„Es ist alles schlecht organisiert “ - der spanische Physiker Antonio Turiel vom staatlichen Forschungsinstitut CSIC kritisiert die Pläne zur Energiewende in Deutschland. Er wünscht sich mehr wissenschaftlichen Protest gegen das deutsche Vorgehen.
Am 15. April soll das Atomkraftwerk Emsland in Lingen endgültig abgeschaltet werden. IMAGO/osnapix© IMAGO/osnapix
Antonio Turiel blickt mit Sorge nach Deutschland. Der Experte für Klimaforschung vom Spanischen Nationalen Forschungsrat (CSIC) hält den deutschen Atomausstieg grundsätzlich für sinnvoll, weil immer weniger Uran zur Verfügung steht und die Anreicherung komplizierter wird, aber der Zeitpunkt sei ungünstig gewählt und der deutsche Energiemix insgesamt nicht nachhaltig. Überraschend findet der Spanier, dass in einem Land mit so starken Forschungsinstituten die deutsche Politik die Energiewende so schlecht organisierte.
„Deutschland hat viele Fehler gemacht“
FOCUS Online: Herr Turiel, Wie hätten Sie die Energiewende umgesetzt?
Antonio Turiel: Deutschland hat mit seiner Energiepolitik viele Fehler gemacht. Grundsätzlich ist der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland nachvollziehbar, da die Förderung von Uran in den verbleibenden Minen immer schwieriger wird - hier ist das Problem noch gravierender als bei Öl. Aber es ist alles schlecht organisiert worden.
Ist der komplette Ausstieg aus der Nuklearenergie nicht mehr rückgängig zu machen?
Ich hätte mit einem multidisziplinären Team gearbeitet und mit Simulationen und Berechnungen entschieden, was für die gesamte Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft die beste Energiewende ist. Es ist merkwürdig, dass dies in einem Land mit einem solchen wissenschaftlichen Gewicht nicht getan wurde.
„Deutschland darf keine Zeit verschwenden für falsche Entscheidungen“
Sind grüner Wasserstoff und Erneuerbare die Lösung?
Turiel: Die deutsche Bundesregierung hat in Spanien und anderen Ländern Produzenten gefunden, die für sie grünen Wasserstoff billig produzieren sollen, aber er wird nie so effizient und billig sein wie Öl. Deshalb wird mit dem Ende der Erdölvorkommen auch unser auf Wachstum basierendes Wirtschaftssystem zu Ende gehen.
Es wird bald keine Verbrenner mehr geben, weil der Treibstoff fehlen wird. Das hat nichts mit Umweltschutz zu tun, wie manche es verkaufen wollen. Und E-Fuels werden das Problem nicht lösen, weil sie in der Herstellung viel zu teuer sind. Es wird zwangsläufig weniger Autos geben. Auch der Klimawandel, der sich durch die rasante Erwärmung der Meere in schwindelerregender Geschwindigkeit und mit zunehmenden Auswirkungen (z. B. immer heftiger werdende Stürme) verschärft, wird unser wirtschaftliches Leben zwangsläufig drastisch verändern. Kein Politiker gibt das offen zu.
Deutschland darf keine Zeit damit verschwenden, noch mehr falsche Entscheidungen zu treffen. Jetzt mit Kohle die Versorgungssicherheit zu garantieren, ist genauso wenig nachvollziehbar wie erneuerbare Energien über große Entfernungen zu verteilen, was viele technische Probleme verursacht, anstatt Städte und Fabriken direkt mit grünem Strom zu versorgen ohne Umweg über das große Netz, in Eigenverbrauchsanlagen oder Ortsnetzen. Lokalwirtschaft wird auch beim Strom wichtig.
Halten Sie es für machbar, bis 2030 den Energieverbrauch in Deutschland um 26,5 % zu senken?
Turiel: Dieser Gesetzentwurf ist sehr ehrgeizig. Es macht mir Sorgen, wie viele Industrieunternehmen und Manufakturen in Deutschland derzeit wegen hoher Energiepreise bankrottgehen. Am Ende hat das auch wirtschaftliche Auswirkungen auf Spanien. Wenn Deutschland den Energiesparplan umsetzt, schätze ich, dass sein Bruttosozialprodukt um mindestens 15 Prozent sinken wird.