Auszahlung scheitert
Warum Deutschland 28 Milliarden Euro an EU-Geldern einfach liegen lässt
Symbolfoto Euroscheine auf einer Europafahne© Jens Schicke/Imago
Es geht um viel Geld, doch die Bundesregierung kommt nicht in die Gänge. Deswegen können 28 Milliarden Euro an EU-Geldern derzeit nicht abgerufen werden.
Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Europe.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Europe.Table am 5. Juli 2023.
Berlin – Deutschland stehen Zuschüsse in Höhe von 28 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds zur Verfügung. Doch die Auszahlung scheitert bislang, weil die Bundesregierung nicht die formalen Voraussetzungen erfüllt. Es geht um Zuschüsse, die Deutschland aus dem Corona-Aufbaufonds (Recovery and Resilience Facility) zustehen. Bislang ist es der Bundesregierung nicht gelungen, den Weg auch nur für die erste Teilauszahlung freizumachen. Nach Informationen von Table.Media wurde noch nicht einmal das „Operational Agreement“ mit der EU-Kommission unterzeichnet. Das Dokument regelt die Formalien und Beweislastanforderungen und ist Voraussetzung dafür, dass die EU-Gelder fließen. Die Bundesregierung hat zudem einige Reformen noch nicht umgesetzt, die sie für die Auszahlung der Mittel erbringen muss.
338 Milliarden für Wiederaufbau nach der Pandemie
Die Zeit drängt. Die Milliarden müssen bis Ende 2026 ausgegeben werden. Nach der Pandemie soll der Umbau der Volkswirtschaft im Sinne des Green Deal vorangetrieben und die Digitalisierung beschleunigt werden. Ziel ist außerdem, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Dafür stellt die EU den Mitgliedstaaten insgesamt 338 Milliarden Euro an Zuschüssen zur Verfügung. Deutschland hat Anspruch auf rund 30 Milliarden Euro. 2,3 Milliarden Euro wurden im August 2021 als Vorfinanzierung an Berlin ausgezahlt, ohne an Bedingungen geknüpft zu sein.
Die Auszahlung der nächsten Tranchen hängt hingegen davon ab, dass die Regierung die individuell mit der Kommission vereinbarten Meilensteine erreicht. Hier hat die Bundesregierung bislang nicht geliefert. Grundlage dafür ist der nationale Aufbau- und Resilienzplan. 42 Prozent der Mittel sollen in Deutschland demnach auf Maßnahmen des Klimaschutzes entfallen, 52 Prozent der Mittel der Digitalisierung zugutekommen.
Weniger Bürokratie, nachhaltige Lösungen im Verkehr
Zuständig für die Beantragung der Milliardengelder aus dem EU-Haushalt ist das Bundesfinanzministerium. Das Ministerium bestätigt auf Anfrage, dass Deutschland bisher keinen Zahlungsantrag gestellt hat. Man habe den ersten Aufbau- und Resilienzplan (DARP), der bereits im Juli 2021 vom Rat gebilligt wurde, noch einmal ändern müssen. Ein erster Zahlungsantrag solle aber „noch in diesem Jahr eingereicht“ werden.
Von den mit der Kommission vereinbarten 129 Meilensteinen und Zielen seien bisher 58 erreicht, sagte der Sprecher. Was der Sprecher nicht sagt: Bei einigen Reformen, die Deutschland erledigen muss, ist die Bundesregierung bis heute den Nachweis schuldig geblieben.
Dazu zählen unter anderem schnellere Genehmigungsverfahren. Konkret geht es um den Abbau von Investitionshemmnissen und Bürokratie in den Verwaltungsabläufen. Auch Maßnahmen zur Dekarbonisierung, der Aufbau einer Wirtschaft mit grünem Wasserstoff sowie nachhaltige Lösungen im Verkehr werden von Deutschland verlangt. Um welche konkreten Reformen es sich handelt und welche davon noch nicht umgesetzt wurden, dazu gibt die Kommission keine Auskunft.
Griechenland beweist Reformfreudigkeit
Andere Mitgliedstaaten sind deutlich weiter. Die Regierung des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis etwa hat der Auszahlung der Mittel höchste politische Priorität eingeräumt. Die Regierung hat im September 2022 die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie die zweite Rate in Höhe von 3,6 Milliarden Euro bei der Kommission beantragen konnte. Drei Monate später flossen die Milliarden. Mitte Mai hat Athen die dritte Auszahlung der Mittel beantragt. Spätestens im September dürfte der Rat grünes Licht geben und die nächsten 1,72 Milliarden Euro überweisen.
Italien stehen Zuschüsse von 68 Milliarden Euro zu, 28,95 Milliarden sind bereits ausgezahlt. Spanien stehen 69,5 Milliarden Euro an Zuschüssen zur Verfügung, davon wurden bereits 37 Milliarden Euro ausgezahlt. Hinter vorgehaltener Hand und mit gewisser Häme wird in diesen Wochen in Brüssel über Deutschland gesprochen. Länder, die von deutschen Politikern nicht zuletzt in der Schuldenkrise als reformunwillig bezeichnet wurden, agierten inzwischen vorbildlich: Sie haben die Reformen, die die EU-Kommission ihnen im Rahmen des europäischen Semesters abverlangt, etwa bei der Justiz und der Steuerverwaltung, erledigt und kommen daher schon jetzt in den Genuss der Brüsseler Milliarden.
Berlin arbeitet an Re-Power-EU-Kapitel
Die deutschen Verbraucher und Unternehmen leiden besonders unter hohen Energiepreisen. Die Kommission hält im Rahmen von Re Power EU für Deutschland Zuschüsse in Höhe von 2,1 Milliarden Euro bereit. Ziel ist, die Dekarbonisierung voranzutreiben. Um an die Brüsseler Milliarden zu kommen, muss jeder Mitgliedstaat bei der EU einen Plan als Kapitel des nationalen Aufbau- und Resilienzplans einreichen.
Wie in Brüssel zu hören ist, sind die Pläne von sieben Mitgliedstaaten bereits eingegangen, darunter sind Portugal, Frankreich, Malta, Dänemark, Estland und die Slowakei. Etwa eine Handvoll Pläne sind bereits geprüft und angenommen. Auch hier hinkt Deutschland hinterher. Wann liefert Deutschland? Ein Ministeriumssprecher kann kein konkretes Datum nennen: „Deutschland befindet sich derzeit im Prozess der Vorbereitung und Abstimmung eines überarbeiteten Plans inklusive eines Re-Power-EU-Kapitels.“ Annahmeschluss ist im Dezember.