Zitat von Gast am 6. November 2023, 10:50 Uhr
Vor wichtiger Anhörung
„Drogenpolitische Bankrotterklärung“: Verbände machen Cannabis-Druck auf Ampel
In weniger als zwei Monaten soll das Cannabis-Gesetz stehen. Vorab lädt der Gesundheitsausschuss zur großen Diskussionsrunde. Die Fronten sind verhärtet.
Berlin – Zwei Stunden will der Gesundheitsausschuss am Montag über die geplante Cannabis-Legalisierung debattieren. Dazu eingeladen sind 46 Verbände und Privatpersonen, die die Bundesregierung beraten sollen. Für die Sitzung im Deutschen Bundestag sind Vertreter aus der Cannabisbranche, der Medizin und Suchtprävention sowie Polizei und Justiz geladen. Angesichts der teils extrem unterschiedlichen Positionen zeichnet sich eine schwierige Diskussionsrunde ab. Während es für die eine Seite nicht weit genug geht, warnt die andere vor weitreichenden Folgen. Bei IPPEN.MEDIA beziehen vorab mehrere Sachverständige Position.
Aus behördlicher Perspektive gibt es Kritik an der offenbar steigenden Belastung durch Kontrollen. So sehen der Deutsche Richterbund und die neue Richtervereinigung einen Mehraufwand auf die Justiz zukommen, weil neue Regeln kontrolliert und durchgesetzt werden müssen. Auch die Polizei befürchtet zusätzliche Kontrollen.
Bundesärztkammer warnt: „Drogenpolitische Bankrotterklärung“
Die Bundesärztekammer unterstützt einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die die Legalisierung stoppen will. Auch die Bundespsychotherapeutenkammer ist skeptisch. Sie fordert auf Anfrage eine verstärkte Aufklärung über die Gefahren des Cannabiskonsums, eine leichtere ambulante psychotherapeutische Versorgung sowie einen verbesserten Jugendschutz.
Karl Lauterbach bei der Bundespressekonferenz zum Cannabis-Gesetz I im Haus der Bundespressekonferenz. Berlin, 16.08.2023© IMAGO/Frederic Kern
Auch Cannabisbranche ist unzufrieden: „Verfassungswidrig, überstreng und vermeidbar kompliziert“
Ganz anders sieht es bei der Cannabisbranche aus. Der gehen die bisher geplanten Regelungen nicht weit genug. So fordert der Branchenverband Cannabiswirtschaft liberalere Anbaubedingungen für die deutsche Industriehanf-Wirtschaft. Das Eindämmen des Schwarzmarkts – ein Hauptziel der Ampel – sei „nur mit Akteuren der Wirtschaft“ möglich.
Grundsätzlich hatte sich die Branche mehr erhofft, als es die Cannabis-Legalisierung nach der Bundestagswahl in den Koalitionsvertrag geschafft hatte. Ursprünglich war damals noch von lizenzierten Fachgeschäften die Rede. Damit könnte die Industrie aktiv an der Legalisierung verdienen. Eine enorme finanzielle Chance für die in den letzten Jahren stetig wachsende Hanfindustrie. Allerdings sieht die aktuelle Planung neben dem Eigenanbau vorerst nur die sogenannten Anbauvereinigungen vor. In diesen „Cannabis-Social-Clubs“ soll es erlaubt werden, gemeinschaftlich Pflanzen anzubauen und Cannabis an Mitglieder abzugeben – pro Monat höchstens 50 Gramm pro Mitglied, bei 18- bis 21-Jährigen maximal 30 Gramm. Diese Vereinigungen agieren nicht-kommerziell zur Selbstkostenabdeckung. Das heißt, sie dürfen keinen Gewinn machen. Für die Wirtschaft eine vertane Chance.
Der Weg zur Legalisierung
Die Bundesregierung plant in Säule 1 des Cannabis-Gesetzes, Cannabis im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen zu streichen. Für Erwachsene ab 18 Jahren soll der Besitz von 25 Gramm erlaubt werden, ebenso der private Anbau von maximal drei Pflanzen. Hinzu kommen die „Social Clubs“. In einer zweiten Säule soll es dann Modellregionen für den Konsum in Deutschland geben. In der aktuellen Debatte geht es um Säule 1.
Das Cannabis-Gesetz stand am 18. Oktober erstmals im Bundestag zur Beratung auf der Tagesordnung. Es folgen mehrere Ausschusssitzungen, ehe final über das Gesetz abgestimmt wird. Beschlossen werden müsste es in den verbleibenden viereinhalb Sitzungswochen bis Mitte Dezember, wenn es wie vom Bundesgesundheitsministerium geplant Anfang 2024 in Kraft treten soll. Voraussichtlich geschieht dies noch im November. Der Bundesrat muss demnach nicht zustimmen.
Obendrein kämpfen viele Clubs mit bürokratischen Hürden wie Auflagen zur Gründung oder den Abstandsregeln zu Schulen und Kitas, sagt Ulrich Walter, Geschäftsführer des Informationsangebots für Naturprodukte yippy Green. „Die Clubs als legale Bezugsquelle sind so strikt reguliert, dass sie es gegen den illegalen Markt schwer haben werden.“ Das sieht auch der Dachverband deutscher Cannabis-Social-Clubs so, der die Pläne als „verfassungswidrig, überstreng und vermeidbar kompliziert“ in einem Positionspapier ablehnt.