Die deutsche Industrie klagt über zu hohe Energiekosten. Dennoch sollen ihr die Stromsteuer-Vergünstigungen gestrichen werden. Gleichzeitig gibt es den Plan, die Not mit einem Brückenstrompreis zu lindern. Beide Ideen widersprechen sich. Deshalb ist die dritte Variante die richtige.
WELT-Gastautor Manuel Frondel leitet den Kompetenzbereich Umwelt und Ressourcen am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) Stephan Schulz/dpa/picture alliance; Julica Bracht/RWI/dpa© Bereitgestellt von WELT
Jüngst kam es zu einem wahren Aufschrei aller namhaften Industrieverbände: Die Spitzenausgleich genannten Vergünstigungen bei der Stromsteuer für energieintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes sollen zwecks Konsolidierung des Staatshaushaltes ab dem Jahr 2024 nicht mehr gewährt werden.
Bislang erhalten energieintensive Unternehmen dieses Sektors bei Erfüllung gewisser Voraussetzungen, etwa dem Vorhandensein von zertifizierten Energiemanagementsystemen in den Betrieben, durch den Spitzenausgleich einen Großteil der von ihnen entrichteten Stromsteuer zurück. In Summe beliefen sich die dem Staat dadurch entgangenen Steuereinnahmen auf 1,5 bis zwei Milliarden Euro pro Jahr.
Diese Vergünstigungen werden von Kritikern als umweltschädliches Steuergeschenk an die Industrie bemängelt. Aus Branchen-Perspektive ist dagegen die künftig höhere Kostenbelastung durch die Stromsteuer ein weiterer Nachteil für den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb.
Solche Unternehmen sollen bei Börsenstrompreisen über sechs Cent je Kilowattstunde (kWh) die Differenz zum Brückenstrompreis erstattet bekommen — zumindest für 80 Prozent des historischen Verbrauchs, um Anreize für Effizienzverbesserungen zu erhalten.
Den Spitzenausgleich zu streichen, steht somit in diametralem Gegensatz zu dem Vorschlag des BMWK, mit einem Brückenstrompreis die Stromkostenbelastung von stromintensiven Industrieunternehmen verringern zu wollen.
Dieser Gegensatz lässt sich leicht auflösen: Anstatt die Strompreise für Unternehmen durch die Streichung des Spitzenausgleichs zu erhöhen, sollten sie vielmehr gesenkt werden: durch die Senkung der Stromsteuer von aktuell 2,05 Cent je kWh auf das von der EU-Gesetzgebung festgelegten Minimum.
Dieses beträgt für private Haushalte 0,1 Cent je kWh, für Unternehmen 0,05 Cent je kWh. Der Spitzenausgleich würde dann obsolet, zugleich sinkt der Strompreis für alle übrigen Verbraucher.
Die Reduktion der Stromsteuer auf das EU-weite Minimum würde im Gegensatz zu den temporären und sehr teuren Entlastungsmaßnahmen in Form der Energiepreisbremsen dauerhaft helfen, die Nachteile der Unternehmen in Deutschland im internationalen Wettbewerb zu mindern.
Auch die Belastungen der privaten Haushalte würde dies lindern. Diese haben in Deutschland seit geraumer Zeit unter den höchsten Strompreisen in der Europäischen Union zu leiden.
Ein wesentlicher Einwand gegen eine Senkung der Stromsteuer seitens der Politik ist, dass deren Einnahmen seit ihrer Einführung am 1. April 1999 zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet werden. Daher könne auf diese Einnahmen von aktuell rund sieben Milliarden Euro pro Jahr nicht verzichtet werden.
Diesem Einwand muss entgegengehalten werden, dass zur Gegenfinanzierung der Stromsteuersenkung im Prinzip ausreichende Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds zur Verfügung stünden, wenn damit nicht allerlei fragwürdige Maßnahmen finanziert würden.
Zudem ist zu erwarten, dass das Volumen dieses staatlichen Sondervermögens zur Finanzierung der Energiewende ansteigt, denn es speist sich unter anderem aus den Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten des EU-Emissionshandels und der nationalen CO₂-Bepreisung fossiler Brenn- und Kraftstoffe. Mit der gesetzlich festgelegten steigenden CO₂-Bepreisung werden auch die finanziellen Zuflüsse zu diesen Fonds weiter ansteigen.
Reduktion der Stromsteuer seit Jahrzehnten überfällig
Die Senkung der Stromsteuer auf das EU-weite Minimum ist höchst überfällig, denn seit Einführung des EU-Emissionshandelssystems im Jahr 2005 ist die Stromsteuer weitgehend redundant. Schließlich haben beide Instrumente, Stromsteuer und Emissionshandel, dasselbe Ziel: den Klimaschutz.
Im Ergebnis kommt es zu einer Doppelbelastung der Stromverbraucher, die unbedingt überdacht werden sollte: Selbst wenn man der Stromsteuer eine Lenkungswirkung zubilligt, die über das durch den Emissionshandel bereits bewirkte Maß hinausgeht, wird diese Lenkungswirkung mit dem wachsenden Anteil an grünem Strom am Strommix zunehmend geringer.
Mindestens zwei weitere Gründe sprechen für eine Senkung der Stromsteuer. Erstens: Eine Stromsteuersenkung verursacht keinerlei zusätzliche Transaktionskosten — im Gegensatz zu den Energiepreisbremsen, die deshalb mit hohen Transaktionskosten verbunden sind, weil sämtliche Energieversorger unter hohem Aufwand die Summen berechnen müssen, die über die Energiepreisbremsen hinausgehen und durch den Staat zu ersetzen sind.
Der Staat wiederum hat Heerscharen von Beamten zu beschäftigen, die die Rückerstattungsbeträge prüfen und überweisen müssen. Die Stromsteuersenkung würde hingegen in unbürokratischer Weise helfen, und zwar allen Stromverbrauchern, nicht zuletzt auch den Unternehmen aus dem Sektor Handel, Gewerbe und Dienstleistungen. Diese sind nie in den Genuss des Spitzenausgleichs gekommen; viele davon sind nun wegen der hohen Energiepreise in Existenznöten.
Zweitens kann dadurch die sogenannte Sektorkopplung unterstützt werden. Dabei soll zur Reduktion der Treibhausgasemissionen von Sektoren wie dem Verkehr und dem Gebäudebereich vermehrt grüner Strom eingesetzt werden.
Sowohl der Einbau von Wärmepumpen als auch die Anschaffung von Elektromobilen würden umso attraktiver, je niedriger das Strompreisniveau ist. Sollen die Wärme- und Verkehrswende an Fahrt aufnehmen, führt an einer substanziellen Verringerung des Strompreisniveaus kein Weg vorbei.
Senkt man nicht nur die Stromsteuer, sondern schafft nach der bereits beseitigten EEG-Umlage weitere Abgaben auf den Strompreis ab, allen voran die KWKG-Umlage zur Förderung der Kraftwärmekopplung, so würde neben der Streichung des Spitzenausgleichs auch die Einführung eines Brückenstrompreises überflüssig. Besonders dann, wenn sich durch eine Ausweitung des Stromangebots auch die Erzeugungspreise für Strom verringern würden.
Mehr Angebot am Markt senkt die Strompreise
Die Streichung der Abgaben auf Strom, die ebenso wie die Verringerung der Stromsteuer durch den Klima- und Transformationsfonds gegenfinanziert werden könnte, würde einen Fehler im System beseitigen: Aus ökonomischer und verteilungspolitischer Sicht sollten nicht die Stromverbraucher – und damit in hohem Maße auch einkommensschwache Haushalte – für die Förderung von Maßnahmen wie der Kraftwärmekopplung oder den Aufbau der Netze zum Anschluss von Windparks in Nord- und Ostsee aufkommen, sondern die Steuerzahler. Dadurch würden stärkere Schultern stärker und schwächere Schultern weniger belastet, eine sozial ausgewogene Verteilung der Kosten wäre gewährleistet.
Daneben sollte man die hohen Strompreise auch dadurch bekämpfen, dass das Angebot am Strommarkt ausgebaut wird, anstatt es noch weiter zu reduzieren. Daher wäre es hilfreich, den ordnungsrechtlichen Kohleausstieg in Deutschland nicht auf das Jahr 2030 vorzuziehen, sondern den Kohleausstieg dem Markt, sprich den Emissionszertifikatpreisen zu überlassen.
Dass das Stromangebot durch den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien erhöht wird, ist zu begrüßen. Dennoch wird dieser auf absehbare Zeit allein nicht ausreichen, um die Stromversorgung zu sichern. Das hat die Bundesregierung klar erkannt und im Koalitionsvertrag auf Erdgaskraftwerke als Brückentechnologie gesetzt. Diese Brücke käme jedoch sehr teuer und erscheint bis zum Jahr 2030 kaum realisierbar.
Die Politik sollte daher unvoreingenommen eine technologieoffene Innovationsoffensive starten, die allen Technologien zur Erzeugung und Speicherung von Strom eine Chance gibt. Tabus, wie etwa das Verbot des Einfangens und unterirdischen Speicherns von Kohlendioxidemissionen (Carbon Capture and Storage) aus konventionellen Kohle- und Gas-Kraftwerken sollten wir uns künftig nicht mehr leisten.
Zudem müssen Erbauer neuer Solar- und Windparks künftig dazu verpflichtet werden, gleichzeitig in Speichertechnologien zu investieren, um an sonnen- und windreichen Tagen, an denen das Stromangebot die Nachfrage übersteigt, überschüssigen grünen Strom für angebotsarme Zeiten speichern zu können.
Die bisherige Regelung, an Tagen mit drohenden Stromüberschüssen die Erneuerbaren-Anlagen gegen Entschädigungszahlungen abzuschalten, wird zunehmend teurer und sollte schleunigst abgeschafft werden, denn diese Entschädigungszahlungen erhöhen die Stromrechnung der Verbraucher zusätzlich.
Nicht zuletzt muss auch der grenzüberschreitende Netzausbau forciert werden, damit in Zeiten knappen Stromangebots, vor allem an windschwachen Tagen im Winter, mehr Strom aus dem Ausland importiert werden kann, um Strompreisexplosionen zu verhindern.
Durch alle diese Maßnahmen würde das Übel der hohen Strompreise in Deutschland an der Wurzel angepackt werden. Mit der Einführung eines Brückenstrompreises würde hingegen nur an den Symptomen herumgedoktert werden.
Manuel Frondel ist seit 2003 Leiter des Kompetenzbereiches Umwelt und Ressourcen am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, seit 2009 außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und seit 2010 Fakultätsmitglied der Ruhr Graduate School in Economics (RGS).