Zitat von Gast am 10. Juli 2023, 07:40 Uhr
Finanzen
Bundeshaushalt: „Die Zukunft wird kaputtgespart“
Vorlesung in Medizin in Halle (Saale): Auch am Bafög für Studierende soll gespart werden.© picture alliance/dpa
IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban spricht im Interview über die Ideologie der Schuldenbremse, den Rückfall bei sozialen Investitionen im Bundeshaushalt und die Debatte ums Elterngeld.
Die IG Metall übt massive Kritik am geplanten Bundeshaushalt und fordert eine grundlegende Neuorientierung in der Sozialpolitik. Der vergangene Woche vom Kabinett beschlossene Budgetplan für 2024 sei zu kleinmütig, sagte Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, im Interview.
Herr Urban, wie schlägt sich aus Ihrer Sicht die SPD-geführte Bundesregierung aktuell in der Sozialpolitik?
Mir ist der Bundeshaushalt der gesamten Regierung, so wie er jetzt vorliegt, insgesamt zu kleinmütig. Wenn das, was im Etat für 2024 angelegt ist, Fortsetzung finden sollte, dann ist die Regierung dabei, die Zukunft kaputtzusparen.
Aber geht es nicht bloß darum, die Neuverschuldung auf ein Maß zu reduzieren, das der Zeit vor Ukraine-Krieg und Pandemie entspricht? Wo liegt da das Problem?
Konsolidierung ist das entscheidende Stichwort. Der Haushalt hat eine Philosophie, als müsse man zurück in die Zeiten der konsolidierten Etats. Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist aber nicht ein Zurück zum alten Normalen, sondern ein Aufbruch in ein neues Normal.
Wie sieht dieses neue Normal aus?
Meinen Sie damit beispielsweise die geplante Kürzung der Mittel fürs Studenten-Bafög von 1,8 Milliarden auf 1,4 Milliarden Euro?
Das ist ein sehr gutes Beispiel, weil es sich um einen kleinen Sparertrag handelt, der große Schäden hervorrufen wird. Für die zentrale Aufgabe der Sozialpolitik, nämlich die ökologische Transformation auch unter dem Aspekt sozialer Chancen für alle abzusichern, ist auch die Kürzung der Mittel für Studienförderung ein Schlag ins Gesicht. Der Geldbeutel der Eltern darf nicht das Kriterium für ein Studium sein! Wenn wir nicht aufpassen, laufen wir auf weitere Debatten wie bei der Kindergrundsicherung zu.
Immerhin ist bei der umstrittenen Kindergrundsicherung ein „Merkposten“ mit zusätzlich 2,5 Milliarden Euro für das Jahr 2025 vorgesehen. Reicht das nicht?
Auch dies ist viel zu kleinmütig und birgt sogar akute Gefahren. Erstens waren ursprünglich zehn Milliarden Euro mehr kalkuliert. Und in vielen Bereichen sollen Leistungen zusammengelegt werden. Ein Beispiel ist das Instrument „Bildung und Teilhabe“: Geld steht insbesondere Kindern zur Verfügung, deren Eltern Bürgergeld beziehen. Es soll dazu dienen, dass Kinder an Klassenfahrten teilnehmen können und der Mitgliedsbeitrag der Kinder für Sportvereine gezahlt werden kann. Diese Zuschüsse konnten bislang relativ einfach beantragt werden. Wenn nun mit der Kindergrundsicherung ein großer bürokratischer Topf entsteht, können die Beantragungsmodalitäten so kompliziert werden, dass es die betroffenen Familien überfordert.
Dabei soll mit der Kindergrundsicherung doch eigentlich alles einfacher werden.
Ja, und vor allem muss es gerechter werden. Wer Kinder wirksam vor Armut schützen will, muss Geld in die Hand nehmen. Das ist zukunftsgerichtete Politik für die kommenden Generationen und nicht das Kaputtsparen in ihrem Namen. Es droht insgesamt ein Rückfall bei sozialen Investitionen, um kleine Sparerträge zu realisieren. In diesem Sinne argumentieren auch Arbeitgeberlobbyisten. Wir stehen vor einer Jahrhundertaufgabe, und die Arbeitgeber wollen lieber kleine verteilungspolitische Geländegewinne erzielen – etwa indem Beiträge zur Sozialversicherung unter die Marke von 40 Prozent gedrückt werden. Anstatt sich um Strategien für die Zukunft zu kümmern. Da fehlen mir die Worte.
Auch der Zuschuss des Bundes zur Pflegeversicherung in Höhe von einer Milliarde Euro soll wegfallen.
Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Richtung nicht stimmt. Wir diskutieren seit Jahren über Notstände in der Pflege. Solche Kürzungen sorgen für noch mehr Verunsicherung und noch höhere Belastungen für die Betroffenen.
Macht Ihnen die Debatte über das Elterngeld Sorgen? Hier sollen staatliche Leistungen für Wohlhabende gekürzt werden.
Das ist weniger ein sozialpolitisches als vielmehr ein gleichstellungspolitisches Problem. Und es ist nicht so, dass hier Geld an einer Stelle weggenommen wird, um es an einer anderen Stelle, etwa für die Kindergrundsicherung, sinnvoll einzusetzen.
Finanzminister Lindner argumentiert, das Einhalten der Schuldenbremse sei wichtig, weil sie im Grundgesetz verankert ist, weil wir damit kommende Generationen vor finanziellen Lasten schützen und weil wir ein Signal an andere Länder in der EU senden. Ist da gar nichts dran?
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU zielt in Richtung Konsolidierung. Mittlerweile sieht man aber in Europa, dass diese Regeln enge Fesseln sind. Jetzt wird intensiv diskutiert, wie dieser Finanzpakt modifiziert werden kann. Auf europäischer Ebene ist man weiter als Finanzminister Lindner. Er wird mit seinem Vorgehen nicht viele Pluspunkte in Brüssel sammeln können. Zweitens wäre es tatsächlich am besten, die Schuldenbremse abzuschaffen. Drittens: Worin soll die Zukunftsvorsorge bestehen, wenn wir zwar etwas weniger Staatsschulden haben, dafür aber über keine Brücke mehr fahren können, die Teilhabe an Bildung ausgehöhlt wird und wir die Verschärfung der Klimakrise erleben? Lindners Argumente halte ich für pure Ideologie. Die USA machen es besser und investieren massiv in neue ökologische Technologien und damit in die Zukunft.
Was genau ist für Sie sozial-ökologische Finanzpolitik hierzulande?
Das lässt sich am Beispiel des Heizungsgesetzes zeigen: Die öffentliche Förderung zielt auf die Reduzierung klimaschädlicher Emissionen – das ist das Ökologische. Aber sozial wird das Ganze erst, wenn Mieterinnen und Mieter bei den Kosten geschützt werden und wenn die öffentlichen Gelder nur an Unternehmen und Handwerksbetriebe fließen, die tarifliche Mindeststandards einhalten.
Gäbe es denn Möglichkeiten anderswo zu sparen? Etwa Subventionen zu streichen?
Natürlich. Es gibt einen Subventionstatbestand, der leicht abgeschafft werden könnte und ein erhebliches Volumen hat. Das ist das Ehegattensplitting. Also die Möglichkeit, dass Ehegatten ihre unterschiedlich hohen Einkommen gemeinsam versteuern und damit beim Steuersatz erheblich tiefer kommen. Das ist unter Gleichstellungsaspekten kontraproduktiv. Aber da will die Ampel nicht ran. Grundsätzlich geht es darum, sich dem Spardiktat nicht unterzuordnen. Da, wo Investitionen ins Soziale und Ökologische nötig sind, müssen sie gerecht finanziert werden. Doch das verträgt sich nicht mit dem Steuersenkungsdogma der FDP.
Was kann die Bundesregierung besser machen?
Wir brauchen ein sozialstaatliches Sicherungsversprechen. Das ist die Zusage an die Menschen, dass wir ihnen zwar vieles zumuten – wir können einzelne Arbeitsplätze nicht garantieren, können nicht gänzlich vor Inflation schützen –, aber dass wir sie nicht ins Bodenlose fallen lassen. Dass sich die Menschen aufgrund solch einer Absicherung auf die Herausforderungen einlassen können. Ein positives Element der Regierungsarbeit ist das geplante Qualifizierungsgeld: Beschäftige müssen sich in der neuen Arbeitswelt mit neuen Anforderungen konfrontieren, aber sie werden unterstützt sich weiterzubilden, es wird garantiert, dass Einkommen während der Weiterbildung gesichert werden. Zu diesem Versprechen muss auch gehören, dass alle am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Dazu zählt auch, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien Unterstützung erhalten: Denn für die Zukunft junger Menschen kann es von großer Bedeutung sein, ob sie an Klassenfahrten teilnehmen können oder nicht.
Hans Jürgen Urban, Jahrgang 1961, ist seit 2007 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Bild: IG Metall© Bereitgestellt von FR