Bundeskanzler Olaf Scholz will, dass mehr Menschen bis zum Alter von 67 arbeiten. Acht Jahre nach Einführung der Rente mit 63 sind die Sozialdemokraten in Gestalt ihres Kanzlers also in der Wirklichkeit angekommen.
Bundeskanzler Olaf Scholz IMAGO/Jens Schicke© IMAGO/Jens Schicke
Man stelle sich vor, Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) forderte die Abschaffung der Rente mit 63. Das würde als neoliberale, geradezu unmenschliche soziale Kälte gegeißelt. In den Medien, vor allem in den öffentlich-rechtlichen – bräche ein Proteststurm los. Der soziale Zusammenhalt wäre in Gefahr – angeblich.
Nun legt ausgerechnet Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der von morgens bis abends seine soziale Gesinnung zu Markte trägt, Hand an die Rente mit 63. Nein, er will sie nicht abschaffen. Aber er beklagt ihre negativen Auswirkungen für den Arbeitsmarkt, möchte den Anteil derer steigern, „die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können". Wie er das machen will, verrät der Kanzler allerdings nicht.
Rente mit 63: Kanzler Scholz beklagt die negativen Auswirkungen
Wer diese Personengruppe dazu bewegen will, bis zum Erreichen des offiziellen Renteneintrittsalters zu arbeiten, wird ihnen etwas anbieten müssen, einen Bonus bei der Rente zum Beispiel. Das wäre dann ein politischer Treppenwitz der Sonderklasse: Erst den Arbeitnehmern einen früheren Ruhestand anbieten und sie dann mit Geld zum Bleiben veranlassen.
Die Rente mit 63 war und ist in erster Linie ein Geschenk an Facharbeiter der geburtenstarken Jahrgänge 1951 bis 1963, die gleich nach der Schule – damals noch mit 15 oder 16 Jahren – ihre Lehre begannen, sich teilweise bis zum Meister hocharbeiteten und später oft wichtige Positionen einnahmen. Dass diese Personengruppe politisch eher zur SPD neigt, war der Grund, warum die Sozialdemokraten die Rente mit 63 im Bundestagswahlkampf 2013 zu einem zentralen Thema gemacht hatten.
Die Rentenpläne der GroKo haben den Fachkräftemangel verschärft
In den anschließenden Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU über eine Neuauflage der Großen Koalition bestand die SPD auf dieser neuen Sozialleistung. Die Union wiederum machte mit, weil sie im Gegenzug eines ihrer Wahlkampfversprechen durchsetzen konnte: die Ausweitung der „Mütterente“ auf die Eltern von vor 1992 geborenen Kindern. Es war ein klassischer parteipolitischer Kompromiss – und ein sehr teurer obendrein.
Ökonomen hatten schon damals gewarnt, mit der Bevorzugung dieser Arbeitnehmergruppe werde der Fachkräftemangel verstärkt. Auch die GroKo sah das Problem, dass Deutschland die qualifizierten Arbeitnehmer auszugehen drohen. Im Koalitionsvertrag von 2013 kamen die Begriffe Fachkräfte, Fachkräftemangel, Fachkräftesicherung, Fachkräftebedarf, Fachkräftenachweis und Fachkräftebasis insgesamt 31 Mal vor. Immer mit beschwörendem Unterton, immer mit der Zusage, man werde alle Anstrengungen unternehmen, um der drohenden Lücke entgegenzuwirken. Und dann tat Schwarz-Rot mit der Rente mit 63 genau das Gegenteil.
Franz Ruland, einer der renommiertesten Rentenexperten Deutschlands, trat damals aus Ärger über die Rentenpolitik sogar aus der SPD aus. Seine Begründung: „Ich kann und will einer Partei nicht länger angehören, die gegen den Rat aller Sachverständigen mit ihrer Rentenpolitik in verantwortungsloser Weise eine Klientelpolitik betreibt.“
Acht Jahre nach Einführung der Rente mit 63 ist SPD in der Wirklichkeit angekommen
Sehen wir das Ganze also positiv. Acht Jahre nach Einführung der Rente mit 63 sind die Sozialdemokraten in Gestalt ihres Kanzlers in der Wirklichkeit angekommen. Nun ist es zu begrüßen, wenn Politiker nicht davor zurückschrecken, ihre eigenen Fehler einzugestehen und nach der Möglichkeit einer Korrektur suchen. Besser spät, als nie!
Bei der SPD häufen sich jedoch die Fälle, in denen die Partei ihre eigene Politik abwickelt. Was einst ganz wichtig und sehr richtig war, gilt plötzlich nicht mehr. Die SPD macht gerade Schlussverkauf. Ob Hartz IV, Rente mit 63 oder die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeführte Fallpauschale – „alles muss raus“. Fehlt eigentlich nur noch, dass die SPD auch von der Forderung nach höheren Steuern für „Reiche“ abrückt. Getreu dem Adenauer-Motto, „Es kann mich niemand hindern, über Nacht klüger zu werden.“