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Arbeitsmarkt
Zitat von Gast am 28. Oktober 2021, 11:18 UhrArbeitslosigkeit in Deutschland sinkt im Oktober kräftig
Nürnberg. Der deutsche Arbeitsmarkt trotzt weiter der Corona-Pandemie. Im Oktober ging es bei der Arbeitslosigkeit noch einmal kräftig nach unten. Sorgen gibt es um die Ausbildung.
Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist dank einer anhaltenden Herbstbelebung im Oktober kräftig auf 2,377 Millionen gesunken. Das sind 88.000 weniger als im September und 383.000 weniger als im Oktober vergangenen Jahres, wie die Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag in Nürnberg mitteilte. Die Arbeitslosenquote sank im Oktober um 0,2 Punkte auf 5,2 Prozent. Die Bundesagentur hat für ihre Statistik Datenmaterial berücksichtigt, das bis zum 12. Oktober eingegangen ist.
„Die Folgen der Corona-Krise auf dem Arbeitsmarkt sind zwar noch sichtbar, werden aber kleiner“, sagte der Vorstandschef der Bundesagentur, Detlef Scheele. „Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sinken kräftig, Beschäftigung und die Nachfrage der Unternehmen nach neuem Personal nehmen zu und Kurzarbeit ist weiter rückläufig“, sagte er.
Zwischen dem 1. und dem 24. Oktober hatten Betriebe für 93.000 Personen Kurzarbeit angemeldet. Wie viel tatsächlich davon in Anspruch genommen wird, entscheidet sich aber erst später. Die neuesten Daten für die tatsächliche Inanspruchnahme stammen aus dem August. In diesem Monat zahlte die Bundesagentur für 760.000 Menschen Kurzarbeitergeld. Dies ist deutlich weniger als auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, als knapp sechs Millionen Menschen in Deutschland in Kurzarbeit waren.
Nicht zufrieden zeigte sich Scheele mit der Lage auf dem Ausbildungsmarkt. „Die Ergebnisse bleiben trotz einer Aufhellung noch sehr deutlich hinter denen vor der Pandemie zurück und wir stehen weiterhin vor großen Herausforderungen“, sagte er. In den vergangenen zwölf Monaten waren den Jobcentern und den Arbeitsagenturen 511.300 Lehrstellen gemeldet worden, 19.000 weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Demgegenüber hätten 433.500 Bewerber Beratungen der Jobcenter und Agenturen in Anspruch genommen - 39.400 weniger als im Vorjahreszeitraum.
Arbeitslosigkeit in Deutschland sinkt im Oktober kräftig
Nürnberg. Der deutsche Arbeitsmarkt trotzt weiter der Corona-Pandemie. Im Oktober ging es bei der Arbeitslosigkeit noch einmal kräftig nach unten. Sorgen gibt es um die Ausbildung.
Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist dank einer anhaltenden Herbstbelebung im Oktober kräftig auf 2,377 Millionen gesunken. Das sind 88.000 weniger als im September und 383.000 weniger als im Oktober vergangenen Jahres, wie die Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag in Nürnberg mitteilte. Die Arbeitslosenquote sank im Oktober um 0,2 Punkte auf 5,2 Prozent. Die Bundesagentur hat für ihre Statistik Datenmaterial berücksichtigt, das bis zum 12. Oktober eingegangen ist.
„Die Folgen der Corona-Krise auf dem Arbeitsmarkt sind zwar noch sichtbar, werden aber kleiner“, sagte der Vorstandschef der Bundesagentur, Detlef Scheele. „Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sinken kräftig, Beschäftigung und die Nachfrage der Unternehmen nach neuem Personal nehmen zu und Kurzarbeit ist weiter rückläufig“, sagte er.
Zwischen dem 1. und dem 24. Oktober hatten Betriebe für 93.000 Personen Kurzarbeit angemeldet. Wie viel tatsächlich davon in Anspruch genommen wird, entscheidet sich aber erst später. Die neuesten Daten für die tatsächliche Inanspruchnahme stammen aus dem August. In diesem Monat zahlte die Bundesagentur für 760.000 Menschen Kurzarbeitergeld. Dies ist deutlich weniger als auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, als knapp sechs Millionen Menschen in Deutschland in Kurzarbeit waren.
Nicht zufrieden zeigte sich Scheele mit der Lage auf dem Ausbildungsmarkt. „Die Ergebnisse bleiben trotz einer Aufhellung noch sehr deutlich hinter denen vor der Pandemie zurück und wir stehen weiterhin vor großen Herausforderungen“, sagte er. In den vergangenen zwölf Monaten waren den Jobcentern und den Arbeitsagenturen 511.300 Lehrstellen gemeldet worden, 19.000 weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Demgegenüber hätten 433.500 Bewerber Beratungen der Jobcenter und Agenturen in Anspruch genommen - 39.400 weniger als im Vorjahreszeitraum.
Zitat von Gast am 11. November 2021, 07:12 UhrStudie: So stehen die Jobchancen ohne Berufsabschluss
Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt: Unternehmen suchen oft gezielt nach Arbeitskräften ohne Berufsabschluss, die statt einer breitgefächerten Berufsausbildung Spezialwissen in einem Fachgebiet mitbringen. Größtes Problem dabei: Die Qualifikationen der Quereinsteiger sind für Unternehmen oft schwer einschätzbar.
Um erfolgreich in einem Beruf zu sein, braucht es nicht unbedingt einen vollwertigen Berufsabschluss. Ganz im Gegenteil: Viele Unternehmen suchen speziell nach teilqualifizierten Arbeitskräften, die Spezialwissen in einem bestimmten Fachgebiet mitbringen. Denn die meisten Berufe erfordern nicht das volle Programm an berufsfachlichen Kompetenzen. Viel wichtiger ist es oftmals, alle relevanten Qualifikationen für ein spezielles Einsatzgebiet mitzubringen.
Studie enthüllt: 81,2 Prozent der Unternehmen suchen Teilqualifizierte
Um zu untersuchen, wie groß der Bedarf von deutschen Unternehmen nach Arbeitskräften ohne Berufsabschluss ist, hat die Bertelsmann Stiftung im Zuge einer kürzlich veröffentlichten Studie deutsche Unternehmer zu ihrer Einstellung bezüglich Quereinsteigern befragt. Dafür wurden insgesamt 30 Ausbildungsberufe näher unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse der Studie sind für viele sehr überraschend.
So sind grundsätzlich 81,2 Prozent der deutschen Unternehmen bereit, auch Teilqualifizierte ohne einen anerkannten Berufsabschluss einzustellen. Noch vor der Corona-Krise waren sogar mehr als die Hälfte der Unternehmen (51,7 Prozent) explizit auf der Suche nach Arbeitnehmern ohne Berufsabschluss, solange diese Kompetenzen in mindestens einem beruflichen Einsatzfeld besitzen.
Große Unternehmen suchen spezialisierte Teilqualifizierte
Ob ein Unternehmen eher teilqualifizierte oder vollqualifizierte Mitarbeiter bevorzugt, ist den Studienergebnissen zufolge von unterschiedlichen Faktoren wie Berufsfeld und Unternehmensgröße abhängig:
So war die Nachfrage nach teilqualifizierten Mitarbeitern in zwei Dritteln der betrachteten Berufsfelder sogar höher als nach vollqualifizierten Arbeitskräften. Besonders stark waren Teilqualifizierte als Verfahrensmechaniker, Berufskraftfahrer und Köche gefragt. Hier gaben neun von zehn Unternehmen an, vornehmlich Stellen für Arbeitskräfte mit Teilqualifizierungen zu haben.
Zum anderen hängt die Entscheidung der Arbeitgeber stark von der Unternehmensgröße ab. Denn je größer ein Betrieb ist, desto größer ist auch die Nachfrage nach Mitarbeitern mit Teilqualifizierung. Das liegt daran, dass kleine Unternehmen oft nicht die Mittel für eine Arbeitsteilung bzw. Spezialisierung haben und daher eher Arbeitskräfte brauchen, die alle beruflichen Kompetenzen abdecken können. In großen Betrieben ist es dagegen notwendig und auch sehr effizient, Arbeitsprozesse aufzuspalten und spezialisierte Arbeitskräfte einzusetzen.
Bedarf nach Quereinsteigern unabhängig von Stellenmarkt
Der durchschnittliche Bedarf an teil- und vollqualifizierten Arbeitskräften von Unternehmen ist dabei laut Studienergebnissen weitgehend unabhängig von der Situation auf dem Stellenmarkt. So sollen im Jahr 2019 im Durchschnitt etwa ein Drittel der Einsatzfelder mit Teilqualifizierten besetzt worden sein. Quereinsteiger werden also keinesfalls nur gebraucht, wenn die nötigen Arbeitskräfte mit Berufsabschluss fehlen. Trotzdem steigt die Nachfrage nach Teilqualifizierten natürlicherweise, wenn der Bedarf an Stellen für Arbeitskräfte mit Berufsabschluss in einem Bereich nicht gedeckt werden kann.
Qualifikationen von Quereinsteigern schwer einschätzbar
Jedoch haben einige Unternehmen laut den Autoren der Studie große Probleme bei der Auswahl von Bewerbern ohne vollwertigen Berufsabschluss: So sagen 48 Prozent der Unternehmen, dass sie Schwierigkeiten dabei haben, die Kompetenzen einer Arbeitskraft ohne Berufsabschluss richtig beurteilen zu können. Daher sind 70 Prozent der Unternehmen der Meinung, dass man die Qualifikationen einer Arbeitskraft ohne Abschluss besser "sichtbar machen" müsste. Dadurch könnte das Potenzial von Teilqualifizierten ihrer Ansicht nach noch besser ausgeschöpft werden. Und auch in den Jahren vor der Corona-Krise bemängelten mehr als 50 Prozent der Unternehmen die unklare Qualifikationslage.
Neues Testverfahren soll Abhilfe schaffen
Um den Unternehmen ein Mittel zur Beurteilung der Kompetenzen ihrer Bewerber an die Hand zu geben, hat die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit das computergestützte Testverfahren "MySkills" entwickelt. Über das Programm beantworten die Bewerber über vier Stunden hinweg unterschiedliche, komplexe Fragen, die alltägliche Situationen in dem jeweiligen Ausbildungsberuf abdecken sollen. Gestützt sind diese Fragen mit entsprechenden Bildern und Videos.
Und schon jetzt ist der Test ein voller Erfolg: Wie Studienleiter Roman Wink gegenüber dem Spiegel verrät, wurde das Testverfahren "MySkills" bereits bei rund 12.000 Jobcentern und Arbeitsagenturen angewendet .
Studie: So stehen die Jobchancen ohne Berufsabschluss
Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt: Unternehmen suchen oft gezielt nach Arbeitskräften ohne Berufsabschluss, die statt einer breitgefächerten Berufsausbildung Spezialwissen in einem Fachgebiet mitbringen. Größtes Problem dabei: Die Qualifikationen der Quereinsteiger sind für Unternehmen oft schwer einschätzbar.
Um erfolgreich in einem Beruf zu sein, braucht es nicht unbedingt einen vollwertigen Berufsabschluss. Ganz im Gegenteil: Viele Unternehmen suchen speziell nach teilqualifizierten Arbeitskräften, die Spezialwissen in einem bestimmten Fachgebiet mitbringen. Denn die meisten Berufe erfordern nicht das volle Programm an berufsfachlichen Kompetenzen. Viel wichtiger ist es oftmals, alle relevanten Qualifikationen für ein spezielles Einsatzgebiet mitzubringen.
Studie enthüllt: 81,2 Prozent der Unternehmen suchen Teilqualifizierte
Um zu untersuchen, wie groß der Bedarf von deutschen Unternehmen nach Arbeitskräften ohne Berufsabschluss ist, hat die Bertelsmann Stiftung im Zuge einer kürzlich veröffentlichten Studie deutsche Unternehmer zu ihrer Einstellung bezüglich Quereinsteigern befragt. Dafür wurden insgesamt 30 Ausbildungsberufe näher unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse der Studie sind für viele sehr überraschend.
So sind grundsätzlich 81,2 Prozent der deutschen Unternehmen bereit, auch Teilqualifizierte ohne einen anerkannten Berufsabschluss einzustellen. Noch vor der Corona-Krise waren sogar mehr als die Hälfte der Unternehmen (51,7 Prozent) explizit auf der Suche nach Arbeitnehmern ohne Berufsabschluss, solange diese Kompetenzen in mindestens einem beruflichen Einsatzfeld besitzen.
Große Unternehmen suchen spezialisierte Teilqualifizierte
Ob ein Unternehmen eher teilqualifizierte oder vollqualifizierte Mitarbeiter bevorzugt, ist den Studienergebnissen zufolge von unterschiedlichen Faktoren wie Berufsfeld und Unternehmensgröße abhängig:
So war die Nachfrage nach teilqualifizierten Mitarbeitern in zwei Dritteln der betrachteten Berufsfelder sogar höher als nach vollqualifizierten Arbeitskräften. Besonders stark waren Teilqualifizierte als Verfahrensmechaniker, Berufskraftfahrer und Köche gefragt. Hier gaben neun von zehn Unternehmen an, vornehmlich Stellen für Arbeitskräfte mit Teilqualifizierungen zu haben.
Zum anderen hängt die Entscheidung der Arbeitgeber stark von der Unternehmensgröße ab. Denn je größer ein Betrieb ist, desto größer ist auch die Nachfrage nach Mitarbeitern mit Teilqualifizierung. Das liegt daran, dass kleine Unternehmen oft nicht die Mittel für eine Arbeitsteilung bzw. Spezialisierung haben und daher eher Arbeitskräfte brauchen, die alle beruflichen Kompetenzen abdecken können. In großen Betrieben ist es dagegen notwendig und auch sehr effizient, Arbeitsprozesse aufzuspalten und spezialisierte Arbeitskräfte einzusetzen.
Bedarf nach Quereinsteigern unabhängig von Stellenmarkt
Der durchschnittliche Bedarf an teil- und vollqualifizierten Arbeitskräften von Unternehmen ist dabei laut Studienergebnissen weitgehend unabhängig von der Situation auf dem Stellenmarkt. So sollen im Jahr 2019 im Durchschnitt etwa ein Drittel der Einsatzfelder mit Teilqualifizierten besetzt worden sein. Quereinsteiger werden also keinesfalls nur gebraucht, wenn die nötigen Arbeitskräfte mit Berufsabschluss fehlen. Trotzdem steigt die Nachfrage nach Teilqualifizierten natürlicherweise, wenn der Bedarf an Stellen für Arbeitskräfte mit Berufsabschluss in einem Bereich nicht gedeckt werden kann.
Qualifikationen von Quereinsteigern schwer einschätzbar
Jedoch haben einige Unternehmen laut den Autoren der Studie große Probleme bei der Auswahl von Bewerbern ohne vollwertigen Berufsabschluss: So sagen 48 Prozent der Unternehmen, dass sie Schwierigkeiten dabei haben, die Kompetenzen einer Arbeitskraft ohne Berufsabschluss richtig beurteilen zu können. Daher sind 70 Prozent der Unternehmen der Meinung, dass man die Qualifikationen einer Arbeitskraft ohne Abschluss besser "sichtbar machen" müsste. Dadurch könnte das Potenzial von Teilqualifizierten ihrer Ansicht nach noch besser ausgeschöpft werden. Und auch in den Jahren vor der Corona-Krise bemängelten mehr als 50 Prozent der Unternehmen die unklare Qualifikationslage.
Neues Testverfahren soll Abhilfe schaffen
Um den Unternehmen ein Mittel zur Beurteilung der Kompetenzen ihrer Bewerber an die Hand zu geben, hat die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit das computergestützte Testverfahren "MySkills" entwickelt. Über das Programm beantworten die Bewerber über vier Stunden hinweg unterschiedliche, komplexe Fragen, die alltägliche Situationen in dem jeweiligen Ausbildungsberuf abdecken sollen. Gestützt sind diese Fragen mit entsprechenden Bildern und Videos.
Und schon jetzt ist der Test ein voller Erfolg: Wie Studienleiter Roman Wink gegenüber dem Spiegel verrät, wurde das Testverfahren "MySkills" bereits bei rund 12.000 Jobcentern und Arbeitsagenturen angewendet .
Zitat von Gast am 3. Dezember 2021, 12:32 UhrKohleausstieg bis 2030 – Wie soll das gehen?
Berlin. In neun Jahren schon soll in Deutschland der Abbau und die Verfeuerung von Kohle Geschichte sein - so will es die künftige Ampel-Koalition. Ökostrom und Gas sollen die Lücke stopfen. Aber ist das überhaupt machbar?
Helmut Badtke zog vor 30 Jahren aus dem Ruhrgebiet in die Lausitz, und der Blick auf die alte Heimat gibt ihm zumindest etwas Zuversicht. Dreckig und kaputt sei der Kohlenpott einmal gewesen, jetzt gebe es dort blühende Landschaften, weiß der Bürgermeister von Jänschwalde. „Das kann hier in unserem Gebiet in der Lausitz auch passieren.“ Vorerst aber sieht Badtke die Zukunft ziemlich düster. „Wir leben von der Kohle, nicht von grünen Träumen“, sagt der Bürgermeister.
Die Pläne der künftigen Bundesregierung für eine Turbo-Energiewende und einen vorgezogenen Kohleausstieg - „idealerweise“ bis 2030 statt bis 2038 - werden wohl fast alle in Deutschland berühren, ob als Stromkunden oder als Anwohner von Stromtrassen und Windrädern. Auch Verbraucherschützer haben viele Fragen, vor allem zu den finanziellen Lasten. „Sollten beim Kohleausstieg zusätzliche Kosten, zum Beispiel höhere Strompreise entstehen, müssen neben der Industrie auch die privaten Haushalte finanziell entlastet werden“, mahnt vorsorglich der Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband, Klaus Müller.
Unruhe lösen die Pläne der Ampel-Koalition aber vor allem in den Kohleregionen selbst aus. Viele fühlen sich überrumpelt, nicht nur im Lausitzer Revier in Brandenburg und Sachsen, wo sich seit Jahrzehnten gigantische Bagger durch die Landschaft pflügen und Millionen Tonnen Braunkohle fördern. 2030 statt 2038? Wie soll das gehen? Woher kommen so schnell neue Jobs? Und woher kommt der Strom?
Die Ampel-Koalition hat eine andere Perspektive: Der frühere Kohleausstieg soll die deutschen Klimaziele sichern. Beschlossen ist eine Senkung der Treibhausgase um 65 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990. „Ohne einen nahezu vollständigen Ausstieg aus der Kohle bis 2030 sind die Emissionsziele nicht erreichbar“, sagt Jan Peter Schemmel, Sprecher der Geschäftsführung am Berliner Öko-Institut.
Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP macht dies zum Programm. Er setzt darauf, dass Kohleverstromung zunehmend unrentabel wird. So ist vorgesehen, den CO2-Preis im EU-Emissionshandel stabil über 60 Euro pro Tonne zu halten, notfalls mit nationalen Maßnahmen. Damit gäbe es „einen klaren ökonomischen Anreiz zur Stilllegung von Kohlekraftwerken“, sagt Schemmel.
Zugleich müssen für einen früheren Kohleausstieg erneuerbare Energien wie Wind und Sonne viel schneller ausgebaut werden. Die Ampel geht von einem höheren Stromverbrauch bis 2030 aus - getrieben zum Beispiel von mehr Elektroautos und elektrischen Wärmepumpen in Gebäuden. Und von dieser wachsenden Menge sollen 80 Prozent bis 2030 aus erneuerbaren Energien stammen - statt bisher geplanten Zielmarke 65 Prozent. Geschafft war 2020 laut Branchenangaben ein Ökostrom-Anteil von rund 45 Prozent.
Nötig sind unter anderem Tausende neuer Windräder, doch vor allem der Ausbau an Land stockt: zu wenig Flächen, lange Planungsverfahren, viele Klagen, Konflikte mit dem Arten- und Naturschutz. Die künftige Koalition will bis zu zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft nutzen, viel mehr als bisher. Ende 2020 waren bundesweit gerade einmal 0,7 bis 0,85 Prozent der Fläche rechtswirksam für Windenergie ausgewiesen, so steht es im Bericht eines Bund-Länder-Ausschusses vom Oktober. Planungsverfahren dauern laut einigen Länderberichten aktuell mindestens fünf, teilweise aber auch zwölf Jahre.
Die Ampel will Tempo und nutzt einen Hebel: Die erneuerbaren Energien sollen im „öffentlichen Interesse“ liegen. Der künftige Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sieht das als Weg, um etwa in Bayern geltende große Mindestabstände von Windrädern zu Wohnhäusern zu kippen, wie er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte. Habeck muss schnell liefern. Die Ampel will schon im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam mit Ländern und Kommunen alle notwendigen Maßnahmen anstoßen, um den Ausbau des Ökostroms zu beschleunigen.
Dazu gehört, Bürgern und Kommunen den Zubau von Windrädern schmackhaft zu machen, auch mit finanziellen Anreizen. Das sei wichtig, sagt Schemmel. „Aber machen wir uns nichts vor: Der Ausbau der Erneuerbaren mit dem nun angenommenen höheren Strombedarf bis 2030 wird eine Herkulesaufgabe.“
Einige große Kohleverstromer scheinen sich der Herausforderung inzwischen zu stellen. Interessant für sie: Die Ampel will neben den Erneuerbaren auch Gaskraftwerke, die später einmal klimafreundlich mit Wasserstoff laufen könnten. Diese könnten an bisherigen Kraftwerksstandorten errichtet werden oder man könnte vorhandene Anlagen auf Gas umrüsten.
Der Braunkohle-Tagebaubetreiber RWE hält einen schnelleren Kohleausstieg jedenfalls für möglich. Voraussetzung sei „ein massiver und beschleunigter Ausbau von Erneuerbaren Energien, Netzen und Speichern“ sowie „ein massiver Zubau von Gaskraftwerken“, teilt der Konzern mit. Bis 2030 will RWE mindestens 2000 Megawatt Gaskraftwerkskapazität aufbauen.
Der Energiekonzern EnBW im Südwesten nennt den Kohleausstieg bis 2030 „richtig und machbar“, ebenfalls unter der Bedingung eines schnelleren Ausbaus von Alternativen. EnBW prüft, ob drei wichtige Kohlekraftwerke auf Erdgas und später auf klimaneutrale Gase umgestellt werden können.
Der Stromerzeuger Uniper will 2030 planmäßig nur noch das Kraftwerk Datteln IV mit Steinkohle befeuern. Auch Steag, einst größter Steinkohleverstromer Deutschlands, sieht im schnelleren Kohleausstieg nach Worten eines Sprechers „kein Problem“. Ab Herbst 2022 werde nur noch das Steinkohlekraftwerk Walsum 10 in Duisburg am Markt sein. Eine Umrüstung auf Erdgas oder Biomasse wird geprüft.
Im Westen scheint die Abwicklung der Kohle also schon in Sichtweite. Beim ostdeutschen Bergbau- und Kraftwerksbetreiber Leag treffen die Pläne der künftigen Bundesregierung hingegen auf Protest. Erst 2019 hatte sich die Kohlekommission unter Mitwirkung der Lausitz mühsam auf einen Kohleausstieg bis 2038 geeinigt - und jetzt das.
„Für mich ist es ein absolutes Ding der Unfassbarkeit“, sagt Leag-Betriebsrat Lars Katzmarek. „Ich bin erschüttert darüber, dass man den Kompromiss, den man geschlossen hat, so in die Tonne tritt.“ Der 29-Jährige begann 2008 eine Ausbildung zum Mechatroniker. Später machte er noch den Abschluss als Elektrotechniker und arbeitet heute in der IT im Industriepark Schwarze Pumpe. Der Kohleausstieg 2030 sei schlicht nicht machbar, sagt Katzmarek.
Er glaubt nicht an den Turboausbau der Windkraft und auch nicht daran, dass die nötigen Netze entstehen. Für die Energiewende seien bereits 7000 Kilometer Hochspannungsleitungen geplant, doch würden nur 150 Kilometer pro Jahr tatsächlich gebaut. Auch neue Gaskraftwerke an Kohlestandorten dauerten lang. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht die Lösung“, sagt Katzmarek.
Diese Lösung müsste aus seiner Sicht nicht nur die Stromversorgung sichern, sondern auch gut bezahlte Jobs für die Lausitz. Dort hängen nach seiner Rechnung noch 7500 bis 8000 Arbeitsplätze direkt an der Kohle und weitere 16 000 indirekt. Es sei ja schön, dass in Cottbus ein neues Bahnwerk mit 1200 Stellen entstehe, aber eben viel zu wenig. Der Wandel brauche mehr Zeit.
Lohnverfall, Abwanderung, Verödung - auch Katzmarek sieht schwarz für die Region. In seinem Rapsong „Unsere Perspektive“ macht er sich auf Youtube Luft: „Verdammt, gebt uns 'ne Zukunft, gebt uns ne Perspektive, gebt uns endlich Halt. Zeigt bitte, bitte, bitte auch mal Herz, seid nicht wie immer so bitterkalt.“
Kohleausstieg bis 2030 – Wie soll das gehen?
Berlin. In neun Jahren schon soll in Deutschland der Abbau und die Verfeuerung von Kohle Geschichte sein - so will es die künftige Ampel-Koalition. Ökostrom und Gas sollen die Lücke stopfen. Aber ist das überhaupt machbar?
Helmut Badtke zog vor 30 Jahren aus dem Ruhrgebiet in die Lausitz, und der Blick auf die alte Heimat gibt ihm zumindest etwas Zuversicht. Dreckig und kaputt sei der Kohlenpott einmal gewesen, jetzt gebe es dort blühende Landschaften, weiß der Bürgermeister von Jänschwalde. „Das kann hier in unserem Gebiet in der Lausitz auch passieren.“ Vorerst aber sieht Badtke die Zukunft ziemlich düster. „Wir leben von der Kohle, nicht von grünen Träumen“, sagt der Bürgermeister.
Die Pläne der künftigen Bundesregierung für eine Turbo-Energiewende und einen vorgezogenen Kohleausstieg - „idealerweise“ bis 2030 statt bis 2038 - werden wohl fast alle in Deutschland berühren, ob als Stromkunden oder als Anwohner von Stromtrassen und Windrädern. Auch Verbraucherschützer haben viele Fragen, vor allem zu den finanziellen Lasten. „Sollten beim Kohleausstieg zusätzliche Kosten, zum Beispiel höhere Strompreise entstehen, müssen neben der Industrie auch die privaten Haushalte finanziell entlastet werden“, mahnt vorsorglich der Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband, Klaus Müller.
Unruhe lösen die Pläne der Ampel-Koalition aber vor allem in den Kohleregionen selbst aus. Viele fühlen sich überrumpelt, nicht nur im Lausitzer Revier in Brandenburg und Sachsen, wo sich seit Jahrzehnten gigantische Bagger durch die Landschaft pflügen und Millionen Tonnen Braunkohle fördern. 2030 statt 2038? Wie soll das gehen? Woher kommen so schnell neue Jobs? Und woher kommt der Strom?
Die Ampel-Koalition hat eine andere Perspektive: Der frühere Kohleausstieg soll die deutschen Klimaziele sichern. Beschlossen ist eine Senkung der Treibhausgase um 65 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990. „Ohne einen nahezu vollständigen Ausstieg aus der Kohle bis 2030 sind die Emissionsziele nicht erreichbar“, sagt Jan Peter Schemmel, Sprecher der Geschäftsführung am Berliner Öko-Institut.
Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP macht dies zum Programm. Er setzt darauf, dass Kohleverstromung zunehmend unrentabel wird. So ist vorgesehen, den CO2-Preis im EU-Emissionshandel stabil über 60 Euro pro Tonne zu halten, notfalls mit nationalen Maßnahmen. Damit gäbe es „einen klaren ökonomischen Anreiz zur Stilllegung von Kohlekraftwerken“, sagt Schemmel.
Zugleich müssen für einen früheren Kohleausstieg erneuerbare Energien wie Wind und Sonne viel schneller ausgebaut werden. Die Ampel geht von einem höheren Stromverbrauch bis 2030 aus - getrieben zum Beispiel von mehr Elektroautos und elektrischen Wärmepumpen in Gebäuden. Und von dieser wachsenden Menge sollen 80 Prozent bis 2030 aus erneuerbaren Energien stammen - statt bisher geplanten Zielmarke 65 Prozent. Geschafft war 2020 laut Branchenangaben ein Ökostrom-Anteil von rund 45 Prozent.
Nötig sind unter anderem Tausende neuer Windräder, doch vor allem der Ausbau an Land stockt: zu wenig Flächen, lange Planungsverfahren, viele Klagen, Konflikte mit dem Arten- und Naturschutz. Die künftige Koalition will bis zu zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft nutzen, viel mehr als bisher. Ende 2020 waren bundesweit gerade einmal 0,7 bis 0,85 Prozent der Fläche rechtswirksam für Windenergie ausgewiesen, so steht es im Bericht eines Bund-Länder-Ausschusses vom Oktober. Planungsverfahren dauern laut einigen Länderberichten aktuell mindestens fünf, teilweise aber auch zwölf Jahre.
Die Ampel will Tempo und nutzt einen Hebel: Die erneuerbaren Energien sollen im „öffentlichen Interesse“ liegen. Der künftige Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sieht das als Weg, um etwa in Bayern geltende große Mindestabstände von Windrädern zu Wohnhäusern zu kippen, wie er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte. Habeck muss schnell liefern. Die Ampel will schon im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam mit Ländern und Kommunen alle notwendigen Maßnahmen anstoßen, um den Ausbau des Ökostroms zu beschleunigen.
Dazu gehört, Bürgern und Kommunen den Zubau von Windrädern schmackhaft zu machen, auch mit finanziellen Anreizen. Das sei wichtig, sagt Schemmel. „Aber machen wir uns nichts vor: Der Ausbau der Erneuerbaren mit dem nun angenommenen höheren Strombedarf bis 2030 wird eine Herkulesaufgabe.“
Einige große Kohleverstromer scheinen sich der Herausforderung inzwischen zu stellen. Interessant für sie: Die Ampel will neben den Erneuerbaren auch Gaskraftwerke, die später einmal klimafreundlich mit Wasserstoff laufen könnten. Diese könnten an bisherigen Kraftwerksstandorten errichtet werden oder man könnte vorhandene Anlagen auf Gas umrüsten.
Der Braunkohle-Tagebaubetreiber RWE hält einen schnelleren Kohleausstieg jedenfalls für möglich. Voraussetzung sei „ein massiver und beschleunigter Ausbau von Erneuerbaren Energien, Netzen und Speichern“ sowie „ein massiver Zubau von Gaskraftwerken“, teilt der Konzern mit. Bis 2030 will RWE mindestens 2000 Megawatt Gaskraftwerkskapazität aufbauen.
Der Energiekonzern EnBW im Südwesten nennt den Kohleausstieg bis 2030 „richtig und machbar“, ebenfalls unter der Bedingung eines schnelleren Ausbaus von Alternativen. EnBW prüft, ob drei wichtige Kohlekraftwerke auf Erdgas und später auf klimaneutrale Gase umgestellt werden können.
Der Stromerzeuger Uniper will 2030 planmäßig nur noch das Kraftwerk Datteln IV mit Steinkohle befeuern. Auch Steag, einst größter Steinkohleverstromer Deutschlands, sieht im schnelleren Kohleausstieg nach Worten eines Sprechers „kein Problem“. Ab Herbst 2022 werde nur noch das Steinkohlekraftwerk Walsum 10 in Duisburg am Markt sein. Eine Umrüstung auf Erdgas oder Biomasse wird geprüft.
Im Westen scheint die Abwicklung der Kohle also schon in Sichtweite. Beim ostdeutschen Bergbau- und Kraftwerksbetreiber Leag treffen die Pläne der künftigen Bundesregierung hingegen auf Protest. Erst 2019 hatte sich die Kohlekommission unter Mitwirkung der Lausitz mühsam auf einen Kohleausstieg bis 2038 geeinigt - und jetzt das.
„Für mich ist es ein absolutes Ding der Unfassbarkeit“, sagt Leag-Betriebsrat Lars Katzmarek. „Ich bin erschüttert darüber, dass man den Kompromiss, den man geschlossen hat, so in die Tonne tritt.“ Der 29-Jährige begann 2008 eine Ausbildung zum Mechatroniker. Später machte er noch den Abschluss als Elektrotechniker und arbeitet heute in der IT im Industriepark Schwarze Pumpe. Der Kohleausstieg 2030 sei schlicht nicht machbar, sagt Katzmarek.
Er glaubt nicht an den Turboausbau der Windkraft und auch nicht daran, dass die nötigen Netze entstehen. Für die Energiewende seien bereits 7000 Kilometer Hochspannungsleitungen geplant, doch würden nur 150 Kilometer pro Jahr tatsächlich gebaut. Auch neue Gaskraftwerke an Kohlestandorten dauerten lang. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht die Lösung“, sagt Katzmarek.
Diese Lösung müsste aus seiner Sicht nicht nur die Stromversorgung sichern, sondern auch gut bezahlte Jobs für die Lausitz. Dort hängen nach seiner Rechnung noch 7500 bis 8000 Arbeitsplätze direkt an der Kohle und weitere 16 000 indirekt. Es sei ja schön, dass in Cottbus ein neues Bahnwerk mit 1200 Stellen entstehe, aber eben viel zu wenig. Der Wandel brauche mehr Zeit.
Lohnverfall, Abwanderung, Verödung - auch Katzmarek sieht schwarz für die Region. In seinem Rapsong „Unsere Perspektive“ macht er sich auf Youtube Luft: „Verdammt, gebt uns 'ne Zukunft, gebt uns ne Perspektive, gebt uns endlich Halt. Zeigt bitte, bitte, bitte auch mal Herz, seid nicht wie immer so bitterkalt.“
Zitat von Gast am 16. Dezember 2021, 09:12 UhrInterview: Chef der Mindestlohnkonferenz: „Die zwölf Euro finde ich persönlich in Ordnung“
Die Bundesregierung will den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen. Der Vorsitzende des Gremiums, Jan Zilius, rät der Ampel aber von einer Anhebung auf einen Schlag ab.
Der Vorsitzende der unabhängigen Mindestlohnkommission, Jan Zilius, hat sich positiv zum Plan der neuen Bundesregierung geäußert, den Mindestlohn auf zwölf Euro zu erhöhen, empfiehlt aber eine schrittweise Anhebung.
„Das ist eine Entscheidung im Sinne vieler Arbeitnehmer, und ich persönlich finde sie auch in Ordnung“, sagte der frühere RWE-Arbeitsdirektor dem Handelsblatt. Dass nicht alle Vertreter der mit Arbeitgebern und Gewerkschaftern besetzten Kommission gleich gut mit der politischen Entscheidung leben könnten, sei aber auch kein Geheimnis.Von Arbeitgeberseite hatte es heftige Kritik daran gegeben, dass die Ampelregierung den Mindestlohn erneut politisch festsetzen will und erst danach wieder die eigentlich zuständige Kommission übernehmen soll.
Zilius empfiehlt der Politik aber eine schrittweise Anhebung: „Bei einer Erhöhung auf einen Schlag beispielsweise zum 1. Juli 2022 wären die Risiken etwa von Arbeitsplatzverlusten höher, als wenn man die Anpassung zeitlich streckt. Auch der Eingriff ins Tarifsystem wäre bei einer Anhebung in einem Schritt größer“, betonte Zilius.
So würden bei einer Erhöhung auf zwölf Euro zum 1. Juli 2022 mehr als 30 Prozent der bestehenden Tarifverträge von der gesetzlichen Regelung überholt, zum 1. Januar 2023 wären es noch 17 Prozent. Am 1. Juli 2023 wären es nur noch rund sechs Prozent, ungefähr so viel wie bei der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015.
Wolle die neue Regierung aber den Mindestlohn gesetzlich anheben und das verwandte Thema der Anpassung der Minijobgrenze gleich mit anpacken, dann müsse sie sich „sputen“, sagte der Kommissionschef. „Denn laut Gesetz müssen wir bis Ende Juni über die Anfang 2023 greifende Anpassung entscheiden. Und es wäre, glaube ich, für die Öffentlichkeit schwer nachvollziehbar, wenn wir im Juni einen Beschluss fassten, der dann wenig später wieder aufgehoben würde.“
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Jan Zilius:
Was halten Sie von der Entscheidung der Ampelregierung, den Mindestlohn auf zwölf Euro anzuheben?
Das ist eine Entscheidung im Sinne vieler Arbeitnehmer, und ich persönlich finde sie auch in Ordnung. Wir haben das Primat der Politik, und wenn es Mehrheiten für einen solchen Schritt gibt, dann tut man gut daran, dies zu respektieren und sich danach zu richten. Dass nicht alle Vertreter der Kommission gleich gut damit leben können, ist aber kein Geheimnis.
Bei der Kritik von Arbeitgeberseite steht mehr die Tatsache im Vordergrund, dass die unabhängige Kommission ausgehebelt wird, als die Lohnhöhe an sich. Sind zwölf Euro also gut verkraftbar?
Die Frage ist, in welchem zeitlichen Rahmen das umgesetzt wird. Bei einer Erhöhung auf einen Schlag beispielsweise zum 1. Juli 2022 wären die Risiken etwa von Arbeitsplatzverlusten höher, als wenn man die Anpassung zeitlich streckt. Auch der Eingriff ins Tarifsystem wäre bei einer Anhebung in einem Schritt größer.
Das müssen Sie erklären.
Nach Daten des Statistischen Bundesamts würden bei einer Erhöhung auf zwölf Euro zum 1. Juli 2022 mehr als 30 Prozent der bestehenden Tarifverträge von der gesetzlichen Regelung überholt, zum 1. Januar 2023 wären es noch 17 Prozent. Am 1. Juli 2023 wären es nur noch rund sechs Prozent, ungefähr so viel wie bei der Einführung im Jahr 2015.
Im Koalitionsvertrag wird – anders als im Wahlkampf – bewusst kein Datum für die Anhebung der Lohnuntergrenze genannt. Lässt die Bundesregierung der Kommission also ein Hintertürchen offen, um bei ihrer planmäßigen Entscheidung bis Ende Juni selbst auf zwölf Euro zu kommen?
So, wie ich den Wahlkampf und die Zeit der Sondierungen erlebt habe, scheinen die jetzige Koalition und vor allem die SPD ziemlich klar entschlossen zu sein, das so schnell wie möglich zu machen. Insofern ist davon nicht auszugehen. Es besteht aber ein zeitliches Problem.
Inwiefern?
Wenn die Regierung das Gesetzesvorhaben im Januar angeht und – was sehr wahrscheinlich ist – das verwandte Thema der Anpassung der Minijobgrenze gleich mit anpackt, dann muss sie sich sputen. Denn laut Gesetz müssen wir bis Ende Juni über die Anfang 2023 greifende Anpassung entscheiden. Und es wäre, glaube ich, für die Öffentlichkeit schwer nachvollziehbar, wenn wir im Juni einen Beschluss fassten, der dann wenig später wieder aufgehoben würde.
Laut Beschluss der Mindestlohnkommission steigt die Lohnuntergrenze ab Juli 2022 auf 10,45 Euro. Hat diese Entscheidung Bestand?
Wenn die Regierung eine schnellere Anhebung will, müsste sie die geltende Verordnung aufheben, was rechtlich möglich ist. Aber es wäre kein gutes politisches Zeichen gegenüber der unabhängigen Kommission, wenn das, was wir im Juni 2020 vorgeschlagen haben und was die Regierung in die Verordnung übernommen hat, überschrieben werden würde.
Die Arbeitgeber haben um eine Verschiebung der turnusmäßigen Sitzung der Mindestlohnkommission gebeten. Steht die Kommissionsarbeit auf der Kippe?
Dass die Arbeitgeberseite in der jetzigen Situation eine größere Klarheit über die Pläne der Regierung haben will, bevor wir zur Tagesordnung übergehen, kann ich gut nachvollziehen. Wenn aber jetzt das Gesetzgebungsverfahren beginnt, bin ich sicher, dass wir Anfang nächsten Jahres die verschobene Sitzung nachholen. Es gibt ja genug Arbeit, wir müssen zum Beispiel den nächsten Bericht vorbereiten.
Bei Einführung des Mindestlohns hatte die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles gesagt, die politische Festsetzung des Mindestlohns bleibe ein einmaliger Schritt. Sehen Sie hier einen Wortbruch, zumal sich die Ampel gleichzeitig die Stärkung der Tarifautonomie auf die Fahnen schreibt?
Die Ampelkoalition versichert, dass es sich um einen einmaligen Eingriff handeln wird und dass die Kommission dann wieder übernehmen soll. Aber wenn es immer wieder solche Eingriffe gibt, dann gerät die Tarifautonomie in Gefahr.
Es gab im Vorfeld der Wahl Diskussionen, ob nicht der Kriterienkatalog, an dem sich die Kommission bei ihrer Entscheidung orientiert, erweitert werden sollte. Erwarten Sie neue Festlegungen im Gesetz?
Momentan gehe ich nicht davon aus. Ein Anlass könnte aber sein, dass auf EU-Ebene ja auch Kriterien überlegt und geprüft werden, aber die Diskussion ist da längst noch nicht abgeschlossen.
Könnte „Armutsfestigkeit“ ein Kriterium für die Anpassung des Mindestlohns sein?
Der Mindestlohn ist keine wesentliche Stellgröße, um wirklich etwas gegen Armut zu tun. In 75 Prozent der armutsgefährdeten Haushalte gibt es keine Personen, die eine Beschäftigung haben, dort würde auch ein Mindestlohn von 20 Euro nicht helfen. Und von den verbleibenden 25 Prozent der Haushalte arbeitet nur in etwa jedem vierten eine Person zum Mindestlohn. Wenn Sie das zusammenfassen, erreichen sie maximal jeden zehnten armutsgefährdeten Haushalt. Das ist immerhin etwas, aber der Mindestlohn bleibt kein wirkliches Werkzeug gegen Armut.
Sollte es bei einer Anhebung auf zwölf Euro erneut Ausnahmeregelungen geben, etwa für bestehende Tarifverträge oder bestimmte Gruppen?
Die Rahmenbedingungen sind heute sicherlich andere als 2015, weil wir seither Erfahrungen mit den Wirkungen des Mindestlohns gesammelt haben. Statt erneuter Ausnahmeregelungen würde ich aber eher eine zeitliche Abstufung der Erhöhung empfehlen, wenn man sich über die Auswirkungen nicht ganz sicher ist. Ein halbes Jahr macht schon viel aus. Wichtig ist ein Vorlauf, damit die Wirtschaft sich darauf einstellen kann – so wie es bei den 10,45 Euro passiert ist. Wenn die ab dem kommenden Juli gelten, wird nur noch ein Tarifvertrag darunter liegen.
Die Coronapandemie ist längst nicht überwunden, es wird über neue Lockdowns diskutiert. Ist es klug, in einer solchen Phase den Mindestlohn anzuheben, der ja vor allem in besonders von der Pandemie betroffenen Branchen wie dem Gastgewerbe oder dem Einzelhandel gezahlt wird?
Die Pandemie ist das eine, das andere ist aber die besondere Situation in vielen Branchen: In der Gastronomie oder im Einzelhandel gibt es längst Überlegungen, die Löhne deutlich zu erhöhen – einfach deshalb, weil die Branchen sonst kein Personal mehr finden. So etwas kannten wir vor sieben Jahren nicht.
Welche Rolle spielen die aktuell hohen Inflationsraten bei Ihrer Kommissionsarbeit?
Bei unserer nächsten Anpassungsempfehlung werden sich die aktuell hohen Inflationsraten im Tarifindex abbilden, sofern sie in den jetzt abgeschlossenen Tarifverträgen berücksichtigt werden. Es besteht im Moment aber auch viel Unsicherheit: Erste Ökonomen sagen, dass bei der Preissteigerung der Zenit überschritten ist. Wenn im Juni für die Jahre 2023 und 2024 eine Entscheidung ansteht, müssen wir womöglich über das Thema nicht mehr gesondert diskutieren.
Interview: Chef der Mindestlohnkonferenz: „Die zwölf Euro finde ich persönlich in Ordnung“
Die Bundesregierung will den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen. Der Vorsitzende des Gremiums, Jan Zilius, rät der Ampel aber von einer Anhebung auf einen Schlag ab.
Der Vorsitzende der unabhängigen Mindestlohnkommission, Jan Zilius, hat sich positiv zum Plan der neuen Bundesregierung geäußert, den Mindestlohn auf zwölf Euro zu erhöhen, empfiehlt aber eine schrittweise Anhebung.
Von Arbeitgeberseite hatte es heftige Kritik daran gegeben, dass die Ampelregierung den Mindestlohn erneut politisch festsetzen will und erst danach wieder die eigentlich zuständige Kommission übernehmen soll.
Zilius empfiehlt der Politik aber eine schrittweise Anhebung: „Bei einer Erhöhung auf einen Schlag beispielsweise zum 1. Juli 2022 wären die Risiken etwa von Arbeitsplatzverlusten höher, als wenn man die Anpassung zeitlich streckt. Auch der Eingriff ins Tarifsystem wäre bei einer Anhebung in einem Schritt größer“, betonte Zilius.
So würden bei einer Erhöhung auf zwölf Euro zum 1. Juli 2022 mehr als 30 Prozent der bestehenden Tarifverträge von der gesetzlichen Regelung überholt, zum 1. Januar 2023 wären es noch 17 Prozent. Am 1. Juli 2023 wären es nur noch rund sechs Prozent, ungefähr so viel wie bei der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015.
Wolle die neue Regierung aber den Mindestlohn gesetzlich anheben und das verwandte Thema der Anpassung der Minijobgrenze gleich mit anpacken, dann müsse sie sich „sputen“, sagte der Kommissionschef. „Denn laut Gesetz müssen wir bis Ende Juni über die Anfang 2023 greifende Anpassung entscheiden. Und es wäre, glaube ich, für die Öffentlichkeit schwer nachvollziehbar, wenn wir im Juni einen Beschluss fassten, der dann wenig später wieder aufgehoben würde.“
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Jan Zilius:
Was halten Sie von der Entscheidung der Ampelregierung, den Mindestlohn auf zwölf Euro anzuheben?
Das ist eine Entscheidung im Sinne vieler Arbeitnehmer, und ich persönlich finde sie auch in Ordnung. Wir haben das Primat der Politik, und wenn es Mehrheiten für einen solchen Schritt gibt, dann tut man gut daran, dies zu respektieren und sich danach zu richten. Dass nicht alle Vertreter der Kommission gleich gut damit leben können, ist aber kein Geheimnis.
Bei der Kritik von Arbeitgeberseite steht mehr die Tatsache im Vordergrund, dass die unabhängige Kommission ausgehebelt wird, als die Lohnhöhe an sich. Sind zwölf Euro also gut verkraftbar?
Die Frage ist, in welchem zeitlichen Rahmen das umgesetzt wird. Bei einer Erhöhung auf einen Schlag beispielsweise zum 1. Juli 2022 wären die Risiken etwa von Arbeitsplatzverlusten höher, als wenn man die Anpassung zeitlich streckt. Auch der Eingriff ins Tarifsystem wäre bei einer Anhebung in einem Schritt größer.
Das müssen Sie erklären.
Nach Daten des Statistischen Bundesamts würden bei einer Erhöhung auf zwölf Euro zum 1. Juli 2022 mehr als 30 Prozent der bestehenden Tarifverträge von der gesetzlichen Regelung überholt, zum 1. Januar 2023 wären es noch 17 Prozent. Am 1. Juli 2023 wären es nur noch rund sechs Prozent, ungefähr so viel wie bei der Einführung im Jahr 2015.
Im Koalitionsvertrag wird – anders als im Wahlkampf – bewusst kein Datum für die Anhebung der Lohnuntergrenze genannt. Lässt die Bundesregierung der Kommission also ein Hintertürchen offen, um bei ihrer planmäßigen Entscheidung bis Ende Juni selbst auf zwölf Euro zu kommen?
So, wie ich den Wahlkampf und die Zeit der Sondierungen erlebt habe, scheinen die jetzige Koalition und vor allem die SPD ziemlich klar entschlossen zu sein, das so schnell wie möglich zu machen. Insofern ist davon nicht auszugehen. Es besteht aber ein zeitliches Problem.
Inwiefern?
Wenn die Regierung das Gesetzesvorhaben im Januar angeht und – was sehr wahrscheinlich ist – das verwandte Thema der Anpassung der Minijobgrenze gleich mit anpackt, dann muss sie sich sputen. Denn laut Gesetz müssen wir bis Ende Juni über die Anfang 2023 greifende Anpassung entscheiden. Und es wäre, glaube ich, für die Öffentlichkeit schwer nachvollziehbar, wenn wir im Juni einen Beschluss fassten, der dann wenig später wieder aufgehoben würde.
Laut Beschluss der Mindestlohnkommission steigt die Lohnuntergrenze ab Juli 2022 auf 10,45 Euro. Hat diese Entscheidung Bestand?
Wenn die Regierung eine schnellere Anhebung will, müsste sie die geltende Verordnung aufheben, was rechtlich möglich ist. Aber es wäre kein gutes politisches Zeichen gegenüber der unabhängigen Kommission, wenn das, was wir im Juni 2020 vorgeschlagen haben und was die Regierung in die Verordnung übernommen hat, überschrieben werden würde.
Die Arbeitgeber haben um eine Verschiebung der turnusmäßigen Sitzung der Mindestlohnkommission gebeten. Steht die Kommissionsarbeit auf der Kippe?
Dass die Arbeitgeberseite in der jetzigen Situation eine größere Klarheit über die Pläne der Regierung haben will, bevor wir zur Tagesordnung übergehen, kann ich gut nachvollziehen. Wenn aber jetzt das Gesetzgebungsverfahren beginnt, bin ich sicher, dass wir Anfang nächsten Jahres die verschobene Sitzung nachholen. Es gibt ja genug Arbeit, wir müssen zum Beispiel den nächsten Bericht vorbereiten.
Bei Einführung des Mindestlohns hatte die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles gesagt, die politische Festsetzung des Mindestlohns bleibe ein einmaliger Schritt. Sehen Sie hier einen Wortbruch, zumal sich die Ampel gleichzeitig die Stärkung der Tarifautonomie auf die Fahnen schreibt?
Die Ampelkoalition versichert, dass es sich um einen einmaligen Eingriff handeln wird und dass die Kommission dann wieder übernehmen soll. Aber wenn es immer wieder solche Eingriffe gibt, dann gerät die Tarifautonomie in Gefahr.
Es gab im Vorfeld der Wahl Diskussionen, ob nicht der Kriterienkatalog, an dem sich die Kommission bei ihrer Entscheidung orientiert, erweitert werden sollte. Erwarten Sie neue Festlegungen im Gesetz?
Momentan gehe ich nicht davon aus. Ein Anlass könnte aber sein, dass auf EU-Ebene ja auch Kriterien überlegt und geprüft werden, aber die Diskussion ist da längst noch nicht abgeschlossen.
Könnte „Armutsfestigkeit“ ein Kriterium für die Anpassung des Mindestlohns sein?
Der Mindestlohn ist keine wesentliche Stellgröße, um wirklich etwas gegen Armut zu tun. In 75 Prozent der armutsgefährdeten Haushalte gibt es keine Personen, die eine Beschäftigung haben, dort würde auch ein Mindestlohn von 20 Euro nicht helfen. Und von den verbleibenden 25 Prozent der Haushalte arbeitet nur in etwa jedem vierten eine Person zum Mindestlohn. Wenn Sie das zusammenfassen, erreichen sie maximal jeden zehnten armutsgefährdeten Haushalt. Das ist immerhin etwas, aber der Mindestlohn bleibt kein wirkliches Werkzeug gegen Armut.
Sollte es bei einer Anhebung auf zwölf Euro erneut Ausnahmeregelungen geben, etwa für bestehende Tarifverträge oder bestimmte Gruppen?
Die Rahmenbedingungen sind heute sicherlich andere als 2015, weil wir seither Erfahrungen mit den Wirkungen des Mindestlohns gesammelt haben. Statt erneuter Ausnahmeregelungen würde ich aber eher eine zeitliche Abstufung der Erhöhung empfehlen, wenn man sich über die Auswirkungen nicht ganz sicher ist. Ein halbes Jahr macht schon viel aus. Wichtig ist ein Vorlauf, damit die Wirtschaft sich darauf einstellen kann – so wie es bei den 10,45 Euro passiert ist. Wenn die ab dem kommenden Juli gelten, wird nur noch ein Tarifvertrag darunter liegen.
Die Coronapandemie ist längst nicht überwunden, es wird über neue Lockdowns diskutiert. Ist es klug, in einer solchen Phase den Mindestlohn anzuheben, der ja vor allem in besonders von der Pandemie betroffenen Branchen wie dem Gastgewerbe oder dem Einzelhandel gezahlt wird?
Die Pandemie ist das eine, das andere ist aber die besondere Situation in vielen Branchen: In der Gastronomie oder im Einzelhandel gibt es längst Überlegungen, die Löhne deutlich zu erhöhen – einfach deshalb, weil die Branchen sonst kein Personal mehr finden. So etwas kannten wir vor sieben Jahren nicht.
Welche Rolle spielen die aktuell hohen Inflationsraten bei Ihrer Kommissionsarbeit?
Bei unserer nächsten Anpassungsempfehlung werden sich die aktuell hohen Inflationsraten im Tarifindex abbilden, sofern sie in den jetzt abgeschlossenen Tarifverträgen berücksichtigt werden. Es besteht im Moment aber auch viel Unsicherheit: Erste Ökonomen sagen, dass bei der Preissteigerung der Zenit überschritten ist. Wenn im Juni für die Jahre 2023 und 2024 eine Entscheidung ansteht, müssen wir womöglich über das Thema nicht mehr gesondert diskutieren.
Zitat von Gast am 5. Mai 2022, 10:16 UhrArbeitskosten in der EU: Deutschland an siebter Stelle
Deutsche Unternehmen müssen für ihre Arbeitnehmer hierzulande im EU-Schnitt viel Geld ausgeben – 37,30 Euro. Noch deutlich teurer ist Arbeit jedoch beispielsweise in Dänemark.Arbeitszeit ist in Deutschland vergleichsweise teuer. Konkret mussten deutsche Unternehmen für ihre Arbeitnehmer 2021 im Schnitt 37,30 Euro pro Stunde ausgeben, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Das waren 1,4 Prozent mehr als im Vorjahr, kalenderbereinigt jedoch weniger als im EU-Schnitt, wo 1,6 Prozent mehr fällig wurden. Hinzu kommt: Angesichts der hohen Inflation sind die Reallöhne in Deutschland zuletzt das zweite Jahr in Folge gesunken.
EU-Schnitt bei 28,60 Euro pro Stunde
Trotzdem rangiert Deutschland in puncto Arbeitskosten wie schon im Vorjahr an der siebten Stelle im EU-Ranking. Dänemark hatte im EU-Vergleich mit 48,30 Euro die höchsten Arbeitskosten je geleistete Stunde, Bulgarien mit 6,80 Euro die niedrigsten.
Im EU-weiten Durchschnitt waren den Angaben der Statistiker zufolge vergangenes Jahr 28,60 Euro pro Arbeitsstunde zu bezahlen. Die Arbeitskosten in Deutschland lagen 30 Prozent über diesem Wert, der relative Abstand ist damit gegenüber dem Jahr 2020 nahezu gleichgeblieben.Die Statistiker ermitteln ihre Angaben mittels einer Schätzung, bei der bestehende Statistiken miteinander verknüpft werden. Eine gesonderte Erhebung beziehungsweise Stichprobenziehung wird nicht durchgeführt. Die Arbeitskosten setzen sich aus zwei Bestandteilen zusammen: den Bruttoverdiensten und den Lohnnebenkosten. Die Coronahilfen der nationalen Regierungen haben sich in den EU-Staaten insbesondere auf die Lohnnebenkosten ausgewirkt.
Deutsche Industrie bezahlt besonders gut
Besonders gut sind den Zahlen zufolge die Gehälter in der deutschen Industrie. Im verarbeitenden Gewerbe kostete eine Arbeitsstunde 2021 durchschnittlich 41,90 Euro. Beschränkt auf diesen Wirtschaftsabschnitt waren die Arbeitskosten in Deutschland im EU-Vergleich die vierthöchsten. Eine Stunde Arbeit in der deutschen Industrie war damit 45 Prozent teurer als im EU-Durchschnitt (28,90 Euro).
Wirtschaftliche Dienstleistungen (ohne den öffentlichen Dienst und das Gesundheitswesen) sind dagegen in Deutschland billiger zu haben. Für sie wurden Arbeitskosten von 34,80 Euro pro Arbeitsstunde fällig. Im EU-Vergleich ist das Platz neun, 22 Prozent über dem EU-Durchschnitt.
Arbeitskosten in der EU: Deutschland an siebter Stelle
Arbeitszeit ist in Deutschland vergleichsweise teuer. Konkret mussten deutsche Unternehmen für ihre Arbeitnehmer 2021 im Schnitt 37,30 Euro pro Stunde ausgeben, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Das waren 1,4 Prozent mehr als im Vorjahr, kalenderbereinigt jedoch weniger als im EU-Schnitt, wo 1,6 Prozent mehr fällig wurden. Hinzu kommt: Angesichts der hohen Inflation sind die Reallöhne in Deutschland zuletzt das zweite Jahr in Folge gesunken.
EU-Schnitt bei 28,60 Euro pro Stunde
Trotzdem rangiert Deutschland in puncto Arbeitskosten wie schon im Vorjahr an der siebten Stelle im EU-Ranking. Dänemark hatte im EU-Vergleich mit 48,30 Euro die höchsten Arbeitskosten je geleistete Stunde, Bulgarien mit 6,80 Euro die niedrigsten.
Die Statistiker ermitteln ihre Angaben mittels einer Schätzung, bei der bestehende Statistiken miteinander verknüpft werden. Eine gesonderte Erhebung beziehungsweise Stichprobenziehung wird nicht durchgeführt. Die Arbeitskosten setzen sich aus zwei Bestandteilen zusammen: den Bruttoverdiensten und den Lohnnebenkosten. Die Coronahilfen der nationalen Regierungen haben sich in den EU-Staaten insbesondere auf die Lohnnebenkosten ausgewirkt.
Deutsche Industrie bezahlt besonders gut
Besonders gut sind den Zahlen zufolge die Gehälter in der deutschen Industrie. Im verarbeitenden Gewerbe kostete eine Arbeitsstunde 2021 durchschnittlich 41,90 Euro. Beschränkt auf diesen Wirtschaftsabschnitt waren die Arbeitskosten in Deutschland im EU-Vergleich die vierthöchsten. Eine Stunde Arbeit in der deutschen Industrie war damit 45 Prozent teurer als im EU-Durchschnitt (28,90 Euro).
Wirtschaftliche Dienstleistungen (ohne den öffentlichen Dienst und das Gesundheitswesen) sind dagegen in Deutschland billiger zu haben. Für sie wurden Arbeitskosten von 34,80 Euro pro Arbeitsstunde fällig. Im EU-Vergleich ist das Platz neun, 22 Prozent über dem EU-Durchschnitt.
Zitat von Gast am 5. September 2022, 06:26 UhrCDU-Chef Friedrich Merz zum Arbeitskräfte-Mangel: Die Hälfte der Arbeitslosen könnte einen Job haben!
Überall in Deutschland suchen Unternehmen händeringend nach Mitarbeitern, nach Ansicht von CDU-Chef Friedrich Merz könnte das zum Teil mit der Aktivierung von Arbeitslosen gelöst werden. „Von den rund 2,5 Millionen Arbeitslosen wäre bestimmt die Hälfte sofort im Arbeitsmarkt unterzubringen – es fehlen allerdings die Anreize“, sagte Merz der Bild am Sonntag.
Das Problem sei, dass die Ampel-Regierung das Prinzip „Fördern und Fordern“ aufgegeben habe. Dabei könnte die Hälfte der Arbeitslosen einen Job bekommen, ist Merz sicher. „Von Langzeitarbeitslosen wird jetzt ein halbes Jahr lang keinerlei Anstrengung erwartet, um wieder einen Job zu finden“, sagte der CDU-Chef. „Das ist ein völlig falsches Signal zum völlig falschen Zeitpunkt.“
Die Bundesregierung hat viele Sanktionen bei Pflichtverstößen gegen die Auflagen der Jobcenter ausgesetzt. Mit dem neuen Gesetz gibt es Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger nur noch bei außergewöhnlichen Meldeversäumnissen – und dann auch nur noch in einer Höhe von zehn Prozent statt bisher bis zu 30 Prozent der Bezüge.
Das heißt: Wer etwa einen Termin beim Jobcenter versäumt, muss mit einem entsprechenden Abzug rechnen. Die Weigerung, einen Job anzunehmen, soll hingegen nicht mehr zu einer Sanktion führen.Die Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen, die ein Jahr gelten soll, bildet die Vorstufe zu dem von der Ampel-Koalition geplanten Bürgergeld, das im kommenden Jahr das bisherige Hartz-IV-System ersetzen soll. Im Zuge des Bürgergeldes, das SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatten, sollen dann die Mitwirkungspflichten der Leistungsempfänger und etwaige künftige Sanktionen neu geregelt werden.Für die Energieversorgung im Herbst und Winter zeichnet Merz ein düsteres Szenario, sollte Deutschland am Atomausstieg festhalten: „Es droht eine vollkommene Überlastung des Stromnetzes im Herbst und Winter sowie eine mangelhafte Versorgung mit Strom“, sagte Merz der Bild am Sonntag. Wenn nur jeder fünfte Gaskunde diesen Winter mit Strom heize, verdopple sich der Strombedarf der privaten Haushalte, sagte Merz. „Wenn diese Regierung so weitermacht und aus ideologischen Gründen am Atomausstieg festhält, droht uns Anfang nächsten Jahres ein Blackout.“
Merz forderte die Bestellung neuer Brennstäbe für den Weiterbetrieb mindestens der drei noch nicht abgeschalteten Atomkraftwerke in Deutschland: „Wir hätten spätestens im August dafür gesorgt, dass zumindest für die drei Atomkraftwerke, die noch laufen, neue Brennstäbe bestellt worden wären, möglicherweise auch für die drei, die im letzten Jahr stillgelegt wurden. Damit wären zunächst einmal insgesamt 20 Millionen Haushalte sicher mit Strom versorgt.“
CDU-Chef Friedrich Merz zum Arbeitskräfte-Mangel: Die Hälfte der Arbeitslosen könnte einen Job haben!
Überall in Deutschland suchen Unternehmen händeringend nach Mitarbeitern, nach Ansicht von CDU-Chef Friedrich Merz könnte das zum Teil mit der Aktivierung von Arbeitslosen gelöst werden. „Von den rund 2,5 Millionen Arbeitslosen wäre bestimmt die Hälfte sofort im Arbeitsmarkt unterzubringen – es fehlen allerdings die Anreize“, sagte Merz der Bild am Sonntag.
Das Problem sei, dass die Ampel-Regierung das Prinzip „Fördern und Fordern“ aufgegeben habe. Dabei könnte die Hälfte der Arbeitslosen einen Job bekommen, ist Merz sicher. „Von Langzeitarbeitslosen wird jetzt ein halbes Jahr lang keinerlei Anstrengung erwartet, um wieder einen Job zu finden“, sagte der CDU-Chef. „Das ist ein völlig falsches Signal zum völlig falschen Zeitpunkt.“
Die Bundesregierung hat viele Sanktionen bei Pflichtverstößen gegen die Auflagen der Jobcenter ausgesetzt. Mit dem neuen Gesetz gibt es Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger nur noch bei außergewöhnlichen Meldeversäumnissen – und dann auch nur noch in einer Höhe von zehn Prozent statt bisher bis zu 30 Prozent der Bezüge.
Für die Energieversorgung im Herbst und Winter zeichnet Merz ein düsteres Szenario, sollte Deutschland am Atomausstieg festhalten: „Es droht eine vollkommene Überlastung des Stromnetzes im Herbst und Winter sowie eine mangelhafte Versorgung mit Strom“, sagte Merz der Bild am Sonntag. Wenn nur jeder fünfte Gaskunde diesen Winter mit Strom heize, verdopple sich der Strombedarf der privaten Haushalte, sagte Merz. „Wenn diese Regierung so weitermacht und aus ideologischen Gründen am Atomausstieg festhält, droht uns Anfang nächsten Jahres ein Blackout.“
Merz forderte die Bestellung neuer Brennstäbe für den Weiterbetrieb mindestens der drei noch nicht abgeschalteten Atomkraftwerke in Deutschland: „Wir hätten spätestens im August dafür gesorgt, dass zumindest für die drei Atomkraftwerke, die noch laufen, neue Brennstäbe bestellt worden wären, möglicherweise auch für die drei, die im letzten Jahr stillgelegt wurden. Damit wären zunächst einmal insgesamt 20 Millionen Haushalte sicher mit Strom versorgt.“
Zitat von Gast am 17. Oktober 2022, 08:56 Uhr"Eine Schicksalsfrage für unser Land": Darum will die Ampel-Koalition die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt forcieren
Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Vor allem Fachkräfte werden händeringend gesucht. Sie fehlen in der Pflege und in Fabriken, in Restaurants und Laboren, in Büros und auf Baustellen. Fast zwei Millionen Stellen konnten Unternehmen zuletzt nicht besetzen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht in der Sicherung ausreichender Fachkräfte sogar "eine Schicksalsfrage für unser Land, für unseren Wohlstand und somit auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt".
Antworten auf diese "Schicksalsfrage" will die Regierung mit einer Fachkräftestrategie geben. SPD-Minister Heil stellte sie mit seinen Ampel-Kollegen, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in Berlin vor.Die Aufgabe ist gewaltig, und die Zeit drängt. Unabhängig von der drohenden Rezession wird die Fachkräftelücke größer. Das liegt an der alternden Bevölkerung in Deutschland. Jahr für Jahr scheiden mehr Menschen aus dem Berufsleben aus, als jüngere neu in den Beruf starten. Während die Zahl der Arbeitenden schrumpft, wächst die Zahl der Rentner, Pensionäre und damit auch der Pflegebedürftigen. Die "doppelte Auswirkung des demografischen Wandels", nennt dies das Strategiepapier.
Die Ampel setzt mehrere Hebel an. Sie will die Ausbildung verbessern, damit mehr Jüngere besser ausgebildet in den Beruf starten. Sie will die Weiterbildung verbessern, damit von den Beschäftigten mehr ein ganzes Arbeitsleben lang auf der Höhe der Anforderungen bleiben können. Sie will die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, damit mehr Frauen Vollzeit berufstätig werden. Sie will Anreize verbessern, dass Ältere länger als bis 65 oder 67 Jahre arbeiten können.
Und: Sie will die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt forcieren. Dazu sollen bürokratische Hürden abgebaut werden, etwa bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Die Ampel-Koalition will aber auch das Einwanderungsrecht anpassen und die Voraussetzungen verbessern, dass auch Geflüchtete und Asylsuchende in Deutschland arbeiten können.
Im Strategiepapier der Ampel ist die Zuwanderung ein Punkt unter vielen. In der Wirklichkeit wird sie aber den größten Teil der Arbeitskräftelücke füllen müssen. Das zeigen die nackten Zahlen.
Wie groß ist die Arbeitskräftelücke in Deutschland?
Die Altersstruktur der Bevölkerung gibt einen präzisen Ausblick. Die Zahl der heute 15- bis 24-Jährigen ist bedeutend kleiner als die Zahl der 55- bis 64-Jährigen, sagt Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). In den nächsten zehn Jahren scheiden viel mehr Arbeitskräfte aus, als neue beginnen. Stettes schätzt das Ausmaß auf bis zu zwei Millionen.
Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) schaut noch weiter in die Zukunft: "Das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland geht von 2020 bis 2060 um ein Drittel zurück – von 47,4 Millionen auf 31,3 Millionen Menschen."
Deutschland fehlen also auf Sicht 16,4 Millionen potenzielle Arbeitskräfte.
Wie kann die Fachkräftelücke geschlossen werden? Geht das ohne Zuwanderung?
Viele Deutsche haben die Vorstellung, der Fachkräftemangel könne ohne Zuwanderung geschlossen werden. Das Ifo-Institut hat dazu gefragt: „Was ist die am besten geeignete Maßnahme zur Reduzierung des Fachkräftemangels?“. Die klare Mehrheit von 78 Prozent favorisiert Aus- und Weiterbildung – vor allem von Langzeitarbeitslosen. Zuwanderung in den Arbeitsmarkt nennen nur zwölf Prozent. Noch unbeliebter ist eine Ausweitung der Arbeitszeit, sei es durch einen späteren Rentenbeginn oder mehr Wochenstunden.
Aus Sicht der Arbeitsmarktexperten ist dies eine Illusion. Die Lücke könne weder aus dem Pool der Arbeitslosen, noch durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Menschen im Inland geschlossen werden. "Selbst wenn wir alle inländischen Potenziale heben, reicht das nicht aus, um die Lücke zu füllen", sagte Stettes.
Brücker geht noch weiter: "Es ist vielleicht brutal, aber völlig eindeutig: Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen."
Bei unveränderter Erwerbsquote und ohne Zu- und Abwanderung fehlen in Deutschland 2060 rund 16,4 Millionen potenzielle Arbeitskräfte. "Durch eine längere Lebensarbeitszeit, mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren und mehr Vollzeit statt Teilzeit könnte das Erwerbspersonenpotenzial um 2,4 Millionen Menschen erhöht werden", errechnet Brücker. Es fehlen immer noch 14 Millionen.
Können Arbeitslose die Fachkräftelücke schließen
"Es ist wichtig, Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen, auch als eine von vielen Stellschrauben gegen den Fachkräftemangel. Hier lohnen alle Bemühungen", sagt Stettes "Wir müssen natürlich alles tun, die Zahl weiter zu reduzieren, nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus sozialen Gründen", sagt auch Brücker.
Aber: "Aus dem Bestand an Arbeitslosen können wir die Lücke schon rechnerisch nicht schließen".
Die Daten sind eindeutig: Seit 2005 hat sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland etwa halbiert. "2010 kamen auf eine offene Stelle noch 3,5 Arbeitslose. Jetzt sind es 1,3 – und wir nähern uns einem Verhältnis von 1:1, weil die Zahl der offenen Stellen wächst." Die meisten Arbeitslosen in der Statistik sind zudem nur sehr kurz ohne Arbeit – etwa zwischen zwei Jobs.
Bleiben rund eine Million Langzeitarbeitslose, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind. Bei allen Bemühungen, da sind Stettes und Brücker sicher, kann die Zahl nicht auf null sinken. "Es gibt viele Gründe, warum jemand langzeitarbeitslos ist. Häufig gesundheitliche Gründe, sagt Brücker. Sie kämen nur selten für Stellen infrage, die frei werden, weil Babyboomer in den Ruhestand gehen.
Selbst wenn es gelänge, alle Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu integrieren: Ihre Zahl ist viel zu klein um die wachsende Lücke an Fach- und anderen Arbeitskräften zu schließen. "Wer meint, wir könnten den Fachkräftemangel aus der Gruppe der Langzeitarbeitslosen beheben, setzt leider auf die unrealistischste Option", sagt Brücker.
Deutschland braucht 500.000 Zuwanderer in den Arbeitsmarkt – pro Jahr
Sein Fazit: Um die Arbeitskräftelücke zu schließen, "brauchen wir eine Netto-Zuwanderung von konstant 400.000 Menschen pro Jahr."
Um gleichzeitig die Sozialsysteme stabil zu halten, müssten es sogar mehr sein. Wenn mehr Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden, steigt der Anteil der Rentner und Pensionäre an der Bevölkerung. 2020 betrug das Verhältnis der Rentner zum Erwerbspersonenpotenzial 43 Prozent. "Wenn wir nichts tun, wächst es bis 2060 auf 80 Prozent", hat Brücker ausgerechnet. "Selbst bei einer Nettoeinwanderung von 400.000 Menschen im Jahr, wäre es dann immer noch 59 Prozent." Dann kämen also auf einen Rentner nicht einmal mehr zwei Erwerbstätige. "Daher bräuchten wir eher 500.000 Zuwanderer in den Arbeitsmarkt pro Jahr, um auch das Rentensystem halbwegs zu stabilisieren", urteilt Brücker.
Was Deutschland tun muss, um den Wohlstand zu sichern
Die Zahl von 400.000 bis 500.000 Zuwanderern im Jahr halten die Experten nicht illusorisch. "Seit der Wiedervereinigung haben wir in Deutschland im Durchschnitt einen Wanderungssaldo von 300.000 Menschen pro Jahr". Das zeige, dass "Deutschland per se kein unattraktives Land für Menschen aus anderen Ländern" sei, sagte Brücker. In der EU sei Deutschland das größte Einwanderungsland, bezogen auf die Bevölkerung sei der Wanderungssaldo fast so hoch wie in den USA. "Nur bei der Arbeitsmigration aus Staaten außerhalb der EU hapert es. Hier haben wir extrem niedrige Zahlen. Das weist darauf hin, dass die Steuerung der Arbeitsmigration nicht funktioniert".
Woran mag das liegen? Stettes: "Wir brauchen Zuwanderer in unseren Arbeitsmarkt, die sich hier auch wohlfühlen. Auch hier müssen wir umdenken in den Betrieben, in den Behörden und in der Gesellschaft" Und Brücker sagt: "Am wichtigsten ist eine einfachere Anerkennung beruflicher Abschlüsse auch in Deutschland". Es gebe dafür ja Vorbilder: "Beispiele wie die West-Balkan-Regelung zeigen, dass es funktioniert." Mit der Regelung erhalten Menschen aus den Ländern im West-Balkan für jede Beschäftigung einen Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland. In dem betroffenen Personenkreis sind die Erwerbstätigenquoten höher und die Arbeitslosigkeit geringer als von Deutschen, sagt Brücker.
In ihrem Strategiepapier kündigt die Bundesregierung unter anderem an, die Westbalkan-Regelung zu entfristen.
"Eine Schicksalsfrage für unser Land": Darum will die Ampel-Koalition die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt forcieren
Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Vor allem Fachkräfte werden händeringend gesucht. Sie fehlen in der Pflege und in Fabriken, in Restaurants und Laboren, in Büros und auf Baustellen. Fast zwei Millionen Stellen konnten Unternehmen zuletzt nicht besetzen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht in der Sicherung ausreichender Fachkräfte sogar "eine Schicksalsfrage für unser Land, für unseren Wohlstand und somit auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt".
Die Aufgabe ist gewaltig, und die Zeit drängt. Unabhängig von der drohenden Rezession wird die Fachkräftelücke größer. Das liegt an der alternden Bevölkerung in Deutschland. Jahr für Jahr scheiden mehr Menschen aus dem Berufsleben aus, als jüngere neu in den Beruf starten. Während die Zahl der Arbeitenden schrumpft, wächst die Zahl der Rentner, Pensionäre und damit auch der Pflegebedürftigen. Die "doppelte Auswirkung des demografischen Wandels", nennt dies das Strategiepapier.
Die Ampel setzt mehrere Hebel an. Sie will die Ausbildung verbessern, damit mehr Jüngere besser ausgebildet in den Beruf starten. Sie will die Weiterbildung verbessern, damit von den Beschäftigten mehr ein ganzes Arbeitsleben lang auf der Höhe der Anforderungen bleiben können. Sie will die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, damit mehr Frauen Vollzeit berufstätig werden. Sie will Anreize verbessern, dass Ältere länger als bis 65 oder 67 Jahre arbeiten können.
Und: Sie will die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt forcieren. Dazu sollen bürokratische Hürden abgebaut werden, etwa bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Die Ampel-Koalition will aber auch das Einwanderungsrecht anpassen und die Voraussetzungen verbessern, dass auch Geflüchtete und Asylsuchende in Deutschland arbeiten können.
Im Strategiepapier der Ampel ist die Zuwanderung ein Punkt unter vielen. In der Wirklichkeit wird sie aber den größten Teil der Arbeitskräftelücke füllen müssen. Das zeigen die nackten Zahlen.
Wie groß ist die Arbeitskräftelücke in Deutschland?
Die Altersstruktur der Bevölkerung gibt einen präzisen Ausblick. Die Zahl der heute 15- bis 24-Jährigen ist bedeutend kleiner als die Zahl der 55- bis 64-Jährigen, sagt Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). In den nächsten zehn Jahren scheiden viel mehr Arbeitskräfte aus, als neue beginnen. Stettes schätzt das Ausmaß auf bis zu zwei Millionen.
Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) schaut noch weiter in die Zukunft: "Das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland geht von 2020 bis 2060 um ein Drittel zurück – von 47,4 Millionen auf 31,3 Millionen Menschen."
Deutschland fehlen also auf Sicht 16,4 Millionen potenzielle Arbeitskräfte.
Wie kann die Fachkräftelücke geschlossen werden? Geht das ohne Zuwanderung?
Viele Deutsche haben die Vorstellung, der Fachkräftemangel könne ohne Zuwanderung geschlossen werden. Das Ifo-Institut hat dazu gefragt: „Was ist die am besten geeignete Maßnahme zur Reduzierung des Fachkräftemangels?“. Die klare Mehrheit von 78 Prozent favorisiert Aus- und Weiterbildung – vor allem von Langzeitarbeitslosen. Zuwanderung in den Arbeitsmarkt nennen nur zwölf Prozent. Noch unbeliebter ist eine Ausweitung der Arbeitszeit, sei es durch einen späteren Rentenbeginn oder mehr Wochenstunden.
Aus Sicht der Arbeitsmarktexperten ist dies eine Illusion. Die Lücke könne weder aus dem Pool der Arbeitslosen, noch durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Menschen im Inland geschlossen werden. "Selbst wenn wir alle inländischen Potenziale heben, reicht das nicht aus, um die Lücke zu füllen", sagte Stettes.
Brücker geht noch weiter: "Es ist vielleicht brutal, aber völlig eindeutig: Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen."
Bei unveränderter Erwerbsquote und ohne Zu- und Abwanderung fehlen in Deutschland 2060 rund 16,4 Millionen potenzielle Arbeitskräfte. "Durch eine längere Lebensarbeitszeit, mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren und mehr Vollzeit statt Teilzeit könnte das Erwerbspersonenpotenzial um 2,4 Millionen Menschen erhöht werden", errechnet Brücker. Es fehlen immer noch 14 Millionen.
Können Arbeitslose die Fachkräftelücke schließen
"Es ist wichtig, Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen, auch als eine von vielen Stellschrauben gegen den Fachkräftemangel. Hier lohnen alle Bemühungen", sagt Stettes "Wir müssen natürlich alles tun, die Zahl weiter zu reduzieren, nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus sozialen Gründen", sagt auch Brücker.
Aber: "Aus dem Bestand an Arbeitslosen können wir die Lücke schon rechnerisch nicht schließen".
Die Daten sind eindeutig: Seit 2005 hat sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland etwa halbiert. "2010 kamen auf eine offene Stelle noch 3,5 Arbeitslose. Jetzt sind es 1,3 – und wir nähern uns einem Verhältnis von 1:1, weil die Zahl der offenen Stellen wächst." Die meisten Arbeitslosen in der Statistik sind zudem nur sehr kurz ohne Arbeit – etwa zwischen zwei Jobs.
Bleiben rund eine Million Langzeitarbeitslose, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind. Bei allen Bemühungen, da sind Stettes und Brücker sicher, kann die Zahl nicht auf null sinken. "Es gibt viele Gründe, warum jemand langzeitarbeitslos ist. Häufig gesundheitliche Gründe, sagt Brücker. Sie kämen nur selten für Stellen infrage, die frei werden, weil Babyboomer in den Ruhestand gehen.
Selbst wenn es gelänge, alle Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu integrieren: Ihre Zahl ist viel zu klein um die wachsende Lücke an Fach- und anderen Arbeitskräften zu schließen. "Wer meint, wir könnten den Fachkräftemangel aus der Gruppe der Langzeitarbeitslosen beheben, setzt leider auf die unrealistischste Option", sagt Brücker.
Deutschland braucht 500.000 Zuwanderer in den Arbeitsmarkt – pro Jahr
Sein Fazit: Um die Arbeitskräftelücke zu schließen, "brauchen wir eine Netto-Zuwanderung von konstant 400.000 Menschen pro Jahr."
Um gleichzeitig die Sozialsysteme stabil zu halten, müssten es sogar mehr sein. Wenn mehr Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden, steigt der Anteil der Rentner und Pensionäre an der Bevölkerung. 2020 betrug das Verhältnis der Rentner zum Erwerbspersonenpotenzial 43 Prozent. "Wenn wir nichts tun, wächst es bis 2060 auf 80 Prozent", hat Brücker ausgerechnet. "Selbst bei einer Nettoeinwanderung von 400.000 Menschen im Jahr, wäre es dann immer noch 59 Prozent." Dann kämen also auf einen Rentner nicht einmal mehr zwei Erwerbstätige. "Daher bräuchten wir eher 500.000 Zuwanderer in den Arbeitsmarkt pro Jahr, um auch das Rentensystem halbwegs zu stabilisieren", urteilt Brücker.
Was Deutschland tun muss, um den Wohlstand zu sichern
Die Zahl von 400.000 bis 500.000 Zuwanderern im Jahr halten die Experten nicht illusorisch. "Seit der Wiedervereinigung haben wir in Deutschland im Durchschnitt einen Wanderungssaldo von 300.000 Menschen pro Jahr". Das zeige, dass "Deutschland per se kein unattraktives Land für Menschen aus anderen Ländern" sei, sagte Brücker. In der EU sei Deutschland das größte Einwanderungsland, bezogen auf die Bevölkerung sei der Wanderungssaldo fast so hoch wie in den USA. "Nur bei der Arbeitsmigration aus Staaten außerhalb der EU hapert es. Hier haben wir extrem niedrige Zahlen. Das weist darauf hin, dass die Steuerung der Arbeitsmigration nicht funktioniert".
Woran mag das liegen? Stettes: "Wir brauchen Zuwanderer in unseren Arbeitsmarkt, die sich hier auch wohlfühlen. Auch hier müssen wir umdenken in den Betrieben, in den Behörden und in der Gesellschaft" Und Brücker sagt: "Am wichtigsten ist eine einfachere Anerkennung beruflicher Abschlüsse auch in Deutschland". Es gebe dafür ja Vorbilder: "Beispiele wie die West-Balkan-Regelung zeigen, dass es funktioniert." Mit der Regelung erhalten Menschen aus den Ländern im West-Balkan für jede Beschäftigung einen Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland. In dem betroffenen Personenkreis sind die Erwerbstätigenquoten höher und die Arbeitslosigkeit geringer als von Deutschen, sagt Brücker.
In ihrem Strategiepapier kündigt die Bundesregierung unter anderem an, die Westbalkan-Regelung zu entfristen.
Zitat von Gast am 4. Mai 2023, 07:12 UhrArbeitsmarkt: Quote so niedrig wie seit Einführung des Euros noch nicht: Arbeitslosigkeit in Eurozone sinkt auf Rekordtief
In den 20 Mitgliedsstaaten der Eurozone waren im März rund 11,0 Millionen Menschen arbeitslos. Dabei leben die meisten Menschen ohne Job in einem Land.
In der Eurozone ist die Arbeitslosigkeit im März auf ein Rekordtief gefallen. Die Arbeitslosenquote sank auf 6,5 Prozent, wie das Statistikamt Eurostat am Mittwoch in Luxemburg mitteilte. Niedriger war die Quote seit Einführung des Euro noch nie. Im Februar hatte die Quote bei 6,6 Prozent gelegen.
Seit mittlerweile über einem Jahr hält sich die Arbeitslosigkeit im Währungsraum auf einem niedrigen Niveau. Im März 2022 hatte die Arbeitslosenquote nur geringfügig höher gelegen, bei 6,8 Prozent.
Wie das Statistikamt weiter mitteilte, waren in den 20 Mitgliedsstaaten der Eurozone im März rund 11,0 Millionen Menschen arbeitslos. Das sind 121.000 weniger als im Februar. Im Jahresvergleich ging die Zahl der Arbeitslosen um 365.000 zurück.
Von den 20 Ländern der Eurozone weist Spanien mit 12,8 Prozent nach wie vor die höchste Arbeitslosigkeit auf. Die deutsche Arbeitslosenquote zählt mit 2,8 Prozent zu den niedrigsten im Währungsraum.
Die Arbeitsmarktdaten von Eurostat basieren auf Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die Quote für Deutschland ist daher deutlich niedriger als die Quote, die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldet wird. Die Bundesagentur hatte Ende April mitgeteilt, dass die deutsche Arbeitslosenquote im April und März jeweils bei 5,7 Prozent lag.
Arbeitsmarkt: Quote so niedrig wie seit Einführung des Euros noch nicht: Arbeitslosigkeit in Eurozone sinkt auf Rekordtief
In den 20 Mitgliedsstaaten der Eurozone waren im März rund 11,0 Millionen Menschen arbeitslos. Dabei leben die meisten Menschen ohne Job in einem Land.
In der Eurozone ist die Arbeitslosigkeit im März auf ein Rekordtief gefallen. Die Arbeitslosenquote sank auf 6,5 Prozent, wie das Statistikamt Eurostat am Mittwoch in Luxemburg mitteilte. Niedriger war die Quote seit Einführung des Euro noch nie. Im Februar hatte die Quote bei 6,6 Prozent gelegen.
Seit mittlerweile über einem Jahr hält sich die Arbeitslosigkeit im Währungsraum auf einem niedrigen Niveau. Im März 2022 hatte die Arbeitslosenquote nur geringfügig höher gelegen, bei 6,8 Prozent.
Wie das Statistikamt weiter mitteilte, waren in den 20 Mitgliedsstaaten der Eurozone im März rund 11,0 Millionen Menschen arbeitslos. Das sind 121.000 weniger als im Februar. Im Jahresvergleich ging die Zahl der Arbeitslosen um 365.000 zurück.
Von den 20 Ländern der Eurozone weist Spanien mit 12,8 Prozent nach wie vor die höchste Arbeitslosigkeit auf. Die deutsche Arbeitslosenquote zählt mit 2,8 Prozent zu den niedrigsten im Währungsraum.
Die Arbeitsmarktdaten von Eurostat basieren auf Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die Quote für Deutschland ist daher deutlich niedriger als die Quote, die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldet wird. Die Bundesagentur hatte Ende April mitgeteilt, dass die deutsche Arbeitslosenquote im April und März jeweils bei 5,7 Prozent lag.