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Energiepolitik

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«In Deutschland darf man das Wort Kernkraft gar nicht in den Mund nehmen, sonst ist man schon abgestempelt»

Bald zu viel davon? Ein Windpark im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Christoph Hardt / Imago

Bald zu viel davon? Ein Windpark im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Christoph Hardt / Imago© Bereitgestellt von Neue Zürcher Zeitung Deutschland

In den letzten Wochen waren zuweilen negative Strompreise zu beobachten. In diesem Fall erhalten die Käufer von Strom von den Betreibern sogar noch Geld. Das Schweizer Bundesamt für Energie schreibt jedoch, negative Strompreise seien kein Grund zur Sorge. Sehen Sie das auch so, Herr Frondel?

Ein negativer Preis ist ein klares Signal, dass etwas im Argen liegt. Die Ursache dafür ist, dass zu viel Solar- und Windstrom auf eine geringe Nachfrage trifft. Die Schuldigen sind also nicht die Betreiber von konventionellen Kohle- und Gaskraftwerken, die in solchen Fällen meist ihre Kapazitäten herunterfahren.

Die gleiche Behörde schreibt aber, auch unflexible konventionelle Kraftwerke sorgten dafür, dass Strompreise ins Negative rutschten.

Es ärgert mich masslos, wenn Ursache und Wirkung vertauscht werden. Das Runter- und Hochfahren eines konventionellen Kraftwerks kostet viel Geld. Deshalb kann es sich für Betreiber solcher Kraftwerke lohnen, sie am Netz zu lassen, auch wenn die Preise negativ sind.

Zeigt das nicht, dass die konventionellen eben zu wenig flexibel sind?

Nochmals: Die Ursache für negative Strompreise sind nicht die konventionellen Kraftwerke, sondern es ist die Inflexibilität der Erneuerbaren. Sie sind völlig von den Wetterbedingungen abhängig.

Gibt es künftig öfter einen Stromüberschuss an Sommertagen?

Ja, ich kann Ihnen das anhand der Kapazitäten in Deutschland erklären. Um die maximale Nachfrage an einem kalten Winterabend in Deutschland abzudecken, braucht es derzeit 82 Gigawatt an Leistung. Das sind umgerechnet 80 grosse Kernkraftwerke. Wir haben heute aber bereits 150 Gigawatt an erneuerbaren Kapazitäten aufgebaut, neben den noch bestehenden knapp 80 Gigawatt an konventionellen wie Kohle- und Gaskraftwerke.

Sie wollen sagen, dass man an sonnigen und windigen Sommertagen auf einen immer grösseren Überschuss zusteuert?

Genau. Alleine für Photovoltaik und Wind wollen wir bis 2030 auf 330 Gigawatt kommen. Die Nachfrage könnte in der Spitze auf 100 Gigawatt steigen, falls Wärmepumpen installiert und Elektromobile gekauft werden. Dennoch kann es in Situationen mit viel Wind und Sonne gigantische Mengen an überschüssigem grünem Strom geben. Damit wird es mehr Stunden mit negativen Strompreisen geben.

Wer nimmt diesen Strom ab?

Die Nachfrage kommt vor allem aus dem Ausland. Die Schweiz nimmt gerne überschüssigen Strom gegen eine Aufnahmegebühr – nichts anderes sind negative Preise – auf und speichert ihn für Deutschland in ihren Pumpspeicherkraftwerken. In windschwachen Zeiten mit niedrigem Angebot wird der Strom gegen einen hohen Preis wieder an Deutschland zurückverkauft.

Man könnte den überschüssigen Strom lokal speichern.

Dies ist derzeit noch teuer – und wird von den Betreibern erneuerbarer Energieanlagen auch nicht verlangt. Dies müsste man unbedingt ändern. Die Regierung müsste allen Betreibern erneuerbarer Energien auferlegen, dass sie in Situationen, in denen viel zu viel grüner Strom da ist, diesen zwischenspeichern müssen. Auf welche Art sie das machen, wäre ihnen überlassen.

Was ist die Konsequenz, wenn der Wind stark bläst und gleichzeitig die Sonne scheint?

Bei einer solchen Konstellation müssen manche Wind- und Solarparks abgeschaltet werden, weil zu viel Strom die Netze verstopft und diese destabilisiert. Wenn man diese Anlagen abstellt, gibt es für die Betreiber in Deutschland jedoch Entschädigungszahlungen. Weil immer mehr Kapazitäten mit grünem Strom installiert werden, werden solche Situationen häufiger, und die Entschädigungszahlungen steigen.

Das heisst also, dass die Betreiber von erneuerbaren Anlagen selbst an einem sonnigen und windigen Sommertag noch Geld erhalten, auch wenn es ein Stromüberangebot gibt?

Richtig, die Betreiber spüren nichts von negativen Strompreisen, weshalb sie einfach weiterproduzieren, als wäre nichts geschehen. Wir kommen auch zunehmend in Situationen, in denen erneuerbare Energien gegeneinander ausgespielt werden.

Wie meinen Sie das?

Im Moment sagt der Netzbetreiber: Diese und jene Anlage wird abgeschaltet und diese nicht, um das Netz stabil zu halten. Die Abschaltungen werden also nicht vom Markt her gesteuert, sondern planwirtschaftlich. Das kann nicht lange gut gehen. Wenn nun die Erneuerbaren massiv ausgebaut werden, müssten wegen der beschränkten Nachfrage im Sommer in drastischem Ausmass Anlagen abgeschaltet werden.

Sollten sich da nicht neue Geschäftsmodelle herausbilden, um diesen überschüssigen Strom zu nutzen? Man könnte zum Beispiel grünes Methan oder Wasserstoff herstellen, die man gut lagern kann.

Diese sogenannte Power-to-X-Produktion ist sehr teuer. Deshalb würde es schon stark negative Strompreise brauchen, damit so ein Geschäftsmodell aufgehen könnte.

In der Schweiz ist besonders der Strom im Winter knapp. Müsste man die Förderung nicht auf die Beseitigung dieser Knappheit richten?

Ja, klar. Es sollte, wenn überhaupt, nur noch Förderungen geben für Anlagen, die über kurz- und mittelfristige Speicher verfügen, sonst ergibt dieser wahnwitzige Ausbau der erneuerbaren Energien keinen Sinn.

Kann ich als Konsument von negativen Preisen profitieren?

Als Endkunde kriegt man keine Echtzeit-Preise, die sich stets nach Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt richten, sondern man bezahlt einen gemittelten Preis über ein oder zwei Jahre. Solche festen Preise haben den Vorteil, dass man den Schwankungen des Strompreises weniger ausgesetzt ist. Man könnte sich Angebote mit aktuellen Strompreisen schon vorstellen, so dass das Elektroauto geladen wird, wenn die Preise niedrig oder negativ sind. Aber das wäre auch nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Weshalb?

Weil eine Lawine an Grünstrom auf uns zukommt. Wenn man 400 Gigawatt an erneuerbaren Kraftwerkskapazitäten installiert hat und im Maximum 100 Gigawatt braucht, nehmen die Ineffizienzen zu.

Die Energiewende geht für Sie in die falsche Richtung?

Ja, vergangenes Jahr hat die deutsche Bundesnetzagentur bei den Auktionen für Grünstrom in Deutschland die Höchstvergütungen heraufgesetzt, weil man den Ausbau beschleunigen will. Die deutsche Politik glaubt, dass man wegen des Klimaschutzes und des Ausfalls an russischem Erdgas so viel Erneuerbare zubauen sollte wie nur möglich, doch die Probleme, die dahinterstecken, scheint man nicht zu sehen.

Wenn Länder wie Deutschland oder die Schweiz klimaneutral werden wollen, was sollte man dann stattdessen tun?

Ich würde die konventionellen Kapazitäten nicht so schnell zurückfahren, wie das gerade der Fall ist. Den Kohleausstieg würde ich in Deutschland nicht von 2038 auf 2030 vorziehen. Nach dem Wegfall der Kernkraftwerke hat Deutschland immer weniger sichere Kapazitäten, die uns über Dunkelflauten im Winter hinweghelfen. Wir werden Schwierigkeiten haben, die Stromversorgung im Winter zu sichern.

Kann man den fehlenden Strom nicht importieren?

Dies wird in kritischen Situationen nicht reichen. Dazu sind die grenzüberschreitenden Netzkapazitäten zu gering. Deshalb müssen wir genügend konventionelle Kraftwerkskapazitäten aufrechterhalten. Die deutsche Regierung hat zwar angekündigt, dass bis 2030 viele Gaskraftwerke gebaut werden sollen. Doch welcher private Investor baut Kraftwerke, die nur wenige Tage im Jahr voll laufen können, weil sie in der übrigen Zeit vom billigen Grünstrom aus dem Markt gedrängt werden?

Was würden Sie sonst noch empfehlen?

Statt massiv und flächendeckend in erneuerbare Energien zu investieren, würde ich mit einem Bruchteil des Geldes die Forschung und Entwicklung neuer Technologien und von Speichertechniken vorantreiben. Wenn wir eine kostengünstige CO2-arme Technologie zur Stromerzeugung finden würden, wäre das sehr hilfreich. Ob das dann Kernfusion oder etwas anderes ist, weiss ich nicht. Aber wir brauchen so etwas.

Das ist Wunschdenken.

Ja, das gebe ich zu, aber wir brauchen eine solche Technologie dringend.

In der Schweiz hofft man stark auf grünen Wasserstoff, mit dem man Gaskraftwerke betreiben könnte.

Auch in Deutschland wird Wasserstoff als Heilsbringer präsentiert. Aber es gibt viele Fragezeichen. So ist fraglich, ob man Wasserstoff einmal in riesigen Mengen importieren kann. Es ist auch eine teure Lösung, wenn man Erdgaskraftwerke mit Wasserstoff betreiben wollte.

Weshalb?

Weil man bei der Produktion des Wasserstoffs drei Viertel des ursprünglichen Stroms vernichtet. Der Wirkungsgrad ist sehr schlecht.

Haben Sie absichtlich bisher nicht von der neuen Generation von Kernkraftwerken gesprochen, die sich am Horizont abzeichnet?

In Deutschland darf man das Wort Kernkraft gar nicht in den Mund nehmen, sonst ist man schon abgestempelt. Die Schweiz spricht dagegen jetzt von 60 oder gar 80 Jahren Laufzeit ihrer AKW. Von diesem Pragmatismus könnten sich die Deutschen eine Scheibe abschneiden.

Manuel Frondel – Energieökonom

cei. Der 1964 geborene Wissenschafter leitet seit 20 Jahren den Kompetenzbereich «Umwelt und Ressourcen» am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Er ist zudem Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum. Bevor er sich der Volkswirtschaftslehre zuwandte, machte er Abschlüsse in Physik und als Wirtschaftsingenieur.

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Enorme Kosten - Experten zerlegen Habecks riskantes 6-Cent-Konzept beim Industriestrom

Will einen staatlich geförderten Strompreis für die Industrie: Robert Habeck IMAGO/Daniel Kubirski

Will einen staatlich geförderten Strompreis für die Industrie: Robert Habeck IMAGO/Daniel Kubirski© IMAGO/Daniel Kubirski

Habecks teurer Plan für eine Industriestrom-Revolution trifft auf heftige Kritik. Sein 6-Cent-Konzept könnte den Staat bis zu 30 Milliarden Euro kosten. Experten warnen vor den finanziellen Risiken.

Der Plan von Bundeswirtschaftsminister Robert Habecks für einen staatlich subventionierten Industriestrompreis trifft auf zunehmenden Widerstand. Der Wissenschaftliche Beirat beim Finanzministerium hat nun seine Bedenken gegen Habecks Vorschlag geäußert, wie das „Handelsblatt“ berichtet.

Laut der Zeitung zeigt sich der Beirat, bestehend aus angesehenen Ökonomen wie Jörg Rocholl, dem Präsidenten der European School of Management and Technology (ESMT), und Clemens Fuest, dem Leiter des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, besorgt über den finanziellen Aufwand, den Habecks Plan mit sich bringen würde. Sie äußern ihre Kritik in einer offiziellen Stellungnahme, die das Handelsblatt einsehen konnte.

Wissenschaftler gegen Industriestrompreis - auch wegen der hohen Kosten

Die Wissenschaftler argumentieren, dass in Zeiten begrenzter Finanzen und angesichts der Herausforderungen, die die Erweiterung erneuerbarer Energien mit sich bringt, die Einführung eines staatlich geförderten Industriestromtarifs nicht ratsam ist. Sie empfehlen dringend, auf solche Maßnahmen zu verzichten.

Habecks Vorschlag sieht vor, dass Unternehmen, die bestimmte Anforderungen in Bezug auf Energie- und Wettbewerbsintensität erfüllen, bis zum Jahr 2030 für 80 Prozent ihres historischen Stromverbrauchs nur sechs Cent pro Kilowattstunde zahlen müssen. Das Handelsblatt merkt an, dass die staatlichen Subventionen im Rahmen dieses Plans ein Volumen von bis zu 30 Milliarden Euro erreichen könnten.

DIHK fordert Senkung der Stromsteuer

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer sieht einen staatlich subventionierten Industriestrompreis ebenfalls skeptisch. DIHK-Präsident Peter Adrian hält eine Senkung der Stromsteuer für den besseren Weg. Er betonte bereits vor einigen Wochen: „Wir brauchen in Deutschland niedrigere Strompreise für die ganze Breite unserer Wirtschaft - und das sehr dringend und nachhaltig. Die Unternehmen warten auf ein Transformationsangebot, um mehr Strom nutzen zu können.“ Dazu müsse das Angebot an Strom massiv ausgeweitet und alles getan werden, damit die Preise für alle spürbar sinken.

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Weiterer Rückenwind für Kernenergie in Frankreich

Das französische Atomkraftwerk Cattenom nahe der deutschen Grenze

Das französische Atomkraftwerk Cattenom nahe der deutschen Grenze© dpa

In Frankreich ist man bestrebt, die ausgerufene Atomrenaissance weiter mit Leben zu füllen. Nach einem Treffen im Rat für Nuklearpolitik haben sich Präsident Emmanuel Macron und die zuständigen Minister und Behördenchefs darauf verständigt, die zivile Sparte des nationalen Forschungszentrums für Kernenergie zu modernisieren und personell deutlich aufzustocken. Für eine bessere „Steuerung“ der Atomrenaissance soll der Posten des Hohen Kommissars für Kernenergie zudem direkt der Premierministerin unterstellt werden, teilte der Elysée-Palast mit.

Dort zeigt man sich überzeugt, auf diese Weise neue Talente anzuziehen und die Forschungsaktivitäten zu erhöhen – mit dem Ziel, über die erforderlichen Kompetenzen für die Laufzeitverlängerung des bestehenden Kernkraftwerksparks, den Bau neuer Druckwasserreaktoren und die Entwicklung innovativer, neuer Minireaktoren zu verfügen.

Rückenwind gibt es auch für den Forschungsreaktor Jules Horowitz in Cadarache in Südfrankreich. Der Rat für Nu­klearpolitik bekräftigte seinen Willen, die staatliche Finanzierung für die Fertigstellung der Anlage im Zeitraum 2032 bis 2034 bereitzustellen.

Umstrittene Zusammenlegung

Darüber hinaus beauftragte er das Energieministerium, bis Herbst einen Gesetzesentwurf vorzubereiten, um die umstrittene Zusammenlegung des Instituts für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit, das als Wissenschaftseinrichtung fungiert, und der Behörde für nukleare Sicherheit, die die Kernkraftwerke überwacht, zu einer großen, unabhängigen Institution zu realisieren. Vom Parlament war dieses Fusionsvorhaben jüngst abgelehnt worden, die Regierung aber hält daran fest und sieht sich durch die Einschätzung der Parlamentarischen Kommission zur Bewertung wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen in ihrem Vorhaben bestärkt.

Die Stärkung der Kernkraft ist spätestens seit Präsident Macrons Rede in Belfort im Februar 2022 wieder eine grund­legende Säule der französischen Energiepolitik. Ein im Frühjahr verabschiedetes Gesetz hat rechtliche Hürden für die anvisierte Laufzeitverlängerung der bestehenden 56 Reaktoren auf mindestens 60 Jahre und für den Neubau von Anlagen beseitigt. Es soll vor allem Genehmigungsverfahren erleichtern.

Neue Reaktorstandorte

Geplant ist der Bau von zunächst sechs neuen Druckwasserreaktoren an drei Standorten, wo schon Kernkraftwerke stehen. Sie sollen eine modernisierte Version des im Bau befindlichen Reaktors Flamanville 3 darstellen, der viel teurer geworden ist als geplant und dessen Fertigstellung schon elf Jahre im Verzug ist. Bei Bedarf sollen später acht weitere Reaktoren dazukommen. Die Kosten für den Bau der sechs Anlagen werden auf rund 52 Milliarden Euro geschätzt.

Das erste Reaktorpaar soll in Penly in der Normandie entstehen, und der erste Spatenstich soll noch in Macrons 2027 endender Amtszeit erfolgen. Das zweite Paar ist in Gravelines bei Dünkirchen vorgesehen. Offen war bislang, ob das dritte neue Reaktorpaar am Standort Tricastin oder Bugey an der Rhone entstehen soll. Der Rat für Nuklearpolitik hat sich nun für Letzteren entschieden.

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Deutschlands LNG-Boom: Umweltfreundliche Lösung oder ökologisches Desaster?

im Vergleichstest

im Vergleichstest© Provided by Ever-growing GmbH

Der starke Anstieg von flüssigem Erdgas (LNG) aus den USA, das hauptsächlich durch Fracking gewonnen wird, wirft in Deutschland ernsthafte Fragen über dessen Auswirkungen auf die Umwelt auf.

Laut jüngsten Daten dominiert die USA mit 80% der Direktlieferungen den deutschen LNG-Importmarkt. Neben den USA sind Trinidad und Tobago, Nigeria, Angola, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate weitere Lieferländer. Doch es sind die Umweltauswirkungen des LNG, die Anlass zur Sorge geben.

Fracking, die Hauptmethode zur Gewinnung von Erdgas in den USA, ist aus vielen Gründen umstritten, darunter der hohe Wasserverbrauch und potenzielle negative gesundheitliche Auswirkungen. Trotz der Kontroversen hat das Fracking die USA zum weltgrößten Erdgasproduzenten gemacht.

Louisiana, das Kernland der LNG-Industrie in den USA, steht im Zentrum dieser Debatte. Das einzigartige Ökosystem des Bundesstaats ist durch die wachsende LNG-Industrie bedroht. Insbesondere besteht die Befürchtung, dass der Bau neuer LNG-Terminals und die Ausbaggerung von Kanälen für LNG-Tanker die Zerstörung der Küstenlinie Louisianas beschleunigen könnten.

Ein Bericht der Umweltgruppe Oil and Gas Watch deutet darauf hin, dass durch neue LNG-Projekte in den USA bis zu 8.500 Hektar Feuchtgebiete verschwinden könnten. Darüber hinaus dokumentiert die Umweltorganisation Louisiana Bucket Brigade regelmäßiges Abfackeln von Gas am Terminal Calcasieu Pass, was gegen staatliche Vorschriften verstößt.

Trotz dieser Bedenken haben deutsche Unternehmen im letzten Jahr umfangreiche Investitionen in LNG-Exportterminals in den USA und LNG-Lieferverträge getätigt. Diese Entscheidungen werfen Fragen über die Auswirkungen dieser Entscheidungen auf die globale Klimakrise auf.

Können wir wirklich behaupten, dass LNG eine Brückentechnologie ist, oder sind wir auf dem Weg, unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu vertiefen? Dies ist eine Frage, die wir uns alle stellen sollten.

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Grüne Wärmepläne für alle: Was Eigentümer jetzt wissen müssen

Blick in einen Frankfurter Fernwärmetunnel.

Blick in einen Frankfurter Fernwärmetunnel.© Vogl, Daniel

Was gibt es Neues zur kommunalen Wärmeplanung?

In einem Gewerbegebiet nahe der Kleinstadt Friesoythe bei Cloppenburg entsteht derzeit eine der größten Biogasanlagen Europas.

In einem Gewerbegebiet nahe der Kleinstadt Friesoythe bei Cloppenburg entsteht derzeit eine der größten Biogasanlagen Europas.© dpa

Das Bauministerium von Klara Geywitz (SDP) hatte Anfang Juni einen ersten Gesetzentwurf in die Länder- und Verbändeanhörung gegeben. Das Gesetz soll Kommunen verpflichten, Pläne zu erarbeiten, wo in einem Ort künftig mit welcher Technik klimafreundlich geheizt werden kann. Dann kam die Einigung der Ampelfraktionen zum Gebäudeenergiegesetz (GEG). Sie wollen, dass zunächst die Kommunen Wärmepläne vorlegen müssen, bevor das verschärfte GEG – neue Heizungen nur noch mit 65 Prozent erneuerbaren Energien – für Eigentümer von Bestandsgebäuden greift. Das Bauministerium hat die von den Fraktionen gewünschten Details zur Wärmeplanung in den Gesetzentwurf eingearbeitet und diesen Ende vergangener Woche erneut in die Länder- und Verbändeanhörung gegeben. Der Kabinettsbeschluss ist für den 16. August geplant. Im Herbst soll sich der Bundestag damit befassen. Ob der Bundesrat dem Gesetz zustimmen muss, steht noch nicht fest.

Bis wann müssen die Kommunen was machen?

Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern sollen ihre Wärmepläne bis zum 30. Juni 2026 aufstellen, alle anderen Kommunen bis zum 30. Juni 2028. Gegenüber dem ersten Entwurf werden die Fristen damit um ein halbes Jahr vorgezogen. So wollten es die Ampelfraktionen. Der Deutsche Städtetag warnt seit Wochen, dass diese Frist nicht zu halten sei. Er drängt darauf, wieder Ende 2026 beziehungsweise 2028 festzuschreiben. Anders als vom Ministerium ursprünglich geplant, haben die Ampelfraktionen auch beschlossen, dass jede Kommune einen Wärmeplan machen muss, nicht nur die mit mehr als 10.000 Einwohnern. Für die kleineren soll aber ein vereinfachtes Verfahren reichen. Letzteres betrifft rund 9200 der insgesamt 10.800 Kommunen in Deutschland.

Was bedeutet dieser Gesetzentwurf für Eigentümer?

Eigentümer sollen mit den kommunalen Wärmeplänen Planungssicherheit bekommen. Sie sollen wissen, wohin das Fernwärmenetz erweitert wird, ob ihr Haus daran angeschlossen werden soll. Und auch, wie die heute oft noch mit Gas oder Kohlekraftwerken erzeugte Fernwärme ergrünen soll. Nahwärmenetze aus Biomasse – etwa aus Abfällen der Land- oder Forstwirtschaft – sind ebenfalls denkbar. Aus den Plänen soll ferner hervorgehen, wo ein Wasserstoffnetz geplant ist. Wenn der Anschluss an ein Wärmenetz absehbar ist, dürfen Eigentümer nach den Regeln des GEG zwischenzeitlich auch nochmals eine Heizung mit fossilen Energieträgern einbauen. Wo keine Wärmenetze kommen, müssen Eigentümer nach Abschluss der Wärmeplanung beim Einbau einer neuen Heizung eine andere klimafreundliche Option wählen, etwa eine Wärmepumpe oder eine Holzheizung.

Was gilt in Bundesländern, die schon Wärmepläne angestoßen haben?

Vier Bundesländer haben schon Landesgesetze zur kommunalen Wärmeplanung erlassen: Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In Baden-Württemberg müssen die großen Kreisstädte bis Ende 2023 einen Wärmeplan vorlegen. Das betrifft etwa die Hälfte der Einwohner des Landes. In anderen Bundesländern sind die Fristen länger. Die kommunalen Wärmepläne müssen den Anforderungen des Bundesgesetzes genügen. Mitunter könnten also Überarbeitungen nötig sein. Schon fertige Wärmepläne sollen auf Grundlage des Bundesgesetzes fortgeschrieben werden. Ist die kommunale Wärmeplanung abgeschlossen, soll dies per Landesrecht festgestellt werden. Erst dann sollen für Eigentümer von Bestandsgebäuden, gegebenenfalls mit Übergangsfristen, die neuen Regeln des GEG greifen.

Was sind grüne Wärmenetze?

Der Gesetzentwurf aus dem Haus von Geywitz sieht vor, dass bis 2030 bestehende Fernwärmenetze zu 30 Prozent mit erneuerbaren Energien oder mit unvermeidbarer Abwärme betrieben werden müssen. Bis 2040 muss der Anteil mindestens 80 Prozent betragen. Die Betreiber sollen sich von diesen Vorgaben befreien lassen können, wenn sie einen Plan für eine vollständige Dekarbonisierung bis 2045 vorlegen. In jenem Jahr will Deutschland klimaneutral sein. Ursprünglich waren strengere Vorgaben geplant, sollten Wärmenetze 2030 schon zu 50 Prozent aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Ein Wärmenetz in einem Neubaugebiet muss von Anfang an zu 65 Prozent aus erneuerbaren Energien gespeist werden.

Was ist aus der „Heizungs-Stasi“ geworden?

Der erste Entwurf sah vor, dass für die kommunale Wärmeplanung von Gebäuden, die mit Gas oder Fernwärme beheizt werden, die jährlichen Endenergieverbräuche der vergangenen drei Jahre in Kilowattstunden erhoben und analysiert werden sollten. Aus der CDU kam daraufhin der Vorwurf, die Regierung plane eine „Heizungs-Stasi“. Das Bauministerium versichert jetzt, dass nur bereits bekannte Daten genutzt werden sollen. Es werde niemand angeschrieben. Auf den einzelnen Haushalt soll nicht rückgeschlossen werden können, stattdessen sollen die Daten für mehrere Straßenzüge oder ganze Viertel gebündelt werden.

Sind Eigentümer verpflichtet, Fernwärme zu nutzen?

Viele Gemeinden legen schon heute fest, dass Eigentümer Fernwärme auch nutzen müssen, wenn das Netz zu ihnen erweitert wird. Dies wird Kontrahierungszwang genannt. Die Kommunen wollen so sicherstellen, dass sich der Ausbau für die Betreiber der Netze rechnet. Andernfalls, so die Sorge, könnten Stadtwerke vor dem Ausbau der Fernwärme zurückschrecken. Der Anschlusszwang sorgt immer wieder für Diskussionen. Zuletzt war Fernwärme eine eher teure Art zu heizen. Nach einer Analyse der Plattform CO2online beliefen sich die durchschnittlichen Heizkosten für ein Einfamilienhaus mit 110 Quadratmetern mit Fernwärme 2021 auf 1715 Euro. Mit Gas und Öl waren es rund 1500 Euro, mit Holzpellets nur 940 Euro. Im Zuge der Energiekrise waren die Preise für Öl und Gas deutlich gestiegen, inzwischen liegen sie wieder auf Vorkrisenniveau.

Wer zahlt für die Wärmepläne?

Die Kosten für die Wärmeplanung sollen zu 50 Prozent der Bund, zu 50 Prozent die Länder tragen. Der Anteil des Bundes soll aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen. Im Gesetzentwurf ist von einem Erfüllungsaufwand bis zum Jahr 2028 von etwa 581 Millionen Euro die Rede, rund 535 Millionen Euro davon entfielen auf die Verwaltung für die erstmalige Erstellung der Wärmepläne. Die Unterstützung betrifft aber nur die Kosten für die Erstellung der Wärmepläne, nicht deren Umsetzung. Den Ausbau der Fernwärmenetze müssen die Versorger vor Ort finanzieren und über ihre Einnahmen refinanzieren.

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Kohle, Strom und Staatsgeld: Das ist Deutschlands heimlicher Oligarch mit unheimlichem Einfluss

Bericht zu Firmenpolitik des Kohlekonzerns EPH. Fragwürdiges Geschäftsmodell aufgedeckt. Deutschland steht im Fokus. Wer ist der Tscheche Daniel Křetínský?

Preisfrage: An welcher Stelle nimmt Tschechien den größten Einfluss auf die deutsche Politik? Die Antwort kommt von Radek Kubala von der tschechischen Nichtregierungs-Organisation Re-Set: "Während der Verhandlungen zum Kohleausstieg hat EPH massiv versucht, das Ergebnis der Kohlekommission zu steuern."

Das Kürzel EPH steht für die tschechische "Energetický a Průmyslový Holding" mit Sitz in Prag, eine der größten fossilen Energiekonzerne Europas: Im Jahr 2021 erzielte das Unternehmen 18,9 Milliarden Euro Gewinn – zu einem erheblichen Anteil in Deutschland. Nach RWE ist EPH Deutschlands zweitgrößter fossiler Enerhiekonzern – aber kaum jemand kennt ihn.

"Während wir viel über RWE, Uniper oder die Leag reden, hat die EPH kaum jemand im Fokus", sagt René Schuster, Bundesvorsitzender der Grünen Liga. Um das zu ändern, übersetzte der ostdeutsche Umweltverband den Report aus Tschechien [1].

"Es ist höchste Zeit, dass die europaweiten Geschäfte und Verflechtungen von EPH auch in Deutschland breit wahrgenommen werden", so Schuster: "Wenn jetzt nicht die Weichen gestellt werden, werden am Schluss die Steuerzahler für die Beseitigung der Schäden."

Es geht um die Rekultivierung der Braunkohle-Folgelandschaften, in den Bilanzen der Kohlekonzerne sind dafür Milliarden eingestellt. Die Grüne Liga befürchtet – wie auch andere –, dass sich EPH mit diesem Geld aus dem Staub machen wird.

Hinter EPH steckt Daniel Křetínský, Oligarch und einer der vermögendsten Menschen Europas: Er hält 94 Prozent jener Investmentgesellschaft, die die EPH besitzt.

Reich geworden ist Křetínský mit dem Erdgasgeschäft in der Slowakei, aber auch in Frankreich, Großbritannien, Italien, der Slowakei oder Tschechien verdient der Oligarch mit dem Anheizen des Treibhaus-Effektes Milliarden.

In Deutschland stieg sein Konzern 2012 ins Braunkohlegeschäft ein und kaufte sich die Mitteldeutsche Braunkohle-AG, die Mibrag. 2013 kam das Helmstedter Braunkohlerevier mit dem Kraftwerk Buschhaus dazu, 2016 das gesamte Lausitz-Geschäft mit damals noch über 10.000 Mitarbeiter:innen – unter dem Namen Leag.

Um das loszuwerden, überwies der schwedische Staatskonzern Vattenfall, der sich in Deutschland mit der Kohle verspekuliert hatte, damals knapp 2,7 Milliarden Euro auf Daniel Křetínskýs Konten. Geld, das für die Rekultivierung der Tagebaue in der Lausitz gedacht ist.

Kein Einzelfall: Der deutsche Kohlekonzern Uniper bezahlte EPH 2019 dafür, eines der größten Fossilkraftwerke Frankreichs zu übernehmen – obwohl der Kohleausstieg dort für das Jahr 2021 längst beschlossen war. Wegen des russischen Angriffskrieges läuft das Kraftwerk Émile-Huchet [2] heute aber immer noch.

Steuermillionen nicht zurückgezahlt

In Deutschland wurde EPH dafür entschädigt, das Kohlekraftwerk Mehrum 2021 stillzulegen – heute läuft es wieder, ohne dass die Steuermillionen der Entschädigung zurückgezahlt wurden. "Daniel Křetínský gehört zu den größten Kohlebaronen in Europa", heißt es in der Studie:

Seine Strategie ist, die Schließung seiner Kohlekraftwerke aufzuhalten, öffentliche Mittel abzuschöpfen und den Kohleausstieg in den Ländern, in denen er tätig ist, zu verzögern.

Zuletzt übernahm die EPH 2021vom Eon-Nachfolger Uniper das Kohlekraftwerk Schkopau [3], eines der gesundheitsschädlichsten Kraftwerke Deutschlands. Die EPH-Kohlekraftwerke mit ihrer Gesamtkapazität von aktuell 12,2 Gigawatt stoßen mehr Treibhausgase aus als ganz Finnland, so der Report.

Im Jahr 2021 war EPH demnach für knapp 49 Megatonnen Kohlendioxid verantwortlich – in der EU Platz drei hinter dem polnischen PGE-Konzern und RWE.

Wenn andere Akteure Skrupel bekommen und aus fossilen Produktionsanlagen aussteigen - Daniel Křetínský ist zur Stelle. Um sich danach an den Steuerzahlern zu bereichern: Nach den Leag-Plänen sollte noch tief in den 2040er Jahren Braunkohle verstromt werden, das 2020 beschlossene Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) sieht ein Ende 2038 vor, was sich Křetínský mit Entschädigung in Höhe von 1,75 Milliarden Euro entgelten lässt – vom deutschen Steuerzahler.

Der Report spricht vom "Spekulationsobjekt Ausstiegsentschädigung". Denn so wie Křetínský sein Firmenimperium aufgebaut hat (siehe Kasten), lässt befürchten, dass er sich aus dem Staub macht, sobald es nichts mehr zu holen gibt – etwa mit den angesparten Milliarden für die Rekultivierung der ostdeutschen Landschaften.

Russisches Erdgas sei "ein Huhn, das seit Jahren goldene Eier für Křetínskýs Firmen legt", heißt es in dem Report; "goldene Eier" in Form von Geld für Investitionen "nach Hyänen-Art" in Westeuropa.

Eine der profitabelsten Tochtergesellschaften der EPH sei die slowakische Eustream, die als Betreiberin der Transgaz- Pipeline [4] die EU in Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen brachte. Trotz des russischen Angriffs liefert diese Pipeline auch heute noch russisches Erdgas – um die 250 Millionen Kubikmeter pro Woche [5].

So, als hätte die Slowakei keine Sanktionen gegen Russland verhängt. Aber Křetínský ist ja kein Slowake, sondern Tscheche.

Energie-Oligarch Křetínský "nicht besonders sichtbar"

"Weder in Tschechien noch in Großbritannien, der Slowakei, Frankreich oder Deutschland ist Daniel Křetínský besonders sichtbar", sagt Studien-Autor Radek Kubala von der tschechischen Nichtregierungs-Organisation Re-Set.

Zwar leiste er sich mit Sparta Prag und West Ham United in der Premier League zwei renommierte Fußballklubs, "aber das dient vor allem dem Saubermann-Image. Über Unternehmenspolitik gibt der EPH-Boss nahezu nie Interviews."

Andererseits halte er sich ein Medienimperium, etwa die "Czech Media Invest", der mehrere tschechische Print- und Hörfunkmedien angehören, darunter die Boulevardzeitung Blesk – die "Bild" Tschechiens – sowie mehrere französische Titel wie Elle oder das Nachrichtenmagazin Marianne.

"Natürlich versucht Křetínský über diese Medien seine Interessen zu verfolgen", sagt Autor Kubala. Auch habe er frühere Politiker für ihn als Lobbyisten verpflichtet, etwa Mirek Topolánek, Tschechiens Premierminister von 2006 bis 2009, der jetzt eine Talkshow in einem Fernsehkanal Křetínský moderieren wird.

Daniel Křetínský werde mit seinen Geschäftspraktiken "auf einem gesamteuropäischen Level zu einer Bedrohung für die Demokratie", heißt es in dem Report. Sein Konzern befördere Energiearmut, wirtschaftliche Ungleichheit und trage zur Unbewohnbarkeit unseres Planeten bei.

"EPH illustriert, wie sich in unseren Demokratien immer kleinere Elite Macht an sich reißen", sagt Radek Kubala und spricht von einer "Oligarchisierung der Gesellschaft" auch im Westen. Křetínský sei eine "ernste Bedrohung der Zukunft". Jetzt will die EPH sogar die Stahlsparte von Thyssenkrupp übernehmen, wie der Spiegel berichtete.

Bei deutschen Umweltverbänden ist die Sorge deutlich weniger abstrakt. "Die Hinterlassenschaften der Tagebaue wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen und Milliarden Euro kosten", sagt Rene Schuster von der Grünen Liga.

Bergbaufolgekosten nennt man das, für die die Tagebaubetreiber einstehen müssen. "Wir sehen den fortgesetzten Versuch, dass Daniel Křetínskýs Leag davon so viel wie möglich auf die Allgemeinheit abwälzt", so Schuster.

Vier Tagebaue betreibt die Leag noch, allein für den Tagebau Welzows Süd sind Nachfolgekosten in Höhe von mindestens eine Milliarde Euro veranschlagt.

"In der Bilanz der Leag sind dafür aber lediglich 215 Millionen Euro eingestellt", erklärt Björn Ellner vom Nabu Brandenburg. "Der Rest soll aus jener Entschädigung kommen, auf den die Leag-Besitzer hoffen, wenn sie einem früheren Kohleausstieg zustimmen." Somit würde der deutsche Steuerzahler ganz legal die Kassen des tschechischen Milliardärs füllen.

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So einfach ist die Lösung des deutschen Strompreis-Problems

Die deutsche Industrie klagt über zu hohe Energiekosten. Dennoch sollen ihr die Stromsteuer-Vergünstigungen gestrichen werden. Gleichzeitig gibt es den Plan, die Not mit einem Brückenstrompreis zu lindern. Beide Ideen widersprechen sich. Deshalb ist die dritte Variante die richtige.

WELT-Gastautor Manuel Frondel leitet den Kompetenzbereich Umwelt und Ressourcen am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) Stephan Schulz/dpa/picture alliance; Julica Bracht/RWI/dpa

WELT-Gastautor Manuel Frondel leitet den Kompetenzbereich Umwelt und Ressourcen am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) Stephan Schulz/dpa/picture alliance; Julica Bracht/RWI/dpa© Bereitgestellt von WELT

Jüngst kam es zu einem wahren Aufschrei aller namhaften Industrieverbände: Die Spitzenausgleich genannten Vergünstigungen bei der Stromsteuer für energieintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes sollen zwecks Konsolidierung des Staatshaushaltes ab dem Jahr 2024 nicht mehr gewährt werden.

Bislang erhalten energieintensive Unternehmen dieses Sektors bei Erfüllung gewisser Voraussetzungen, etwa dem Vorhandensein von zertifizierten Energiemanagementsystemen in den Betrieben, durch den Spitzenausgleich einen Großteil der von ihnen entrichteten Stromsteuer zurück. In Summe beliefen sich die dem Staat dadurch entgangenen Steuereinnahmen auf 1,5 bis zwei Milliarden Euro pro Jahr.

Diese Vergünstigungen werden von Kritikern als umweltschädliches Steuergeschenk an die Industrie bemängelt. Aus Branchen-Perspektive ist dagegen die künftig höhere Kostenbelastung durch die Stromsteuer ein weiterer Nachteil für den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb.

Dies hat auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) als Nachteil erkannt. Daher hat das BMWK ein Arbeitspapier zu einem für eine Übergangsfrist von einigen Jahren gedeckelten, und deshalb wohl Brückenstrompreis genannten, Industriestrompreis von sechs Cent pro Kilowattstunde (kWh) für einen klar definierten Empfängerkreis vorgelegt.

Solche Unternehmen sollen bei Börsenstrompreisen über sechs Cent je Kilowattstunde (kWh) die Differenz zum Brückenstrompreis erstattet bekommen — zumindest für 80 Prozent des historischen Verbrauchs, um Anreize für Effizienzverbesserungen zu erhalten.

Den Spitzenausgleich zu streichen, steht somit in diametralem Gegensatz zu dem Vorschlag des BMWK, mit einem Brückenstrompreis die Stromkostenbelastung von stromintensiven Industrieunternehmen verringern zu wollen.

Dieser Gegensatz lässt sich leicht auflösen: Anstatt die Strompreise für Unternehmen durch die Streichung des Spitzenausgleichs zu erhöhen, sollten sie vielmehr gesenkt werden: durch die Senkung der Stromsteuer von aktuell 2,05 Cent je kWh auf das von der EU-Gesetzgebung festgelegten Minimum.

Dieses beträgt für private Haushalte 0,1 Cent je kWh, für Unternehmen 0,05 Cent je kWh. Der Spitzenausgleich würde dann obsolet, zugleich sinkt der Strompreis für alle übrigen Verbraucher.

Die Reduktion der Stromsteuer auf das EU-weite Minimum würde im Gegensatz zu den temporären und sehr teuren Entlastungsmaßnahmen in Form der Energiepreisbremsen dauerhaft helfen, die Nachteile der Unternehmen in Deutschland im internationalen Wettbewerb zu mindern.

Auch die Belastungen der privaten Haushalte würde dies lindern. Diese haben in Deutschland seit geraumer Zeit unter den höchsten Strompreisen in der Europäischen Union zu leiden.

Ein wesentlicher Einwand gegen eine Senkung der Stromsteuer seitens der Politik ist, dass deren Einnahmen seit ihrer Einführung am 1. April 1999 zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet werden. Daher könne auf diese Einnahmen von aktuell rund sieben Milliarden Euro pro Jahr nicht verzichtet werden.

Diesem Einwand muss entgegengehalten werden, dass zur Gegenfinanzierung der Stromsteuersenkung im Prinzip ausreichende Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds zur Verfügung stünden, wenn damit nicht allerlei fragwürdige Maßnahmen finanziert würden.

Zudem ist zu erwarten, dass das Volumen dieses staatlichen Sondervermögens zur Finanzierung der Energiewende ansteigt, denn es speist sich unter anderem aus den Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten des EU-Emissionshandels und der nationalen CO₂-Bepreisung fossiler Brenn- und Kraftstoffe. Mit der gesetzlich festgelegten steigenden CO₂-Bepreisung werden auch die finanziellen Zuflüsse zu diesen Fonds weiter ansteigen.

Reduktion der Stromsteuer seit Jahrzehnten überfällig

Die Senkung der Stromsteuer auf das EU-weite Minimum ist höchst überfällig, denn seit Einführung des EU-Emissionshandelssystems im Jahr 2005 ist die Stromsteuer weitgehend redundant. Schließlich haben beide Instrumente, Stromsteuer und Emissionshandel, dasselbe Ziel: den Klimaschutz.

Im Ergebnis kommt es zu einer Doppelbelastung der Stromverbraucher, die unbedingt überdacht werden sollte: Selbst wenn man der Stromsteuer eine Lenkungswirkung zubilligt, die über das durch den Emissionshandel bereits bewirkte Maß hinausgeht, wird diese Lenkungswirkung mit dem wachsenden Anteil an grünem Strom am Strommix zunehmend geringer.

Mindestens zwei weitere Gründe sprechen für eine Senkung der Stromsteuer. Erstens: Eine Stromsteuersenkung verursacht keinerlei zusätzliche Transaktionskosten — im Gegensatz zu den Energiepreisbremsen, die deshalb mit hohen Transaktionskosten verbunden sind, weil sämtliche Energieversorger unter hohem Aufwand die Summen berechnen müssen, die über die Energiepreisbremsen hinausgehen und durch den Staat zu ersetzen sind.

Der Staat wiederum hat Heerscharen von Beamten zu beschäftigen, die die Rückerstattungsbeträge prüfen und überweisen müssen. Die Stromsteuersenkung würde hingegen in unbürokratischer Weise helfen, und zwar allen Stromverbrauchern, nicht zuletzt auch den Unternehmen aus dem Sektor Handel, Gewerbe und Dienstleistungen. Diese sind nie in den Genuss des Spitzenausgleichs gekommen; viele davon sind nun wegen der hohen Energiepreise in Existenznöten.

Zweitens kann dadurch die sogenannte Sektorkopplung unterstützt werden. Dabei soll zur Reduktion der Treibhausgasemissionen von Sektoren wie dem Verkehr und dem Gebäudebereich vermehrt grüner Strom eingesetzt werden.

Sowohl der Einbau von Wärmepumpen als auch die Anschaffung von Elektromobilen würden umso attraktiver, je niedriger das Strompreisniveau ist. Sollen die Wärme- und Verkehrswende an Fahrt aufnehmen, führt an einer substanziellen Verringerung des Strompreisniveaus kein Weg vorbei.

Senkt man nicht nur die Stromsteuer, sondern schafft nach der bereits beseitigten EEG-Umlage weitere Abgaben auf den Strompreis ab, allen voran die KWKG-Umlage zur Förderung der Kraftwärmekopplung, so würde neben der Streichung des Spitzenausgleichs auch die Einführung eines Brückenstrompreises überflüssig. Besonders dann, wenn sich durch eine Ausweitung des Stromangebots auch die Erzeugungspreise für Strom verringern würden.

Mehr Angebot am Markt senkt die Strompreise

Die Streichung der Abgaben auf Strom, die ebenso wie die Verringerung der Stromsteuer durch den Klima- und Transformationsfonds gegenfinanziert werden könnte, würde einen Fehler im System beseitigen: Aus ökonomischer und verteilungspolitischer Sicht sollten nicht die Stromverbraucher – und damit in hohem Maße auch einkommensschwache Haushalte – für die Förderung von Maßnahmen wie der Kraftwärmekopplung oder den Aufbau der Netze zum Anschluss von Windparks in Nord- und Ostsee aufkommen, sondern die Steuerzahler. Dadurch würden stärkere Schultern stärker und schwächere Schultern weniger belastet, eine sozial ausgewogene Verteilung der Kosten wäre gewährleistet.

Daneben sollte man die hohen Strompreise auch dadurch bekämpfen, dass das Angebot am Strommarkt ausgebaut wird, anstatt es noch weiter zu reduzieren. Daher wäre es hilfreich, den ordnungsrechtlichen Kohleausstieg in Deutschland nicht auf das Jahr 2030 vorzuziehen, sondern den Kohleausstieg dem Markt, sprich den Emissionszertifikatpreisen zu überlassen.

Dass das Stromangebot durch den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien erhöht wird, ist zu begrüßen. Dennoch wird dieser auf absehbare Zeit allein nicht ausreichen, um die Stromversorgung zu sichern. Das hat die Bundesregierung klar erkannt und im Koalitionsvertrag auf Erdgaskraftwerke als Brückentechnologie gesetzt. Diese Brücke käme jedoch sehr teuer und erscheint bis zum Jahr 2030 kaum realisierbar.

Die Politik sollte daher unvoreingenommen eine technologieoffene Innovationsoffensive starten, die allen Technologien zur Erzeugung und Speicherung von Strom eine Chance gibt. Tabus, wie etwa das Verbot des Einfangens und unterirdischen Speicherns von Kohlendioxidemissionen (Carbon Capture and Storage) aus konventionellen Kohle- und Gas-Kraftwerken sollten wir uns künftig nicht mehr leisten.

Zudem müssen Erbauer neuer Solar- und Windparks künftig dazu verpflichtet werden, gleichzeitig in Speichertechnologien zu investieren, um an sonnen- und windreichen Tagen, an denen das Stromangebot die Nachfrage übersteigt, überschüssigen grünen Strom für angebotsarme Zeiten speichern zu können.

Die bisherige Regelung, an Tagen mit drohenden Stromüberschüssen die Erneuerbaren-Anlagen gegen Entschädigungszahlungen abzuschalten, wird zunehmend teurer und sollte schleunigst abgeschafft werden, denn diese Entschädigungszahlungen erhöhen die Stromrechnung der Verbraucher zusätzlich.

Nicht zuletzt muss auch der grenzüberschreitende Netzausbau forciert werden, damit in Zeiten knappen Stromangebots, vor allem an windschwachen Tagen im Winter, mehr Strom aus dem Ausland importiert werden kann, um Strompreisexplosionen zu verhindern.

Durch alle diese Maßnahmen würde das Übel der hohen Strompreise in Deutschland an der Wurzel angepackt werden. Mit der Einführung eines Brückenstrompreises würde hingegen nur an den Symptomen herumgedoktert werden.

Manuel Frondel ist seit 2003 Leiter des Kompetenzbereiches Umwelt und Ressourcen am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, seit 2009 außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und seit 2010 Fakultätsmitglied der Ruhr Graduate School in Economics (RGS).

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Deutschland schaltet bei Engpässen Strom für E-Autos & Wärmepumpen ab

im Vergleichstest

im Vergleichstest© Provided by Ever-growing GmbH

In Deutschland werden aufgrund von Engpässen in der Stromversorgung E-Autos und Wärmepumpen abgeschaltet. Dieser Schritt ist eine Reaktion auf die zunehmende Überlastung der Netze. Der massive Ausbau der Elektromobilität und die steigende Anzahl von Wärmepumpen stellen eine ernsthafte Belastung für das Netz dar.

Engpässe in der Stromversorgung

In Zeiten von Engpässen in der Stromversorgung wird Deutschland E-Autos und Wärmepumpen abschalten. Diese Maßnahme zeigt, wie ernst die Situation ist. Die steigende Anzahl von Elektroautos und die wachsende Verwendung von Wärmepumpen belasten das Netz stark und führen zu einer Überlastung der Stromnetze.

Auswirkungen auf die Elektromobilität

Die Abschaltung von E-Autos in Zeiten von Engpässen wirft Fragen zur Zukunft der Elektromobilität auf. Es ist offensichtlich, dass das aktuelle Netz nicht in der Lage ist, den zunehmenden Bedarf zu decken. Dies könnte die Bemühungen um den Übergang zu einer nachhaltigeren Mobilität untergraben und potenzielle Käufer von Elektroautos abschrecken.

Belastung durch Wärmepumpen

Neben E-Autos stellen auch Wärmepumpen eine erhebliche Belastung für das Netz dar. Der Einsatz von Wärmepumpen hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, da sie als umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Heizsystemen gelten. Doch ihre hohe Stromaufnahme kann in Zeiten von Netzengpässen problematisch sein.

Notwendige Infrastrukturverbesserungen

Um diese Engpässe zu vermeiden, sind erhebliche Verbesserungen der Infrastruktur notwendig. Dies könnte die Modernisierung der bestehenden Netze und den Ausbau von Speicherlösungen beinhalten. Weiterhin könnten intelligente Stromnetze, die sogenannten Smart Grids, dazu beitragen, die Stromverteilung effizienter zu gestalten und Überlastungen zu vermeiden.

Als Schlussfolgerung zeigt sich, dass die rasche Umstellung auf Elektromobilität und die zunehmende Nutzung von Wärmepumpen das deutsche Stromnetz unter Druck setzen. Ohne eine entsprechende Infrastrukturverbesserung könnten Engpässe in der Stromversorgung zunehmen und die Abschaltung von E-Autos und Wärmepumpen notwendig machen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden Planung und Vorbereitung, um eine nachhaltige und zuverlässige Energieversorgung zu gewährleisten.

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Wohin mit den Rotorblättern? - Der Schrottberg an Windkraftanlagen wächst, weil eine Recycling-Lösung fehlt

Demontage einer Anlage bei Prenzlau in der Uckermark IMAGO/serienlicht

Demontage einer Anlage bei Prenzlau in der Uckermark IMAGO/serienlicht© IMAGO/serienlicht

Um die Energiewende zu schaffen, ist der Ausbau von Windkraftanlagen entscheidend. Obwohl diese ein Ablaufdatum haben, bestehen bislang nur unzureichende Recyclinglösungen. Das kratzt am grünen Image.

Rund 20 Jahre sind Windräder in der Regel im Einsatz, dann werden viele von ihnen abgebaut. Das Recycling der alten Rotorblätter erweist sich dabei immer noch als äußerst schwierig. Ein Problem, das sich mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien noch verschärft – schließlich wächst damit auch der Schrottberg an alten Anlagen.

Ohne Windkraft keine Energiewende möglich

Für die Klimawende bildet Windenergie eine, wenn nicht sogar die entscheidende Säule. Der Sektor beansprucht in Deutschland den größten Anteil an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Landesweit sind aktuell rund 30.000 Anlagen an Land und auf See mit einer Kapazität von insgesamt 58 Gigawatt in Betrieb. Bis 2030 soll diese mehr als verdoppelt werden.

Um möglichst viel Wind „ernten" zu können, sind die Windenergieanlagen in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Die Rotorblätter erreichen teils mehr als 50 Meter Länge und wiegen über 25 Tonnen. Die Bestandteile müssen während der Nutzung hohen Belastungen standhalten.

„Die Spitze des Flügels bewegt sich schon mal mit bis zu 400 Kilometer pro Stunde. Kleinere Windkraftanlagen erreichen sogar halbe Schallgeschwindigkeiten“, sagt Dieter Stapf vom Karlsruher Institut für Technologie im Gespräch mit dem Spiegel . Hinzu kommen Wettereinflüsse wie Regen, Schnee, Hagel oder Salzwasser auf See, was das Material auf Dauer schädigt. Die Haltbarkeit der Anlagen ist daher begrenzt.

Rückenwind durch staatliche Förderung – dann herrscht Windstille

Obwohl die Lebenszeit von Windrädern über 30 Jahre betragen könnte, werden viele nach 20 Jahren abgeschaltet. Der Grund: das im Jahr 2000 erlassene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Es garantiert den Anlagenbetreibern Einspeisevergütungen – aber nur für 20 Jahre. Ohne die Bezuschussung rechnet sich der Weiterbetrieb vieler Windräder älteren Baujahrs nicht mehr, da insbesondere die Kosten für Wartung und Reparatur mit zunehmendem Anlagenalter steigen.

So kam es, dass im Jahr 2021 nach Berechnungen des Beratungsunternehmens Deutsche Windguard rund 6.000 Anlagen mit einer installierten Leistung von knapp 4.500 Megawatt (MW) abgestellt wurden. Die Objekte fielen nach 20-jähriger Laufzeit aus der EEG-Subvention. Und auch in den Folgejahren wird die EEG-Vergütung jährlich für weitere Windräder mit einer installierten Leistung von 2.000 bis 3.000 MW auslaufen.

Dass die stillgelegten Windräder einfach in der Landschaft stehen bleiben, ist nach dem Bundes-Immissionsgesetz ausgeschlossen. Folglich heißt es für die Betreiber: Rückbau. Schon jetzt fallen in Deutschland jährlich etwa 10.000 Tonnen Windradmüll an. Angaben des Fraunhofer Instituts für Chemische Technologien zufolge dürfte die Abfallmenge bis 2045 vier Mal so hoch sein. Doch wohin mit den Rotoren und Masten? Die Recyclingfrage stellt die Branche wortwörtlich vor riesige Herausforderungen.

Der Müllberg wächst weiter – Recyclinglösungen fehlen

Bislang bestehen keine verbindlichen Entsorgungswege oder Lösungen zur umweltgerechten Weiterverwertung der Materialien. Ob beispielsweise die im Gelände verankerten Fundamente vollständig oder nur oberflächlich zu entfernen sind, ist bislang nicht geregelt. Das Umweltbundesamt verweist in dem Zusammenhang auf die Verantwortung des Betreibers, da die große Diversität an Anlagen und Standorten maßgeschneiderte Rückbaukonzepte erfordere.

Viele Betreiber brüsten sich damit, dass bei der Demontage eines Windrads 80 bis 90 Prozent der verbauten Materialien recycelt werden können – die genauere Betrachtung trübt jedoch diese Bilanz. Die im Mast enthaltenen Materialien wie Beton, Stahl und Kupfer können zwar wiedergewonnen werden, wirtschaftlich rentables Recycling funktioniert aber lediglich bei den Metallen.

In dem ehemaligen Windradmast ist viel Metall enthalten. imago/BildFunkMV

In dem ehemaligen Windradmast ist viel Metall enthalten. imago/BildFunkMV© imago/BildFunkMV

Die großen Mengen Altbeton werden zwar in der Baubranche wiederverwendet, die Aufbereitung zu Recyclingbeton ist jedoch sehr aufwendig und energieintensiv. Auch für die in den Magneten der Generatoren verbauten Seltenen Erden gibt es in Deutschland noch keine etablierten Recyclingverfahren.

Wohin mit gesundheitsschädlichen Stoffen?

Noch problematischer wird es bei den Rotorblättern. Sie bestehen aus Glas oder Carbonfaser, die mit einem Kunstharz verklebt sind. Der carbonfaserverstärkte Kunststoff (CFK) lässt sich nur schwer in seine Einzelteile zerlegen, zudem werden bei der Zerkleinerung gesundheitsschädliche Faserstäube freigesetzt. Für diese Art Kunststoffe besteht in Deutschland seit 2005 ein Verbot, sie auf Mülldeponien zu beseitigen.

Aus diesem Grund landen die alten Windradflügel bisher im Ofen, als Brennstoff für die Zementherstellung. Es ersetzt zwar damit den Einsatz von Schweröl, doch von Recycling kann hier nicht die Rede sein – bei der Verbrennung entsteht viel CO2.

Einer Studie des Umweltbundesamtes zufolge fallen allein in diesem Jahrzehnt beim Rückbau von Anlagen jährlich etwa 20.000 Tonnen an schwer wiederverwertbaren Rotorblatt-Abfällen an, Tendenz steigend. Die Experten befürchten, dass Rotorblätter unzureichend entsorgt oder zur Scheinverwertung ins Ausland exportiert werden, beispielsweise in die USA, wo Deponien für ausgemusterte Rotorblätter existieren.

Innovation ist jetzt gefragt – auch bei Herstellern

Mit der sich beschleunigenden Energiewende wächst der Druck, Recyclingverfahren für ausgemusterte Windräder zu entwickeln. Bislang bestehen nur wenige Unternehmen, die sich auf das Gebiet spezialisiert haben, die lukrative Nische dürfte aber zeitnah viele Startups anlocken. So arbeitet beispielsweise der Bremer Entsorgungsdienstleister Neocomp bereits an Lösungen für eine umweltverträglichere Zerkleinerung und Aufbereitung der verklebten Kunststoffe.

Auch die Anlagenbauer sind gefragt. Bereits bei der Konstruktion der Windräder muss der Nachhaltigkeitsanspruch ein fester Bestandteil sein. Mit neuen Materialien soll zum Beispiel die Recyclingfähigkeit der Anlagen verbessert werden.

Mehrere Windanlagenbauer, darunter der dänische Konzern Vestas und das spanische Unternehmen Siemens Gamesa, haben bereits Nachhaltigkeitskonzepte verkündet. Demnach wollen sie bis zum Jahr 2040 „abfallfreie“ Windenergieanlagen mit recycelbaren Rotorblättern bauen.

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Hans-Werner Sinn: „Das Verbrennerverbot beschleunigt den Klimawandel“

Der frühere Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn

Der frühere Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn© dpa

Der emeritierte Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, kritisiert die Energiepolitik der Bundesregierung. Der CO2-Ausstoß bei Öl, Kohle und Co. könne nur reduziert werden, wenn „alle oder fast alle mitmachen, denn was wir nicht verbrauchen, verbrauchen sonst andere“, sagte der Wirtschaftsprofessor der Zeitung „Bild“ vom Dienstag.

„Wenn Deutschland kein Öl mehr kauft, fällt der Weltmarktpreis, und andere kaufen es“, sagte Sinn. Das hätten die vergangenen 40 Jahre deutlich gezeigt. Ein Verbot von Verbrennungsmotoren sei daher sinnlos: „Es ruiniert unsere Automobilindustrie, senkt unseren Lebensstandard und subventioniert andere Länder, vor allem China. Wo in den letzten Jahren nicht nur immer mehr Kohle verbrannt wird, sondern auch der Ölverbrauch steigt.“ Da es zu wenig Ökostrom gebe und die Atomkraftwerke abgeschaltet würden, „bedeuten mehr Elektroautos Braunkohleabbau und mehr Kohlenstoff in der Luft“.

Sinn hält fossile Energieträger in der Energiewende für unverzichtbar

Das Verbrennerverbot führe laut Sinn wegen der Umlenkung der Öltanker in andere Länder nicht zu weniger Kohlenstoffemissionen. „Der Klimawandel beschleunigt sich wegen des Verbrennerverbots.“ Auch den Ersatz von Ölheizungen durch Wärmepumpen hält der Ökonom für nicht effektiv im Sinne des Klimaschutzes. Das Öl werde anderswo verbrannt und der Mehrverbrauch an Strom führe dazu, dass die Kraftwerke mehr Braunkohle verbrennen.

Mit Blick auf den Ausbau erneuerbarer Ernergien sagte Sinn dem Blatt: „Wind- und Sonnenstrom werden uns nicht alleine versorgen. Die Quellen sind nicht regelbar und das Wetter ist unstetig.“ In Dunkelflauten müssten regelbare Kraftwerke in der Lage sein, den gesamten Verbrauch Deutschlands zu decken. Der steigende Stromverbrauch im Gebäude- und Verkehrssektor verschärfe das Problem. „Wir können die Energiewende leider nicht ohne fossile Energieträger bestreiten, weil wir auf die Kernkraft verzichten.“