, als langwieriger und frustrierender Prozess erwiesen, in dem der Regulierer mit den „Stakeholdern“ um Mengen und entsprechende Zahlungen ringt. Das Optionenpapier schlägt für Deutschland darüber hinaus vor, dem Kapazitätsmarkt weitere Aufgaben zuzuweisen, die eigentlich dem Strommarkt obliegen, wie zum Beispiel die Steuerung der Standortwahl durch administrativ festzusetzende zusätzliche Anreize im Kapazitätsmarkt. Dadurch sollen die Auswirkungen unzuverlässiger Strompreise, hier das Fehlen lokaler Preise, kompensiert werden.
Kapazitätsmechanismen sind komplex, und selten lassen sich Fehler bei ihrer Ausgestaltung vermeiden. Davor ist auch der im Optionenpapier favorisierte „kombinierte Kapazitätsmarkt“ für steuerbare Anlagen nicht gefeit, der im internationalen Vergleich besonders kompliziert ist. Insbesondere die dezentrale Komponente erscheint noch nicht hinreichend durchdacht. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen: Wer Kapazität kauft, ohne auch Anreize zu setzen, dass bei Knappheit tatsächlich Strom produziert wird, bekommt zwar Produktionskapazitäten, aber noch nicht unbedingt Strom.
Darüber hinaus soll der dezentrale Markt auch hier Aufgaben übernehmen, die normalerweise dem Strommarkt zukommen: Er soll flexible Nachfrager, Speicher und Innovationen optimal einsetzen und dabei auf das dezentrale Wissen der energiewirtschaftlichen Akteure und Verantwortlichen vor Ort setzen. Problematisch ist dabei, dass der im Optionenpapier favorisierte dezentrale Kapazitätsmarkt konzeptionell nicht geeignet ist, Kapazitätspreise zu finden, die die Grenzkosten des Kapazitätsausbaus robust abbilden.
Zu niedrige CO2-Preise?
Stattdessen ist aufgrund des geplanten kontinuierlichen Handels mit volatilen und extremen Preisen zu rechnen, wie sie auch den dezentralen Markt in Frankreich plagen. Auch für die geäußerte Hoffnung, dass die dezentrale Komponente zuverlässig das „richtige“ Maß an kollektiver Versorgungssicherheit gewährleisten kann, gibt es wenig Grund. Der Versorgungsgrad ergibt sich nämlich aus der Gesamtheit vieler individueller Reaktionen der Nachfrager von Kapazitätszertifikaten auf eine administrativ zu setzende Pönale. Wir empfehlen dringend, bei der Ausgestaltung von Kapazitätsmärkten nicht die Fehler anderer Länder zu wiederholen.
Auch die favorisierten Kapazitätszahlungen für erneuerbare Energien werfen neue Probleme auf. Im Optionenpapier werden verschiedene Argumente für die Notwendigkeit einer Förderung angeführt. Zum einen wird auf den „Gleichzeitigkeitseffekt“ verwiesen: Demnach ist die strompreissenkende Wirkung der erneuerbaren Energien so groß, dass sie ihre eigenen Investitionskosten häufig nicht mehr durch Markterlöse refinanzieren können. Mit anderen Worten: Erneuerbare Energien brauchen Subventionen, weil sie etwas produzieren, was auf dem Strommarkt nicht viel wert ist.
Ein weiterer vorgebrachter Grund für Subventionen ist, dass die CO2-Preise zu niedrig sind, um Erneuerbare wirtschaftlich zu machen. Das favorisierte Fördermodell über Kapazitätszahlungen führt nun jedoch paradoxerweise dazu, dass beide unschönen Effekte sogar noch verstärkt werden. Durch den Zubau von Kapazitäten gegen die Preissignale im Strommarkt wird der Gleichzeitigkeitseffekt verstärkt, sodass erneuerbare Energien im Strommarkt weiter entwertet werden und die Belastungen auf dem EEG-Konto steigen. Und durch den Zubau von Kapazitäten gegen die Preissignale im Emissionshandel wird der Preisdruck im europäischen Emissionshandel verringert, sodass in anderen Strommärkten oder in der Industrie Spielräume für zusätzliche CO2-Emissionen entstehen.
Zielen werden nicht erreicht, wenn man sich gegen Marktkräfte stellt
Es ist kaum vorstellbar, dass ein Strommarkt der Zukunft, der sich gegen die Marktkräfte stellt, seine Ziele erreichen kann. Dies gilt umso mehr, als Investitionen in erneuerbare Energien bei einer Förderung durch Kapazitätszahlungen von den Preisrisiken des Strommarktes weitgehend abgeschirmt werden sollen, sodass die administrative Festlegung von Kapazitätswerten nicht nur die zu errichtenden Erzeugungskapazitäten, sondern auch die Standorte und Technologien weitgehend zentral steuern muss. Die damit verbundenen bürokratischen, ökonomischen und rechtlichen Herausforderungen sind groß – auch weil die Interessen der Anbieter bei der Festlegung der Kapazitätswerte und damit der Kapazitätszahlungen einer effizienten Bewertung entgegenstehen können.
Der Schlüssel für das Strommarktdesign der Zukunft sind nicht komplizierte und mit marktfremden Aufgaben überfrachtete Kapazitätsmärkte, sondern Strompreissignale, die Knappheiten und Kosten zuverlässig abbilden. Der Strompreis kann die vielen Millionen Akteure und Strategien regional und (viertel-) stündlich kosteneffizient koordinieren und für Wettbewerb, Investitionen und Innovationen sorgen. Dagegen sind Kapazitäten für sich genommen wenig wert, wenn sie nicht in den richtigen Regionen errichtet werden und ihr Einsatz nicht durch geeignete Preissignale gesteuert wird. Noch ist es nicht zu spät, die Weichen richtig zu stellen.
Folgende Maßnahmen müssen für einen resilienten Strommarkt ergriffen werden. Erstens sollte die Energiepolitik Marktpreise zulassen, auch wenn sie regional differenziert sind. Das Optionenpapier lehnt regionalisierte Preise ab und versucht stattdessen, die entstehenden Probleme über administrative Umwege und Mikromanagement in Form von Bonuszahlungen in Kapazitätsmärkten, regional variierenden Netzentgelten und Ähnlichem zu lösen. Doch selbst wenn es gelänge, durch weitere komplexe Eingriffe die Anlagen weitgehend systemdienlich zu platzieren, würden sie nicht effizient betrieben.
Und der Versuch, sich ständig ändernde Preissignale durch administrativ festgelegte Zahlungen „nachzuahmen“ oder die Folgeprobleme eines bundeseinheitlichen Strompreises ex post zu reparieren, dürfte ein zunehmend aussichtsloses Unterfangen sein. Der Strommarkt der Zukunft ist angesichts des notwendigen viertelstündlichen Zusammenspiels von erneuerbaren Energien, Nachfrageflexibilitäten, Batterien und Gaskraftwerken ohne verlässliche Preissignale nicht steuerbar.
Die Wettbewerbsfähigkeit leidet
Der Schritt zu regional differenzierten Preisen erfordert Überzeugungskraft und politisches Kapital. Süddeutsche Bundesländer befürchten dadurch steigende Strompreise, Verbände fürchten um die Wettbewerbsfähigkeit von Standorten. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Anreize der Marktteilnehmer zur Erzeugung und zum Verbrauch von Strom sowie die Investitionsanreize in Erzeugungskapazitäten durch die räumliche Vereinheitlichung der Großhandelspreise zurzeit massiv verzerrt werden. Die zunehmenden Ineffizienzen durch fehlgeleitete Investitionen treiben die Stromkosten immer weiter in die Höhe.
Die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Nicht mögliche Strompreisunterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland gefährden letztlich die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, sondern die im Vergleich zu ausländischen Standorten relativ hohen Strompreise in Deutschland. Regional differenzierte Strompreise bedeuten zwar zunächst etwas größere Unterschiede bei den Stromkosten innerhalb der Bundesrepublik.
Effizienzgewinne auf dem Strommarkt bei Produktions- und Investitionsentscheidungen sowie die durch Kostenwahrheit ausgelösten Innovationsanreize dürften jedoch zu einem Absinken des durchschnittlichen Preisniveaus im Vergleich zu einem Marktdesign ohne regionale Marktpreise führen. Selbst die Hochpreisregionen dürften davon profitieren im Vergleich zu einem Szenario, in dem die künstlich verordnete einheitliche Preiszone fortbesteht.
Zweitens müssen die Preissignale auch darüber hinaus gestärkt werden, insbesondere die Knappheitspreise im Strommarkt und CO2-Preise im Emissionshandel. Hier ist aktive Energiepolitik gefragt. Strompreise, die zuverlässig Knappheiten und Kosten widerspiegeln, schaffen Anreize für Flexibilität und Speicher und erhöhen den Wert der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Zugleich sollten erneuerbare Energien nicht vollkommen von Preisrisiken abgeschirmt werden. Dort, wo der Markt aus sich heraus noch keine ausreichenden Anreize für den Ausbau der erneuerbaren Energien setzt, könnte eine Weiterentwicklung des bestehenden Marktprämienmodells den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern und gleichzeitig Anlagen, die ohne Förderung wirtschaftlich sind, automatisch in den Markt entlassen. In der Vergangenheit ist die Integration in den Strommarkt bereits oft gelungen.
Kein Umbau von heute auf morgen
In Kombination mit regional differenzierten Preisen wäre es so für Betreiber attraktiv, Anlagen an Standorten mit hoher Auslastung und hohen Preisen zu errichten, wo die Anlagen also aus Systemsicht einen hohen Nutzen stiften. Auch andere marktnahe Fördermodelle sind denkbar. In Kombination mit unserer dritten Empfehlung ist es beispielsweise möglich, Energieversorger zu verpflichten, einen bestimmten Anteil ihres Stroms aus erneuerbaren Energien im Rahmen einer Absicherungspflicht am Strommarkt zu beziehen.
Drittens hat die Forschung zu Kapazitätsmechanismen in den letzten Jahren gezeigt, dass traditionelle Kapazitätsmärkte nicht notwendig sind, um langfristig gute Investitionsanreize zu setzen, selbst wenn Nachfrage und Angebot teils noch unflexibel sind. Stattdessen sind Kapazitätsmechanismen zu empfehlen, die auf eine Absicherungspflicht auf Terminmärkten setzen, wie sie auch von der EU gefordert wird. Mit einer bereits früh einsetzenden und graduell ansteigenden Absicherungspflicht können sich Marktteilnehmer, Regulierer und Politik durch frühzeitig verlässliche Terminpreise auf Engpässe vorbereiten.
Ein modernes Marktdesign mit Absicherungspflicht ermöglicht einen schrittweisen und flexiblen Handel von verschiedenen Energieprodukten für ein optimales Risikomanagement, Flexibilitätsanreize, Innovationen und den Abbau von Marktmacht. So kann die für die neue Energiewelt so wichtige Versorgungssicherheit und Resilienz erreicht werden – ohne administrative Kapazitätsvorgaben und -bewertung, zentral gesteuerte Standortwahl und die vielen anderen Herausforderungen der derzeit favorisierten Kapazitätsmärkte.
Transformation nur durch verlässliche Preise am Strommarkt
Ohne Koordination durch verlässliche Preise am Spot- und Terminmarkt für Strom ist die Transformation nicht zu bewältigen. Die Reparatur des Strommarktes ist im Vergleich zu traditionellen Kapazitätsmärkten relativ einfach umzusetzen – und wirkt schon durch ihre Ankündigung. Würde sich die Politik heute verpflichten, künftig (lokale) Marktpreise als Koordinationsinstrument zuzulassen, würden ab sofort viele Standort- und Technologieentscheidungen den tatsächlichen Knappheiten und Bedarfen folgen und wichtige Innovations- und Flexibilitätsprozesse angestoßen werden. Eine Stärkung des Terminmarkts durch eine Absicherungspflicht stellt auch unabhängig von der Einführung eines klassischen Kapazitätsmarktes eine „No regret“-Option dar, die die Preissignale stärkt. Auch die zunehmende Integration der erneuerbaren Energien in den Strommarkt erscheint deutlich weniger aufwendig und effizienter als die Umstellung auf eine zentrale Steuerung durch Investitionskostenförderung.
Der Umbau des Strommarktes kann realistischerweise nicht von heute auf morgen erfolgen. In der Übergangszeit braucht es ein Sicherheitsnetz, um den Übergang in die neue Stromwelt zu gestalten. Dies kann zum Beispiel in Form einer erweiterten Kraftwerksstrategie oder einer klugen strategischen Reserve geschehen sowie durch eine Übergangslösung für Regionen, die bei regional differenzierten Strompreisen nicht sofort mit Preissenkungen rechnen können.
Wichtig ist aber: Die Richtung muss stimmen. Mittelfristig sollten Kapazitätszahlungen im Strommarkt der Zukunft überflüssig werden. Werden sie hingegen eingeführt, um die zum Teil hausgemachten Probleme des Strommarktes zu kaschieren, wird der Flickenteppich weiter wachsen, der Subventionsdruck weiter ansteigen und der Strommarkt der Zukunft sein Versprechen einer resilienten und kostengünstigen Stromversorgung nicht halten können.
Wie der Strommarkt noch zu retten ist
Der Strommarkt ist Grundlage für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit und zentraler Ansatzpunkt für die Transformation in eine erneuerbare Energiewelt. Doch er steht am Scheideweg. In seinem Bericht „Strommarktdesign der Zukunft“, dem „Optionenpapier“, spricht das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz von fehlendem Vertrauen der Marktakteure in die langfristige Stabilität und Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen. Der Grund: In den vergangenen Jahren wurde es versäumt, die Marktregeln so weiterzuentwickeln, dass sie dem zunehmend dezentralen Stromsystem gerecht werden.
Stattdessen wird seit Jahren nahezu jeder Marktein- und -austritt energiepolitisch gesteuert und auch in die Strompreisbildung eingegriffen. Die Folge sind Fehlanreize, die immer neue Reparaturen und Eingriffe erforderlich machen. Notwendige Investitionen bleiben deshalb aus, was das Gelingen der Energiewende zunehmend gefährdet. Der Markt muss reformiert werden. Doch wie sollte das neue Strommarktdesign aussehen?
Eine naheliegende Möglichkeit wäre, das fehlende Vertrauen der Marktakteure durch die überfällige „Reparatur“ des Strommarktes und stabile energiepolitische Rahmenbedingungen zurückzugewinnen. Bei der Lektüre des Optionenpapiers drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass im Gegenteil der Strommarkt in wichtigen Teilen aufgegeben wird und stattdessen finanzielle Anreize für den Zubau von Kraftwerkskapazitäten Aufgaben des Strommarktes übernehmen sollen. Kapazitätsmechanismen sind sinnvoll, um das „Missing Money“-Problem zu lösen. In gravierenden Knappheitssituationen können die Strompreise aus politischen, regulatorischen und technischen Gründen oft nicht ausreichend steigen, um die notwendigen Investitionen in Erzeugungskapazitäten zu gewährleisten.
Der Markt kann die Versorgungssicherheit nicht selbst steuern
Eingriffe in den Strommarkt sind sogar unumgänglich, wenn die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Der Markt kann die Versorgungssicherheit nicht selbst steuern, wenn zum Beispiel in Zeiten geringer Solar- und Windstromeinspeisung die Nachfrage trotz hoher Strompreise am Großhandelsmarkt nicht ausreichend reduziert wird – etwa aufgrund unzureichender Weitergabe von Preissignalen oder fehlender Investitionen in Flexibilitäten. Oder wenn bei einem Überangebot an Solar- und Windstromeinspeisung trotz stark negativer Strompreise nicht ausreichend Flexibilität auf der Angebots- und Nachfrageseite aktiviert werden kann. In beiden Fällen fehlen Preissignale, die die Knappheiten und die Notwendigkeit für Flexibilität ökonomisch adäquat widerspiegeln.
Die vorgesehenen Kapazitätsmärkte beschränken sich jedoch nicht auf die Lösung des „Missing Money“-Problems, sondern sollen viele weitere Aufgaben übernehmen. Ein Beispiel ist, dass die Investoren in Zukunft weitgehend von Risiken befreit werden sollen. Investitionen in steuerbare Anlagen sollen durch Kapazitätszahlungen für 15 Jahre abgesichert und erneuerbare Anlagen von Preisrisiken im Strommarkt abgeschirmt werden.
Es ist zwar richtig, dass große energiepolitische Risiken in der Transformation investitionshemmend wirken, aber solche Risiken werden in einem Kapazitätsmarkt nicht eliminiert, sondern sie erhöhen in der Regel die Kapazitätszahlungen, die dann vom Steuerzahler oder Energieverbraucher bezahlt werden. Ein besserer Weg, die politischen Risiken und damit die Stromkosten in einem Strommarkt der Zukunft zu reduzieren, wäre die Ablösung eines überforderten regulatorischen Mikromanagements durch ein stabiles Marktumfeld. Doch davon ist im Optionenpapier wenig zu lesen.
Viel Bürokratie, hohe Komplexität
Die in dem Papier favorisierten Kapazitätsmärkte stellen auch eine besondere bürokratische Herausforderung dar. Nicht nur die Zielkapazitäten müssen vom Regulierer festgelegt werden, im Idealfall muss für jede Anlage administrativ ein Kapazitätswert ermittelt werden, mit dem der Beitrag der Anlage zur Zielerreichung bewertet wird. Dies hat sich in Ländern, die bereits über einen Kapazitätsmarkt verfügen, als langwieriger und frustrierender Prozess erwiesen, in dem der Regulierer mit den „Stakeholdern“ um Mengen und entsprechende Zahlungen ringt. Das Optionenpapier schlägt für Deutschland darüber hinaus vor, dem Kapazitätsmarkt weitere Aufgaben zuzuweisen, die eigentlich dem Strommarkt obliegen, wie zum Beispiel die Steuerung der Standortwahl durch administrativ festzusetzende zusätzliche Anreize im Kapazitätsmarkt. Dadurch sollen die Auswirkungen unzuverlässiger Strompreise, hier das Fehlen lokaler Preise, kompensiert werden.
Kapazitätsmechanismen sind komplex, und selten lassen sich Fehler bei ihrer Ausgestaltung vermeiden. Davor ist auch der im Optionenpapier favorisierte „kombinierte Kapazitätsmarkt“ für steuerbare Anlagen nicht gefeit, der im internationalen Vergleich besonders kompliziert ist. Insbesondere die dezentrale Komponente erscheint noch nicht hinreichend durchdacht. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen: Wer Kapazität kauft, ohne auch Anreize zu setzen, dass bei Knappheit tatsächlich Strom produziert wird, bekommt zwar Produktionskapazitäten, aber noch nicht unbedingt Strom.
Darüber hinaus soll der dezentrale Markt auch hier Aufgaben übernehmen, die normalerweise dem Strommarkt zukommen: Er soll flexible Nachfrager, Speicher und Innovationen optimal einsetzen und dabei auf das dezentrale Wissen der energiewirtschaftlichen Akteure und Verantwortlichen vor Ort setzen. Problematisch ist dabei, dass der im Optionenpapier favorisierte dezentrale Kapazitätsmarkt konzeptionell nicht geeignet ist, Kapazitätspreise zu finden, die die Grenzkosten des Kapazitätsausbaus robust abbilden.
Zu niedrige CO2-Preise?
Stattdessen ist aufgrund des geplanten kontinuierlichen Handels mit volatilen und extremen Preisen zu rechnen, wie sie auch den dezentralen Markt in Frankreich plagen. Auch für die geäußerte Hoffnung, dass die dezentrale Komponente zuverlässig das „richtige“ Maß an kollektiver Versorgungssicherheit gewährleisten kann, gibt es wenig Grund. Der Versorgungsgrad ergibt sich nämlich aus der Gesamtheit vieler individueller Reaktionen der Nachfrager von Kapazitätszertifikaten auf eine administrativ zu setzende Pönale. Wir empfehlen dringend, bei der Ausgestaltung von Kapazitätsmärkten nicht die Fehler anderer Länder zu wiederholen.
Auch die favorisierten Kapazitätszahlungen für erneuerbare Energien werfen neue Probleme auf. Im Optionenpapier werden verschiedene Argumente für die Notwendigkeit einer Förderung angeführt. Zum einen wird auf den „Gleichzeitigkeitseffekt“ verwiesen: Demnach ist die strompreissenkende Wirkung der erneuerbaren Energien so groß, dass sie ihre eigenen Investitionskosten häufig nicht mehr durch Markterlöse refinanzieren können. Mit anderen Worten: Erneuerbare Energien brauchen Subventionen, weil sie etwas produzieren, was auf dem Strommarkt nicht viel wert ist.
Ein weiterer vorgebrachter Grund für Subventionen ist, dass die CO2-Preise zu niedrig sind, um Erneuerbare wirtschaftlich zu machen. Das favorisierte Fördermodell über Kapazitätszahlungen führt nun jedoch paradoxerweise dazu, dass beide unschönen Effekte sogar noch verstärkt werden. Durch den Zubau von Kapazitäten gegen die Preissignale im Strommarkt wird der Gleichzeitigkeitseffekt verstärkt, sodass erneuerbare Energien im Strommarkt weiter entwertet werden und die Belastungen auf dem EEG-Konto steigen. Und durch den Zubau von Kapazitäten gegen die Preissignale im Emissionshandel wird der Preisdruck im europäischen Emissionshandel verringert, sodass in anderen Strommärkten oder in der Industrie Spielräume für zusätzliche CO2-Emissionen entstehen.
Zielen werden nicht erreicht, wenn man sich gegen Marktkräfte stellt
Es ist kaum vorstellbar, dass ein Strommarkt der Zukunft, der sich gegen die Marktkräfte stellt, seine Ziele erreichen kann. Dies gilt umso mehr, als Investitionen in erneuerbare Energien bei einer Förderung durch Kapazitätszahlungen von den Preisrisiken des Strommarktes weitgehend abgeschirmt werden sollen, sodass die administrative Festlegung von Kapazitätswerten nicht nur die zu errichtenden Erzeugungskapazitäten, sondern auch die Standorte und Technologien weitgehend zentral steuern muss. Die damit verbundenen bürokratischen, ökonomischen und rechtlichen Herausforderungen sind groß – auch weil die Interessen der Anbieter bei der Festlegung der Kapazitätswerte und damit der Kapazitätszahlungen einer effizienten Bewertung entgegenstehen können.
Der Schlüssel für das Strommarktdesign der Zukunft sind nicht komplizierte und mit marktfremden Aufgaben überfrachtete Kapazitätsmärkte, sondern Strompreissignale, die Knappheiten und Kosten zuverlässig abbilden. Der Strompreis kann die vielen Millionen Akteure und Strategien regional und (viertel-) stündlich kosteneffizient koordinieren und für Wettbewerb, Investitionen und Innovationen sorgen. Dagegen sind Kapazitäten für sich genommen wenig wert, wenn sie nicht in den richtigen Regionen errichtet werden und ihr Einsatz nicht durch geeignete Preissignale gesteuert wird. Noch ist es nicht zu spät, die Weichen richtig zu stellen.
Folgende Maßnahmen müssen für einen resilienten Strommarkt ergriffen werden. Erstens sollte die Energiepolitik Marktpreise zulassen, auch wenn sie regional differenziert sind. Das Optionenpapier lehnt regionalisierte Preise ab und versucht stattdessen, die entstehenden Probleme über administrative Umwege und Mikromanagement in Form von Bonuszahlungen in Kapazitätsmärkten, regional variierenden Netzentgelten und Ähnlichem zu lösen. Doch selbst wenn es gelänge, durch weitere komplexe Eingriffe die Anlagen weitgehend systemdienlich zu platzieren, würden sie nicht effizient betrieben.
Und der Versuch, sich ständig ändernde Preissignale durch administrativ festgelegte Zahlungen „nachzuahmen“ oder die Folgeprobleme eines bundeseinheitlichen Strompreises ex post zu reparieren, dürfte ein zunehmend aussichtsloses Unterfangen sein. Der Strommarkt der Zukunft ist angesichts des notwendigen viertelstündlichen Zusammenspiels von erneuerbaren Energien, Nachfrageflexibilitäten, Batterien und Gaskraftwerken ohne verlässliche Preissignale nicht steuerbar.
Die Wettbewerbsfähigkeit leidet
Der Schritt zu regional differenzierten Preisen erfordert Überzeugungskraft und politisches Kapital. Süddeutsche Bundesländer befürchten dadurch steigende Strompreise, Verbände fürchten um die Wettbewerbsfähigkeit von Standorten. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Anreize der Marktteilnehmer zur Erzeugung und zum Verbrauch von Strom sowie die Investitionsanreize in Erzeugungskapazitäten durch die räumliche Vereinheitlichung der Großhandelspreise zurzeit massiv verzerrt werden. Die zunehmenden Ineffizienzen durch fehlgeleitete Investitionen treiben die Stromkosten immer weiter in die Höhe.
Die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Nicht mögliche Strompreisunterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland gefährden letztlich die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, sondern die im Vergleich zu ausländischen Standorten relativ hohen Strompreise in Deutschland. Regional differenzierte Strompreise bedeuten zwar zunächst etwas größere Unterschiede bei den Stromkosten innerhalb der Bundesrepublik.
Effizienzgewinne auf dem Strommarkt bei Produktions- und Investitionsentscheidungen sowie die durch Kostenwahrheit ausgelösten Innovationsanreize dürften jedoch zu einem Absinken des durchschnittlichen Preisniveaus im Vergleich zu einem Marktdesign ohne regionale Marktpreise führen. Selbst die Hochpreisregionen dürften davon profitieren im Vergleich zu einem Szenario, in dem die künstlich verordnete einheitliche Preiszone fortbesteht.
Zweitens müssen die Preissignale auch darüber hinaus gestärkt werden, insbesondere die Knappheitspreise im Strommarkt und CO2-Preise im Emissionshandel. Hier ist aktive Energiepolitik gefragt. Strompreise, die zuverlässig Knappheiten und Kosten widerspiegeln, schaffen Anreize für Flexibilität und Speicher und erhöhen den Wert der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Zugleich sollten erneuerbare Energien nicht vollkommen von Preisrisiken abgeschirmt werden. Dort, wo der Markt aus sich heraus noch keine ausreichenden Anreize für den Ausbau der erneuerbaren Energien setzt, könnte eine Weiterentwicklung des bestehenden Marktprämienmodells den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern und gleichzeitig Anlagen, die ohne Förderung wirtschaftlich sind, automatisch in den Markt entlassen. In der Vergangenheit ist die Integration in den Strommarkt bereits oft gelungen.
Kein Umbau von heute auf morgen
In Kombination mit regional differenzierten Preisen wäre es so für Betreiber attraktiv, Anlagen an Standorten mit hoher Auslastung und hohen Preisen zu errichten, wo die Anlagen also aus Systemsicht einen hohen Nutzen stiften. Auch andere marktnahe Fördermodelle sind denkbar. In Kombination mit unserer dritten Empfehlung ist es beispielsweise möglich, Energieversorger zu verpflichten, einen bestimmten Anteil ihres Stroms aus erneuerbaren Energien im Rahmen einer Absicherungspflicht am Strommarkt zu beziehen.
Drittens hat die Forschung zu Kapazitätsmechanismen in den letzten Jahren gezeigt, dass traditionelle Kapazitätsmärkte nicht notwendig sind, um langfristig gute Investitionsanreize zu setzen, selbst wenn Nachfrage und Angebot teils noch unflexibel sind. Stattdessen sind Kapazitätsmechanismen zu empfehlen, die auf eine Absicherungspflicht auf Terminmärkten setzen, wie sie auch von der EU gefordert wird. Mit einer bereits früh einsetzenden und graduell ansteigenden Absicherungspflicht können sich Marktteilnehmer, Regulierer und Politik durch frühzeitig verlässliche Terminpreise auf Engpässe vorbereiten.
Ein modernes Marktdesign mit Absicherungspflicht ermöglicht einen schrittweisen und flexiblen Handel von verschiedenen Energieprodukten für ein optimales Risikomanagement, Flexibilitätsanreize, Innovationen und den Abbau von Marktmacht. So kann die für die neue Energiewelt so wichtige Versorgungssicherheit und Resilienz erreicht werden – ohne administrative Kapazitätsvorgaben und -bewertung, zentral gesteuerte Standortwahl und die vielen anderen Herausforderungen der derzeit favorisierten Kapazitätsmärkte.
Transformation nur durch verlässliche Preise am Strommarkt
Ohne Koordination durch verlässliche Preise am Spot- und Terminmarkt für Strom ist die Transformation nicht zu bewältigen. Die Reparatur des Strommarktes ist im Vergleich zu traditionellen Kapazitätsmärkten relativ einfach umzusetzen – und wirkt schon durch ihre Ankündigung. Würde sich die Politik heute verpflichten, künftig (lokale) Marktpreise als Koordinationsinstrument zuzulassen, würden ab sofort viele Standort- und Technologieentscheidungen den tatsächlichen Knappheiten und Bedarfen folgen und wichtige Innovations- und Flexibilitätsprozesse angestoßen werden. Eine Stärkung des Terminmarkts durch eine Absicherungspflicht stellt auch unabhängig von der Einführung eines klassischen Kapazitätsmarktes eine „No regret“-Option dar, die die Preissignale stärkt. Auch die zunehmende Integration der erneuerbaren Energien in den Strommarkt erscheint deutlich weniger aufwendig und effizienter als die Umstellung auf eine zentrale Steuerung durch Investitionskostenförderung.
Der Umbau des Strommarktes kann realistischerweise nicht von heute auf morgen erfolgen. In der Übergangszeit braucht es ein Sicherheitsnetz, um den Übergang in die neue Stromwelt zu gestalten. Dies kann zum Beispiel in Form einer erweiterten Kraftwerksstrategie oder einer klugen strategischen Reserve geschehen sowie durch eine Übergangslösung für Regionen, die bei regional differenzierten Strompreisen nicht sofort mit Preissenkungen rechnen können.
Wichtig ist aber: Die Richtung muss stimmen. Mittelfristig sollten Kapazitätszahlungen im Strommarkt der Zukunft überflüssig werden. Werden sie hingegen eingeführt, um die zum Teil hausgemachten Probleme des Strommarktes zu kaschieren, wird der Flickenteppich weiter wachsen, der Subventionsdruck weiter ansteigen und der Strommarkt der Zukunft sein Versprechen einer resilienten und kostengünstigen Stromversorgung nicht halten können.