Ein alter Vertrag schützt Energiekonzerne vor staatlichen Eingriffen – jetzt treten immer mehr EU-Staaten aus, weil sie die Energiewende nicht bremsen wollen.
Die Energiecharta kostet Staaten viel Geld, wenn sie aus Kohle, Öl oder Gas aussteigen wollen. Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt
Seit rund zwei Wochen steht die Entscheidung Frankreichs, aus der Energiecharta auszutreten. Der Investitionsschutzvertrag bremst laut Klimaschützern die Energiewende, in dem er unter anderem den Umstieg auf Wind- und Solarstrom teuer und kompliziert macht.
Die französische Regierung wandte sich an Berlin und wollte bei einem gemeinsamen Auftritt von Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz die Entscheidung zum Austritt verkünden. Doch die Bundesregierung war noch nicht so weit.
Die Franzosen fühlten sich hingehalten. „Wir haben auf die Deutschen gewartet, aber es wurde immer alberner, die Verkündung der Entscheidung hinauszuzögern“, sagte der Macron-Vertraute Pascal Canfin dem Handelsblatt. Canfin ist der Vorsitzende des Umweltausschusses im Europaparlament.
Es ist ein weiterer Beleg für das derzeit sehr kühle Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich, nachdem ein Ministertreffen in Paris von Deutschland kurzfristig abgesagt worden ist und Macron in der europäischen Energiepolitik Alleingänge der Bundesregierung kritisiert hat. Dabei ist es nicht nur Macron, der Druck auf die Bundesregierung macht.
Auch die Vorsitzende des Binnenmarkt-Ausschusses, Anna Cavazzini (Grüne), hat eine klare Meinung und engagiert sich schon länger gegen die Energiecharta: „Das ist ein Knebelvertrag, der uns daran hindert, die Energiewende zu beschleunigen“, sagt sie.
Energiekonzerne klagen gern aufgrund der Charta
Die Energiecharta ist ein Investitionsschutzvertrag von 1994, auf den sich damals 52 Staaten einigten. Der Sinn war, in osteuropäischen und zentralasiatischen Staaten Kraftwerke und Stromnetze aufzubauen und die Rohstoffe dort abzubauen. Die Charta sichert Energiekonzernen Entschädigung zu, sollten ihre Investitionen durch willkürliche staatliche Entscheidungen wie Enteignungen an Wert verlieren.
Solche Bestimmungen gibt es auch in Handelsverträgen wie Ceta. In der Energiecharta können diese Entschädigungen aber vor privat betriebenen Schiedsgerichten eingeklagt werden, die von Klimaschützern als intransparent kritisiert werden und bei denen die Unabhängigkeit der Richter schwer zu gewährleisten ist.
Darum verklagen Energiekonzerne auch etablierte Rechtsstaaten lieber auf Grundlage der Energiecharta als vor ordentlichen Gerichten. 68 Klagen von EU-Unternehmen gegen EU-Staaten gibt es bislang.
Um nicht noch öfter verklagt zu werden, hat Deutschland beim Atom- und beim Kohleausstieg den Energiekonzernen große Entschädigungssummen zugesagt. In den Niederlanden, wo die Beträge niedriger waren, klagt RWE gerade gegen die Regierung.
Wenn künftig auch Öl und Gas keine Rolle mehr in der Energieversorgung spielen sollen, drohen die nächsten Klagen. Auch die aktuell geplanten Eingriffe in den Strommarkt und die Solidaritätsabgabe für Energiekonzerne mit hohen Zufallsgewinnen könnten noch ein Nachspiel vor Schiedsgerichten haben.
Die EU will die Charta modernisieren
Um künftig nicht mehr auf diese Weise verklagt zu werden, hat Italien sich schon vor einigen Jahren von dem Vertrag losgesagt. Kürzlich folgten Polen, die Niederlande, Spanien und am vergangenen Freitag Frankreich.
Aus der Bundesregierung heißt es dazu bisher nur, die Willensbildung sei noch nicht abgeschlossen. „Wir brauchen bald ein Signal aus Berlin“, sagt der SPD-Politiker Lange.
Der Rückzug müsste bis zum 22. November beschlossen sein. Dann treffen sich die Vertragsparteien in der Mongolei, um eine Reform der Charta zu besiegeln.
Die Reform soll das Abkommen modernisieren. Die EU-Kommission konnte sich in zähen Verhandlungen mit vielen ihrer Positionen durchsetzen: Die Schiedsgerichte sollen höheren Anforderungen genügen, das Prinzip der Nachhaltigkeit wird erwähnt, und es gibt ein „Recht auf Regulierung“. Das soll verhindern, dass praktisch jede staatliche Entscheidung, durch die Konzerngewinne verloren gehen, ein Klagegrund sein kann.
Die Reform im Sommer dieses Jahres wirkte wie ein großer Erfolg der Klimabewegung. Doch den Kritikern reicht das nicht. „Wir haben uns die Reformvorschläge genau angesehen und sind zu dem Schluss gekommen, dass ein Rückzug deutlich mehr Vorteile hat“, sagt Grünen-Parteimitglied Cavazzini.
Die Charta bleibt auch nach der Reform ein Problem
Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass Investitionen in fossile Energien künftig zwar nicht mehr geschützt sein sollen. Doch das ist erst dann der Fall, wenn drei Viertel der Staaten die Änderungen ratifiziert haben. Wer bis dahin ein neues Gaskraftwerk baut, profitiert noch vom Schutz des Vertrags. Bei der letzten Vertragsänderung dauerte die Ratifizierung zwölf Jahre.
Selbst wenn Deutschland nun den Vertrag kündigen sollte, kann es weiterhin verklagt werden: Eine Übergangsfrist schützt Investitionen bis zu 20 Jahre nach Austritt. Aber zumindest würde das nicht mehr für Investitionen gelten, die erst nach dem Austritt getätigt werden.
Für Energieunternehmen wäre der Ausstieg eine schlechte Nachricht – und zwar nicht nur für Unternehmen, die im fossilen Sektor tätig sind. In den kommenden Jahren sind riesige Investitionen notwendig, um die Energieversorgung auf saubere Technologien umzustellen.
Der Vertrag sei wichtig für die erwartete Welle grüner Investments, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission. Und nach der Reform sei die Charta im Einklang mit der Energiewende.
Die Windparks, Solarkraftwerke und Wasserstoffelektrolyseure für diese Energiewende sollen nicht nur in der EU entstehen. Außerhalb Europas sind die Produktionsbedingungen oft besser, die Investitionssicherheit aber nicht. Der Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag könnte dieses Problem verschärfen.
Die Unfähigkeit der Bundesregierung ist kaum zu übertreffen. Die Regierung gehört abgesetzt und verhaftet.
Noch zwei Jahre so weiter und Deutschland ist im Arsch!!