Zitat von Gast am 26. September 2023, 05:41 Uhr
„Wertschöpfung, Betriebe und Arbeitsplätze in Gefahr“ – Industrie greift Kanzler an
Zum Auftakt des eigenen Klimakongresses des BDI geht sein Chef Siegfried Russwurm auf Konfrontationskurs. „Wir brauchen Entscheidungen“, forderte er und verwies auf eine Aussage von Kanzler Scholz im Mai. Ein existenzieller Bereich steht besonders im Fokus der Industrie.
„Das Licht an immer mehr deutschen Standorten wird buchstäblich ausgeschaltet“, sagt BDI-Chef Russwurm picture alliance/dpa/Jörg Carstensen© Bereitgestellt von WELT
Der Ton zwischen der Industrie und der Bundesregierung wird zunehmend schärfer. Zum Auftakt eines eigenen Klimakongresses in Berlin griff der Chef des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, die Koalition aus SPD, Grünen und FDP frontal an.
„Das Hin und Her innerhalb der Ampel-Regierung und das Verweisen von Verantwortung vom Bund auf die Länder auf die Kommunen und umgekehrt müssen endlich aufhören. Wir brauchen Entscheidungen“, forderte Russwurm. Er zitierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der im Mai gesagt hatte, Deutschland habe sich „mit Vorschriften zugemauert“. „Manchmal frage ich mich: Wem hält der Bundeskanzler da eigentlich den Spiegel vor?“, sagte Russwurm.
Der Kanzler ist gegen einen Industriestrompreis, während Teile der SPD und der Grünen dafür sind. Beim Klimaschutzgesetz wiederum hat sich die FDP mit der Aufhebung verbindlicher Ziele für einzelne Sektoren wie Energie und Verkehr durchgesetzt – was einige Grüne und die Umwelt-Lobbygruppen ablehnen.
„Das Licht an immer mehr deutschen Standorten wird buchstäblich ausgeschaltet“
Die Industrie-Lobby fordert schnelle Beschlüsse. „Wertschöpfung, Betriebe und Arbeitsplätze weiter Teile der energieintensiven Industrie an ihren Standorten in Deutschland sind konkret in Gefahr“, sagte Russwurm mit Blick auf die hohen Strompreise im Land. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Ende der russischen Gaslieferungen hatten sich die Energiekosten in Deutschland enorm verteuert.
Zusätzlich sind mit der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke diese billigen Stromproduzenten weggefallen. Vor diesem Hintergrund warnte Russwurm davor, dass industrielle Produktion wegbreche oder ins Ausland verlagert werde. „Das Licht an immer mehr deutschen Standorten wird buchstäblich ausgeschaltet“, sagte er. „Ohne international wettbewerbsfähige Energiekosten für die Unternehmen geht das nicht gut aus.“
Bei der Forderung nach staatlich subventionierten Strom-Rabatten hat die Industrie auch die Arbeitnehmer auf ihrer Seite. Gerade hat die IG Metall eine bundesweite Aktionswoche gestartet, um den Druck auf die Bundesregierung für die Einführung eines Brückenstrompreises – wie sie ihn nennt – zu erhöhen. Die Gewerkschaft fordert einen verbilligten Preis von fünf Cent pro Kilowattstunde für energieintensive Betriebe wie beispielsweise Stahlwerke, Gießereien und Aluminiumhersteller.
Bedingung aus Sicht der Arbeitnehmer wäre es, dass sich die Unternehmen zu Standort- und Tariftreue verpflichten. Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte einen Industriestrompreis von sechs Cent pro Kilowattstunde ins Gespräch gebracht. Dieses Vorhaben liegt in der Koalition aber vorerst auf Eis.
Die offene Frage nach den Back-up-Kraftwerken
BDI-Präsident Russwurm kritisierte nicht nur diese fehlende Entlastung der Betriebe, sondern auch die unklare Finanzierung des Stromnetzausbaus und die bisher offene Frage, wie in Deutschland sogenannte Back-up-Kraftwerke entstehen können, die mit Wasserstoff betrieben werden. „Eine weitere politisch induzierte Verteuerung von elektrischem Strom, während etliche Branchen in extreme Bedrängnis geraten und den Glauben an die Zukunftsfähigkeit ihrer deutschen Standorte verlieren, macht Unternehmerinnen und Unternehmer einfach nur fassungslos“, sagte er mit Blick auf Habecks Energiepolitik.
Der Wirtschaftsminister wird am Dienstag auf der BDI-Klimakonferenz die Gelegenheit bekommen, auf die Vorwürfe aus der Industrie zu antworten. Vor und nach ihm werden Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) auf der Bühne erwartet.
Alle drei Minister stehen für Sektoren, in denen es mit der Senkung der CO₂-Emissionen nicht richtig vorangeht und der Weg zur Klimaneutralität heftig umstritten ist. „Deutschland ist definitiv nicht gut unterwegs in Richtung seiner Klimaziele und deren Zeitpläne. Das ist schon schlimm genug“, sagte Russwurm. Gleichzeitig wachse täglich das Risiko, weitere Teile der Industrie zu verlieren.