Zitat von Gast am 8. November 2023, 07:18 Uhr
Merz nach Bund-Länder-Gipfel: „Damit ist das Thema Deutschlandpakt erledigt“
Unterschiedliche Akzente in der Bewertung der Beschlüsse: Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender und Unionsfraktionsvorsitzender, und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Dienstag in der Bundesvorstandssitzung.© dpa
Die Gespräche zwischen Regierung und Opposition über einen „Deutschlandpakt Migration“ sind aus Sicht des Unions-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz (CDU) vorerst gescheitert. Weitere Treffen mit Bundeskanzler Scholz (SPD) erteilte der Oppositionsführer eine Absage. Merz kritisierte die Ergebnisse des Ministerpräsidentenkonferenz mit Scholz und sagte: „Die Einordnung als historisch teile ich ausdrücklich nicht, auch nicht Zeitenwende. Ob es ein Erfolg ist, werden wir erst im nächsten Jahr sehen.“
Nach dem letzten Treffen vor einer Woche habe er vorgeschlagen, eine gemeinsame Arbeitseinheit von Kanzleramt und Unions-Fraktion einzurichten, das sei abgelehnt worden. Merz sagt: „Ich erkenne keine Bereitschaft, die Gespräche mit uns substanziell fortzusetzen.“ Und weiter: „Damit ist das Thema Deutschlandpakt aus meiner Sicht erledigt“.
Merz forderte die Ampel-Koalition auf, die aus seiner Perspektive wenigen konkreten Resultate des nächtlichen Treffens der Ministerpräsidenten mit Kanzler Scholz nun rasch als Gesetzesänderungen auf den Weg zu bringen. Das betrifft vor allem die Verlängerung der geringer dotierten Sozialgeldzahlungen an Asylbewerber von 18 auf 36 Monate, ehe sie ins höhere Bürgergeld und weitere damit verbundenen soziale Leistungen wechseln könne. Diesen Vorschlag habe die Union bereits in der letzten Wahlperiode gemacht, schon deswegen werde man sich einem solchen Gesetzentwurf nicht verschließen. Es sei damals von der SPD abgelehnt worden.
Städtetag hofft auf unbürokratische Lösung für Bezahlkarte
Der Deutsche Städtetag sah Licht und Schatten bei den Bund-Länder-Beschlüssen. Positiv zu bewerten sei die geplante Pro-Kopf-Pauschale des Bundes pro Asylerstantragsteller, sagte Vizepräsident Burkhard Jung am Dienstag im Deutschlandfunk. Allerdings seien die verabredeten 7500 Euro „deutlich zu wenig“. Die Bundesländer hatten zunächst 10.500 Euro pro Flüchtling und Jahr gefordert, der Bund wollte nur 5000 Euro geben. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg warnte jedoch in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe davor, „den jetzt notwendigen Umsetzungsprozess zu verzögern und die richtigen Ziele wieder klein zu reden“. Auch dürfe man sich nicht der Illusion hingeben, dass kurzfristig ein deutlicher Rückgang der Einwanderungszahlen zu erwarten sei.
Verständigt hatten sich die Ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch darauf, dass Asylbewerber mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen sollen. Jung, der auch Leipziger Oberbürgermeister ist, hofft hier auf eine unbürokratische Lösung. Noch nicht zu beurteilen sei, wie die anderen geplanten Maßnahmen zur Eindämmung der irregulären Migration wirken würden.
Auch die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) würdigte die Ergebnisse als „vernünftigen Kompromiss“. „Wichtig ist, dass wir endlich ein atmendes System haben“, teilte Rehlinger am Dienstag in Saarbrücken mit. Dies werde „Ländern und Kommunen auch helfen können“. Insgesamt seien wesentliche Verbesserungen erzielt worden. „Es ist der Wille aller erkennbar, dass wir ein neues Kapitel von Humanität und Ordnung in der Migrationspolitik aufschlagen“, sagte Rehlinger. „Wir tun alles, was humanitär vertretbar und rechtlich machbar ist, um irreguläre Migration zu begrenzen.“
Linnemann: „Das ist alles zu weich“
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann beurteilte die Vereinbarungen dagegen als unzureichend. „Es ist ein kleiner Schritt“, sagte Linnemann am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“. Das Papier reiche aber „bei weitem nicht aus“, um die illegale Migration in Deutschland einzudämmen. „Wir können jetzt nicht jahrelang warten, bis die europäische Außengrenze wirklich geschützt wird, sondern da müssen wir auch an unseren Grenzen Kontroll- und Transitzentren einführen“, forderte Linnemann. Asylbewerber sollten erst dann auf die Kommunen verteilt werden, wenn ein Bleiberecht bestehe. Zudem sollten der Familiennachzug eingeschränkt und Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden. „In dem Papier heute Nacht steht drin, wir wollen das alles prüfen“, sagte der CDU-Politiker. „Das ist alles zu weich.“
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, bezeichnete die Bund-Länder-Einigung als einen „rabenschwarzen Tag“ für Kommunen, Bürgermeister und Landräte. Bartsch forderte höhere Steuern von Superreichen. „Deutschland ist zweifellos am Limit. Daher brauchen die Kommunen maximale Unterstützung. Die Kosten sollten nicht länger vom normalen Steuerzahler getragen werden“, sagte Bartsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Nach Einschätzung der CDU in Mecklenburg-Vorpommern gehen die Beschlüsse an einem wesentlichen Ziel vorbei. „Es geht doch nicht darum, ob der Bund die Kosten der Migration trägt oder ob die Länder dies tun. Es geht darum, dass die Zahl der Menschen, die zu uns kommt, spürbar und dauerhaft sinkt. Das wird infolge der Beschlüsse kaum passieren“, erklärte der CDU-Landesvorsitzende Franz-Robert Liskow am Dienstag.Die SPD erkenne die Zeichen der Zeit nicht, so Liskow weiter. „Vereinbart wurden im Wesentlichen Absichtserklärungen zu Verfahrensbeschleunigungen, eine leichte Absenkung der staatlichen Leistungen sowie ein anderes Finanzierungssystem zwischen Bund und Ländern.“ Darüber hinaus gebe es „vage Prüfaufträge“. Dies sei kein großer Wurf, kritisierte der CDU-Landesvorsitzende.
FDP und Grüne zufrieden
Die FDP dagegen äußerte sich zufrieden. Allein die geplante Einschränkung bei den Leistungen für Asylbewerber könne zu Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro führen, schrieb Bundesfinanzminister Christian Lindner am Dienstagmorgen auf der Plattform X. Dadurch würden nicht nur Länder und Kommunen entlastet. „Durch diese Maßnahme wird auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert“, so der FDP-Vorsitzende.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Christian Dürr, bezeichnete es auf X als „Meilenstein“ in der deutschen Migrationspolitik, dass ein Teil der Leistungen für Asylbewerber künftig als Guthaben auf einer Bezahlkarte gewährt werden solle. Bundesjustizminister Marco Buschmann sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Es ist ein wichtiges Zeichen, dass Bund und Länder gemeinsam verabredet haben, Fehlanreize bei der Migration senken zu wollen.“ Es gebe Spielräume bei der Höhe und Dauer des Bezugs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Mit dem Beschluss von Bund und Ländern sei klar, dass es Konsens sei, diese zu nutzen. „Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren, sondern müssen zügig daran arbeiten, durch weniger Pull-Faktoren zu einer Migrationswende zu kommen“, mahnte Buschmann.
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sagte im ARD-„Morgenmagazin“, für die Kommunen gebe es nun „deutlich mehr Planungssicherheit und deutlich mehr Geld“. „Es braucht Hilfe für die belasteten Kommunen, und die bringen wir jetzt auf den Weg, und dann wird es am Ende für alle besser.“ Die vereinbarten dreieinhalb Milliarden Euro für die Kommunen seien „ein großer Schritt nach vorne“. Man müsse aber schauen, dass „das Ganze jetzt nicht einfach nur auf dem Papier steht, sondern, dass wir jetzt auch dazu kommen, all diese Maßnahmen in Angriff zu nehmen“. Anstatt über weitere Ideen in der Migrationspolitik zu sprechen, sei es wichtig, sich nun mit der Realisierung der Beschlüsse zu beschäftigen. „Ruhe reinbringen und umsetzen“ sei jetzt das Gebot.
AfD: Unser Wirken
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) begrüßte die Verständigung. „Der Deutschland-Pakt Migration legt wichtige Grundlagen, um angesichts der großen Herausforderungen der Migration handeln und konkrete Probleme lösen zu können“, erklärte er nach der Ministerpräsidentenkonferenz. „Es ist wichtig, dass hier alle demokratischen Parteien zusammenarbeiten. Das ist keine Selbstverständlichkeit und hart erarbeitet, aber mit dem Migrations-Pakt sind wesentliche Entscheidungen dafür getroffen.“
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Bundestag, Bernd Baumann, führte die Beschlüsse auf das Wirken seiner Partei zurück. Die „fast panikhaften Versuche“ von Union und SPD, sich bei der Migration auf öffentlicher Bühne zu einigen, sei den Wahlerfolgen der AfD geschuldet, sagte er am Dienstag in Berlin. „Wir sind das, die sie zwingen, endlich etwas zu versuchen wenigstens.“ Der AfD-Innenpolitiker Martin Hess sagte, die Beschlüsse seien nicht mehr als Absichtserklärungen.