Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht bei einer Debatte des Deutschen Bundestages. Carsten Koall/dpa© Carsten Koall/dpa
Die Tourismusbranche grollt gegen Habeck. Nach harten Corona-Jahren hoffte das Gastgewerbe mit der „Nationalen Tourismusstrategie“ des Wirtschaftsministeriums auf Hilfe. Doch diese liefert vor allem Auflagen und CO2-Spardruck. Was nun?
Keine drei Jahre ist es her, dass die Corona-Krise der deutschen Gastgewerbe einen herben Schlag versetzte: Lockdowns, Reisebeschränkungen und Ansteckungsangst ließen die Zahl der Übernachtungen in den 2020 und 2021 im Vergleich zu 2019 um rund 40 Prozent einbrechen. Viele Betriebe kämpften ums Überleben, äußerten aber dennoch meist Verständnis für die Einschränkungen. 2022 erholte sich die Branche etwas, doch nun drohen ihr neue Belastungen. Dieses Mal ist das Verständnis geringer.
Nationale Tourismusstrategie verärgert Gastgewerbe
Die neue Belastung droht aus dem Wirtschaftsministerium. Eine „Nationale Tourismusstrategie“ hatte die Behörde um Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angekündigt und das Gastgewerbe damit auf dringend nötige Unterstützung hoffen lassen. In vielen Betrieben hat der Überlebenskampf der vergangenen Jahre hohe Schulden angehäuft.
Als Habeck den Teilnehmern der Auftaktveranstaltung zur Tourismusstrategie dann noch eröffnete, dieses Jahr keinesfalls in den Urlaub zu fliegen, verärgerte er viele von ihnen laut Handelsblatt endgültig. „Eine groteske Veranstaltung und völlige Zeitverschwendung“, zitiert das Blatt eine nicht namentlich genannte Teilnehmerin.
CO2-Einsparungen statt internationaler Gäste?
Ein Beispiel für den Ärger der Branche: Trotz vorsichtiger Erholung übernachten weiter wenige ausländische Gäste in deutschen Herbergen – auch weil deutsche Behörden im Ausland zu langsam Touristen-Visa ausstellen: Bevor indische Reisende etwa 16 Wochen auf ihre Einreiseberechtigung warten, fliegen viele lieber in andere europäische Länder. Weil in vielen anderen Staaten ähnliches gilt, verliert Deutschland, das weltweit nach Italien und Spanien drittbeliebteste Reiseziel, bares Geld. Dem Klima nützt das überhaupt nichts.
An einer Lösung dieses Problems versucht sich der Entwurf zur Nationalen Tourismusstrategie gar nicht erst. Er will deutsche Tourismuszentralen im Ausland lieber anweisen, auf die Bedeutung von nachhaltigem Reisen per Bus und Bahn hinzuweisen. Gastbetriebe hierzulande fürchten daher um Kundschaft von weither: Gerade Urlauber, die nur per Flugzeug anreisen können, geben nach dem Motto „Wer will beim Urlaub des Lebens schon knausrig sein?“ oft mehr Geld aus als sparbewusste deutsche Heimaturlauber. Ihnen das Fliegen auszureden, streut Salz in offene Wunden.
Eine Dynamik, die das Gastgewerbe kennt.
- In der vom Personalmangel geplagten Branche verschärfen die neuen Regelungen zu genauer Arbeitszeiterfassung und täglicher Höchstarbeitszeit Probleme, die flexiblere Vorgaben entlasten würden.
- Der zu Beginn der Pandemie gesenkte Mehrwertsteuersatz auf Speisen (von 19 auf sieben Prozent) läuft Anfang 2024 aus.
Eine Strategie, die einer gebeutelten Branche nun Auflagen, Einsparungsziele und Strafen bringt, trifft wenig überraschend auf Widerstände.
Auch Touristiker wollen Nachhaltigkeit
Aus der Politik und von Branchenvertretern kam zuletzt immer wieder der Wunsch nach einer Nachhaltigkeits-Offensive. Anja Karliczek, tourismuspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagt, Nachhaltigkeit sei ein Wettbewerbsfaktor: „Damit der Tourismusstandort Deutschland konkurrenzfähig bleibt, muss die Bundesregierung die notwendigen Voraussetzungen schaffen.“
Der Deutsche Tourismusverband begrüßte im Juli 2022 auch ausdrücklich die damals vom Kabinett beschlossenen Eckpunkte der Tourismusstrategie - vor allem den Umbau zur Klimaneutralität. „Jetzt muss es zügig an die Erarbeitung der konkreten Maßnahmen gehen“, sagte Norbert Kunz, Geschäftsführer des Deutsche Reiseverbands. „Die Eckpunkte stimmen positiv, dass die Koalition ihr angekündigtes tourismuspolitisches Arbeitsprogramm umsetzt.“
Eine weit verbreitete Meinung, zumal Touristiker Gäste auch mit einer intakten Umwelt nach Deutschland locken. Punkte der Nationalen Tourismusstrategie wie „Klimaneutrale Luftfahrt“ und das Ziel, Flugreisen durch längere Aufenthalte im Land nachhaltiger zu gestalten, dürften bei Touristikern weiter offene Türen einrennen.
Wichtige Lösungen und schwere Kompromisse
Die Tourismusstrategie steht also vor dem gleichen Dilemma wie viele Klimaschutzmaßnahmen: Jeder kennt das Problem, aber kaum jemand will etwas zur Lösung beitragen. In Umfragen sagen regelmäßig nur rund 20 Prozent aller Touristen, mehr für nachhaltiges Reisen bezahlen zu wollen. Was nützt es Deutschland, sich zum nachhaltigen Tourismusziel zu entwickeln, wenn Reisende es einigen Firmen gleichtun und in günstigere, wenig nachhaltige Gebiete abwanden? Andererseits, was nützt es Deutschland, wenn es sich nicht um Nachhaltigkeit bemüht und Teil des Problems wird statt Teil der Lösung?
Politik und Gastgewerbe suchen den besten Kompromiss zwischen diesen Extremen. Reibungen und Verlustängste scheinen dabei vorprogrammiert.