Zitat von Gast am 27. Oktober 2023, 05:11 Uhr
„Komplett an der Baupraxis vorbei“ – Neue Umwelt-Verordnung trifft auf die Realität
Eine Regelung des Umweltministeriums sollte die Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie fördern. Doch sie ist so kompliziert, dass manche Recyclingbetriebe nun sogar die Arbeit einstellen. Sie wäre damit die nächste grüne Maßnahme, die am gewünschten Effekt vorbeiläuft.
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Ab Dezember wird kein mineralisches Abbruchmaterial mehr angenommen. So heißt es seit Kurzem auf der Internetseite des Recycling- und Baumaterialabbauunternehmens Natursteinwerke Nordschwarzwald. Ab Januar 2024 werde das Unternehmen aus Mühlacker-Enzberg in Baden-Württemberg sogar „sämtliche Recyclingtätigkeiten“ einstellen. Das dürfte vielen Bauunternehmen Probleme bereiten.
Auch die Gründe für diesen Schritt finden sich auf der Website. So hätten sich seit Inkrafttreten der Ersatzbaustoffverordnung am 1. August 2023 „leider die bürokratischen Hürden für die Annahme von gebrauchten Baustoffen“ erhöht. „Die Anforderungen an die Annahme, Lagerung, Aufbereitung und Inverkehrbringung von Ersatzbaustoffen sind mit der Ersatzbaustoffverordnung in einem Maße gestiegen, dass es uns aus technischer und ökonomischer Sicht nicht sinnvoll erscheint, diesen Geschäftszweig fortzuführen“, heißt es in der Stellungnahme.
Doch mittlerweile zeigt sich, dass die neue Verordnung die Kreislaufwirtschaft am Bau eher behindern als beschleunigen könnte. Denn neben dem Unternehmen Natursteinwerke Nordschwarzwald wollen aufgrund der Verordnung auch erste weitere Abbauunternehmen keine Recycling-Baustoffe mehr anbieten.
Für Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, zeigt sich damit, dass die vom Bundesumweltministerium gefeierte Verordnung in Wirklichkeit ein „Flop“ sei. So würden die gesteckten Ziele hinsichtlich der Kreislaufwirtschaft insgesamt nicht erfüllt. „Ich gehe stark davon aus, dass künftig wieder mehr Ressourcen auf die Deponien gefahren werden als heute“, sagt Müller.
Nach dem Chaos um das Heizungsgesetz aus dem Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) scheint damit das nächste grüne Ministerium in seiner wirtschaftlichen Steuerungsabsicht das Gegenteil des angestrebten Effekts zu erreichen. Und wie schon beim Heizungsgesetz betreffen die Probleme das Kernthema der Grünen: Umwelt- und Klimaschutz.
So löst die Verordnung aus Sicht von Verbandschef Müller genau das Gegenteil der Intention aus. „Das Umweltministerium wollte mehr Ressourcenschutz – und schuf einen Regelungsdschungel mit Nachweispflichten, der zu Rechtsunsicherheiten und unterschiedlichen Auslegungen führt und im Ergebnis komplett an der Baupraxis vorbeigeht“, so Müller.
Das Bundesumweltministerium widerspricht dieser Darstellung. „Die pauschale Aussage, dass die Ersatzbaustoffverordnung zu ‚Rechtsunsicherheiten‘ und einem ‚Regelungsdschungel‘ führt, ist nicht nachvollziehbar“, teilt das BMUV mit. Aus Sicht des BMUV sei das Gegenteil der Fall.
So würde die Ersatzbaustoffverordnung die Verwertung mineralischer Ersatzbaustoffe stärken, indem sie erstmals bundesweite Regelungen zur Herstellung und zum Einbau gütegesicherter Ersatzbaustoffe bilde und dafür Anforderungen an den Schutz von Mensch und Umwelt bei der Verwertung von mineralischen Ersatzbaustoffe rechtsverbindlich konkretisiere.
Recyclingbaustoffe gelten rechtlich teilweise als Abfall
Dass Recycling-Baustoffe am Bau ein Akzeptanz-Problem haben, zeigt sich in zahlreichen öffentlichen Ausschreibungen. So heißt es etwa in einer früheren Ausschreibung der Autobahngesellschaft für den Straßenbau, dass der „Einbau von mineralischen Ersatzbaustoffen nicht zulässig sei“.
Grund für das mangelnde Recycling sei laut dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie der Umstand, dass Ersatzbaustoffe bis zum Einbau weiterhin grundsätzlich als Abfall gelten. „Auch die abfallbezogenen Rechtspflichten, wie etwa Anzeigepflichten für Transporte und die Genehmigungspflicht von Zwischenlagern führen dazu, dass diese Stoffe nicht nachgefragt werden“, sagte Verbandschef Müller.
Die Baubranche hofft nun auf eine weitere Verordnung, um die Stigmatisierung dieser Recycling-Rohstoffe zu beenden. Bundesumweltministerin Lemke hat bereits angekündigt, die sogenannte „Abfallende-Verordnung“ zu erlassen, die auch im Koalitionsvertrag festgelegt ist. Doch noch lässt sie auf sich warten.
Tim-Oliver Müller kritisiert die Verzögerung scharf. „Gerade diese Stigmatisierung führt dazu, dass öffentliche Auftraggeber Recyclingmaterialien weiterhin explizit von ihren Ausschreibungen ausschließen. So kommt die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen nicht voran.“
Das Bundesumweltministerium teilt dazu mit, dass es in Umsetzung der Ziele aus dem Koalitionsvertrag „Kriterien für qualitativ besonders hochwertige mineralische Ersatzbaustoffe“ erarbeite. „Diese Kriterien sollen in einer eigenständigen Verordnung, getrennt von der Ersatzbaustoffverordnung, festgeschrieben werden“, so das BMUV.
Die entsprechenden Arbeiten habe das BMUV bereits begonnen. Das Ziel sei, das „dafür notwendige Rechtsetzungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode erfolgreich abschließen“ zu können. Letztlich könnten Abfälle nur bei Einhaltung äußerst strenger Umweltbedingungen aus dem Abfallrecht entlassen werden.