Deutschlands Munitionsvorräte sind geheim. Aber auch andere Staaten publizieren nicht, wie viel Schuss in den Bunkern liegen. Bei der Bundeswehr soll es jedoch besonders wenig sein. Spekuliert wird, dass der Vorrat im potenziellen Kriegsfall je nach Munitionsart nur für wenige Stunden reicht, allenfalls für wenige Tage. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und Nato-Verpflichtungen soll jetzt für Milliarden neue Munition beschafft werden. Doch das Tempo beim geplanten Produktionsausbau hängt auch davon ab, ob China mitspielt.
Bei der Munitionsbestellung zögerte Berlin lange – jetzt belegen längst andere Nationen die knappen Produktionskapazitäten Quelle: pa/dpa/Philipp Schulze© pa/dpa/Philipp Schulze
An diesem Montag ist ein Spitzentreffen mit Vertretern der Rüstungsindustrie im Kanzleramt geplant. Dabei soll ausgelotet werden, wie die Produktion hochgefahren werden kann. Und das ist kein einfaches Vorhaben. So muss sich Deutschland beim Lieferdatum für neue Munition wohl gedulden. Jüngst war bei einem CSU-Wehrtechnikkongress von Branchenexperten zu hören, dass wegen der bislang zögerlichen Haltung Berlins bei Aufträgen die ohnehin knappen Kapazitäten der Industrie von anderen Nationen schnell belegt wurden.
Neben der im Frühjahr vom italienischen Beretta-Konzern gekauften deutschen Munitionsfabrik RWS (Rheinisch Westfälische Sprengstoff Actien-Gesellschaft) ist MEN ein für die Bundeswehr zugelassener Kleinkaliber-Munitionslieferant, etwa für das Standard-Sturmgewehr G36. Bei größeren Kalibern wie Artilleriemunition, dominiert Rheinmetall.
Der Düsseldorfer Konzern hat kürzlich den Kauf des mit 1,2 Milliarden Euro bewerteten spanischen Munitionsherstellers Expal Systems verkündet. Im Fokus steht der Ausbau der Munitionskapazitäten. Dazu müssen aber auch die Grundstoffe vorrätig sein. Rheinmetall räumt ein, dass beim Kauf des spanischen Munitionskonzerns der Zugriff auf die Produktion von Munitionspulver eine wichtige Rolle spielt. Auf diesem Gebiet seien in Europa mittlerweile Engpässe entstanden.
So steckt in den Munitionstreibladungen – ob für Gewehre oder Panzer – ein Nebenprodukt der Baumwollstofferzeugung: sogenannte Linters. Wichtigster Lieferant für diese Schlüsselkomponente ist China. Wie es in der Branche heißt, beziehen nahezu alle europäischen Hersteller die notwendigen Baumwoll-Linters aus der Volksrepublik, darunter zum Beispiel die Schweizer Rheinmetall-Tochter Nitrochemie Wimmis.
Doch die Lieferungen laufen nicht mehr wie einst. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie habe es schon Verzögerungen bei Linters-Importen gegeben, heißt es. Inzwischen betrage der Vorlauf etwa 14 Monate für die Bestellung von Treibladungspulver. Bei Lieferungen aus China seien es inzwischen sechs bis neun Monate. Zum Vergleich: Üblich war vorher eine Zeitspanne von rund drei Monaten. Dies mache eine Fertigungsplanung mittlerweile extrem schwierig.
Im Berliner Branchendienst „Security Table“ wird die Herstellung von Sprengstoff und Pulver sogar als „Teil des systemischen Wettbewerbs zwischen dem Westen und China“ bezeichnet. Seit gut einem halben Jahr würden angeblich Pulverproduzenten in chinesischer Hand nicht mehr an westliche Munitionshersteller liefern, heißt es. Eine Bestätigung war kurzfristig nicht erhältlich.
Fest steht, dass der Ukraine-Krieg zu einem enormen Munitionsverbrauch geführt hat und den Nato-Streitkräften zeigt, dass sie ihre Vorräte auffüllen müssen. Rheinmetall verweist darauf, dass die Ukraine täglich rund 6.000 bis 10.000 Schuss Munition im Segment Groß- und Mittelkaliber abfeuern, Russland sogar 20.000. Und bei Kleinkalibern dürfte der Munitionsverbrauch noch um ein Vielfaches höher liegen.
Munition muss Extremsituationen standhalten
Die Produktion von Bundeswehrmunition ist keineswegs trivial. Es gelten spezielle Anforderungen, die über die Nato-Eckpunkte hinausgehen. So liegt der Klimabereich, in dem die Munition tadellos funktionieren muss, nach Nato-Vorgaben in einem Korridor von minus 54 Grad bis plus 52 Grad Celsius. Doch bei der Bundeswehr haben die Erfahrungen aus Auslandseinsätzen wie Afghanistan oder Mali gezeigt, dass diese Obergrenze nicht ausreicht. Mittlerweile muss die Munition selbst bei heißen 63 Grad Celsius noch funktionieren. Eine große Herausforderung für die Munitionsproduktion.
Zudem verwendet die Bundeswehr seit den 1990er-Jahren schadstoffarme Munition. Damit sollen vor allem die Ausbilder vor gesundheitsgefährdenden Emissionen geschützt werden, wie etwa Bleiverbindungen in den Zündern. „Die Bundeswehr hat früh erkannt, dass ihre Soldaten in Friedenszeiten durch Arbeitsschutzmaßnahmen bestmöglich geschützt sind“, sagt MEN-Chef Mayer. Neben der Bundeswehr habe nur noch die schwedische Armee ähnliche Maßstäbe.