Der Druck auf die Ampel-Regierung, bei ihrer Meseberg-Klausur ab Dienstag wirtschaftspolitisch in die Offensive zu kommen, ist immens – auch aus den eigenen Reihen im Bundestag. Die Union mahnt: Ein Industriestrompreis dürfe nicht nur Branchen entlasten, die den Grünen als „gut“ gelten.
„Kernenergie wieder hochfahren, Stromsteuer runter und dann den Industriestrompreis“© Bereitgestellt von WELT
Kurz vor der Kabinettsklausur in Meseberg am Dienstag wächst der politische Druck auf die Ampel-Bundesregierung, einen Befreiungsschlag für die kriselnde Wirtschaft zu präsentieren. Aus Wirtschaftsverbänden und den Bundestagsfraktionen kommen zahlreiche Forderungen und Kritik am geplanten Wachstumschancengesetz.
Bisher sieht der Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Entlastungen durch Steuererleichterungen für Unternehmen in Höhe von etwa sechs Milliarden Euro vor. Umstritten bleibt die Idee eines vergünstigen „Industriestrompreises“, den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die FDP ablehnen.
Eine „neue Wirtschafts-Agenda“ fordert Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch. „Dafür braucht es viel mehr als das Wachstumschancengesetz“, erklärte Audretsch auf WELT-Anfrage. Der Abbau von Bürokratie und Investitionen in Zukunftstechnologien müssten ins Zentrum rücken. Es gehe um Batterieproduktion, klimaneutralen Stahl, grüne Chemie und Solartechnik.
„Die Strompreise müssen runter. Dafür bauen wir die Erneuerbaren mit hoher Geschwindigkeit aus. Die günstigste Energie ist Wind- und Solarenergie. Bis die erneuerbaren Energien für genug günstige Energie sorgen, ist eine Deckelung der Strompreise notwendig“, so Audretsch.
Ausdrücklich lobte er die SPD-Fraktion dafür, dass sie sich hinter das von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) favorisierte Konzept eines Brückenstrompreises gestellt habe.
Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, verteidigte den vorliegenden Gesetzentwurf und bekräftigte das Nein zum Industriestrompreis: „Zusammen mit den Maßnahmen zum Bürokratieabbau schnüren wir ein schlagkräftiges Gesetzespaket, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken und Spielräume für Innovationen zu eröffnen – und das für alle Unternehmen“, betonte Houben.
Von einem Industriestrompreis würden „nur wenige große Unternehmen profitieren“. Für die FDP habe es Priorität, alle Unternehmen, also auch die kleinen und mittelständischen Betriebe, zu entlasten.
„Lüftchen, das kaum Wirkung entwickeln kann“
Die Union findet Lindners Entwurf unzureichend. Für Julia Klöckner, wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist das geplante Gesetz „ein Lüftchen, das kaum Wirkung entwickeln kann“. Sie forderte ein Sofortprogramm und einen Krisengipfel mit Kanzler und Wirtschaftsvertretern. Die Steuerlast auf einbehaltene Unternehmensgewinne müsse auf 25 Prozent begrenzt und die Sozialabgaben langfristig bei 40 Prozent stabilisiert und der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden.
Ein Industriestrompreis müsse, so Klöckner, eingebettet sein: „Kernenergie wieder hochfahren, Stromsteuer runter auf das europäische Mindestmaß und dann den dazu passenden Industriestrompreis angehen. Aber nicht isoliert und nicht nur für die von den Grünen als ,gute‘ Industrie definierten Branchen der sogenannten Ökoindustrie, um nur bestimmte ‚grüne‘ Unternehmen zu entlasten.“
Christian Leye, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linke-Fraktion, sieht das Wachstumschancengesetz kritisch, denn es bringt aus seiner Sicht wenig für „Betriebe, die jetzt dicht machen, oder denen die Nachfrage weggebrochen ist“. Ein Industriestrompreis sei „notwendig, um die industriellen Kerne vor dem Ausbluten zu schützen“.
Leye schlägt einen Inflationsausgleich bei Löhnen vor, ebenso einen höheren Mindestlohn sowie eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Der Staat müsse „jetzt massiv in unsere Infrastruktur und den ökologischen Umbau der Industrie investieren“.
AfD-Fraktionsvize Leif-Erik Holm bezeichnete das geplante Gesetz als „Trostpflaster“ und forderte einen „Masterplan“ für Deutschland mit „weniger Steuern und Abgaben, weniger Regulierung und weniger Vorgaben“. Einem Industriestrompreis für einige wenige Betriebe erteilte Holm eine Absage.
Stattdessen müsse es einen „Wiedereinstieg in die Kernenergie“ geben, damit die Strompreise für alle fallen. Zudem wolle man „die hohen Steuern und Abgaben auf Energie, also auf Strom, Gas, Öl und Sprit, auf ein Minimum senken“.
Die Wirtschaftsverbände berichten über wachsende Belastungen in den Unternehmen. „Je länger die Politik wartet, desto härter trifft es den Standort – und desto größer ist der Wohlstandsverlust. Meseberg ist eine Chance für einen Kurswechsel“, mahnte Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.
Aus Berlin und Brüssel kämen „ständig mehr Pflichten, Anforderungen und Einschränkungen“, beklagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Peter Adrian. Es brauche „einen klaren Kurswechsel – vor allem mehr Tempo für alle Planungs- und Investitionsvorhaben“.
Der Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft forderte einen „politischen Neustart“. In einer Umfrage des Verbandes bezeichneten 62 Prozent der befragten Firmen die Lage als schwierig. Mehr als jedes vierte Unternehmen beschrieb die Situation sogar als sehr schlecht. Auf die Frage, was das größte Risiko für das Unternehmen sei, verwiesen 37 Prozent auf hohe Steuern und Abgaben sowie hohe Energiepreise.