Wirtschaftsminister Robert Habeck hält nicht mehr an seinem Staatssekretär Patrick Graichen fest. IW-Chef Michael Hüther hält den Schritt für eine „Schutzmaßnahme für den Minister“. Aus der Opposition kommen scharfe Töne.
Robert Habeck und Patrick Graichen in der Bundespressekonferenz (Archivbild) dpa/Kay Nietfeld© Bereitgestellt von WELT
CSU-Generalsekretär Martin Huber sieht auch nach dem Abgang des bisherigen Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium, Patrick Graichen, viele offene Fragen. „Das Aus für Patrick Graichen war unausweichlich und kommt viel zu spät. Mit dem Festhalten an seinem Filz-Staatssekretär hat Robert Habeck dem Ansehen seines Ministeriums und der gesamten Bundesregierung schweren Schaden zugefügt“, sagte Huber am Mittwoch in München. Er sprach von einem grünen „Selbstbedienungsladen“. „Dieser grüne Sumpf ist damit noch längst nicht aufgearbeitet.“ Es müsse geklärt werden, welche Stellen vom „Graichen-Clan“ besetzt und welche Aufträge an wen vergeben worden seien.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß schrieb auf Twitter, Habecks Schritt sei „überfällig“ gewesen: „So kann es im Wirtschaftsministerium nicht weitergehen! Die Grünen müssen endlich Transparenz darüber schaffen, wie es so weit kommen konnte.“
Graichen stand in der Kritik, weil er an der ursprünglichen Neubesetzung des Dena-Spitzenpostens beteiligt war. Die Stelle wurde zunächst dem früheren Berliner Grünen-Politiker Michael Schäfer zugesprochen. Graichen machte aber nicht transparent, dass Schäfer sein Trauzeuge war. Inzwischen wurde ein neues Besetzungsverfahren gestartet.
Am Mittwoch teilte Wirtschaftsminister Robert Habeck mit, sich von seinem Mitarbeiter zu trennen. Als Begründung nannte er neue Informationen über einen Compliance-Verstoß.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich zurückhaltend über den Rückzug Graichens. Er sei darüber informiert worden und habe das zur Kenntnis genommen, so Scholz am Rande des Gipfeltreffens des Europarats in der isländischen Hauptstadt Reykjavík auf Nachfrage. „Mit Herrn Graichen selbst habe ich gut zusammengearbeitet, und ich gehe davon aus, dass der Wirtschaftsminister jetzt seine Arbeit mit voller Kraft fortsetzt.“ Auf eine weitere Nachfrage, ob der Schritt zu spät gekommen sei, ging der Kanzler nicht ein.
„Das ist natürlich eine Schutzmaßnahme für den Minister“
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, begrüßte die Entscheidung. Hüther sagte in einem Interview mit dem Fernsehsender WELT: „Das ist natürlich eine Schutzmaßnahme für den Minister“.
Hüther weiter: „Denn irgendwann bleibt das nicht beim Staatssekretär hängen.“ Zur Trauzeugen-Affäre sagte er, sie sei „mit der richtigen Schlussfolgerung“ beendet worden. Es gehe um einen erstaunlichen Vorgang, den „die Grünen bei allen anderen auch nicht akzeptiert hätten“.
Minister Habeck sieht Hüther aber nicht gefährdet: „Es ist sicher kein Vorgang, der den Minister zu seinem Rücktritt veranlassen sollte. Minister müssen eine gewisse Robustheit haben.“ Jetzt gehe es darum, dass das Ministerium „gut aufgestellt ist und gut administriert wird“. Es gebe „hinreichend viele Hinweise“ nicht zuletzt aus der Wirtschaft, „dass da Optimierungsbedarf besteht“. Es sei „die eigentliche Aufgabe eines Ministers, die Arbeitsfähigkeit seines Ministeriums sicherzustellen“.
Kubicki bezweifelt nun eine „zügige Entscheidungsfindung“ beim Gebäudeenergiegesetz
SPD und FDP äußerten sich positiv zur Entscheidung des Wirtschaftsministers. „Wir haben Robert Habecks Personalentscheidung mit Respekt zur Kenntnis genommen“, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dem „Tagesspiegel“. „Mit dem Schlussstrich des Ministers unter eine wochenlange Debatte über sein Haus verbinden wir die Erwartung, dass nun wieder Sachpolitik in den Mittelpunkt rückt.“ Die Hoffnung der Opposition, die Debatte über die Klima- und Energiepolitik nicht inhaltlich, sondern rein personalpolitisch führen zu können, habe sich „nun zerschlagen“, sagte Kühnert: „Es wird Zeit, dass wir wieder um die richtigen Wege ringen, gerechten Klimaschutz zu organisieren.“
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) begrüßte den Rückzug Graichens ebenfalls und stellte zudem den Zeitplan für die Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes in Zweifel. „Ich respektiere die Entscheidung zum Rückzug von Patrick Graichen und würde mir wünschen, dass dies ein Befreiungsschlag für Robert Habeck ist, damit sein Ressort wieder in ruhigeres Fahrwasser kommt“, sagte Kubicki der Zeitung. „Allerdings glaube ich, dass die Turbulenzen der vergangenen Wochen im Ministerium auch Auswirkungen haben könnten auf den Zeitplan des Gebäudeenergiegesetzes.“
Wenn die Erklärung stimmen sollte, dass Patrick Graichens Expertise für die Energiewende „unersetzlich“ sei, „dann dürfen wir bedauerlicherweise daran zweifeln, dass das Parlament eine zügige Entscheidungsfindung vornehmen kann“, sagte Kubicki. Der FDP-Politiker forderte eine weitere Aufklärung der Causa Graichen: Der Rückzug des Staatssekretärs entbinde das Ministerium „gleichwohl nicht von der Pflicht, die dahinterstehenden Vorgänge weiter aufzuklären“.