Die eigentlichen Gegner von Scholz, Lindner und Habeck sind nicht Weidel oder Merz, sondern die deutsche Staatlichkeit IMAGO/Political-Moments© IMAGO/Political-Moments
Zuweilen beschleicht einen das unheimliche Gefühl, nicht SPD, CDU, FDP oder die Grünen regieren den Staat, sondern der Staat regiert sich selbst. Alle für die Zukunft relevanten Themengebiete – der Klimaschutz, die Arbeitsmigration, der Wohnungsmarkt und die Künstliche Intelligenz – werden, kaum hat die Politik das Tor geöffnet, von einer Armee der Bürokraten besetzt.
Diese leben davon, dass sie Anträge entwerfen, verteilen, einsammeln, bewerten, genehmigen, ablehnen und immer so weiter. Bis zu sieben Prozent des Umsatzes einer Firma – also das Doppelte der durchschnittlichen Gewinnmarge – müssen laut Berechnungen des Normenkontrollrates heute für Bürokratie ausgegeben werden.
Der sogenannte „Erfüllungsaufwand“ steigt permanent, denn Bürokraten lieben Bürokraten. Sie sehen überall Regulierungsbedarf:
- Knapp 10.000 gesetzliche Informationsverpflichtungen mit einer Gesamtbelastung der Unternehmen von jährlich knapp 50 Milliarden Euro für diesen „Erfüllungsaufwand“ hat der Normenkontrollrat der Bundesregierung gemessen.
- Jedes Jahr kommen 350 bis 400 Entwürfe für zusätzliche Gesetze und Verordnungen hinzu.
Bürokratie zwingt den Bürger in den Status eines Untertanen
Die Bürokratie zwingt den Bürger in den Status eines Untertanen. Es findet eine alltägliche Freiheitsberaubung statt, die nicht nur die Unternehmerfreiheit, sondern – und da wird die Geschichte politisch brisant – auch den Spitzenpolitiker seiner Durchschlagskraft beraubt.
Angefangen beim Reformkanzler Gerhard Schröder – dessen einfaches Motto „fördern und fordern“ durch die Arbeitsmarktgesetze für Hartz IV in ein kafkaeskes System von Belohnung und Bestrafung verwandelt wurde – gibt es heute keinen Spitzenpolitiker, der seine Ziele wirklich noch erreicht. Die Bürokratie schrumpft die Demokratie:
Beispiel Wohnungsbau: Die Politiker sehen, spüren und adressieren das Thema. Sie wissen, dass die Wohnungsnot, die mit jedem Zugezogenen eine Verschärfung erfährt, einen politischen Gärungsprozess vorantreibt, der bis zu ihrer Marginalisierung führen kann.
Rund 3.700 Normen sind für das Bauen in Deutschland relevant
In einer marktwirtschaftlich organisierten Immobilienwirtschaft würden jetzt neue Wohnungen und Häuser nur so aus dem Boden sprießen. Es wäre für den Kanzler ein Leichtes, sich sein Versprechen von den zusätzlichen 400.000 Wohnungen pro Jahr von den Wohnungsbaugesellschaften erfüllen zu lassen – trotz steigender Refinanzierungskosten.
Aber es herrscht keine Marktwirtschaft mehr. Rund 3.700 Normen sind für das Bauen in Deutschland relevant. Eine schier undurchdringliche und noch dazu kostspielige Bau-Bürokratie hat sich gebildet, die alle Prozesse beherrscht und im Bermudadreieck von Mieterschutz, Klimaschutz und Denkmalschutz jede Rentabilität versenkt.
Das Versprechen von Olaf Scholz wird vor aller Augen entwertet. Seine 400.000 Wohnungen bleiben eine Illusion.
Verkehrsschilder im Wert von 2,5 Milliarden Euro
Beispiel Verkehr: Verbotsschilder, Vorschriftzeichen, Gefahrzeichen, Richtzeichen, Verkehrslenkungstafeln, Hinweisschilder, Wegweiser und Zusatztafeln: Mittlerweile stehen Verkehrsschilder im Wert von 2,5 Milliarden in der Bundesrepublik herum. Der Verkehr wird obsessiv reguliert, nur der von den Politikern versprochene und von den Bürgern gewünschte Umstieg auf klimafreundliche Antriebe klappt nirgendwo und am schlechtesten bei der Staatsbahn.
Hier feiert der Staat das Festival seiner Unfähigkeit. Nicht mal die Verlagerung des Gütertransports von der Straße auf die Schiene kommt voran. Die einzigen beiden Aggregate, die bei der Staatsbahn zulegen, sind die Verschuldung und die Verspätung.
Die Politik verbietet ab 2035 den Verbrennermotor, aber kann bei der Elektrifizierung des deutschen Straßennetzes keine Erfolge vorweisen. Der Anteil der erneuerbaren Energie im Verkehrswesen liegt nach den aktuellen Zahlen des Umweltbundesamtes unter sieben Prozent und hat sich seit 15 Jahren nicht positiv entwickelt.
Mit jeder Reform verschlechtert sich die Arbeitsmarktintegration
Beispiel Migration: Arbeitsminister Hubertus Heil und der Bundeskanzler wissen, dass die Bundesrepublik dringend qualifizierte Zuwanderung braucht. Allein bis zum Jahr 2025 wird das Arbeitskräftepotenzial altersbedingt um zwei Millionen Menschen kleiner werden, bis zum Ende des Jahrzehnts 2030 um mehr als 4,5 Millionen Menschen. Seit Jahren werden daher immer wieder Änderungen am Einwanderungsgesetz vorgenommen. Die Wirkung? Ernüchternd.
Wie eine ZEW-Studie zeigt, hat sich die Arbeitsmarktintegration in den letzten Jahren mit jeder Reform nur weiter verschlechtert.
- Migranten aus dem EU-Ausland weisen bei der Ankunft eine um rund 40 Prozentpunkte niedrigere Beschäftigungswahrscheinlichkeit gegenüber Einheimischen auf.
- Der Langzeitvergleich zeigt, dass sich in den letzten 50 Jahren die Arbeitsmarktchancen weiter verschlechtert haben. Die Beschäftigungsquote von neu Zugewanderten sank in diesem Zeitraum um 11 Prozent.
Ausbau der Erneuerbaren stockt
Beispiel Energiewende: Im Jahr 2022 stammten nach den Berechnungsvorschriften der EU-Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien 80 Prozent des deutschen Energieverbrauchs aus fossilen Energieträgern. Gegenüber dem Vorjahr stieg der Anteil der Erneuerbaren um lediglich 1,2 Prozentpunkte. Der weitere Ausbau ist ins Stocken geraten, weil bürokratische Genehmigungsverfahren ihn behindern.
Strenge Abstandsregeln machen den Zubau der Windräder fast unmöglich. Zwei Prozent der deutschen Fläche sollen laut Gesetz bis Ende 2032 der Windenergie gewidmet sein, aber die bürokratischen Regeln machen dieses Ziel unrealistisch. Derzeit sind 0,8 Prozent für Windkraftanlagen an Land ausgewiesen – allerdings sind nur 0,5 Prozent tatsächlich für Investoren verfügbar.
In Bayern stehen heute nur 0,1 Prozent der Landesfläche für die Windkraft zur Verfügung. Schuld daran sind besonders strenge Abstandsregeln: Die „10-H-Regel“ sieht vor, dass der Abstand eines Windrades zu einer Wohnsiedlung mindestens das Zehnfache seiner Höhe betragen muss. Da moderne Windräder rund 200 Meter hoch sind, umfasst die Tabuzone also meist mehr als zwei Kilometer im Umkreis einer Gemeinde.
Außer an den Küsten von Nordsee und Ostsee sieht es nirgendwo besser aus. In Sachsen etwa sind nur 0,2 Prozent der Landesfläche für Windkraft freigegeben. Und in Nordrhein-Westfalen hat jüngst ein neues Gesetz die verfügbare Fläche weiter eingegrenzt. Dort müssen Windräder neuerdings den Mindestabstand von 1000 Metern zu Wohngebieten halten, was auf diesem dicht besiedelten Gebiet Europas einem Baustopp gleichkommt.
Leistungsfähigkeit des Staates unzureichend
Warum das alles wichtig ist?
Die bürokratische Dominanz fügt den demokratischen Politikern einen fortgesetzten Reputationsverlust zu. Ihre Worte klingen hohl, ihre Autorität schwindet. Die mangelnde Effizienz unseres Staates wird den Politikern zur Last gelegt, wie Renate Köcher, die Chefin des Allensbach Instituts ermittelt hat. In der „FAZ“ vom Samstag schrieb sie:
"Die wachsende Verunsicherung in Deutschland hat unter anderem mit dem Eindruck zu tun, dass die Leistungsfähigkeit des Staates unzureichend ist und sich weiter verschlechtert."
Fazit: Die eigentlichen Gegner von Scholz, Lindner und Habeck sind nicht Alice Weidel oder Friedrich Merz, sondern es ist die deutsche Staatlichkeit. Der Versuch, den Stillstand durch immer neue Regulierungen zu überwinden, bekämpft den Zustand, indem es ihn verschlimmert. Der von den Politikern beschrittene Weg erinnert an eine Sackgasse. Oder wie der kolumbianische Essayist und Philosoph Nicolás Gómez Dávila zu sagen pflegte:
"Sterbende Gesellschaften häufen Gesetze an wie die Sterbenden Heilmittel."