Eine Änderung im Baugesetz ermöglicht den einfacheren Bau von Solarparks, etwa an Autobahnen und Bahnstrecken. Flächenbesitzern winken deutlich höhere Pachtpreise. Was die Energiewende antreiben soll, sorgt in einigen Kommunen für Ärger – denn sie haben kein Mitspracherecht mehr.
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Die 1500-Einwohner-Gemeinde Lübow in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Ort, an dem sich die Energiewende besonders auszahlen soll: Bereits seit Jahren plant dort der regionale Energieversorger, die Wemag, entlang der Autobahn A14 einen gigantischen Solarpark. 30 Hektar Land sollen bebaut werden, etwa die Größe von 21 Fußballfeldern. Im nächsten Jahr sollen die Arbeiten beginnen.
Ist die Anlage einmal fertig, könnte sie 8000 Vier-Personen-Haushalte mit Strom versorgen – und Lübow wird daran verdienen: Die künftige Betreibergesellschaft hat ihren Sitz auf dem Gemeindegebiet, sodass die gesamte Gewerbesteuer in die Kassen der Kommune fließt.
Eine Änderung im Baugesetzbuch ermöglicht es nun Eigentümern von Freiflächen, entlang von Autobahnen und Bahnstrecken eigenständig Solarparks errichten zu lassen – ohne, dass die betroffene Gemeinde zustimmen muss oder finanziell davon profitiert. Die Ampel-Regierung will damit mehr Tempo in den Solar-Ausbau auf Kommunalebene bringen. Flächennutzungspläne, Baugenehmigungen – woran sich Gemeinderäte seit Jahrzehnten festhalten, soll die Energiewende nicht hemmen.
In den vergangenen Jahren musste sich der PV-Zubau hinter Ratsbeschlüssen und Abwägungen anstellen. Bei Freiflächen-Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen handelte es sich in den meisten Fällen um Bauvorhaben, die bislang im Baugesetzbuch (BauGB) benachteiligt waren.
„Erneuerbare Energien stehen jetzt im nationalen Interesse vor vielen anderen“
Bevor auch nur ein Modul auf die Wiese gestellt werden durfte, brauchte es bislang noch ein gemeindliches „Bauleitplanverfahren zur Aufstellung eines Flächennutzungsplanes“ oder einen „vorhabenbezogenen Bebauungsplan“. Deren Genehmigung konnte in der Vergangenheit Jahre dauern.
Das soll sich mit dem „Gesetz zur sofortigen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die erneuerbaren Energien im Städtebaurecht“ nun ändern. Die Eigentümer der Grundstücke, Landwirte beispielsweise, können entsprechende Aufträge jetzt also ohne Genehmigungsverfahren der jeweiligen Gemeinde erteilen und ausführen lassen.
„Die größte Änderung ist im Prinzip, dass erneuerbare Energien jetzt im nationalen Interesse vor vielen anderen stehen“, erklärt Arp Fittschen vom Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern. Denkmalschutz, Landschaftsbild, sogar der Artenschutz werde zugunsten von Solarparks erheblich eingeschränkt. „Die Schutzzonen um die Horste werden kleiner, und alle anderen Belange treten dahinter zurück.“
Verhinderte in den vergangenen Jahren mancherorts das Nest eines brütenden Seeadler-Pärchens praktisch in letzter Instanz noch den Bau eines Windrads oder eines Solarparks, darf jetzt – in gebührendem Abstand – drumherum gebaut werden.
Die Gesetzesänderung könnte einen wichtigen Teil zur Entbürokratisierung bei der Energiewende beitragen, sagt Christoph Schenck zu Schweinsberg, Immobilienmakler und Geschäftsführer bei Engel & Völkers. „Aus Sicht von Investoren sind Projekte für erneuerbare Energien in Deutschland im Moment hochattraktiv“, so von Schenck.
Die Neugestaltung der Flächen scheiterte jedoch noch zu oft an den Gemeinden. „Jede Solarzelle muss im Moment die Zustimmung finden. Dabei liegt das Kapital eigentlich bereit. Dieser Bürokratie-Flaschenhals ließe sich über vereinfachte Genehmigungsverfahren beseitigen.“
Landwirtschaftliche Flächen werden zu Gewerbeflächen
Um Solarparks an der Autobahn bauen zu können, ist es notwendig, landwirtschaftliche in Gewerbeflächen umzudeklarieren. „Der Bedarf ist hier immens“, sagt von Schenck. Und das kann für die Besitzer der Grundstücke große Veränderungen bei den Konditionen bedeuten.
Zahlen Landwirte zwischen 200 und 1000 Euro Pacht pro Hektar – der Preis bemisst sich nach der Bodenqualität – fallen bei Gewerbeflächen mit Solaranlagen 2000 bis 5000 Euro pro Hektar an. „An den Autobahnen sind die Bedingungen für die Umwidmung sehr günstig. Auto-Emissionen sind für die Landwirtschaft nicht förderlich. Dafür könnte der Standort für die Sonneneinstrahlung sehr gut genutzt werden“, sagt von Schenck.
Unter den Interessenten auf Pächterseite sind wegen der großen Investitionsvolumen aktuell vor allem große Immobiliengesellschaften oder Fonds mit Nachhaltigkeits-Fokus. Die Kosten für den Ausbau mit Solaranlagen ließen sich etwa mit 100 Millionen Euro pro 100 Hektar überschlagen, rechnet von Schenck. Auch deshalb sei eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren wichtig. „Hier geht es teilweise um Opportunitätskosten in Millionenhöhe, die Investoren bei zu langen Wartezeiten täglich verlieren – und die auch dem Staat entgehen.“
Bundesbauministerin Klara Geywitz stellt das neue Baurecht als vorteilhaft für die Kommunen dar. „Indem wir Flächen nutzen, an denen es durch Autobahnverkehr und Zugfahrten keine Nutzungsansprüche auf Wohnraum, Landwirtschaft und Naherholung gibt, können Windräder, Photovoltaikanlage und Wasserstoffumwandler gebaut werden“, sagte die SPD-Politikerin.
Das Heizungsgesetz als Problemquelle
Allerdings gibt es auch Gemeinden, die auf den betroffenen Freiflächen an der Autobahn lieber Industrie ansiedeln würden. Das Hauptproblem sind aus Sicht von Arp Fittschen vom Städte- und Gemeindetag nicht einmal die zusätzlichen Einnahmen, die vielen Gemeinden durch die Lappen gehen, wenn Grundstücksbesitzer künftig direkt mit den Energieversorgern Verträge über große Solarparks verhandeln und abschließen.
Vielmehr geht es um die Ziele der Bundesregierung beim Heizungsgesetz. „Von den Gemeinden wird gefordert, zeitnah eine kommunale Wärmeplanung vorzulegen“, erklärt Fittschen, „aber wie sollen sie das machen, wenn sie nicht einmal mit der Energie verlässlich planen können, die bei ihnen in der Gemeinde produziert wird?“
Es sei ohnehin schon schwer, Bürgern in Norddeutschland zu erklären, warum sie bei erneuerbaren Energiequellen aufgrund von EEG-Umlage und Anschlusskosten höhere Netzentgelte bezahlen müssen als Menschen in Bundesländern, in denen sich bislang deutlich weniger beim Zubau tut.
Die Energie- und Wirtschaftsminister der nördlichen Bundesländer fordern darum schon länger mehr Fairness bei der Kostenverteilung. Und glücklich ist die Gemeinde, die künftig bei ihrer kommunalen Wärmeplanung einen regionalen Versorger an der Hand hat – und ein paar freie Flächen an der Autobahn.