Klingbeil hat gefordert, den Beitritt der Ukraine in die Europäische Union zu forcieren. Sven Hoppe/dpa© Sven Hoppe/dpa
Die Regierung steht schlecht da. Und nun zeigt sie mit dem Finger auf die Union und raunt über brechende Brandmauern. Dabei hätten die Genossen genug mit sich selbst zu tun.
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hält der Union einen warnenden Zeigefinger hin: „Wir müssen als Demokraten aufpassen, dass rechtsextreme Erzählungen in der Mitte der Gesellschaft nicht ankommen.“ Soso.
Mit dem anklagenden Zeigefinger ist das immer so eine Sache. Drei zeigen auf einen selbst zurück. Und hier ist der erste: Der größte Unsicherheitsfaktor für die Bevölkerung ist ausweislich des Deutschlandtrends im Auftrag des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks nicht der Klimawandel. Und auch nicht die Migration – wenngleich sich das gerade ändert, wir kommen noch darauf.
Sondern: Die Regierung selbst. Noch nie hatte eine Bundesregierung so wenig Rückhalt in der Bevölkerung wie diese Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Und es ist auch schon lange her, dass einem Bundeskanzler derart wenig Vertrauen entgegengebracht wurde wie Olaf Scholz aus der Partei von Lars Klingbeil.
Klingbeils Regierung hat selbst Zukunftsängste erzeugt
Sie jetzt so lautstark wie weinerlich zu beklagen, ist ein rabulistisches, faktenverdrehendes Schaustück. Im Kern ist es auch eine Beleidigung der Wähler: Klingbeil glaubt doch nicht im Ernst, dass die Leute so blöd sind, nicht zu erkennen, wer ihnen diese ganze Verunsicherung eingeblasen hat, oder?
Dann macht dieselbe Regierung unter dem Beifall eines Koalitionspartners eine 180-Grad-Umkehr (wenigstens keine von 360 Grad, sorry Frau Baerbock). Der Vize-Bundeskanzler Robert Habeck entlässt seinen Staatssekretär Patrick Graichen und dreht dessen Gesetz weg vom Grünen ins Liberale. Und dann greift das Bundesverfassungsgericht ein.
Der Grund: Die Arroganz der Regierung gegenüber dem Parlament. Das nicht genug Zeit bekommt, sich mit dem Regierungsmurks auseinanderzusetzen. Und schließlich verkündet die Ampelkoalition ihre Botschaft zur Sommerpause: Im Herbst geht dasselbe Gesetz ins Parlament, wo es genauso dann verabschiedet wird.
Wenn irgendjemand Identitätsdebatten führt, sind es vor allem die Grünen
Einsicht, gar Demut? Fehlanzeige. Vorerst kennt die Hybris der Regierung keine Grenzen. Was uns hier auf den dritten Finger bringt, der auf Klingbeil zurückweist. Klingbeil bezichtigt die Union, „irgendwelche Identitätsdebatten“ zu führen, die „Wasser auf die Mühlen der Rechten sind.“
Dazu ist zu sagen: Wenn irgendjemand Identitätsdebatten führt, sind es vor allem die Grünen. Nicht nur mit dem Heizungsgesetz, dessen Klimarelevanz in den Sternen steht, sondern auch mit dem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz.
Das biologische Geschlecht soll abgeschafft werden, und „Transfrauen sind Frauen“, wie die grüne Familienministerin Lisa Paus, sagt, Richtiger: Dekretiert, ex Cathedra. Die Cancel-Botschaft ist klar:
Darüber, ob ein Mensch, der als Frau gelesen werden will, obwohl er einen Penis hat, biologisch auch anders genannt werden darf, soll nicht einmal mehr diskutiert werden dürfen.
Die einfache und tolerante Lösung – es gibt zwei biologische Geschlechter, und zusätzlich etliche soziale Geschlechter, gilt schon als „tansphob“. Es ist Politik zu Lasten der Mehrheit, die all das für daneben hält.
Friedrich Merz ist nicht der Urheber des Verdrusses über das Gendern
Man fragt sich übrigens auch beim Selbstbestimmungsgesetz: Was ist eigentlich im Gesetzgebungsverfahren schiefgelaufen, dass die Ampel es nicht fertigbringt, dieses Gesetz überhaupt ins Parlament zu bringen.
Man konnte lesen, es seien die Einwände der Sicherheitsbehörden gewesen, die sich gegen eine Auslöschung der früheren Persönlichkeit von Transmenschen gewendet hätten. Damit wären Fahndungen drastisch beeinträchtigt.
Man fragt sich: Weshalb ist das niemandem aufgefallen bisher? Vereinfacht gesagt ist „Identitätspolitik“ der Versuch einer akademischen und wohlgenährten Minderheit, der Mehrheit vorzuschreiben, wie sie zu denken hat, was sie tolerieren muss und wie sie reden soll. Der Motor dafür ist nicht die Union, sondern es sind die Grünen.
Selbst im Öffentlich Rechtlichen Rundfunk fangen Verantwortliche an, Gendersprache als Irrweg zu begreifen. Friedrich Merz ist nicht der Urheber des Verdrusses über das Gendern in Verwaltungen, im Radio und Fernsehen.
Die Urheber sitzen in der Bürokratie und den Intendanzen der Sender. Was Klingbeil mit seiner Nach-Rechts-Offen-Klage über Merz betreibt, ist dumpf – eine klassische Täter-Opfer-Umkehr, um von den eigenen Schwächen abzulenken.
Klingbeil verliert kein Wort darüber, was Wählern am wichtigsten ist
Klingbeil rät der Union, nicht zu sagen, was Rechtsradikale sagen. Die von dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) simplizifierend „Rechte“ genannt werden – in der durchaus durchsichtigen Absicht, alles Konservative als Rührmichnichtan zu diskreditieren.
Über das, was den Wählern ausweislich der Umfragen mit am meisten auf den Nägeln brennt, verliert Klingbeil kein Wort. Hat es eigentlich schon einmal ein Wochenende gegeben, wo die Schattenseite der Einwanderungs- und Integrationsdebatte derart grell ins Licht geraten wäre?
In Gießen veranstalten Freunde der Furchtbar-Regierung von Eritrea ein Festival, das in Straßenschlachten ausartet. Der eritreische Bürgerkrieg findet plötzlich auf deutschen Straßen statt, knapp 30 Polizisten werden verletzt.
Hat die Ampelregierung nicht erst vor kurzem erklärt, von französischen Verhältnissen, den Aufständen von arabischen Jugendlichen im ganzen Land, sei man noch meilenweit entfernt?
Klingbeil raunt, die „Brandmauer“ der Union zur AfD werde nicht halten
Der Bundeskanzler aus Lars Klingbeils Partei hat sogar erzählt, vor derartigen Gewaltausbrüchen schütze uns der deutsche Sozialstaat. Nun – in Gießen hat an diesem Wochenende dann der Sozialstaat versagt.
Damit nicht genug: Ein tödlicher Messerangriff in Hamburg. Ein tödlicher Messerangriff in Dresden. Ein tödlicher Messerangriff in Bad Hönningen in Rheinland-Pfalz. Wer kann angesichts dessen jetzt noch an „Einzelfälle“ glauben?
Und wo ist eigentlich die Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD, aus Lars Klingbeils Partei, an einem solchen Gewaltwochenende? An dem die Migrationspolitik der Bundesregierung vor aller Augen als untauglich und naiv entlarvt wird.
Klingbeil raunt, die „Brandmauer“ der Union zur AfD werde nicht halten. Dafür gibt es keinen Beleg. Wohl aber gibt es einen Beleg dafür, dass aus Angst vor der AfD die Brandmauer der CDU zur Linkspasrtei nicht hält – in Thüringen nämlich. Überhaupt: Diese Methode des Daher-Raunens ist nur schwer erträglich.
Zurück bleibt das Gefühl, bevormundet zu werden
Würde es Klingbeils Regierung fertigbringen, handwerklich saubere, gut begründete Gesetze zu machen, und die Bevölkerung von ihrem Tun zu überzeugen, könnte sie sich diese Verdachtspolitik sparen.
Gut Regieren, die Probleme der Menschen nicht aus durchsichtigen ideologischen Motiven weg zu definieren, das dürfte die einzige Methode sein, der AfD Herr zu werden. In den letzten acht Jahren ist dies nicht gelungen, weder der CDU, die nun von der Schwäche der Regierung nicht profitiert, noch eben der versammelten Linken.
Offensichtlich sind inzwischen viele Menschen überzeugt, dass sich die Beschimpfungen gegen die AfD gegen sie selbst als Wähler richten. Zurück bleibt das, was der größte Treibstoff ist für die AfD: Ein Gefühl, aus ideologischen Gründen von „denen da oben“ bevormundet zu werden.