Bald zu viel davon? Ein Windpark im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Christoph Hardt / Imago© Bereitgestellt von Neue Zürcher Zeitung Deutschland
In den letzten Wochen waren zuweilen negative Strompreise zu beobachten. In diesem Fall erhalten die Käufer von Strom von den Betreibern sogar noch Geld. Das Schweizer Bundesamt für Energie schreibt jedoch, negative Strompreise seien kein Grund zur Sorge. Sehen Sie das auch so, Herr Frondel?
Ein negativer Preis ist ein klares Signal, dass etwas im Argen liegt. Die Ursache dafür ist, dass zu viel Solar- und Windstrom auf eine geringe Nachfrage trifft. Die Schuldigen sind also nicht die Betreiber von konventionellen Kohle- und Gaskraftwerken, die in solchen Fällen meist ihre Kapazitäten herunterfahren.
Die gleiche Behörde schreibt aber, auch unflexible konventionelle Kraftwerke sorgten dafür, dass Strompreise ins Negative rutschten.
Es ärgert mich masslos, wenn Ursache und Wirkung vertauscht werden. Das Runter- und Hochfahren eines konventionellen Kraftwerks kostet viel Geld. Deshalb kann es sich für Betreiber solcher Kraftwerke lohnen, sie am Netz zu lassen, auch wenn die Preise negativ sind.
Zeigt das nicht, dass die konventionellen eben zu wenig flexibel sind?
Nochmals: Die Ursache für negative Strompreise sind nicht die konventionellen Kraftwerke, sondern es ist die Inflexibilität der Erneuerbaren. Sie sind völlig von den Wetterbedingungen abhängig.
Gibt es künftig öfter einen Stromüberschuss an Sommertagen?
Ja, ich kann Ihnen das anhand der Kapazitäten in Deutschland erklären. Um die maximale Nachfrage an einem kalten Winterabend in Deutschland abzudecken, braucht es derzeit 82 Gigawatt an Leistung. Das sind umgerechnet 80 grosse Kernkraftwerke. Wir haben heute aber bereits 150 Gigawatt an erneuerbaren Kapazitäten aufgebaut, neben den noch bestehenden knapp 80 Gigawatt an konventionellen wie Kohle- und Gaskraftwerke.
Sie wollen sagen, dass man an sonnigen und windigen Sommertagen auf einen immer grösseren Überschuss zusteuert?
Wer nimmt diesen Strom ab?
Die Nachfrage kommt vor allem aus dem Ausland. Die Schweiz nimmt gerne überschüssigen Strom gegen eine Aufnahmegebühr – nichts anderes sind negative Preise – auf und speichert ihn für Deutschland in ihren Pumpspeicherkraftwerken. In windschwachen Zeiten mit niedrigem Angebot wird der Strom gegen einen hohen Preis wieder an Deutschland zurückverkauft.
Man könnte den überschüssigen Strom lokal speichern.
Dies ist derzeit noch teuer – und wird von den Betreibern erneuerbarer Energieanlagen auch nicht verlangt. Dies müsste man unbedingt ändern. Die Regierung müsste allen Betreibern erneuerbarer Energien auferlegen, dass sie in Situationen, in denen viel zu viel grüner Strom da ist, diesen zwischenspeichern müssen. Auf welche Art sie das machen, wäre ihnen überlassen.
Was ist die Konsequenz, wenn der Wind stark bläst und gleichzeitig die Sonne scheint?
Bei einer solchen Konstellation müssen manche Wind- und Solarparks abgeschaltet werden, weil zu viel Strom die Netze verstopft und diese destabilisiert. Wenn man diese Anlagen abstellt, gibt es für die Betreiber in Deutschland jedoch Entschädigungszahlungen. Weil immer mehr Kapazitäten mit grünem Strom installiert werden, werden solche Situationen häufiger, und die Entschädigungszahlungen steigen.
Das heisst also, dass die Betreiber von erneuerbaren Anlagen selbst an einem sonnigen und windigen Sommertag noch Geld erhalten, auch wenn es ein Stromüberangebot gibt?
Richtig, die Betreiber spüren nichts von negativen Strompreisen, weshalb sie einfach weiterproduzieren, als wäre nichts geschehen. Wir kommen auch zunehmend in Situationen, in denen erneuerbare Energien gegeneinander ausgespielt werden.
Wie meinen Sie das?
Im Moment sagt der Netzbetreiber: Diese und jene Anlage wird abgeschaltet und diese nicht, um das Netz stabil zu halten. Die Abschaltungen werden also nicht vom Markt her gesteuert, sondern planwirtschaftlich. Das kann nicht lange gut gehen. Wenn nun die Erneuerbaren massiv ausgebaut werden, müssten wegen der beschränkten Nachfrage im Sommer in drastischem Ausmass Anlagen abgeschaltet werden.
Sollten sich da nicht neue Geschäftsmodelle herausbilden, um diesen überschüssigen Strom zu nutzen? Man könnte zum Beispiel grünes Methan oder Wasserstoff herstellen, die man gut lagern kann.
Diese sogenannte Power-to-X-Produktion ist sehr teuer. Deshalb würde es schon stark negative Strompreise brauchen, damit so ein Geschäftsmodell aufgehen könnte.
In der Schweiz ist besonders der Strom im Winter knapp. Müsste man die Förderung nicht auf die Beseitigung dieser Knappheit richten?
Ja, klar. Es sollte, wenn überhaupt, nur noch Förderungen geben für Anlagen, die über kurz- und mittelfristige Speicher verfügen, sonst ergibt dieser wahnwitzige Ausbau der erneuerbaren Energien keinen Sinn.
Kann ich als Konsument von negativen Preisen profitieren?
Als Endkunde kriegt man keine Echtzeit-Preise, die sich stets nach Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt richten, sondern man bezahlt einen gemittelten Preis über ein oder zwei Jahre. Solche festen Preise haben den Vorteil, dass man den Schwankungen des Strompreises weniger ausgesetzt ist. Man könnte sich Angebote mit aktuellen Strompreisen schon vorstellen, so dass das Elektroauto geladen wird, wenn die Preise niedrig oder negativ sind. Aber das wäre auch nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
Weshalb?
Weil eine Lawine an Grünstrom auf uns zukommt. Wenn man 400 Gigawatt an erneuerbaren Kraftwerkskapazitäten installiert hat und im Maximum 100 Gigawatt braucht, nehmen die Ineffizienzen zu.
Die Energiewende geht für Sie in die falsche Richtung?
Ja, vergangenes Jahr hat die deutsche Bundesnetzagentur bei den Auktionen für Grünstrom in Deutschland die Höchstvergütungen heraufgesetzt, weil man den Ausbau beschleunigen will. Die deutsche Politik glaubt, dass man wegen des Klimaschutzes und des Ausfalls an russischem Erdgas so viel Erneuerbare zubauen sollte wie nur möglich, doch die Probleme, die dahinterstecken, scheint man nicht zu sehen.
Wenn Länder wie Deutschland oder die Schweiz klimaneutral werden wollen, was sollte man dann stattdessen tun?
Ich würde die konventionellen Kapazitäten nicht so schnell zurückfahren, wie das gerade der Fall ist. Den Kohleausstieg würde ich in Deutschland nicht von 2038 auf 2030 vorziehen. Nach dem Wegfall der Kernkraftwerke hat Deutschland immer weniger sichere Kapazitäten, die uns über Dunkelflauten im Winter hinweghelfen. Wir werden Schwierigkeiten haben, die Stromversorgung im Winter zu sichern.
Kann man den fehlenden Strom nicht importieren?
Dies wird in kritischen Situationen nicht reichen. Dazu sind die grenzüberschreitenden Netzkapazitäten zu gering. Deshalb müssen wir genügend konventionelle Kraftwerkskapazitäten aufrechterhalten. Die deutsche Regierung hat zwar angekündigt, dass bis 2030 viele Gaskraftwerke gebaut werden sollen. Doch welcher private Investor baut Kraftwerke, die nur wenige Tage im Jahr voll laufen können, weil sie in der übrigen Zeit vom billigen Grünstrom aus dem Markt gedrängt werden?
Was würden Sie sonst noch empfehlen?
Statt massiv und flächendeckend in erneuerbare Energien zu investieren, würde ich mit einem Bruchteil des Geldes die Forschung und Entwicklung neuer Technologien und von Speichertechniken vorantreiben. Wenn wir eine kostengünstige CO2-arme Technologie zur Stromerzeugung finden würden, wäre das sehr hilfreich. Ob das dann Kernfusion oder etwas anderes ist, weiss ich nicht. Aber wir brauchen so etwas.
Das ist Wunschdenken.
Ja, das gebe ich zu, aber wir brauchen eine solche Technologie dringend.
In der Schweiz hofft man stark auf grünen Wasserstoff, mit dem man Gaskraftwerke betreiben könnte.
Auch in Deutschland wird Wasserstoff als Heilsbringer präsentiert. Aber es gibt viele Fragezeichen. So ist fraglich, ob man Wasserstoff einmal in riesigen Mengen importieren kann. Es ist auch eine teure Lösung, wenn man Erdgaskraftwerke mit Wasserstoff betreiben wollte.
Weshalb?
Weil man bei der Produktion des Wasserstoffs drei Viertel des ursprünglichen Stroms vernichtet. Der Wirkungsgrad ist sehr schlecht.
Haben Sie absichtlich bisher nicht von der neuen Generation von Kernkraftwerken gesprochen, die sich am Horizont abzeichnet?
In Deutschland darf man das Wort Kernkraft gar nicht in den Mund nehmen, sonst ist man schon abgestempelt. Die Schweiz spricht dagegen jetzt von 60 oder gar 80 Jahren Laufzeit ihrer AKW. Von diesem Pragmatismus könnten sich die Deutschen eine Scheibe abschneiden.
Manuel Frondel – Energieökonom
cei. Der 1964 geborene Wissenschafter leitet seit 20 Jahren den Kompetenzbereich «Umwelt und Ressourcen» am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Er ist zudem Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum. Bevor er sich der Volkswirtschaftslehre zuwandte, machte er Abschlüsse in Physik und als Wirtschaftsingenieur.