Die Chance des Scheiterns nutzen? Die Regierung von Olaf Scholz ist am Ende© Bereitgestellt von Berliner Zeitung
Kanzler Olaf Scholz will den Einstieg Chinas beim Hamburger Hafen gegen das Nein seiner Fachministerien durchsetzen – Scholz als Alleingänger. Kurz davor musste er ein Machtwort im Streit um die Atomkraftwerke sprechen, musste per Richtlinienkompetenz die verzankten Koalitionäre Robert Habeck und Christian Lindner wieder in die Spur setzen. Musste sie daran erinnern, dass sie keine Gegner sind, sondern Regierungspartner.
Regieren ist immer auch Konflikt, aber diese Regierung wirkt inzwischen wie ein schwer verzankter Haufen, bei dem die Opposition arbeitslos wird.
Mit seinem Atom-Machtwort wollte der stille Herr Scholz die Dreierkoalition nicht weiter abstürzen lassen, die ihm im Vorjahr doch recht überraschend die Kanzlerschaft ermöglicht hatte. Nun hat Scholz nicht mehr allzu viel Drohpotenzial. Machtworte nutzen sich ab. Mal sehen, wie weit der China-Streit eskaliert.
Denn die Grundidee einer Dreierkonstellation ist gut: Demokratie lebt von der Vielfalt der Angebote, nicht nur auf dem Wahlzettel, sondern auch in der Regierung. Nach den bleiernen Jahren der großkoalitionären Langeweile ist das Dreierbündnis ein Experiment, das das Zeug hat, den politischen Horizont zu erweitern. Endlich weg vom Blockdenken in Rechts und Links, weg vom ständigen kleinteiligen Gegeneinander, hin zum offenen Diskurs über Konzepte und zum Versuch der Fusion von Ideen. Denn die drei bilden doch ein breites Spektrum ab: Da ist eine Wirtschaftspartei, da ist eine Ökopartei und da ist eine Partei, die wieder für soziale Gerechtigkeit stehen will.
Doch das Ganze stand unter keinem guten Stern. Zwar startete das Experiment in der aus heutiger Sicht doch recht sorgenfreien Vorkriegszeit. Aber auch vor Russlands Angriff auf die Ukraine stand die Regierung vor mehr Problemen als jede davor: Hyperkapitalismus, Globalisierung, Klimakrise, Pandemie.
Mit dem Krieg kamen zur Mietenkrise in Deutschland die Energiekrise und die Angst vor dem wirtschaftlichen Desaster, vor einem Atomkrieg und vor Hunger im eigenen Land.
Nun muss die Regierung endlich aufhören, ihre parteipolitischen Schaukämpfe auszuwalzen, die vor allem fürs eigene Parteivolk aufgeführt werden, die aber beim Wahlvolk immer öfter nur noch Kopfschütteln hervorrufen. Die Lage ist ernst. Wenn die Parteien aber die Lage nicht wirklich ernst nehmen, wird das Wahlvolk auch irgendwann die Regierung nicht mehr ernst nehmen.
Dann werden die Wähler nicht gleich scharenweise in die Lager der Extremisten überlaufen. Die einen werden wütend demonstrieren, die anderen sich enttäuscht abwenden. Aus bisherigen Anhängern der Demokratie werden stumme Nichtwähler, die nicht mehr erreichbar für die Parteien sind. Und das könnte es extremistischen Parteien irgendwann leichter machen, Mehrheiten zu gewinnen.