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Bürgergeld
Zitat von Gast am 6. September 2023, 11:13 UhrDazu will er schwarz arbeiten - Mann kündigt Job, weil er mit Bürgergeld „300 Euro netto mehr“ verdient
Beim Chef einer Spedition trudelte jüngst eine Kündigung ein. Der Grund: Der Mann fand es sinnvoller, Bürgergeld zu beziehen und nebenbei schwarz zu arbeiten. Der Firmenboss fürchtet nun, dass das Modell Schule machen könnte.
Wortlos hätte ein ehemaliger Kollege von Speditions-Chef Horst Kottmeyer seine Kündigung eingereicht. Seine Absichten verheimlichte er nicht. Der Mann Mitte 30 könne „300 Euro netto mehr verdienen, wenn er nicht mehr offiziell arbeitet und von staatlicher Unterstützung lebt“, berichtet Kottmeyer der „Bild“ .
Speditions-Chef sieht Gefahr, dass „Bürgergeld-Modell“ Schule machen wird
Der Ex-Mitarbeiter sei seit einem Dreivierteljahr im Unternehmen gewesen und habe als Lagerist 14 Euro pro Stunde kassiert. Dabei handle es sich laut Kottmeyer um den Einstiegslohn in der Firma. Bürgergeldempfänger hingegen erhalten 502 Euro im Monat zuzüglich Miete und Heizkosten.
Kottmeyer, der die Firma in dritter Generation führt und derzeit 350 Mitarbeiter beschäftigt, hat nun Angst, dass sich weitere Kollegen anschließen könnten. Er sehe „keine große Welle auf uns zukommen. Aber die Gefahr sei natürlich real."
"Im kommenden Jahr steigt der Bürgergeldsatz auf 563 Euro im Monat an. Kottmeyer glaube, „dass wir das Geld mit der Gießkanne verteilen“. Schließlich sei Deutschland eine Leistungsgesellschaft, in der es nicht gehe, „dass die einen sich ausruhen und die anderen dafür bezahlen“.
Dazu will er schwarz arbeiten - Mann kündigt Job, weil er mit Bürgergeld „300 Euro netto mehr“ verdient
Beim Chef einer Spedition trudelte jüngst eine Kündigung ein. Der Grund: Der Mann fand es sinnvoller, Bürgergeld zu beziehen und nebenbei schwarz zu arbeiten. Der Firmenboss fürchtet nun, dass das Modell Schule machen könnte.
Wortlos hätte ein ehemaliger Kollege von Speditions-Chef Horst Kottmeyer seine Kündigung eingereicht. Seine Absichten verheimlichte er nicht. Der Mann Mitte 30 könne „300 Euro netto mehr verdienen, wenn er nicht mehr offiziell arbeitet und von staatlicher Unterstützung lebt“, berichtet Kottmeyer der „Bild“ .
Speditions-Chef sieht Gefahr, dass „Bürgergeld-Modell“ Schule machen wird
Der Ex-Mitarbeiter sei seit einem Dreivierteljahr im Unternehmen gewesen und habe als Lagerist 14 Euro pro Stunde kassiert. Dabei handle es sich laut Kottmeyer um den Einstiegslohn in der Firma. Bürgergeldempfänger hingegen erhalten 502 Euro im Monat zuzüglich Miete und Heizkosten.
Kottmeyer, der die Firma in dritter Generation führt und derzeit 350 Mitarbeiter beschäftigt, hat nun Angst, dass sich weitere Kollegen anschließen könnten. Er sehe „keine große Welle auf uns zukommen. Aber die Gefahr sei natürlich real."
"Im kommenden Jahr steigt der Bürgergeldsatz auf 563 Euro im Monat an. Kottmeyer glaube, „dass wir das Geld mit der Gießkanne verteilen“. Schließlich sei Deutschland eine Leistungsgesellschaft, in der es nicht gehe, „dass die einen sich ausruhen und die anderen dafür bezahlen“.
Zitat von Gast am 11. Oktober 2023, 06:25 UhrDie Ampel-Koalition hat für 2024 eine kräftige Erhöhung des Bürgergelds geplant. Für Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf ein Fehler.
Berlin – Die Ampel-Koalition hat angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten das Bürgergeld für das kommende Jahr noch einmal kräftig erhöht: Ab 2024 sollen erwachsene Bezieherinnen und Bezieher monatlich 563 Euro bekommen – also 61 Euro mehr als derzeit. Der Mindestlohn wird im kommenden Jahr dagegen nur von 12 Euro auf 12,41 Euro steigen – also um 41 Cent. Arbeitgeber-Verbände sind deshalb empört: Sie fürchten, dass die Bürgergeld-Erhöhung die Motivation, einen Job auf Mindestlohn-Niveau anzunehmen, sinken lässt.
Gesamtmetall-Chef: Bürgergelderhöhung ein „kapitaler Fehler“
Das bekräftigte nochmals Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, gegenüber der Bild am Sonntag. Dabei nannte er die geplante Bürgergelderhöhung einen „kapitalen Fehler“: „Je nach individueller Situation kann es sich in der Metall- und Elektroindustrie beispielsweise dann in den zwei unteren Gehaltsstufen nicht mehr lohnen, jeden Tag arbeiten zu gehen. Der Abstand zum Bürgergeld, ohne arbeiten zu müssen, ist dann einfach zu gering.“
Wolf beklagte gegenüber der Zeitung zudem eine zunehmende Abkehr vom Leistungsprinzip in Deutschland. Schon mit dem Begriff „Work-Life-Balance“ habe er ein Problem, sagte der Gesamtmetall-Chef. „Er sagt aus, Work ist schlecht, Life ist gut. Dabei sind Leben und Arbeit doch keine Gegensätze.“ Das Thema Leistung und Arbeit müsse wieder positiv dargestellt werden, nicht nur von Arbeitgebern und Verbänden, vor allem in den Familien und an den Schulen, sagte Wolf.
Bürgergeld vs. Mindestlohn: SPD-Generalsekretär sieht Arbeitgeber in der Pflicht
Kevin Kühnert sieht dagegen die Arbeitgeber in der Pflicht. Der Generalsekretär der SPD verwies auf die vielen unbesetzten Stellen, die es inzwischen in Deutschland gebe. Sie seien das Ergebnis schlechter Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne. Arbeitnehmer würden deswegen zunehmend „das Weite suchen“, sagte Kühnert im September im ARD-Mittagsmagazin. „Ich glaube, Arbeitgeber müssen ein Eigeninteresse daran haben, Arbeitsbedingungen herzustellen – das ist nicht nur Lohn, aber eben auch -, die dazu geeignet sind, dass Beschäftigte ihrem Unternehmen auch treu bleiben.“
Die Nachfrage nach Arbeitskräften in Deutschland weiterhin sehr hoch, es fehlt an vielen Stellen an Fachkräften. Die Zahl der offenen Stellen gab die Bundesagentur für Arbeit im September mit 761.000 an. Allerdings lässt die Nachfrage angesichts der schwächelnden deutschen Wirtschaft leicht nach.
Die Regierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte das Bürgergeld zum 1. Januar 2023 eingeführt – es löste das bisherige Hartz-IV-System ab. Das Bürgergeld ist eine zentrale sozialpolitische Reform der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Bürgergeld-Beziehenden sollen mit der Reform mehr Freiheiten und Weiterbildungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Aktuell erhalten mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld. Viele davon haben keinen Berufsabschluss – mit der Reform soll sich das ändern.
Die Ampel-Koalition hat für 2024 eine kräftige Erhöhung des Bürgergelds geplant. Für Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf ein Fehler.
Berlin – Die Ampel-Koalition hat angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten das Bürgergeld für das kommende Jahr noch einmal kräftig erhöht: Ab 2024 sollen erwachsene Bezieherinnen und Bezieher monatlich 563 Euro bekommen – also 61 Euro mehr als derzeit. Der Mindestlohn wird im kommenden Jahr dagegen nur von 12 Euro auf 12,41 Euro steigen – also um 41 Cent. Arbeitgeber-Verbände sind deshalb empört: Sie fürchten, dass die Bürgergeld-Erhöhung die Motivation, einen Job auf Mindestlohn-Niveau anzunehmen, sinken lässt.
Gesamtmetall-Chef: Bürgergelderhöhung ein „kapitaler Fehler“
Das bekräftigte nochmals Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, gegenüber der Bild am Sonntag. Dabei nannte er die geplante Bürgergelderhöhung einen „kapitalen Fehler“: „Je nach individueller Situation kann es sich in der Metall- und Elektroindustrie beispielsweise dann in den zwei unteren Gehaltsstufen nicht mehr lohnen, jeden Tag arbeiten zu gehen. Der Abstand zum Bürgergeld, ohne arbeiten zu müssen, ist dann einfach zu gering.“
Wolf beklagte gegenüber der Zeitung zudem eine zunehmende Abkehr vom Leistungsprinzip in Deutschland. Schon mit dem Begriff „Work-Life-Balance“ habe er ein Problem, sagte der Gesamtmetall-Chef. „Er sagt aus, Work ist schlecht, Life ist gut. Dabei sind Leben und Arbeit doch keine Gegensätze.“ Das Thema Leistung und Arbeit müsse wieder positiv dargestellt werden, nicht nur von Arbeitgebern und Verbänden, vor allem in den Familien und an den Schulen, sagte Wolf.
Bürgergeld vs. Mindestlohn: SPD-Generalsekretär sieht Arbeitgeber in der Pflicht
Kevin Kühnert sieht dagegen die Arbeitgeber in der Pflicht. Der Generalsekretär der SPD verwies auf die vielen unbesetzten Stellen, die es inzwischen in Deutschland gebe. Sie seien das Ergebnis schlechter Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne. Arbeitnehmer würden deswegen zunehmend „das Weite suchen“, sagte Kühnert im September im ARD-Mittagsmagazin. „Ich glaube, Arbeitgeber müssen ein Eigeninteresse daran haben, Arbeitsbedingungen herzustellen – das ist nicht nur Lohn, aber eben auch -, die dazu geeignet sind, dass Beschäftigte ihrem Unternehmen auch treu bleiben.“
Die Nachfrage nach Arbeitskräften in Deutschland weiterhin sehr hoch, es fehlt an vielen Stellen an Fachkräften. Die Zahl der offenen Stellen gab die Bundesagentur für Arbeit im September mit 761.000 an. Allerdings lässt die Nachfrage angesichts der schwächelnden deutschen Wirtschaft leicht nach.
Die Regierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte das Bürgergeld zum 1. Januar 2023 eingeführt – es löste das bisherige Hartz-IV-System ab. Das Bürgergeld ist eine zentrale sozialpolitische Reform der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Bürgergeld-Beziehenden sollen mit der Reform mehr Freiheiten und Weiterbildungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Aktuell erhalten mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld. Viele davon haben keinen Berufsabschluss – mit der Reform soll sich das ändern.
Zitat von Gast am 13. Oktober 2023, 08:55 UhrBekommen Bürgergeldempfänger zu viel Geld? Lohnt sich es deswegen nicht mehr zu arbeiten? Darüber diskutiert Deutschland derzeit. FOCUS online hat bei einigen der renommiertesten Ökonomen Deutschlands nachgefragt.
Ab 2024 steigen die Sätze des Bürgergelds, ehemals Hartz IV, um zwölf Prozent an. Nicht überall wird diese Änderung begrüßt. Kritiker monieren, dass sich Arbeiten immer weniger lohne, wenn das Amt zahlt. Berechnungen von FOCUS online zufolge haben Haushalte, je nach Familienkonstellation, in manchen Fällen tatsächlich mehr Geld, wenn sie auf eine Anstellung verzichten.
In dieser Debatte stellt sich die Frage: Wurden die Leistungen zu stark erhöht? Und sollte es deswegen nun auch eine Anpassung des Mindestlohns geben? Und welche Möglichkeiten hätte der Staat, die arbeitende Bevölkerung zu entlasten? FOCUS online hat dazu unter Top-Ökonomen nachgefragt. Das sind die Antworten, die durchaus kontrovers ausfallen.
FOCUS Online: Nach der Erhöhung des Bürgergelds wird der Vorwurf lauter, dass sich Arbeiten immer weniger lohnt. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutsches Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) : „Die Behauptung, Menschen würden mit Bürgergeld mehr Einkommen erhalten als Menschen mit Arbeit, ist Populismus und Unfug. Arbeitende Menschen haben in allen Fällen ein höheres Einkommen als nicht arbeitende Menschen, wenn man die Familie und die Lebensumstände berücksichtigt.“
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank : „Die deutliche Erhöhung des Bürgergelds schwächt die Anreize zur Aufnahme einer Arbeit. Das gilt vor allem für gering qualifizierte Arbeitskräfte mit vielen Kindern.“
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank : „Wer arbeitet, muss mehr verdienen, als wer nicht arbeitet. Das hat etwas mit der Höhe des Bürgergeldes zu tun. Aber noch mehr mit der Anrechnung von Hinzuverdienst. Das Aufstocken war schon bei Hartz IV die Schwachstelle. Lieber großzügiger beim Aufstocken als bei der Höhe der Grundleistungen.“
Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) : „Die Bürgergelderhöhung ging einher mit Anhebungen des Wohngelds, der Kinderzuschläge und des Kindergeldes und einem höheren Grundfreibetrag, daher ist das Lohnabstandsgebot gewahrt. Grundsätzlich sind Anhebungen in Ordnung, weil Inflation und explodierende Mietpreise einkommensschwache Haushalte besonders treffen. Allerdings lohnt sich Mehrarbeit im Niedriglohnsektor häufig nicht, weil der Wechsel von Teil- zu Vollzeit oft weniger Netto bedeutet. Wenn der Erwerbsfreibetrag erhöht würde, könnte der Wechsel auf Vollzeit wieder attraktiver werden. Problematischer sind eher die wegfallenden Sanktionen, sodass sich Bürgergeldempfänger weniger um die schnelle Aufnahme von Arbeit kümmern müssen.“
Anders als das Bürgergeld stiegen die Löhne zuletzt kaum, fielen sogar mehrere Male in Folge, wie der Reallohnindex zeigt. Unterdessen verkünden manche Großkonzerne rekordverdächtige Ergebnisse. Wieso kommt dieser Erfolg nicht beim Arbeitnehmer an?
Fratzscher : „Der Lohnabstand ist seit Einführung des Mindestlohns 2015 nicht kleiner, sondern größer geworden: Hartz IV und jetzt Bürgergeld sind seitdem um 41 Prozent gestiegen, der Mindestlohn um 46 Prozent.“
Krämer : „Lohnverhandlungen finden in der Regel nur einmal im Jahr statt. Deshalb zeigt sich der geschäftliche Erfolg erst bei den Gewinnen und dann bei den Löhnen. Aber zuletzt sind die Löhne bereits schneller gestiegen. Die bisherigen Tarifverhandlungen zeigen, dass sich der Trend zu höheren Lohnabschlüssen fortsetzt.“
Kater : „Bei einem überraschenden Einbruch der Inflation ist es unvermeidlich, dass die Reallöhne fallen; auch eine Pandemie trägt nicht gerade zum Reallohnwachstum bei. Die Reallöhne werden diese Rückschläge in ein bis zwei Jahren wieder aufgeholt haben. Man darf auch nicht vergessen, dass die Reallöhne vor der Coronakrise im Durchschnitt jahrelang gestiegen sind.“
Hüther : „Dass Reallöhne sinken, liegt an der außerordentlichen gesamtwirtschaftlichen Situation mit hoher Inflation, die zunächst von hohen Energiepreisen getrieben war und sich jetzt in einer starren Kerninflation festgesetzt hat. Viele Großunternehmen zahlen steuerfreie Inflationsausgleichsprämien, zudem gab es im vergangenen und diesem Jahr kräftige Lohnsteigerungen. Die Industrie leidet momentan unter einer existentiellen Krise und ächzt neben hohen Energiepreisen unter sehr hohen Lohnstückkosten. Die Spielräume sind eng. Eine Zurückhaltung in den Tarifverhandlungen, wie etwa bei der Chemieindustrie, ist von Seiten der Gewerkschaften daher verantwortungsvoll und gerecht.“
Muss der Mindestlohn nun steigen? Oder anders gefragt: Was könnte der Staat nun tun, um das Lohnwachstum zu treiben? Sollte er es überhaupt?
Fratzscher : „Die Erhöhung des Bürgergelds um 12 Prozent ist durch die sehr hohe Inflation für Menschen mit geringen Einkommen völlig gerechtfertigt und gleicht noch nicht einmal die gestiegenen Preise für die Betroffenen aus. Das Problem ist, dass der Mindestlohn zum Jahreswechsel viel zu wenig erhöht wird und die Beschäftigten deutliche Verluste in ihren Reallöhnen und damit ihrem Lebensstandard erfahren. Um die Inflation von 2022, 2023 und 2024 auszugleichen, hätte der Mindestlohn auf knapp 14 Euro steigen müssen.“
Krämer : „Es ist in einer Marktwirtschaft nicht Aufgabe des Staates, in Lohnverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden einzugreifen. Wenn der Staat nachhaltig höhere Löhne fördern möchte, dann sollte er endlich für ordentliche Schulen sorgen, die für breite Bevölkerungsschichten die Basis legen, sich besser zu qualifizieren und dann gut zu verdienen. Leider sind heutzutage zu viele Jugendliche wegen mangelnder Schulbildung nicht in der Lage, eine berufliche Ausbildung zu absolvieren.“
Kater : „Die gegenwärtige Anpassung des Bürgergeldes ist eher ein Ausgleich der Inflation aus den vergangenen beiden Jahren. Beim Mindestlohn ist dieser Ausgleich ebenfalls bereits geschehen. Darüber hinaus besteht erstmal kein Handlungsbedarf mehr.“
Hüther : „Der Staat hat mit drei Entlastungspaketen in Höhe von 240 Milliarden Euro bereits viel getan und insbesondere Geringverdiener unterstützt. Ein Single mit einem Bruttoeinkommen von 25.000 Euro hat in beiden Jahren rund 2.000 Euro Entlastungen erhalten, eine Familie mit zwei Kindern und Einkommen von 40.000 Euro konnte mit über 10.000 Euro rechnen. In beiden Fällen sind etwaige Inflationsprämien noch nicht eingerechnet. Es ist also viel passiert, auch abseits von Mindest- und Tariflöhnen. Deren Aushandlung ist den Tarifpartnern und der Mindestlohnkommission vorbehalten und sollte nicht politisch festgelegt werden. Der Staat hat mit den Entlastungspaketen Druck aus den Lohnforderungen genommen, dem sollten sich alle bewusst sein.“
In den vergangenen Jahren wurde bei Lohnerhöhungen immer vor der Preis-Lohn-Spirale gewarnt. Wenn nun höhere Löhne nicht kommen sollten, welche Möglichkeiten gibt es dann noch, die Arbeiten wieder attraktiver zu machen? Steuererleichterungen beispielsweise?
Fratzscher : „Ich halte einen Anstieg des Mindestlohns auf 14 Euro für dringend notwendig, auch um soziale Härten zu reduzieren, zumal viele Unternehmen sich höhere Löhne leisten können. Eine Lohn-Preis-Spirale gibt es zurzeit nicht, bisher war es eher der deutliche Anstieg der Unternehmensgewinne, der die Inflation befeuert hat.“
Krämer : „Die Steuern in Deutschland sind hoch. Viele Menschen, die zur Mittelschicht gehören, zahlen bereits den Spitzensteuersatz.“
Kater : „Die Steuer- und Abgabenbelastungen bei den mittleren Einkommen sollte reduziert werden. Aber nicht, ohne Gegenfinanzierungen zu benennen: entweder höhere Steuern für höhere Einkommen oder geringere Staatsausgaben.“
Hüther : „Seit 2015 sehen wir einen Lohndrift, das heißt, dass die tatsächlich gezahlten Löhne über den Tariflöhnen liegen, verursacht durch durch Prämien und andere übertariflichen Leistungen. Um Nettolöhne zu erhöhen, muss an einer der Steuerschrauben gedreht werden, vor allem beim Mittelstand. Die Abflachung des sogenannten Mittelstandsbauchs im Einkommenssteuertarif in einen linear-progressiven Verlauf und eine Verschiebung des Spitzensteuersatzes würde viel bewirken, wäre aber auch teuer. Eine Angleichung der Besteuerung der Teil- zu den Vollzeitstellen würde da mit dem Spielräume schaffen. Für hohe Einkommen wäre es gerecht, wenn die freiwillige Teilzeitstelle ebenso besteuert würde wie die Vollzeitstelle. In Deutschland werden wir uns in Zukunft immer weniger leisten können, so wenig zu arbeiten wie derzeit.“
Bekommen Bürgergeldempfänger zu viel Geld? Lohnt sich es deswegen nicht mehr zu arbeiten? Darüber diskutiert Deutschland derzeit. FOCUS online hat bei einigen der renommiertesten Ökonomen Deutschlands nachgefragt.
Ab 2024 steigen die Sätze des Bürgergelds, ehemals Hartz IV, um zwölf Prozent an. Nicht überall wird diese Änderung begrüßt. Kritiker monieren, dass sich Arbeiten immer weniger lohne, wenn das Amt zahlt. Berechnungen von FOCUS online zufolge haben Haushalte, je nach Familienkonstellation, in manchen Fällen tatsächlich mehr Geld, wenn sie auf eine Anstellung verzichten.
In dieser Debatte stellt sich die Frage: Wurden die Leistungen zu stark erhöht? Und sollte es deswegen nun auch eine Anpassung des Mindestlohns geben? Und welche Möglichkeiten hätte der Staat, die arbeitende Bevölkerung zu entlasten? FOCUS online hat dazu unter Top-Ökonomen nachgefragt. Das sind die Antworten, die durchaus kontrovers ausfallen.
FOCUS Online: Nach der Erhöhung des Bürgergelds wird der Vorwurf lauter, dass sich Arbeiten immer weniger lohnt. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutsches Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) : „Die Behauptung, Menschen würden mit Bürgergeld mehr Einkommen erhalten als Menschen mit Arbeit, ist Populismus und Unfug. Arbeitende Menschen haben in allen Fällen ein höheres Einkommen als nicht arbeitende Menschen, wenn man die Familie und die Lebensumstände berücksichtigt.“
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank : „Die deutliche Erhöhung des Bürgergelds schwächt die Anreize zur Aufnahme einer Arbeit. Das gilt vor allem für gering qualifizierte Arbeitskräfte mit vielen Kindern.“
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank : „Wer arbeitet, muss mehr verdienen, als wer nicht arbeitet. Das hat etwas mit der Höhe des Bürgergeldes zu tun. Aber noch mehr mit der Anrechnung von Hinzuverdienst. Das Aufstocken war schon bei Hartz IV die Schwachstelle. Lieber großzügiger beim Aufstocken als bei der Höhe der Grundleistungen.“
Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) : „Die Bürgergelderhöhung ging einher mit Anhebungen des Wohngelds, der Kinderzuschläge und des Kindergeldes und einem höheren Grundfreibetrag, daher ist das Lohnabstandsgebot gewahrt. Grundsätzlich sind Anhebungen in Ordnung, weil Inflation und explodierende Mietpreise einkommensschwache Haushalte besonders treffen. Allerdings lohnt sich Mehrarbeit im Niedriglohnsektor häufig nicht, weil der Wechsel von Teil- zu Vollzeit oft weniger Netto bedeutet. Wenn der Erwerbsfreibetrag erhöht würde, könnte der Wechsel auf Vollzeit wieder attraktiver werden. Problematischer sind eher die wegfallenden Sanktionen, sodass sich Bürgergeldempfänger weniger um die schnelle Aufnahme von Arbeit kümmern müssen.“
Anders als das Bürgergeld stiegen die Löhne zuletzt kaum, fielen sogar mehrere Male in Folge, wie der Reallohnindex zeigt. Unterdessen verkünden manche Großkonzerne rekordverdächtige Ergebnisse. Wieso kommt dieser Erfolg nicht beim Arbeitnehmer an?
Fratzscher : „Der Lohnabstand ist seit Einführung des Mindestlohns 2015 nicht kleiner, sondern größer geworden: Hartz IV und jetzt Bürgergeld sind seitdem um 41 Prozent gestiegen, der Mindestlohn um 46 Prozent.“
Krämer : „Lohnverhandlungen finden in der Regel nur einmal im Jahr statt. Deshalb zeigt sich der geschäftliche Erfolg erst bei den Gewinnen und dann bei den Löhnen. Aber zuletzt sind die Löhne bereits schneller gestiegen. Die bisherigen Tarifverhandlungen zeigen, dass sich der Trend zu höheren Lohnabschlüssen fortsetzt.“
Kater : „Bei einem überraschenden Einbruch der Inflation ist es unvermeidlich, dass die Reallöhne fallen; auch eine Pandemie trägt nicht gerade zum Reallohnwachstum bei. Die Reallöhne werden diese Rückschläge in ein bis zwei Jahren wieder aufgeholt haben. Man darf auch nicht vergessen, dass die Reallöhne vor der Coronakrise im Durchschnitt jahrelang gestiegen sind.“
Hüther : „Dass Reallöhne sinken, liegt an der außerordentlichen gesamtwirtschaftlichen Situation mit hoher Inflation, die zunächst von hohen Energiepreisen getrieben war und sich jetzt in einer starren Kerninflation festgesetzt hat. Viele Großunternehmen zahlen steuerfreie Inflationsausgleichsprämien, zudem gab es im vergangenen und diesem Jahr kräftige Lohnsteigerungen. Die Industrie leidet momentan unter einer existentiellen Krise und ächzt neben hohen Energiepreisen unter sehr hohen Lohnstückkosten. Die Spielräume sind eng. Eine Zurückhaltung in den Tarifverhandlungen, wie etwa bei der Chemieindustrie, ist von Seiten der Gewerkschaften daher verantwortungsvoll und gerecht.“
Muss der Mindestlohn nun steigen? Oder anders gefragt: Was könnte der Staat nun tun, um das Lohnwachstum zu treiben? Sollte er es überhaupt?
Fratzscher : „Die Erhöhung des Bürgergelds um 12 Prozent ist durch die sehr hohe Inflation für Menschen mit geringen Einkommen völlig gerechtfertigt und gleicht noch nicht einmal die gestiegenen Preise für die Betroffenen aus. Das Problem ist, dass der Mindestlohn zum Jahreswechsel viel zu wenig erhöht wird und die Beschäftigten deutliche Verluste in ihren Reallöhnen und damit ihrem Lebensstandard erfahren. Um die Inflation von 2022, 2023 und 2024 auszugleichen, hätte der Mindestlohn auf knapp 14 Euro steigen müssen.“
Krämer : „Es ist in einer Marktwirtschaft nicht Aufgabe des Staates, in Lohnverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden einzugreifen. Wenn der Staat nachhaltig höhere Löhne fördern möchte, dann sollte er endlich für ordentliche Schulen sorgen, die für breite Bevölkerungsschichten die Basis legen, sich besser zu qualifizieren und dann gut zu verdienen. Leider sind heutzutage zu viele Jugendliche wegen mangelnder Schulbildung nicht in der Lage, eine berufliche Ausbildung zu absolvieren.“
Kater : „Die gegenwärtige Anpassung des Bürgergeldes ist eher ein Ausgleich der Inflation aus den vergangenen beiden Jahren. Beim Mindestlohn ist dieser Ausgleich ebenfalls bereits geschehen. Darüber hinaus besteht erstmal kein Handlungsbedarf mehr.“
Hüther : „Der Staat hat mit drei Entlastungspaketen in Höhe von 240 Milliarden Euro bereits viel getan und insbesondere Geringverdiener unterstützt. Ein Single mit einem Bruttoeinkommen von 25.000 Euro hat in beiden Jahren rund 2.000 Euro Entlastungen erhalten, eine Familie mit zwei Kindern und Einkommen von 40.000 Euro konnte mit über 10.000 Euro rechnen. In beiden Fällen sind etwaige Inflationsprämien noch nicht eingerechnet. Es ist also viel passiert, auch abseits von Mindest- und Tariflöhnen. Deren Aushandlung ist den Tarifpartnern und der Mindestlohnkommission vorbehalten und sollte nicht politisch festgelegt werden. Der Staat hat mit den Entlastungspaketen Druck aus den Lohnforderungen genommen, dem sollten sich alle bewusst sein.“
In den vergangenen Jahren wurde bei Lohnerhöhungen immer vor der Preis-Lohn-Spirale gewarnt. Wenn nun höhere Löhne nicht kommen sollten, welche Möglichkeiten gibt es dann noch, die Arbeiten wieder attraktiver zu machen? Steuererleichterungen beispielsweise?
Fratzscher : „Ich halte einen Anstieg des Mindestlohns auf 14 Euro für dringend notwendig, auch um soziale Härten zu reduzieren, zumal viele Unternehmen sich höhere Löhne leisten können. Eine Lohn-Preis-Spirale gibt es zurzeit nicht, bisher war es eher der deutliche Anstieg der Unternehmensgewinne, der die Inflation befeuert hat.“
Krämer : „Die Steuern in Deutschland sind hoch. Viele Menschen, die zur Mittelschicht gehören, zahlen bereits den Spitzensteuersatz.“
Kater : „Die Steuer- und Abgabenbelastungen bei den mittleren Einkommen sollte reduziert werden. Aber nicht, ohne Gegenfinanzierungen zu benennen: entweder höhere Steuern für höhere Einkommen oder geringere Staatsausgaben.“
Hüther : „Seit 2015 sehen wir einen Lohndrift, das heißt, dass die tatsächlich gezahlten Löhne über den Tariflöhnen liegen, verursacht durch durch Prämien und andere übertariflichen Leistungen. Um Nettolöhne zu erhöhen, muss an einer der Steuerschrauben gedreht werden, vor allem beim Mittelstand. Die Abflachung des sogenannten Mittelstandsbauchs im Einkommenssteuertarif in einen linear-progressiven Verlauf und eine Verschiebung des Spitzensteuersatzes würde viel bewirken, wäre aber auch teuer. Eine Angleichung der Besteuerung der Teil- zu den Vollzeitstellen würde da mit dem Spielräume schaffen. Für hohe Einkommen wäre es gerecht, wenn die freiwillige Teilzeitstelle ebenso besteuert würde wie die Vollzeitstelle. In Deutschland werden wir uns in Zukunft immer weniger leisten können, so wenig zu arbeiten wie derzeit.“
Zitat von Gast am 16. Oktober 2023, 05:53 UhrCDU will Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit für Bürgergeld-Empfänger – Grüne klar dagegen
CDU-Generalsekretär Linnemann schlägt vor, dass erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger gemeinnützige Jobs übernehmen sollen – wenn sie ein halbes Jahr vergeblich auf Stellensuche waren. In der Ampel-Koalition löst der Vorstoß neuen Streit aus.
Neben den Asylbewerbern mit Bleibeperspektive sollen nach dem Willen der Union künftig auch erwerbsfähige Bezieher von Bürgergeld zu gemeinnützigen Tätigkeiten verpflichtet werden, wenn sie nach sechs Monaten noch keinen eigenen Arbeitsplatz gefunden haben. Eine entsprechende Initiative hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann für das kommende Frühjahr, also vor den Wahlkämpfen des Jahres 2024, angekündigt. Energischen Widerspruch gibt es allerdings bereits jetzt – vor allem von den Grünen. Deren Koalitionspartner FDP signalisiert hingegen Unterstützung.
Linnemanns Plan sieht vor, dass Empfänger von Bürgergeld, die sechs Monate nach der ersten Zahlung noch keinen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, „einer gemeinnützigen Tätigkeit nachgehen“ müssten. „Wer dem nicht nachkommt, dem muss die Stütze deutlich gekürzt werden“, so der Christdemokrat in der „Bild am Sonntag“. Er begründete seinen Vorstoß mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Angesichts zahlreicher offener Stellen und geringer werdender Vermittlungserfolge der Arbeitsagenturen müsse jeder arbeitsfähige Sozialleistungsempfänger einen Job annehmen. „Und wer keine Arbeit findet, muss eine gemeinnützige Tätigkeit übernehmen.“
Eine Haltung, die auch der Präsident des Deutschen Landkreistages, Linnemanns Parteifreund Reinhold Sager, teilt. Nach seiner Einschätzung würde sowohl die von der Ministerpräsidentenkonferenz am vergangenen Freitag vorgeschlagene Arbeitspflicht für Asylbewerber mit Bleibeperspektive als auch eine entsprechende Verpflichtung erwerbsfähiger Bürgergeldbezieher dem Zusammenhalt der Gesellschaft nutzen. Allerdings sei es für die Kommunen „mühsam und aufwendig“, gemeinnützige Arbeitsverpflichtungen zu organisieren.
„Wir sind in den vergangenen Jahren zu weit weggekommen vom Fördern und Fordern“, so Sager zu WELT, „dies wieder zu ändern, wäre auch im Interesse all derjenigen, die täglich auch für relativ geringe Löhne ihrer Arbeit nachgehen“.
„Großer bürokratischer Aufwand vor Ort“
In der Ampel-Koalition gehen die Meinungen über den Vorstoß auseinander. Während die FDP Zustimmung signalisiert, lehnen SPD und Grüne insbesondere eine Verpflichtung zu gemeinnützigen Tätigkeiten ab. Andreas Audretsch, Vize-Fraktionschef der Grünen, verwies zur Begründung auf den „großen bürokratischen Aufwand vor Ort“, der mit einer solchen Verpflichtung verbunden sei. Um diese anzuordnen, was laut Sozialgesetzgebung bereits jetzt möglich sei, müssten zum Beispiel Kommunen zunächst nachweisen, dass mit diesen Tätigkeiten keine regulär bezahlten Jobs verdrängt würden.
„Beispiel Pflege von Parks – dafür gibt es Unternehmen, die zahlen echte Löhne“, so Audretsch. Es wäre absurd, diese Unternehmen nun vom Markt zu verdrängen, weil Herr Linnemann gerade einen populistischen Punkt landen will.“ Der arbeitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, bezeichnete Linnemanns Vorstoß als „Ladenhüter, der bei genauerem Hinsehen keines der Probleme löst“.
Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, verwies indes darauf, dass „gemeinnützige Arbeit für den Arbeitsmarkt wertvolle Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln“ könne. Dies sei auch „leitender Gedanke“ der sogenannten Ein-Euro-Jobs gewesen, „die leider unter CDU-Regierungen immer mehr in den Hintergrund getreten sind“. Für die FDP sei wichtig, dass Solidarität nicht zur Einbahnstraße werde. „Deshalb werden wir auch weiterhin das Prinzip von Mitwirkungspflichten und Sanktionen verteidigen.“ Aus- und Weiterbildung müssten aber Vorrang vor gemeinnütziger Beschäftigung haben.
Unterstützung für Linnemanns Vorstoß signalisierte auch die AfD-Fraktion. Deren arbeits- und sozialpolitischer Sprecher René Springer verwies darauf, dass sich seine Partei seit einem Jahr für eine „aktivierende Grundsicherung“ einsetze. Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte solle es nach einer Karenzzeit von sechs Monaten eine verpflichtende Bürgerarbeit im gemeinnützigen Bereich geben. „Wer sich der Pflicht zur Bürgerarbeit entzieht, soll statt Geldleistungen nur noch Sachleistungen erhalten. Bei Totalverweigerern werden die Sozialleistungen komplett gestrichen.“
Bürgergeld erhalten erwerbsfähige Menschen zwischen 15 und 67 Jahren, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen bestreiten können. Es beträgt derzeit 502 Euro für Alleinstehende und 902 Euro für Paare. Ab Januar 2024 erhöhen sich die Sätze auf 563 beziehungsweise 1012 Euro. Aktuell beziehen rund vier Millionen erwerbsfähige Menschen Bürgergeld.
CDU will Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit für Bürgergeld-Empfänger – Grüne klar dagegen
CDU-Generalsekretär Linnemann schlägt vor, dass erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger gemeinnützige Jobs übernehmen sollen – wenn sie ein halbes Jahr vergeblich auf Stellensuche waren. In der Ampel-Koalition löst der Vorstoß neuen Streit aus.
Neben den Asylbewerbern mit Bleibeperspektive sollen nach dem Willen der Union künftig auch erwerbsfähige Bezieher von Bürgergeld zu gemeinnützigen Tätigkeiten verpflichtet werden, wenn sie nach sechs Monaten noch keinen eigenen Arbeitsplatz gefunden haben. Eine entsprechende Initiative hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann für das kommende Frühjahr, also vor den Wahlkämpfen des Jahres 2024, angekündigt. Energischen Widerspruch gibt es allerdings bereits jetzt – vor allem von den Grünen. Deren Koalitionspartner FDP signalisiert hingegen Unterstützung.
Linnemanns Plan sieht vor, dass Empfänger von Bürgergeld, die sechs Monate nach der ersten Zahlung noch keinen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, „einer gemeinnützigen Tätigkeit nachgehen“ müssten. „Wer dem nicht nachkommt, dem muss die Stütze deutlich gekürzt werden“, so der Christdemokrat in der „Bild am Sonntag“. Er begründete seinen Vorstoß mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Angesichts zahlreicher offener Stellen und geringer werdender Vermittlungserfolge der Arbeitsagenturen müsse jeder arbeitsfähige Sozialleistungsempfänger einen Job annehmen. „Und wer keine Arbeit findet, muss eine gemeinnützige Tätigkeit übernehmen.“
Eine Haltung, die auch der Präsident des Deutschen Landkreistages, Linnemanns Parteifreund Reinhold Sager, teilt. Nach seiner Einschätzung würde sowohl die von der Ministerpräsidentenkonferenz am vergangenen Freitag vorgeschlagene Arbeitspflicht für Asylbewerber mit Bleibeperspektive als auch eine entsprechende Verpflichtung erwerbsfähiger Bürgergeldbezieher dem Zusammenhalt der Gesellschaft nutzen. Allerdings sei es für die Kommunen „mühsam und aufwendig“, gemeinnützige Arbeitsverpflichtungen zu organisieren.
„Wir sind in den vergangenen Jahren zu weit weggekommen vom Fördern und Fordern“, so Sager zu WELT, „dies wieder zu ändern, wäre auch im Interesse all derjenigen, die täglich auch für relativ geringe Löhne ihrer Arbeit nachgehen“.
„Großer bürokratischer Aufwand vor Ort“
In der Ampel-Koalition gehen die Meinungen über den Vorstoß auseinander. Während die FDP Zustimmung signalisiert, lehnen SPD und Grüne insbesondere eine Verpflichtung zu gemeinnützigen Tätigkeiten ab. Andreas Audretsch, Vize-Fraktionschef der Grünen, verwies zur Begründung auf den „großen bürokratischen Aufwand vor Ort“, der mit einer solchen Verpflichtung verbunden sei. Um diese anzuordnen, was laut Sozialgesetzgebung bereits jetzt möglich sei, müssten zum Beispiel Kommunen zunächst nachweisen, dass mit diesen Tätigkeiten keine regulär bezahlten Jobs verdrängt würden.
„Beispiel Pflege von Parks – dafür gibt es Unternehmen, die zahlen echte Löhne“, so Audretsch. Es wäre absurd, diese Unternehmen nun vom Markt zu verdrängen, weil Herr Linnemann gerade einen populistischen Punkt landen will.“ Der arbeitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, bezeichnete Linnemanns Vorstoß als „Ladenhüter, der bei genauerem Hinsehen keines der Probleme löst“.
Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, verwies indes darauf, dass „gemeinnützige Arbeit für den Arbeitsmarkt wertvolle Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln“ könne. Dies sei auch „leitender Gedanke“ der sogenannten Ein-Euro-Jobs gewesen, „die leider unter CDU-Regierungen immer mehr in den Hintergrund getreten sind“. Für die FDP sei wichtig, dass Solidarität nicht zur Einbahnstraße werde. „Deshalb werden wir auch weiterhin das Prinzip von Mitwirkungspflichten und Sanktionen verteidigen.“ Aus- und Weiterbildung müssten aber Vorrang vor gemeinnütziger Beschäftigung haben.
Unterstützung für Linnemanns Vorstoß signalisierte auch die AfD-Fraktion. Deren arbeits- und sozialpolitischer Sprecher René Springer verwies darauf, dass sich seine Partei seit einem Jahr für eine „aktivierende Grundsicherung“ einsetze. Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte solle es nach einer Karenzzeit von sechs Monaten eine verpflichtende Bürgerarbeit im gemeinnützigen Bereich geben. „Wer sich der Pflicht zur Bürgerarbeit entzieht, soll statt Geldleistungen nur noch Sachleistungen erhalten. Bei Totalverweigerern werden die Sozialleistungen komplett gestrichen.“
Bürgergeld erhalten erwerbsfähige Menschen zwischen 15 und 67 Jahren, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen bestreiten können. Es beträgt derzeit 502 Euro für Alleinstehende und 902 Euro für Paare. Ab Januar 2024 erhöhen sich die Sätze auf 563 beziehungsweise 1012 Euro. Aktuell beziehen rund vier Millionen erwerbsfähige Menschen Bürgergeld.
Zitat von Gast am 23. Oktober 2023, 06:18 UhrIn Deutschland leben Millionen Menschen von Bürgergeld beziehungsweise Hartz IV. Rund 1,5 Millionen beziehen diese Leistungen seit fünf Jahren oder länger. Darauf hat die AfD im Bundestag unter Berufung auf eine von ihr angeforderte Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit hingewiesen, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt.
Das sind demnach 41 Prozent der sogenannten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten insgesamt. In Berlin sind es 49 Prozent, in Bremen 47 Prozent. 62 Prozent der Betroffenen sind bundesweit Deutsche, 38 Prozent Ausländer.
Der AfD-Abgeordnete René Springer, der die Anfrage gestellt hatte, sagte, der jahrelange Bürgergeld-Bezug berge sozialen Sprengstoff. Er forderte eine verpflichtende Bürgerarbeit im gemeinnützigen Bereich. Wer sich dieser entziehe, solle statt Geld- nur noch Sachleistungen erhalten.
In Deutschland leben Millionen Menschen von Bürgergeld beziehungsweise Hartz IV. Rund 1,5 Millionen beziehen diese Leistungen seit fünf Jahren oder länger. Darauf hat die AfD im Bundestag unter Berufung auf eine von ihr angeforderte Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit hingewiesen, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt.
Das sind demnach 41 Prozent der sogenannten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten insgesamt. In Berlin sind es 49 Prozent, in Bremen 47 Prozent. 62 Prozent der Betroffenen sind bundesweit Deutsche, 38 Prozent Ausländer.
Der AfD-Abgeordnete René Springer, der die Anfrage gestellt hatte, sagte, der jahrelange Bürgergeld-Bezug berge sozialen Sprengstoff. Er forderte eine verpflichtende Bürgerarbeit im gemeinnützigen Bereich. Wer sich dieser entziehe, solle statt Geld- nur noch Sachleistungen erhalten.
Zitat von Gast am 2. November 2023, 06:32 UhrDer deutsche Sozialstaat hat ein Problem und ist ein Problem – wenn es darum geht, Menschen aus der Sozialhilfe in Jobs zu bringen. Mit einem Konstrukt aus zahlreichen Sozialleistungen hat er Hürden aufgebaut, die den Schritt hin zu einer eigenen Arbeit wenig attraktiv machen. Zwar bietet er Hilfeempfängern Qualifikationen an, darf drängen oder auch Leistungen kürzen. Letztlich sind die Anreize für eine Arbeitsaufnahme aber sehr gering. Und das ist ein Dilemma, aus dem der Staat keinen Ausweg findet – obwohl es genug Jobs gibt.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat das Thema jetzt für sich entdeckt und fordert einen Umbau des Sozialstaates. «Es ist zu viel Verteilung, es ist zu viel Sozialpolitik, da müssen wir ran», sagte der FDP-Chef der «Rheinischen Post». Er will Leistungen kürzen, damit der sogenannte Lohnabstand gewahrt bleibt. Auch CDU-Chef Friedrich Merz diagnostizierte jüngst «Probleme mit dem Lohnabstand».
Einen Weg, wie der Umbau des Sozialstaates erfolgen soll, zeigen aber beide Politiker nicht auf. Denn das Problem ist hochkomplex und Resultat zahlreicher schlecht aufeinander abgestimmter Sozialleistungen. Ebenso lassen sich auf den Marktplätzen mit grossen Reformen keine Wählerstimmen gewinnen. Die SPD hatte dies 2005 am eignen Leib erfahren, als die damalige Regierung eine Arbeitsmarktreform durchsetzte und dann die Kanzlerschaft verlor.
Geringverdiener haben das Nachsehen
Gleich zwei Mal hintereinander – jeweils zu Anfang der Jahre 2023 und 2024 – wurde beziehungsweise wird in Deutschland die Sozialhilfe, jetzt Bürgergeld, um rund zwölf Prozent erhöht. Damit steigen die Regelsätze deutlich schneller als die Löhne.
Ab nächstem Jahr bekommen alleinlebende Erwachsende 563 Euro im Monat und damit 61 Euro mehr. Die Beträge für Paare, Kinder und Jugendliche werden entsprechend auch angehoben. Dazu werden die Wohnkosten übernommen. Die Erhöhung ergibt sich aus der Inflation und einer neuen Berechnungsformel, der auch die oppositionelle Union im Bundestag zugestimmt hat. Die Konsequenzen daraus sind aber für den Arbeitsmarkt enorm.
Eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) kommt zu dem Ergebnis, dass zwar Geringverdiener, die Vollzeit arbeiten, am Ende mehr als Sozialhilfeempfänger im Portemonnaie haben – aber nur, weil sie zusätzlich sogenannte aufstockende staatliche Hilfe beziehen. Mit dem Verdienst aus der eigenen Arbeit schaffen sie es nicht. Damit wird der Grundsatz, dass sich Arbeit für alle lohnen muss, ausgehebelt.Der Lohnabstand sei nicht erfüllt, sagt Ulrich Schmidt vom IfW, der die Studie erstellte. «Deshalb müssen die Anreize für eine Arbeitsaufnahme erhöht werden. Im Moment ist der Anreiz sehr gering.» Dazu gehöre eine Erhöhung des Mindestlohns, um die Situation von Geringverdienern zu verbessern, sagt Schmidt der NZZ. Zurzeit beträgt der Mindestlohn zwölf Euro pro Stunde.
«Wichtig ist auch, dass für ärmere Haushalte das Kindergeld deutlich erhöht wird, es also einkommensabhängig gezahlt wird», sagt Schmidt. Bei reicheren Haushalten müsse es dann abschmelzen. Derzeit werden pro Kind pauschal 250 Euro pro Monat gezahlt.
Wenig Ansporn für einen Vollzeit-Job
Wer eine Vollzeitstelle zum Mindestlohn annimmt, dem bleiben nach der Studie mindestens 348 Euro (Haushalt ohne Kinder) oder 378 Euro (Haushalt mit Kindern) mehr. Umgerechnet auf den Stundenlohn haben die Geringverdiener dann etwa zwei Euro mehr Einkommen pro Stunde als ein Sozialhilfeempfänger. «Dies bedeutet, dass selbst das kinderlose Paar bei Mindestlohn zum Aufstockerhaushalt wird», heisst es in der Studie.
Dazu kommt, dass mögliche Fahrtkosten zur Arbeit anfallen, die selbst übernommen werden müssen. Im Gegenzug fallen Vergünstigungen für Sozialhilfeempfänger wie kostenloses Schul-Mittagessen in einigen Bundesländern, vergünstigte Kita oder das kostenlose Nahverkehrsticket weg. Diese Faktoren sind variabel, führen aber dazu, dass Geringverdiener am Ende schlechtergestellt sein können als Sozialhilfeempfänger.
Ein weiteres Problem in dem Konglomerat schlecht abgestimmter Wechselwirkungen ist: Sozialhilfeempfänger dürfen zwar Geld dazuverdienen, aber gegenwärtig nur 100 Euro im Monat komplett behalten. Wer mehr verdient, dem bleiben zwischen 10 und 30 Prozent des Lohnes. Dadurch gebe es nur Anreize, einen Mini-Job aufzunehmen, aber keine zur Aufnahme einer Vollzeitstelle, heisst es in der IfW-Studie.
Verschiedene Untersuchungen belegen aber, dass Mini-Jobs Langzeitarbeitslosen in nur wenigen Fällen einen Ausweg aus der staatlichen Hilfe bieten. Viel erfolgreicher sind reguläre Jobs, auch wenn Teilzeit gearbeitet wird. Zurzeit beziehen in Deutschland rund 5,5 Millionen Menschen Sozialhilfe. Etwa 1,6 Millionen von ihnen gelten als nicht erwerbsfähig, weil es sich beispielsweise um Minderjährige oder kranke Menschen handelt.
Durch Mindestlohn-Erhöhung mehr Lohnabstand schaffen
Das Bundesarbeitsministerium kennt die Berechnungen und die daraus resultierende Zwickmühle. Arbeitsminister Hubertus Heil betont immer wieder, Leistung und Einsatz müssten sich lohnen. Das sei eine Frage des Respekts und der Lohngerechtigkeit. Der Sozialdemokrat sieht höhere Mindestlöhne und eine stärkere Tarifbindung als Schlüssel dafür. Er hat beim Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung eine Studie zum Lohnabstandsgebot – oder, wie das Ministerium betont, ein «Forschungsvorhaben zur Reform der Transferentzugsraten und Verbesserung der Erwerbsanreize» – in Auftrag gegeben. Ende November sollen die Ergebnisse vorliegen.
Aber so viel lässt sich schon heute sagen: Die Resultate werden nicht überraschen. Auch deshalb, weil es nur wenige Hebel gibt, die bedient werden können. Denn das Bürgergeld soll das Existenzminimum sichern. Das Bundesverfassungsgericht hat das in mehreren Urteilen vorgegeben. Kürzungen kommen für die Politik deshalb derzeit nicht in Betracht. Volkswirt Schmidt vom IfW Kiel sagt jedoch, es müsse auch eine Debatte darüber geführt werden, wie hoch das Existenzminimum eigentlich sein solle.
So bleiben beispielsweise Änderungen bei den Zuverdienstmöglichkeiten und Steuerabsenkungen für Geringverdiener als Hebel. Damit wird aber nur am System herumgedoktert, ein effizienter Umbau erfolgt nicht. Der im Land oft verbreiteten Stimmung, dass sich Arbeit nicht für alle lohnt, wird damit auch nicht entgegengewirkt.
Der deutsche Sozialstaat hat ein Problem und ist ein Problem – wenn es darum geht, Menschen aus der Sozialhilfe in Jobs zu bringen. Mit einem Konstrukt aus zahlreichen Sozialleistungen hat er Hürden aufgebaut, die den Schritt hin zu einer eigenen Arbeit wenig attraktiv machen. Zwar bietet er Hilfeempfängern Qualifikationen an, darf drängen oder auch Leistungen kürzen. Letztlich sind die Anreize für eine Arbeitsaufnahme aber sehr gering. Und das ist ein Dilemma, aus dem der Staat keinen Ausweg findet – obwohl es genug Jobs gibt.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat das Thema jetzt für sich entdeckt und fordert einen Umbau des Sozialstaates. «Es ist zu viel Verteilung, es ist zu viel Sozialpolitik, da müssen wir ran», sagte der FDP-Chef der «Rheinischen Post». Er will Leistungen kürzen, damit der sogenannte Lohnabstand gewahrt bleibt. Auch CDU-Chef Friedrich Merz diagnostizierte jüngst «Probleme mit dem Lohnabstand».
Einen Weg, wie der Umbau des Sozialstaates erfolgen soll, zeigen aber beide Politiker nicht auf. Denn das Problem ist hochkomplex und Resultat zahlreicher schlecht aufeinander abgestimmter Sozialleistungen. Ebenso lassen sich auf den Marktplätzen mit grossen Reformen keine Wählerstimmen gewinnen. Die SPD hatte dies 2005 am eignen Leib erfahren, als die damalige Regierung eine Arbeitsmarktreform durchsetzte und dann die Kanzlerschaft verlor.
Geringverdiener haben das Nachsehen
Gleich zwei Mal hintereinander – jeweils zu Anfang der Jahre 2023 und 2024 – wurde beziehungsweise wird in Deutschland die Sozialhilfe, jetzt Bürgergeld, um rund zwölf Prozent erhöht. Damit steigen die Regelsätze deutlich schneller als die Löhne.
Ab nächstem Jahr bekommen alleinlebende Erwachsende 563 Euro im Monat und damit 61 Euro mehr. Die Beträge für Paare, Kinder und Jugendliche werden entsprechend auch angehoben. Dazu werden die Wohnkosten übernommen. Die Erhöhung ergibt sich aus der Inflation und einer neuen Berechnungsformel, der auch die oppositionelle Union im Bundestag zugestimmt hat. Die Konsequenzen daraus sind aber für den Arbeitsmarkt enorm.
Der Lohnabstand sei nicht erfüllt, sagt Ulrich Schmidt vom IfW, der die Studie erstellte. «Deshalb müssen die Anreize für eine Arbeitsaufnahme erhöht werden. Im Moment ist der Anreiz sehr gering.» Dazu gehöre eine Erhöhung des Mindestlohns, um die Situation von Geringverdienern zu verbessern, sagt Schmidt der NZZ. Zurzeit beträgt der Mindestlohn zwölf Euro pro Stunde.
«Wichtig ist auch, dass für ärmere Haushalte das Kindergeld deutlich erhöht wird, es also einkommensabhängig gezahlt wird», sagt Schmidt. Bei reicheren Haushalten müsse es dann abschmelzen. Derzeit werden pro Kind pauschal 250 Euro pro Monat gezahlt.
Wenig Ansporn für einen Vollzeit-Job
Wer eine Vollzeitstelle zum Mindestlohn annimmt, dem bleiben nach der Studie mindestens 348 Euro (Haushalt ohne Kinder) oder 378 Euro (Haushalt mit Kindern) mehr. Umgerechnet auf den Stundenlohn haben die Geringverdiener dann etwa zwei Euro mehr Einkommen pro Stunde als ein Sozialhilfeempfänger. «Dies bedeutet, dass selbst das kinderlose Paar bei Mindestlohn zum Aufstockerhaushalt wird», heisst es in der Studie.
Dazu kommt, dass mögliche Fahrtkosten zur Arbeit anfallen, die selbst übernommen werden müssen. Im Gegenzug fallen Vergünstigungen für Sozialhilfeempfänger wie kostenloses Schul-Mittagessen in einigen Bundesländern, vergünstigte Kita oder das kostenlose Nahverkehrsticket weg. Diese Faktoren sind variabel, führen aber dazu, dass Geringverdiener am Ende schlechtergestellt sein können als Sozialhilfeempfänger.
Ein weiteres Problem in dem Konglomerat schlecht abgestimmter Wechselwirkungen ist: Sozialhilfeempfänger dürfen zwar Geld dazuverdienen, aber gegenwärtig nur 100 Euro im Monat komplett behalten. Wer mehr verdient, dem bleiben zwischen 10 und 30 Prozent des Lohnes. Dadurch gebe es nur Anreize, einen Mini-Job aufzunehmen, aber keine zur Aufnahme einer Vollzeitstelle, heisst es in der IfW-Studie.
Verschiedene Untersuchungen belegen aber, dass Mini-Jobs Langzeitarbeitslosen in nur wenigen Fällen einen Ausweg aus der staatlichen Hilfe bieten. Viel erfolgreicher sind reguläre Jobs, auch wenn Teilzeit gearbeitet wird. Zurzeit beziehen in Deutschland rund 5,5 Millionen Menschen Sozialhilfe. Etwa 1,6 Millionen von ihnen gelten als nicht erwerbsfähig, weil es sich beispielsweise um Minderjährige oder kranke Menschen handelt.
Durch Mindestlohn-Erhöhung mehr Lohnabstand schaffen
Das Bundesarbeitsministerium kennt die Berechnungen und die daraus resultierende Zwickmühle. Arbeitsminister Hubertus Heil betont immer wieder, Leistung und Einsatz müssten sich lohnen. Das sei eine Frage des Respekts und der Lohngerechtigkeit. Der Sozialdemokrat sieht höhere Mindestlöhne und eine stärkere Tarifbindung als Schlüssel dafür. Er hat beim Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung eine Studie zum Lohnabstandsgebot – oder, wie das Ministerium betont, ein «Forschungsvorhaben zur Reform der Transferentzugsraten und Verbesserung der Erwerbsanreize» – in Auftrag gegeben. Ende November sollen die Ergebnisse vorliegen.
Aber so viel lässt sich schon heute sagen: Die Resultate werden nicht überraschen. Auch deshalb, weil es nur wenige Hebel gibt, die bedient werden können. Denn das Bürgergeld soll das Existenzminimum sichern. Das Bundesverfassungsgericht hat das in mehreren Urteilen vorgegeben. Kürzungen kommen für die Politik deshalb derzeit nicht in Betracht. Volkswirt Schmidt vom IfW Kiel sagt jedoch, es müsse auch eine Debatte darüber geführt werden, wie hoch das Existenzminimum eigentlich sein solle.
So bleiben beispielsweise Änderungen bei den Zuverdienstmöglichkeiten und Steuerabsenkungen für Geringverdiener als Hebel. Damit wird aber nur am System herumgedoktert, ein effizienter Umbau erfolgt nicht. Der im Land oft verbreiteten Stimmung, dass sich Arbeit nicht für alle lohnt, wird damit auch nicht entgegengewirkt.
Zitat von Gast am 10. November 2023, 06:39 UhrHeil braucht 2,1 Milliarden mehr: Wirtschaftsflaute bringt Kosten-Schock bei Bürgergeld
Bei der Einführung preist Arbeitsminister Heil das Bürgergeld als Jahrhundertreform. Jetzt macht die Novelle der Ampel viel Ärger. Weil die wirtschaftliche Lage düster ist, explodieren die Kosten auf fast 26 Milliarden Euro im Jahr. Die Union sieht einen Systemfehler.
Das neue Bürgergeld verursacht einem Medienbericht zufolge deutlich höhere Ausgaben als von der Bundesregierung im Haushalt für das laufende Jahr eingeplant. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD benötigt bis zu 2,1 Milliarden Euro mehr als im Etat vorgesehen, wie die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf ein Schreiben von Finanz-Staatssekretär Florian Toncar an den Haushaltsausschuss des Bundestages berichtete.
Demnach hat Heil "eine überplanmäßige Ausgabe" in Höhe von bis zu 2,1 Milliarden Euro beantragt, weil die Zahl der Bürgergeld-Bezieher wegen der "deutlich eingetrübten wirtschaftlichen Lage" gestiegen ist, zitierte "Bild" aus dem zweiseitigen Schreiben. Die Bürgergeld-Ausgaben dürften damit in diesem Jahr auf insgesamt 25,9 Milliarden Euro steigen.
Dem Bericht zufolge benötigen die Bürgergeld-Bezieher offenbar auch mehr Leistungen. Die "Netto-Leistungen je Bedarfsgemeinschaft" hätten sich "im Vergleich zur Erwartung vom Herbst 2022 dynamischer entwickelt", heißt es in dem Schreiben an den Haushaltsausschuss.
Union: System setzt falsche Anreize
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Christian Haase, befürchtet angesichts der Zahlen nun einen weiteren Anstieg der Bürgergeld-Ausgaben im Jahr 2024 auf mehr als 27 Milliarden Euro. Das wäre rund fünf Milliarden oder gut 22 Prozent mehr als noch im Jahr 2022 (Hartz IV). "Die Steigerungen zeigen, dass dieses System falsche Anreize setzt. Zu viel Hängematte, zu wenig Fordern und Fördern. Diese Ausgabendynamik muss gebremst werden", sagte Haase.
Aktuell beziehen mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld. Ab Januar 2024 wird das Bürgergeld um zwölf Prozent erhöht. Die von der Bundesregierung beschlossene ungewöhnlich hohe Steigerung geht auf die Inflation und auf die steigenden Nettolöhne zurück. Das Bürgergeld hatte zu Beginn des Jahres die bisherigen Hartz-IV-Zahlungen abgelöst.
Heil braucht 2,1 Milliarden mehr: Wirtschaftsflaute bringt Kosten-Schock bei Bürgergeld
Bei der Einführung preist Arbeitsminister Heil das Bürgergeld als Jahrhundertreform. Jetzt macht die Novelle der Ampel viel Ärger. Weil die wirtschaftliche Lage düster ist, explodieren die Kosten auf fast 26 Milliarden Euro im Jahr. Die Union sieht einen Systemfehler.
Das neue Bürgergeld verursacht einem Medienbericht zufolge deutlich höhere Ausgaben als von der Bundesregierung im Haushalt für das laufende Jahr eingeplant. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD benötigt bis zu 2,1 Milliarden Euro mehr als im Etat vorgesehen, wie die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf ein Schreiben von Finanz-Staatssekretär Florian Toncar an den Haushaltsausschuss des Bundestages berichtete.
Demnach hat Heil "eine überplanmäßige Ausgabe" in Höhe von bis zu 2,1 Milliarden Euro beantragt, weil die Zahl der Bürgergeld-Bezieher wegen der "deutlich eingetrübten wirtschaftlichen Lage" gestiegen ist, zitierte "Bild" aus dem zweiseitigen Schreiben. Die Bürgergeld-Ausgaben dürften damit in diesem Jahr auf insgesamt 25,9 Milliarden Euro steigen.
Dem Bericht zufolge benötigen die Bürgergeld-Bezieher offenbar auch mehr Leistungen. Die "Netto-Leistungen je Bedarfsgemeinschaft" hätten sich "im Vergleich zur Erwartung vom Herbst 2022 dynamischer entwickelt", heißt es in dem Schreiben an den Haushaltsausschuss.
Union: System setzt falsche Anreize
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Christian Haase, befürchtet angesichts der Zahlen nun einen weiteren Anstieg der Bürgergeld-Ausgaben im Jahr 2024 auf mehr als 27 Milliarden Euro. Das wäre rund fünf Milliarden oder gut 22 Prozent mehr als noch im Jahr 2022 (Hartz IV). "Die Steigerungen zeigen, dass dieses System falsche Anreize setzt. Zu viel Hängematte, zu wenig Fordern und Fördern. Diese Ausgabendynamik muss gebremst werden", sagte Haase.
Aktuell beziehen mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld. Ab Januar 2024 wird das Bürgergeld um zwölf Prozent erhöht. Die von der Bundesregierung beschlossene ungewöhnlich hohe Steigerung geht auf die Inflation und auf die steigenden Nettolöhne zurück. Das Bürgergeld hatte zu Beginn des Jahres die bisherigen Hartz-IV-Zahlungen abgelöst.
Zitat von Gast am 16. November 2023, 14:36 UhrDIW-Ökonom Fratzscher ist überzeugt, „dass die große Mehrheit gern arbeiten möchte“ - trotz Bürgergeld. Wenn man sich aber die nackten Zahlen anschaut, dann erkennt man den ganzen Bürgergeld-Irrtum.
Ist es auf der Couch mit Bürgergeld angenehmer als mit einem 40-Stunden-Job, bei dem nicht viel mehr Geld übrigbleibt? Die politische Debatte darüber, wie gut es sich mit der staatlichen „Stütze“, die bis Ende 2022 Hartz IV genannt wurde und seit 2023 Bürgergeld heißt, leben lässt, hält an.
Eines ist richtig: Einfach die Arbeit einzustellen, um sich als neuen „Arbeitgeber“ das Jobcenter auszusuchen, ist gefährlich. Da hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der Vater des Bürgergelds, recht. „Jemand, der so bescheuert ist, wegen des Bürgergeldes zu kündigen, der bekommt erstmal kein Bürgergeld, der kriegt erst einmal eine Sperre beim Arbeitslosengeld“, wetterte der SPD-Politiker kürzlich in der ARD.
Bürgergeld: Ökonom meint, dass Mehrheit „gerne arbeiten will“
Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn ein Arbeitnehmer den Chef bittet, ihm zu kündigen. Dann gibt es keine Sperre bei den ihm zustehenden Leistungen. Der Ökonom Marcel Fratzscher, Chef des der SPD nahestehenden Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hat sich jetzt im „Deutschlandfunk“ in die Debatte eingeschaltet – mit Argumenten aus wissenschaftlicher Sicht, wie er betonte.
Aufgrund von wissenschaftlichen Studien ist der DIW-Ökonom überzeugt, „dass die große Mehrheit gern arbeiten möchte.“ Die Klagen von Bäckern oder Gastronomen, manche Mitarbeiter fänden das Bürgergeld attraktiver, beantwortet er so: Das könne es „punktuell“ schon geben.
Hier steht also Wissenschaft gegen Praxis. Wobei die Arbeitgeber im Dienstleistungsbereich ebenfalls berichten, dass Bürgergeld-Empfänger sich bei ihnen so gut wie nie um einen Job bewürben.
Fratzscher rechtfertigte im DLF die Bürgergelderhöhung um 12 Prozent zum 1. Januar 2024 mit den gestiegenen Preisen: „Man muss auch berücksichtigen, hier handelt es sich um eine Erhöhung, die nach zwei Jahren zustande kommt. Das gleicht die Inflation für die Menschen, die wenig Einkommen haben, noch nicht einmal aus.“
Anstieg um 25 Prozent beim Bürgergeld
Wieso dies die erste Erhöhung seit zwei Jahren sein soll, verrät Fratzscher nicht. Schließlich sind die Bezüge zum 1. Januar 2022 beim Übergang von Hartz IV zum Bürgergeld deutlich angehoben worden.
Damals verkündete Heils Ministerium auf seiner Homepage stolz: „Seit dem 1. Januar 2023 ist das Bürgergeld-Gesetz in Kraft. Unter anderem sind die Regelbedarfe für Menschen in der Grundsicherung erheblich angestiegen. (…) Seit dem 1. Januar 2023 erhält etwa ein alleinstehender Erwachsener 502 Euro – 53 Euro mehr als bisher.“
Bleibt also festzuhalten: Der Regelbedarf für einen alleinstehenden Erwachsenen von 449 Euro bis Ende 2022 ist 2023 auf 502 Euro angehoben worden und steigt zum 1. Januar 2024 auf 563 Euro.
Von 449 auf 563 Euro, das entspricht einem Anstieg um 25 Prozent. Das gleicht die Inflation, anders als Fratzscher behauptet, sehr wohl aus. Ganz nebenbei: 25 Prozent mehr in zwei Jahren hat es zuletzt in keiner Tarifrunde gegeben.
Nun ist es, entgegen vieler Behauptungen, nicht so, dass man durch Arbeit weniger Geld bekommt als bei „Stütze“. Aber die Differenz ist nicht sehr groß.
2,30 Euro oder 3,69 Euro - das ist nicht „deutlich mehr“
Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat ausgerechnet, dass ein Arbeitnehmerhaushalt, in dem ein Elternteil Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, mindestens 378 Euro netto mehr hat als Bürgergeldbezieher. Pro Arbeitsstunde bleiben der Familie damit gerade mal 2,30 Euro mehr als ohne Arbeit.
Die der SPD nahstehende Hans-Böckler-Stiftung hat bereits berechnet, wie sich die Erhöhungen des Mindestlohns und des Bürgergelds zum 1. Januar 2024 auf den Lohnabstand auswirken werden. Demnach hat ein Single, der Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, 532 Euro mehr. Bei einer Familie mit zwei Kindern erhöht sich der Abstand leicht auf 640 Euro.
Geht man von einer 40-Stunden-Woche aus, bleiben dem berufstätigen Single demnach 3,06 Euro pro Arbeitsstunde mehr als bei Bürgergeldbezug, der Familie 3,69 Euro. Die Aussage, wer arbeite bekomme „deutlich mehr Geld“, erscheint da in einem anderen Licht.
Bürgergeld-Empfänger bekommen viele Vergünstigungen
Bei Geldvergleichen zwischen dem verfügbaren Einkommen von Bürgergeldempfängern und Arbeitnehmern mit niedrigen Löhnen wird gerne übersehen, dass Bürgergeldempfängern noch viele andere Vergünstigungen zustehen.
Wer Bürgergeld bezieht, spart beispielsweise den Rundfunkbeitrag und bekommt Zuschüsse für seine Kinder, so zum Beginn des Schuljahres oder bei Klassenfahrten. Auch werden die Kosten für das Mittagessen der Kinder in der Schule und Kita übernommen.
Einige Bundesländer und Kommunen bieten außerdem Vergünstigungen im Öffentlichen Nahverkehr an. Ermäßigter oder freier Eintritt in Museen oder Schwimmbäder fallen in den einfachen Rechenbeispielen ebenfalls unter den Tisch.
Zudem wird reinen Geld-Vergleichen häufig vergessen, dass jede Berufstätigkeit mit Kosten verbunden ist. Sie entstehen durch die Fahrt zur Arbeitsstätte und die Verpflegung während der Arbeitszeit. Eventuell kommen noch Aufwendungen für Kleidung dazu. Da bleibt von „deutlich mehr Geld“ nicht mehr viel übrig.
Ob gesunde, arbeitsfähige Menschen ihr Einkommen vom Jobcenter beziehen oder von einem „richtigen“ Arbeitgeber, ist nicht nur eine Frage genauen Rechnens. Das hat auch viel mit der Einstellung der Betreffenden zu tun.
Viele Bürger legen Wert darauf, nicht vom Staat abhängig zu sein. Andere brüsten sich geradezu damit, nicht „so dumm“ zu sein, um arbeiten zu gehen.
Staat macht es den Menschen zu leicht
Da hat Fratzscher recht, wenn er sagt, Bürgergeldbezieher seien „keine besseren Menschen (…) auch keine schlechteren Menschen als die, die sehr viel verdienen“. Die Frage ist aber, ob der Staat es manchen nicht zu leicht macht, sich vom Staat – das heißt von arbeitenden Steuerzahlern – aushalten zu lassen.
Die Ampel-Regierung ist stolz darauf, mit dem Bürgergeld ein neues sozialpolitisches Kapitel aufgeschlagen zu haben. In der Tat: Der Zugang ist erleichtert worden, die Sanktionen bei Verstößen sind entschärft, die Leistungen erhöht worden.
Damit ist die Versuchung gewachsen, das System nicht nur zu nutzen, sondern gezielt auszunutzen. Wenn die Politik hier nicht handelt, darf sie sich über den wachsenden Ärger bei den Finanziers des Bürgergelds nicht wunden – der großen Mehrheit der Steuer- und Beitragszahler.
DIW-Ökonom Fratzscher ist überzeugt, „dass die große Mehrheit gern arbeiten möchte“ - trotz Bürgergeld. Wenn man sich aber die nackten Zahlen anschaut, dann erkennt man den ganzen Bürgergeld-Irrtum.
Ist es auf der Couch mit Bürgergeld angenehmer als mit einem 40-Stunden-Job, bei dem nicht viel mehr Geld übrigbleibt? Die politische Debatte darüber, wie gut es sich mit der staatlichen „Stütze“, die bis Ende 2022 Hartz IV genannt wurde und seit 2023 Bürgergeld heißt, leben lässt, hält an.
Eines ist richtig: Einfach die Arbeit einzustellen, um sich als neuen „Arbeitgeber“ das Jobcenter auszusuchen, ist gefährlich. Da hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der Vater des Bürgergelds, recht. „Jemand, der so bescheuert ist, wegen des Bürgergeldes zu kündigen, der bekommt erstmal kein Bürgergeld, der kriegt erst einmal eine Sperre beim Arbeitslosengeld“, wetterte der SPD-Politiker kürzlich in der ARD.
Bürgergeld: Ökonom meint, dass Mehrheit „gerne arbeiten will“
Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn ein Arbeitnehmer den Chef bittet, ihm zu kündigen. Dann gibt es keine Sperre bei den ihm zustehenden Leistungen. Der Ökonom Marcel Fratzscher, Chef des der SPD nahestehenden Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hat sich jetzt im „Deutschlandfunk“ in die Debatte eingeschaltet – mit Argumenten aus wissenschaftlicher Sicht, wie er betonte.
Aufgrund von wissenschaftlichen Studien ist der DIW-Ökonom überzeugt, „dass die große Mehrheit gern arbeiten möchte.“ Die Klagen von Bäckern oder Gastronomen, manche Mitarbeiter fänden das Bürgergeld attraktiver, beantwortet er so: Das könne es „punktuell“ schon geben.
Hier steht also Wissenschaft gegen Praxis. Wobei die Arbeitgeber im Dienstleistungsbereich ebenfalls berichten, dass Bürgergeld-Empfänger sich bei ihnen so gut wie nie um einen Job bewürben.
Fratzscher rechtfertigte im DLF die Bürgergelderhöhung um 12 Prozent zum 1. Januar 2024 mit den gestiegenen Preisen: „Man muss auch berücksichtigen, hier handelt es sich um eine Erhöhung, die nach zwei Jahren zustande kommt. Das gleicht die Inflation für die Menschen, die wenig Einkommen haben, noch nicht einmal aus.“
Anstieg um 25 Prozent beim Bürgergeld
Wieso dies die erste Erhöhung seit zwei Jahren sein soll, verrät Fratzscher nicht. Schließlich sind die Bezüge zum 1. Januar 2022 beim Übergang von Hartz IV zum Bürgergeld deutlich angehoben worden.
Damals verkündete Heils Ministerium auf seiner Homepage stolz: „Seit dem 1. Januar 2023 ist das Bürgergeld-Gesetz in Kraft. Unter anderem sind die Regelbedarfe für Menschen in der Grundsicherung erheblich angestiegen. (…) Seit dem 1. Januar 2023 erhält etwa ein alleinstehender Erwachsener 502 Euro – 53 Euro mehr als bisher.“
Bleibt also festzuhalten: Der Regelbedarf für einen alleinstehenden Erwachsenen von 449 Euro bis Ende 2022 ist 2023 auf 502 Euro angehoben worden und steigt zum 1. Januar 2024 auf 563 Euro.
Von 449 auf 563 Euro, das entspricht einem Anstieg um 25 Prozent. Das gleicht die Inflation, anders als Fratzscher behauptet, sehr wohl aus. Ganz nebenbei: 25 Prozent mehr in zwei Jahren hat es zuletzt in keiner Tarifrunde gegeben.
Nun ist es, entgegen vieler Behauptungen, nicht so, dass man durch Arbeit weniger Geld bekommt als bei „Stütze“. Aber die Differenz ist nicht sehr groß.
2,30 Euro oder 3,69 Euro - das ist nicht „deutlich mehr“
Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat ausgerechnet, dass ein Arbeitnehmerhaushalt, in dem ein Elternteil Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, mindestens 378 Euro netto mehr hat als Bürgergeldbezieher. Pro Arbeitsstunde bleiben der Familie damit gerade mal 2,30 Euro mehr als ohne Arbeit.
Die der SPD nahstehende Hans-Böckler-Stiftung hat bereits berechnet, wie sich die Erhöhungen des Mindestlohns und des Bürgergelds zum 1. Januar 2024 auf den Lohnabstand auswirken werden. Demnach hat ein Single, der Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, 532 Euro mehr. Bei einer Familie mit zwei Kindern erhöht sich der Abstand leicht auf 640 Euro.
Geht man von einer 40-Stunden-Woche aus, bleiben dem berufstätigen Single demnach 3,06 Euro pro Arbeitsstunde mehr als bei Bürgergeldbezug, der Familie 3,69 Euro. Die Aussage, wer arbeite bekomme „deutlich mehr Geld“, erscheint da in einem anderen Licht.
Bürgergeld-Empfänger bekommen viele Vergünstigungen
Bei Geldvergleichen zwischen dem verfügbaren Einkommen von Bürgergeldempfängern und Arbeitnehmern mit niedrigen Löhnen wird gerne übersehen, dass Bürgergeldempfängern noch viele andere Vergünstigungen zustehen.
Wer Bürgergeld bezieht, spart beispielsweise den Rundfunkbeitrag und bekommt Zuschüsse für seine Kinder, so zum Beginn des Schuljahres oder bei Klassenfahrten. Auch werden die Kosten für das Mittagessen der Kinder in der Schule und Kita übernommen.
Einige Bundesländer und Kommunen bieten außerdem Vergünstigungen im Öffentlichen Nahverkehr an. Ermäßigter oder freier Eintritt in Museen oder Schwimmbäder fallen in den einfachen Rechenbeispielen ebenfalls unter den Tisch.
Zudem wird reinen Geld-Vergleichen häufig vergessen, dass jede Berufstätigkeit mit Kosten verbunden ist. Sie entstehen durch die Fahrt zur Arbeitsstätte und die Verpflegung während der Arbeitszeit. Eventuell kommen noch Aufwendungen für Kleidung dazu. Da bleibt von „deutlich mehr Geld“ nicht mehr viel übrig.
Ob gesunde, arbeitsfähige Menschen ihr Einkommen vom Jobcenter beziehen oder von einem „richtigen“ Arbeitgeber, ist nicht nur eine Frage genauen Rechnens. Das hat auch viel mit der Einstellung der Betreffenden zu tun.
Viele Bürger legen Wert darauf, nicht vom Staat abhängig zu sein. Andere brüsten sich geradezu damit, nicht „so dumm“ zu sein, um arbeiten zu gehen.
Staat macht es den Menschen zu leicht
Da hat Fratzscher recht, wenn er sagt, Bürgergeldbezieher seien „keine besseren Menschen (…) auch keine schlechteren Menschen als die, die sehr viel verdienen“. Die Frage ist aber, ob der Staat es manchen nicht zu leicht macht, sich vom Staat – das heißt von arbeitenden Steuerzahlern – aushalten zu lassen.
Die Ampel-Regierung ist stolz darauf, mit dem Bürgergeld ein neues sozialpolitisches Kapitel aufgeschlagen zu haben. In der Tat: Der Zugang ist erleichtert worden, die Sanktionen bei Verstößen sind entschärft, die Leistungen erhöht worden.
Damit ist die Versuchung gewachsen, das System nicht nur zu nutzen, sondern gezielt auszunutzen. Wenn die Politik hier nicht handelt, darf sie sich über den wachsenden Ärger bei den Finanziers des Bürgergelds nicht wunden – der großen Mehrheit der Steuer- und Beitragszahler.
Zitat von Gast am 21. November 2023, 07:20 UhrDie Ausgaben fürs Bürgergeld laufen aus dem Ruder, und alle fragen sich, warum so wenige Bürgergeld-Empfänger den Weg (zurück) in den Arbeitsmarkt finden. Die Begründung ist einfach: Es lohnt sich für sie nicht.
Bürgergeld-Empfänger, die eine Arbeit aufnehmen, bekommen bis zu 90 Prozent des Hinzuverdiensts aufs Bürgergeld angerechnet. Man könnte auch sagen: Sie zahlen einen Spitzensteuersatz von 90 Prozent und damit doppelt so viel wie den Reichensteuersatz von 45 Prozent.
Die Regelung im Einzelnen:
- Wer bis zu 100 Euro pro Monat hinzuverdienen, darf den vollen Betrag behalten. Denn alle Erwerbseinkommen bis 100 Euro pro Monat werden nicht auf das Bürgergeld angerechnet.
- Wer zwischen 100 und 520 Euro pro Monat hinzuverdient, dem bleiben 20 Prozent des Verdienstes. Er darf davon also maximal 84 Euro behalten. Macht bei 520 Euro Hinzuverdienst insgesamt 184 Euro netto oder rund 65 Prozent „Steuern“ auf den Hinzuverdienst. Tatsächlich ist das keine Steuer, sondern Transferentzug, aber es wirkt wie eine Steuer.
- Wer zwischen 520 und 1.000 Euro pro Monat hinzuverdient, bei dem bleiben 30 Prozent des Verdienstes anrechnungsfrei, also maximal 144 Euro. Das sind dann bei 1000 Euro Hinzuverdienst 328 Euro Netto oder rund 67 Prozent Steuern.
- Wer zwischen 1.000 und 1.200 Euro pro Monat hinzuverdient, bleiben 10 Prozent des Verdienstes anrechnungsfrei, also maximal 20 Euro. Das sind dann bei 1200 Euro Hinzuverdienst 348 Euro netto oder 71 Prozent Steuern, wobei der Steuersatz auf diesem Einkommensintervall sogar 90 Prozent beträgt.
Für Alleinerziehende gelten Sonderregelungen. Ihr anrechnungsfreier Betrag von 10 Prozent gilt für ein monatliches Erwerbseinkommen zwischen 1.000 und 1.500 Euro. Das macht es aber nicht besser. Bei 1.500 Euro Hinzuverdienst beträgt das Nettoeinkommen 378 Euro und der Steuersatz fast 75 Prozent.
Darf man einen Bürgergeld-Empfänger vorwerfen, dass er für 2,66 Euro (mehr) pro Stunde nicht arbeiten geht? Das bleibt nämlich, wenn man die 348 Euro durch 131 Arbeitsstunden pro Monat dividiert, die zum Mindestlohn wiederum die 1200 Euro netto (= 1573 Euro brutto) von oben ergeben. Damit demotiviert man die Menschen und treibt sie in die Schwarzarbeit.
Sinnvoll wäre, die Hälfte des Zusatzverdiensts anrechnungsfrei zu stellen
Besser wäre es, die Hälfte des Zusatzverdiensts anrechnungsfrei zu stellen. Das wären dann 4,80 Euro netto pro Stunde, die übrigblieben. Zur Verfügung stünden dann statt 1002 Euro Bürgergeld 1602 Euro netto inklusive geschätzter Mietkosten von 500 Euro (1200 Euro Einkommen plus 502 Euro Bürgergeld plus 500 Euro Miete minus 600 Euro Anrechnung).
Das Problem dabei: 1602 Euro netto würde der Mindestlohnempfänger auch mit 160 Stunden nicht schaffen. Er bliebe bei 1410 Euro. Für ihn bestünde ein Anreiz, ins Bürgergeld zu wechseln und gegebenenfalls hinzuzuverdienen – mehr Geld und weniger Arbeit.
Es fehlt ein Anreiz zur Arbeitsaufnahme
Offenbar vertragen sich der aktuelle Mindestlohn und eine wünschenswerte niedrigere Transferentzugsrate nicht. Aus diesem Widerspruch gäbe es zwei mögliche Auswege: Den Mindestlohn so weit zu erhöhen, dass ein Anreiz zur Arbeitsaufnahme entsteht. Oder das Bürgergeld grundlegend in Richtung einer negativen Einkommensteuer mit erträglichen und anreizkompatiblen Transferentzugsraten umzubauen.
Der erste Weg würde zu inakzeptablen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führen, die wahrscheinlich zahlreiche Insolvenzen in Handel und Dienstleistung nach sich zögen. Der zweite Weg wäre mutig, trüge aber je nach Ausgestaltung Züge des bedingungslosen Grundeinkommens – und dafür gibt es zurzeit keine politische Mehrheit.
Die Ausgaben fürs Bürgergeld laufen aus dem Ruder, und alle fragen sich, warum so wenige Bürgergeld-Empfänger den Weg (zurück) in den Arbeitsmarkt finden. Die Begründung ist einfach: Es lohnt sich für sie nicht.
Bürgergeld-Empfänger, die eine Arbeit aufnehmen, bekommen bis zu 90 Prozent des Hinzuverdiensts aufs Bürgergeld angerechnet. Man könnte auch sagen: Sie zahlen einen Spitzensteuersatz von 90 Prozent und damit doppelt so viel wie den Reichensteuersatz von 45 Prozent.
Die Regelung im Einzelnen:
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- Wer bis zu 100 Euro pro Monat hinzuverdienen, darf den vollen Betrag behalten. Denn alle Erwerbseinkommen bis 100 Euro pro Monat werden nicht auf das Bürgergeld angerechnet.
- Wer zwischen 100 und 520 Euro pro Monat hinzuverdient, dem bleiben 20 Prozent des Verdienstes. Er darf davon also maximal 84 Euro behalten. Macht bei 520 Euro Hinzuverdienst insgesamt 184 Euro netto oder rund 65 Prozent „Steuern“ auf den Hinzuverdienst. Tatsächlich ist das keine Steuer, sondern Transferentzug, aber es wirkt wie eine Steuer.
- Wer zwischen 520 und 1.000 Euro pro Monat hinzuverdient, bei dem bleiben 30 Prozent des Verdienstes anrechnungsfrei, also maximal 144 Euro. Das sind dann bei 1000 Euro Hinzuverdienst 328 Euro Netto oder rund 67 Prozent Steuern.
- Wer zwischen 1.000 und 1.200 Euro pro Monat hinzuverdient, bleiben 10 Prozent des Verdienstes anrechnungsfrei, also maximal 20 Euro. Das sind dann bei 1200 Euro Hinzuverdienst 348 Euro netto oder 71 Prozent Steuern, wobei der Steuersatz auf diesem Einkommensintervall sogar 90 Prozent beträgt.
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Für Alleinerziehende gelten Sonderregelungen. Ihr anrechnungsfreier Betrag von 10 Prozent gilt für ein monatliches Erwerbseinkommen zwischen 1.000 und 1.500 Euro. Das macht es aber nicht besser. Bei 1.500 Euro Hinzuverdienst beträgt das Nettoeinkommen 378 Euro und der Steuersatz fast 75 Prozent.
Darf man einen Bürgergeld-Empfänger vorwerfen, dass er für 2,66 Euro (mehr) pro Stunde nicht arbeiten geht? Das bleibt nämlich, wenn man die 348 Euro durch 131 Arbeitsstunden pro Monat dividiert, die zum Mindestlohn wiederum die 1200 Euro netto (= 1573 Euro brutto) von oben ergeben. Damit demotiviert man die Menschen und treibt sie in die Schwarzarbeit.
Sinnvoll wäre, die Hälfte des Zusatzverdiensts anrechnungsfrei zu stellen
Besser wäre es, die Hälfte des Zusatzverdiensts anrechnungsfrei zu stellen. Das wären dann 4,80 Euro netto pro Stunde, die übrigblieben. Zur Verfügung stünden dann statt 1002 Euro Bürgergeld 1602 Euro netto inklusive geschätzter Mietkosten von 500 Euro (1200 Euro Einkommen plus 502 Euro Bürgergeld plus 500 Euro Miete minus 600 Euro Anrechnung).
Das Problem dabei: 1602 Euro netto würde der Mindestlohnempfänger auch mit 160 Stunden nicht schaffen. Er bliebe bei 1410 Euro. Für ihn bestünde ein Anreiz, ins Bürgergeld zu wechseln und gegebenenfalls hinzuzuverdienen – mehr Geld und weniger Arbeit.
Es fehlt ein Anreiz zur Arbeitsaufnahme
Offenbar vertragen sich der aktuelle Mindestlohn und eine wünschenswerte niedrigere Transferentzugsrate nicht. Aus diesem Widerspruch gäbe es zwei mögliche Auswege: Den Mindestlohn so weit zu erhöhen, dass ein Anreiz zur Arbeitsaufnahme entsteht. Oder das Bürgergeld grundlegend in Richtung einer negativen Einkommensteuer mit erträglichen und anreizkompatiblen Transferentzugsraten umzubauen.
Der erste Weg würde zu inakzeptablen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führen, die wahrscheinlich zahlreiche Insolvenzen in Handel und Dienstleistung nach sich zögen. Der zweite Weg wäre mutig, trüge aber je nach Ausgestaltung Züge des bedingungslosen Grundeinkommens – und dafür gibt es zurzeit keine politische Mehrheit.
Zitat von Gast am 4. Dezember 2023, 07:55 UhrDer Streit ums Bürgergeld flammt immer wieder auf. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fordert nun, die starke Erhöhung zu verschieben. Die deutsche Presse ist sich mehrheitlich einig: Die aktuelle Planung „schafft Fehlanreize“.
„Die Ampel muss die für Januar vorgesehene Erhöhung um ein Jahr verschieben und noch einmal völlig neu ansetzen.“ Das sagt der bayerische Ministerpräsident Söder dem Magazin „Stern“. Und weiter: „Es braucht mehr Motivation, um arbeiten zu gehen. Deshalb werden wir im Bundesrat eine Initiative zur Generalüberholung des Bürgergelds einbringen. Denn die Balance zwischen Fördern und Fordern stimmt nicht, Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet. Deshalb brauchen wir Änderungen.“
In der Dauer-Debatte ums Bürgergeld rammt Söder damit einen neuen Flock ein. Auch die deutsche Presse kommentiert die geplante Bürgergeld-Erhöhung mehrheitlich skeptisch.
„Der Abstand zu vielen Arbeits-Einkommen ist zu gering. Das schafft Fehlanreize“
„Magdeburger Volksstimme“: In der Debatte über das Bürgergeld läuft häufig etwas schief: Es ist eben nicht schon populistisch, wer die Angemessenheit der Höhe der Leistung infrage stellt. Insbesondere, wenn alle beantragbaren Nebenleistungen einberechnet werden, ist der Abstand zu vielen Arbeits-Einkommen zu gering. Das schafft Fehlanreize. Umso mehr gilt das in einer Lage, in der die Wirtschaft händeringend nach Arbeitskräften sucht und der Staat zugleich stetig steigende Ausgaben bewältigen muss.
Das Ergebnis ist ein Ungleichgewicht, ablesbar auch an Zahlen in Sachsen-Anhalt: 45.000 freien Stellen standen hier zuletzt 56.000 arbeitsfähige Bürgergeldempfänger gegenüber. In anderen Ländern sind die Relationen deutlich stärker zu Gunsten der Arbeit verteilt. Das liegt auch an der Höhe der Stütze. Zumindest die Anhebung des Bürgergelds sollte deshalb ausgesetzt werden. Richtig ist: Der Staat muss das Existenzminimum sichern. Arbeiten zu gehen aber sollte in jedem Fall attraktiver sein.
„Die nackten Zahlen sind unbarmherzig in ihrer Klarheit“
„Münchner Merkur“: Auf Söders Angriff auf das Bürgergeld reagiert die SPD wütend, fuchtelt mit der Keule der „sozialen Spaltung“, doch sind die nackten Fakten unbarmherzig in ihrer Klarheit: Wie kann es sein, dass bei 1,8 Millionen offenen Stellen der Staat vier Millionen Erwerbsfähige fürs Nichtstun bezahlt? Wie konnte es geschehen, dass die Ausgaben für Bürgergeld und Wohnhilfe mit fast 40 Milliarden schon im Einführungsjahr massiv höher ausfallen als vom SPD-Arbeitsminister berechnet?
Und, hier verbindet sich der Arbeitsmarktstreit mit dem toxischen Thema Asyl: Wie ist es zu vermitteln, dass bei uns, anders als überall sonst in Europa, kaum ein ukrainischer Flüchtling bereit ist zu arbeiten, weil er vom ersten Tag an Bürgergeld erhält? All das verletzt jeden Tag aufs Neue das Gerechtigkeitsgefühl der arbeitenden Mitte. Und die stellt, mögen die Sorgen der Ampel-Wohltäter noch so sehr um alle anderen kreisen, noch immer die Mehrheit der Wähler.
„Die SPD sollte prüfen, ob die Bürgergeld-Erhöhung wirklich im geplanten Umfang nötig ist“
„Lausitzer Rundschau“: Um die Blockadesituation zu überwinden, müssen Kompromisse her. Die SPD sollte prüfen, ob die Bürgergeld-Erhöhung wirklich im geplanten Umfang nötig ist. Die Grünen müssten die Pläne zum Klimaschutz überarbeiten. So würde der Druck auf FDP-Finanzminister Lindner deutlich erhöht, seine bisher harte Haltung zur zusätzlichen Neuverschuldung zumindest zu relativieren. Auch mit der Union sollte es möglich sein, eine Verständigung zu finden. Deren Abwehrhaltung gegen eine zusätzliche Neuverschuldung ist inzwischen sowieso löchrig geworden. Einen gemeinsamen Ausweg aus der Haushaltsmisere zu finden, ist also durchaus möglich. Aber klar ist auch: Ohne Vorleistungen von SPD und Grüne geht gar nichts.
„Vergünstigungen streichen, die schon lange in der Kritik stehen“
„Rhein-Neckar-Zeitung“: Gezänk und Provokationen. Wieder einmal. Und einen Kanzler, der sein Führungsversprechen nicht einlöst und Debatten aufwallen lässt, die das Vertrauen in seine Politik weiter untergraben. Auch das: wieder einmal. Dabei dürfen in der Folge des Urteils durchaus schmerzhafte Wege durchdacht werden.
Aber dann bitte tatsächlich komplett offen - und so, dass die Gesellschaft insgesamt die Lasten solidarisch trägt. Warum etwa sollte das Versprechen an Bürgergeld-Empfänger auf Inflationsausgleich weniger wert sein das FDP-Dogma, keinesfalls Steuererhöhungen zuzulassen? Auch mit einem Klima- oder Transformations-Soli ließe sich das 60-Milliarden-Euro-Loch stopfen. Oder man streicht Vergünstigungen, die schon lange in der Kritik stehen.
CDU-General Linnemann bietet Lösung
Die CDU will nach Angaben von Generalsekretär Carsten Linnemann im Fall einer Regierungsübernahme arbeitsfähigen, jungen Erwachsenen das Bürgergeld deutlich kürzen, sofern sie Arbeits- oder Ausbildungsangebote ablehnen. Es könne nicht sein, dass 600.000 junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren weder arbeiten noch in Ausbildung sind, argumentierte Linnemann im „Tagesspiegel“. „Wer gerade in jungen Jahren arbeiten könnte, es aber bewusst nicht tut und das System ausnutzt, müsste statt mit einer 30-prozentigen Kürzung mit 50 Prozent oder mehr rechnen“, sagte er.
Der Streit ums Bürgergeld flammt immer wieder auf. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fordert nun, die starke Erhöhung zu verschieben. Die deutsche Presse ist sich mehrheitlich einig: Die aktuelle Planung „schafft Fehlanreize“.
„Die Ampel muss die für Januar vorgesehene Erhöhung um ein Jahr verschieben und noch einmal völlig neu ansetzen.“ Das sagt der bayerische Ministerpräsident Söder dem Magazin „Stern“. Und weiter: „Es braucht mehr Motivation, um arbeiten zu gehen. Deshalb werden wir im Bundesrat eine Initiative zur Generalüberholung des Bürgergelds einbringen. Denn die Balance zwischen Fördern und Fordern stimmt nicht, Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet. Deshalb brauchen wir Änderungen.“
In der Dauer-Debatte ums Bürgergeld rammt Söder damit einen neuen Flock ein. Auch die deutsche Presse kommentiert die geplante Bürgergeld-Erhöhung mehrheitlich skeptisch.
„Der Abstand zu vielen Arbeits-Einkommen ist zu gering. Das schafft Fehlanreize“
„Magdeburger Volksstimme“: In der Debatte über das Bürgergeld läuft häufig etwas schief: Es ist eben nicht schon populistisch, wer die Angemessenheit der Höhe der Leistung infrage stellt. Insbesondere, wenn alle beantragbaren Nebenleistungen einberechnet werden, ist der Abstand zu vielen Arbeits-Einkommen zu gering. Das schafft Fehlanreize. Umso mehr gilt das in einer Lage, in der die Wirtschaft händeringend nach Arbeitskräften sucht und der Staat zugleich stetig steigende Ausgaben bewältigen muss.
Das Ergebnis ist ein Ungleichgewicht, ablesbar auch an Zahlen in Sachsen-Anhalt: 45.000 freien Stellen standen hier zuletzt 56.000 arbeitsfähige Bürgergeldempfänger gegenüber. In anderen Ländern sind die Relationen deutlich stärker zu Gunsten der Arbeit verteilt. Das liegt auch an der Höhe der Stütze. Zumindest die Anhebung des Bürgergelds sollte deshalb ausgesetzt werden. Richtig ist: Der Staat muss das Existenzminimum sichern. Arbeiten zu gehen aber sollte in jedem Fall attraktiver sein.
„Die nackten Zahlen sind unbarmherzig in ihrer Klarheit“
„Münchner Merkur“: Auf Söders Angriff auf das Bürgergeld reagiert die SPD wütend, fuchtelt mit der Keule der „sozialen Spaltung“, doch sind die nackten Fakten unbarmherzig in ihrer Klarheit: Wie kann es sein, dass bei 1,8 Millionen offenen Stellen der Staat vier Millionen Erwerbsfähige fürs Nichtstun bezahlt? Wie konnte es geschehen, dass die Ausgaben für Bürgergeld und Wohnhilfe mit fast 40 Milliarden schon im Einführungsjahr massiv höher ausfallen als vom SPD-Arbeitsminister berechnet?
Und, hier verbindet sich der Arbeitsmarktstreit mit dem toxischen Thema Asyl: Wie ist es zu vermitteln, dass bei uns, anders als überall sonst in Europa, kaum ein ukrainischer Flüchtling bereit ist zu arbeiten, weil er vom ersten Tag an Bürgergeld erhält? All das verletzt jeden Tag aufs Neue das Gerechtigkeitsgefühl der arbeitenden Mitte. Und die stellt, mögen die Sorgen der Ampel-Wohltäter noch so sehr um alle anderen kreisen, noch immer die Mehrheit der Wähler.
„Die SPD sollte prüfen, ob die Bürgergeld-Erhöhung wirklich im geplanten Umfang nötig ist“
„Lausitzer Rundschau“: Um die Blockadesituation zu überwinden, müssen Kompromisse her. Die SPD sollte prüfen, ob die Bürgergeld-Erhöhung wirklich im geplanten Umfang nötig ist. Die Grünen müssten die Pläne zum Klimaschutz überarbeiten. So würde der Druck auf FDP-Finanzminister Lindner deutlich erhöht, seine bisher harte Haltung zur zusätzlichen Neuverschuldung zumindest zu relativieren. Auch mit der Union sollte es möglich sein, eine Verständigung zu finden. Deren Abwehrhaltung gegen eine zusätzliche Neuverschuldung ist inzwischen sowieso löchrig geworden. Einen gemeinsamen Ausweg aus der Haushaltsmisere zu finden, ist also durchaus möglich. Aber klar ist auch: Ohne Vorleistungen von SPD und Grüne geht gar nichts.
„Vergünstigungen streichen, die schon lange in der Kritik stehen“
„Rhein-Neckar-Zeitung“: Gezänk und Provokationen. Wieder einmal. Und einen Kanzler, der sein Führungsversprechen nicht einlöst und Debatten aufwallen lässt, die das Vertrauen in seine Politik weiter untergraben. Auch das: wieder einmal. Dabei dürfen in der Folge des Urteils durchaus schmerzhafte Wege durchdacht werden.
Aber dann bitte tatsächlich komplett offen - und so, dass die Gesellschaft insgesamt die Lasten solidarisch trägt. Warum etwa sollte das Versprechen an Bürgergeld-Empfänger auf Inflationsausgleich weniger wert sein das FDP-Dogma, keinesfalls Steuererhöhungen zuzulassen? Auch mit einem Klima- oder Transformations-Soli ließe sich das 60-Milliarden-Euro-Loch stopfen. Oder man streicht Vergünstigungen, die schon lange in der Kritik stehen.
CDU-General Linnemann bietet Lösung
Die CDU will nach Angaben von Generalsekretär Carsten Linnemann im Fall einer Regierungsübernahme arbeitsfähigen, jungen Erwachsenen das Bürgergeld deutlich kürzen, sofern sie Arbeits- oder Ausbildungsangebote ablehnen. Es könne nicht sein, dass 600.000 junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren weder arbeiten noch in Ausbildung sind, argumentierte Linnemann im „Tagesspiegel“. „Wer gerade in jungen Jahren arbeiten könnte, es aber bewusst nicht tut und das System ausnutzt, müsste statt mit einer 30-prozentigen Kürzung mit 50 Prozent oder mehr rechnen“, sagte er.