Wieder China, wieder eine Übernahme in Deutschland, offenbar wieder ein Ja aus Berlin: Vergangene Woche gab es in Deutschland einen Aufschrei, als das «Handelsblatt», einen Tag nach dem Einstieg Chinas in den Hamburger Hafen, berichtete, dass das Wirtschaftsministerium den Verkauf einer deutschen Chipfabrik genehmigen wolle.
Laut dem Bericht ist der Verfassungsschutz gegen den Verkauf, weil China mit solchen Käufen Abhängigkeiten erzeugen und ein Druckmittel gegen Deutschland erhalten könne.
Auf dem Papier will die Dortmunder Firma Elmos ihre Produktion an Silex aus Schweden verkaufen. Doch Silex gehört zu 100 Prozent der Firma Sai Microelectronics aus Peking. Das deutsche Wirtschaftsministerium argumentiert offenbar, dass die Chipfabrik von Elmos veraltete Technologie nutze, so dass Deutschland durch den Verkauf kein Verlust wertvoller Technologie drohe.
Halbleiter-Experten wie Jan-Peter Kleinhans von der Berliner Stiftung Neue Verantwortung oder Frank Bösenberg, der Geschäftsführer von Deutschlands grösstem Chip-Cluster, Silicon Saxony, argumentierten genauso.
Die Geschichte von Yang Yunchun und seinen Firmen zeigt exemplarisch, wie China über technologische Unabhängigkeit zur Supermacht werden will. Sie illustriert, wie der Parteistaat systematisch Schwachstellen identifiziert und diese mit Mehrjahresplänen, strategischen Investitionen und Firmenkäufen beheben will.
Geist der Militäruniversität verinnerlicht
Yang Yunchun studierte an der Harbin-Universität für Schiffsbau-Ingenieurwesen. Die Universität geht zurück auf ein Institut der Volksbefreiungsarmee; heute zählt sie zu Chinas sieben wichtigsten Hochschulen für Militärforschung. 2017 sagte Yang einer chinesischen Fachpublikation, er habe den «Geist des Harbiner Militäringenieurinstituts» für immer verinnerlicht.
Wie viele chinesische Wissenschafter ging Yang zur Promotion in die USA. In Kalifornien forschte er in einem Programm der US-Regierung für autonomes Fahren. Anfang der 2000er Jahre kehrte er im Rahmen der chinesischen «Tausend Talente»-Initiative zurück in seine Heimat.
2008 gründete er die Firma NAV Technology. Sie arbeitete unter dem Dach des nationalen Hightech-Förderprogramms 863, etwa im Bereich autonomes Fahren des Google-Pendants Baidu sowie an der chinesischen GPS-Alternative Beidou.
NAV Technology verkaufte zunächst Navigationstechnik für Satelliten und Flugzeuge. Viele Kunden waren aus der Rüstungsbranche. Ein Radarsystem etwa war laut dem Fachportal «Defense News» offenbar für den chinesisch-pakistanischen Kampfjet JF-17 gedacht. Auf seiner Firmen-Website sagte Yang zu dieser Zeit, er wolle Chinas Armee «stark machen, um dem Land zu dienen».
Schwedischer Hersteller über Fondskonstrukt gekauft
Im Jahr 2015 kaufte Yangs Firma NAV über Umwege den schwedischen Chiphersteller Silex Microsystems. Ein chinesischer Staatsfonds für die Halbleiterindustrie, bekannt als «Grosser Fonds» und rund 50 Milliarden Schweizerfranken schwer, gründete zunächst einen neuen Fonds. Dieser kaufte über einen Hongkonger Fonds Silex. Dann kaufte NAV, das gerade in Shenzhen an die Börse gegangen war, den Hongkonger Fonds – und eignete sich so einen Goldesel an.
Chipmesse in Schanghai. Die chinesische Regierung fördert diesen Industriezweig massiv. Aly Song / Reuters© Bereitgestellt von Neue Zürcher Zeitung Deutschland
Silex stellt Mems-Halbleiter her, das steht für «microelectromechanical systems», auf Deutsch auch «Mikrosysteme» genannt. Mit den Chips werden winzige Sensoren und Motoren betrieben, teilweise kleiner als ein Millimeter. Sie stecken etwa in Handys und messen Bewegungen oder steuern Mikrofone. Es ist ein kleiner, aber zunehmend wichtiger Markt.
Silex-Chips werden nach Firmenangaben etwa in den Bereichen Kommunikation, Biomedizin und Heimelektronik eingesetzt; von militärischen Kunden ist keine Rede. Theoretisch sind laut einem Silex-Insider, der anonym bleiben will, auch «alle möglichen militärischen Anwendungen» denkbar, etwa winzige unbemannte Fahr- und Flugzeuge.
Die chinesische Regierung setzt im laufenden Fünfjahrsplan gezielt auf Spezialchips wie Mems. Damit will sie früh Nischen mit Zukunftspotenzial dominieren, zumal sie den technologischen Rückstand bei Massenchips etwa für 5G und künstliche Intelligenz nicht schnell aufholen kann.
Deshalb subventioniert Peking Firmen wie NAV, das mittlerweile Sai Microelectronics heisst, massiv. Der «Grosse Fonds» zahlte laut einer Aussage Yangs aus dem Jahr 2017 2 Milliarden Renminbi, gut 270 Millionen Schweizerfranken. Ein wichtiger Teil davon ging in eine neue Chip-Fabrik in Peking. Heute ist der Fonds nach Yang der zweitgrösste Eigentümer, er hält 12 Prozent. Auch der drittgrösste Eigner gehört dem Staat.
Sai wies in den vergangenen Jahren neben branchenüblichen Subventionen Zusatzzahlungen aus, die einem Grossteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung entsprechen. Der erwähnte Insider sagt: «Wenn Sie vom chinesischen Staat für Halbleiter Geld wollen, dann bekommen Sie, was Sie wollen, ohne Limit.» Förderanträge seien zwar nötig, aber nur Show.
Die deutsche Elmos produziert Chips für Autos und Displays
Dank der chinesischen Regierung haben sich die grossen Ambitionen des schwedischen Gründers von Silex erfüllt. Dieser sagte einmal, Silex solle das TSMC für Mems-Chips werden. TSMC aus Taiwan ist der weltgrösste Auftragsfertiger für Massenchips, wie sie etwa in Smartphones, Gaming-Laptops und Autos stecken.
Möglich wurde das, weil immer mehr Chipanbieter ihre Fertigung lieber auslagerten, statt stetig mehr in Produktionstechnologie zu investieren. Auch Silex hat mittlerweile Konkurrenten wie die in Genf domizilierte ST Microelectronics überholt – und ist weltgrösster Auftragsfertiger für Mems-Chips.
Der Kauf der Chipfertigung von Elmos soll diese Position stärken. Die Firma aus Nordrhein-Westfalen produziert zu fast 90 Prozent spezielle Chips für die Autoindustrie, etwa für Airbags, Bremsen und Displays. Sie tut das auf recht alter Technologie. Die Chips haben eine sogenannte Strukturgrösse von 350 Nanometern. Elmos will deshalb vermehrt bei Auftragsfertigern wie Samsung einkaufen, die mit Strukturgrössen von 130 Nanometern und kleiner produzieren.
Trennung von Rüstungsindustrie nicht eindeutig vollzogen
Sai hingegen sieht in der Dortmunder Chipfertigung viel Potenzial. Sie wolle diese für 85 Millionen Euro kaufen, weil sie optimistisch sei, was den «riesigen Entwicklungsspielraum» für Automobilchips angehe, sagte ein Vorstandsmitglied im September zu Investoren in China. Für Mems-Chips wäre die 350-Nanometer-Technologie zudem nicht veraltet, wie der Berliner Halbleiter-Experte Jan-Peter Kleinhans sagt.
Eigentlich will Sai nicht nur in Schweden bei Silex und künftig in Dortmund produzieren, sondern auch daheim in Peking im grossen Stil. Dazu wollte Sai die Technologie und die Prozesse aus den beiden Werken in Schweden nach China transferieren.
Die schwedische Behörde für Exportkontrolle verhinderte diese Ausfuhr von Dual-use-Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Daraufhin verkaufte Sai sein älteres Navigationsgeschäft mit den vielen Rüstungskunden.
Doch hat sich Sai wirklich komplett von seinem Stammgeschäft getrennt? Der alleinige Käufer ist eine staatliche Beteiligungsgesellschaft aus der Heimatstadt des Firmengründers Yang Yunchun. Eine Lokalzeitung bezeichnete Yang in einem Artikel im September weiterhin als CEO der Navigationsfirma. Diese gehört durch den Verkauf nicht mehr zu einem börsennotierten Unternehmen und muss deshalb keine Geschäftsinformationen mehr veröffentlichen.
Ein Manager ganz auf der Linie des Parteichefs Xi Jinping
Yang Yunchun ist nicht nur in seiner ostchinesischen Heimatprovinz Shandong eine Grösse, sondern auch in Peking, wo er Vorsitzender eines Technologieparks ist. 2020 wurde er als einer von Hunderten «Modellarbeitern» ausgezeichnet. Im April dieses Jahres, zwei Monate nach Beginn von Russlands Invasion der Ukraine, wurde Yang zum Mitglied des neuen China-Zentrums der Russischen Akademie der Ingenieurwissenschaften ernannt. Die beiden Länder vereinbarten 2020 eine vertiefte Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie, die nun Form annimmt.
Yang ist zudem wenig überraschend Mitglied der Kommunistischen Partei. «Können Sie ein solches Unternehmen leiten, gerade in der Halbleiterbranche, wenn Sie nicht in der Partei sind?», fragt der erwähnte Insider rhetorisch. «Das ist unmöglich.»
Überraschender ist, dass Yang und weitere Mitglieder der firmeninternen Parteisektion auf Fotos auf der Sai-Website zu sehen sind, die zeigen, wie sie den jüngsten Kongress im Fernsehen verfolgen.
Am Parteikongress baute Partei- und Staatschef Xi Jinping seine absolute Macht weiter aus, bekräftigte Chinas Streben nach technologischer Unabhängigkeit und erneuerte Drohungen gegen Taiwan. Auf der Firmenwebsite sagte Yang, er werde dafür sorgen, dass sein Unternehmen und alle Manager ihre «Gedanken und Taten» im Geiste des Parteikongresses vereinheitlichten.
Sai wollte NZZ-Fragen mit Verweis auf das laufende Prüfverfahren in Deutschland nicht beantworten. Laut jüngeren Medienberichten hat das Wirtschaftsministerium doch noch nicht abschliessend entschieden.
Es sind insgesamt heikle Tage für das deutsch-chinesische Verhältnis; am Freitag besucht Bundeskanzler Olaf Scholz trotz viel Kritik Xi in China. Nicht ausgeschlossen, dass es dabei auch um Pekings Chip-Champion Sai geht – und um eine kleine Chipfabrik in Dortmund.