"Alles muss auf den Tisch": Medienpolitiker fordern nach den Enthüllungen beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk Konsequenzen Quelle: pa/dpa/Peter Kneffel© pa/dpa/Peter Kneffel
Nach einem Bericht der WELT AM SONNTAG über mehrere ARD-Intendanten, die sich ihre Spesen selbst genehmigten, fordern die Medienpolitiker der Bundestagsfraktionen weitreichende Konsequenzen. Helge Lindh, kultur- und medienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, sagte dieser Zeitung: „Harte Transparenz, Demokratisierung und Entmachtung der Führung sind das Gebot der Zeit“.
Das Rechercheergebnis, so Lindh, belege eindrucksvoll die Defizite von Kontrolle und Compliance. „Wo öffentliche Gelder fließen, muss deren Nutzung strengstens nachgewiesen, kontrolliert und auf die journalistische und programmatische Arbeit konzentriert werden.“ Führungskräfte, die sich selbst kontrollieren und Spesen genehmigen, seien ein Unding. Es bestätige sich, dass enge persönliche Machtbeziehungen zwischen Spitzenkräften in Intendanz und Verwaltungsrat maßgeblich Teil des Problems gewesen seien oder sind.
Helge Lindh (SPD): "Harte Transparenz, Demokratisierung und Entmachtung der Führung sind das Gebot der Zeit“ Quelle: dpa-infocom GmbH© dpa-infocom GmbH
FDP-Medienpolitiker Thomas Hacker ist überzeugt, dass alle Sendeanstalten „ihre Compliance-Mechanismen grundlegend überprüfen“ und an die in der „freien Wirtschaft schon längst üblichen Kontrollverfahren anpassen“ sollten. Die jüngsten Affären hätten ein „grundlegendes strukturelles Defizit bei Aufsicht, Kontrolle und Transparenz“ offenbart: „Dies gehört dringend reformiert.“ Die derzeitige Zusammensetzung und Arbeitsweise der Aufsichtsgremien fördere „eine absolutistische Alleinherrschaft“ der Intendanten.
Thomas Hacker (FDP): "Die Reformen müssen jetzt beginnen, denn die Uhr für den ÖRR tickt" Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa/Archiv© Bernd von Jutrczenka/dpa/Archiv
Ein Problem sieht der FDP-Bundestagsabgeordnete auch in der „ehrenamtlichen Vergabe der Plätze“ in Rundfunk und Verwaltungsräten sowie die „Entsendung durch zivilgesellschaftliche Gruppen“, durch die die „Kompetenzfrage“ in den Hintergrund rücke. Es brauche eine „Gesundschrumpfung der Sendeanstalten auf das Wesentliche“ und die Kernaufgaben: „Brauchen wir wirklich 20 Fernsehsender, 71 regionale Hörfunksender zuzüglich drei deutschlandweite Programme; 900 Podcasts der ARD und 119 unterschiedliche Apps?“ Sein Fazit: „Die Reformen müssen jetzt beginnen, denn die Uhr für den ÖRR tickt.“
Auch Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der Grünen, hält Neuregelungen für „dringend notwendig“. Dazu gehöre, dass in den Aufsichtsgremien „Kompetenzen in den Bereichen Journalismus, Medienwirtschaft, Medienrecht und Haushaltswesen“ vorhanden seien.
Tabea Rößner (Bündnis 90/Die Grüne): „Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass weder die Länder noch die Sender selbst die notwendigen Reformen auf den Weg bringen können“ Quelle: dpa-infocom GmbH© dpa-infocom GmbH
Zudem sollten Gremien-Büros unabhängig von Sender und Intendanz arbeiten. Notwendig sei eine „breite gesellschaftliche Debatte über die Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks.“ Diese solle von einer „unabhängigen Expertenkommission begleitet werden, die Vorschläge für eine Reform erarbeitet“. Denn: „Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass weder die Länder noch die Sender selbst die notwendigen Reformen auf den Weg bringen können.“
„Alles muss auf den Tisch“
Petra Sitte, Medienexpertin der Linken, sieht „klare Defizite“ bei den gebührenfinanzierten Anstalten und verlangt, dass es nicht nur „punktuelle Veränderungen“ geben dürfe: „Alles muss auf den Tisch.“ Aus ihrer Sicht braucht es bei den Öffentlich-Rechtlichen künftig „einheitliche Standards und Leitlinien für mehr Transparenz und Mitbestimmung“ und eine Verbesserung der „Aufsichtsstrukturen“.
Petra Sitte (Die Linke): „Alles muss auf den Tisch“ Quelle: dpa© dpa
Zudem sei die „derzeitige Situation“ der nicht fest angestellten Mitarbeiter bei den Öffentlich-Rechtlichen „ein Problem“. Diese bräuchten „eine Beschäftigungsperspektive“ und müssten gegenüber Angestellten „gleichberechtigt in die Mitbestimmung einbezogen werden“.
Die AfD kritisiert ebenfalls die Vielzahl freier und mit weniger Rechten ausgestatteten Mitarbeiter bei den Gebührenfinanzierten. Angesichts einer jährlichen Ausstattung mit Finanzmitteln von gut sechs Milliarden Euro allein für ARD sei es „ein Unding“, dass dies bei den Sendern „in letzter Konsequenz zu prekären Arbeitsverhältnissen“ führe, so der medienpolitische Sprecher Martin Renner.
Martin Renner (AfD): „Gewissermaßen ein Status der Unantastbarkeit“ Quelle: picture alliance/dpa© picture alliance/dpa
Die Kombination von „gebotener Staatsferne“ und „vollständiger Entkoppelung von Wettbewerbsmechanismen der freien Marktwirtschaft“ habe den Sendern „gewissermaßen einen Status der Unantastbarkeit“ verliehen: „Da muss ein Hebel angesetzt werden.“
Union sieht ARD in einer „tiefen Krise“
CDU-Medienexpertin Christiane Schenderlein verweist auf Anfrage auf den Katalog von Reformforderungen für die gebührenfinanzierten Sender, den der Unions-Parteitag in Hannover vergangene Woche bereits beschlossen hat. Dieser sieht ARD & Co. „in einer tiefen Krise“ und bescheinigt den Anstalten ein „überhöhtes Gehaltsgefüge“ sowie einen „Vertrauensverlust“ in der Bevölkerung.
Als Gegenmaßnahmen werden unter anderem stärkere Kontrolle, die Konzentration auf den „Kernauftrag“ sowie die Deckelung der Intendanten-Bezüge (auf rund 190.000 Euro pro Jahr) genannt. Auch die „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ bei den Öffentlich-Rechtlichen wollen die Christdemokraten hinterfragen. „Die Praxis der ,festen Freien‘“ sei mit „fairen Arbeitsverhältnissen“ nicht vereinbar, heißt es in dem Papier: „Dieser Missstand gehört auf den Prüfstand und muss gegeben Falls beendet werden.“