Uneinig: Finanzminister Lindner und Familienministerin Paus© Picture Alliance
Vor der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg in Brandenburg haben Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände die Regierung zur Geschlossenheit aufgerufen. Das Treffen am Dienstag und Mittwoch biete die Chance für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger der Nachrichtenagentur dpa. „Es muss jetzt im gesamten politischen Handeln die strategische Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes in den Mittelpunkt gestellt werden. Ein Teil der Ampel versteht das nicht - und schlafwandelt durch die Krise.“
Die Regierung drohe den wirtschaftspolitischen Neustart zu Beginn der zweiten Regierungshalbzeit zu verstolpern, sagte Dulger als Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Je länger die Politik wartet, desto härter trifft es den Standort - und desto größer ist der Wohlstandsverlust. Meseberg ist eine Chance für einen Kurswechsel.“ Deutschland sei in einer schwierigen Lage, Unternehmen müssten bei Lohnzusatzkosten und bei der Bürokratie entlastet werden.
„Die Ampel muss Probleme lösen, statt selbst eines zu sein“
„Es braucht mehr Zusammenhalt in der Ampel für mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft“, sagte der Chef der IG Metall, Jörg Hofmann, dem „Tagesspiegel“. Meseberg müsse zum „Zeichen der Geschlossenheit“ werden.
Gesetzesvorhaben wie das Wachstumschancengesetz und die Kindergrundsicherung, wichtige Themen und auch Streitpunkte müssten „konstruktiv und ohne Lautstärke bearbeitet und abgearbeitet“ werden, forderte Hofmann. Schwerpunktthemen bei der Klausurtagung sind unter anderem die Wirtschaftslage, die Digitalisierung und die Verwaltungsmodernisierung.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hält das Festhalten an der Schuldenbremse und einen Verzicht auf Steuererhöhungen für elementar für den Bestand der Ampel-Koalition. „Wenn wir gezwungen werden würden, die Schuldenbremse auszusetzen oder die Steuern zu erhöhen, dann würde sich die Koalitionsfrage stellen. Aber niemand tut das“, sagte der FDP-Chef am Sonntag im ZDF-„Sommerinterview“ in Berlin.
Auf die Frage, ob beide Punkte für ihn eine rote Linie seien, antwortet Lindner: „Das steht im Koalitionsvertrag. Und es wäre angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung jetzt doch wirklich unklug, wir würden noch die Steuerlast erhöhen.“ Die Betriebe litten unter den hohen Energiepreisen, die müssten runter. Er selbst sei beispielsweise offen für eine Senkung der Stromsteuer. „Aber statt dass wir da Fortschritte machen, diskutieren wir über Steuererhöhungen. Das wäre mit der FDP nicht zu machen.“
Bekämpfung der Inflation als derzeit größte Gefahr
Er sagte aber mit Blick auf Steuererhöhungen und Schuldenbremse: „Niemand beabsichtigt das tatsächlich.“ Es gebe hier zwar öffentliche Äußerungen von SPD und Grünen. „Aber ich kann nicht erkennen, dass es ernsthafte Versuche gibt, hier von unseren Festlegungen im Koalitionsvertrag abzuweichen. Also insofern Theorie“, unterstrich der FDP-Vorsitzende.
Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Es gibt allerdings einen Spielraum, der für den Bund höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Bei Naturkatastrophen oder andere Notsituationen kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden, was 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie geschehen ist.
Der richtige Weg sei für ihn die Bekämpfung der Inflation als derzeit größte Gefahr. Wenn die Europäische Zentralbank in diesem Zusammenhang die Zinsen anziehe, „wäre es töricht, ökonomisch falsch, wir würden mit Politik auf Pump dagegen Subventionen setzen“. Dies würde die Bekämpfung der Inflation verlängern und verteuern, „der Schaden wäre viel größer“.
„Wir werden rasch eine grundlegende Einigung haben“
Zugleich sprach sich der FDP-Chef für einen radikalen Verzicht auf immer mehr bürokratische Gesetze aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass, bevor die deutsche Wirtschaft Fahrt aufgenommen hat, wir noch irgendwelche zusätzlichen bürokratischen oder finanziellen Verpflichtungen beschließen“, sagte er. In diesem Zusammenhang gebe es „Teile des Koalitionsvertrages, die sind tatsächlich aus der Zeit gefallen“. Hier müssten „alle ein Einsehen haben, dass wir erst wieder wirtschaftlich gewissermaßen Traktion aufnehmen können, bevor es neue Belastungen geben kann“.
Zuletzt gab es vor allem Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte deshalb kürzlich ihr Veto gegen den Entwurf für das Wachstumschancengesetz von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) eingelegt. Lindner geht nach eigenen Angaben nun von einer schnellen Einigung im Streit über die Kindergrundsicherung aus. „Ich rechne damit, dass wir sehr kurzfristig eine Einigung über die Eckpunkte haben, was getan werden soll“, sagte der FDP-Chef.
Auf die Nachfrage der Moderatorin Shakuntala Banerjee, ob dies bis zur Kabinettsklausur an diesem Dienstag und Mittwoch geschehen werde, ergänzte Lindner: „Ich will jetzt nicht selber Termine nennen, sondern ich sage: sehr rasch. Aber danach gibt es ja auch sehr viel technisch, was noch geklärt werden muss.“ Dann würden Verbände und Länder beteiligt, und erst dann werde es einen fertigen Gesetzentwurf geben, der an den Bundestag gehe. „Wir werden rasch eine grundlegende Einigung und Verständigung auf die Eckpunkte haben. Das gesamte Verfahren wird noch etwas brauchen“, betonte der Finanzminister.
„Das Hickhack der vergangenen Monate muss nun endlich ein Ende haben. Die Ampel muss Probleme lösen, statt selbst eines zu sein“, sagte indes der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große Entrup, dem „Tagesspiegel“. Nötig sei eine aktive Industriepolitik, die Unternehmen am Standort Deutschland neue Zuversicht gebe. Dazu gehöre auch der Industriestrompreis.
Mit ähnlichen Forderungen kam der Maschinenverband VDMA. „Die wirtschaftlichen Herausforderungen sind zu bedeutend, um wichtige Reformen aufzuhalten oder im Stillstand zu verharren“, sagte Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. Mit Blick auf das Wachstumschancengesetz und das Bürokratieentlastungsgesetz forderte er, „dass die Koalitionäre ihrem eigenen Anspruch gerecht werden und den Fortschritt wagen“.