Die Opposition fordert ein Disziplinarverfahren gegen den Staatssekretär. Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt
Wirtschaftsstaatssekretär Graichen steht in der „Trauzeugen-Affäre“ unter Druck. Doch welche Folgen drohen dem politischen Beamten tatsächlich?
Die „Trauzeugen-Affäre“ um Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen entwickelt sich zur Hängepartie: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat eine beamtenrechtliche Prüfung angekündigt, da gegen Vorgaben des Ministeriums „erkennbar verstoßen worden“ sei.
Doch was bedeutet das konkret? Hier der Überblick:
Was ist zum Fall Graichen bislang bekannt?
Der beamtete Staatssekretär Patrick Graichen hat öffentlich den Fehler eingeräumt, an der Besetzung des Chefpostens der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) beteiligt gewesen zu sein, bei der sein enger Freund und Trauzeuge zunächst zum Zuge kam.
Bei einer Anhörung im Wirtschafts- und Energieausschuss des Bundestags gab Graichen nach Angaben von Teilnehmern außerdem zu, den Namen seines Trauzeugen als Mitglied der Findungskommission der mit der Kandidatensuche beauftragten Personalberatungsfirma vorgeschlagen zu haben.
Um welches konkrete Vergehen geht es?
Konkret geht es um eine mögliche Verletzung der Befangenheitsregeln nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis hält es für „fahrlässig und auch vorwerfbar“, wenn ein „offensichtlich befangener Beamter“ in ein Auswahlverfahren hineingeht und dieses dann auch maßgeblich mitbestimmt. „Das lässt sich als Dienstvergehen werten“, erklärt der Experte für Beamtenrecht.
„Ein Beamter kann noch so sehr betonen, neutral an eine Sache herangegangen zu sein“, sagt Battis. Es komme darauf an, wie sein Verhalten auf am Verfahren beteiligte Dritte wirke. „Mit Blick auf einen Trauzeugen ist die Besorgnis der Befangenheit mit Händen zu greifen.“ Auch der Bonner Rechtswissenschaftler Klaus Ferdinand Gärditz meint: „Eine offenkundige Befangenheit nicht anzuzeigen ist unbestritten ein Dienstvergehen.“
Welche rechtlichen Grundlagen gibt es für eine Ahndung?
Da es hier um einen verbeamteten Staatssekretär geht, gilt ganz normal das Beamtenrecht des Bundes.
Rechtsprofessor Gärditz erklärt: Graichen sei Berufsbeamter der obersten Besoldungsstufe (B11 mit einem Grundgehalt von monatlich 15.074,80 Euro) und erfülle Dienstaufgaben, „für deren Rechtmäßigkeit er wie alle anderen Beamtinnen und Beamten auch persönlich verantwortlich ist“.
Die Opposition fordert ein Disziplinarverfahren. Ist das möglich?
„Ein Disziplinarverfahren kommt nur in Betracht, wenn ein Staatssekretär seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat“, sagt der Speyerer Staatsrechtler Joachim Wieland. Das könne vorsätzlich oder fahrlässig geschehen. „Wenn ein Staatssekretär nur fahrlässig gehandelt hat, wird die disziplinarrechtliche Ahndung regelmäßig milder ausfallen als bei einem vorsätzlichen Handeln“, erklärt Wieland.
Ob Graichen vielleicht sogar vorsätzlich gehandelt habe, weil er „planmäßig die Nähebeziehung durch gespielte Distanz verschleiert haben könnte“, sei allenfalls eine Frage des Sanktionsmaßes, meint auch der Bonner Beamtenrechtsexperte Gärditz.
Demnach sei Gedankenlosigkeit zumindest grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht sogar bedingter Vorsatz, also auch „schuldhaft“. Pflichtvergessenheit wäre für ein Dienstvergehen ebenfalls ausreichend.
Nach dem Bundesdisziplinargesetz (BDG) kann dann ein Verweis verhängt werden, also ein schriftlicher Tadel des Verhaltens, oder eine Geldbuße. Möglich ist aber auch die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
Wie ist das Vorgehen von Wirtschaftsminister Habeck zu bewerten?
Der Bonner Beamtenrechtsexperte Gärditz stellt klar: Liegen ausreichende Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, hat der Dienstvorgesetzte die Pflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Der Berliner Staatsrechtler Battis meint aber, am Ende würde der Staatssekretär wohl nur einen Verweis bekommen.
Für Philipp Byers, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Wirtschaftskanzlei Dentons, drängt sich der Eindruck auf, die Diskussion werde in der Politik „von allen Seiten“ am Beamtenrecht vorbei geführt. Das betreffe auch den Minister.
Byers erklärt: „Robert Habeck muss als Dienstvorgesetzter von Patrick Graichen das Disziplinarverfahren selbst führen, und zwar wertneutral und ergebnisoffen.“ Allerdings habe Habeck öffentlich bereits seine Entscheidung verkündet, dass sein Staatssekretär trotz seines Fehlers nicht gehen müsse.
„Das ist fragwürdig“, meint der Arbeitsrechtler. „Hier greifen dann offensichtlich andere Maßstäbe als bei einfachen Beamten.“ Es werde kaum der Anschein gewahrt, als werde das Verfahren ergebnisoffen geführt. Dies schließe die Prüfung aller möglichen beamtenrechtlichen Maßnahmen einschließlich der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit ein.
Was heißt es, wenn ein Staatssekretär „entlassen“ wird?
Als politischer Beamter kann Graichen jederzeit vom Bundespräsidenten auf Antrag seines Ministers mit der Begründung entlassen werden, das Vertrauen sei gestört. Staatsrechtler Battis erklärt: „Es sind schon Staatssekretäre wegen viel simplerer Dinge entlassen worden.“ Ausschlaggebend sei nicht die Schwere des Vergehens, sondern entscheidend sei, wie der politische Umgang damit ausfalle. „Wenn die Opposition besonders viel schießt, dann ist das sicher der beste Grund, um den Staatssekretär nicht zu entlassen“, betont Battis aber.
Konkret heißt „Entlassung“, bei 70 Prozent der Bezüge in den einstweiligen Ruhestand zu gehen. „In Berlin lassen sich durchaus Staatssekretäre treffen, die so entlassen wurden, nun ihre glänzenden Netzwerke nutzen und unbeschwert als Lobbyisten tätig sind“, berichtet Beamtenrechtsexperte Battis.
Die Opposition fordert Graichens Rücktritt. Gibt es das bei beamteten Staatssekretären überhaupt?
Beamtenrechtlich gibt es keine Rücktritte. „Das ist politischer Szenejargon“, sagt Rechtsprofessor Gärditz. Ein Beamter müsste einen Antrag stellen, entlassen zu werden. Dem wäre dann auch zu entsprechen. „Zwingen kann aber niemand Graichen dazu“, betont der Bonner Beamtenrechtler. Wenn er nicht freiwillig „geht“, bleibe er Beamter.
Staatsrechtler Wieland erklärt, dass es für Graichen günstiger wäre, sich in den einstweiligen Ruhestand versetzen zu lassen, als einen Antrag auf Entlassung zu stellen. Ein Beamter, der sich die Entlassung wünsche, würde zwar in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert, verliere aber seinen Anspruch auf ein Ruhegehalt.
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