Die EU will die Emissionen bei der Speiseöl-Herstellung senken. Doch die Bundesregierung plant einen zweiten Grenzwert. Noch sei Deutschland laut zuständigem Verband größter Ölmühlen-Standort Europas. Doch mit dem jetzigen Alleingang nehme die Politik Abwanderungen in Kauf.
Der Verband OVID sieht die Existenz hiesiger Ölmühlen in Gefahr Getty Images/Jason Dean© Bereitgestellt von WELT
Deutschlands Ölmühlen sorgen sich aufgrund einer geplanten Doppelregulierung um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Auslöser ist die bevorstehende Novellierung der 31. Bundes-Immissionsschutz-Verordnung, die auf die Industrieemissionsrichtlinie der EU zurückgeht. Vorgesehen ist darin unter anderem eine Halbierung der Emissionen von Lösungsmitteln bei der Speiseölherstellung.
„Das wird eine enorme Herausforderung und erfordert signifikante Investitionen“, sagt Jaana Kleinschmit von Lengefeld, die Präsidentin des Verbands der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (OVID). „Dennoch bekennen wir uns ausdrücklich dazu.“ Kein Verständnis hat sie indes für einen zweiten Grenzwert, den EU-weit alleine Deutschland anwendet.
Die Folge: Um das zusätzliche Limit in Höhe von 20 Milligramm pro Kubikmeter sicher einhalten zu können, müssten nach Angaben von OVID große Luftströme verbrannt werden. Und das führe zu höheren CO₂-Emissionen, vermindere die Energieeffizienz der Anlagen und bedrohe am Ende die Existenz deutscher Ölmühlen.
„Das ist der klassische deutsche Alleingang“, kritisiert Kleinschmit von Lengefeld. In anderen EU-Mitgliedsstaaten gebe es weder einen solchen Emissionsgrenzwert noch Diskussionen darüber. Die Unternehmerin findet daher klare Worte: „Er schadet dem Klima und ist Deindustrialisierung Made in Germany.“
Lösungsmittel zentraler Bestandteil der Speiseölherstellung
Die Ölmühlen verwenden Lösungsmittel zur Extraktion von Pflanzenöl, konkret sogenanntes Ölmühlenhexan. Im ersten Schritt werden Saaten wie zum Beispiel Sonnenblumenkerne, Leinsamen oder Rapskerne mechanisch gepresst. Übrig bleibt ein sogenannter Presskuchen, in dem aber noch immer reichlich Ölreste stecken.
Die werden dann im zweiten Schritt mithilfe des Lösungsmittels aus dem Presskuchen herausgespült, denn das zugeführte Mittel verbindet sich mit dem in den Schalen verbliebenen Öl. Anschließend trennt man beide Substanzen wieder, indem das Lösungsmittel bei 65 Grad verdampft wird. Sobald es abkühlt, verflüssigt es sich, wird aufgefangen und dem Prozess von Neuem zugeführt.
Gleichwohl gibt es in diesem Kreislauf Mengenverluste beim Lösungsmittel, weil zum Beispiel noch Reste im Presskuchen stecken oder beim Verdampfen über die Abluft entweichen. Bei der Verarbeitung von Sonnenblumenkernen etwa geht pro 1000 Kilogramm Saaten rund ein Kilogramm Lösungsmittel verloren, ebenso beim Raps. Bei Soja wiederum liegt der Verlust bei 0,8 Kilogramm pro 1000 Kilo. Die geplante Gesetzesänderung soll diese Emissionen nun jeweils auf die Hälfte begrenzen. Und das ist über neue Anlagentechnik auch möglich, wie OVID-Präsidentin Kleinschmit von Lengefeld versichert.
Dass darüber hinaus trotzdem auch die Abluft extra reguliert werden soll, konterkariert aus ihrer Sicht jegliche Umweltschutzbemühungen. Denn für die nötige Nachverbrennung werde fossile Energie genutzt, konkret Erdgas, und dementsprechend CO₂ freigesetzt. „Die Industrie in Deutschland ist angehalten, weniger Treibhausgase zu verursachen. Und dann kommt eine Initiative des Bundesumweltministeriums, die das genaue Gegenteil bewirkt“, wundert sich OVID-Geschäftsführer Brankatschk.
„McDonald’s wird kein Öl kaufen, das die eigenen Umweltziele belastet“
Ein verschlechterter CO₂-Fußabdruck habe aber noch weitere Folgen für die Branche: „Wir verlieren Kunden an die Konkurrenz im europäischen Ausland, die diese Zusatzbelastung nicht haben.“ Denn Ökobilanzen seien zunehmend wichtig für die Kunden. „McDonald’s wird kein Öl kaufen, das die eigenen Umweltziele belastet.“
Gleichzeitig steigen auch die Kosten für die deutschen Ölmühlen – zum einen durch den notwendigen Kauf von Erdgas und zum anderen über steigende CO₂-Preise für die anschließende Verbrennung. Brankatschk fürchtet daher Abwanderungen. „Wir sehen schon seit Jahren, dass aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen mit hohen Energiepreisen und stetig steigender Bürokratie Mühlen-Kapazitäten in Deutschland abgebaut werden und Investitionen im Ausland stattfinden. Das könnte sich nun weiter beschleunigen.“
Aktuell ist Deutschland nach Angaben von OVID der größte Ölmühlen-Standort in Europa. In 15 Extraktionsmühlen werden jährlich rund zehn Millionen Tonnen Ölsaaten verarbeitet, daraus entstehen grob gerechnet vier Millionen Tonnen Pflanzenöle und sechs Millionen Tonnen Ölschrote für die Tierfutterproduktion. „Mit der Doppelregulierung wird nun ohne Not die Wettbewerbsfähigkeit der Speiseölproduktion hierzulande aufs Spiel gesetzt“, beklagt Verbandsvertreter Brankatschk.
Begründet werden die EU-weit strengsten Auflagen vom Bundesumweltministerium mit Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung. Das zeigen entsprechende Bundestagsunterlagen von Anfang Juli. Und das bestätigt das Ministerium auch auf WELT-Anfrage.
„Generell verfolgt das Immissionsschutzrecht aus Gründen des vorsorgenden Gesundheitsschutzes den Ansatz, dass der Ausstoß von Stoffen begrenzt werden muss, für die ein spezifisches Schadpotenzial nachgewiesen ist oder für die ein wissenschaftlich begründeter Verdacht auf ein solches Schadpotenzial besteht“, sagt eine Sprecherin.
Und der im Ölmühlenhexan enthaltene Stoff n-Hexan werde gemäß der europäischen Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen mit „kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen“ klassifiziert.
OVID: „Wissenschaftlich nicht haltbare Behauptungen“
Die Industrie sieht darin aber ein „verzerrtes Informationsbild“ und verweist auf einen Evaluationsbericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie auf ein umweltmedizinisch-toxikologisches Gutachten von Professor Ulrich Ewers, einem Sachverständigen für Toxikologie und Umwelthygiene aus Essen. Danach gehen von den Emissionen der Lösungsmittel keinerlei Gesundheitsrisiken aus, da in der Umgebung von Ölmühlen der Vorsorgewert unterschritten wird. Zudem gebe es auch keine Hinweise auf erbgutverändernde oder krebserzeugende Eigenschaften.
„Deutschland schlittert zunehmend in die Rezession und das Bundesumweltministerium katapultiert heimische Speiseölhersteller ohne Not und mit wissenschaftlich nicht haltbaren Behauptungen ins Abseits“, echauffiert sich OVID-Präsidentin Kleinschmit von Lengefeld, die im Hauptberuf Vorstandschefin der ADM Hamburg Aktiengesellschaft ist, der größten Ölmühle in Europa.
Ihr Verband hat sich nun in einem Brief an Hamburgs Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher gewandt, der aktuell Präsident des Bundesrates ist. Ende September wird in der Länderkammer über die Novelle der Bundes-Immissionsschutz-Verordnung abgestimmt. Und zuvor beraten am 11. und am 14. September der Agrar- und Verbraucherschutzausschuss sowie der Wirtschafts- und der Umweltausschuss über das Thema. „Der getroffene Bundestagsbeschluss gründet auf fehlerhaften Informationen“, heißt es in dem vierseitigen Schreiben, das WELT vorliegt.
In der irrtümlichen Erwartung einer Verbesserung der Verbrauchergesundheit habe der Bundestag mithin mehrere Nachteile gebilligt. „Unter dem Druck zunehmend unsicherer Märkte und in der Rückbesinnung auf heimische Wirtschaftskreisläufe müssen die Länder im Bundesrat den Bundestagsbeschluss dringend korrigieren“, fordert Kleinschmit von Lengefeld.
Das BMUV weist die Vorwürfe der Falschinformation zurück. Zwar habe es im parlamentarischen Verfahren Rückfragen zur Risikobewertung gegeben. Die Mitglieder des Bundestages seien daraufhin aber sachgerecht und umfassend informiert worden. Von einer fehlerhaften Information könne also keine Rede sein. Auch werde sichergestellt, dass die Aufwendungen für die Abgasreinigung in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen für den vorsorgenden Gesundheitsschutz stehen.