Inflation und steigende Energiepreise: Die Ampel-Koalition will die Bürgerinnen und Bürger weiter entlasten. Worüber wird gestritten und wo zeichnet sich ein Konsens ab?
© Kay Nietfeld/dpaEntlasten, aber wen und wie viel? Darüber müssen sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, links), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, Mitte) und Finanzminister Christian Lindner (FDP, rechts) noch einigen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnt vor einem "Verzweiflungswinter", Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller fürchtet gar einen "Wutwinter", in dem Extremisten den Frust der Menschen über steigende Preise für ihre Zwecke nutzen könnten. Der Deutsche Mieterbund wiederum hält es für möglich, dass mindestens das untere Einkommensdrittel der Bevölkerung die hohen Energiekosten nicht werde zahlen können. Auch den Ampelfraktionen ist klar: Bei dem, was an Entlastungen bereits beschlossen wurde, kann es nicht bleiben. Trotzdem haben sie ganz unterschiedliche Ansätze dafür, wer wie entlastet werden soll. Die wichtigsten Antworten:
Mit welchen Mehrkosten müssen Bürgerinnen und Bürger rechnen?
Wie wirken sich die bisherigen Entlastungspakete aus?
Die Bundesregierung hat in diesem Jahr bereits zwei Entlastungspakete mit einem Gesamtumfang von rund 30 Milliarden Euro beschlossen. Noch sind nicht alle Maßnahmen in Kraft getreten, so wird etwa die einmalige Energiepauschale von 300 Euro je Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin erst im September ausgezahlt. Insgesamt geht das IMK jedoch von einer erheblichen Entlastung aus: Bei Familien mit zwei Erwerbstätigen und geringem Einkommen würden immerhin 64 Prozent der Zusatzkosten durch gestiegene Lebensmittel- und Energiepreise kompensiert, bei mittlerem Einkommen sind es immerhin noch 54 Prozent. Schlechter sieht es aus bei einer vierköpfigen Familie mit nur einem Erwerbstätigen, da liegt die Entlastung nur bei 44 Prozent. Bei Menschen in der Grundsicherung beträgt die Entlastung dagegen rund 90 Prozent, nur geringfügig entlastet wurden laut IMK allerdings Rentnerinnen und Rentner mit geringem Einkommen, sofern sie keinen Heizkostenzuschuss bekommen oder Grundsicherung beziehen.
Worüber streitet die Ampel?
Umstritten ist vor allem die Forderung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die kalte Progression abzuschaffen. Der Begriff kalte Progression bezeichnet den Effekt, dass jemand durch eine Lohnerhöhung, die lediglich die Inflation ausgleicht, in einen höheren Steuertarif rutscht und somit letztlich bezogen auf die Kaufkraft weniger Geld zur Verfügung hat. Grüne und SPD sehen das sehr kritisch. Erstens wäre es teuer. Rund elf Milliarden Euro würde die Entlastung kosten, ein Drittel davon würde beim Bund, zwei Drittel würden bei den Ländern und Kommunen anfallen. Vor allem aber würden von einem Abbau der kalten Progression, so wie er jetzt von Lindner vorgeschlagen wurde, "die höchsten Einkommen am meisten profitieren", kritisiert der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Schrodi. Er plädiert deswegen für Direktzahlungen. Davon hätten Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen mehr. "Bei dem vom Finanzminister vorgeschlagenen Modell dagegen bleibt die Hälfte der Entlastungswirkung bei den 20 bis 25 Prozent mit dem höchsten Einkommen hängen", sagt Schrodi.
Auch bei anderen Vorschlägen zeigt sich einmal mehr, dass SPD und Grüne eng beieinander sind, die FDP dagegen andere Prioritäten setzt. So wollen SPD und Grüne im Zuge der Einführung des Bürgergeldes, das ab 2023 Hartz IV ersetzen soll, eine deutliche Anhebung der Grundsicherung durchsetzen. Die FDP will die neue Sozialleistung dagegen vor allem unbürokratischer gestalten und die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern. Auch ein Moratorium, mit dem Grüne und SPD Menschen schützen wollen, die in diesem Winter ihre Strom- und Gasrechnung nicht bezahlen können, sieht man bei der FDP skeptisch.
Ebenfalls umstritten: ein Nachfolgeprojekt für das 9-Euro-Ticket. Lindner erklärte am Wochenende kategorisch: Dafür stünden "keinerlei Mittel" zur Verfügung. SPD-Chef Lars Klingbeil schlug daraufhin vor, dieses über eine Sondersteuer auf hohe Zusatzgewinne von Energieunternehmen zu finanzieren – das allerdings lehnt Lindner ebenfalls strikt ab. Die FDP schlägt dagegen eine weitere Erhöhung der Pendlerpauschale vor. Insbesondere die Grünen, die auch die bereits in diesem Jahr erfolgte Anhebung nur widerwillig mitgetragen haben, dürften das vor allem als Provokation verstehen.
Wo gibt es Konsens?
Dass Lindner laut Spiegel den steuerlichen Grundfreibetrag weiter anheben will – von 10.348 Euro derzeit auf 10.933 Euro 2024 – wird von SPD und Grünen dagegen ausdrücklich begrüßt. Auch die von Lindner offenbar ebenfalls geplante Anhebung des Kindergeldes um acht Euro pro Monat im nächsten und sechs Euro im darauffolgenden Jahr ist an sich von allen gewünscht. Streit könnte es allerdings um die Höhe geben. Bundesfamilienministerin Lisa Paus hatte am Wochenende eine "relevante Anhebung" gefordert, ohne sich näher festzulegen.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sprach sich zudem dafür aus, das Wohngeld so zu reformieren, dass auch Rentnerinnen und Rentner profitieren. Ähnlich hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz bereits Mitte Juli geäußert. Der Kreis der Berechtigten solle deutlich ausgeweitet werden.
Welche weiteren Ideen gibt es?
Die Linke fordert beispielsweise einen Strompreisdeckel und staatliche Preiskontrollen. Unterstützt wird sie dabei vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). "Der Druck muss für alle rausgenommen werden, indem die Energiepreise für Privathaushalte gedeckelt werden", sagte DGB-Chefin Yasmin Fahimi dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Dies stößt in der Ampel allerdings bisher auf wenig Resonanz. Ein Strompreisdeckel sei letztlich eine staatliche Subvention, sagt der finanzpolitische Sprecher der SPD, Schrodi. Davon würden dann ebenfalls Menschen profitieren, die sich den höheren Preis durchaus leisten könnten.
Wann gibt es eine Entscheidung?
Aus Koalitionskreisen ist zu hören, dass nun zunächst das zweite Treffen der konzertierten Aktion, bei der Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitgeberseite und Gewerkschaften erneut im Kanzleramt zusammenkommen, abgewartet werden soll. Das ist für Mitte September geplant. Danach sollten dann schnell konkrete Pläne vorgestellt werden. Bei den meisten diskutierten Maßnahmen geht es jetzt allerdings ohnehin um Maßnahmen, die erst 2023 wirksam würden. Dennoch wird nicht ausgeschlossen, dass bei weiter steigenden Energiepreisen auch zusätzliche Schritte noch in diesem Jahr nötig sein könnten.