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Analyse von Ulrich Reitz - Beim Asyl kommt jetzt der Tag der Wahrheit - auch für Baerbock

Annalena Baerbock imago images/Chris Emil Janßen

Annalena Baerbock imago images/Chris Emil Janßen© imago images/Chris Emil Janßen

Die grüne Basis und die grünfreundliche Lobby wollen verhindern, dass die Grünen eine europäische Verschärfung der Flüchtlingspolitik mittragen. Auf die grüne Waffenwende soll nicht auch noch eine grüne Asylwende folgen. Die zentrale Figur dabei: Annalena Baerbock.

Die grüne Parteibasis ist „erschüttert“ über den Asyl-Kurs der Bundesregierung. Sie hat recht, denn: Der Plan der Europäischen Kommission zur Verschärfung des Asylsystems in Europa, der von der Bundesregierung gestützt wird - auch von der grünen Außenministerin - ist so ungrün wie Currywurst mit Fritten.

Einer der Erschütterten ist der Vorsitzende der grünen Jugend. Timon Dzienus fordert von den eigenen grünen Leuten in der Ampel-Regierung: „Den Kurs der Abschottung dürfen wir nicht mittragen.“ Es handle sich um einen „krassen Angriff auf das individuelle Asylrecht“. „Krass“ sei auch, dass die FDP auch Minderjährige an den europäischen Außengrenzen „einsperren“ wolle.

Nach der Waffen- stehen die Grünen vor der Asylwende

Nun muss man sagen: Was die EU-Kommission vorschlägt und die Bundesregierung im Wesentlichen mitträgt, wie man aus einem als vertrauliche Verschlusssache gestempelten Papier entnehmen kann, ist zwar durchaus ungrün. Aber eben so ungrün, wie es deutsche Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete auch einmal waren, bevor die Grünen nach einer harten Lernerfahrung eine krasse Waffenwende hinlegten. Und nun stehen sie vor einer Asylwende.

Und was der grüne Jungmann Dzienus an der FDP „krass“ findet und wogegen er darum polemisiert, ist gar keine Erfindung der Liberalen. Sondern es steht in dem Vorschlag der EU-Kommission für ein neues Asylrecht. Demnach sollen an der Grenze Mütter mit Kinder nur dann nicht festgehalten werden, wenn die Kinder „unter 12 Jahre alt“ sind. Die grüne Bundesaußenministerin Baerbock will 18 Jahre durchsetzen, die FDP stützt den Kommissionsvorschlag. Das ist der ganze Konflikt.

Dass ein paar hundert Grüne einen Brief schreiben an ihre Spitzenleute, ist angesichts der jahrelangen, teils giftigen Diskussionen in Europa über das Asylrecht und die Aussicht auf einen „Durchbruch“ (Innenministerin Nancy Faeser) sicher realitätsblind.

Asylrecht: Baerbock will grüne Opposition und grüne Regierung zugleich sein

Andere Grüne oder grün Denkende wie Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer oder der bayerische Grünen-Landrat Marco Scherf leben tagtäglich eine Asyl-Realität aus Frustration und Überlastung und fordern deshalb eine Asylwende. Es ist also ein Krach innerhalb der Grünen, zwischen jenen, die lokal Verantwortung tragen, und den anderen, die sich wie Dzienus oder die hamburgische Justizsenatorin Gallina an grüne DNA klammern wie Robert Habeck an den Atomausstieg.

Irgendwo in der Mitte Annalena Baerbock. Sie will grüne Opposition und grüne Regierung zugleich sein. Den Brüsseler Vorschlag für Asyl-Zentren an den Außengrenzen findet sie einen „Fluch“, aber dann doch die einzige Chance, noch zu einem Kompromiss zu kommen.

Am Donnerstag und Freitag tagen Europas Innenminister, Faeser erhofft sich davon den „Durchbruch“. Für diese Hoffnung hat sie nicht nur sachlich-fachliche Gründe. Sollte der europäische „Durchbruch“ tatsächlich gelingen, böte sich Faeser die Chance, das Geburtsrecht dafür zu reklamieren. Und im hessischen Landtagswahlkampf aufzutreten als die Politikerin, die schaffte, was noch nie jemand vor ihr schaffte: die Asylzahlen in Europa und in Deutschland zu reduzieren.

Gegen die Protest-Truppe von „Pro Asyl“ wirkt der Aufruf von der Grünen-Basis geradezu putzig

Der Fairness halber: Die Grüne Jugend ist mit ihrer Opposition gegen die Flüchtlings-Begrenzung nicht allein. Auch die Jusos lehnen ab, was sich Ursula von der Leyens Kommission ausgedacht hat, übrigens schon 2020. Wie Baerbock und Habeck haben auch Scholz und Faeser es also mit einer innerparteilichen Opposition zu tun.

Und gegen die Protest-Truppe, die „Pro Asyl“ zusammengebracht hat gegen eine europäische Asyl-Verschärfung, wirkt der Aufruf von der Grünen-Basis geradezu putzig. Es sind 50, teils mächtige Organisationen, die gegen die Berliner und Brüsseler Pläne Sturm laufen, mit dabei:

Amnesty International, die Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische (Wohlfahrtsverband), der Deutsche Caritasverband, Brot für die Welt, Terre des Hommes, mehrere Seenotrettungsorganisationen wie „Mission Lifeline“, und diverse evangelische Landeskirchen wie die im Rheinland.

Was diese Organisationen aufgeschrieben haben, ist hartes Brot für die Regierungs-Grünen, insbesondere für die Vertreterin einer „wertegeleiteten Außenpolitik“ im AA. Kostprobe aus dem gemeinsamen Aufruf:

„Anstatt sich dem Trend zur Entwertung europäischer Grund- und Menschenrechte und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze entschieden entgegenzustellen, signalisiert die Regierung mit ihrer Position die Bereitschaft, diesen Weg um jeden Preis mitzugehen. Damit gerät sie in eklatanten Versprechen zu zentralen Versprechen des Koalitionsvertrags.“

Beim Asyl kommt der Tag der Wahrheit für die Grünen erst noch

Das stimmt sogar. Aber so, wie sich auch Wladimir Putin nicht an den Koalitionsvertrag der Ampelregierung gehalten hat, als er die Ukraine überfiel, nehmen auch die vielen Tausenden Asylbewerber, von denen mehr als die Hälfte keinen Anspruch auf Asyl haben, keine Rücksicht auf Scholz, Baerbock und Co.

Seit Beginn der Scholz-Regierung stehen Mal um Mal die Grünen vor der Frage: Wo mache ich einen Deal mit der Realität? Beim Ukraine-Krieg haben sie eine Waffenwende zu 180 Grad (nicht 360 Grad, wie Baerbock einmal irrte) hingelegt. In der Flüchtlingspolitik steuern sie auf eine Dreiviertelwende hin (so genau kann man das nicht messen…). Und auch beim Heizgesetz bemüht sich gerade Habeck, der ideologischen Gefangenschaft zu entkommen, in die sein Staatssekretär Patrick Graichen ihn genommen hatte.

Beim Asyl kommt der Tag der Wahrheit für die Grünen erst noch. Sollten sich Europas Innenminister tatsächlich einigen, was noch längst nicht sicher ist, muss die Bundesregierung entscheiden, ob sie dieser europäischen Lösung zustimmt. Dann stellt sich für die Grünen einmal mehr die Frage: alte Ideologie oder neue Wahrheit?

Lager an der Grenze, mehr sichere Drittstaaten, damit eine Rückkehr zum für Grüne verhassten Dublin-Verfahren, weniger rechtsstaatlich garantierte sichere Verfahren für Asylbewerber (inklusive massenhaftem, bislang aber von Grünen geduldeten  Missbrauch) – für einen Grünen, der davon ausgeht, dass es für Menschenrechte keine Grenzen gibt, muss das alles eine große Zumutung sein.

Kann es bei so viel Zumutung auch ein konstruktives Argument geben, dass die Traditions-Grünen überzeugt? Vielleicht dieses: Nur wer früh und an der Grenze schon die Asyl-Antragsteller von den Asylberechtigten trennt, hilft den wirklich Verfolgten.

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„Ich plädiere dafür, das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan zu beenden“

FDP-Generalsekretär Djir-Sarai warnt vor „Gefahren von Sicherheitsrisiken“ im Afghanistan-Aufnahmeprogramm. Er sagt, wie er Pull-Faktoren für Migranten abschaffen würde und drängt die Grünen, endlich der Einstufung Moldaus und Georgiens als sichere Herkunftsstaaten zuzustimmen.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, 47 WELT/Marlene Gawrisch, picture alliance/ZUMAPRESS.com/Airman Edgar Grimaldo/U.S. Air; Montage: Infografik WELT

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, 47 WELT/Marlene Gawrisch, picture alliance/ZUMAPRESS.com/Airman Edgar Grimaldo/U.S. Air; Montage: Infografik WELT© Bereitgestellt von WELT

WELT: Herr Djir-Sarai, die Ampel will mit dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz auch das Aufenthaltsgesetz ändern. Der Zuzug von Ausländern soll künftig nur noch „gesteuert“ werden – nicht mehr „begrenzt“. Ist das der Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik, den die Koalition angekündigt hat?

Bijan Djir-Sarai: Mein Eindruck ist, dass unser Land weltoffen und tolerant ist. Die Menschen wollen aber zu Recht wissen, wer zu uns kommt. Und sie wollen, dass der Zuzug nach rechtsstaatlichen Kriterien erfolgt. Einwanderungsländer wie Kanada und Australien machen es vor: Sie wollen Migration in den Arbeitsmarkt. Aber sie wollen keine Migration in die soziale Sicherung.

Das ist auch unser Credo – irreguläre Migration bekämpfen und zugleich die legale Einwanderung in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Ich erwarte also, dass wir nicht nur über Steuerung und Kontrolle reden, sondern auch darüber, wie irreguläre Migration verhindert werden kann. Die Beschlüsse der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler aus dem Mai gehen in die richtige Richtung. Die Einigung der EU-Innenminister würde ich als historisch bezeichnen. Das ist ein Erfolg der Regierungskoalition, den ihr niemand zugetraut hätte.

WELT: Der Kanzler beklagt, dass viele Menschen nach Deutschland weiterziehen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Djir-Sarai: Deutschland ist für viele besonders attraktiv, weil sie hier vom hohen Sozialstandard profitieren. Ich sage ganz klar: Diese Migration wollen wir nicht. Deswegen wäre es aus meiner Sicht richtig, Pull-Faktoren abzuschaffen, indem Asylbewerber keine finanziellen Mittel mehr erhalten, sondern nur Sachleistungen zur Verfügung gestellt bekommen.

WELT: Woran scheitert eine solche Umstellung auf Sachleistungen bislang?

Djir-Sarai: Teile der Koalition haben in dieser Frage eine andere Auffassung. Das betrifft auch die Einstufung weiterer sicherer Herkunftsländer. Wir wollen beispielsweise, dass Georgien und Moldau als sicher klassifiziert werden. Das würde die irreguläre Migration direkt um zehn Prozent reduzieren. Diese beiden Länder wollen ihrerseits mit uns kooperieren. Lediglich ein Koalitionspartner stellt sich quer. Ich halte das für ein großes Problem.

WELT: Auf beschleunigte Asylverfahren für Moldau und Georgien hatten sich die Ministerpräsidenten mit dem Kanzler im Mai geeinigt. Jetzt blockieren die Grünen?

Djir-Sarai: Die Grünen müssen zur Kenntnis nehmen, dass bei dem Thema jetzt konkrete Ergebnisse erreicht werden müssen. Wenn es nach uns als FDP ginge, könnten auch die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Auch das scheitert derzeit am Koalitionspartner. Die Grünen müssen aufpassen, dass sie nicht den Bezug zur Realität verlieren.

WELT: Die Ampel hat gerade einen Spurwechsel für bestimmte Asylbewerber im Verfahren vereinbart. Seit Anfang des Jahres gibt es ein „Chancen-Aufenthaltsrecht“ für einen Teil der abgelehnten Asylbewerber. Senden Sie damit das Signal, dass man in Deutschland auch als Nicht-Schutzberechtigter Fuß fassen kann?

Djir-Sarai: Die FDP hat dem Spurwechsel nur mit einem Stichtag zugestimmt. Die befürchteten Pull-Effekte werden also nicht eintreten. Im Übrigen sendet die gemeinsame europäische Einigung, die die Innenminister Anfang Juni erreicht haben, eine klare Botschaft: Das Asylrecht garantiert, dass politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge in Europa Schutz finden.

Aber wer unseren Schutz nicht braucht, dem sagen wir ganz klar: Es bringt nichts, hierherzukommen. Weitere Schritte müssen natürlich folgen. Aber bis dato hat diese Koalition in Sachen Migration schon jetzt mehr erreicht als ihre Vorgänger.

WELT: Keinen großen Unterschied zur Vorgängerregierung gibt es bei den Abschiebezahlen, rund 12.000 waren es im vergangenen Jahr. Dabei hatte die Koalition eine „Rückkehroffensive“ angekündigt. Wird es dazu so schnell nicht kommen?

Djir-Sarai: Es ist nach wie vor komplex. Wir brauchen Migrationsabkommen, damit Rückführungen funktionieren. Wir brauchen eine Ausweitung der Einstufung von sicheren Herkunftsstaaten. Wir brauchen aber auch die Kooperation der Bundesländer, die ja für Rückführungen zuständig sind.

Sie sehen an Nordrhein-Westfalen, dass die Zahl der Abschiebungen massiv gesunken ist, seit dort nicht mehr Schwarz-Gelb, sondern Schwarz-Grün regiert. Wenn der politische Wille und der Instrumentenkasten da sind, können wir irreguläre Migration bekämpfen, und zwar am besten schon an der Außengrenze der Europäischen Union.

WELT: Finden Sie es richtig, dass sich die Innenministerin in den nun anstehenden Verhandlungen mit Europäischen Parlament weiter für Änderungen zum ursprünglichen Ratsbeschluss einsetzen will, die darauf zielen, Kinder mit Familien doch noch vom Grenzverfahren auszunehmen?

Djir-Sarai: Es ist eine große Leistung, dass nach vielen Jahren des Stillstands eine europäische Einigung erzielt wurde. Diese Einigung sollte man nicht durch zusätzliche Forderungen nach Ausnahmen oder Sonderwegen gefährden.

WELT: Sie haben zuletzt dafür plädiert, das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanen, das das Auswärtige Amt gerade auflegt, zu überdenken. Was meinen Sie konkret?

Djir-Sarai: Ich plädiere dafür, das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan zu beenden. Im Moment ist es wegen Hinweisen auf mögliche Missbrauchsversuche ausgesetzt. Aber es gibt bereits Aufnahmezusagen für 14.000 Personen. Wie diese Menschen ausgesucht wurden, ist intransparent und für das Parlament nicht nachvollziehbar. Damit habe ich ein großes Problem. Auch die Frage der Sicherheitsüberprüfung ist nicht geklärt. Das Programm birgt wegen seiner Konzeption Gefahren von Sicherheitsrisiken, Willkür und Korruption.

WELT: Fast alle Afghanen, die in Deutschland Schutz beantragen, werden als schutzberechtigt anerkannt. Wäre es nicht im Sinne einer gesteuerten Migrationspolitik, schutzbedürftige Afghanen nicht ungeordnet übers Meer reisen zu lassen, sondern direkt aus dem Land in einem geordneten Verfahren aufzunehmen?

Djir-Sarai: Deutschland hat bereits einen großen Beitrag geleistet. Als die Taliban die Macht übernommen haben, haben wir dafür Sorge getragen, dass gefährdete afghanische Ortskräfte und ihre engen Familienangehörigen in Sicherheit gebracht werden. Das Ortskräfteverfahren läuft unabhängig vom Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan.

Außerdem: Wir können nicht alle Probleme der Welt in Deutschland lösen. Es geht ja nicht nur um Aufnahme, sondern auch um Integration. Und leider gibt es eine ganze Reihe von Integrationsdefiziten in Deutschland. Wenn wir diese Probleme nicht zuerst lösen, werden sie uns auf die Füße fallen, weil die Akzeptanz in der Bevölkerung schwindet. Das darf nicht passieren.

WELT: In den nächsten Monaten sollen jede Menge ausländische Arbeits- und Fachkräfte nach Deutschland kommen, auch darauf hat sich die Koalition geeinigt. Wie sollen die denn integriert werden?

Mit dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz wird Deutschland im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte endlich besser. Das ist essenziell mit Blick auf den Fachkräftemangel, der von der deutschen Wirtschaft beklagt wird. Das Punktesystem stellt sicher, dass die Chancen derjenigen höher sind, die Bezüge zu Deutschland haben – weil sie zum Beispiel die Sprache sprechen oder Fähigkeiten haben, die hier händeringend gebraucht werden.

Klar ist aber auch: Jeder, der kommt und bleiben will, muss unsere liberalen und demokratischen Werte teilen. Die Menschen, die in den Arbeitsmarkt einwandern, tragen zum Wohlstand dieses Landes bei.

WELT: Das wollte die Gastarbeitergeneration auch. Teile von ihnen scheinen aber auch Jahrzehnte nach der Ankunft nicht integriert. Das Gleiche gilt für manche Nachkommen.

Djir-Sarai: Diejenigen, die nach Deutschland kommen, um zu arbeiten, leisten einen echten Beitrag und kommen nicht hier her, um die sozialen Sicherungssysteme zu nutzen. Das gilt heute wie damals. Für die Integration macht das einen Riesenunterschied. Wir erwarten, dass diejenigen, die zu uns kommen, sich an unsere Regeln halten und unsere Werte teilen. Das muss jedem klar sein.

Ich verhehle nicht, dass in den vergangenen Jahrzehnten viel falsch gelaufen ist bei den Integrationsbemühungen. Aber dadurch, dass wir nun endlich Steuerung und Ordnung in die Migrationspolitik bringen, wird auch die Integration gestärkt.

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Lage schlimmer denn je: Das Ausländeramt Frankfurt schiebt rekordhohe 20 000 unbearbeitete Anträge vor sich her

Wer mit Ausländerbehörden zu tun hat, benötigt Geduld: Früher gab es lange Schlagen vor den Gebäuden, wie hier in Berlin. Heutzutage ist der elektronische Antragsstau ; bei den Ämtern meist weniger offensichtlich. Adam Berry / Getty

Wer mit Ausländerbehörden zu tun hat, benötigt Geduld: Früher gab es lange Schlagen vor den Gebäuden, wie hier in Berlin. Heutzutage ist der elektronische Antragsstau ; bei den Ämtern meist weniger offensichtlich. Adam Berry / Getty© Bereitgestellt von Neue Zürcher Zeitung Deutschland

Im November hatten die Verantwortlichen Besserung versprochen: Die Sicherheitsdezernentin Annette Rinn (FDP) und Karin Müller (CDU), die Leiterin des Ordnungsamtes, dem die Ausländerbehörde unterstellt ist, wollten die chaotischen Verhältnisse in Frankfurt verbessern. Damals schob das Ausländeramt rund 15 000 unbeantwortete Anträge, meist per E-Mail, vor sich her. Diese Zahl sank dann zwar kurzzeitig unter 12 000, erreichte jüngst aber eine neuen Rekord von gut 20 000, wie die «NZZ» aus dem Umkreis der Ausländerbehörde erfuhr.

Primär zwei Gründe für Antragsanstieg

Die neuerliche Verschlechterung hat dem Vernehmen nach zwei Ursachen: Erstens führten regulatorische Änderungen zu einem neuen Antragsschub und zweitens verbesserte sich die personelle Ausstattung der Behörde nicht substanziell. Darunter leiden nun Tausende Antragsteller, die aufgrund fehlender Ausweispapiere Probleme bekommen und teilweise deshalb sogar ihren Job verlieren, weil beispielsweise die Aufenthaltserlaubnis abläuft.

Allerdings können die Antragsteller derzeit noch verschiedene E-Mail-Adressen nutzen, so dass es auch Doppelungen gibt, und sie stellen aufgrund der langen Antwortzeit oft Rückfragen. Beides treibt die Bruttozahl der Anträge nach oben. Doch auch wenn die Nettozahl deutlich unter 20 000 liegen mag, ist die Situation weiter dramatisch.

Mehrere tausend Flüchtlinge können seit Jahresbeginn unter deutlich erleichterten Bedingungen deutsche Ausweispapiere erhalten. Die Änderungen hätten die Antragsflut beim Ausländeramt stark erhöht, da sich solche Entwicklungen in der Gemeinschaft schnell herumsprächen, sagt jemand, der die Lage gut kennt, aber nicht genannt werden möchte.

Darüber hinaus hat das Erdbeben in der Türkei dafür gesorgt, dass die Anträge auf Familiennachzug aus dieser Region deutlich mehr geworden sind und auch die Nachfrage nach der Blauen Karte ist deutlich angestiegen. Sie ist eine von verschiedenen Aufenthaltstiteln für Ausländer. Dazu kommen bekannte zyklisch Entwicklungen, wie beispielsweise der Studienbeginn für das Sommersemester, der typischerweise zu einem höheren Antragsaufkommen führt.

Gesetzesänderungen sorgen für Mehrarbeit

Zugleich hat sich die personelle Ausstattung der Ausländerbehörde nicht nachhaltig verbessert. Zwar hat das Amt seit Jahresbeginn zur Verstärkung einige Zeitarbeitskräfte sowie ein gutes Dutzend Auszubildende bekommen. Doch diese sind zumindest am Anfang eher eine Belastung als eine Entlastung, denn sie müssen zuerst intensiv geschult und in die Materie eingearbeitet werden. Zeitgleich hätten erneut erfahrene Mitarbeiter die Ausländerbehörde aus Frust verlassen, die nun an allen Ecken und Enden fehlten, heisst es. Und auch der Krankenstand sei immer noch auf einem hohen Niveau.

Frankfurt ist kein Einzelfall. In Deutschland kämpfen viele, vor allem grosse Ausländerbehörden, mit den gleichen Problemen. Laut einer nicht repräsentativen Umfrage bei mehr als 200 Ausländerbehörden des Südwestrundfunks (SWR) im Jahr 2022 kam heraus, dass fast jede zweite befragte Behörde mit Untätigkeitsklagen konfrontiert ist. Zwei Drittel der Umfrageteilnehmer bezeichneten die Situation der eigenen Behörde als «sehr angespannt». Es gebe zu wenig vorgesehene Planstellen, zu wenig geeignete Bewerber, einen hohen Krankenstand und es fehle an Räumlichkeiten. Vor allem in den vergangenen fünf Jahren sei die Arbeitsbelastung stark angestiegen, hiess es in der Umfrage.

Neben dem fehlenden Personal und einer teilweise mangelhaften Digitalisierung kämpfen die Behörden auch mit immer neuen Gesetzen sowie unzähligen Varianten der Aufenthaltserlaubnis. Die Einführung des elektronischen Aufenthaltstitels führte einst beispielsweise zu einer Verdoppelung der Besuche in den Ausländerbehörden. Auch neue Gesetze wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz haben eine steigende Belastung der Ausländerbehörden bei oft gleicher Stellenzahl zur Folge.

Heftige Kritik am Magistrat

In der Stadt am Main kommen auf einen Mitarbeiter etwa 1400 Antragsteller, womit Frankfurt zu den am stärksten belasteten Behörden in Deutschland zählt. In mancher ostdeutschen Stadt liegt das Verhältnis dagegen «nur» bei 1 zu 350. In Frankfurt führten die durch die «NZZ» öffentlich gemachten Missstände schliesslich zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde der Commerzbank wegen Untätigkeit, die in Medien und Öffentlichkeit für viel Wirbel sorgte. Die Commerzbank hatte einen Mitarbeiter freigestellt, weil es diesem in acht Monaten trotz diverser Versuche nicht gelungen war, sein Visum zu verlängern.

«Die Frankfurter Politik lässt das Ausländeramt im Stich», sagt Kerry Reddington von der Kommunalen Ausländerinnen- und Ausländervertretung (KAV). Der Magistrat versage bei der Unterstützung der Behörde und nehme die Lage nicht ernst. Darunter würden nicht nur Asylbewerber leiden, sondern auch Antragsteller mit dringend benötigten Berufen wie Ärzten, Pfleger und Lastwagenfahrer. Rund ein Drittel der Antragsteller seien Akademiker. Auch unter dem neuen Oberbürgermeister Mike Josef werde die Lage offenbar nicht besser, sondern die Stadt versuche, das Problem auszusitzen.

Grosse Hoffnungen setzen Dezernentin Rinn und Ordnungsamtsleiterin Müller dem Vernehmen nach nun auf die Einführung eines neuen digitalen Kontaktformulars. Die Zuversicht wird offenbar auch von den Mitarbeitern der Ausländerbehörde geteilt. Ab dem 28. Juni sollen alle digitalen Anträge für Leistungen des Amtes nur noch über das neue Formular und mit Einreichung aller Unterlagen möglich sein.

Es wird in zehn Sprachen zur Verfügung stehen, darunter Mandarin. Anträge über die diversen Funktionspostfächer sind dann nicht mehr möglich. Die noch im System befindlichen alten Anträge müssen jedoch noch abgearbeitet werden, was allein viele Monate Zeit in Anspruch nehmen dürfte.

Mögliche Ausgliederung des Ausländeramts

Wenngleich das neue Tool voraussichtlich eine erhebliche Verbesserung bringen wird, dürfte es angesichts des schieren Antragsvolumens die Probleme der Ausländerbehörde allein nicht beheben. Dazu sind nach Ansicht von Beobachtern eine Aufstockung des Personals, grundsätzlich bessere Arbeitsbedingungen, sowie der politische Wille nötig. Möglicherweise würde auch eine Ausgliederung des Ausländeramtes aus dem Ordnungsamt helfen. Manche Städte führen die Ausländerbehörde als selbständige Organisation innerhalb der Verwaltung.

Die Medienstelle des Ordnungsamtes liess Fragen der «NZZ» zu den jüngsten Vorgängen in der Behörde am Freitag unbeantwortet und verwies nur allgemein auf eine Pressekonferenz am kommenden Dienstag, bei der es um die Vorstellung des «digitalen Antragsprogramms und weiterer Serviceoptimierungen» gehen soll.

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Landratsamt hält an Wachdienst fest, weil sonst Kündigungen drohen – 600 000 Euro Kosten

Mitarbeiter leben in Angst

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erding-landratsamt-security© EA-Archiv

Das Landratsamt Erding und zwei seiner Außenstellen, darunter auch das Flüchtlingsankunftszentrum mit dem Fachbereich Asyl in Altenerding, werden auch künftig von einem Wachdienst geschützt.

Erding - Das beschloss der Kreisausschuss trotz hohen Spardrucks. Denn würde der Vertrag mit einer Security-Firma auslaufen, würden einige Mitarbeiter mit Kundenkontakt umgehend kündigen. „Einige haben wirklich Angst“, berichtete Landrat Martin Bayerstorfer (CSU).

Es ist ein durchlässiges Sicherheitskonzept: Wer das Landratsamt oder den Bürokomplex am Alois-Schießl-Platz 6/8 betrifft, wird vom Wachpersonal gefragt, wo er hin wolle. Zum Teil werden Bürger dann zu den Sachbearbeitern begleitet. Auf der anderen Seite haben vor allem das Ausländeramt, der Fachbereich Asyl sowie das Sozial- und Jugendamt die Möglichkeit, die Wachleute zu alarmieren, wenn Gefahr droht. Sicherheitskontrollen wie am Amtsgericht oder Flughafen mit Torsonden und Taschenkontrollen gibt es aber nicht – und sind auch nicht geplant.

Eingeführt worden war die Security im April 2018 – nach den Erfahrungen der ersten Flüchtlingswelle, als in der Kreisverwaltung hohe Bargeldsummen umgeschlagen wurden. Bayerstorfer hatte damals berichtet, dass sich „immer wieder bedrohliche Situationen abgespielt“ hätten. Daraufhin hätten einzelne Mitarbeiter, aber auch der Personalrat einen dauerhaften Schutz eingefordert.

Nun läuft der Vertrag aus. Der Kreisausschuss musste entscheiden, ob er die Überwachung in drei Objekten fortsetzt – für 600 000 Euro bis Juli 2025. Denn in derselben Sitzung hatten die Kreisräte erfahren, dass sie allein in diesem Jahr (weitere) 14 Millionen Euro einsparen müssen (wir berichteten).

Harald Wirth von der Verwaltung stellte zwei Varianten des Vollschutzes vor – ein Verzicht auf einen Wachdienst beziehungsweise nur in reduzierter Form. Doch bei allem Sparbemühen war dafür keine Fraktion zu haben.

Lediglich Wolfgang Kellermann (AfD) gab zu bedenken, dass man es mit einem reduzierten Angebot versuchen könnte – mit der Option, bei Bedarf wieder aufzustocken. Bayerstorfer berichtete von Gesprächen mit Mitarbeitern, „die froh sind, dass es einen Sicherheitsdienst gibt“. Es sei zwar zum Glück noch nie etwas Gravierendes vorgekommen, „aber das eine oder andere Mal wurde die Security schon gerufen, etwa um einem Kunden den Weg nach draußen zu zeigen“.

Und: Er habe wie vor der Einführung vor fünf Jahren den Hinweis erhalten, dass Mitarbeiter kündigen würden, wenn es keine Security mehr gibt. In manchen Bereichen habe man es nun einmal mit Menschen zu tun, deren Situation sehr schwierig ist. Auch Ulla Dieckmann (SPD) pochte darauf, dass es auf das Sicherheitsgefühl der Mitarbeiter ankomme.

Helga Stieglmeier (Grüne) erkundigte sich, ob auch Taschenkontrollen denkbar seien. Bayerstorfer meinte: „Das finde ich nicht abwegig.“ Wirth indes erklärte: „Wir sind ein offenes Haus und eine Anlaufstelle für alle Bürger.“ Das lasse sich mit einer strengen individuellen Kontrolle nicht in Einklang bringen. „Ich weiß nicht, welche Außenwirkung das hätte“, sagte Wirth.

Mit seiner Entscheidung liegt der Landkreis nicht allein. Auch in den anderen Kreisverwaltungen in der Region ist Security im Einsatz, etwa in Fürstenfeldbruck, Dachau und Bad Tölz. In Freising war die Abschaffung diskutiert, dann aber wieder verworfen worden.

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So steht es um die Integration ukrainischer Geflüchteter in den Arbeitsmarkt

Willkommen in Hannover: Geflüchtete aus der Ukraine laufen durch die Eingangshalle vom Messebahnhof Laatzen.

Willkommen in Hannover: Geflüchtete aus der Ukraine laufen durch die Eingangshalle vom Messebahnhof Laatzen.© dpa

Etwas bessere Deutschkenntnisse, eine eigene Wohnung, ein Kitaplatz für die Tochter oder den Sohn: Ukrainische Geflüchtete kommen nach und nach in ihrem neuen Leben in Deutschland an. Wie gut und schnell das gelingt, hängt allerdings stark von der familiären Situation ab. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Längsschnittbefragung mehrerer Forschungsinstitute hervor. Das Zwischenfazit sei „durchaus ermutigend“, sagte Markus Grabka, Direktoriumsmitglied des Sozio-oekonomischen Panels im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW). „Die gesellschaftliche Teilhabe hat zuletzt deutliche Fortschritte gemacht.“

Das DIW hat mit drei weiteren Instituten im Herbst in einer ersten Welle mehr als 11.000 Ukrainerinnen und Ukrainer zwischen 18 und 70 Jahren befragt, die in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn nach Deutschland geflohen sind. Zwischen Januar und März befragten sie 6700 von ihnen erneut. Ein Kernergebnis: Vor allem beim Erlernen der deutschen Sprache sind die Geflüchteten vorangekommen. 65 Prozent besuchten zu Beginn des Jahres einen Sprachkurs, und weitere 10 Prozent hatten einen Kurs abgeschlossen – deutlich mehr als noch einige Monate zuvor. Der Anteil der Geflüchteten, die nach eigenen Angaben gar kein Deutsch sprechen, hat sich dadurch auf 18 Prozent mehr als halbiert, der Anteil derjenigen mit eher schlechten oder mittleren Deutschkenntnissen entsprechend zugenommen. Über gute oder sehr gute Deutschkenntnisse verfügen allerdings bislang nur 8 Prozent.

Dass viele Geflüchtete einen Sprachkurs besuchen, werten die Wissenschaftler als gutes Zeichen. Es helfe den Ukrainerinnen und Ukrainern nicht nur, sich zurechtzufinden und soziale Kontakte zu knüpfen, sondern sei auch entscheidend für eine erfolgreiche Integration am Arbeitsmarkt. Migrationsforscher und die Bundesagentur für Arbeit hatten früh das Ziel ausgegeben, dass die Geflüchteten aus der Ukraine – von denen sehr viele einen Hochschulabschluss haben – möglichst entsprechend ihrer Qualifikation in Arbeit vermittelt werden sollten.

18 Prozent sind erwerbstätig – kaum mehr als im Herbst

Weil das Deutschlernen dauert, haben bisher erst wenige ukrainische Geflüchtete Arbeit gefunden. Nach der Befragung, an der neben dem DIW auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung sowie das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge beteiligt sind, waren es zu Jahresanfang 18 Prozent der Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter – nur ein Prozentpunkt mehr als im Herbst. Von ihnen übten jeweils knapp 40 Prozent eine Voll- oder Teilzeittätigkeit aus. 18 Prozent hatten einen Minijob, 5 Prozent machten eine Ausbildung, 2 Prozent ein Praktikum. Der ersten Befragung zufolge ist das Jobspektrum groß. Damals war etwa ein Fünftel in Berufsgruppen mit einem eher niedrigen Qualifikationsniveau wie dem Reinigungsgewerbe oder der Gastronomie tätig. Ähnlich viele hatten Arbeit in Bereichen gefunden, die ein hohes Qualifikationsniveau voraussetzen: zum Beispiel in Forschung und Lehre oder der Softwareentwicklung.

Die gute Nachricht lautet: Von denen, die noch keine Arbeit haben, will der größte Teil eine Erwerbstätigkeit aufnehmen – und das in der Regel eher bald. Neben den Sprachkenntnissen gilt dabei vor allem die Kinderbetreuung als Knackpunkt. Wie die Forscher zeigen, gehen inzwischen zwar fast alle schulpflichtigen Kinder aus der Ukraine hierzulande in eine allgemein- oder berufsbildende Schule, zugleich besuchte aber nur jedes zweite geflüchtete Kind bis einschließlich sechs Jahre eine Kindertagesbetreuung. Andreas Ette vom Bundesinstitut für Berufsbildung betonte, wie wichtig ein ausreichend großes Angebot an Kitaplätzen sei. Nicht nur für die Eltern, um Sprachkurse besuchen und arbeiten zu können, sondern auch für die Kinder – um einen strukturierten Alltag zu haben, die Sprache zu lernen und Freunde zu finden.

Tatsächlich zeigen die Befragungsergebnisse, dass geflüchtete Mütter mit jüngeren Kindern viel langsamere Fortschritte machen als andere Gruppen. Sie weisen niedrigere Deutschkenntnisse auf, haben bislang seltener einen Sprachkurs besucht und sind nur zu einem sehr geringen Anteil von 3 Prozent erwerbstätig. Unter Vätern mit Kleinkindern, die in der Regel mit ihrer Partnerin in Deutschland leben, ist es hingegen fast ein Viertel. Dem Bericht zufolge lebt die Hälfte der geflüchteten Frauen aus der Ukraine im erwerbsfähigen Alter mit einem minderjährigen Kind zusammen, oft sind diese im Vorschulalter. Insgesamt sind seit Kriegsbeginn mehr als eine Million Menschen nach Deutschland gekommen.

Wie geht es nun weiter? Yuliya Kosyakova vom IAB mahnte am Mittwoch, die Integration der Ukrainerinnen und ­Ukrainer sei „kein Selbstläufer“. Die Geflüchteten brauchten Planungssicherheit, ob sie langfristig in Deutschland bleiben dürften. Das sei etwa mit Blick auf das Erlernen der deutschen Sprache auch wichtig für die Motivation. Hintergrund ist, dass noch offen ist, ob das in der Europäischen Union derzeit bis März 2024 befristete Aufenthaltsrecht für ­Ukrainerinnen und Ukrainer verlängert wird. Wie die Befragung zeigt, will knapp die Hälfte der Geflüchteten aus der ­Ukraine für immer oder zumindest noch einige Jahre in Deutschland bleiben. Dieser Anteil ist seit der ersten Befragung etwas größer geworden. Etwa ein Drittel will zumindest bis Kriegsende bleiben, ein knappes Viertel weiß es noch nicht.

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Asyl in Europa: Droht Wildwest an den EU-Grenzen?

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Asyl in Europa: Droht Wildwest an den EU-Grenzen?

Szene vom Mai: Flüchtlinge aus Irak und Syrien versuchen von Belarus aus, nach Polen zu kommen.

Szene vom Mai: Flüchtlinge aus Irak und Syrien versuchen von Belarus aus, nach Polen zu kommen.© IMAGO/ZUMA Wire

Ein Bündnis europäischer Menschenrechtsgruppen warnt vor der neuen Krisenverordnung zu Flucht und Asyl. Doch ist offen, ob die Mitgliedsstaaten sich überhaupt einigen können.

Noch mehr Willkür, Haft und Schutzlosigkeit, noch weniger Rechtsstaatlichkeit im Umgang mit Geflüchteten an den EU-Außengrenzen: Das könnte drohen, wenn die EU-Mitgliedsstaaten sich auf eine Art Notfallverordnung einigen, die sie derzeit debattieren. Dagegen wendet sich ein Bündnis von mehr als 60 großen europäischen Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen mit einem Appell, der an diesem Freitag veröffentlicht wird. Unterzeichnet haben etwa der Europäische Flüchtlingsrat (ECRE), Human Rights Watch, Danish Refugee Council, Pro Asyl und kirchliche Verbände.

Das NGO-Papier, das der FR vorliegt, richtet sich an die EU-Regierungen und das Europäische Parlament. Anlass: Aktuell verhandeln die Staaten eine neue Verordnung für Fälle von „Krisen, höherer Gewalt und Instrumentalisierung“ durch Migration und Asyl. Was zunächst eher sperrig und bürokratisch klingt, hat es in sich: Das Regelwerk würde einzelnen EU-Staaten im Fall einer „Krise“, „höherer Gewalt“ oder „Instrumentalisierung“ von Flucht durch einen Drittstaat erlauben, die Grundrechte von Geflüchteten an den Außengrenzen der Union dramatisch einzuschränken. Und zwar noch unter die sehr umstrittenen Standards des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (Geas), auf die sich die Mitgliedsstaaten im Juni geeinigt hatten. Da waren unter anderem verkürzte Asyl-Grenzverfahren unter haftähnlichen Bedingungen auf den Weg gebracht und die Kriterien für „sichere Drittstaaten“ massiv aufgeweicht worden.

Die jetzt geplante Verordnung ist gedacht für Situationen, in denen in kurzer Zeit sehr viele Geflüchtete in die EU wollen. Dahinter stehen etwa Erfahrungen an der Ostgrenze vor knapp zwei Jahren, als Belarus Tausende Flüchtlinge zur EU-Grenze brachte, um Druck auszuüben. Ähnliches erlebte Griechenland an der Landgrenze zur Türkei.

Die jetzt geplante Verordnung allerdings, so die Kritik der NGOs, definiere „nur vage oder gar nicht“, wann eine Krise oder „Instrumentalisierung“ vorliegt. Mit ihr drohten somit „erhebliche negative Folgen für die Grundrechte“ der Geflüchteten: Die Staaten könnten unter anderem den Zugang zu Asylverfahren einschränken, Pushbacks ausweiten, deutlich mehr Menschen für die Zeit ihres Verfahrens inhaftieren, „einschließlich unbegleiteter Kinder und Familien“. Toleriert würden zudem mangelhafte Unterbringung und Gesundheitsversorgung, „die die Schwelle der Menschenwürde unterschreiten“. Wildwest an den EU-Außengrenzen?

Freibrief für Alleingänge

Die Unterzeichnenden des Appells warnen, mit der Verordnung breche die EU die Genfer Flüchtlingskonvention und die Kinderrechtskonvention. Zudem höhle sie das Gemeinsame Europäische Asylsystem aus, weil sie die Schwelle zu Alleingängen einzelner Staaten niedrig lege.

Ob das Regelwerk aber beschlossen wird, ist derzeit offen. Nach Informationen von Pro Asyl hat die derzeitige spanische Ratspräsidentschaft das Ziel, dass es noch im Juli beschlossen werden soll. Bedenken gegen die massiven Einschnitte hat demnach aber unter anderem Deutschland, während sie Polen, Ungarn und Bulgarien nicht weit genug gehen.

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Redmann fordert Sachleistungen für abgelehnte Asylbewerber

Jan Redmann, Brandenburger CDU-Fraktionsvorsitzender, gibt ein Statement.

Jan Redmann, Brandenburger CDU-Fraktionsvorsitzender, gibt ein Statement.© Patrick Pleul/dpa

Brandenburgs CDU-Fraktionschef Jan Redmann will erreichen, dass insbesondere abgelehnte Asylbewerber und Geflüchtete mit geringer Bleibeperspektive nur noch Sachleistungen erhalten. «Wir müssen die Anreize reduzieren, die Flüchtlinge anziehen», sagte Redmann der Deutschen Presse-Agentur. «Und das ist beispielsweise die im europäischen Vergleich überdurchschnittlich gute soziale Versorgung von Menschen, die nach Deutschland kommen.»

Er verwies darauf, dass Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive in Brandenburg seit dem 1. Juli bis zu 18 Monate in der Zentralen Erstaufnahme bleiben müssen und dort nur Sachleistungen erhalten. «Das haben wir in der rot-schwarz-grünen Koalition mit unserem Innenminister Michael Stübgen schon durchgesetzt», betonte Redmann, der auch CDU-Landeschef ist. «Und dies könnte auch deutschlandweit ein Vorbild sein.»

Die Unterstützung der Geflüchteten mit Sachleistungen statt mit Geld sollte nach Ansicht Redmanns auch von den Kommunen in den Gemeinschaftsunterkünften in den Landkreisen durchgesetzt werden. Er verwies darauf, dass in der Heimat der geflüchteten Menschen oft für die Kosten der Flucht zusammengelegt werde, in der Hoffnung, dass später Geld zurückfließe. «Dieser Anreiz fällt dann weg», sagte Redmann.

Die Umstellung auf Sachleistungen für Asylbewerber hatte auch die AfD im Brandenburger Landtagswahlkampf 2019 gefordert. «Bei dem, was ich fordere und für das ich mich einsetze, richtet sich mein Blick nicht auf die AfD. Sondern mein Blick richtet sich auf das, was notwendig ist», betonte Redmann.

Er erneuerte zudem die Forderung, dass es wie in Bayern an der Grenze zu Österreich auch stationäre Kontrollen an der Grenze zu Polen geben müsse. Dies lehnt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bislang ab.

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Flüchtlinge: EU und Tunesien erzielen Einigung beim Thema Migration

Mark Rutte, Ursula von der Leyen (2.v.l), und Giorgia Meloni (r) zusammen mit Kais Saied, dem Präsidenten von Tunesien.

Mark Rutte, Ursula von der Leyen (2.v.l), und Giorgia Meloni (r) zusammen mit Kais Saied, dem Präsidenten von Tunesien.© Freek Van Den Bergh/ANP/dpa

Angesichts steigender Zahlen von Migranten und ihrer lebensgefährlichen Fahrten über das Mittelmeer haben die EU und Tunesien eine noch stärkere Zusammenarbeit bei dem Thema beschlossen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Regierungschefs der Niederlande und Italiens sowie Tunesiens Präsident Kais Saied verkündeten am Sonntag in Tunis die Unterzeichnung einer entsprechenden Absichtserklärung. Damit kann die EU-Kommission für das wirtschaftlich schwer angeschlagene Land in Nordafrika Finanzhilfen in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro auf den Weg bringen.

Italiens Ministerpräsidentin drängte auf Deal

Vor gut einem Monat waren die EU-Politiker bereits zu Gesprächen in Tunesien, um den Deal auszuhandeln. Im Gegenzug für die Finanzhilfen soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren. Vor allem die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni drängte auf eine Vereinbarung, um die von Tunesien ablegenden Migrantenboote auf deren Weg nach Süditalien und damit in die Europäische Union früh zu stoppen.

„Wir haben ein gutes Paket. Jetzt ist es Zeit, es umzusetzen“, sagte von der Leyen mit Blick auf die Absichtserklärung. Saied sagte: „Wir sind fest entschlossen, sie schnellstmöglich umzusetzen.“ Er sprach beim Thema Migration von einer „unmenschlichen Situation“, die im Kollektiv gelöst werden müsse. Die EU-Kommission will etwa für Such- und Rettungsaktionen und die Rückführungen von Migranten gut 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das entspricht der dreifachen Summe, mit der Brüssel Tunis dabei zuletzt im Durchschnitt jährlich unterstützte.

Eines der wichtigsten Transitländer für Migranten

Tunesien ist eines der wichtigsten Transitländer für Migranten auf dem Weg nach Europa. Vor allem in Italien wird seit geraumer Zeit über die Ankunft Tausender Migranten diskutiert. In diesem Jahr stiegen die Migrationszahlen über die Mittelmeerroute massiv. Allein bis Freitag zählte das Innenministerium in Rom mehr als 75.000 Bootsmigranten, die seit Jahresbeginn an Italiens Küsten ankamen - im Vorjahreszeitraum waren es rund 31.900.

„Nach viel diplomatischer Arbeit haben wir ein sehr wichtiges Ziel erreicht“, sagte Meloni. Das Memorandum ermögliche eine „integrierte Bewältigung der Migrationskrise“. Sie hoffe zudem auf weitere ähnliche Abkommen mit anderen nordafrikanischen Ländern. Kommenden Sonntag sei in Rom auch eine Migrationskonferenz geplant, an der Saied sowie weitere Staats- und Regierungschefs des Mittelmeerraums teilnehmen sollen.

IWF verlangt Reformen von Tunesien

Die Absichtserklärung ist in den Verhandlungen ein wichtiger Schritt nach vorn. Bis das Geld an Tunis fließen kann, braucht es aber auch noch Einigung von anderer Seite: Ein Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar an Tunesien hängt in der Luft, weil Präsident Saied keine verbindliche Zusage zu den dafür verlangten Reformen machen will.

Saied hatte im Februar ein härteres Vorgehen gegen Migranten angekündigt und ihnen vorgeworfen, Gewalt und Kriminalität ins Land zu bringen. Seitdem nahmen Anfeindungen und rassistische Übergriffe zu. In der Küstenstadt Sfax kam es zu teils tödlichen Zusammenstößen zwischen Migranten und Anwohnern.

Tunesien leidet unter schwerer Wirtschaftskrise

Kritiker werfen Saied vor, sich auf den Ausbau seiner Macht zu konzentrieren und nicht auf Lösungen für die schwere Wirtschaftskrise im Land. Nach Kritik der EU an seinem Machtausbau war das Verhältnis zuletzt angespannt. Saied schloss auch aus, sein Land zu einer Grenzpolizei für Europa werden zu lassen. Tunesiens Regierung sieht eine langfristige Ansiedlung von Migranten im Land zudem kritisch. Viele Tunesier fürchten, dass genau dies Ergebnis eines EU-Deals sein könnte.

Eines des wichtigsten Wahlversprechen der ultrarechten Meloni war, die vielen Mittelmeer-Migranten aus Nordafrika von den süditalienischen Küsten abzuhalten. Dass dieses Jahr aber mehr als 2022 ankamen, setzt sie unter Druck. Ihr liegt deswegen viel daran, Tunesien als Verbündeten für die neue europäische Asylpolitik zu gewinnen. Sie schlug immer wieder vor, Tunis - ähnlich wie das die EU 2016 mit der Türkei in einem Deal vereinbart hatte - dafür zu bezahlen, die Migrantenboote konsequent am Ablegen Richtung Italien zu hindern.

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Bürgermeister funkt SOS nach Berlin: „Unser System mit den Flüchtlingen kollabiert“

KRISENGESPRÄCH IM RATHAUS VON MIESBACH

Bürgermeister funkt SOS nach Berlin: „Unser System mit den Flüchtlingen kollabiert“

Die Lage ist ernst: Miesbachs Bürgermeister Gerhard Braunmiller (l.) hat Bundestagsabgeordnetem Alexander Radwan die Folgen der Flüchtlingsmassen geschildert und hofft auf Hilfe aus Berlin.

Die Lage ist ernst: Miesbachs Bürgermeister Gerhard Braunmiller (l.) hat Bundestagsabgeordnetem Alexander Radwan die Folgen der Flüchtlingsmassen geschildert und hofft auf Hilfe aus Berlin.© Thomas Plettenberg

Weil die Lösungen auf kommunaler Ebene ausgereizt sind, richtet sich jetzt der Blick nach oben, nach Berlin. Dazu gab es gestern im Miesbacher Rathaus ein Krisengespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Alexander Radwan. Das Ziel: Weniger Flüchtlingszuweisungen für den Landkreis.

Miesbach – Der Widerstand in der Bevölkerung wächst. Diese Botschaft hat Miesbachs Bürgermeister Gerhard Braunmiller (CSU) dem Bundestagsabgeordneten Alexander Radwan mit auf den Weg nach Berlin gegeben. Der CSU-Kreisvorsitzende aus Rottach-Egern soll dort die Erfahrungsberichte aus seinem Wahlkreis in die verschiedenen Gremien einbringen und so dazu beitragen, dass sich die Lage auf der untersten Ebene – bei den Kommunen – möglichst zeitnah entspannt.

Wie Braunmiller gestern im anschließenden Pressegespräch zusammenfasste, werde das Rathaus durch die Meldevorgänge, die mit der Unterbringung in der Kreisstadt einhergehen, im Sozial- und Ordnungsamt zunehmend belastet. Wie berichtet, sind in den kreiseigenen Turnhallen von Berufsschule und Gymnasium Flüchtlinge untergebracht – getrennt nach denen aus der Ukraine und sonstigen. Am Gymnasium seien 70 von 190 Plätzen mit Ukrainern belegt, an der Berufsschule 134 von 150. „Es ist eine sehr dynamische Situation“, beschreibt es Braunmiller. „Es ist ein ständiges Kommen und Gehen.“

Besonderer Druck durch den Wohnungsmarkt

Und mit dem Abschluss des Anerkennungsverfahrens sei die Drucksituation für die Stadt noch nicht vorbei. Denn anerkannte Asylsuchende müssen als sogenannte Fehlbeleger die Unterbringung räumen, um Platz für neue Flüchtlinge zu machen. Das bekannte Problem dabei: Wohin sollen sie dann gehen, wenn sie keine Wohnung finden? Dann muss die Stadt eine Unterkunft stellen, die sie nicht hat.

Problemfeld Schule

Ein weiteres Problemfeld ist laut Braunmiller die Schule. Während Ukrainer drei Monate Karenzzeit hätten, bis die Schulpflicht greife, müssten die Kinder der übrigen Flüchtlinge umgehend beschult werden. Hier sei die Bereitschaft der Eltern mitzuwirken nicht so stark ausgeprägt – angefangen schon dabei, kranke Kinder bei der Schule abzumelden. Unmut wachse bei der Lehrerschaft, die durch die Integration in den Klassen ebenfalls belastet seien.

Helferkreis funkt SOS

Auch aus dem Helferkreis wird SOS gefunkt. „Die Bereitschaft zur Mitarbeit sinkt“, hat Braunmiller festgestellt. „Wir bekommen Hinweise, dass das alles nicht mehr funktionieren.“ Man sei in Miesbach bei der Integration am Limit.

Radwan nimmt viele Informationen aus der Gesprächsrunde im Rathaus mit: „Mein Eindruck ist, dass die Verantwortlichen wollen, aber sie sind nun am Rand der Leistungsfähigkeit angekommen.“ Auch die Lehrer seien grundsätzlich bereit, Flüchtlingskinder zu unterrichten. Umso mehr müsse man die Botschaft, dass es so nicht weitergehen könne, ernst nehmen. Radwan: „Wir wollen ein Land sein, das anderen Menschen hilft.“ Aber man sei nun an einem Punkt, an dem man etwas ändern müsse.

Kampf gegen Schleuser

Als guten Schritt wertet Radwan das Migrationsabkommen, das die Europäische Union (EU) nun mit Tunesien abgeschlossen hat. Generell müsse es das Ziel sein, „dem dreckigen Geschäft der Schleuser die Grundlage zu entziehen“. Denn dass viele Flüchtlinge frustriert seien, liege auch an den bewusst falschen Versprechungen wie „ein Haus und Geld“, die man Flüchtlingen mache, um sie zu teuren Überfahrten zu bewegen. „Früher wären solche Abkommen nicht möglich gewesen“, sagt Radwan. Nun müsse man den Weg fortsetzen und auf andere Staaten wie Marokko und Ägypten erweitern. Denn Abschiebungen seien vergleichsweise schwer.

„Das System kollabiert“

Auf kommunaler Ebene sei es unabhängig davon wesentlich, unabhängig vom Königsteiner Schlüssel – den der Landkreis nicht erfüllt – auf „regionale Gegebenheiten zu achten“, betont Braunmiller. „Und das ist beispielsweise fehlender Wohnraum.“ Sein Appell: „Wir müssen jetzt Druck rausnehmen, damit unser System nicht kollabiert. Wir müssen den Zustrom steuern.“ Mit Radwans Hilfe von Berlin aus.

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Kommentar zum Asylrecht: So kann es nicht weitergehen

Flüchtlinge in der tunesischen Wüste am 16. Juli 2023

Flüchtlinge in der tunesischen Wüste am 16. Juli 2023© AFP

Das ehrwürdige deutsche Grundrecht, das da lautet: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, gibt es im Grunde schon lange nicht mehr. Seit dem Asylkompromiss von 1993 ist dieses „absolute Recht“ von Verfassungs wegen eigentlich allen verwehrt, die auf dem Landweg das von „sicheren“ Staaten umgebene Deutschland erreichen.

Doch auch das mittlerweile weitgehend europäisierte Asylrecht hat nichts daran geändert, dass Deutschland Hauptziel weitgehend unkon­trollierter Flüchtlingsströme ist. Europa hält seinen Anspruch hoch, jedem Schutzbedürftigen Asyl zu gewähren, will auch lieber keine Mauern und Lager – aber am besten auch keine Asylbewerber. Jedenfalls nicht vor der eigenen Tür.

Der Wille reicht nicht

Der Vorschlag, das individuelle Recht auf Asyl mitsamt all seinen Folgen abzuschaffen, ist nicht neu. Er setzt nicht nur einen umfassenden europäischen Willen voraus. Zwar hat auch das Bundesverfassungsgericht seinerzeit festgestellt, das Grundrecht auf Asyl könne auch gestrichen werden. Doch nicht angetastet werden darf die Menschenwürde.

Verträge können gekündigt, Richtlinien geändert werden; anders ist es mit der Rechtsprechung. Zudem würde auch die Umwandlung des Asylrechts in eine Institutsgarantie erst einmal niemanden daran hindern, weiterhin auf gefährlichen Wegen sein Glück in Europa zu suchen.

Klar ist aber auch: So kann es nicht weitergehen. Die Fluchtursachen werden seit Jahrzehnten bekämpft. Zum anderen müssen die Wege nach Europa unterbunden werden, was gerade durch das EU-Abkommen mit Tunesien versucht wird. Vor allem aber muss sich herumsprechen, dass der Weg (der den Schwächsten bisher ohnehin nicht offensteht) sich nicht lohnt.

Wer weiß, dass er sogleich zurückgeführt wird, könnte sich anders entscheiden, wenn er zudem die Möglichkeit hat, von seinem Herkunftsland aus einen Antrag zu stellen. Es wäre jedenfalls unmenschlich und verantwortungslos, das Grundrecht auf Asyl weiter hochzuhalten, ohne der Wirklichkeit ins Auge zu blicken.