Der chinesische Präsident auf Besuch in Moskau. Foto: IMAGO/ITAR-TASSdata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt
Trotz der spontanen Absage an Finanzminister Lindner wirkt Peking bemüht um gute Beziehungen zu Berlin. Doch die Differenzen sind offensichtlich.
Nach der kurzfristigen Absage des Gesprächs zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und seinem Amtskollegen Liu Kun hat der chinesische Außenminister Qin Gang bei einem Treffen mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Dienstag in Berlin versucht, den Eklat kleinzureden: Auf die Frage, ob China etwas gegen Lindner habe, schmunzelte Qin Gang.
Dann sagte er: „Finanzminister Lindner ist natürlich bei uns willkommen.“ Der chinesische Finanzminister Liu Kun habe ein dringendes anderes Programm bekommen, sagte Qin, daher der Ausfall des Treffens. „Wir hoffen, Herrn Lindner in China begrüßen zu können. Es ist eine rein technische Frage und sollte nicht überinterpretiert werden.“
Die spontane Absage des für diese Woche in Peking geplanten Treffens hatte in Berlin für Irritationen gesorgt. Baerbock selbst hatte die Absage zuvor thematisiert. „Echter Dialog – das ist der Geist unserer anstehenden Regierungskonsultationen“, sagte Baerbock.
Erst drei Wochen ist es her, dass sich Außenministerin Baerbock und ihr chinesischer Amtskollege Qin Gang in Peking getroffen haben. An diesem Dienstagmittag standen sie erneut gemeinsam vor der Presse, diesmal in Berlin. Qin Gang ist zum Gegenbesuch zunächst in Deutschland, bevor er am Mittwoch nach Frankreich und Norwegen weiterreist.
Gefährliche Abhängigkeit von der Volksrepublik
„Es freut mich, dass wir das Tempo des Zuges in unserem Austausch halten können“, sagte Baerbock gleich zu Beginn der Pressekonferenz. Es ist eine Anspielung darauf, dass Qin Gang sie Mitte März bei Baerbocks erstem Chinabesuch als Außenministerin mit dem chinesischen Schnellzug, auf den Peking besonders stolz ist, aus seiner Heimatstadt Tianjin abgeholt hatte.
Das Treffen am Dienstag diente den Vorbereitungen der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen am 20. Juni. „Es ist gut, dass wir dieses Format nach langer Covidpause wieder aufnehmen“, erklärte Baerbock.
Die Stimmung schien über die ganze Pressekonferenz hinweg entspannter als bei der vorherigen Begegnung von Baerbock und Qin in Peking. Dort hatten sich die beiden Außenminister einen regelrechten Schlagabtausch geliefert.
Andere europäische Länder schauen nach Berlin
Das Verhältnis von Deutschland und China ist nicht nur für die deutsche Wirtschaft bedeutsam, die sich zum Teil in eine gefährliche Abhängigkeit von der Volksrepublik begeben hat. Auch andere europäische Länder schauen sehr genau darauf, wie Berlin sich gegenüber China aufstellt.
Mit Spannung wird die neue Chinastrategie erwartet, an der die Bundesregierung unter Federführung des Auswärtigen Amtes bereits seit Monaten arbeitet. Ein erster Entwurf, der bereits im vergangenen Jahr durchgesickert war, hatte ein deutlich kritischeres Bild von China gezeichnet.
Viele befürchteten jedoch nun, dass die Strategie abgeschwächt werde – vor allem in den zentral- und osteuropäischen Ländern gebe es solche skeptischen Stimmen, sagt Alicja Bachulska, Chinaexpertin beim European Council on Foreign Relations, dem Handelsblatt.
Die deutsche Chinastrategie werde schließlich „eines der entscheidenden Elemente sein, die die europäische und chinesische Sichtweise auf die Zukunft der EU-China-Beziehungen prägen werden“, so Bachulska.
In Berlin ging es am Dienstag zwar hart in der Sache zu, beide Seiten wirkten aber sichtlich bemüht um Freundlichkeiten. Baerbock lobte China als „ein Vorreiter bei erneuerbaren Energien“, mahnte aber auch, dass die Volksrepublik zugleich größter Emittent von Treibhausgasen weltweit sei. China komme daher eine Schlüsselrolle in der Klimakrise zu.
Kritische Punkte der Beziehungen
Beide Seiten sprachen kritische Punkte in den Beziehungen an. Baerbock mahnte die Einhaltung der Menschenrechte an und forderte Peking dazu auf, seinen Einfluss auf den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin stärker dafür zu nutzen, auf einen Frieden in der Ukraine hinzuwirken.
Qin Gang forderte, dass die bestehende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China weiter ausgebaut werde, „insbesondere um ein gutes Umfeld für die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen beider Länder zu schaffen“, sagte Qin Gang.
Themen waren auch die Diskussionen über geplante EU-Sanktionen gegen Unternehmen, die kriegsrelevante Teile nach China liefern. Baerbock betonte, es sei wichtig, dass Sanktionen nicht über Umwege unterwandert würden. „Besonders kritisch ist es, wenn dabei russische Rüstungsunternehmen an kriegsrelevante Güter gelangen“, sagte sie.
Die Maßnahmen der EU richteten sich zwar nicht gegen irgendein spezifisches Land, betonte sie. Sie erwarte aber von China, dass es auf seine Firmen entsprechend einwirke. Sie habe den Außenminister in Peking aber so verstanden, dass es keine Exporte von Rüstungsgütern aus China gebe.
Qin Gang betonte seinerseits, dass es einen normalen Austausch und Kooperationen zwischen chinesischen und russischen Unternehmen gebe. „Und dieser normale Austausch darf nicht gestört werden.“
Zugleich sei es in China aber auch Gesetz, keine Waffen an Krisenregionen zu liefern. Entsprechende Vorschriften gebe es auch für sogenannte Dual-Use-Güter, die zivil und militärisch verwendet werden können. Man sei „strikt dagegen“, dass Länder nach ihren eigenen inländischen Gesetzen einseitige Sanktionen gegenüber China oder anderen Ländern einleiteten. „Wenn das der Fall wäre, werden wir auch strikt und streng darauf reagieren.“ Ähnlich hatte sich ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums bereits am Vortag geäußert.
Bemühung um gute Beziehungen
Trotz der kritischen Worte ist Peking derzeit sichtlich bemüht um gute Beziehungen zu Berlin. Umso mehr hatte das abgesagte Treffen zwischen Lindner und dem chinesischen Finanzminister Liu Kun im Umfeld der Bundesregierung zu Irritationen geführt. Zumal Lindner bereits im Jahr 2019 sehr unfreundlich von chinesischen Staatsvertretern behandelt worden war.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der damals als Teil der Reisedelegation dabei gewesen war, sagte: „China betreibt eine knallharte Interessenpolitik und schreckt anscheinend auch nicht davor zurück, von diplomatischen Selbstverständlichkeiten wie dem persönlichen Austausch abzurücken“, sagte Djir-Sarai. Es sei höchste Zeit für Deutschland, „die Naivität der vergangenen Jahre gegenüber China zu beenden“.
Äußerungen führender FDP-Politiker am Dienstag zeigten, dass sich die Chinakritiker innerhalb der Partei durch die kurzfristige Absage bestärkt fühlen. Lindner forderte im Gespräch mit dem Nachrichtenportal „The Pioneer“ eine neue Balance im Verhältnis zu China.
Es gehe um „einen selbstbewussten und realistischen Umgang mit China“ und „ein weniger samtpfötiges Auftreten“, als es die Vorgängerregierungen an den Tag gelegt hätten, sagte Lindner. „Wir lassen uns unsere liberalen Werte nicht für gute Geschäfte abkaufen.“
„Wir kennen zwar nicht den Hauptgrund für die Absage“, sagte Chinaexpertin Bachulska, „aber die Optik ist in jedem Fall schlecht.“ Djir-Sarai forderte, dass Deutschland seine eigenen Interessen „selbstbewusster und unmissverständlicher“ formulieren und verfolgen müsse.
„Neben den wirtschaftlichen haben wir aber auch werteorientierte Interessen, die wir verteidigen.“ Liberale Werte wie das Völkerrecht, Menschenrechte, Rechtssicherheit und politische Freiheiten seien nicht verhandelbar.
Chinesische Investitionen gehen zurück
Wie eine aktuelle Analyse der China-Thinktanks Rhodium und Merics ergeben hat, hat die kritischere Haltung gegenüber China bereits sehr konkrete Folgen. So sind Übernahmen europäischer Firmen durch chinesische Unternehmen im vergangenen Jahr massiv zurückgegangen – auch weil es viele Untersagungen gab. Die Übernahmen betrugen demnach nur noch 3,4 Milliarden Euro im Jahr 2022 – der geringste Wert seit 2011.
Insgesamt gingen die chinesischen Investitionen in Europa 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent auf 7,9 Milliarden Euro zurück. Damit erreichten sie den tiefsten Stand seit zehn Jahren. Hauptinvestitionsbranchen bleiben Konsumgüter und die Automobilindustrie. Laut der Analyse entfallen drei Viertel der gesamten chinesischen Investitionen in Europa auf diese Sektoren.