es gibt eine Menge Dinge, die wir Deutschen draufhaben, aber eines können wir besonders gut: uns fürchten. Die "German Angst" hat es sogar in den englischen Sprachgebrauch geschafft und bezeichnet unseren Hang, stets das Schlimmste anzunehmen, die Welt fortwährend am Abgrund zu wähnen und dabei die Chancen zur Veränderung zu übersehen. Wer stets in Sack und Asche umherschlurft, wittert in jeder Wolke eine Vorbotin des Jüngsten Gerichts. So war es während der Corona-Pandemie, als sich viele Europäer über die Kollektivpanik der Deutschen wunderten. So war es nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, als hierzulande viele Leute mit dem unmittelbar bevorstehenden Ausbruch des Dritten Weltkriegs rechneten und schon mal die Koffer für den Umzug in die Toskana vom Dachboden holten. Und so ist es seit Jahrzehnten auch im Umgang mit der zivilen Nutzung der Atomkraft.
Sicher, so ein Meiler mit seiner Betonkugel und dem riesigen Kühlturm ist kein schöner Anblick. Aber nur hierzulande wird er mit dem drohenden Armageddon gleichgesetzt. Eine Wahrnehmung, die nicht durch Fakten, sondern ausschließlich durch Mutmaßungen und Meinungen gedeckt wird. Sie hat viel mit der Anti-Atombewegung und deren quasireligiösen Erweckungserlebnissen in Tschernobyl, Wackersdorf und Gorleben zu tun. Die Jugendbibel dieser Menschen war Gudrun Pausewangs Bestseller "Die Wolke". Ein ganzes Milieu speist seine Identifikation aus dem jahrelangen Kampf gegen AKW und aus der Angst, ein gravierender Störfall könne alles vernichten, was hierzulande kreucht und fleucht. Dieses Milieu findet sich ebenso in gentrifizierten Quartieren von Großstädten wie Berlin, Frankfurt und Köln als auch auf dem idyllischen Land als auch in der zweitgrößten Regierungspartei: Der Einfluss des atomfeindlichen Jürgen-Trittin-Blocks bei den Grünen ist nach wie vor kaum zu überschätzen. Gegen diese Heile-Welt-Ideologen zieht auch ein Bundesminister wie Robert Habeck stets den Kürzeren.
Dabei ist die Verteufelung der zivilen Kernkraft kreuzdumm. Bei Lichte betrachtet sprechen sämtliche Fakten gegen den deutschen Alleingang beim Atomausstieg:
- Deutsche AKW-Technologie war weltweit führend – kein Vergleich zum Unglücksmeiler in Tschernobyl.
- Deutsche AKW standen auch nicht an tsunami-anfälligen Küsten wie in Japan.
- Hätten die Betreiber ihre Technologie weiterentwickeln können, hätte diese sich zum Exportschlager mausern können. Afrikanische Länder müssten nicht chinesische Ruckzuck-Meiler mit Rissen im Beton kaufen.
- Unsere Nachbarländer setzen weiter fröhlich auf Atomkraft, der deutsche Ausstieg macht die Lage hierzulande also keinen Deut sicherer.
- Atomstrom ist – anders als Wind- und Solarenergie – konstant vorhanden und lässt sich exakt in der benötigten Menge produzieren.
- Finnland macht uns vor, dass sich sogar das Endlagerproblem lösen lässt. Über die deutschen Befindlichkeiten schüttelt man dort den Kopf.
Das stichhaltigste Argument: Atomstrom ist im Vergleich zu Kohle und Gas viel klimaschonender. Kein Wunder, dass Wissenschaftler quasi einhellig beteuern: Atomkraft ist angesichts der Katastrophe, in die wir gerade schlittern, die sehr viel sinnvollere Lösung. Mit Betonung auf dem sehr. Vielseitige Studien, die dieser Tage auch auf der Weltklimakonferenz in Ägypten herumgereicht werden, belegen zwei nüchterne Erkenntnisse:
Es ist erstens vollkommen illusorisch, dass die Staaten der Welt mit ihren derzeitigen Klimaschutzbemühungen das 1,5-Grad-Ziel erreichen werden. Stattdessen wird sich die Atmosphäre vermutlich um mindestens drei Grad erhitzen – mit brutalen Folgen für Abermillionen Menschen.
Es ist zweitens ausgeschlossen, dass erneuerbare Energie so schnell in so ausreichender Menge verfügbar sein wird, dass sie den benötigten Verbrauch in Industrieländern wie Deutschland rechtzeitig decken kann. Man muss das so deutlich hinschreiben, weil das grüne Talkshow-Geschwätz dieses Faktum fortwährend verschleiert: Die Erneuerbaren allein werden uns nicht vor dem Klimakollaps retten. Bis Windräder, Solaranlagen und vor allem Netze in ausreichender Zahl und Anbindung errichtet sind, werden eher 20 als 5 Jahre vergehen. Dann ist zwar Olaf Scholz vermutlich nicht mehr Kanzler und muss sich nicht mehr von Wählern zur Rechenschaft ziehen lassen. Aber dann ist es eben auch zu spät. Bis uns die ersten Kipppunkte des Weltklimas ereilen, dauert es den akribischen Berechnungen der globalen Forschergemeinde zufolge im optimistischen Fall wohl noch acht Jahre. Eher aber geht es schneller.
Deshalb ist es eine historische Dummheit, dass die deutsche Regierung stur am Atomausstieg-Irrglauben festhält und den letzten drei verbliebenen Meilern nur eine winzige Laufzeitverlängerung bis zum 15. April gestattet. So werden es die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP heute im Bundestag beschließen. Das heißt, die FDP will es eigentlich nicht, weil man da weniger religiös unterwegs ist, aber sie beugt sich halt dem grünen Dogma, weil sonst die Koalition auseinanderfliegt. 70 Minuten sind für die Debatte angesetzt, in der die Opposition ein bisschen schimpfen und die Ampelleute ein bisschen zurückgiften dürfen, dann werden die Parlamentarier der Regierungsparteien Ja und Amen sagen, und anschließend geht das Business as usual weiter. Aber vermutlich wird niemand die Frage stellen, warum wir nicht endlich alles daransetzen, mit dem deutschen Erfindergeist die modernste und sicherste Kernenergietechnologie weltweit zu entwickeln. Sondern stattdessen Kohlekraftwerke wieder hochfahren, Erdgasterminals im Senegal bauen und dem Anti-AKW-Götzen huldigen.
Manchmal hat man den Eindruck: Wir haben den Schuss echt nicht gehört. Es geht uns wohl immer noch zu gut.