Aus dem Wirtschaftsministerium gibt es einen Vorschlag, wie mit krisenbedingten Extra-Gewinnen der Energieerzeuger umgegangen werden soll. Das Papier birgt Konfliktpotenzial.
Monteure arbeiten in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) auf einem Strommast an neuen Leitungen.© Foto: Carsten Rehder
Die Bundesregierung plant ersten Überlegungen zufolge, die krisenbedingt hohen Gewinne vieler Stromerzeuger rückwirkend abzuschöpfen und will 90 Prozent der „Zufallsgewinne“ einziehen.
Dies geht aus einem aktuellen Konzeptpapier mit dem Titel „Strompreisbremse“ hervor, das Tagesspiegel Background vorliegt und das mehreren Insidern zufolge aus dem Bundeswirtschaftsministerium stammt.
Als Ziel wird ausgegeben: „Abschöpfung von 90 Prozent der Zufallsgewinne“, „Abschöpfung an Spot- und Terminmarkt“ sowie „Abschöpfung anhand spezifischer Erlösobergrenzen (Treppenansatz)“.
Klar soll aber auch sein: „Keine Eingriffe in den Strommarkt, die Preisbildung und den grenzüberschreitenden Handel.“ Die sogenannte Merit-Order-Reihung am Strommarkt solle sich nicht ändern, unter anderem, so wird später ausgeführt, weil Gas-Mehrverbrauch ausgeschlossen werden müsse. Das Merit-Order-Prinzip bestimmt, vereinfacht gesagt, dass sich der Strompreis nach dem teuersten Erzeuger richtet; aktuell sind das die sündhaft teuren Gaskraftwerke. Das treibt den Strompreis in die Höhe.
Erneuerbare Energien, Braunkohle, Kernenergie und Ölkraftwerke betroffen
Welche Kraftwerksarten sind den Überlegungen zufolge betroffen? Hier listet das Papier auf: Geförderte und ungeförderte erneuerbare Energien, Braunkohle, Kernkraft, Ölkraftwerke und auch Anlagen, die mit Grubengas und Abfall betrieben werden.
Den vorläufigen Charakter des Papiers macht dann der folgende Satz noch einmal deutlich:
„Diskussionsvorschlag: Speicher, Steinkohle, Erdgas und Biomethan werden nicht abgeschöpft.“ Später wird erläutert, Steinkohle und Gas hätten dicht beieinanderliegende variable Kosten, deshalb müsse darüber als „Pärchen“ entschieden werden.
In einem Schaubild ist das grundsätzliche Vorgehen erläutert. Für jede Technologie werden „Referenzkosten“ identifiziert.
Grundsätzlich sollen sie die variablen Kosten und den Deckungsbeitrag zu den Fixkosten beinhalten. Bei Erneuerbaren-Anlagen sollen als Gesamtkosten die geltenden Fördersätze gelten. Bei Braunkohle soll es einen Fixkosten-Deckungsbeitrag nach Gesetzeslage geben, der variable Betriebs- und auch die CO2-Kosten enthalte.
Für vier weitere Kraftwerkstypen werden konkrete Referenzkosten pro Kilowattstunde genannt: Zehn Cent für Wind-Offshore bei den Null-Cent-Gebots-Windparks ohne Fördersatz, vier Cent für Kernkraftwerke, 15 Cent für Abfall und zehn Cent für weitere „Altanlagen“.
Auf die Referenzkosten wird anschließend ein „Sicherheitszuschlag“ von drei Cent pro kWh addiert. Vom Resterlös schließlich sollen die genannten 90 Prozent als Übergewinn eingezogen werden.
Terminmarktabschöpfung ist besonders harte Nuss
Vor besondere Herausforderungen gestellt sehen sich die Autoren des Papiers am Terminmarkt, also bei langfristigen Stromabnahmeverträgen. Es sei wichtig, diese Geschäfte zu berücksichtigen, da es sonst Fluchtbewegungen geben könne, zudem weil „Terminverträge die Strompreise von morgen bestimmen“ und die Berücksichtigung auch von der entsprechenden EU-Verordnung vorgegeben sei.
Für die Langfrist-Märkte wird ein „Benchmarktansatz“ vorgeschlagen, bei dem grundsätzlich ein weiterer Cent pro kWh als „Sicherheitszuschlag Termin“ weniger abgeschöpft wird. Grundlage der Abschöpfung: Die Hedging-Strategie solle quartalsweise von den Marktteilnehmern gemeldet werden.
Den Anreiz dafür schaffe, ansonsten pauschal abgerechnet zu werden, was eine Schlechterstellung bedeute. Auf Basis der dargelegten tatsächlichen Einnahmen wird dem Plan zufolge dann die Abschöpfung berechnet. Gegen „Zuvielabschöpfung“ könne eine Einzelfallprüfung eingesetzt werden, bei der man dann aber auf den Sicherheitszuschlag verzichten müsse.
Das Konzeptpapier schränkt beim Terminmarkt ein: „Vereinfachte Abrechnung sehr komplexer Realität, Ungenauigkeiten nicht vermeidbar, aber begrenzbar“, heißt es zum Beispiel. Und weiter: „Ziel kann nicht perfekte Abschöpfung sein“, man werde „Zufallsgewinne liegen lassen“.
BDEW: Vertrauen in den Investitionsstandort in Gefahr
Das Papier beschäftigt sich auch kurz mit der „Entlastungsseite“, bei der man sich soweit „möglich und sinnvoll“ an den Vorschlägen der Gaspreiskommission orientieren möchte. Grundkontingente sollen auf Basis des historischen Verbrauchs rabattiert werden. Basis solle eine Jahresverbrauchsprognose der Verteilnetzbetreiber sein.
Die Abwicklung der Auszahlung müssten die Stromvertriebe übernehmen. Einsparsignale sollten „weiterhin ankommen“, heißt es kurz. Mit den Einnahmen aus der Abschöpfung soll auch die Stabilisierung der Übertragungsnetzentgelte (Background berichtete) bezahlt werden. Lücken zwischen Ausgaben und Einnahmen aus dem Modell sollen zwischenzeitlich durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) gedeckt werden.
Auf Tagesspiegel Background-Anfrage äußerte sich gestern Abend die Hautgeschäftsführerin des Energieverbands BDEW zu dem Papier.
Kerstin Andreae reagierte im Gespräch alarmiert: „Aus Sicht des BDEW ist insbesondere eine rückwirkende Regelung hochproblematisch. Dieser Bruch würde das Vertrauen in den Investitionsstandort Deutschland tatsächlich nachhaltig gefährden.“
Bezüglich der Abwicklung sagte sie zu den diskutierten Vorschlägen: „Das ist ein deutlich zu komplizierter und bürokratischer Ansatz, der mit der Losung, das Vorhaben möglichst einfach zu gestalten, nichts zu tun hat.“
Tagesspiegel Background liegen zudem Informationen über den ins Auge gefassten Zeitplan vor. So hieß es mehrfach, die Gesamtlösung für Strom- und Gaspreisbremse solle am 18. November ins Kabinett und in der Woche darauf in die erste Bundestagslesung.
Am 28. November könnte die öffentliche Anhörung stattfinden, und am 1. und 2. Dezember die zweite und dritte Lesung. Der Bundesrat solle am 16. Dezember abstimmen. Hier tut sich allerdings bereits ein Widerspruch zum Konzeptpapier auf, dass die Einführung der Terminmarktabschöpfung Anfang Dezember nicht als rückwirkend einstuft.